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CRYPTOCORYNE SIVADASANII In diesem malerischen Fluss fanden wir
große Gruppen von Cryptocoryne sivodosanii (Fundort 2).
Ein Wasserkelch mit Potenzial für eine gute Aquarienpflanze
Diese Wasserpflanze wurde erst vor wenigen Jahren als neue Art
beschrieben. Unsere Autorin berichtet über den Lebensraum des
seltenen Wasserkelchs und ihre ersten Erfahrungen mit der Kultur. 1
VON CHRISTEL KASSELMANN
K arnataka und Kerala gehören zu den am dichtesten bevölker-ten
Bundesstaaten Indiens. Deshalb überrascht es, dass aus dieser
Region regelmäßig neue Arten be-schrieben werden. Gelegentlich sind
auch Wasser- und Sumpfpflanzen da-bei. Viele der aquatischen
Spezies sind jeweils nur in einem kleinen Gebiet verbreitet und
bisher selten ge-
sammelt worden. Das trifft auch für die in DATZ 4/2015
behandelte Crypto-coryne consobrina und die hier vorge-stellte C.
sivadasanii zu.
Cryptocoryne sivadasanii BoGNER wurde 2004 beschrieben. Bis zu
die-sem Zeitpunkt hielt man die Pflanze für identisch mit C.
consobrina, doch dann erkannte der indische Botaniker M. SIVADASAN,
dass es sich hier um
zwei Arten handelt. Die Berichte in der Literatur über C.
consobrina (SIVADA-SAN 1985; JACOBSEN et al. 1989) be-ziehen sich
deshalb nicht auf diese Pflanze, sondern tatsächlich auf C.
sivadasanii. Bei genauem Betrachten mutet die Verwechslung
merkwürdig an, denn die beiden Wasserkelche ähneln sich weder in
ihrem Habitus, noch sind ihre ökologischen Bedin-
DATZ 6/2015
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Cryptocoryne sivadasanii ist eine prächtige Aquarienpflanze
Verbreitung von Cryptocoryne sivadasanii in Südindien
gungen am natürlichen Standort ver-gleichbar.
SrvADASAN stellte diese Pflanze 1985 erstmals aquaristisch vor.
1981 hatte er sie in einem Bach nahe der Universität von Calicut im
Bundes-
Trocknen die Gewässer aus, sehen die Blätter der Pflanzen so aus
„wie Heu"
staat Kerala gefunden, den er mehrere Jahre lang beobachtete. In
seinem Be-richt schildert er ein im Sommer aus-trocknendes
Gewässer; die Blätter sehen dann aus „wie Heu". „Während des
Monsuns wachsen die Cryptoco-rynen untergetaucht und treiben sehr
schmale, lange Blätter."
Denselben Standort beschreiben und illustrieren auch JACOBSEN et
al.
DATZ 6/2015
(1989). Sie ergänzen, dass erst dann die Blütezeit einsetzt,
wenn die meis-ten Blätter vertrocknet und abgestor-ben sind. Als
Trockenzeit nennen sie die Monate Dezember bis März.
Verbreitung Cryptocoryne sivadasanii ist im Nor-den Keralas und
im Südwesten Karna-takas endemisch. Bisher sind erst we-nige
Fundorte bekannt, aber die Art scheint in dem Gebiet häufiger
vorzu-kommen. Die Typen von C. sivadasanii wurden dem Gewässer nahe
der Uni-versität von Calicut entnommen. BoG-NER (2004) nennt neben
weiteren Auf-sammlungen im nahen Umkreis die-ses Ortes noch einen
nördlich gelege-nen Fundort bei Padubidri zwischen den Städten
Mangalore und Udupi im südlichen Karnataka.
Die beiden Bundesstaaten Kerala und Karnataka liegen an der
Südwest-
küste Indiens. Östlich eines schmalen Küstenstreifens erhebt
sich das ge-waltige Nord-Süd-Gebirge der West-ghats, das bis zu
2.700 Meter Höhe erreicht. In den Bergen entspringen zahlreiche
Flüsse, die häufig unmit-telbar ins Meer entwässern. Alle bis-her
bekannten Fundorte von C. siva-dasanii befinden sich in diesem
schmalen Landstrich nahe dem Ara-bischen Meer.
Die von Karen Randall und mir untersuchten und im Folgenden
be-schriebenen beiden Standorte in Kar-nataka liegen ebenfalls im
Einfluss der nahen Küste im feuchten Tropen-klima; der erste
befindet sich aller-dings etwa 20 Kilometer vom Meer entfernt im
Landesinneren. Die bei-den neuen Aufsammlungen erweitern das bisher
bekannte Verbreitungsge-biet von C. sivadasanii deutlich in
nördlicher Richtung.
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In diesem Bach hatten die Cryptocorynen bei niedrigem
Wasserstand knospige Blütenstände gebildet (Fundort 1)
Zwei neue Fundorte Der erste Standort liegt zwischen den
Kleinstädten Udupi und Agumbe, 20 Kilometer östlich von Udupi
(13°24' 9i.1"N, 74°56'58.6"E, 29 Meter über NN). In einem zwei bis
vier Meter brei-ten Bach wuchsen kleine Bestände von C. sivadasanii
in schnell fließen-dem Wasser. Auf dieses Gewässer wurden wir durch
Bestände von Erio-caulon sp. aufmerksam. Die prächtige
Wasserpflanze besitzt sehr dekorative, hellgrüne Blätter. Leider
ist sie einjäh-rig und stirbt am Standort nach der Blüten- und
Fruchtbildung ab.
Beim Untersuchen der Aquaflora des Bachs bemerkte ich zunächst
eine Art der Familie Cyperaceae - Schoeno-plectus sp. -, die sowohl
über als auch unter Wasser lange, schmale Blätter besaß. Die ersten
submersen Bestände von C. sivadasanii hielt ich deshalb
Gruppe von Cryptocoryne sivadasanii an einer voll besonnten
Stelle. Im Hintergrund ist Schoenoplectus sp. mit ähnlichen
Wasserblättern zu sehen (Fundort 1).
anfangs für dieses Zypergras; die Unterwasserblätter beider
Pflanzen sehen sich sehr ähnlich. Erst als ich Blütenstände
entdeckte, erkannte ich den Wasserkelch.
Wir fanden C. sivadasanii zu dieser Jahreszeit in bis zehn
Zentimeter tie-fem Wasser über das schmale Bach-bett verteilt. Die
Pflanzen standen dicht gedrängt und tief verwurzelt in
grobkörnigem, lehmigem Sand, der durchsetzt war von mehr oder
weniger großen Steinen. Die Wasserkelche hat-
Die Wasserkelche wuchsen überwiegend an beschatteten
Abschnitten des Bachbetts
ten überwiegend stark beschattete Stellen besiedelt; nur eine
kleine Pflanzengruppe wuchs an einer offe-nen Stelle.
Es war ein sonniger Tag mit wol-kenlosem Himmel; wir maßen an
die-sem Platz einen Lichtwert von i.520 PAR an der
Wasseroberfläche, in fünf Zentimeter tiefem Wasser i.322 PAR
und in zehn Zentimetern Tiefe am Bo-dengrund i.238 PAR. Die am
27.1i.2015 durchgeführte Wasseranalyse ergab folgende Werte:
Temperatur 25 °C bei einer Lufttemperatur von 26 °C um 11 Uhr, GH
und KH < 1 °dH, pH 6,o, 20 µS/ cm, Fe 0,2 mg/l, Mg 4 mg/l. Viele
der Cryptocorynen wiesen kurz gestielte Blütenstände in knospigem
Zustand auf, die sich aber noch unterhalb der Wasseroberfläche
befanden.
In diesem zweifelsohne temporä-ren Bach fingen wir Bärblinge
(Ras-bora dandiya). Mit dem Austrocknen des Gewässers wenige Wochen
später sterben auch die Fische.
Den zweiten Fundort mit C. sivada-sanii fanden wir am nächsten
Tag etwa 100 Kilometer weiter nördlich in Küstennähe bei dem Ort
Bainduru (13° 50'9i.5"N, 74°40'22.6"E, 36 Meter über NN). In einem
malerischen, großen Fluss mit einer Breite von acht bis zwölf
Metern wuchsen im schnell flie-ßenden, klaren Wasser große
submer-se Gruppen des Wasserkelchs. Am Ufer fanden wir weitere
Cryptocoryne-Bestände in unmittelbarer Nachbar-schaft zu C.
sivadasanii.
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Zunächst hielten wir die submer-sen und emersen Pflanzen für C.
retro-spiralis, eine in dem Gebiet weit ver-breitete Art, bis wir
Blütenstände fan-den und die Landpflanzen als C. spi-ralis
identifizieren konnten. Auch in diesem Gewässer bestand der
Boden-grund aus grobkörnigem, lehmigem Sand, durchsetzt von Steinen
und mehr oder weniger großen Felsen. Be-gleitpflanzen waren Cyperus
spp., zwei Eriocau/on-Gewächse sowie eine Armleuchteralge (Chara
sp.); ferner wuchsen am Ufer große Bestände von Lagenandra
toxicaria.
Die Gruppen von C. sivadasanii standen in etwa 40 bis 100
Zentimeter tiefem, schnell fließendem Wasser. An der Oberfläche
flutende Blätter ähneln denen schmalblättriger Vallisnerien. Die
Wasserkelche wuchsen an offenen Stellen im Fluss, die aber im
Tages-verlauf durch umgebende Vegetation beschattet werden. Die
Lichtwerte be-trugen an einer um 11 Uhr voll besonn-ten
Pflanzengruppe an der Wasser-oberfläche i.515 PAR, in fünf
Zentime-tern Tiefe 1.289 PAR und in 40 Zenti-meter tiefem Wasser
noch i.090 PAR.
Die an Ort und Stelle durchgeführ-te Wasseranalyse ergab
identische Werte mit denen vom ersten Fundort: 26 °C (bei einer
Lufttemperatur von
Bei den Pflanzen im Wasser handelt es sich um Cryptocoryne
sivadasanii, emers am Ufer wächst Cryptocoryne spira/is, im
Hintergrund Lagenandra toxicaria (Fundort 2) .
ebenfalls 26 °C um 11.15 Uhr), pH 6,o, 20 µS/cm.
In diesem Fluss stellten wir eine arten- und individuenreiche
Fischfau-na fest; bestimmt werden konnten die Arten Rasbora
dandiya, Devario ma/a-baricus, Dawkinsia cf. assimilis, Systo-mus
sp. (S.-sarana-Gruppe) und Garra mullya.
Lebenszyklus Während auf unserer ersten Indien-reise im Februar
2013 alle Küstenge-
wässer ausgetrocknet waren, führten bei unserem zweiten
Aufenthalt Ende November 2014 viele Flüsse an der Küste Wasser. Der
geringe Wasser-stand in manchen Bächen wies aber auf ein
bevorstehendes Austrocknen hin. Am ersten Standort war der Pegel
schon so weit gesunken, dass die Be-stände von C. sivadasanii nur
noch in wenigen Zentimetern Tiefe wuchsen. Zu dieser Zeit
entwickeln die Wasser-kelche Blütenstände, die in knospi-gem
Zustand so lange verharren, bis
Eine dicht gedrängt stehende Gruppe von Cryptocaryne sivadasanii
in flachem Wasser an einem sonnigen Platz und beschattet in
ungefähr einem Meter Tiefe
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Die schmalen Wasserblätter ähneln denen von Vallisnerien
die Pflanzen ganz trocken fallen und das Fließgewässer langsam
versiegt. Während dieser Übergangszeit bilden sie wenige,
pfriemförmige Landblätter ohne Blattspreite, die ebenfalls rasch
vertrocknen. Dann entwickeln sich über Wasser in schneller Folge
die un-scheinbaren Blütenstände und Früch-te für die generative
Vermehrung.
Knospiger Blütenstand mit der noch geschlossenen, gedrehten
Spathaspreite (Fundort 1)
Der Bach trocknet für drei bis vier Monate aus, und die Rhizome
bleiben während dieser Zeit in Ruhe. Mit Be-ginn der Regenzeit im
April füllt sich das Bachbett nach und nach wieder mit Wasser, und
aus Knospen an den tief im Bodengrund wurzelnden Rhi-zomen und
Wurzeln treiben in großer Zahl neue Pflanzen mit langen, zarten
Schnitt durch einen jungen Blütenstand. Zu erkennen sind die
rötliche Fleckenzeichnung der Spathaspreite sowie der Kessel mit
den männlichen Blüten im oberen Abschnitt und den weiblichen im
unteren.
Wasserblättern. Cryptocoryne sivada-sanii ist im deutlichen
Unterschied zu C. consobrina eine reine Wasserpflan-ze, weil sie
nicht in der Lage ist, emers zu wachsen.
Zudem ist die Art eine strömungs-liebende, rheophile Pflanze.
Während der Regenzeit verwandeln sich die Bä-che und Flüsse in
reißende Gewässer mit einem Wasserstand von über ei-nem Meter. In
der Region sind die Temperaturen im Jahresverlauf ziem-lich
gleichmäßig; sie sinken nur wenig während der stärksten Regenfälle
in den Monaten Juni bis August.
Am zweiten Standort war der Pegel im Fluss deutlich höher als am
ersten. Der dichte Fischbestand deutet darauf hin, dass das
Fließgewässer vermut-lich nicht vollständig austrocknet und
Restgewässer übrig bleiben. Die Was-serkelche wuchsen in diesem
Habitat eher am Ufer des Stroms, nicht aber in seiner Mitte. Mit
zunehmendem Aus-trocknen des Gewässers fallen die
Cryptocoryne-Bestände ebenfalls tro-cken. Vielleicht verdorren sie
aber in diesem großen Fluss nicht jedes Jahr, sondern wachsen in
manchen Jahren als Wasserpflanze ganzjährig weiter. Diese Hypothese
deckt sich mit den Kulturerfahrungen seit der Entde-ckung der Art:
Im Aquarium benötigt C. sivadasanii keine Wachstumspause. Noch 1985
vermutete SIVADASAN, dass die Spezies „eine Ruhezeit benötigt, in
der man sie trocken halten muss und deshalb für einen längeren
Zeitraum im Aquarium nicht geeignet" ist.
Ungewöhnliche Vermehrung Crypcotocoryne sivadasanii hat sich
entsprechend den ökologischen Be-dingungen an den natürlichen
Stand-orten eine hochinteressante Methode der produktiven
Vermehrung gesi-chert, mit der die Art innerhalb der Gattung völlig
aus dem Rahmen fällt.
JACOBSEN et al. (1989) und BOGNER (2004) beschreiben anschaulich
die ungewöhnliche vegetative Vermeh-rung. An dem Ende gesunder und
kräftiger Wurzeln sowie an deren Ver-bindung zum Rhizom bilden
sich
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Knospen, die am natürlichen Standort zur Regenzeit austreiben.
Die Wurzeln sitzen nicht sehr fest am Rhizom, wie das bei anderen
Wasserkelchen der Fall ist. Abgelöste Wurzeln und Rhizo-me wurden
in Kultur schwimmend im Wasser gehalten, und die Knospen trieben
aus. Auch Wurzeln, die auf die Oberfläche von Erde gelegt wurden,
bildeten neue Pflanzen.
Diese Form der vegetativen Ver-mehrung stellt die
Überlebensstrate-gie für C. sivadasanii am natürlichen Standort
dar. Tief im trockenen Bo-dengrund gebliebene Wurzeln mit ihren
ruhenden Knospen können selbst lange Trockenzeiten überdau-ern.
Schon kleine, losgelöste Rhizom-teile und Wurzeln sorgen für eine
ef-fektive Verbreitung im Fluss. Solche Wurzelausläufer beobachtete
ich ver-mehrt auch an meinen Pflanzen im Aquarium.
Erste Kulturerfahrungen Einige der mitgebrachten Pflanzen
verteilte ich an Cryptocoryne-Spezia-listen, um den Bestand in der
Kultur zu sichern. Meine Exemplare pflanzte ich in drei Aquarien
mit mittelhartem Wasser (300 bis 350 µS/cm; 8 bis 10 0 dGH; 4 bis 6
°KH) bei einem pH-Wert zwischen pH 6,8 und 7.4- Alle Pflanzen
trieben gut aus, entwickelten sich aber eindeutig am besten in
einem schwach sauren, kohlendioxidreichen Milieu.
Nach nur drei Monaten besitzen die kräftigsten Exemplare 60 bis
120 Zentimeter lange und drei bis fünf Millimeter breite, grasgrüne
Wasser-blätter. Meine bisherigen Erfahrungen in nur kurzer Zeit
sind vielverspre-chend. Der neue Wasserkelch ist in der Haltung
anspruchslos und besitzt
Effektiv und sehr ungewöhnlich für den Erhalt der Art am
Standort ist die Bildung von Knospen an kräftigen Wurzeln, aus
denen neue Pflanzen entstehen
ein großes Potenzial für eine hervor- An diesem Wurzelausläufer
hat sich eine neue Pflanze gebildet ragende Aquarienpflanze.
Für die schnelle Verbreitung in der Kultur ist eine vegetative
Vermehrung wichtig. Ich habe deshalb Pflanzen in die Gewebekultur
einer Gärtnerei ge-geben; vielleicht gelingt dort die effek-tive
Produktion, damit dieser unge-wöhnliche Wasserkelch schon bald im
Handel verfügbar ist.
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Dank Ralf Britz (Naturhistorisches Museum London) hat
freundlicherweise die von mir fotografierten und gefilmten Fische
bestimmt, wofür ich mich an dieser Stelle noch einmal herzlich
be-danke. •
Literatur ßoGNER, J. (2004): Cryptocoryne sivadasanii (Araceae),
a new species from India. - WiUdenowia 34: 195-201. JACOBSEN, N.,
M. S!VAOASAN & J. ßOGNER (1989): Ungewöhnliche vegetative
Vermehrung bei der Gattung Cryptocoryne. - Aqua Planta 14 (3):
83-88; (4): 127-132. SJ\llDASAN, M. (1985): üyptocoryne consobrina,
eine seltene Art aus Südindien. - Aqua Planta 10 (2): 3-7.
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