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Neue Untersuchungen zur kulturellen Entwicklung im nordwestlichen Schwarzmeergebiet wahrend des 4. Jahrtausends v. Chr. (Arbeitsstand 2008) 1 Blagoje Govedarica, Berlin, Igor Manzura, Chi$inau, Igor Brujako, Odessa, Reinder Neef , Berlin, Elena Se- kerskaja, Odessa, Eugen Konikov, Odessa, Moritz Mennenga, Kiel, und Arne Windler, Kiel Ostnw t ; Tendnwsk<JKD SS<J x. Scf'Niarzes Meer Grc:iber - Cernavoda l a Gr8ber • Usatovo Siedlung - Cernavoda l Siedlung - Usatova Prospektionen Abb. l. Nordwestliche Schwarzmeergebiet, bis 2008 bearbeitete Flmdorte: l. Orlovka; 2. Gavanoasa; 3. Kamenka; 4. Tarakli- ja ; 5. Kazaklija; 6. Svetli ; 7. Zeltij J ar; 8. Sarata; 9. Saraten i; 10. Toki le Radukanu; !l. Danku; 12. Grigoriopol; J 3. Spe ja; 14. Burs uc eni ; l 5. Grigoriovka; 16. Roskan i; 17. Nikolskoe; 18. Novokotovsk; 19. Purkari; 20. Talm az; 21. Korzova; 22 . Krasno e; 23. Raskaeci ; 24. Olonesti ; 25. Palanka; 26. Majaki; 27. Usatovo; 28. Kosary u. Tiligulskij Liman; 29. Berezans kij Liman. l. Einfiihrung in das Projekt Nach dem Zerfall der hoch entwickelten kupferzeit- lichen Kulturen Si.idosteuropas kam es im 4. Jahrtau- send v. Chr. zu einen bedeurenden Wandel in der kul- turellen Entwicklung in diesem Raum. Als Haupttrliger jenes Kultlll·wandels gelten die im nordwestlichen Schwarzmeergebiet (Abb. l) anslissige Usatovo-Kultur und der Bessarabi Typ der Cernavoda I-Kulttn· 2 Das 1 Es handelt sich um e in von der DFG gefordertes Geme in schafts- vorhaben des In stituts fur Pra hi sto ri sche Archaolog ie der Freien Uni versitat Berlin und der Eurasienabteilung des Deut schen Archa- olog ischen In stituts. Koo pera ti onspartner: Hi gher Anthropolog ical Sch oo l Republik Moldau (1. V. Manzura); Archaol og isches Mu seum der Na ti onalen Akademi e der Wi ssenschaften der Ukra in e in Odessa ( 1. V. Brujako); Geol og isch- geog raphische Fakultat der Universitat in Odessa (E. G. Konikov). Leitung des Projektes: B. Hanse Jund S. Han sen. Mitar beite r: B. Gove da ri ca. 2 Dazu Parz in ger 1998, J J 3 ff .; Manzura J 990, J 83 ff.; ders. 1999, 95 ff.; Petren ko J 989 , 8 J tf; Todorova 199 5, 78 ff.; Govedarica 2009, 60 ff. Hauptziel unserer Untersuchungen ist es, die noch we- nig bellandelten Fundmaterialien bezi.i glich der Chro- nologie, Stratigraphie und Okonomie jener Kulturen zu sammeln, um ihre Entstehung und Entwicklung um- fassend studieren zu konnen. Angestrebt wurde ebenso die Beutteilung der Prozesse, die zum Zerfall der klas- sischen kupferzeitlichen Kulturen Vam a, Gumelnita, Karanovo VI u. a. gefuhti und auch zur Entstehung der darauf folgenden, wenig entwickelten Cernavoda I-Kultl.tr beigetragen haben. In diesem Zusammenhang waren Fragen zur Mitwirkung sozialer und natiirlicher Faktoren von besonderer Bedeutung. Das zweite Ziel unserer Untersuchungen betrifft die kulturelle und chronologische Kantinuit lit zwischen den Kulturen Cemavoda I und Usatovo, d. h. die Ver- schmelzung der Cucuteni- und Cemavoda I-Tradition, die zur Entstehung der Usatovo-Kultl.tr und einem da- mit verbundenen kulturellen Neubeginn im Untersu- chungsgebiet, gefi.ihrt hat. In das Forschungsprogramm wurden sowohl Gellinde- a ls auch Museumsarbeiten
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Neue Untersuchungen zur kulturellen Entwicklung im nordwestlichen Schwarzmeergebiet während des 4. Jahrtausends v. Chr. (Arbeitsstand 2008)

Apr 02, 2023

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Neue Untersuchungen zur kulturellen Entwicklung im nordwestlichen Schwarzmeergebiet wahrend des 4. Jahrtausends v. Chr. (Arbeitsstand 2008)1

Blagoje Govedarica, Berlin, Igor Manzura, Chi$inau, Igor Brujako, Odessa, Reinder Neef, Berlin, Elena Se­kerskaja, Odessa, Eugen Konikov, Odessa, Moritz Mennenga, Kiel , und Arne Windler, Kiel

~ Ostnw t ; Tendnwsk<JKDSS<J x.

Scf'Niarzes Meer

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a Gr8ber • Usatovo

• Siedlung - Cernavoda l

• Siedlung - Usatova

~ Prospektionen

Abb. l. Nordwestliche Schwarzmeergebiet, bis 2008 bearbeitete Flmdorte: l. Orlovka; 2. Gavanoasa; 3. Kamenka; 4. Tarakli­ja; 5. Kazaklija; 6. Svetli ; 7. Zeltij J ar; 8. Sarata; 9. Saraten i; 10. Toki le Radukanu; !l. Danku; 12. Grigoriopol ; J 3. Speja; 14.

Bursuceni ; l 5. Grigoriovka; 16. Roskan i; 17. Nikolskoe; 18. Novokotovsk; 19. Purkari ; 20. Talmaz; 21. Korzova; 22 . Krasnoe; 23. Raskaeci ; 24. Olonesti ; 25. Palanka; 26 . Majaki; 27. Usatovo; 28. Kosary u. Tiligulskij Liman; 29. Berezanskij Liman.

l. Einfiihrung in das Projekt

Nach dem Zerfall der hoch entwickelten kupferzeit­lichen Kulturen Si.idosteuropas kam es im 4. Jahrtau­send v. Chr. zu einen bedeurenden Wandel in der kul­turellen Entwicklung in diesem Raum. Als Haupttrliger jenes Kultlll·wandels gelten die im nordwestlichen Schwarzmeergebiet (Abb. l ) anslissige Usatovo-Kultur und der Bessarabi Typ der Cernavoda I-Kulttn·2• Das

1 Es handelt sich um ein von der DFG gefordertes Geme inschafts­vorhaben des Instituts fur Prahi storische Archao logie der Fre ien Uni versitat Berlin und der Euras ienabteilung des Deutschen Archa­ologischen Instituts. Kooperati onspartner: Higher Anthropo log ical School Chi ~ in au , Republik Molda u (1. V. Manzura); Archaologisches Museum der Nationalen Akademi e der Wissenschaften der Ukraine in Odessa (1. V. Brujako); Geo logisch-geographi sche Fakultat der Uni versitat in Odessa (E. G. Konikov) . Leitung des Projektes : B. HanseJund S. Hansen. Mitarbeiter: B. Govedari ca .

2 Dazu Parzinger 1998, J J 3 ff.; Manzura J 990, J 83 ff.; ders. 1999, 95 ff.; Petren ko J 989, 8 J tf; Todorova 1995, 78 ff.; Govedarica 2009, 60 ff.

Hauptziel unserer Untersuchungen ist es, die noch we­nig bellandelten Fundmaterialien bezi.iglich der Chro­nologie, Stratigraphie und Okonomie jener Kulturen zu sammeln, um ihre Entstehung und Entwicklung um­fassend studieren zu konnen. Angestrebt wurde ebenso die Beutteilung der Prozesse, die zum Zerfall der klas­sischen kupferzeitlichen Kulturen Vama, Gumelnita, Karanovo VI u. a. gefuhti und auch zur Entstehung der darauf folgenden , wenig entwickelten Cernavoda I-Kultl.tr beigetragen haben. In diesem Zusammenhang waren Fragen zur Mitwirkung sozialer und natiirlicher Faktoren von besonderer Bedeutung. Das zweite Ziel unserer Untersuchungen betrifft die kulturelle und chronologische Kantinuitlit zwischen den Kulturen Cemavoda I und Usatovo, d. h. die Ver­schmelzung der Cucuteni- und Cemavoda I-Tradition, die zur Entstehung der Usatovo-Kultl.tr und einem da­mit verbundenen kulturellen Neubeginn im Untersu­chungsgebiet, gefi.ihrt hat. In das Forschungsprogramm wurden sowohl Gellinde- als auch Museumsarbeiten

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Abb. 2. Orlovka-Kartal 2008: Topographische Lage des Siedlungskomplexes.

aufgenommen, wobei die Gelandearbeiten archaolo­gische Ausgrabungen sowie geophysikalische und ge­omorphologische Prospektionen umfassten. Die Forschungsarbeiten innerhalb dieses Projekts wur­den in den Jahren 2007- 2008 planmaJ3ig auf die fol­genden MaJ3nahmen konzentriert: archaologische und natmwissenschaftliche Gelandeprospektion; archao­logische Ausgrabung sowie die Erstellung eines aus­fuhrlichen Fundkatalogs der Fundmaterialien alter und neuer Grabungen. In diesem Rahmen wurden bislang 29 Fundarte bearbeitet (Abb. l). Bei den Prospektionen im Tiligulskij und Berezanskij Liman konnten Spuren holozaner Meerestransgressionen erkannt werden, die noch weiterer geomorphologischer Untersuchungen bedi.irfen. Im Tiligulskij Liman wurden in der Siedlung Kosary Probegrabungen durchgefuhrt, die den ersten Ergebnissen zufolge eine bisher kaum bekannte Sied­lungsart der ausgehenden Kupfer- oder Fri.ihbronzezeit des Steppengebietes erbrachten. Weiterhin forderten die im Marz 2008 durchgefuhrten geophysikalischen Pro­spektionen Hinweise auf das Bestehen weiterer Graber in der bisher nur teilweise untersuchten Nekropole an diesem Ort zutage, was weitere archaologische Unter­suchungen und Erklarungen notwendig machte3

. Die Ausgrabungen in Orlovka-Kartal wurden im Bereich der Vorburg durchgefuhrt, wobei groJ3e Teile eines Be­festigungssystems sowie typologische und stratigra­phische Nachweise einer kontinuierlichen kulturellen Entwicklung von Cemavoda I zur Fri.ihusatovo-Kultur festgestellt werden konnten. Somit haben sich bereits in den bisherigen Untersuchungen wichtige lmpulse fur die Siedlungsarchaologie dieser Region sowohl im me­thodologischen ais auch im inhaltlichen Sinn ergeben.

2. Untersuchungen in Orlovka-Kartal

Der archaologische Siedlungskomplex Orlovka-Kattal befindet sich ca. l ,5 km westlich der Ortschaft Orlovka und 2 km ostlich der Donau (bei Reni, Geb. Odessa;

3 V g l. Agul ' nikov/Redina 2006, 43-47.

Ab b. l, l). Er ist zu unterteilen in drei Bereiche: einem befestigten zentralen Abschnitt, der auf einem ca. 4 ha groBen Bergplateau errichtet wurde (Zitadelle am Ka­menaja Gora - ' Steinberg ' ), eine am ostliehen BergfuJ3 gelegene Vorburg sowie ein groJ3er Nekropolenbereich im Osten. Folglich umfasste dieser Siedlungskom­plex eine Gesamtflache von ca. l O ha (Abb. 2). Die urspriingliche Fundlage ist leider nicht mehr vorhan­den, da der Berg im Zuge von Steinbrucharbeiten in den 1960er-1970er Jahren in weiten Teilen abgetragen wurde. Vom urspri.inglich 4 ha groBen Bergplateau ist weniger als die Halfie iibrig geblieben. Das Archaologische Musemn in Odessa fuhrt seit 2001 Ausgrabungen in der Vorburg und i m Nekropolenbereich durch, wobei dieSedimente einer melu-schichtigen Sied­lung freigelegt werden k01mten, die vom Neolithikum bis in das Mittelalter reichen4

. Dank der Zusammenar­beit mit den ukrainischen und moldauischen Kallegen konnten wir uns innerhalb dieses Forschungsprojekts an der Untersuchung der kupferzeitlichen Vorburgsied­lung beteiligen. In diesem Zusammenhang wurde in den Jahren 2007 und 2008 eine Flache von 164m2 systema­tisch erforscht (Sektor IV, Nord- und Si.idost, Abb. 2; 3). Die Untersuchungen in Orlovka-Kattal erfolgten auf interdisziplinarer Basis, wozu neben archaologischen Grabungen auch geologische, archaobotanische, archao­zoologische und Radiokarbon-Analysen sowie geophy­sikalische Prospektionen gehorten.

2.1. Vorliiufige archiiologische Ergebnisse

Die freigelegten Siedlungsschichten erreichen eine Tie­fe von iiber 3 m, wovon die unteren l ,5 m der Kupfer­zeit angehoren . Ab einer Tiefe von ca. l ,8 m, beginnt die fri.iheisenzeitliche Schicht, welche zusatz lich noch von antiken Sedimenten bedeckt ist. Die kupferzeit­lichen Ablagerungen tauchen in zwei stratigraphisch getrennten Abschnitten auf: Die untere Schicht (la) entspricht der fri.ihkupferzeitlichen Bolgrad-Adeni­Kultur, die obere Schicht (Ib) der Cernavoda I-Kul­tur5. Die Zasur zwischen diesen Horizonten bildet eine sterile Humusablagerung, die sich nach Ende der al­teren Siedlung sedimentiert hat. Beide kupferzeitliche Schichten wurden durch Eingriffe zur Zeit der Antike relativ stark gest6rt. Als Folge dieser StOrung ist das altere Material fast bis zur heutigen Oberftache anzu­treffen . Die Cernavoda I-Siedlung, der in diesem Zusammen­hang unser primares Interesse galt, umfasst am Fund­art Orlovka-Kartal Schichten in einer Tiefe von 2,8 bis l ,8 m. Diese erwiesen si c h einer auJ3erst reichhaltigen Besiedlungsperiode zugehorig. Eine ausfuhrliche Dar­stellung der Forschungsergebnisse kann jedoch erst

4 V gl. Brujako/Subbotin/Manzura 2005, 13 ff. 5 Die Ausgrabungen der kupferze itlichen Sedimente in Orlovka-Kar­tal erfolgten vom 30. Ju li bis 26. August 2007 und vom 04. bis 31 . August 2008. Vorangehend wurden die aufl iegenden Schichten von den Kellegen aus Odessa untersucht, wodurch auch ein freier Zu­gang zu den Oberresten der kupferze itlichen Siedlung gegeben war.

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Abb. 3. Orlovka-Kartal 2008: Obersichtsplan der Grabungs­flache der Cernavoda l-Siedlung.

nach Eingang aller Resultate unserer interdisziplinar angelegten Studien gewagt werden. Die im Folgendem vorgesteliten Schlussfolgerungen basieren auf den bis­her angefertigten Materialanalysen (vor allem aus dem Grabungsjahr 2007) und sind daher nur vorlaufigen Charakters. Innerhalb der relativ machtigen und kompakten Cemavoda 1-Sedimente lassen sich keine geomorpho­logischen Unterschiede erkennen. Betrachtet man je­doch die Differenzen in den Siedlungseinrichtungen und in der Materialtypologie, so lassen sich in der Entwicklung der Siedlung zwei chronologische Pha­sen unterscheiden: Die altere Phase (Horizont Ib l)

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umfasst eine durch den Befestigungsgraben geschiitzte Wohnfl.ache nahe des Ostfuf3es des oberen Plateaus und eine Wirtschaftzone, die auf3erhalb dieses geschiitzten Areals liegt. Der spatere Horizont (lb2) wird vor allem durch einige iiber einem aufgeschiitteten Schutzgraben errichtete Hauser und ihre Einrichtungen gepragt. Der angesprochene Verteidigungsgraben wurde in den bisherigen Untersuchungen au f einer Gesamtlan­ge von 22 m erforscht, wovon 7 m in unserer diesjah­rigen Grabungen hinzu kamen. Der Graben wies ein trapezformiges Profil und eine Tiefe von 3,5 m - ge­rechnet ab der ehemaligen Oberflache - auf. Seine Breite reichte von 60 cm am Boden bis zu 3 m an der Oberkante (Abb. 3; 4). Die Grabenfiillung bestand aus mehreren Verfiillschichten unterschiedlicher Konsis­tenz, die Keramik, Werkzeuge, Tierknochen und an­dere Kulturreste bargen. Mit diesem Graben wurde in der frUhen Cernavoda 1-Phase das Siedlungsgebiet vom offenen Feld abgetrennt und geschUtzt. In der weiteren Entwicklung verlor der Graben seine Yer­teidigungsfunktion und wurde zugeschlittet. In den Grabungen des Jahres 2008 konnte er detailliert un­tersucht werden, wobei alle Funde dreidimensional erfasst und dokumentiert wurden. Auf dieser soliden Grundlage konnte sowohl die Aufflillung des Grabens nachvollzogen werden, und wie es nun auch moglich war, Rlickschllisse auf die Organisation der Siedlung zu ziehen . Etwa 6-7 m ostlich des Schutzgrabens befand sich der erwahnte Produktionskomplex, der aus sieben Ofen und vier runden Gruben bestand (Ofen 1-7; Gruben 42, 44, 53 , 55 ; Abb. 3). Die Lehmwande und Boden dieser ein­kamrnerigen ovalen Ofen wiesen Brandspuren auf. Sie waren mit Scllerben und anderen Abfållen verfullt, was darauf hindeutet, dass si e nach ihrer primaren Nutzung ais Abfallgruben dienten . In der Spatphase breitete sich das Wohnareal der Cemavoda I-Siedlung auch im Ge­biet auf3erhalb des Grabens aus, wie es die i.iber dem zugeschlitteten Schutzgraben gebauten Hauser dieser Phase beweisen. Bisher konnten Boden mit Feuerstel­len sowie die Uberreste von abgebrmmten Lehmwan-

Abb. 4. Orlovka-Kartal 2008: Profil des Schutzgrabens.

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Abb. 5. Orlovka-Kai1al: Cemavoda I-Kultur.

den von zwei soleher Hauser freigelegt werden. Haus l wies dabei eine Flache von 7 x 3,5 m bzw. ca.24m2 auf, wahrend Haus 2 ca. l 0,5 x 4 m mal3 und eine Flache von 45 m2 einnalun. Dieser Phase konnten noch einige runde Gruben unterschiedlicher Gr613en und Tiefen, die west­lich und ostlich vom Graben lagen, zugeordnet werden (Gruben 26, 29, 51 , 56, 60; Ab b. 3).

Die meisten Funde der Cernavoda I-Kultur wurden im Schutzgraben, in den Hausern und in der Nahe der Hauser geborgen. Dabei handelte es sich vor allem um Keramikscherben und weitere Erzeugnisse aus Ton sowie um Utensilien aus Knochen und Ge­weih. Feuersteingegenstande und Gerate aus ande­rem Gestein gab es kaum. Aus Knochen und Geweih

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Abb. 6. Orlovka-Kartal: Cernavoda I-Kultur.

wurden verschiedene Bohrer, Pfrierne, Nadeln , klei­ne Schaufeln, Backen usw. angefertigt (Abb. 5, 1- 6) . Hammeraxte aus Hirschgeweih mogen auch ais Waf­fen gedient haben (Abb. 5,10). Freigelegt wurden

auJ3erdem zwei Dolehktingen aus Kupfer in Form langlieher Dreiecke (v gl. Ab b. 5, 7) , e in kupfem er Pfriem sowie eine eingewickelte Griffverschalung (Abb. 5,8.9).

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Abb. 7. Orlovka-Kartal: Cernavoda I-Kultur.

Im Keramikrepertoire lassen sich zwei technologische Kategorien erkennen. Der ersten ist die grobe Kiichen­keramik, der zweiten die feine Tischkeramik zuzurech-

nen. Innerhalb der ersten Kategorie kommen meist Gefå/3e mit Muschelmagerung und Schnur- oder Stem­pelverzierung vor (Abb. 6). Die Gefål3oberftachen sind

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Abb. 8. Orlovka-Kartal : Cernavoda I-Kultur (Phase Il).

relativ flach, oft leicht geglattet. Die zweite Kategorie wies GefåBe aus fein gemagertern Ton mit gut bearbei­teten Oberflachen auf. Bei der Tischkeramik kommen Verzierungen seJtener vor ais in der ersten Kategorie. Dabei handelt es sich iiberwiegend um plastische Ap­plikationen, Eindri1cke und Einritzungen. Das Formen­repertoire bestand aus verschiedenartigen Topfen und Schiisseln (Abb. 7). In der zweiten Siedlungsphase tauchte eine neue Keramikgruppe innerhalb der Kate­gorie der TischgefåBe auf. Dabei handelt es sich um fein bearbeitete und bemalte GefåBe des Typs 'Spattri­polje' (Tripolje Cl) und ' Friihusatovo ' (Tripolje y 1/2; Abb. 8) . Unabhangig von den benannten Kategorien

und Entwicklungsphasen wiesen alle GefåBe stets flache Boden aup;. Im Rahmen der Tonware kommen auBerdem zahl­reiche bikonische oder segmentierte Spinnwirtel vor (Abb. 5,14.15). Einige der Wirtel weisen Radformen auf, wie sie auch von den zeitgleichen Wagenmodel­len mit plastisch gefonnter Nabe bekannt sind (Abb. 5, 16). Weiterhin erscheinen au c h gro B e zylindrische Gewichte (Abb. 5,13). Zwei Bruchstiicke von Tonfigu­rinen, die eine in typischer Cernavoda I-Manier stili­sierte weibliche Figur in sitzender Position darstellen

6 Zur allgemeinen Typologie der Cernavoda l-Kultur siehe Manzura 1999.

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Abb. 9. Orlovka-Kartal 2008: geomagnetische Prospektion im Nekropolenbereich.

(Ab b. 5, 11.12), et-wiesen si c h al s se l tene Zeugnisse des geistigen Lebens der Siedlungsbewohner.

2.2 Vorlihifige archiiobotanische Ergebnisse

Botanische Proben wurden ab 2007 systematisch ge­borgen, fiir weitere fachliche Bearbeitungen aufbe­reitet und z. T. bereits untersucht. Vor Ott fand eine SchHimmung der Proben zwecks Trennung verkohlter bataniseher Reste von Erde mittels einfacher Wasser­flotation statt. Die Votumina der Bodenproben betru­gen in Abhangigkeit zu den archaologischen Befunden zwischen 15 und 30 l. Im archaobotanischen Labor des DAl in Berlin konnten bislang unter Leitung von R. Neef die Proben der 2007er Kampagne analysiert wer­den . Si e stammen vor allem aus dem Herdstellenbereich des Hauses Nr. l. Zwischen dem Zerstorungsschutt dieses Gebaudes fanden sich auBerdem noch mehrere und jeweils einzeln untersuchte Aschekonzentrationen mit gut erhaltenem verkohltem botanischem Material. Im Holzkohlematerial von Orlovka-Kartal lieB sich Eiche - Stiel-Eiche (Quercus robur) - am haufigsten nachweisen. Weitere identifiziette Eaumatten waren Ulmen-Arten (U/mus spp.), welche vermutlich zu j ener Zeit die Hartholz-Auenwalder des unteren Donauge­biets dominierten. Eichen liefem ausgezeichnetes und

lange haltbares Konstruktionsholz. Dieses ist schwer, sehr bart, druckfest, abhangig von der Eichen-Att mehr oder minder gut spaltbar und zuletzt hervoiTa­gend zu bearbeiten. Die Analysen der Holzkohlenreste sind allerdings noch nicht abgeschlossen. Im batanisehen Material aus Orlovka-Kmtal konnten einige Oben·este wilder Obstbaume und Straucher nachgewiesen werden, wie etwa die Kornelkirsche (Connts mas). Diese wachst verstarkt bei oder nach menschlichen Eingriffen in den Wald, die zum Ent­stehen von Lichtungen fuhren , wie etwa (Brand-)Ro­dun gen oder Waldweide. Frlichte der Kornelkirseile lassen sich zu Brei , Saft oder KonfitUre verarbeiten. In Orlovka-Kattal konnten sie ebenso als Trockenobst gelagert worden sein. Eine weitere vor Ort nachgewiesene Pflanze ist der Zwerg-Holunder (Sambucus ebulus) . Dieser bevorzugt nahrstoffreiche Boden und ist Teit der meh1jalu·igen Ruderalvegetation, die beispielsweise auf Brachen und Waldlichtungen entstehen kann. Ihre schwach gif­tigen Beeren werden in der Volksmedizin eingesetzt und dienen ferner dem Farben von Leder, Haaren und Textilien. Dari.iber hinaus gab es in den Proben einige wenige Fragmente von Eicheln (Quercus spp.) , die in der Schweinemast, aber auch als menschliche Nahrung gedient haben mogen .

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Als Kulturpflanzen wurden in Orlovka-Kartal Getrei­dearten wie bspw. die Spelzweizen Einkorn (Triticum monococcum) und Emmer (Triticum dicoccum) sowie kompakter Naektweizen (Triticum aestivum-compac­tum) naehgewiesen. Es gab femer einige Samen von kultivieriem Leinen/Flaehs. Diese Pflanze wird zur Faser- und/oder digewinnung eingesetzt. Auffållig ist das vollige Fehlen von Gerste und Hi.ilsenfri.iehten im Material, was vernmtlieh auf die noeh relativ geringe Probenzahl zuri.iekzufi.ihren ist.

2.3 Archiiozoologische Untersuchungen

Das arehaozoologisehe Material wurde wie vorange­hend in den Jahren 2007 und 2008 von der Grabungs­mannsehaft systematiseh gesammelt und flir weitere Untersuehungen aufbereitet. Die Analysen erfolgten ansehlieBend im Zoologisehen Institut der Universitat Odessa unter der Leitung von E. P. Sekerskaja. Zahl­reiehe Tierknoehen konnten freigelegt und identifiziert werden, die zumeist von Haustieren und Fisehen stam­men. Zu den Wildtieren reehnen Edelhirsehe, Sehild­kroten und Vogel. Ein vorlaufiges Ergebnis bisheriger arehaozoologiseher Untersuehungen taBt sieh fur den 2008 untersuehten Grabenbereieh ziehen. Aus jenem Befund, der als einer der aufsehlussreiehsten Fund­komplexe der Cemavoda I-Kultur bezeiehnet werden kann, wurden 2090 Tierknoehen geborgen. Diese set­zen sieh i.iberwiegend aus Sehaf und Ziege (n = 681 bzw. 32,5 %), Rind (n= 663 bzw. 31,7 %), Fiseh (n= 248 bzw. 11 ,8 %) und anderen Haus- und Wildtierarten zusammen.

2.4 Geophysikalische Prospektionen in Orlov/w-Kartal undKosmy

Geophysikalisehe Prospektionen fand vom 28. Marz 2008 bis zum 04. April 2008 in Orlovka-Kartal und Kosary statt. Sie hatten das Ziel, arehaologiseh re­levante Bereiehe genauer zu lokalisieren. In Orlov­ka-Kartal wurde das Gebiet des Graberfeldes und in Kosar-y die Siedlungsflaehe und das dazugehorige Gra­berfeld untersueht. Die Prospektion wurde mit einem Fluxgate-Gradiometer durehgeflihrt (Typ Bartington Grad 601). Die Messungen erfolgten in einem lokalen System mit einem Taehymeter (Typ Leiea TCR 407). Dabei wurden 20 x 20 m groBe Grids ausgesteekt, die als Messgrundlage dienten. In Orlovka-Katial wurde eine Flaehe von 2000 m2 un­tersueht (Abb. 9). Die gesamte nordliehe Halfie der Messflaehe konnte jedoeh nieht ausgewertet werden, da in jenem Bereieh starke geomagnetisehe Anoma­lien auftraten (Abb. 9, blau umrahmter Bereieh). Diese StOrungen sind dem Bausehutt einer sieh hier ehemals befindliehen Kolchose gesehuldet. Aueh im auBersten Si.idwesten maehte sieh eine groBe Storung im Ma­gnetbild bemerkbar. Als moglieherweise nieht natUr­liehen Ursprungs konnten 16 Anomalien mit jeweils einer GroBe von etwa 2 x 2 m in einem Bereieh von

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Ab b. l O. Kosary 2008: Geophysikalisehe Prospektion.

ea. 30 x 50 m in der Mitte des ungestOtten Bereiehs gedeutet werden (Abb. 9, rot umrahmter Bereieh). Ob es sieh hier tatsaehlieh um arehaologisehe Strukturen handelt, kotmen n ur zuki.inftige Ausgrabungen endgUl­tig klaren. In Kosat-y lieBen sieh im Magnetogramm keine areha­ologisehen Strukturen erkennen. Im Osten der Flaehe zeigt sieh vermutlieh eine Erosionsriane als 5 m breite positive Anamalie (Abb. l O, b Iau umrahmter Bereieh). Diese zieht sieh einmal quer dureh den Messbereieh. Daneben sind noeh weitere gesehwungen verlaufende Anomalien zu erkennen. Bei diesen seheint es sieh um alte Traktorspnren zu handeln (Abb. 10). Das Fehlen von als arehaologiseh zu dentenden Strukturen in­nerhalb einer Flaehe mit vergleiehsweise zahlreiehen Oberflaehenfunden lasst sieh als eine Folge der gerin­gen magnetisehen Kantraste zwisehen Untergrund und arehaologiseh retevanten Spuren deuten. Åhnlieh verbalt es si e h a uf dem Graberfeld. Dort wurde eine nur im arehaologisehen Kontext interpretierbare

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Abb. Il . Transgressionsterrassen am Landengen des Berezanskij Liman.

Anomali e festgeste llt (Abb. l O, roter Punkt) . Da diese Anomalie nur einige Meter von einem vorher freige­legten Grab entfemt lag, ist davon auszugehen, dass es sieh dabei um eine weitere Bestattung handelt

2.4 Geoarchiiologische Prospektionen in Tiligulskij und Berezanskij Liman ijujv

Ein Haupteharakteristikum der nordliehen Sehwarz­meerkuste sind zahlreiehe, an Seen erinnemde Wasser­fHiehen, die sog. 'Li mane' (abgeleitet vom grieeh./ttirk. A:flll'Iv/liman = Hafen). Bei ihnen handelt es sich um uberflutete Mundungstater heutiger oder einstiger Flus­se, die infolge des holozanen Meeresspiegelanstiegs entstanden. Die Oszillationen des Meeresspiegels bzw. der Weehsel transgressiver und regressiver Phasen lieJ3 Nehrungen entstehen, die als Kiistenlinien die Limane vom Meer trennen. Die Mehrzahl der Limane sind im Steppengebiet zwisehen Donau und Dnester anzutref­fen7. Die besehriebenen holozanen Formationen erwiesen sieh aueh fiir unsere Untersuehung als besonders wich­tig, da die sieh an ihren steilen Ufem befindliehen Ter-

7 V gl. Konikov 2007,405 ff.

rassen gunstige Siedlungsbedingungen boten und wah­rend des 4. Jahrtausends haufig aufgesueht wurden. So entstanden die bedeuteudsten Siedlungen der Usatovo­Kultur- Majaki und Usatovo selbst - am Dnestrovskij und am Hadzibejskij Liman. Daruber hinaus weisen diese ungewohnliehen geomorphologisehen Forma­tionen vielerlei geologisehe Elemente auf, die Mee­resspiegelsehwankungen belegen und somit aueh die Rekonstruktion der prahistorisehen Umwelt ermogli­ehen. Innerhalb unseres Forsehungsprojekts sind bisher zwei Limane prospektiert worden: Tiligulskij (l 0.- 11. No­vember 2007 und 03.-05 . April 2008) und Berezans­kij (03 .-04. September 2008). Ti ligulskij Lirnan liegt ea. 50 km ostlieh von Odessa und stellt die uberflutete Mundung des FluJ3es Tiligul dar. Dieser Liman bildet einen ea. 30 km langen und bis zu2 km breiten SiiJ3was­sersee, den eine relativ breite Nehrung vom Sehwarzen Meer trennt. Sudlieh des Lirnan- in ea. l km Luftlinie von der Meereskuste entfernt - befand sieh eine alt­grieehisehe Siedlung aus hellenistiseher Zeit, die die Kollegen des Museums Odessa sehon sein mehreren Jahren untersuehen8

. Dabei wurden unter den hellenis-

8 Symonovic 1964; Redina/Papuci-Wladyko 2003 .

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50 100 150 200

Abb. 12. Kosm-y 2008: Lage der Siedlung (l) und der ver­muteten Siedlungsnekropole (Il).

tischen Schichten auch zwei fri.ihkupferzeitliche Gra­ber vom Typ 'Zeptertrager' freigelegt9. Bei der Gelandebegehung im November 2007 konnten auf dem ca. einen Kilometer nordlich gelegenen Spom 'Zmejnaja Balka' und in den umliegenden Ten·assen Oberflachenfunde gesammelt werden, die typologische Charakteristika der Fri.ihusatovo-Kultur bzw. der fri.ihen Bronzezeit des Steppengehiets aufwiesen. Die topogra­phische Position wies auf eine Siedlungsstelle hin, was sich in weiteren Untersuchungen auch bestatigte. Zusammen mit den Kollegen der Technischen Univer­sitat Odessa konnten wir im April 2008 die zwischen dem Lirnan und dem Meer gelegene Landenge bege­hen. Dabei fielen uns mehrere ehemalige Meeresterras­sen auf, bei denen es sich moglicherweise um Spuren holozaner Meerestransgressionen handelt Der Berezanskij Lirnan liegt ca. l O km ostlich von Ti­ligulskij und stellt einen l O km langen und bis zu 3 km breiten Mi.indungsbereich mehrerer kleiner Filisse dar. Die schmale Landenge Lagemaja teilt den Lirnan nur teilweise vom Meer, so dass im vorderen Limanbe­reich ein erhohter Salzgehalt herrscht. Im September des Jahres konnten an der Berezansakaja- und Lager­naja-Zunge dieses Limans alte Meeresterrassen mit deutlichen Spuren der holozanen Transgressionen er­kannt werden (Ab b. Il) . Diese beiden Stellen di.irften daher fi.ir geologische Untersuchungen gut geeignet se in 10• Mit einerBohrung innerhalb der alten Terrassen dieses Gebiets konnten die Transgressionsphasen chro­nologisch prazisiert und die Klima- und Umweltbedin­gungen im mittieren Holozan geklati werden, womit

9 Ivanova u. a. 2004.

'"V gl. Konikov 2007.

69

Abb. 13 . Kosary 2008: Funde aus der Sondage 2.

eine Grundlage fur eine archaogeographische Rekons­truktion gegeben ware. Diese Untersuchungen sind fur 2009 geplant.

2.5 Probegrabungen in Kosary

Die im Rahmen der Prospektionen des Tiligulskij Li­man erfasste urgeschichtliche Siedlung befand sich am Spom Zmejnaja Balka, an der Westkante der ersten Limanterrasse, ca. 3 km si.idlich der Ortschaft Kosary. Die sporuartige Terrasse erhebt sich 11-12 m i.iber eine flache Niederung, die nach etwa 200m in nord­ostlieher Richtung in den Limansee iibergeht. Die Terrasse ist an ihrer NO-Seite durch eine Rinne vom umliegenden Gebiet getrennt und geschiitzt, wahrend die SW-Seite allmahlich in ein breites, heute unter den Pflug genommenes Feld iibergeht. Siidlich dieser Terrasse, wiederum durch eine Rinne getrennt, lag die bereits festgestelite urgeschichtliche Nekropole (Abb. 12). Die Oberflachenfunde waren sowohl innerhalb des Brachlandes der Siedlungsterrasse als auch im umlie­genden beackerten Feld verstreut. Eine Probegrabung fand hier vom 02.-15. September 2008 statt. A uf der Terrasse wurden drei Sondagen mit einer Gesamt­flache von36m2 durchgefuhrt (Abb. 12). Archaologische F unde konnten nur in der am nordwestlichen Bereich der Terrasse angelegten Sondage Nr. 2 entdeckt werden. In den oberen 20 cm befand sich moderne Humusschicht, und darunter lag bis zu einer Tiefe von 70 cm eine unge­starte, dunkelgraue und lehmige Kulturschicht. In diesem Sediment konnten zahlreiche Scherben und Tierknoellen freigelegt werden. Dari.iber hinaus gab es Feuersteinab­schlage und eine retuschierte Feuersteinklinge (Abb. 13 ,3). Die geborgenen Scherben weisen EJemente der Friihusatovo-Kultur auf, dies sind insbesondere gestem­pelte Zieren tmd Schnurverzierungen (Abb. 13,1.5; vgl. dazu Abb. 7,1.2.4.7. 14). Zum Keramikrepertoire zahlen auBerdem noch einige eigenstandige und bisher unbe­kannte Verzierungselemente (Abb. 13,2.4.6), so dass hier moglicherweise eine bisher tmbekannte Variante der Steppenfriihbronzezeit vorliegt. Eine Datierung der Siedlung in die zweite Halfie des 4. oder in das 3. Jahr­tausend ist wahrscheinlich. Eine prazise chronologische

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70

Ab b. 14. Purkari , Grab l 0: Gefål3 der Usatovo-Kulh1r.

und kultw·elle Zuordnung des Fundmies ist anhand des gesanunelten Materials jedoch noch nicht moglich. Daftir sind weitere archii.ologische Untersuchungen innerhalb der Siedlungstenasse und vor allem im als Nekropole angesprochenen Bereich, in dem urgeschichtliche Bestat­tungen bereits nachgewiesen wurden, notwendig.

2. 6 Erstellung e in es Fundkatalogs der Cernavoda 1- und Usatovo-Kultur

Ein weiterer Arbeitsschritt umfasste eine einheitliche und qualitativ hochwetiige Ze ichnungs- und Fotodo­kumentation von Grab- und Siedlungsfunden, die in archii.ologischen Institutionen in der Republik Moldau und der Ukraine verwahti werden. Die Materialaufnah­men wurden im Archii.ologischen Institut Kiev und in den archii.ologischen Museen in Kisinev und Tiraspol durchgefuhrt, wobei archii.ologisches Material aus 25 Nekropo len und zwei Siedlungen erfasst wurde (Abb. l ). 15 Nekropolen der Cernavoda I-Kultur 11 sowie 14 Nekropolen und zwei Siedlungen der Usatovo-Kultur12

konnten vollstii.ndig bearbeitet werden . Das im Areha­o logisehen Institut in Kiev deponierte Material der zur Usatovo-Kultur rechnenden Siedlungen Majaki sowie jenes des eponymen Fundplatzes Usatovo selbst, wur­de e ben so aufgenommen. A uf diesem W eg wurden i ns­ges amt 2360 Fotos und 420 Zeichnungen nach dem in Abb. 14 illustrierten Muster angeferiigt.

2. 7 Radiokarbondatierungen

Aus den Cernavoda I-zeitlichen Kulturschichten der Siedlung Orlovka-Kmial wurden bislang acht 14C Pro-

11 Orlovka-Kartal, Kamenka, Gavanoasa, Sarata, Taraklij a, Kazakli­ja, Svetli , Sarateni , Tokile Radukanu, Talmaz, Korzova, Krasnoe, Roskan i, Speja, Grigoriopol. 12 Ze ltij J ar, Kamenka, Tarakl ij a, Kazaklija, Danku, Purkari , Roskan i, Speja, Bursuceni , Grigoriovka, N ikolskoe, Krasnoe, Raskaeci, Olanesti.

ben entnommen. Es handelt sich um Knochen von Rind- bzw. Schaf/Z iege. Die Proben wiesen Votumina zwischen 106 und 500 g auf, sie konnten mittels klas­sischer Radiokarbon-Verfahren datiert werden. Drei Proben stammen aus Sedimentender ii.lteren Sied­lungsphase. Sie fie len erst jiingst in der 2008er Kam­pagne an und konnten daher noch nicht untersucht werden. Die ftinf iibrigen Proben wurden im Friihjahr 2008 dem Institut fi.ir Umweltphysik der Universitii.t Heidelberg zur Radiokarbondatierung iibergeben. Die­se stammen aus den in den Jahren 2001 , 2002 und 2007 untersuchten jUngeren Sedimenten der Cernavoda I­Siedlung. Bislang liegen Ergebnisse von drei Proben vor, die fi.ir diese Siedlungsphase eine Zeitspanne vom 3695- 3345 v. Chr. umfassen . Au s den i m Archii.ologischen Institut in Kiev lagemden Pferdeknocben der Usatovo-Siedlung in Majaki kann­ten fi.inf Radiokarbonproben selektieti werden. Ihre Datierung erfolgte im Poznat1 Radiocarbon Labaratory undergab die Zeitspane 3621-3147 v. Cbr. 13 Aus den Grii.bern der Usatovo-Kultur in Bursuceni und Grigo­riovka, die im Archii.ologischen MuseLun in Tiraspol (Moldau) deponiert sind, stammen vier weitere, im Heidelberger Institut fi.ir Umweltphysik radiokarbon­datierte Proben. Sie ergaben einen Zeitraum, der von 3360 bis 2925 v. Chr. reicbt.

3. Zusammenfassung der Ergebnisse und offene Fragen

Die bisher erzielten archii.ologiscben und naturwissen­schaftlichen Ergebnisse erbrachten eine Vielzahl neu­er und bedeutsamer Daten, die es erstmalig erlauben, die kulturhistorische Entwicklung des nordwestlichen

13 Die Datierungen aus Majaki stell te uns freundlicherweise N. Benecke zur Verfligung, woftir w ir ih m an di eser Stelle herzli ch dan­ken.

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