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Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin
(DGEM)in Zusammenarbeit mit der GESKES, der AKE und der
DGGKlinische Ernährung in der Geriatrie –Teil des laufenden
S3-Leitlinienprojekts Klinische Ernährung
Guideline of the German Society for Nutritional Medicine
(DGEM)in cooporation with the GESKES, the AKE and the DGGClinical
Nutrition in Geriatrics – Part of the Running S3-Guideline Project
Clinical Nutrition
Autoren D. Volkert1, J. M. Bauer2, T. Frühwald3, I. Gehrke4, M.
Lechleitner5, R. Lenzen-Großimlinghaus6, R. Wirth7, C. Sieber8
Institute Die Institute sind am Ende des Artikels gelistet.
Schlüsselwörter●" Leitlinie●" Empfehlungen●" Geriatrie●"
Ernährungsversorgung●" Mangelernährung
Keywords●" guideline●" recommendations●" geriatrics●"
nutritional care●" malnutrition
BibliografieDOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0033-1343169Aktuel
Ernahrungsmed 2013;38: e1–e48© Georg Thieme Verlag KGStuttgart ·
New YorkISSN 0341-0501
KorrespondenzadresseProf. Dr. rer. nat.Dorothee
VolkertFriedrich-Alexander-UniversitätErlangen-Nürnberg, Institut
fürBiomedizin des AlternsKobergerstraße 6090408
Nü[email protected]
und das DGEM Steering Committee*
DGEM-Leitlinie Klinische Ernährung e1
Volkert D et al. Leitlinie der Deutschen… Aktuel Ernahrungsmed
2013; 38: e1–e48
Zusammenfassung!
Fragestellung: Ältere Menschen haben ein erhöh-tes Risiko für
Mangelernährung und sind häufigvon Mangelernährung betroffen. Dabei
bestehtoft Unklarheit darüber, welche Maßnahmen inbestimmten
Situationen für die Betroffenen vonNutzen sind. Ziel der
vorliegenden Leitlinie ist es,evidenzbasierte Empfehlungen zur
klinischen Er-nährung älterer Menschen zu geben, um
Mangel-ernährung so weit wie möglich zu vermeidenbzw. zu
behandeln.Material und Methodik: Die bestehenden Leitlini-en der
deutschen und europäischen ernährungs-medizinischen
Fachgesellschaften (DGEM,ESPEN) zur enteralen und parenteralen
Ernäh-rung wurden zusammengeführt und in Einklangmit den
Richtlinien der AWMF und des ÄZQ ak-tualisiert und
erweitert.Ergebnisse: Die Leitlinie beinhaltet 60 konsentier-te
Empfehlungen zur Ernährungsversorgung älte-rer Menschen
hinsichtlich grundlegender Prinzi-pien klinischer Ernährung,
relevanter Indikatio-nen (allgemeine Indikation, Mangelernährungund
Risiko fürMangelernährung, Gebrechlichkeit,Dysphagie,
Hüftfrakturen, Depression, Demenz,Dekubitus, Delir) sowie
spezifischer Struktur-und Prozessanforderungen für die
Ernährungs-versorgung in geriatrischen Institutionen. Gene-rell
sollen Ernährungsmaßnahmen bei älterenMenschenmit einem Risiko für
Mangelernährungoder mit Mangelernährung ergriffen werden, umeine
adäquate Zufuhr von Energie und Nährstof-fen zu ermöglichen und die
gravierenden Folgenvon Mangelernährung zu vermeiden. Dabei kanndie
orale Ernährung durch ursachenorientierte,pflegerische und
diätetische Maßnahmen geför-dert werden. Enterale bzw. parenterale
Ernäh-rung sollten initiiert werden, wenn die orale
Abstract!
Aim: Older people are at increased risk of malnu-trition and are
frequently affected by malnutri-tion. In clinical practice, it is
often unclear, whichstrategies are useful in specific situations
for thepersons concerned. The present guideline intendsto provide
comprehensive evidence-based re-commendations for clinical
nutrition in older per-sons, in order to prevent and/or adequately
treatmalnutrition.Methods: Existing guidelines of the German
andEuropean societies of nutritional medicine(DGEM, ESPEN) on
enteral and parenteral nutri-tion in geriatrics were consolidated
and inaccordance with the principles of the AWMF andAEZQ revised
and extended.Results: The present guideline comprises 60
con-sensus-based recommendations for nutritionalcare in the elderly
having regard to basic princi-ples of clinical nutrition, relevant
indications(general indication, malnutrition and risk of
mal-nutrition, frailty, dysphagia, hip fracture, depres-sion,
dementia, decubitus, delirium) as well as tospecific structural and
process needs for nutri-tional care in geriatric institutions.
Generally, nu-tritional intervention is indicated in older
personswith malnutrition or at risk of malnutrition in or-der to
allow an adequate intake of energy and nu-trients and to avoid the
serious consequences ofmalnutrition. In this regard oral nutrition
can besupported by cause oriented, nursing and
dietaryinterventions. Enteral respectively parenteral nu-trition
should be initiated if oral respectively en-teral nutrition is
insufficient or impossible andthe general prognosis is altogether
favorable (notin terminal stages of disease).Conclusion:
Independent of the indication, thedecision for or against specific
interventionsmust always be made individually, after
carefullyweighing the particular risk-benefit relationship,taking
the (assumed) patient will and prognosis
* DGEM Steering Committee: Bischoff SC, Lochs H, Wei-mann A,
Adolph M, Ockenga J, Sieber C.
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UlrikeTextfeldAWMF-Register-Nr. 073/019
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1 Einleitung!
Besonderheiten im AlterPhysiologisches Altern geht mit
Funktionseinbußen und Abnah-men der Leistungsfähigkeit und der
Belastbarkeit auf organischerund systemischer Ebene einher, die
intra- und interindividuellsehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Im
fortgeschrittenen Alterkommt es dadurch vermehrt zu Gebrechlichkeit
und gesundheit-lichen Beeinträchtigungen.Bei geriatrischen
Patienten, die nicht primär durch ihr Lebensal-ter, sondern
vielmehr durch das gleichzeitige Auftreten mehrererakuter und/oder
chronischer Gesundheitsprobleme definiertsind (geriatrietypische
Multimorbidität), sind in vielen Fällenauch das seelische und
soziale Gleichgewicht und die selbststän-dige Alltagsbewältigung
gefährdet. Durch eine reduzierte adapti-ve und regenerative
Kapazität ist typischerweise die Genesungverlangsamt und die
Rehabilitation und Wiedererlangung desbisherigen Zustands
erschwert.Diese Besonderheiten erfordern eine spezifisch
geriatrische Be-handlung, die sich neben der besonderen Beachtung
der Multi-morbidität und der damit einhergehenden Polypharmazie
durcheinen ganzheitlichen Ansatz auszeichnet, der physische mit
see-lischen und sozialen Aspekten verbindet [1]. Ein
umfassendesfunktionelles Assessment bildet die Grundlage aller
therapeuti-schen Maßnahmen, die das Hauptziel verfolgen, den
funktionel-len Status älterer Personen zu optimieren und dadurch
Selbsthil-fefähigkeit, Lebensqualität und Autonomie zu
verbessern.
Mangelernährung im AlterDie Ernährung ist ein wichtiger
Indikator und Modulator von Ge-sundheit undWohlbefinden im Alter.
Zahlreiche Faktoren tragendazu bei, dass die Ernährung im Alter
häufig erschwert und dasRisiko für Mangelernährung erhöht ist.
Insbesondere im Falleakuter und chronischer Krankheiten sind
Ernährungsproblemeweit verbreitet und in Verbindung mit katabolen
Krankheitsef-fekten entwickelt sich bei reduzierter
Nahrungsaufnahmeschnell eine Mangelernährung [2].Die Prävalenz von
Mangelernährung variiert dabei je nach Le-bens- und
Gesundheitssituation und nimmt generell mitschlechter werdendem
Gesundheits- und Allgemeinzustand zu.Während Mangelernährung bei
selbstständig im Privathaushaltlebenden älteren Menschen eher
ausnahmsweise vorkommt,sind in Langzeitpflegeeinrichtungen und
Krankenhäusern bis zuzwei Drittel älterer Menschen betroffen [3–6].
Mehr oder weni-ger unabhängig von der Lebens- und
Gesundheitssituation be-steht einer internationalen
Datenbankauswertung zufolge beietwa der Hälfte aller älteren
Menschen ein Risiko für Mangeler-nährung [7].Die Folgen einer
Mangelernährung sind im Alter gravierend. Soverstärkt der mit einem
Gewichtsverlust verbundene Verlust
vonMuskelmasse die altersbegleitende Sarkopenie und
Gebrech-lichkeit und begünstigt dadurch Behinderungen und
Einbußender Selbstständigkeit [8]. Ein ungünstiger klinischer
Verlauf beimangelernährten älteren Menschen ist in zahlreichen
Studienseit Langem belegt [2].Nach wie vor gibt es allerdings keine
allgemein akzeptierte De-finition von Mangelernährung im Alter. In
dieser Leitlinie wirdbei einem unbeabsichtigten auffälligen
Gewichtsverlust (>5% in3 Monaten oder>10% in 6 Monaten) oder
einer deutlich redu-zierten Körpermasse (Fett- und Muskelmasse)
(BMI
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sen. Kurz gefasst sollten in jedem Einzelfall die folgenden
Fragengestellt und beantwortet werden:▶ Leidet der Patient an einer
Krankheit, bei der sich künstliche
Ernährung mit hoher Wahrscheinlichkeit positiv auswirkt,d.h. den
Krankheitsverlauf verbessert und die Genesungbeschleunigt?
▶ Leidet der Patient an einer unheilbaren Krankheit, bei der
je-doch Lebensqualität und Wohlbefinden durch künstliche Er-nährung
erhalten oder verbessert werden können?
▶ Überwiegt der voraussichtliche Nutzen die
potenziellenRisiken?
▶ Stehen ausreichend Ressourcen zur Verfügung, um die
künst-liche Ernährung angemessen durchzuführen? Überwiegt
ins-gesamt der Nutzen, falls die künstliche Ernährung eine
Verän-derung der Wohnsituation erfordert (z.B. Versorgung im
Pfle-geheim anstatt zu Hause)?
▶ Sind die Ernährungsmaßnahmen in Einklang mit dem
(mut-maßlichen) Willen des Patienten?
ZieleDie vorliegende Leitlinie soll evidenzbasierte Empfehlungen
zurklinischen Ernährung in der Geriatrie geben, um Mangelernäh-rung
so weit wie möglich zu vermeiden bzw. zu behandeln. Siesoll alle in
der geriatrischen Versorgung tätigen Personen bei Ent-scheidungen
in Zusammenhang mit der
Ernährungsversorgungunterstützen.Geriatrische Versorgung findet in
unterschiedlichem Umfeldstatt – in Privathaushalten, Heimen und
Kliniken (Akutkliniken,geriatrischen Rehabilitationseinrichtungen,
Tageskliniken) [1].Da der weitaus größte Teil wissenschaftlicher
Studien bei akutkranken geriatrischen Patienten und
Pflegeheimbewohnerndurchgeführt wurde, liegt der Schwerpunkt der
vorliegendenLeitlinie auf diesen Subpopulationen mit allgemein
hohem Be-darf an Ernährungsinterventionen. Da sich
Ernährungstherapiejedoch nicht grundsätzlich zwischen den
Versorgungssystemenunterscheidet, gelten alle Empfehlungen
gleichermaßen für dieErnährungsversorgung im ambulanten
Bereich.
2 Methodik!
Die vorliegende Arbeit ist eine Weiterentwicklung der
„LeitlinieEnterale Ernährung der DGEM und DGG“ [2, 14] sowie
derESPEN-Leitlinien zur enteralen [15] und parenteralen Ernährungin
der Geriatrie [16]. Es handelt sich hierbei um einen Teil des
an-gemeldeten Leitlinien-Vorhabens „Klinische Ernährung“
(AWMF-Registernummer 073/019).Die Methodik ist im Leitlinienreport
des Leitlinien-Updates Klini-sche Ernährung ausführlich
beschrieben. Der Leitlinienreport istüber die Internetseite der
Arbeitsgemeinschaft derWissenschaft-lichen Medizinischen
Fachgesellschaften e.V. (AWMF) abrufbar(www.awmf.org,
AWMF-Registernummer 073/019). Ein Auszugzum methodischen Vorgehen
bei dem Leitlinien-Update Klini-sche Ernährung wurde in der letzten
Ausgabe der Aktuellen Er-nährungsmedizin veröffentlicht [17].Die
vorliegende Leitlinie basiert auf Studien mit ausschließlichalten
Patienten oder Heimbewohnern. Studien mit altersge-mischten
Kollektiven wurden berücksichtigt, wenn das mittlereAlter der
Probanden mindestens 65 Jahre betrug oder wenn ge-trennte
Auswertungen für jüngere und ältere Teilnehmer vorla-gen.
3 Grundprinzipien klinischer Ernährung im Alter!
Ziel klinischer Ernährungsmaßnahmen bei älteren Menschen istdie
Bereitstellung ausreichender Mengen an Energie, Protein,
Mi-kronährstoffen und Flüssigkeit, um den Bedarf zu decken undden
Ernährungszustand zu erhalten oder zu verbessern. Dadurchsoll zum
Erhalt oder zur Verbesserung von Funktionen,
Aktivität,Rehabilitationspotenzial und der Lebensqualität sowie zur
Re-duktion von Morbidität und Mortalität beigetragen werden.Die
therapeutischen Ziele unterscheiden sich bei geriatrischenPatienten
damit nicht grundsätzlich von denen bei jüngeren,werden jedoch
anders gewichtet. Während bei jüngeren Patien-ten die Reduktion
vonMorbidität undMortalität oberste Prioritäthat, stehen bei
geriatrischen Patienten die Erhaltung von Funk-tion,
Selbstständigkeit und Lebensqualität im Vordergrund
[14].Ernährungsmaßnahmen dienen generell dem Erreichen bzw.dem
Erhalt möglichst guter Gesundheit und hoher Lebensquali-tät. Es sei
an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die genanntenZiele am
Lebensende mit Einsetzen der Sterbephase nicht mehrrelevant und die
in dieser Leitlinie genanntenMaßnahmen dahergenerell nicht mehr
indiziert sind.Ernährungstherapie im Alter geht über reine
Ernährungsmaß-nahmen weit hinaus und umfasst ein breites Spektrum
verschie-denerMaßnahmen, die alle zu einer adäquaten
Nahrungsaufnah-me beitragen können (●" Tab.1). Hinsichtlich
direkter Ernäh-rungsmaßnahmen haben orale Strategien bei älteren
Menschenimmer oberste Priorität. Wenn diese oralen Strategien nicht
ge-nügen, um eine adäquate Nahrungsaufnahme zu ermöglichen,bieten
Trinknahrung (oral nutritional supplements, ONS) (s.4.1.2) und
Sondenernährung (SE) (s. 4.1.3) die Möglichkeit, dieEnergie- und
Nährstoffzufuhr zu sichern oder zu erhöhen. Paren-terale Ernährung
(PE) sollte für Patienten vorbehalten bleiben,die nicht in der Lage
sind, ihren Bedarf auf oralem oder enteralemWege zu decken (siehe
4.1.4).
Tab. 1 Klinische Ernährung bei älteren Menschen: Spektrum
möglicherMaßnahmen.
Beseitigung möglicher Ernährungshemmnisse(z. B. adäquate
Behandlung akuter und chronischer Krankheiten, Zahn-behandlung,
Schlucktraining, Unterstützung und Gesellschaft beimEssen)
angenehme Essumgebung(z. B. Essen am Tisch in einem Esszimmer
gemeinsammit anderen,ruhige und entspannte Atmosphäre)
adäquate Pflegemaßnahmen(z. B. verbale Aufforderung,
Kleinschneiden, Hilfe beim Essen)
Modifikation von Mahlzeiten und Lebensmitteln(z. B.
Berücksichtigung persönlicher Vorlieben, zusätzliche
Zwischen-mahlzeiten, Fingerfood, Veränderung von Textur und
Konsistenz vonSpeisen)
Anreicherung von Speisen und Gerichten(mit gehaltvollen
Lebensmitteln wie Sahne, Butter, Öl oder mit Nähr-stoffkonzentraten
wie Maltodextrin oder Proteinpulver)
Trinknahrung
Sondenernährung (ergänzend/ausschließlich)
parenterale Ernährung (ergänzend/ausschließlich)
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Empfehlung 1:Mögliche Ursachen von Mangelernährung sollen so
weit wie mög-lich beseitigt werden. [KKP; starker Konsens]
Kommentar: Während Mangelernährung bei jüngeren Erwach-senen
meist nur in Zusammenhang mit Erkrankungen auftritt,sind die
möglichen Ursachen für Mangelernährung im Alter viel-fältig. Neben
physiologischen Altersveränderungen wie abneh-mender Appetit
(Altersanorexie) und nachlassende Sinneswahr-nehmungen, können
zahlreiche Begleiterscheinungen des Altersdie Ernährung
beeinträchtigen und durch Reduktion des Appe-tits, Begrenzung der
Essmenge oder Erhöhung des Bedarfs zurEntstehung von
Mangelernährung beitragen. Im Rahmen der Er-nährungstherapie
älterer Menschen hat die Identifikation undnachfolgende Beseitigung
potenzieller Ursachen von Mangeler-nährung oberste Priorität, um
eine ausreichende Essmenge zu er-möglichen, z.B. durch angemessene
Behandlung der Grunder-krankung, Verbesserung des Zahnstatus oder
Schlucktherapie(●" Tab.2).
Empfehlung 2:Diätvorschriften, die die Nahrungsaufnahme
limitieren können, sindpotenziell schädlich und sollten vermieden
werden. [B (BM); starkerKonsens]
Kommentar: Diätvorschriften sind eine mögliche Ursache
vonMangelernährung, da sie die Lebensmittelauswahl und damitdie
Nahrungsaufnahme einschränken können. Darüber hinausscheinen
restriktive Diäten mit zunehmendem Alter weniger ef-fektiv zu sein,
wobei die Datenbasis diesbezüglich sehr dürftig ist[18]. In einer
Studie hatten ambulante über 75-jährige Patienten,die seit 11±6
Jahren eine salzarme, cholesterinarme oder Diabe-tesdiät befolgten,
ein erhöhtes Risiko für Mangelernährung imVergleich zu alters- und
geschlechtsgematchten Kontrollen [19](III). In einem
Positionspapier der American Dietetic Associationwird vermutet,
dass die Lockerung von Diätvorschriften für älte-re Menschen in
Langzeitpflegeeinrichtungen deren Ernährungs-zustand und
Lebensqualität verbessern könnten [20]. Folglichwird empfohlen,
restriktive Diätvorschriften für ältere Menschenkritisch zu prüfen
undmöglichst zu vermeiden, um das Risiko fürMangelernährung zu
reduzieren.
Empfehlung 3:Die Nahrungsaufnahme sollte durch angemessene
pflegerischeMaßnahmen (z.B. Bereitstellung von Zwischenmahlzeiten,
Hilfebeim Essen, angenehme Umgebung, genügend Zeit zum
Essen,emotionale Begleitung) unterstützt werden. [B (BM);
starkerKonsens]
Kommentar: Da viele ältere Menschen in Institutionen
aufgrundkörperlicher oder kognitiver Beeinträchtigungen nicht mehr
inder Lage sind, selbstständig zu essen, wird oft pflegerische
Unter-stützung benötigt, um eine ausreichende Nahrungsaufnahme
zuermöglichen. Einfache Pflegemaßnahmen wie die Bewohnerzum Essen
an den Tisch zu setzen, Aufforderung zum Essen, Er-mutigung,
angemessene Hilfe und emotionaler Beistand bei denMahlzeiten
fördern die Selbstständigkeit beim Essen und verbes-sern den
Essvorgang [21–24, 26, 27] (III), [25, 28] (IIb), [29] (IIa).So
beobachteten Sidenvall u. Ek [27] (III), dass angemessene
Pfle-gemaßnahmen der Abhängigkeit von fremder Hilfe beim
Essenvorbeugten und den Ernährungszustand positiv
beeinflussten.Lange-Alberts u. Shott [21] (III) berichteten, dass
Berührungenund verbale Aufforderung bei Pflegeheimbewohnern
ohneschwere kognitive Beeinträchtigung zu einer Steigerung der
Nah-rungsaufnahme führten.In einer Datenbankauswertung von 16
Pflegeheimen stelltenSimmons et al. [30] (III) in Pflegeheimen mit
geringer Prävalenzvon Gewichtsverlust häufiger verbale Aufforderung
und sozialeInteraktionen während der Mahlzeiten fest als in
Einrichtungenmit hoher Prävalenz von Gewichtsverlust. Walton et al.
[31] (IIb)konnte zeigen, dass Unterstützung beim Essen durch
geschulteFreiwillige zum Mittagessen an Wochentagen in einer
geriatri-schen Krankenhausabteilung eine signifikante Steigerung
derProteinaufnahme und tendenziell höheren Energiezufuhr bei
9hochbetagten Patienten bewirkte. Im Gegensatz dazu hatte
zu-sätzliche Hilfe beim Essen über eine mittlere Zeitdauer von
16Tagen in 3 geriatrischen Akutstationen keinen Effekt auf die
Nah-rungsaufnahme [32] (Ib). Auch Ernährungsstatus,
Klinikverweil-dauer und Mortalität waren unverändert, lediglich der
Bedarf an
Tab. 2 Potenzielle Ursachen von Mangelernährung und mögliche
Interven-tionen.
Kauprobleme – Mundpflege– Zahnbehandlung
Schluckprobleme – Abklärung von Art und Ausmaß derDysphagie
– Schlucktraining– Schluckkost, Konsistenzmodifikation
Beeinträchtigung deroberen Extremitäten
– Ergotherapie, Physiotherapie– angemessene Hilfe beim Essen(z.
B. Kleinschneiden, Essen reichen)
– Einsatz adäquater Hilfsmittel– Einkaufs-/Kochhilfe, Essen auf
Rädern
eingeschränkte Mobi-lität, Immobilität
– Physiotherapie– Gruppengymnastik, -bewegungsangebote–
Krafttraining– Einkaufs-/Kochhilfe, Essen auf Rädern
geistige Beeinträchti-gungen
– Überwachung der Mahlzeiten– angemessene Unterstützung beim
Essen(z. B. verbale Aufforderung, Hilfe beimEssen)
– Einkaufs- und Kochhilfe, Essen auf Rädern
depressive Stimmung,Depression
– angemessene ärztliche Behandlung– Essen in Gesellschaft–
angenehme Essumgebung– Gruppenaktivitäten,
Beschäftigungs-therapie
Einsamkeit, sozialeIsolation
– Essen in Gesellschaft– Gruppenaktivitäten
gastrointestinaleErkrankungen undBeschwerden
– adäquate ärztliche und ggf. diätetischeBehandlung
sonstige akute Erkran-kungen, (chronische)Schmerzen
– adäquate ärztliche Behandlung
Medikamentenneben-effekte (z. B. Xerosto-mie, Apathie)
– Überprüfung der Medikamentenverord-nung
– Reduktion oder Austausch von Medika-menten
restriktive Diäten – Überprüfung und Lockerung von
Diätvor-schriften
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i. v. Antibiotika war im Vergleich zu den Stationen ohne
Unter-stützung beim Essen reduziert [32] (Ib). Pedersen et al. [33]
(IIb)beobachteten in einer nicht randomisierten Studie, dass
Pflege-maßnahmen, die ältere Patienten mit Hüftfraktur bzw.
elektiverorthopädischer Operation aktiv in die eigene
Ernährungsversor-gung einbezogen, die Energie- und Proteinzufuhr
durch üblicheLebensmittel um 23 bzw. 46% erhöhten. Bei dementen
Patientenwurde gezeigt, dass spezifische Verhaltens- und
Kommunika-tionsstrategien das Essverhalten und die Essmenge positiv
beein-flussen können [34] (III), [35] (IIb).Diese Interaktionen zur
Steigerung der Nahrungsaufnahme be-nötigen allerdings Zeit (vgl.
Kapitel 5.1). Einen hilfsbedürftigenPatienten zu unterstützen,
benötigt bei einer Hauptmahlzeit 30–45Minuten, bei einer
Zwischenmahlzeit etwa 15Minuten [25, 28,29]. Durch Verbesserung des
Personalschlüssels und Erhöhungder Personalzeit auf diese Zeiten
erhöhte sich Untersuchungenvon Simmons et al. [25, 28] (IIb), [29]
(IIa) zufolge auch die oraleNahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme von
Pflegeheimbewohnernmit Risiko für Mangelernährung, und es konnte
unbeabsichtigtenGewichtsverlusten vorgebeugt werden [29]
(IIa).Insgesamt belegen diese Studien die Bedeutung
angemessenerpflegerischer Unterstützung für die Nahrungsaufnahme
hilfs-und pflegebedürftiger älterer Menschen (●"
Evidenztabelle1a).
Empfehlung 4:Mahlzeiten, Lebensmittel und Zwischenmahlzeiten
sollten den indi-viduellen Bedürfnissen entsprechend modifiziert
werden (z.B. hin-sichtlich Portionsgröße, Konsistenz), um eine
bedarfsgerechte Auf-nahme an Energie und Nährstoffen zu
ermöglichen. [B (BM); starkerKonsens]
Kommentar: Hinsichtlich direkter Ernährungsmaßnahmen ha-ben
orale Strategien bei älteren Menschen immer oberste Priori-tät.
Mahlzeiten, Lebensmittel und Getränke können auf vielfälti-ge Weise
modifiziert werden, um attraktiv zu sein und die indi-viduellen
Vorlieben und Bedürfnisse zu berücksichtigen. In meh-reren Studien
wurden die positiven Effekte solcher Maßnahmengezeigt (●"
Evidenztabelle1b).Die Verbesserung von Geschmack, Textur und
Aussehen pürierterKost für 16 Tage erhöhte bei 18 Bewohnern einer
Pflegeeinrich-tung die Zufuhr um 15% und reduzierte
Gewichtsverluste im Ver-gleich zu den 16 Tagen vorher mit üblicher
pürierter Kost [36](IIa). Das Angebot einer kohlenhydratreichen
Mahlzeit zumAbendessen für Pflegeheimbewohner mit fortgeschrittener
Alz-heimerdemenz erhöhte die Nahrungsaufnahme,
möglicherweiseaufgrund der Vorliebe dieser Bewohner für
kohlenhydratreicheLebensmittel [37] (Ib). Eine zusätzliche
Abendmahlzeit für ge-brechliche ältere Menschen im betreuten Wohnen
verbessertedie Proteinzufuhr, hatte aber nur geringen Effekt auf
die Energie-zufuhr [38] (IIa). In 3 frühen Fallberichten konnte das
Angebothochkalorischer Lebensmittel, die den Wünschen der
Patientenentsprachen, den Appetit zurückgewinnen und den
klinischenGesamtzustand verbessern [39] (III). Das Angebot von
Fingerfoodunterstützt selbstständiges Essen und verbessert den
Essvorgang[26, 40] (III). Kleinere aber energie- und
proteinangereicherteMahlzeiten erhöhten die Zufuhr signifikant bei
geriatrischen Re-habilitationspatienten [41] (Ib), [42] (IIb) und
bei akut krankenälteren Klinikpatienten [43] (IIa). Dagegen erhöhte
die Reduktionder Portionsgröße und Berücksichtigung individueller
Vorliebenbei 31 Pflegeheimbewohnern [44] (IIb) und das Angebot
kleinerhäufiger Mahlzeiten für 31 Bewohner einer
Pflegeeinrichtung
mit Dysphagie, die texturmodifizierte Kost erhielten [45]
(IIa),die Zufuhr nicht.
Empfehlung 5:Wenn die Nahrungsaufnahme durch normale
Lebensmittel nichtausreicht, soll eine Anreicherung erfolgen, um
die Energie- undNährstoffzufuhr zu erhöhen. [A (BM); starker
Konsens]
Kommentar: Bei Pflegeheimbewohnern führte die Anreicherungvon
Mahlzeitenmit natürlichen Zutaten wie Öl, Sahne und Butterfür 6
Wochen in einer Cross-over-Studie [46] (IIa) oder für 15Wochen [47]
(IIa) zu einer signifikanten Steigerung des Energie-gehalts der
Mahlzeiten und der Energieaufnahme in beiden Stu-dien. In einer
weiteren Studie erhöhte die Protein- und Energie-anreicherung der
Ernährung für 12 Wochen signifikant die Pro-tein-, jedoch nicht die
Energiezufuhr von 52 Pflegeheimbewoh-nern mit Risiko für
Mangelernährung [48] (Ib).Das zusätzliche Angebot von 420kcal/d in
Form einer kommer-ziellen Fettemulsion bei der Medikamentenausgabe
(3-mal tgl.30mL) verbesserte den Appetit und die Energieaufnahme
geria-trischer Patienten signifikant. Außerdemwurden positive
Effekteauf die Serumlipidspiegel berichtet [49] (Ib).Folglich wird
eine Anreicherung von Speisen und Mahlzeitenempfohlen, um die
Energie- und Nährstoffzufuhr älterer Men-schen, die nicht
ausreichend essen, zu erhöhen (●" Evidenztabel-le1b).
Empfehlung 6:Ernährungsinterventionen sollen individuell an die
Bedürfnisse,Fähigkeiten und Wünsche jedes Patienten angepasst
werden.[KKP; starker Konsens]Empfehlung 7:Verschiedene Maßnahmen
sollen kombiniert werden, um eine opti-male Nährstoffversorgung zu
erreichen. [KKP; starker Konsens]Empfehlung 8:Ältere Menschen mit
Mangelernährung oder Risiko für Mangeler-nährung sollen eine
individuelle, umfassende Ernährungsversorgungerhalten, um eine
ausreichende Nahrungsaufnahme zu gewährleis-ten, den
Ernährungszustand zu erhalten oder zu verbessern und denklinischen
Verlauf und die Lebensqualität zu verbessern. [A (BM, PC);starker
Konsens]
Kommentar: Da Ernährungsprobleme vielschichtig und individu-ell
unterschiedlich sind und sich ältere Patienten auch hinsicht-lich
ihrer klinischen Situation und Prognose, physiologischenRessourcen,
Ernährungsbedürfnissen und Vorlieben unterschei-den, sollten
Ernährungsinterventionen immer individualisiertsein. Meist müssen
mehrere Strategien kombiniert werden, umeine optimale
Nährstoffversorgung zu erreichen.Vier Studien haben in den letzten
Jahren die Effekte umfassender,mehrdimensionaler individualisierter
Ernährungsinterventio-nen bei älteren Patienten mit
Ernährungsrisiko nach akutemSchlaganfall [50] (Ib), nach
Hüftfraktur [51] (IIa) und bei gemisch-ten internistischen
Patienten [52, 53] (Ib) untersucht und positi-ve Effekte
hinsichtlich Zufuhr [52, 53] (Ib), [51] (IIa), Ernährungs-zustand
[50, 53] (Ib), Komplikationen, Antibiotika-Einsatz
undWiedereinweisung [53] (Ib) berichtet. Alle 4 Studien
berichtenpositive Effekte auf die Lebensqualität in der
Interventionsgrup-pe mit der umfassenden individuellen Versorgung
im Vergleichzu üblicher Pflege [50, 52, 53] (Ib), [51] (IIa).
Feldblum et al. [54]
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(Ib) erweiterte diese Art der Intervention bei internistischen
älte-ren Patienten auf 6 Monate nach der Klinikentlassung und
be-wirkte ein reduziertes Risiko für Malnutrition und
Mortalität.Moderate Verbesserungen im Ernährungszustand wurden
be-richtet, allerdings wurden keine Effekte auf Zufuhr und
funktio-nellen Status festgestellt.Bei 11 Pflegeheimneuzugängen mit
Mangelernährung, die 12Wochen lang individuell angepasste
Mahlzeiten erhielten, ver-besserten sich die Nahrungsaufnahme, der
Ernährungszustandund die funktionellen Fähigkeiten [55] (III). In
einer anderen Pfle-geheimstudie bewirkten individuelle Pflegepläne
und energie-reiche, volumenreduzierte Ernährung eine Steigerung des
Kör-pergewichts bei 60% von 48 unterernährten Bewohnern und
Ge-wichtskonstanz bei 34% [56] (IIb). Auch bei dementen
Langzeit-pflegepatienten beeinflusste eine umfassende individuelle
Er-nährungspflege das Körpergewicht über 9 Monate positiv:
Ge-wichtszunahmen wurden unterstützt und Gewichtsverluste
ver-mieden [57] (IIa). Ähnlich berichteten Boffelli et al. [58]
(IIb) sig-nifikant verbesserte Serumalbuminspiegel bei dementen
Lang-zeitpflegepatienten nach 6 Monaten und ein
stabilesKörpergewicht nach 18 Monaten umfassender
Ernährungsver-sorgung, und Biernacki u. Barratt [40] (III)
beobachteten Verbes-serungen im Ernährungszustand, Wohlbefinden und
in der Qua-lität der Mahlzeiten im Verlauf von 6 Jahren umfassender
Ernäh-rungsversorgung bei 20 dementen
Pflegeheimbewohnern.Zusätzliche individuelle Unterstützung bei der
Ernährung durchDiätassistenten in einer randomisiert-kontrollierten
Studie aufeiner akuten Traumastation verbesserte die Energiezufuhr
undreduzierte die Mortalität in der Klinik und 4 Monate nach
derHüftfraktur signifikant im Vergleich zu konventioneller
Pflege.Es zeigte sich jedoch kein Effekt auf Komplikationen und
Klinik-verweildauer [59] (Ib).Auf diesen Studien basierend, wird
eine umfassende, individuelleErnährungsversorgung für ältere
Personen mit Mangelernäh-rung oder Risiko für Mangelernährung
empfohlen, um eine aus-reichende Nahrungsaufnahme zu gewährleisten,
den Ernäh-rungszustand zu erhalten oder zu verbessern und den
klinischenVerlauf und die Lebensqualität zu verbessern (●"
Evidenztabelle1c).
Empfehlung 9:Klinische Ernährung soll Teil einer individuell
zugeschnittenen,multidimensionalen und multidisziplinären
geriatrischen Team-Intervention sein. [A (BM); starker Konsens]
Kommentar: Zur erfolgreichen Umsetzung klinischer
Ernährungmüssen alle an der Ernährungsversorgung beteiligten
Personenund Berufsgruppen interdisziplinär zusammenarbeiten, d.h.
derBetroffene selbst, Ernährungsfachkräfte, Pflegefachkräfte,
Kü-chen- und Hauswirtschaftspersonal, Ärzte, Therapeuten und
An-gehörige.Drei Interventionsstudien untersuchten die
interdisziplinäre Zu-sammenarbeit einschließlich regelmäßiger
Teamsitzungen undberichten verbessertes Körpergewicht, geringere im
Kranken-haus erworbene Infektionen im Vergleich zur
Standardversor-gung bei akut kranken geriatrischen Patienten [60]
(IIa), erhöhteNahrungsaufnahme und verbesserte Lebensqualität bei
Hüftfrak-turpatienten [51] (IIa) und einen verbesserten
Ernährungszu-stand, verbessertes Wohlbefinden und verbesserte
Qualität derMahlzeiten bei dementen Pflegeheimbewohnern [40]
(III).
Die Effektemultifaktorieller, multidisziplinärer geriatrischer
Ver-sorgungs- und Rehabilitationsprogramme wurden in
mehrerenStudien bei Hüftfrakturpatienten untersucht. In einer
randomi-siert-kontrollierten Studie waren Ernährungsinterventionen
wiedie Erfassung der Nahrungsmenge und das Angebot
proteinange-reicherter Mahlzeiten, zusätzlicher Zwischenmahlzeiten
undProteindrinks Teil eines komplexen postoperativen
Programmseinschließlich Mitarbeiterfortbildung, Teamarbeit,
individuellerPflegeplanung und aktiver Prävention, Erkennung und
Behand-lung postoperativer Komplikationen. Die Autoren berichten
einereduzierte Verweildauer und verbesserte Alltagsfähigkeiten
undMobilität nach 12 Monaten [61] (Ib) sowie reduzierte
Sturzratenim Krankenhaus und weniger sturzbedingte Verletzungen
[62](Ib). Die gleiche Intervention bewirkte in einer Subgruppe
von157 Patienten mit vollständigem MNA zu Beginn der Studie undnach
4 Monaten signifikant weniger Delirtage und neue Dekubi-talulzera
und eine reduzierte Verweildauer. BMI und MNA blie-ben jedoch
unverändert [63] (Ib).In mehreren anderen Studien führte eine
multifaktorielle Inter-vention einschließlich Maßnahmen zur
Sicherung einer ange-messenen Ernährung und Hydration zu
reduzierter Inzidenzund Dauer von deliranten Zuständen und
geringeren Komplika-tionsraten [64, 65] (Ib), [66, 67] (IIa). In
einer randomisierten Stu-die mit Hüftfrakturpatienten reduzierte
ein intensives Krafttrai-ning kombiniert mit multifaktoriellen,
gezielten geriatrischenBehandlungen einschließlich
Ernährungsmaßnahmen für 12Monate die Mortalität,
Pflegeheimeinweisungen und ADL-Ab-hängigkeit im Vergleich zu
üblicher Versorgung [68] (Ib). In einerweiteren Studie bewirkte
eine multifaktorielle Intervention ein-schließlich Ernährung
(Trinknahrung im Fall von Mangelernäh-rung) und Hydration bei
mindestens 70-jährigen geriatrischenAkutpatienten im Vergleich zu
Standardversorgung eine redu-zierte Delir-Inzidenz während des
Klinikaufenthalts [69] (IIa).Eine multifaktorielle Intervention bei
Pflegeheimbewohnern, be-stehend aus selbstgemachten Supplementen,
Mundpflege undGruppengymnastik, verbesserte den Ernährungszustand,
die kör-perliche Leistungsfähigkeit und soziale Aktivitäten [70,
71] (Ib).(●" Evidenztabelle1d).Diese Studien illustrieren die
Komplexität der Situation und dieWichtigkeit einer ganzheitlichen
Sichtweise und eines umfassen-den Behandlungsansatzes bei älteren
Patienten. Folglich müssenklinische Ernährungsmaßnahmen Teil einer
individuell zuge-schnittenen, multidimensionalen und
multidisziplinären geria-trischen Teambehandlung und angemessen in
ein Gesamtthera-piekonzept integriert sein, das alle Aspekte des
Patienten umfas-send berücksichtigt.
4 Indikationen!
4.1 Allgemeine Indikation4.1.1 Wann sind Ernährungsmaßnahmen bei
älterenMenschen indiziert?
Empfehlung 10:Ernährungsmaßnahmen sollen bei älteren Menschen
mit Risiko fürMangelernährung ergriffen werden, um eine adäquate
Zufuhr vonEnergie und Nährstoffen zu gewährleisten und die
Entstehung vonMangelernährung und deren gravierende Folgen zu
vermeiden.[KKP; starker Konsens]
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Empfehlung 11:Ernährungsmaßnahmen sollen bei älteren Menschen
mit Mangel-ernährung ergriffen werden, um die Nahrungsaufnahme zu
steigernund den Ernährungszustand zu verbessern und dadurch zu
einerVerbesserung des klinischen Verlaufs und der Lebensqualität
bei-zutragen. [KKP; starker Konsens]
Kommentar: Im Fall ungenügender Nahrungsaufnahme, insbe-sondere
in Verbindung mit katabolen Krankheiten, verschlech-tert sich der
Ernährungszustand im Alter rasch, Körpergewichtund insbesondere die
Muskelmasse nehmen ab, begleitet vonfunktionellen Einbußen. Die
Beseitigung von Mangelernährungund Wiederherstellung eines guten
Ernährungszustands, insbe-sondere der Wiederaufbau von Muskelmasse,
ist bei älterenMenschen im Vergleich zu jüngeren schwieriger und
langwieri-ger [72–75]. Daher sollte angemessene Ernährungstherapie
zurSicherung einer ausreichenden Zufuhr von Energie und
Nährstof-fen bereits bei einem bestehenden Risiko für
Mangelernährungeinsetzen, um den Ernährungszustand so gut wie
möglich zu er-halten und einen Gewichtsverlust und den begleitenden
Verlustvon Muskelmasse und Funktionalität zu vermeiden oder
zumin-dest zu verzögern.Bei älterenMenschen, die bereits
mangelernährt sind, ist die Not-wendigkeit von Ernährungsmaßnahmen
offensichtlich. Ernäh-rungstherapie zielt hier auf eine Steigerung
der Nahrungsaufnah-me undVerbesserungdes Ernährungszustands und
kann dadurchzu einem geringeren Komplikations- und
Mortalitätsrisiko, zueinem besseren funktionellen Status und
Verbesserung der Le-bensqualität beitragen (vgl. Kapitel 3, 4.1.2,
4.1.3, 4.1.4 und 4.2).
4.1.2 Wann ist Trinknahrung bei älteren Menschenindiziert?
Empfehlung 12:Ältere Menschen mit Mangelernährung oder Risiko
für Mangeler-nährung sollen Trinknahrung als Teil einer
umfassenden, individuel-len Ernährungsversorgung erhalten, wenn die
Nahrungsaufnahmedurch übliche und angereicherte Lebensmittel nicht
ausreicht, umden Bedarf zu decken. [KKP; starker Konsens]Empfehlung
13:Ältere Menschen mit Risiko für Mangelernährung sollen
Trinknah-rung erhalten, um die Nahrungsaufnahme zu verbessern, den
Er-nährungszustand zu erhalten und das Komplikationsrisiko zu
redu-zieren. [A (BM); starker Konsens]Empfehlung 14:Ältere Menschen
mit Mangelernährung sollen Trinknahrung erhal-ten, um die
Nahrungsaufnahme und den Ernährungszustand zu ver-bessern und das
Komplikations- und Mortalitätsrisiko zu reduzieren.[A (BM); starker
Konsens]
Kommentar: Standardtrinknahrung enthält alle
essenziellenNährstoffe in einem ausgewogenen Verhältnis und ist in
dieserHinsicht normalen Lebensmitteln überlegen.
Trinknahrungzeichnet sich im Vergleich zu üblichen Lebensmitteln
durch einehöhere Energie- und Nährstoffdichte aus und ist daher zur
Stei-gerung der Energie- und Nährstoffzufuhr grundsätzlich sehr
gutgeeignet. Verfügbare Produkte unterscheiden sich hauptsächlichim
Energiegehalt (1–2,4kcal/mL) und im Proteingehalt (10–20Energie-%).
Außerdem stehen krankheitsspezifische Nahrungenmit spezieller
Zusammensetzung zur Verfügung (siehe [76]).
Während der letzten 25 Jahre wurden mehr als 60
randomisiert-kontrollierte Studien durchgeführt, die die Effekte
von Trinknah-rung bei älteren Menschen untersucht haben und die in
mehre-ren Metaanalysen zusammengefasst sind [77–80].Obwohl der
Effekt von Trinknahrung auf die Nahrungsaufnahmedurch zahlreiche
Faktoren – individuelle und Umweltfaktoren,Produkteigenschaften,
angebotene Menge – beeinflusst wird[78, 81], ist eine signifikante
Zunahme der Energie- und Protein-zufuhr durch Trinknahrung inmehr
als 30 Studien gut belegt [78](Ia). Allerdings wird Trinknahrung
nicht immer in ausreichenderMenge akzeptiert und der Erfolg kann
durch eine eingeschränkteCompliance beeinträchtigt sein [82–90].
Vielfalt und Abwechs-lung im Angebot (verschiedene
Geschmacksrichtungen, Tempe-raturen, Konsistenzen), Aufforderung
und Unterstützung unddie Gabe von Trinknahrung zwischen den
Mahlzeiten (nicht zuden Mahlzeiten) sind wichtig, um eine gute
Compliance und diegewünschte Zufuhrsteigerung zu erreichen. Beim
direkten Ver-gleich von Trinknahrung mit zusätzlichen
Zwischenmahlzeitenmit üblichen Lebensmitteln war Trinknahrung im
Hinblick aufdie Zufuhrsteigerung effektiver [91, 92] (Ib).Im
Hinblick auf den Ernährungszustand ergab die aktuelle
Coch-rane-Übersicht von Milne et al. [78] in 42
randomisiert-kontrol-lierten Studien mit 3058 älteren
Studienteilnehmern eine mittle-re Gewichtszunahme von 2,2% (pooled
weighted mean differ-ence [PWMD]; 95%-KI 1,8–2,5%) [78] (Ia). Eine
Subgruppenana-lyse bestätigte diese Ergebnisse für geriatrische
Patienten mit ge-mischten Diagnosen (WMD 2,7% [2,2–3,1]). Auch der
Armmus-kelumfang, der in 15 Studien mit 1382 Probanden
untersuchtwurde nahm im Mittel signifikant zu (PWMD 1,2%
[0,5–2,0])[78] (Ia). Effekte auf die Körperzusammensetzung wurden
bishernur wenig untersucht. Teilweise werden Zunahmen der
fettfrei-en Körpermasse (FFM) [93, 94] (Ib), [95] (IIa) und der
Körperzell-masse (BCM) [96] (Ib) beschrieben, während andere
Studien hierkeine Veränderungen berichten [97–99] (Ib), [100]
(IIa).Da Mangelernährung bei geriatrischen Patienten mit einem
er-höhten Komplikationsrisiko einhergeht [101–104], wäre zu
er-warten, dass Verbesserungen im Ernährungszustand zu
einemgeringeren Komplikationsrisiko führen. In der
Cochrane-Über-sicht von Milne et al. [78] ergab die Metaanalyse von
24 Studien(n=6225), die unterschiedliche Arten von Komplikationen
(z.B.Wundheilungsstörungen, Dekubitus, Infektionen,
Wiedereinwei-sungen ins Krankenhaus) untersucht haben, ein
signifikant redu-ziertes Komplikationsrisiko bei supplementierten
im Vergleichzu nicht supplementierten Teilnehmern (RR 0,86; 95%-KI
0,75–0,99). Eine Subgruppenanalyse von Studien mit
Hüftfraktur-patienten (6 Studien, n=298) [105–110] ergab ebenfalls
einesignifikante Risikoreduktion (RR 0,60; 95%-KI 0,40–0,91).
Eineandere Metaanalyse mit 6 Studien bei
Hüftfrakturpatienten[105–107, 109–111] konnte dies jedoch nicht
bestätigen (RR0,81; 95%-KI 0,58–1,13) [77].Bei einem reduzierten
Komplikationsrisiko durch Trinknahrungwäre auch eine kürzere
Krankenhausverweildauer zu erwarten.Da die Dauer des
Klinikaufenthalts jedoch wesentlich von wirt-schaftlichen
Interessen der Klinik und bei geriatrischen Patientenzusätzlich von
weiteren Faktoren wie der gesicherten Weiterver-sorgung im
häuslichen Umfeld oder der Verfügbarkeit eines Pfle-geheimplatzes
abhängt, spielt der Ernährungszustand in dieserHinsicht nur eine
untergeordnete Rolle. Die verfügbaren Datensind widersprüchlich, in
den meisten Studien wurde kein Effektauf die Verweildauer
beobachtet [77, 78].In einer zunehmenden Zahl von Studien wurden in
den letztenJahren auch die Effekte von Trinknahrung auf die
körperliche und
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geistige Funktionalität untersucht. Allerdings wird die
körperlicheFunktionalität sehr uneinheitlich erfasst, sodass
Metaanalysenbisher nur sehr begrenzt möglich sind. Nur wenige
randomisierteStudien berichten signifikante funktionelle
Verbesserungen(Handkraft [112–114] (Ib), Stürze [83] (Ib),
Aktivität [115] (Ib),ADL [89, 107, 116, 117] (Ib)). In der
Cochrane-Analyse von Milneet al. [78] (Ia) ergab die gemeinsame
Auswertung von 7 Studien(n=535) mit Handkraftmessungen keinen
signifikanten Effekt(WMD 0,06; 95%-KI 0,60–0,72). In mehreren
Studien wurde dieWirkung von Trinknahrung auf die geistige
Leistungsfähigkeit un-tersucht und auch hier wurden überwiegend
keine Veränderun-gen festgestellt [97, 115, 118–120] (Ib), [121]
(Ib) (vgl. Kapitel4.7).Die Effekte von Trinknahrung auf die
Lebensqualität älterer Men-schen wurden bisher nur wenig und mit
sehr uneinheitlicherMethodik untersucht. Die vorliegenden
Ergebnisse sind ebenfallsuneinheitlich. Teilweise werden
Verbesserungen berichtet[87, 112, 122–124] (Ib), andere Studien
fanden dagegen keine Ef-fekte [83, 99, 113, 114, 119, 125] (Ib).
Eine Erklärung könnte inder schwierigen Erfassung der
Lebensqualität in geriatrischenKollektiven aufgrund eingeschränkter
Kommunikationsmöglich-keiten liegen.Im Gegensatz zu
früherenMetaanalysenwurde in der aktuellstenAnalyse von Milne et
al. [78] in der Gesamtauswertung aller rele-vanten Studien bei
älteren Menschen mit Mangelernährung oderRisiko für Mangelernährung
kein Effekt von Trinknahrung auf dieMortalität festgestellt (42
Studien, n=8031; RR 0,92; 95%-KI0,81–1,08) (Ia). Die Beschränkung
der Auswertung auf Studienmit mangelernährten Probanden (25
Studien, n=2466) ergab je-doch eine signifikante Risikoreduktion
(RR 0,79 [0,64–0,97]).Der Einschluss von nicht mangelernährten
Personen in viele derStudien könnte die Wirkung somit maskiert
haben. Außerdemwurden in vielen Studien schwer mangelernährte
Patienten, diesicher am meisten profitieren, aus ethischen Gründen
ausge-schlossen [78]. Die Subgruppenanalyse von Studien mit
gemisch-ten Kollektiven geriatrischer Patienten (23 Studien,
n=2701) er-gab ebenfalls ein signifikant reduziertes
Mortalitätsrisiko (RR0,78; 95%-KI 0,62–0,98), und eine grenzwertige
Signifikanzwurde bei Betrachtung der Studien mit einem
Mindestangebotvon 400kcal/d festgestellt (24 Studien, n=7307; RR
0,89; 95%-KI0,78–1,00) [78] (Ia). Im Gegensatz dazu fand die
Subgruppen-analyse der Patienten mit Hüftfrakturen (8 Studien) [78]
(Ia)ebenso wie die Metaanalyse von Avenell et al. [77] (Ia) von 9
Stu-dien bei Hüftfrakturpatienten keinen Effekt der Intervention
aufdas Mortalitätsrisiko.
●" Tab.3 fasst die Effekte von Trinknahrung bei älteren
Menschenzusammen.
4.1.3 Wann ist Sondenernährung bei älteren
Menschenindiziert?
Empfehlung 15:Sondenernährung sollte initiiert werden, wenn die
orale Nahrungs-aufnahme voraussichtlich länger als 3 Tage unmöglich
oder längerals 10 Tage unzureichend (
-
tet. Mehrere Studien bei Schlaganfallpatienten erbrachten
dage-gen Hinweise auf funktionelle Effekte [151] (IIa), [152–154]
(III).So fand sich bei Patienten einer Rehabilitationseinrichtung
zwi-schen denjenigen mit und ohne PEG kein Unterschied
hinsicht-lich funktioneller Verbesserungen und der Häufigkeit von
Entlas-sungen nach Hause [152] (III). In einer großen, prospektiven
Be-obachtungsstudie bei Rehabilitanden nach schwerem Schlagan-fall
war die enterale Ernährung – neben anderen Faktoren wiefrühzeitigem
Therapiebeginn und spezieller Medikation – sogarmit einem besseren
funktionellen Status bei der Entlassung ver-bunden [153] (III).
Eine andere Auswertung derselben Datenbankergab, dass
sondenernährte Schlaganfallpatienten schwererefunktionelle
Beeinträchtigungen aufwiesen als die oral ernähr-ten. Wurde die
enterale Ernährung mindestens 25% der Reha-Zeit durchgeführt,
zeigten sogar die am schwersten betroffenenPatienten größere
funktionelle Verbesserungen als diejenigenohne enterale Ernährung
[154] (III). In einer kleineren Studiemit 25 anfangs schwer
beeinträchtigten Schlaganfallpatientenverbesserten sich 24%
deutlich in den ADL während bei 40% nureine minimale oder keine
Besserung beobachtet wurde [151](IIa).Die Auswirkungen einer
Sondenernährung auf die Lebensqualitätälterer Patienten sind
ungeklärt, da die Erfassung der Lebensqua-lität in diesem Kollektiv
nur sehr begrenzt möglich ist und folg-lich nur wenige Daten
vorliegen [128, 150, 155–157]. Grundsätz-lich ist die enterale
Ernährung als lebenserhaltende Maßnahmeanzusehen, wobei dies nicht
zwangsläufig mit einer guten Le-bensqualität der Patienten
gleichzusetzen ist. Durch die zugrun-de liegende Erkrankung, die
damit einhergehenden Funktions-einschränkungen und möglicherweise
auftretende Komplikatio-nen, durch die mit der Sonde verbundenen
Unannehmlichkeitensowie durch fehlende Geschmackserlebnisse und
Sozialkontaktebeim Essen kann die Lebensqualität sondenernährter
Patientenim Vergleich zum vorherigen Zustand deutlich reduziert
sein[158]. Auch für Angehörige und Pflegende bedeutet die
Sonden-ernährung häufig eine Belastung, denn sie beeinflusst das
Famili-enleben und die Versorgungssituation [159]. Allerdings darf
beider Einschätzung der Lebensqualität sondenernährter
Patientennicht der Fehler gemacht werden, die gesunde, frühere
Lebenssi-tuation zum Vergleich heranzuziehen. Vielmehr muss die
Le-bensqualität im Vergleich zur aktuellen Gesundheitssituationohne
Sondenernährung gesehen werden. Psychische Komorbidi-täten, etwa
eine reaktive Depression, sollten ebenfalls beachtetwerden. Eine
zentrale Frage ist, ob die Lebensqualität des Patien-ten bei der
bestehenden Erkrankung durch Ernährungstherapieerhalten oder
verbessert werden kann. Dabei ist auch zu berück-sichtigen, dass
sich Patienten und Angehörige emotional auf dieveränderte
Gesundheitssituation und Art der Ernährung einstel-len müssen
[160]. Eine Arbeit von Enoki et al. [161] hat gezeigt,dass eine
PEG-Ernährung bei Patienten mit sehr schwieriger ora-ler Ernährung
die Belastung pflegender Angehöriger auch redu-zieren kann.
Insgesamt scheint die Lebensqualität sondenernähr-ter Patienten
stark von den auftretenden Komplikationen, demfunktionellen Status
und der Aussicht auf Wiedererlangung deroralen Ernährung abhängig
zu sein.Die Effekte von Sondenernährung auf die Mortalität wurden
in 9nicht-randomisierten kontrollierten Studien und zahlreichen
Be-obachtungsstudien untersucht, die detailliert in der
ESPEN-Leit-linie zur enteralen Ernährung in der Geriatrie
beschrieben sind[15]. Generell ist in nicht-randomisierten Studien
die Vergleich-barkeit von Interventions- und Kontrollgruppe nicht
gewährleis-tet und die Aussagekraft daher sehr eingeschränkt. Ein
Überle-
bensvorteil sondenernährter geriatrischer Patienten ist aus
die-sen Studien weder belegt noch widerlegt. Eine Metaanalyse von7
kontrollierten Studien kam im Jahr 2000 zu dem Schluss, dassder
Effekt von Sondenernährung auf die Mortalität aufgrund
un-genügender Datenlage nicht bekannt ist [162]. Auch die
zwi-schenzeitlich publizierten Beobachtungsstudien sind in
dieserHinsicht nicht aufschlussreich [163–174].Zusammenfassend
besteht trotz fehlender Evidenz aus randomi-siert-kontrollierten
Studien und begrenzter Evidenz von nichtrandomisierten
kontrollierten und unkontrollierten Beobach-tungsstudien
allgemeiner Konsens, dass Sondenernährung beiälteren Patienten, die
anhaltend nicht oder nicht ausreichendNahrung auf oralem Wege zu
sich nehmen können, indiziert ist,um die Energie- und
Nährstoffzufuhr zu gewährleisten und denErnährungszustand zu
erhalten oder zu verbessern. Allerdingsmuss dabei die
Patientenprognose berücksichtigt werden, undes sollte eine
realistische Aussicht auf eine zufriedenstellende Le-bensqualität
für den Patienten bestehen. Erwarteter Nutzen undpotenzielle
Risiken müssen individuell sorgfältig abgewogenwerden. Generell
kann der Nutzen enteraler Ernährung sehr un-terschiedlich sein und
ist im Einzelfall von der Art und Ausprä-gung der bestehenden
Erkrankungen, der individuellen Funktio-nalität,
Rehabilitationsfähigkeit und Prognose des Patienten ab-hängig. Ein
Nutzen der Sondenernährung ist am wahrschein-lichsten, wenn eine
Verbesserung oder Stabilisierung der Grund-erkrankung erwartet
werden kann (z.B. bei akutem Schlaganfall)sowie wenn eine
vorübergehende Phase ungenügender Ernäh-rung überbrückt werden muss
(z.B. bei schweren Depressionenbis zumWirkungseintritt der
Medikation). Bei Patientenmit aus-geprägter Gebrechlichkeit, die
völlig abhängig, bettlägerig undkommunikationsunfähig sind, ein
hohes Infektionsrisiko habenoder sich in der Endphase einer
irreversiblen Erkrankung befin-den, ist der Nutzen einer
Sondenernährung dagegen höchst frag-würdig. Die
Entscheidungsfindung kann im Einzelfall sehrschwierig sein und muss
gemeinsam mit allen beteiligten Perso-nen und unter
Berücksichtigung ethischer Aspekte erfolgen (s.Einleitung „Ethische
Aspekte“).Da sich die Notwendigkeit einer Sondenernährung im Lauf
derZeit ändern kann, sollte regelmäßig geprüft werden, ob die
Indi-kation nachwie vor besteht. Die Abstände dieser Prüfung
hängenvon der Klarheit der Indikation und der Stabilität des
Patienten-zustands ab und sollten bei fraglicher Indikation, bei
instabilemAllgemeinzustand und bei Aussicht auf Besserung einer
Schluck-störung öfter erfolgen als bei eindeutiger Indikation und
stabilerLangzeiternährung (vgl. Kapitel 5.2.5).
4.1.4 Wann ist parenterale Ernährung bei älterenMenschen
indiziert?
Empfehlung 18:Ältere Menschen können parenteral ernährt werden,
wenn oraleund/oder enterale Ernährung voraussichtlich länger als 3
Tageunmöglich oder länger als 10 Tage unzureichend sind und die
Ver-laufsprognose insgesamt positiv ist (nicht in terminalen
Krankheits-stadien). [KKP; Konsens]Empfehlung 19:Flüssigkeit
und/oder Nährstoffe sollten für eine begrenzte Zeitparenteral
zugeführt werden, um kritische Situationen mit geringerZufuhr
und/oder hohem Bedarf zu überwinden, wenn orale und/oder enterale
Ernährung nicht möglich oder unzureichend sind.[B (BM); starker
Konsens]
Volkert D et al. Leitlinie der Deutschen… Aktuel Ernahrungsmed
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Kommentar: Parenterale Ernährung ermöglicht die Zufuhr
vonEnergie und Nährstoffen unter Umgehung des Magen-Darm-Trakts. Im
Vergleich zu enteraler Ernährung ist die parenteraleErnährung
generell weniger physiologisch, kostenintensiver undmit einem
höheren Komplikationsrisiko verbunden [175–178].Parenterale
Ernährung sollte folglich nur zum Einsatz kommen,wenn orale
und/oder enterale Ernährung nicht möglich (kontra-indiziert, nicht
anwendbar, nicht toleriert) oder unzureichend(schlecht toleriert)
sind. In solchen Situationen – dies kann z.B.bei schweren
Durchfällen, Pneumonie mit exzessivem Husten,Delir oder Agitation
der Fall sein – stellt die parenterale Ernäh-rung eine mögliche
Alternative zur enteralen Ernährung dar. DieNotwendigkeit eines
intravenösen Zugangs aus anderen Grün-den, z.B. zur
Antibiotikagabe, kann ebenfalls ein Grund sein, die-sen Weg zur
ergänzenden Ernährung zu nutzen [179].Insgesamt ist die Indikation
für parenterale Ernährung bei älte-ren Menschen nicht grundsätzlich
anders als bei jüngeren Men-schen, und ein hohes Lebensalter per se
stellt keine Kontraindi-kation für die parenterale Ernährung dar.
Howard u. Malone[180] (III) beschreiben bei älteren Patienten
(>65 Jahre), die zuHause parenteral ernährt wurden, einen
insgesamt guten Verlaufmit ähnlicher Komplikationsrate wie bei
Patienten im mittlerenLebensalter (35–55 Jahre). Mortalitätsrate
und Rehabilitations-erfolg nach einem Jahr waren bei den älteren
Patienten allerdingsvergleichsweise schlechter.In einer
Machbarkeitsstudie zur peripheren parenteralen Ernäh-rung (PPE) bei
hochbetagten Patienten in subakuter Pflege kom-menThomas et al.
[181] zu dem Ergebnis, dass diese Ernährungs-form bei älteren
Patienten sicher und komplikationsarm ist. Ineiner randomisierten
prospektiven Studie wurden zunächst1140 konsekutive Einweisungen
auf inadäquate enterale Ernäh-rung gescreent. Unter Verwendung
stringenter Kriterien (z.B.Zeichen von Mangelernährung, geringe
Zufuhr, keine enteraleErnährung, keine Erkrankung im Endstadium)
wurden lediglich19 Patienten (1,7%) identifiziert, für die eine PPE
infrage kamund die schließlich einwilligten. Bei 3 Patienten der
PPE-Gruppemusste die Intervention innerhalb von 5 Tagen
abgebrochenwer-den, die übrigen 6 Patientenwurden imMittel 15,8±6,7
Tage (8–23 Tage) ohne nennenswerte Komplikationen ernährt [181]
(IIa).Ältere Menschen können demzufolge sicher über eine
periphereVene ernährt werden und benötigen nicht unbedingt einen
zen-tralen Zugangsweg.Eneroth et al. [182] (Ib) konnten in einer
randomisiert-kontrol-lierten Studie bei Patientenmit Hüftfraktur
durch eine periopera-tive ergänzende parenterale Ernährung mit
nachfolgender Sup-plementation von Trinknahrung Mortalität und
Komplikations-häufigkeit nach 4 Monaten im Vergleich zu einer
Kontrollgruppemit üblicher Versorgung signifikant
reduzieren.Insgesamt ist die Datenlage zur parenteralen Ernährung
im Alterleider sehr begrenzt. Die verfügbaren Daten in Kombination
mitder klinischen Erfahrung legen nahe, dass parenterale
Ernährungfür eine begrenzte Zeit hilfreich sein kann, um eine
Akutsituationmit ungenügender oraler bzw. enteraler Ernährung zu
überwin-den, sofern die allgemeine Prognose günstig ist. Da sich
der Er-nährungszustand älterer Menschen bei ungenügender oder
völ-lig fehlender Ernährung rasch verschlechtert, wird
empfohlen,eine parenterale Ernährung ebenso wie andere
Ernährungsmaß-nahmen frühzeitig zu beginnen, wenn die orale
und/oder entera-le Nahrungsaufnahme voraussichtlich länger als 3
Tage unmög-lich oder länger als 10 Tage unzureichend (5% in 3
Monaten oder >10%in 6 Monaten) und eine deutlich reduzierte
Körpermasse (Fett-und Muskelmasse) (BMI
-
Kommentar: In der aktualisierten Version der Cochrane-Analysevon
Milne et al. [78], die 62 Studien mit 10187
randomisiertenälterenMenschen einschließt, wurden positive Effekte
von Trink-nahrung hinsichtlich Energie- und Nährstoffaufnahme,
Ernäh-rungszustand und Komplikationsrisiko berichtet [78] (Ia). Da
diemeisten Studien auch Personen eingeschlossen haben, die
wedermangelernährt waren noch ein Risiko für Mangelernährung
hat-ten, kann davon ausgegangen werden, dass die Effekte bei
man-gelernährten Menschen eher stärker ausgeprägt sind. Eine
Sub-gruppenanalyse von Studienmit
ausschließlichmangelernährtenProbanden (25 Studien, n=2466) zeigte
darüber hinaus ein signi-fikant reduziertes Mortalitätsrisiko bei
den supplementiertenTeilnehmern (RR 0,79 [0,64–0,97]). Effekte auf
den funktionellenStatus und die Lebensqualität sind hingegen
unsicher (vgl. Kapi-tel 4.1.2).
4.2.2 Ist Sondenernährung bei älteren Menschen
mitMangelernährung oder Risiko für Mangelernährungindiziert?
Empfehlung 22:Ältere Menschen mit Mangelernährung oder Risiko
für Mangeler-nährung sollen über eine Sonde ernährt werden, wenn
die oraleErnährung voraussichtlich länger als 3 Tage unmöglich oder
längerals 10 Tage unzureichend (
-
4.3.1 Ist Trinknahrung bei gebrechlichen älteren
Menschenindiziert?
Empfehlung 24:Gebrechliche ältere Menschen sollen Trinknahrung
als Teil einesumfassenden, individuellen Ernährungskonzepts
erhalten, wenn dieNahrungsaufnahme durch übliche und angereicherte
Lebensmittelunzureichend ist, um eine adäquate Zufuhr von Energie,
Protein undMikronährstoffen zu gewährleisten und den
Ernährungszustand zuerhalten oder zu verbessern. [A (BM); starker
Konsens]
Kommentar: Während Daten von älteren Menschen, die anhandder
oben erwähnten Definition als frail (gebrechlich) eingestuftwurden,
noch fehlen, wurde in gemischten Kollektiven multi-morbider älterer
Menschen mit akuten und/oder chronischenKrankheiten sowie
beeinträchtigter Funktionalität, im häusli-chen Umfeld ebenso wie
in Pflegeheimen und Krankenhäusern,gezeigt, dass Trinknahrung zu
einer signifikanten Steigerung derEnergie- und Nährstoffaufnahme
und zu einer Stabilisierungbzw. Verbesserung des Ernährungszustands
führt (●" Evidenzta-belle2). Effekte von Trinknahrung auf den
funktionellen Statusund die Lebensqualität sind aufgrund der
begrenzten Datenlageunsicher. Auch die Effekte auf
Klinikverweildauer und Mortalitätwurden bei gebrechlichen älteren
Menschen bisher nur verein-zelt untersucht. Die Gabe von
Trinknahrung sollte Teil eines um-fassenden, individuellen
Ernährungskonzeptes für die Betroffe-nen sein (vgl. Kapitel 3).
4.3.2 Ist Sondenernährung bei gebrechlichen älterenMenschen
indiziert?
Empfehlung 25:Gebrechliche ältere Menschen sollten über eine
Sonde ernährt wer-den, wenn die orale Nahrungsaufnahme unmöglich
oder ungenü-gend ist, solange ihre generelle Prognose positiv ist.
[B (BM); starkerKonsens]
Kommentar: Die klinische Erfahrung zeigt, dass gebrechliche
äl-tere Menschen mit Mangelernährung von Sondenernährungprofitieren
können, solange ihr Allgemeinzustand stabil ist.Auch in mehreren
Beobachtungsstudien wird eine relative gutePrognose für
sondenernährte ältere Pflegeheimbewohner in gu-tem
Gesundheitszustand berichtet [131, 142] (III). Obwohl dieDatenlage
dürftig ist, wird empfohlen, Ernährungsmaßnahmenfrühzeitig zu
beginnen, sobald Anzeichen einer ungenügendenErnährung auftreten
und solange eine subjektiv relevante kör-perliche Aktivität noch
möglich ist, da eine bedarfsgerechte Er-nährung – gemeinsammit
individuell angepasstem körperlichenTraining – dazu beitragen kann,
die Muskelmasse und die Mus-kelfunktion zu erhalten (vgl. Kapitel
4.2.2).Sondenernährung wird generell jedoch nicht für gebrechliche
äl-tere Menschen empfohlen, die sich in einem irreversiblen
End-stadium funktioneller Beeinträchtigung befinden. Hier ist
eineindividuelle Entscheidung unter Einbeziehung des Patientenbzw.
seines dokumentierten Willens sowie ggf. seiner Angehöri-gen
erforderlich.
4.3.3 Ist parenterale Ernährung bei gebrechlichen
älterenMenschen indiziert?Derzeit gibt es keine Evidenz zum Nutzen
parenteraler Ernäh-rung bei gebrechlichen älteren Menschen.
4.4 Ist klinische Ernährung bei geriatrischen Patientenmit
oropharyngealer Dysphagie indiziert?
Empfehlung 26:Geriatrische Patienten mit leicht- oder
mittelgradiger Dysphagie,bei denen die orale Ernährung noch möglich
aber unzureichend ist,sollten nach Abklärung der Dysphagie Speisen,
Flüssigkeiten undTrinknahrung in der als sicher evaluierten
Konsistenz erhalten, umeine bestmögliche orale Zufuhr von Energie-
und Nährstoffen ein-schließlich Flüssigkeit zu gewährleisten. [B
(BM); starker Konsens]Empfehlung 27:Geriatrische Patientenmit
schwerer oropharyngealer Dysphagie, dienicht in der Lage sind,
ihren Nährstoffbedarf auf oralem Wege zudecken, sollten enteral
und/oder parenteral ernährt werden, um dieEnergie-, Nährstoff- und
Flüssigkeitszufuhr zu gewährleisten, wenndie allgemeine
Verlaufsprognose positiv ist. [B (BM); starker Kon-sens](s.a.
DGEM-Leitlinie „Klinische Ernährung in der Neurologie“)
Kommentar: Schluckstörungen (Dysphagien) sind bei älteren
Pa-tienten üblicherweise durch einen Schlaganfall oder durch
dege-nerative neurologische Erkrankungen verursacht. Es besteht
je-doch nur ein schmaler Grat zwischen krankheitsbedingter
Dys-phagie und Presbyphagie, den charakteristischen
Altersverände-rungen des Schluckvorgangs bei gesunden
älterenMenschen. Diealtersbedingten Veränderungen erhöhen das
Risiko für Schluck-störungen und vermischen sich mit
krankheitsbedingter Dys-phagie. Dies führt dazu, dass
Schluckstörungen ein verbreitetesSyndrom in der älteren Bevölkerung
darstellen. Kommen zu denaltersbedingten Veränderungen weitere
Ursachen hinzu, sprichtman von sekundärer Presbyphagie. Primäre
Presbyphagie istdurch altersbedingte Veränderungen von Zähnen,
Kieferkno-chen, Mund- und Rachenmuskulatur gekennzeichnet
sowiedurch schlecht sitzende Zahnprothesen, reduzierte
Speichelpro-duktion, verzögerte Auslösung des Schluckreflexes und
reduzier-te Sensibilität von Mund und Rachen [192, 193]. Sekundäre
Pres-byphagie kann durch zahlreiche Krankheiten wie Schlaganfallund
Demenz verursacht sein, aber auch Nebenwirkungen vonMedikamenten
und eine reduzierte Speichelproduktion infolgevon Dehydration
spielen eine wichtige Rolle. Im Falle einer se-kundären
Presbyphagie sollten alle möglichen ursächlich betei-ligten
Faktoren wie Medikamente und Zahnprothese überprüftund so weit wie
möglich optimiert werden.Die Ernährungstherapie geriatrischer
Patienten mit Dysphagiehängt von Art und Schweregrad der
Schluckstörung ab undkann von normalen Lebensmitteln über pürierte
Kost (Konsis-tenzmodifikation), angedickte Flüssigkeiten
unterschiedlicherKonsistenz und Trinknahrung bis zur ergänzenden
oder aus-schließlichen enteralen bzw. parenteralen Ernährung
reichen.Generell unterscheiden sich die Maßnahmen nicht von
denenjüngerer Patienten (siehe auch DGEM-Leitlinie „Klinische
Ernäh-rung in der Neurologie“).Mehrere Studien belegen, dass sich
die Energie- und Nährstoffzu-fuhr (einschließlich Flüssigkeit) von
Patienten, die in der Lagesind, Nahrung auf oralemWege zu sich zu
nehmen, durch Anpas-sung der Konsistenz [194] (Ib) bzw. den Konsum
von Trinknah-rung [195–197] (Ib) signifikant verbessern lässt. Die
Kombina-tion aus Schlucktherapie und Anpassung der Nahrung führte
ineiner amerikanischen Studie zu einer signifikanten Reduktionder
Komplikationsrate und besserer Wiedererlangung derSchluckfähigkeit
nach 6 Monaten [198] (Ib). Eine randomisiert-
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kontrollierte Studie mit individuell angepasster
Ernährungs-therapie, die sowohl Trink- als auch Sondennahrung
einschloss,führte zu einer besseren Entwicklung von Körpergewicht,
Hand-kraft und Lebensqualität [50] (Ib) (●" Evidenztabelle3).
WichtigeVoraussetzung für die orale Ernährung bei Schluckstörungen
istdie Evaluation der Nahrungs- und Flüssigkeitskonsistenz, die
ge-fahrlos geschluckt werden kann, durch erfahrene Experten.
Trotzdieser Maßnahmen ist die orale Nahrungs- und
Flüssigkeitszu-fuhr dysphagischer Patienten häufig unzureichend
[199–202].Kontrollierte Studien, die die Effekte enteraler
Ernährung bei Pa-tienten mit oropharyngealer Dysphagie untersuchen,
existierennicht, da eine Kontrollgruppe ohne Ernährungstherapie
un-ethisch wäre. Es besteht jedoch grundsätzlicher Konsens, dassdie
Energie- und Nährstoffversorgung dieser Patienten gewähr-leistet
werden muss, um den Ernährungszustand zu erhaltenund die
Entwicklung von Mangelernährung zu vermeiden. Auf-grund der
überzeugenden physiologischen Notwendigkeit ente-raler Ernährung in
dieser Situation und der Tatsache, dass Patien-ten mit schweren
neurologischen Schluckstörungen ohne künst-liche Ernährung nicht in
der Lage wären zu überleben, wird dieseEmpfehlung trotz fehlender
Studien mit B bewertet. Grundsätz-lich und insbesondere wenn die
Dysphagie ein Symptom einerchronisch progredienten und unheilbaren
Erkrankung wie derDemenz ist, müssen die Prognose des Patienten
sowie potenziel-le Belastung und erwarteter Nutzen einer
Sondenernährung beider Entscheidungsfindung sorgfältig geprüft
werden (siehe auchKapitel 4.7.2, DGEM-Leitlinie „Klinische
Ernährung in der Neuro-logie“ und ESPEN-Leitlinie „Enterale
Ernährung in der Geriatrie“[15]).
4.5 Sind Ernährungsmaßnahmen bei alterstraumato-logischen
Patienten indiziert?
Empfehlung 28:Bei geriatrischen Patienten mit Hüftfraktur und
orthopädischerOperation sollen Ernährungsmaßnahmen Teil eines
individuell zuge-schnittenen, multidimensionalen,
multidisziplinären Teamkonzeptssein, um eine angemessene
Nahrungsaufnahme zu ermöglichen,den klinischen Verlauf zu
verbessern und die Lebensqualität zu er-halten. [A (BM, QL);
starker Konsens]Empfehlung 29:Perioperative periphervenöse
parenterale Ernährung und postope-rative Trinknahrung sollten
kombiniert werden, um das Komplika-tions- und Mortalitätsrisiko zu
reduzieren. [B (BM)]
Kommentar: Durch das akute Trauma und die damit einherge-hende
Anorexie und Immobilität haben ältere Menschen mitHüftfraktur und
orthopädischer Operation generell ein Risikofür Mangelernährung.
Die spontane Nahrungsaufnahme reichtoft nicht aus, um den erhöhten
Bedarf an Energie, Protein undMikronährstoffen zu decken. Eine
rasche Verschlechterung desErnährungszustands in dieser Situation
und dadurch beeinträch-tigte Genesung und Rehabilitation sind
üblich.Die Ergebnisse einiger randomisierter Studien mit
Ernährungs-therapie bei Patientenmit einer Hüftfraktur sind in
einer Cochra-ne-Übersicht zusammengefasst, die inzwischen 24
Studien mit1940 Teilnehmern einschließt [77] (Ia). Zehn dieser
Studien ver-wenden Trinknahrung [105–107, 109–111, 203–206] (Ib).
VierStudien untersuchen die Effekte einer
Proteinsupplementierung[207–210] (Ib) und 5 Studien die Effekte
einer ergänzendennächtlichen Sondenernährung [211–215] (Ib), von
denen aller-
dings eine lediglich als Abstract publiziert ist [215] und in
einerStudie im Anschluss an die Sondenernährung Trinknahrung
ge-gebenwird [214]. Eine Studie untersuchte perioperative
parente-rale Ernährung und nachfolgende Gabe von Trinknahrung
[182](Ib), und eine Studie untersuchte den Effekt der
Therapiebeglei-tung durch Diätassistenten [59] (Ib). Darüber hinaus
gibt es 2weitere randomisiert-kontrollierte [216, 217] (Ib) und 4
nicht-randomisierte Studien mit Trinknahrung [85, 90, 218, 219]
(IIa).Zusätzliche Unterstützung bei der Ernährungsversorgung
durchDiätassistenten steigerte in einer randomisert-kontrollierten
Stu-die bei Patienten einer akuten Traumastation die
Energiezufuhrund reduzierte die Mortalität im Krankenhaus und 4
Monatenach der Hüftfraktur signifikant im Vergleich zur üblichen
Ver-sorgung [59] (Ib). Pedersen et al. [33] zeigten in einer
nicht-ran-domisierten Studie, dass die Implementierung eines
Pflegekon-zepts, das ältere Patienten mit Hüftfraktur oder
elektiver ortho-pädischer Operation aktiv in ihre eigene
Ernährungsversorgungmiteinbezog, die Energie- und Proteinzufuhr
durch übliche Le-bensmittel um 23 bzw. 46% erhöhte (IIa). Ebenso
führte die Im-plementierung eines multidisziplinären
Ernährungsversor-gungsprotokolls, das Pflegekräfte, Ärzte und
Diätassistenten ein-bezog und eine individuelle
Ernährungsversorgung beinhaltete zueiner signifikanten Zunahme der
Energie- und Proteinzufuhrwährend der ersten 7 postoperativen Tage.
Darüber hinaus be-richtete die Interventionsgruppe nach 3Monaten
eine signifikantgeringere Einschränkung der Lebensqualität als die
Kontroll-gruppe mit üblicher Versorgung [51] (IIa).Zwei
randomisiert-kontrollierte Studien berichteten die
Effekteeinesmultifaktoriellen, multidisziplinären und umfassenden
ger-iatrischen Assessments und anschließenden
Rehabilitationspro-gramms einschließlich Weiterbildung der
Mitarbeiter, Teamar-beit, individueller Pflegeplanung und aktiver
Vorbeugung, Erken-nung und Behandlung postoperativer
Komplikationen. Ernäh-rungsinterventionen bestanden aus der
Erfassung der Essmenge,dem Angebot proteinangereicherter Mahlzeiten
und zusätzlicherProteindrinks. Die Autoren berichten eine
reduzierte Klinikver-weildauer, größere Selbstständigkeit (ADL) und
eine bessere Mo-bilität nach 12 Monaten [61] (Ib) sowie weniger
Stürze im Kran-kenhaus und weniger sturzbedingte Verletzungen [62]
(Ib). DieAuswertung einer Subgruppe von 157 Patienten mit
vollständi-gemMNA zu Beginn und nach 4Monaten ergab signifikant
weni-ger Tage mit Delir, weniger Dekubiti und eine reduzierte
Klinik-verweildauer. BMI und MNA blieben allerdings unverändert
[63](Ib).Multifaktorielle Intervention einschließlich Maßnahmen zur
Si-cherung adäquater Ernährung und Hydration (z.B.
Trinknahrung,temporäre nasogastrale Sondenernährung) erwies sich
ebenfallsals effektiv und reduzierte die Inzidenz und Dauer eines
Delirssowie die Komplikationsrate [64, 65] (Ib), [66, 67]
(IIa).Ebenso führte eine randomisierte Studie, in der intensives
Kraft-trainingmit multifaktoriellen gezielten geriatrischen
Behandlun-gen einschließlich einer Ernährungsintervention
kombiniertwurde zu einer reduzierten Mortalität, weniger
Pflegeheimein-weisungen und geringerer ADL-Abhängigkeit im
Vergleich zu üb-licher Versorgung [68] (Ib).Diese Studien
veranschaulichen die Bedeutung eines ganzheitli-chen und
umfassenden Behandlungsansatzes bei alterstraumato-logischen
Patienten und bilden die Grundlage für die Empfeh-lung,
Ernährungsmaßnahmen in dieser Patientengruppe als Teileines
individuell zugeschnittenen, multidimensionalen,
multi-disziplinären Teamkonzepts durchzuführen, um eine
angemes-
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sene Nahrungsaufnahme zu gewährleisten, den klinischen Ver-lauf
zu verbessern und die Lebensqualität zu erhalten.
4.5.1 Ist Trinknahrung bei alterstraumatologischenPatienten
indiziert?In der aktualisierten Cochrane-Analyse von Avenell u.
Handoll[77] wurden 10 Studien zum Einsatz von Trinknahrung bei
al-terstraumatologischen Patienten ausgewertet, von denen nur
3gezielt mangelernährte Patienten untersucht haben. Vier
Studienuntersuchten eine ergänzende orale Proteingabe.Im Hinblick
auf die Energie- und Nährstoffzufuhr kann durchTrinknahrung eine
signifikante Steigerung erreicht werden, den-noch wird der Bedarf
häufig nicht gedeckt [105, 106, 205]. Datenzum Effekt von
Trinknahrung auf den Ernährungszustand, dieFunktionalität und die
Klinikverweildauer sind inkonsistent. DieLebensqualität wurde
bisher in nur einer Studie untersucht, diekeinen Effekt
festgestellt hat [107]. Einzelheiten hierzu s. DGEM-Leitlinie 2004
[14] und ESPEN-Leitlinie 2006 [15].Auch hinsichtlich postoperativer
Komplikationen und Mortalitätsind die Studienergebnisse
widersprüchlich. Während die aktu-elle Metaanalyse von Avenell u.
Handoll [77] keinen signifikantenEffekt auf das Komplikationsrisiko
ergab (RR 1,2 [95%-KI 0,58–1,13]) berichtet die Metaanalyse von
Milne et al. [78] in einerSubgruppenauswertung von 6 Studien mit
Hüftfrakturpatienteneine signifikante Risikoreduktion (RR 0,60
[0,40–0,91]). Diekombinierte Auswertung von „Mortalität und
Komplikationen“ergab in der Metaanalyse von Avenell u. Handoll [77]
mit einem„fixed-effect model“ ein tendenziell besseres Ergebnis für
diesupplementierte Gruppe (RR 0,76; 95%-KI 0,55–1,04) bei
aller-dings großer Heterogenität der Studien. Bei Verwendung
des„random-effect model”waren die Unterschiede nicht
signifikant.Die Metaanalyse von 9 Studien ergab ebenfalls keinen
Effekt aufdie Mortalität allein [77]. Auch die Supplementierung von
Pro-tein ergab keine Evidenz für einen Effekt auf die Mortalität
[77].Proteinsupplementation könnte die Anzahl an
Langzeitkompli-kationen reduziert haben, die Datenqualität hierzu
ist jedochschlecht [77].Zusammenfassend führt Trinknahrung zu einer
signifikantenSteigerung der Energie- und Nährstoffzufuhr, die Daten
hinsicht-lich Ernährungszustand, Klinikverweildauer, funktionellem
Sta-tus, Komplikationen und Mortalität sind inkonsistent. Auch
diebisherigen Studien zur Proteinsupplementierung liefern
keineeindeutigen Ergebnisse.
4.5.2 Ist Sondenernährung bei alterstraumatologischenPatienten
indiziert?Eine ergänzende nächtliche Sondenernährung ermöglicht
dieGabe relativ großer Nahrungsmengen, bei insgesamt
allerdingsmäßiger Verträglichkeit [211–214]. In der Studie von
Hartgrinket al. [212] tolerierten nur 40% diese Intervention länger
als eineWoche und nur ein Viertel während der gesamten
Studiendauervon 2 Wochen. Im Hinblick auf den Ernährungszustand
werdenteilweise Verbesserungen [211, 212], teilweise keine
Verände-rungen [212, 213] berichtet. Effekte auf Klinikverweildauer
undfunktionellen Status sind ebenfalls unklar (Einzelheiten
s.DGEM-Leitlinie 2004 [14] und ESPEN-Leitlinie 2006 [15]).Im
Hinblick auf dieMortalitätwurde in derMetaanalyse von Ave-nell and
Handoll [77], in den 4 Studien mit ergänzender nächtli-cher
Sondenernährung [211–213, 215] keine Evidenz für einenEffekt
gefunden. Eine Studie, die nasogastrale Sondenernährungmit
anschließender Trinknahrung untersucht hat, fand ebenfalls
keinen Effekt auf die Mortalität und auch keinen Effekt auf
dieHäufigkeit von Komplikationen [214] (●"
Evidenztabelle4).Zusammenfassend scheint ergänzende nächtliche
Sondenernäh-rung insgesamt eher schlecht verträglich und ohne
überzeugen-de positive Effekte zu sein.
4.5.3 Ist parenterale Ernährung bei alterstraumato-logischen
Patienten indiziert?Es gibt keine randomisiert-kontrollierten
Studien, die den Effekteiner parenteralen Langzeiternährung nach
Hüftfraktur und or-thopädischer Operation untersucht haben.Eneroth
et al. [182, 220] untersuchten eine 3-tägige peripher-venöse
Ernährung gefolgt von 7 Tagen mit Trinknahrung im Ver-gleich zur
üblichen Versorgung bei 80 Patienten in einer
rando-misiert-kontrollierten Studie (Ib). Die kombinierte
parenteraleund orale Supplementierung erhöhte die Energie- und
Flüssig-keitsaufnahme in der Interventionsgruppe auf nahezu
optimaleWerte während des Klinikaufenthalts [220]. Die Mortalität
unddie Häufigkeit von Komplikationen nach 4 Monaten waren
signi-fikant reduziert. Die mittlere Klinikverweildauer beider
Gruppenlag bei 12,5 Tagen. Auch der Anteil nach Hause entlassener
Pa-tienten unterschied sich nicht signifikant (14/40 vs. 22/40;
RR0,64; 99%-KI 0,33–1,24) [182].Auf diesen positiven Ergebnissen
basierend wird parenterale, pe-riphervenöse Ernährung während der
akuten perioperativenPhase empfohlen, um eine angemessene Energie-
und Nährstoff-zufuhr zu ermöglichen. Im Anschluss daran sollte
Trinknahrungals Teil eines individuellen
Ernährungsversorgungskonzepts an-geboten werden. Da bisher
lediglich eine randomisiert-kontrol-lierte Studie zu dieser Frage
vorliegt, wird die Evidenz mit GradB bewertet (s. a. DGEM-Leitlinie
„Klinische Ernährung in der Chi-rurgie“)
4.6 Sind Ernährungsmaßnahmen bei älteren Menschenmit Depression
indiziert?
Empfehlung 30:Trinknahrung sollte älteren Menschen mit
Depressionen, die nicht inder Lage sind, ihren Energie- und
Nährstoffbedarf durch normaleoder modifizierte Lebensmittel zu
decken, angeboten werden, umin der initialen Behandlungsphase mit
Antidepressiva, die häufig miteiner geringen Nahrungsaufnahme und
Motivationsverlust einher-geht, die Energie- und
Nährstoffversorgung zu verbessern. [B (BM);starker
Konsens]Empfehlung 31:Der Einsatz nasogastraler Sonden- oder
parenteraler Ernährung soll-te in einem individuellen
Entscheidungsprozess unter Berücksichti-gung des Patientenwillens
und der Schwere der Mangelernährungerwogen werden. [KKP; starker
Konsens]
Kommentar: Depressionen sind bei älteren Patienten
weitver-breitet, bleiben aufgrund der Schwierigkeit, sie von
anderenAlterssymptomen zu differenzieren, jedoch häufig
unerkannt.Anorexie und Ablehnung von Nahrung sind integrale
Symptomedieser Erkrankung, weshalb die Depression als eine der
Hauptur-sachen für Mangelernährung im Alter angesehen wird [221].
Pa-tienten mit schwerer Depression sind üblicherweise nicht in
derLage, ihren Nährstoffbedarf durch normale oder modifizierte
Le-bensmittel zu decken und haben daher ein Risiko für
Mangeler-nährung. Umgekehrt kann Mangelernährung zu den im
Alterhäufigen depressiven Zuständen beitragen [222]. Der Zusam-
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menhang zwischen Mangelernährung und depressiven Sympto-men
wurde erst kürzlich von Smoliner et al. [223] bei
institutio-nalisierten älteren Menschen bestätigt.Depressive
Symptome könnenmithilfe der Geriatrischen Depres-sionsskala (GDS)
gut erfasst werden [224, 225]. Eine Depressionkann mit
unterschiedlichen Maßnahmen behandelt werden, u.a.mit
antidepressiven Medikamenten, deren Wirkungseintritt al-lerdings
einige Zeit benötigt. Häufig sind schwere Depressionenmit
vorübergehenden kognitiven Beeinträchtigungen und redu-zierter
Motivation zu essen verbunden, was sich durch die anti-depressive
Behandlung graduell verbessern kann.Gariballa et al. [226] (Ib)
haben in einer randomisierten doppel-blinden plazebokontrollierten
Studie den Effekt von Trinknah-rung auf depressive Symptome bei
akut kranken älteren Klinik-patienten untersucht. Das zusätzliche
Angebot von 400mL Trink-nahrung mit 995kcal und 100% der
Zufuhrempfehlungen für Vi-tamine und Mineralstoffe für 6 Wochen,
führte nach 6 Monatenzu einer signifikanten Verbesserung des
Depressionsscores, einersignifikanten Zunahme der Anzahl an
Patienten ohne Depressionund einer Abnahme derer mit leichter oder
schwerer Depression.Auf dieser positiven Studie sowie auf
klinischer Erfahrung undExpertenmeinung basierend, wird frühe
Ernährungsinterventionmit Trinknahrung für ältere Patientenmit
Depression empfohlen,die nicht in der Lage sind, ihren
Nährstoffbedarf durch normaleoder modifizierte Lebensmittel zu
decken, um die Patienten inder frühen Phase mit geringer
Nahrungsaufnahme und Motiva-tionsverlust zu unterstützen und
dadurch der Entstehung vonMangelernährung und deren ernsten Folgen
vorzubeugen. ImEinzelfall kann auch enterale oder parenteraler
Ernährung sinn-voll sein, dies sollte jedoch individuell in
Abhängigkeit des Pa-tientenwillens und der Schwere der
Mangelernährung sorgfältiggeprüft und entschieden werden.
4.7 Sind Ernährungsmaßnahmen bei älteren Menschenmit Demenz
indiziert?
Empfehlung 32:Der Ernährungszustand älterer Menschen mit Demenz
sollte regel-mäßig überwacht und individuelle Ernährungsmaßnahmen
solltenfrühzeitig initiiert werden, sobald Ernährungsprobleme
auftreten.[KKP; Konsens]Empfehlung 33:Ernährungsmaßnahmen sollen
bei Demenzpatienten in allen Krank-heitsstadien zusammen mit
anderen, supportiven Maßnahmen er-griffen werden, wenn der Energie-
und Nährstoffbedarf durch übli-che und modifizierte Lebensmittel
nicht gedeckt werden kann, umdie Energie- und Nährstoffversorgung
zu sichern und den Ernäh-rungszustand zu erhalten oder zu
verbessern, solange dies klinischangemessen ist. [A (BM); starker
Konsens]Empfehlung 34:Sonden- und parenterale Ernährung können
gelegentlich und über-wiegend für eine begrenzte Zeit eingesetzt
werden, wenn anderenicht-invasive Maßnahmen nicht ausreichen oder
nicht angemessensind, um eine Akutsituation mit geringer
Nahrungsaufnahme oderhohem Bedarf in frühen und mittleren
Demenzstadien zu überwin-den. [C; starker Konsens]Empfehlung 35:Bei
Patienten mit schwerer und fortgeschrittener Demenz könnenSonden-
und parenterale Ernährung generell nicht empfohlen wer-den. Die
Entscheidung muss jedoch in jedem Einzelfall individuellgetroffen
werden. [KKP; starker Konsens]
Kommentar: Demenz ist eine fortschreitende
neurodegenerativeErkrankung mit steigender Prävalenz im hohen
Alter. Die De-menzdiagnose umfasst die Alzheimerkrankheit,
vaskuläre De-menz, gemischte Demenzformen, Lewy-Körper-Demenz,
fronto-temporale Demenz und andere, seltene Krankheitsformen.
Meistbeginnt die Erkrankungmit leichten kognitiven
Beeinträchtigun-gen, die irreversibel und mehr oder weniger
kontinuierlich biszum Endstadium fortschreiten, in dem die
Patienten nicht mehrin der Lage sind, sich fortzubewegen und zu
kommunizieren. Derzeitliche Verlauf und damit die Lebenserwartung
sind individuellsehr unterschiedlich und liegen zwischen wenigen
Monaten beischwerer Demenz und mehr als 20 Jahren in einigen Fällen
mitfrüher Diagnosestellung. Die Vorhersage des
Krankheitsverlaufsist schwierig.Die Krankheitsstadien können in
Abhängigkeit der funktionellenFähigkeiten eingeteilt werden, wie
z.B. in der verbreitetenFunctional Assessment Staging (FAST) Scale
von Reisberg[227, 228]. Die folgenden Ausführungen beziehen sich
auf dieseSkala mit folgender Graduierung:4 – Leichte Demenz:
Patienten benötigen Hilfe bei komplexenAufgaben.5 – Mäßige Demenz:
Patienten benötigen Hilfe bei der Auswahlsauberer Kleidung.6 –
Mäßig schwere Demenz: Patienten benötigen Hilfe beim An-ziehen und
beim Toilettengang und beginnen inkontinent zuwerden.7 – Schwere
und fortgeschrittene Demenz: Patienten sind nichtmehr in der Lage,
ohne Hilfe zu gehen und kommunizierenschlecht mit weniger als 7
verschiedenen Worten.Jede therapeutische Entscheidung sollte unter
Berücksichtigungdes individuellen Schweregrads der Demenz und der
bisherigenEntwicklungen getroffen werden.Patientenmit kognitiven
Beeinträchtigungen und Demenz habenein erhöhtes Risiko für
Mangelernährung. Ein Gewichtsverlusttritt oft sogar schon vor der
Demenzdiagnose auf und dementePatienten haben weiterhin ein Risiko,
Gewicht zu verlieren[229–231]. Die Nahrungsaufnahme kann aus
verschiedenenGründen reduziert sein. In frühen Stadien können
Anorexie, ver-änderte Geruchs- und Geschmackswahrnehmungen,
Aufmerk-samkeitsstörungen, Medikamente oder Depressionen die
Nah-rungsaufnahme beeinträchtigen. Imweiteren Verlauf der
Erkran-kung können Apraxie und gestörtes Essverhalten auftreten.
Infortgeschrittenen Stadien der Demenz können Essen und
Trinkenvöllig abgelehnt werden. Schluckstörungen können die orale
Er-nährung begrenzen oder sogar völlig verhindern. Andererseitskann
der Energiebedarf durch Hyperaktivität (z.B.
permanentesUmherwandern) und in manchen Fällen durch
Begleiterkran-kungen erhöht sein [231, 232].Gewichtsverlust und
ungenügende Ernährung können zum Fort-schreiten der Erkrankung
beitragen und erhöhen das Risiko fürInfektionen, Morbidität
undMortalität. In einer Studie bei Pflege-heimbewohnernmit schwerer
Demenz habenwährend einer Be-obachtungszeit von 18 Monaten 86% ein
Essproblem entwickelt,verbunden mit einem signifikant erhöhten
Mortalitätsrisiko[233].Folglich sollte der Ernährungszustand von
Demenzpatienten re-gelmäßig überprüft werden. Eine adäquate
Ernährung benötigtbesondere Aufmerksamkeit und sollte von Beginn
der Krankheitan gewährleistet sein. In mehreren Studien wurde
gezeigt, dasssupportiveMaßnahmenwie spezielle Beratung für die
Pflegeper-sonen [234], pflegerische Maßnahmen wie z.B.
Bezugspflege,Hilfe beim Essen, emotionale Unterstützung oder mehr
Zeit zum
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Essen [23–25], Verbesserungen der Essumgebung [235, 236]
undModifikationen des Essensangebots (z.B. zusätzliche
Zwischen-mahlzeiten, Fingerfood, erhöhte Energiedichte der
Mahlzeiten)[47, 92] ebenso wie multidisziplinäre Ansätze mit
kombiniertenErnährungs- und Pflegemaßnahmen [40, 57] die Ernährung
undden Ernährungszustand dementer Pflegeheimbewohner verbes-sern
können. Spezielle Verhaltens- und Kommunikationsstrate-gien können
das Essverhalten positiv beeinflussen und ebenfallsdie Essmenge
steigern [34, 35].
4.7.1 Ist Trinknahrung bei älteren Menschen mit
Demenzindiziert?Bisher wurden die Effekte von Standardtrinknahrung
in 7 rando-misierten und einer nicht randomisierten kontrollierten
Studiebei älteren Menschen mit unterschiedlichen Formen und
Aus-prägungen von Demenz im Vergleich zu üblicher
Ernährungsver-sorgung untersucht [237–243] (Ib), [121] (IIa) (●"
Evidenztabelle5). Diese Studien berichten übereinstimmend
Gewichtszunah-men in der supplementierten Gruppe im Vergleich zur
Kontroll-gruppe mit Standardversorgung. In einer dieser Studien mit
99Patientenmit mäßiger oder schwerer Alzheimerdemenz, von de-nen 25
zufällig ausgewählt wurden und 12 Monate lang Trink-nahrung
bekamen, wurden neben der Gewichtszunahme Verbes-serungen der
Trizepshautfaltendicke und verschiedener Blutpa-rameter
festgestellt sowie eine reduzierte Infektionshäufigkeitundweniger
Krankheitstage im Bett [237]. Hinsichtlich der Effek-te von
Trinknahrung auf den funktionellen Status berichten dievorhandenen
Studien keine Verbesserungen, weder für die kör-perliche [121]
(IIa), [238, 241, 242] (Ib), noch für die geistigeFunktion [121]
(IIa), [237, 238] (Ib).Zwei Studien mit ambulanten Patienten mit
leichter Alzheimer-demenz verglichen spezielle, mit bestimmten
Mikronährstoffenangereicherte Trinknahrung mit üblicher
Standardtrinknahrung[244, 245] (Ib). Beide berichten biochemische
Veränderungen,die die erhöhte Bioverfügbarkeit der zugesetzten
Nährstoffe re-flektieren. In der Studie von Scheltens et al. [245]
verbessertesich einer von mehreren kognitiven Tests (verzögerte
Wortwie-dergabe) signifikant. Keine Effekte wurden hinsichtlich der
Akti-vitäten des täglichen Lebens und der Lebensqualität
beobachtet.In der Studie von Planas et al. [244] blieben die
kognitive Funk-tion (erfasst mit dem MMSE), die Wortflüssigkeit und
das Ge-dächtnis unverändert.Eine spanische Studie überprüfte bei
Patienten mit fortgeschrit-tener Alzheimerdemenz, die eine
halbfeste oder flüssige Ernäh-rung benötigten, eine Formuladiät aus
lyophilisierten Lebensmit-teln und berichtete ebenfalls
Gewichtszunahmen im Vergleich zueiner Kontrollgruppe, die
Ernährungsberatung erhielt. Klinikein-weisungen, Mortalität und
geistige Funktion (Kognition, Depres-sion) blieben unverändert
[246].Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit über orale
Ernäh-rungsmöglichkeiten für Menschen mit Demenz, die auch
Pflege-heimstudien mit unterschiedlichen Anteilen Demenzkranker
so-wie Studien mit anderen Interventionen (z.B.
Cannabinoidgabe,entspannende Musik, Hilfe beim Essen,
Konsistenzmodifikatio-nen) einschloss, kam zu dem Ergebnis, dass
Trinknahrung undandere Ernährungsoptionen für eine Gewichtszunahme
hilfreichsein können, Effekte auf andere Zielparameter jedoch
unklar sind[247].Insgesamt sind aktuell große Wissenslücken
festzustellen. Den-noch kann Trinknahrung zusam