Nr 1 Redaktion un d Verlag: Karlsbad, Haus „Graphia" Fernsprecher N r. '1081. Herausgeber: Ernst Sattler, Karlsbad. Verantwortlicher Redakteur: Wenzel Hörn, Karlsbad. « Druck: „Graphia *, Karlsbad. SO NN TAG 18 Juni 1933 Bezugspreis für die CSR.: Einzel-Nummer . Kc 1.40 Monatlich . . „ 6.-~ Vierteljährlich . „ 18.— Bezugspreis für das Ausland Einzel-Nummer . Kc 2.— Monatlich ... „ 8.— Vierteljährlich , „ 24.— Sozialdemokratisches Wochenblatt Ketten Di e G eschlagene v o n heute werd en d i e Sieger v o n orgen sei Ein Ruf erhebt sich, der Ruf der ver- gewaltigten und geknebelten deut- schen Arbeiterklasse«. Er sollte erstickt werden — man wird ih n dennoch hören. Wir werden sein Sprachrohr sein. Brutaler Terror verhindert in Deutsch- land jede politische Tätigkeit. Wir erhe- ben uns gegen di e Tyrannei u nd rufen zürn Kampf fü r die Freiheit. ,.Der Marxismus ist tot, die Sozial- dem okratie existiert n icht m ehr " ver- kündet Hitler. „Der Marxismus lebt, der demokratische Sozialismus ist unsterblich " antworten wir. Wir täuschen uns nicht über die Schwere der Niederlage, die wir erlitten haben, nicht über die Schärfe des bevor- stehenden Kampfes. Aber wenn man uns zumutet, d ie Niederlage hinzunehmen oder au f de n Kampf zu verzichten, so antwor- te n wir: „Niemals " Di e Geschlagenen vo n heute werden die Sieger vo n morgen sein. Die Fortschritte de r Arbeiterklasse nach dem Kriege, ih r verstärkter Einfluß in Reich, Ländern und Gemeinden, der Aushau de r So^folnoTitik, die Erhöhung ae s Lohnniveaus, di e Zunahme sozialisti- scher Tendenzen in der Wirtschaft, alle diese Fortschritte,die von der Sozial- denrokratie und den Gewerk- schaften erkämpft worden waren, haben de n verstärkten Widerstand de r reaktionären Großkapitalisten und Groß- agrarier auf den Plan gerufen. Den Ein- fluß der Sozialdem okratie auf die Gestal- tung von Politik und Wirtschaft zu brechen un d die M asse des arbeitenden V olkes in den alten Zustand der U nfreiheit zurück- zuwerfen, war ihr Ziel. Bei diesen volksfeindlichen Plänen ka m ihnen d i e furchtbare Wirt- schaftskrise zu Hilfe. S ie brachte ihnen Bundesg enossen. D ie Bauern, von Ueberschuldung bedroht, de r gewerbliche Mittelstand, in seiner Selbständigkeit ge - fährdet, die Deklassierten aller Schichten, di e Inflationsopfer, die Rentner, die aus dem Produktionsprozeß Ausgeschiedenen — sie alle erhoben sich zu einer verzwei- felten Rebellion gegen de n Staat. Ret- tung erhofften sie von der Nationalso- zialistischen Partei, d i e ihnen, alles versprach, was sie hören wollten. Ihr gaben sie die Massen grundlage fü r den Kampf um die Staatsmacht; in ihr for- mierten si e sich zu einem gegenrevolu- tionären Block. deutsche Arbeiterklasse aber in dieser gefährlichsten Zeit ihrer Geschichte gespalten und durch innere Kämpfe geschwächt. Ei n Teil von ihr unterstellte sich de r kommunistischen Führung, die das Inter- esse de r Arbeiter an der Verteidigung de r Demokratie leugnete und mit den Feinden de r Volksfreiheit gemeinsame Sache machte. Mag man über Fehler de r sozial- so hart wie man will — wir betrachten es nicht al s unsere Aufgabe si e abzustreiten — so bleibt doch di e Tatsache bestehen, da ß der Kommunismus ein einziges Verbrechen an der deutschen Arbeiterklasse und ein furchtbares Verhängnis für sie gewesen ist Der Kom- munismus hat den parlamentarischen Ein- fluß de r Arbeiterbewegung gelähmt, er hat den Kampf um die Unorganisierten un d Indifferenten erschwert, di e Gewerk- schaften geschwächt, das Spiel der Re- aktion erleichtert. So erlag die S ozial- demokratie, mit ihr die Republik und die Arbeiterklasse, den anstürmenden gegen- revolutionären Kräften. De r Faschismus trat di e Herrschaft an. Er schreckte vo r keinem Verbre- chen zurück, um sie zu halten. D er Brand im Reichstag bot der Re- gierung H i tle r-Gö ring die er- wünschte Gelegenheit, de m Volke eine beginnende kommunistische Revolution vorzutäuschen, an die in jenem Augen- blick kein Mensch dachte. Wider bes- seres Wissen beschuldigte sie die Sozialdemokratische Partei de r Teilnahme an der Brandstiftun g. Mit solchen Lüg en entfachte sie am Vorabend der Wahl den Paniksturm gegen den Marxism us. Sie verbot d ie Arbeiterpresse, vernichtete d ie si e bewaffnete die braunen Horden un d stattete sie mit Polizeigewalt aus. Die vom Reichspräsidenten, de m Reichskanzler und den Ministern be- schworene Verfassung wurde als ein bloßer Fetzen Papier behandelt und in hundert Stücke zerrissen. zahlreiche sozialdemoluäüsche wurdet* m it Gewalt an der Ausübung ihres Man- dats gehindert. Dem terrorisierten Rumpf- parlament wurde e i n E rmächti- gungsgesetz vorgelegt, dem nur die Sozialdemokraten ihre Zustimmung ver- sagten. Mit ihm wurde die Grundlage jeder gesicherten Staatsordnu ng beseitigt. Deutschland hat seitdem auf- g e h ö r t, einRechtsstaat zu se i n. D as Recht de r regierenden Partei, ihre Gegner zu töten, wurde öffentlich pro- klamiert. Ungezählte, di e keine andere Schuld tragen, als die, Marxisten zu sein, fielen ihm zum O pfer. Männ er und Frauen wurden in SA.-Kasernen nackt ausgezogen und blutig gepeitscht, Zehntausende in die Gefängnisse und die Konzentrations- lager verschleppt. Frauen und Kinder wurden für flüchtige Männer als Geiseln genommen. Judenhetzen wurden veran- staltet, wie sie seit de m Mittelalter nicht' meh r erlebt worden sind. Gelehrte vo n Weltruf wurden davongejagt, Bücher auf de n Scheiterhaufen geworfen un d ver- brannt. Es war ein Versinken in Schande. Si e aber nannten es — „nationale E rhe- bung." D ie regierende Partei begnügte sich damit nicht Schonungslos unterd rückte si e auch di e bürgerlichen Parteien, auch diejenigen, di e töricht genug gewesen w a- ren, ihr zur Macht zu verhelfen. Der Ar- beiterbewegung aber raubte si e durch einen dreisten Handstreich ih r Vermögen, sie verwandelte die Gew erkschaften und die Konsum vereine in faschistische Zwangsorganisationen un d vernichtete jede Selbstverwaltung und Selbstbestimmung. Si e betrachtete alles al s ihre Beute, nicht zuletzt d e n Staat selbst, dessen Aemter sie — nach Zerstörung de s Beam- tenrechts — an ihre Anhän ger verteilt un d m it dessen Einnahmen si e nach Willkür waltet u nd schaltet. Die nationalsozialistische Partei ha t dem deutschen Volke seine Freiheit ge - nommen. Was hat sie ihm gegeben? W as ist von ihren Versprechungen übrig ge - blieben? Ihre Wirtschaftspolitik h at die Krise nicht gemildert sondern ver- schärft. Sie hat die Lebensmittel, da s Brot, da s Fett verteuert. Ohne den Bauern zu helfen, belastet si e di e Masse der Verbraucher. Sie schont de n Groß grundb esitz. Für die Siedlung hat sie nur noch Worte. Leichtfertig und jeder ent- zogen is t ihre Finanzpolitik. M i t ihren Steuerermäßigungen fü r Haus- un d Grundbesitzer sowie fü r Käufer von Ma- schinen un d Automobilen, m it ihren ver- schwenderischen Ausgaben für die natio- nalsozialistische Partei, für die Unterbrin- gung imm er neuer Beamter steuert sie in de n Abgrund steigender D efizite. Ihre H a n d e l s p o l i t i k zerstört d en Export un d macht es Deutschland unmöglich, sei- ne n ausländischen Verpflichtungen nach- zukommen. D adurch wird der Kredit ruiniert und die Krise verschärft. Arbeitsbeschaffung w a r ver- sprochen. Eine Milliarde sollte für sie bereitgestellt werden. D ie Mittel wird die Notenpresse liefern. Die Gefahr der Inflation rückt damit imm er näher. Die geplanten Arbeiten sollen aber nicht von freien Arbeitern zu gewerkschaftlichen Bedingungen ausgeführt werden, sondern .priTirs'TiäRiG' dt'Tcb einen militari v - r ten Arbeitsdienst. Das ;;deotet' tur die ge- samte Arbeiterschai Vernichtun g aller sozialen Errungenschaften. R ü c k f a 11 i n d i e schlimmste Lohnskla- verei Ist das die versprochene „Brechung de r Zinsknechtschaft?" Ist das der feierlich angekündigte „deutsche" Sozialismus? „Zerreißung de r Ketten vo n Versail- les'", hatte di e Nationalsozialistische Par- tei vor ihrem Regierungsantritt verspro- chen. Nach ihrem Regierungsantritt h a t sie ohne jeden Zwang aus freiem Willen den Friedensvertrag v o n Ver- sailles u m zehn Jahre verlängert. S ie hat den Eintritt Deutschlands in den Völ- kerbund, sie hat Locarno und den Kellogg- pakt ohne jeden Zwang au s freiem Willen noch einmal feierlich bestätigt. Sie hat sich ohne jeden Zwang au s freiem Wil- le n feierlich verpflichtet, di e Außenpolitik Erzbergers u n d Rathenaus, Stresemanns u n d Hermann Mül- lers unverändert fortzusetzen. Aber sie hat sich an den besten Traditionen dieser Politik versündigt, indem sie dem schwachen Deutsch-Oesterreich di e Peitsche zeigte, w ährend sie vor dem starken Frankreich zurückwich. Es ist ihr auch nicht gelungen, di e moralische Iso- lierung zu brechen, in die sie das deutsche Volk getrieben hat. Trotz ih rer Unter- werfung bleibt die außenpolitische Lage voller Gefahren. Dieses System kann nur solange exi- stieren, als es ihm gelingt, di e Wahrheit zu unterdrücken. Denn es lebt allein vo n de r Lüge. D er Welt di e Wahrheit zu sagen un d dieser Wah rheit auch den Weg nach Deutschland öffnen, unsere Aufgabe. W ir fordern Wiederherstellung de s Rechts, Strafgericht über di e Verbrecher, Wiedergutmachung d es verübten U n - rechts. W ir sind uns aber auch dessen be- wußt, daß die Freiheit de s Volkes in Zu- kunft nu r gesichert werden kann durch de n schärfsten unerbittlichsten Kampf ge - ge n di e Feinde dieser Freiheit. Es gibt keine wahre Demokratie ohne die Herrschaft de r Arbeiterklasse Es gibt keine wahre Demokratie ohne de n Sozialismus Darum fordern wir die Ent- eignung de r Großkapitalisten un d Groß- agrarier und den planmäßigen Umbau de r kapitalistischen Wirtschaft zu einer sozia- listischen. W ir wollen eine starke, wahrhafte Volksherrschaft, d ie kämpfende D e - mokratie, die mit starker Hand alle An - hänger der Despotie und alle Gewaltorga- nisationen gegen die Freiheit unterdrückt. W ir wollen die Sicherung des Rechts un d de r Freiheit für den Einzelnen. W ir wollen zur Sicherung der Lebens- grundlagen für alle Deutschen eine Ein- gliederung der deutschen in die europä- ische W irtschaft. W ir wollen nicht de n Krieg — wir wollen den Frieden Wir erklären, daß wir die Verantwor- tung für unser T u n allein tragen, un d daß keine Organisation oder Körperschaft in Deutschland dafür m it verantwortlich gemacht werden kann. W ir stellen unser Verhältnis zu unsern Genossen in Deutsch- land auf den Boden vollkommenster Freiwilligkeit Niemand is t durch Parteidisziplin verpflichtet, sich zu uns zu bekennen. W er ^ s dennoch tut und an unserem \VerKe rmth iilt, wira scir&cr« Gefahren auf sich nehmen und harte Opfer bringen müssen. Aber diese Opfer für die Freiheit und den Sozialismus werden nicht umsonst gebracht sein W ir rufen zu m Kampf, der dem deut- schen Volke seine Ehre und seine Frei- heit, d e r Arbeiterklasse ihre schwer errungenen und nur vorüberge- hend verloren gegangenen Rechte wieder bringen wird. Im Kampfe werden sich neue Formen d e s Kampfes bil- den, werden sich neue Kämpfer- scharen formieren, werden neue Führer auferstehen. Ihnen den Weg zu bahnen, betrachten wir als unsere Pflicht. u neuen W egen z u m alten sozialistischen Ziel Zer- brecht die Kette n Vorwärts Berlin u n d Prag Hitler-Offiziöses über die Sozialdemo- kratie. Die Hitler-Regierung veröffen tlicht durch ihr offiziöses Conti-Bureau folgen- des: „Die nun bestätigte Meldung, daß die Partei- führer de r Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Wels und V og el in Gemein- schaft mit Stampfier u n d Breitscheid in Prag ein Büro eröffnet haben, das sich „Reichsleitung d e r deutschen s o - zialdemokratischen Partei" nennt und das bei der II. Internationale als solche angemeldet worden ist, hat die in Deutschland verbliebenen Führer der SPD. in große Schwie- rigkeiten gebracht. Sowohl die Landtags- al s auch die Re ichstagsfraktio n der SPD. haben sich scharf dagegen verwahrt, daß eine Reichs- leitung der deutschen sozialdemokratischen Partei im Auslande entstände. Es ist große Stimmung dafür vorhanden, Wels, Breitscheid, Stam pfer u n d Vogel aus der SPD. auszuschließen. Die Leitung de r Sozialdemokratischen Partei Deutschland mit dem Sitze in Berlin würde dann vermutlich der ehemalige Reichstagsprä- sident L o e b e üb ernehmen, der in Deutschland geblieben ist und sei t ge raum er Zeit die Ge- schäfte d e r Partei führt. Ungeklärt is t auch die Frage, o b Stampfer z u r Herausgabe des „Vorwärts" a l s Wochenblatt in Prag> berechtigt