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NetzWerke Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzlens 1 GUNLFS.FREYEUTH Die Geschichte menschlichen Lebens deckt sich in weiten Teilen mit einer - noch zu schreibenden- Gescchte der Veetzung. Zwei prägende Varianten lassen sich unterscheiden: biologische und kulturelle Veetzung. Erste Netz- werke des Lebens bildeten sich, als Moleküle "the chemical circuitry of life" formten und Zellen sich zu immer komplexeren Organismen veetzten, "which collaborated to form ecosystems and societies of primates that now call themselves humans." 2 Irdisches Leben besteht so seit Milliarden von Jah- ren aus veetzten Molekülen und ist zugleich Teil sozio-bialogischer Netz- werke, insbesondere sexueller Aktivitäten und der Übertragung von Krankhei- ten. Dieser konstante biologische Austausch wird bis heute befördert von der zweiten Variante der Veetzung, den techno-kulturell produzierten Netzwer- ken von Transport und Kommunikation. Sie entstanden als Reaktion auf exis- tentielle Bedürfnisse unserer humanoiden Vorfahren. Wasser, Naluung und Matetialien zur Fertigung von Kleidung, Werkzeu- gen und Waffen fanden sich nicht immer dort, wo es sich sicher und komfor- tabel wohnen ließ. Neue Wege des Transports und der Kommunikation zu or- ganisieren, erleichterte das (Über-)Leben. Von den Wassersystemen der ägyp- tischen Frhzeit zum modeen Stromnetz, vom cursus publicus des Römi- schen Reichs zu den Eisenba- und Autobahnnetzen der industtiellen Epo- che, von dem die antike Welt umspannenden Netzwerk zw- Versorgung des röschen Kolosseums mit wilden Tieren und anderen Unterhaltungs- Sensationen zu nationalen und inteationalen TV-Networks und in jüngster Zeit zu Inteet und World Wide Web: Jede Kultur prägt der zeitgenössische 1 Dieser Aufsatz geht auf eine Reihe von Vorarbeiten zurück, insbesondere auf meine Aufsätze GundolfS. Freyemmth, ,,Netzwerk", in: Gnmdbegrif e der Medientheorie, Hg. Alexander Roesler und Bemd Stiegler (Paderbom: Wilhelm Fink, 2005), 200- 209 und ,,Edges & Nodes II Cities & Nets: The History and Theories of Networks and What They Tell Us About Urbanity in the Digital Age", in: Stefan L. Brandt, Winied Fluck, und Frank Mehring, Hg., REAL- Yearbook ofResearch in English and American Literature: Transcu/tural Spaces: Challenges of Urbani, Ecolo, and the Environment in the Millennium, vol. 26 (Tübingen: Narr, 20 l 0), 55-73. 2 George Joson, "Only Connect: From Swanns of Smart Dust Secure Collabora- tive Zones, the Omninet Comes to You", Wired, Januar 2000, 8.01 <http:/ lw. wired.cowired/archi ve18.0 1 /nets r.html>.
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NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

May 12, 2023

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Ralph Krüger
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Page 1: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

NetzWerke

Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzaumlhlens1

GUNDOLFSFREYERMUTH

Die Geschichte menschlichen Lebens deckt sich in weiten Teilen mit einer -noch zu schreibenden- Geschichte der Vernetzung Zwei praumlgende Varianten lassen sich unterscheiden biologische und kulturelle Vernetzung Erste Netzshywerke des Lebens bildeten sich als Molekuumlle the chemical circuitry of life formten und Zellen sich zu immer komplexeren Organismen vernetzten which collaborated to form ecosystems and societies of primates that now call themselves humans2 Irdisches Leben besteht so seit Milliarden von Jahshyren aus vernetzten Molekuumllen und ist zugleich Teil sozio-bialogischer Netzshywerke insbesondere sexueller Aktivitaumlten und der Uumlbertragung von Krankheishyten Dieser konstante biologische Austausch wird bis heute befoumlrdert von der zweiten Variante der Vernetzung den techno-kulturell produzierten Netzwershyken von Transport und Kommunikation Sie entstanden als Reaktion auf exisshytentielle Beduumlrfnisse unserer humanoiden Vorfahren

Wasser Naluung und Matetialien zur Fertigung von Kleidung Werkzeushygen und Waffen fanden sich nicht immer dort wo es sich sicher und komforshytabel wohnen lieszlig Neue Wege des Transports und der Kommunikation zu orshyganisieren erleichterte das (Uumlber-)Leben Von den Wassersystemen der aumlgypshytischen Friihzeit zum modernen Stromnetz vom cursus publicus des Roumlmishyschen Reichs zu den Eisenbahn- und Autobahnnetzen der industtiellen Eposhyche von dem die antike Welt umspannenden Netzwerk zw- Versorgung des roumlmischen Kolosseums mit wilden Tieren und anderen UnterhaltungsshySensationen zu nationalen und internationalen TV-Networks und in juumlngster Zeit zu Internet und World Wide Web Jede Kultur praumlgt der zeitgenoumlssische

1 Dieser Aufsatz geht auf eine Reihe von Vorarbeiten zuruumlck insbesondere auf meine

Aufsaumltze GundolfS Freyemmth Netzwerk in Gnmdbegriffe der Medientheorie Hg Alexander Roesler und Bemd Stiegler (Paderbom Wilhelm Fink 2005) 200-

209 und Edges amp Nodes II Cities amp Nets The History and Theories of Networks

and What They Tell Us About Urbanity in the Digital Age in Stefan L Brandt

Winfried Fluck und Frank Mehring Hg REAL- Yearbook of Research in English

and American Literature Transcutural Spaces Challenges of Urbanity Ecology

and the Environment in the New Millennium vol 26 (Tuumlbingen Narr 20 l 0) 55-73

2 George Johnson Only Connect From Swanns of Smart Dust to Secure Collaborashy

tive Zones the Omninet Comes to You Wired Januar 2000 801

lthttp lwww wiredcornwiredarchi ve180 1 nets _prhtmlgt

gundolffreyermuth
Typewritten Text
gundolffreyermuth
Typewritten Text
In Medieninnovationen Internet Serious Games TV Hg von Philipp Wolf Leipzig Leipziger Universitaumltsverlag 2013 S 105-150
gundolffreyermuth
Typewritten Text
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106 Gundolf S Freyennuth

Entwicklungsstand der Netzwerke des Transports und der Kommunikation

sowie die Art und Weise des Gebrauchs den einzelne Gesellschaften von den jeweils zur Verfuumlgung stehenden Technologien machen

Zentral waren dafuumlr seit den Anfaumlngen der Zivilisation SiedlungszentrenshyDoumlrfer Staumldte Metropolen und in ihnen wiederum besondere Knotenpunkte sozialer oumlkonomischer und kultureller Begegnungen wie Marktplaumltze Haumlfen Kultstaumltten Boumlrsen Kneipen und Kaffeehaumluser An ihnen wurden und werden Guumlter und Gene Neuigkeiten und Meme umgeschlagen Schon fruumlh fungiershyten Staumldte daruumlber hinaus nicht nur als privilegierte Knoten regionaler uumlberreshygionaler und sogar globaler Netzwerke Sie entwickelten auch waumlhrend sie

groumlszliger und groumlszliger wurden innerhalb ihrer Mauem eigene Netzwerke materishyelle wie Trink- und Abwassersysteme und immaterielle wie oumlkonomische und kulturelle soziale und sexuelle Beziehungsgeflechte

So einflussreich diese biologische und kulturelle Vernetzung war der menschlichen Wahrnehmung und Reflexion blieb sie lange verschlossen- unshysichtbar wie die Luft die wir atmen Antike und Mittelalter besaszligen wenig theoretisches Bewusstsein von der Vielzahl vemetzter Aktivitaumlten Erst in der Aufklaumlrung begann man ihre praumlgende Funktion fuumlr das soziale und kulturelle Leben zu erkennen und auch eine erste mathematische Netzwerk-Theorie zu fonnulieren die Graphentheorie (1736) Um die Mitte des 20 Jahrhunderts gelang dann mit der Theorie zufaumllliger Graphen (1959) die Erklaumlrung kompleshyxerer industrieller Netzwerke ln den vergangeneo zwei Jahrzehnten schlieszligshylich seit die Forschung mit der Durchsetzung digitaler Netzwerke Zugang zu groumlszligeren und zuverlaumlssigen Datenmengen erhielt gelangen Erkenntnisfortshyschritte die es ermoumlglichen mehr und mehr der biologischen und kulturellen Netzwerke zu analysieren und zu verstehen die unsere Existenz so weitgeshyhend praumlgen Die mit der Digitalisierung entstandene Netzwerk-Theorie beanshysprucht denn auch einen common blueprint gefunden zu haben der houmlchst unterschiedlichen Netzwerken gemeinsam sei etwa der Nahrungskette und der Vemetzung der Molekuumlle in lebenden Zellen den Netzwerken der natuumlrlichen Sprachen und dem World Wide Web oumlkonomischen Systemen und der neuronalen Vemetzung in menschlichen Gehimen3

In diesem Essay werde ich mich allerdings nicht generell mit der Geshyschichte und den Theorien der Vemetzung auseinandersetzen sondern auf die

Frage konzentrieren wie in der westlichen Neuzeit Fortschritte der Vemetshy

zung die Herstellung und den Wandel von Oumlffentlichkeit und speziell die Entwicklung der audiovisuellen Medien und Kuumlnste fonnten Dabei werde ich

3 Albert-Laszlo Barabasi Linked How Eve1ything is Connected to Everything Else

and What it Means for Business Science and Everyday Life (New York Plume

2003) 6f

NetzWerke 1 07

darstellen dass wir heute in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche die Fortsetshyzung kultureller Prozesse erleben die zur Zeit der Renaissance mit der Meshychanisierung begannen und sich mit Aufklaumlrung und Industrialisierung intenshysivierten Den historischen Fluchtpunkt meiner Uumlberlegungen bildet dabei die Durchsetzung digitaler Netzwerke und in ihrem Gefolge die Emergenz einer hybriden - teils materiellen teils virtuellen - Kultur Sie veraumlndert erneut das

Leben in den kulturellen Zentren von Grund auf und ebenso dessen dokumenshytarische tmd fiktionale Verarbeitung in den audiovisuellen Medien und Kuumlnsshyten

Die Wechselbeziehung zwischen dem historischen Stand der Vemetzung und dem kulturellen Leben innerhalb der drei neuzeitlichen Epochen werde ich in jeweils fuumlnf Schritten analysieren Im ersten skizziere ich das Entstehen einer neuen Kultur - der mechanischen der industriellen der digitalen - aus technologischen und sozialen Veraumlnderungen im zweiten beschreibe ich die vorherrschenden Vernetzungspraktiken im dritten die Praktiken audiovisueller

Medienproduktion Dabei demonstriere ich die starke Interdependenz zwishyschen den Prinzipien der Vemetzung und denen audiovisueller Narration das heiszligt zwischen dem kulturellen Leben in den zivilisatorischen Zentren und seiner Erzaumlhlung oder richtiger seiner audiovisuellen Repraumlsentation und Ktishytik Im vierten Schritt untersuche ich die zeitgenoumlssischen Netzwerk-Theorien

das heiszligt die Wahrnehmung und theoretische Reflexion der kulturell praumlgenshyden Vemetzungspraktiken im fuumlnften die Konsequenzen dieser technologishyschen und kulturellen Voraussetzungen fuumlr das oumlffentliche Leben das heiszligt die Ausbildung unterschiedlich strukturierter Oumlffentlichkeiten

I Audiovisuelle Kultur im Zeitalter mechanischer Vemetzung

I Mechanisierung

Was wir die Renaissance nennen verdankt sich der Wiederentdeckung bzw dem Re-Import des- im christlichen Europa nahezu verlorenen- Wissens der Antike eines schriftlich tradierten theoretischen Wissens der Philosophen und Naturwissenschaftler und seiner fruchtbaren Verbindung mit dem im Laufe des Mittelalters akkumulierten handwerklichen Wissen primaumlr muumlndlich trashydierten praktischen Kenntnissen und Verfahrensweisen 4 Ein wesentliches Re-

4 Die Darstellung des Prozesses der Mechanisierung folgt Siegfried Giedion Mechanization Takes Command A Contribution to Anonymaus Histmy (New York Norton 1 969) Amold Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur (Muumlnchen Beck 1967 ( 1 95 l )) Marshal l McLuhan The Gutenberg Galwy The Maldng of Typographie Man (Toronto U of Toronto P 1 962) Erwin Panofsky Renaissance and Renascences in Western Art Harper Torchbooks TB I447 (New York Harper

108 Gundolf S Freyermuth

sultat war die - durch Mathematisierung getriebene - Entwicklung mechanishy

scher Technologie von der Erfindung des Kompasses der die Seefahrt expanshydieren lieszlig bis zur Erfindung des Geriistbaus der die Architektur revolutioshynierte von der Entwicklung der Perspektivtechnik bis zur Erfindung der Drushy

ckerpresse Diese Durchsetzung mechanischer Technologie in nahezu allen Lebensbereichen initiierte das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung sowie oumlkonomische und kulturelle Nutzung dieshyser mechanischen Mittel lag Techniker und Baumeister Handwerker und Haumlndler Seeleute und Militaumlrs Kaufleute und Bankiers Geistes- und Naturshywissenschaftler Gelehrte und Kuumlnstler Uumlberwiegend lebten und arbeiteten sie in Staumldten den neuen stetig wachsenden Zentren neuzeitlicher Kultur der

Waren- und der Kunstproduktion des Handels und des Austauschs von Inshyformationen Schritt fiir Schritt wichen uumlberkommene mittelalterliche Lebensshyformen moderneren saumlkularen und aufgeklaumlrten Praktiken und Denkweisen beide wesentlich gepraumlgt vom Prozess der Mechanisierung und seinen kultushyrellen Konsequenzen

2 Vernetzung

Neue Netzwerke des Transports und der Kommunikation begannen die prosshypetierenden staumldtischen Zentren miteinander zu verbinden Der Buchhandel zum Beispiel machte bald schon an kulturellem Einfluss dem tradierten Kommunikationsnetzwerk der katholischen Kirche Konkurrenz In beiden Faumllshylen mussten physische Datenspeicher- Briefe Buumlcher- durch den Raum beshy

wegt werden Das entscheidende Kennzeichen dieser und aller anderen Netzshywerke der mechanischen Epoche war insofern dass Neuigkeiten und Waren sich dem Ptinzip nach gleich schnell verbreiteten Mediale Kommunikation basierte- in direktem Gegensatz zu den nachfolgenden Epochen- auf Transshyport Angelehnt an das populaumlre Nummerierungssystem von Softwareshy

Versionen koumlnnen wir Praktiken der Distribution von Informationen und Guumlshytern die physische Bewegung mittels biologischer oder jedenfalls natuumlrlicher Energie erfordern Vernetzung 10 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist die Identitaumlt von Transport und Kommunikation ihre wichtigste Technik ist die materielle Uumlberwindung geographischer Disshytanz durch die Uumlberwindung bzw Uumlberbruumlckung von raumlumlichen wie zeitlishychen Zwischenraumlumen

amp Row 1969) Ruggiero Romano und Albe110 Tenenti Die Grundlegung der moshy

demen Welt Spaumltmittelalter Renaissance Reformation (Frankfurt aM Hamburg Fischer-Buumlcherei 1967)

NetzWerke 109

In der mechanischen Zivilisation wie sie sich zwischen Renaissance und Autklaumltung entwickelte war Vemetzung daher technologisch auf uumlberwindbashyre Distanzen limitiert Zwar etablierten sich zu See und auf Land einige fragile Fern-Netzwerke vor allem im Kontext der Entdeckung Ausbeutung und Beshysiedlung der Neuen Welt Die durchschnittliche Distribution von Waren und Medien jedoch fand innerhalb einzelner Staumldte in ihrem naumlheren und ferneren Einzugsbereich und auch zwischen benachbarten Staumldten statt Insofern die zentrale Technik mechanischer Vemetzung die Uumlberwindung des Zwischenshyraums war der die Sender und Empfaumlnger von Waren oder Nachrichten vonshyeinander trennte wurde der Bau von Bruumlcken zur vorrangigsten technischen Leistung mechanischer Vernetzung

Denn sie erschaffen indem sie geographische Kluumlfte abdecken- Getrennshytes miteinander verbinden Distanzen eben uumlberbruumlcken- die fiir mechanishysche Vernetzung notwendige physische Kontinuitaumlt zwischen geographischen Knotenpunkten In der Konsequenz avancierten sie zu mythischen Orten emoshytional besetzten Zwischen-Raumlumen existentiellen Uumlbergangs deren Konstrukshytion und Dekonstruktion Eroberung und Verlust die Triumphe Gefahren und Fallgruben von Transport und Kommunikation in der mechanischen Epoche symbolisierte 5 Eine Bruumlcke zu uumlberqueren ist grundsaumltzlich risikobehaftet denn ihre Oberflaumlche verdeckt inuner etvas ob nun einen Abgrund einen reishyszligenden Strom oder lauemde Gegner In dieser Hinsicht stehen Bruumlcken fuumlr die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten mate1ieller Vemetzung selbst fiir die beshyschwerliche und stets gefaumlhrliche Anstrengung geographische Distanzen zu uumlberwinden die sich bei keinem Akt physischen Transpo11s vermeiden laumlsst6

3 Audiovisualitaumlt

Uumlberbruumlckung als Basisprinzip mechanischer Vemetzung- die Uumlberwindung geographischer Distanz durch deren Verdeckung - illustriert eine Anekdote

5 Besonders prominent figurieren Bruumlcken in Romanen der ersten Haumllfte des zwanshyzigsten Jahrhunderts wie Thomton Wilders The Bridge of San Luis Rey ( 1 927) oder Emest Hemingways For Whom the Bell Tolls ( 1 940) und dann in Filmen der zweishyten Jahrhw1derthaumllfte wie David Leans The Bridge on the River Kwai ( 1 957) Bemshyhard Wickis Die Bruumlcke ( 1 959) oder John Guillennins The Bridge at Remagen ( 1 969) Die International Movie Data Base fuumlhrt mehrere hundert Filme auf die das Substantiv Bruumlcke in ihrem Titel tragen

6 Diese kategorialen Bedeutung der Uumlberbruumlckung fuumlr Transport und Kommunikation in der vorindustriellen Epoche hat z B Frank Hartmann benannt Was immer fuumlr Moumlglichkeiten hier an gedacht wurden meist hatten sie damit zu tun eine technische Bruumlcke zu schlagen um eine gewisse Fernwirkung zu erzeugen Frank Hartmann Globale Medienkultur- Technik Geschichte Theorien (Wien WUV 2006) 30

110 Gundolf S Freyennuth

um den deutschen Dichter Johann Wolfgang von Goethe Als er auf seiner

Reise nach Italien die Alpen uumlberquerte soll Goethe wie vor ihm schon der

Kunsthistoriker Johann Joachim Wirrekelmann die Gardinen seiner Kutsche

zugezogen haben um sich den Anblick der endlosen ennuumldenden und potenshy

tiell gefahrliehen Weite der Natur zu ersparen Indem er so die Distanz zwishy

schen verschiedenen Knotenpunkten im zeitgenoumlssischen Transport-Netzwerk

visuell verdeckte - uumlberbruumlckte middot middot scheint sich Goethe in der Dunkelkammer

seiner Kutsche sitzend wie den Inhalt eines Pakets oder eines Briefs behandelt

zu haben als jemanden bzw als etwas das fiir die Dauer des Transports von

der Umwelt verborgen war und erst wieder nach der sicheren Ankunft das Tashy

geslicht sehen sollte

Die Bedeutung dieser Anekdote reicht jedoch weiter Das audiovisuelle

Leitmedium der Epoche war bekanntlich die Buumlhne- die Bretter die die Welt

bedeuteten - und Goethe ein erfahrener Theaterautor mit der dramaturgischen

Funktion von Vorhaumlngen bestens vertraut In sein Kurschabteil wickelte er sich

also nicht einfach ein wie in ein Paket er inszenierte vielmehr seine Reiseershy

fahrung nach dem Muster eines Buumlhnenstuumlcks Goethes Verhalten deutet auf

eine zentrale Beziehung zwischen kultureller Vemetzung und audiovisuellem

Erzaumlhlen Auf jeder technologischen Entwicklungsstufe muumlssen Kommunikashy

tion und Kunst mit vergleichbaren Mitteln versuchen ihre Raum-Zeitshy

Probleme zu loumlsen Auf der mechanischen (Guckkasten-)Buumlhne steht da

Theaterschauspieler dramatische Handlungen von ihrem Anfang bis zu ihrem

Ende live - also in Echtzeit - und im selben Raum zu spielen haben in dem

sich auch das Publikum befindet fiir eine Manipulation von Raum und Zeit

lediglich der Vorhang zur Verfiigung Seine Funktion ist dialektisch Durch

die visuelle Abtrennung des Illusionsraums der Buumlhne vom Zuschauerraum

uumlberwindet er innerhalb der Einheit von Ort und Zeit welche die Realitaumlt Lishy

ve-Handlungen vorgibt Distanzen in Raum und Zeit indem er sie verdeckt

und damit uumlberbruumlckt 7

4 Netzwerf1heorie

Mit Blick auf die herausragende techno-kulturelle Funktion der Bruumlcke fiir

Transport und Kommunikation in der mechanischen Epoche uumlberrascht es

7 In diesem Zusanunenhang koumlnnen wir den Balkon diesen zwischen Renaissance und Aufklaumlrung so beliebten Handlungsort des Dazwischen zwischen Innen und Auszligen als abgebrochene Bruumlcke verstehen als einen Handlungsart der die Protashy

gonisten eher trennt denn verbindet -Funktioniert der Theatervorhang unter zeitgeshy

noumlssischer Perspektive daher wie eine Bruumlcke so erscheint er aus der spaumlteren Pershy

spektive des industriellen Films als primitiver Vorlaumlufer der cinematischen Basisshytechnologie von Schnit1 und Montage

Netz Werke 1 1 1

nicht dass die erste mathematische Theorie der Vernetzung in der Auseinanshydersetzung mit der Funktion eines Netzes von Bruumlcken fuumlr das urbane Leben entstand Im fruumlhen 1 8 Jahrhundert als Inunanuel Kant der einflussreichste Philosoph der deutschen Aufklaumlrung in Koumlnigsberg lehrte partizipierten die Buumlrger der Stadt an einem populaumlren Wettbewerb Man suchte einen Weg der es erlaubte alle Teile der Innenstadt zu durchlaufen ohne eine der sieben Bruumlshycken zweimal zu uumlberqueren8 Alle Versuche das Problem durch praktisches Experimentieren zu loumlsen scheiterten Kein richtiger Weg wollte sich fmden Dann ging der Mathematiker Leonhard Euler das Problem systematisch an Jeden Teil der Stadt begriff er dabei als ein Ding - in moderner mathematishyscher Begrifflichkeit als eine abstrakte Ecke oder einen Knoten - und jede Bruumlcke als eine Aktion- in moderner mathematischer Begrifflichkeit als eine abstrakte Verbindung oder eine Kante So schuf er eine mathematische Strukshytur genannt Graph die es ilun erlaubte jenseits von Trial-and-En-ar-Anlaumlufen die Beziehungen zwischen Ecken und Kanten quantitativ zu analysieren Both Kant (in politics) and Euler (in mathematics) schreibt Eugene Thacker show how an adequate understanding of networks must not come from experience but from an abstracting spatializing procedure9

bull

bull - -- - - - - - - - - - - - - - -e

bull FIG I Graph der sieben Bruumlcken von Koumlnigsberg10

8 Zur Darstellung des Koumlnigsherger Bruumlckenproblems vgl Barabasi Linked l Of Eine einfache Ein fuumlhrung findet sich online bei MathePrisma einer Modulsammlung des Fachbereichs Mathematik der Bergischen Universitaumlt Wuppertal lthttpwwwmatheprismauni-wuppertaldeModuleKoenigsbgt

9 Eugene Thacker Networks Swanns Multitudes ctheory (2004) lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=422gt amp lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=423gt

10 Diese und die folgenden I llustrationen von Leon S Freyennuth

1 1 2 GundolfS Freyermuth

Euters mathematische Formuliemng des Koumlnigsherger Bruumlckenproblems die Anstrengung Transport- und Kommunikationsnetzwerke terminologisch zushyverlaumlssig zu erfassen und in ihrer Funktionalitaumlt berechenbar zu machen leiteshyte eine epistemologische Wende ein von der Perspektive der Nutzer von Netzwerken deren Phantasie die Loumlsung eines Problems zu finden hatte von dem man annahm dass es im Prinzip loumlsbar sei zu der Perspektive des Netzshywerks dessen Anlage entweder einen bestimmten Gebrauch erlaubt oder eben nicht Die zentrale Leistung bestand dabei in der abstrahierenden Uumlbersetzung in eine geometrische Struktur in der topologischen Abstraktion mit der die in den Netzen angelegte potenzielle Nutzung zweifelsfrei berechenbar wurde Indem er 1736 eine solche topologische Sicht zum ersten Mal einnahm konnte Euler nicht nur beweisen dass es fiir das Koumlnigsherger Bruumlckenproblem keine Loumlsung gab- keinen Weg durch alle Teile der Stadt bei dem man nicht eine Bruumlcke zweimal uumlberqueren musste 11 Er demonstrierte daruumlber hinaus geneshyreJI die entscheidende Bedeutung des Netzwerk-Designs Seine Anlage limishytiert seinen Gebrauch Wer dje Stmktur eines Netzwerks kontrolliert praumldeterminiert seine moumlgliche Nutzung

5 Oumlffentlichkeit

Dem technologischen Stand entsprechend spielten zwischen Renaissance und Aufklaumlmng nationale oder gar internationale Netzwerke fiir das oumlffentliche Leben eine nur geringe Rolle Die Kommunikation der Gebildeten oder Gutshyausgebildeten unter der Buumlrgerschaft blieb noch weitgehend unbeeinflusst oder gar bestimmt durch (Massen-)Medien12 Im sozialen und kulturellen Ausshytausch dominierte der Umgang von Angesicht zu Angesicht auf den Straszligen der Staumldte auf (Markt-)Plaumltzen den Foyers von Veranstaltungssaumllen und Theshyatern in Kaffeehaumlusern Salons kurzum an Orten die insofern oumlffentlich washyren als keiner der Interagierenden an ihnen Privatheil beanspmchen konnte und vergleichsweise ungehinderter Zugang gesichert war Angeregt und ershyweitert wurde dieser physische Kontakt weitgehend Gleicher i e die Peer-tashyPeer-Kommunikation durch Medien vergleichsweise geringer Auflage und Reichweite wie Baumlnkelsaumlnge und Dramen Pamphlete Zeitschriften und Buuml-

11 Im 19 Jahrhundert bauten die Koumlnigsherger eine achte Bruumlcke und machten damit die sogenannte Eutertour durch die Stadt moumlglich vgl Barabasi Linked 12

12 Vgl Juumlrgen Habennas Strukturwandel der Oumlffentlichkeit Untersuchungen zu einer Kategorie der buumlrgerlichen Gesellschaft [5 Aufl Sonderausg ed (Sammlung Luchterhand 25) (Neuwied] Luchterhand 1971 )

NetzWerke 1 1 3

cher13 Ein Grundkennzeichen oumlffentlicher Diskurse zwischen Renaissance und Modeme war so dass sie mehr in persoumlnlicher muumlndlicher und schriftlishycher Kommunikation uumlber Medien - Literatur Malerei Musik - denn als Kommunikation mittels Medien- Presse Flugblatt- verliefen 14

Aus diesen Bedingungen des oumlffentlichen Diskurses ergab sich der Vorteil einer weitgehend gleichberechtigten persoumlnlichen Interaktion in Echtzeit wie aber auch der Nachteil geografischer und sozialer Beschraumlnkung Ein wichtishyges Kennzeichen von Oumlffentlichkeit in der mechanischen Epoche ist daher dass sie geographisch fragmentiert und intellektuell divers war da die Beteishyligten und die Themen oumlffentlicher Diskussion von Stadt zu Stadt wechselten In der Konsequenz betrachteten sich in weiten Teilen Europas die wenigen Gebildeten die am oumlffentlichen Diskurs partizipierten eher als Buumlrger ihrer

Stadt und weniger als Buumlrger eines groumlszligeren politischen Gebildes (des Kaisershyoder Koumlnigreichs eines Nationalstaats) In mancherlei Hinsicht - etwa mit Blick auf die Dominanz von Peer-ta-Peer-Kommunikation und den hohen Grad an Fragmentierung- glich das oumlffentliche Leben in diesen vorindustrielshylen Zeiten daher mehr dem sich gegenwaumlrtig ausbildenden digitalen als der uniformen von Massenmedien gepraumlgten Oumlffentlichkeit des damals heraufshyziehenden industriellen Zeitalters 15

13 Instruktiv ist dabei dass unter den Bedingungen mechanischer Kultur auch Medien die in der industriellen Epoche passiv rezipiert wurden auf Partizipation angelegt waren So erschienen etwa viele Zeitungen Zeitschriften und Buumlcher mit freien Seishyten die--- da diese Schriften in der Familie sowie im Freundes- und Bekanntenkreis

weitergereicht wurden - der Kommunikation und intel lektuellen Auseinandersetshyzung unter den Lesem dienen sollten Vgl Jack Shafer The Prota-Internet of 1 704 - The small ways in which ColoniaJ newspapers anticipated the Web Slate 26 August 2010 lthttpwwwslatecomlaiticlesnews_and _pol iticspress _ box20 1 008 the_protointemet_ o(_ 1 704htmlgt Shafer verweist als Quelle auf Thomas C Leoshynard News for all America s Coming-OfAge Wilh the Press (New York Oxford UP 1 995)

14 Ausnahmen stellten sich in Zeiten groszliger Krisen her Das wichtigste Beispiel gibt die Reformationsbewegung Pamphlete verbreiteten sich in einer geschaumltzten Auflashyge von sechs bis sieben Mill ionen wie Lauffeuer durch Zentraleuropa In etwa ein Viertel dieser Pamphlete stammten von Luther Hinzu kamen Balladen und Holzstishyche die diese epochale Auseinandersetzung gewissermaszligen transmedialisierten Vgl z B NN How Luther went v iral- Social media in the 1 6th Century The Economist 1 7 Dezember 20 I I lthttpwwweconomistcomnode2 1 54 1 7 1 9gt

15 Der Economist verglich denn auch die Situation unserer digitalen Fruumlhzeit mit der Reformation The media environment that Luther had shown hirnself so adept at managing had much in conunon vrith todays on line ecosystem of blogs social netshyworks and discussion threads lt was a decentralised system whose participants took care of distribut ion deciding collectively which messages to amplify through shashy

ring and recommendation [ ] Modem digital networks may be able to do it more

114 GundolfS Freyennuth

Spaumltestens jedoch seit der Aufklaumlrung strebten die Zeitgenossen in den am weitesten entwickelten Regionen mechanischer Kultur danach genau diese Kennzeichen vorindusttieller Oumlffentlichkeit zu uumlberwinden den geographisch begrenzten Einfluss des oumlffentlichen Lebens und die geringe Reichweite der Medien Das Verlangen nach nationalen Debatten kam auf nach nationalen Zeitschriften und Zeitungen und nationalen Fonnen von Unterhaltung und Bildung insbesondere nach einem Nationaltheater Mit mechanischer Vemetshyzungs- und Medientechnologie war diese Sehnsucht freilich nicht zu erfiillen Die mechanische Kultur stieszlig an ihre Grenzen - ein historisch wiederkehrenshydes Problem das Harold Innis so formulierte

We can perhaps assume that the use of a medium of communication over a long period will to some extent deterrnine the character of knowledge to be comrnunicated and suggest that its pervasive influence will eventually create a civilization in which life and flexibility will become exceedingly difficult to maintain and that the advantages of a new medium wil l become such as to Iead to the emergence of a new civilization 16

II Audiovisuelle Kultur im Zeitalter industrieller Vemetzung

1 Industrialisierung

Vor allem zwei Innovationen trieben den Prozess der Industrialisierung die sich steigemde Verfugung uumlber nicht-biologische Energiequellen uumlber Dampfkraft Gas Benzin Elektrizitaumlt sowie die mathematische Analyse und Kontrolle von Arbeitsprozessen das heiszligt die Taylorisierung menschlicher Arbeit und die Automatisierung von Maschinenarbeit17 Wiederum initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg eishyner neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung

quickly but even 500 years ago the sharing of media could play a supporting roJe in precipitating a revolution ibid

16 Harold Adams Innis und Mary Innis Empire and Communications (Toronto U of Toronto P 1 972) 34

Die Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konseshyquenzen folgt Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur David S Landes The Unbmmd Prometheus Technological Change and Industria Development in Western Europe From 1 750 to the Present (London Cambridge UP 1 969) Joe1 Mokyr The Lever of Riches Technological Creativity and Economic Progress (New York Oxford UP 1 990) Lewis Murnford Technics and Civilization (New York Harcourt Brace amp World 1963 (1 934)) Giedion Mechanization Gundo1fS Freyerrnuth Cinema Revisited Vor und nach dem Kino - Audiovisualitaumlt in der Neuzeit in Zulamft Kino Hg Danie1a Kloock (Marburg Schuumlren 2007) 1 5-40

NetzWerke 1 15

dieser neuen technischen Mittel lagen Unternehmer und Manager Finanzshyund Verwaltungsexperten Ingenieure Techniker Mechaniker Facharbeiter Angestellte in den wuchernden privaten und staatlichen Buumlrokratien wie auch eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen Vertreter der aufkonunenden Geistes- Natur- und Sozialwissenschaften Intellektuelle Journalisten und Kuumlnstler die in den neuen industriellen Massenmedien arbeiteten oder sich deshyren zumindest zur Distribution ihrer Werke bedienten Sie alle profitietten vom schnell wachsenden Beduumlrfnis der industriellen Massen nach Bildung Inshyformation und Unterhaltung Gleichzeitig zogen die Staumldte inuner mehr Menshyschen an und eine groszligstaumldtische Lebensform bildete sich heraus gepraumlgt von der IndustJialisierung und ihren sozialen wie kulturellen Folgen

Eins ihrer Hauptkennzeichen war Anonymitaumlt der gaumlnzlich neue Umshystand dass die B ewohner der industriellen Groszligstaumldte in ihrem Alltag - beim Spaziergang auf den Straszligen bei der Nutzung oumlffentlicher Verkehrsmittel beim Einkauf in den Warenhaumlusern beim Besuch von Theatern und Kinosshyeiner schier endlose Reihe von Mitmenschen begegneten die ihnen vollstaumlnshydig fremd waren Eine zweite Konsequenz die das Alltagsleben veraumlnderte war die Uumlberlagerung der Staumldte mit Zeichenstrukturen Als Reaktion auf die Anonymitaumlt des Al ltagslebens und den Umstand dass weite Teile des enorshymen urbanen Raums selbst langjaumlhrigen Bewohnern fremd blieben formte sich waumlhrend des 19 und 20 Jahrhunderts eine analoge InformationsshyInfrastruktur- Straszligenschilder Hausnununern Wegweiser Verkehrsschilder Rekiametafeln Verkehrskontrollsysteme usf Diese medialen Hilfsmittel ershymoumlglichten es Einheimischen wie Ortsfremden die industrielle Stadt und Umwelt zumindest partiell zu lesen und zu navigieren So lange Informatioshynen jedoch analog vermittelt wurden mussten sie mehr oder weniger standarshydisiert sein Der Einzelne erhielt so statistisch unentwegt vor allem Informatishyonen die er nicht oder gerade nicht brauchte Wegweisungen zu Orten an die er nicht wollte Neonreklamen zu Produkten die ihn nicht irrteressielten usf

2 Vernetzung

Entwickelt am Bruumlcken-Modell statischer Knoten und Kanten versagte die Graphentheorie vor den komplexen sozialen und oumlkonomischen Vernetzungen industrieller Massenkultur wie sie sich in den westlichen Metropolen herausshybildete Die vielfaumlltigen Beziehungen zwischen Hunderttausenden von Fremshyden - das Gewirr alltaumlglicher Zufallsbegegnungen beschrieben zum Beispiel

116 Gundolf S F reyermuth

von Edgar Allan Poe in Man of the Crowd 18 oder die heimliche Verwobenshy

heil der sexuellen Beziehungen dargestellt etwa von Arthur Schnitzler als

Reigen19- vermochte die zeitgenoumlssische Forschung ebenso wenig zu beshy

greifen oder gar zu berechnen wie die zahlreichen technischen Netzwerke von

Transport und Kommunikation die im Laufe des 19 und 20 Jahrhunderts neu

entstanden

Zum einen beschleunigte und automatisierte sich der physische Transport

durch den Einsatz industrieller Technologie Damit wuchs der Distributionsrashy

dius von Waren Dienstleistungen und Neuigkeiten Mit dem Ausbau des Eishy

senbahnnetzes der Einrichtung erst nationaler dann kontinentaler Autobahnshy

netze und schlieszliglich mit dem Flugnetz weiteten sich Handel und Kommunishy

kation geographisch aus Gleichzeitig kam es innerhalb der groszligen Staumldte zur

Etablierung von Netzen der Versorgung - Wasser Abwasser Gas Strom

Auch im Falle der Netze der Infrastruktur hat die Zeit ab 1750 und dann das

durch die Doppelrevolution eingeleitete 19 Jahrhunderte Scharnierbedeushy

tung schreibt Dietrich Kerlen Denn erst jetzt werden massenhaft private

Optionen auf die Benutzung von Netzen wirklich20 Die alltaumlgliche Erfahrung

bewirkte einen epistemologischen Wandel In Netzen zu denken konstatiert

Juumlrgen Osterhammel war uumlberhaupt erst eine Anschauungsform des 19

Jahrhunderts 21

Zum zweiten - und in der Konsequenz weitreichender - entstand eine

gaumlnzlich neue Kategorie Jmmaterieller Vemetzung Denn mit Telegraph und

Telefon spaumlter auch mit Radio und Fernsehen machte sich Fernkommunikatishy

on tmabhaumlngig von physischem Transport Das entscheidende Kennzeichen

dieser neuen industriellen Netzwerke war insofern dass Informationen sich

nun schneller als Waren verbreiten konnten Mehr noch Zum ersten Mal in

der Menschheitsgeschichte lieszligen sich Nachrichten uumlber groszlige Distanzen in

Echtzeit kommunizieren Schluumlsseldaten welche diese epochale Entwicklung

rahmen sind die Verlegung des ersten transatlantischen Telegraphenkabels in

den 1850er Jahren und die Verlegung des ersten transatlantischen Telefonkashy

bels in den 1950er Jahren 22

18 Edgar Allan Poe The Man of the Crowd ( 1840) lthttpetextvirginiaeduetcbin toccer-new2id=PoeCrowsgmampimages=imagesmodengampdata=textseng1ish

modengparsedamptag=pub1icamppart=teiHeadergt 19 Arthur Schnitz1er Reigen Zehn Dialoge geschrieben Winter 1896-97

lthttpgutenbergspiegeldebuch53 81 I 1 gt 20 Dietrich Kerlen Einfiihrung in die Medienkunde (Stuttgart Rec1amjun 2003) 148 21 Juumlrgen Osterhammel Die Verwandlung der Welt eine Geschichte des 19 Jahrhunshy

derts (Muumlnchen CH Beck 2009) 101 1 22 Zur Geschichte des transatlantischen Telegraphenkabels vgl Duncan Geere How

the first cable was laid across the Atlantic Wired UK (20 1 1 )

NetzWerke 117

l m Vergleich zur mechanischen Vemetzung koumltmen wir die neuen industshyriellen Praktiken der Vemetzung die eben in der Kommunikation keinen physhysischen Transport mehr erfordern waumlhrend gleichzeitig der Transport materishyeller Guumlter durch den Einsatz non-biologischer Energie Automatisierung und industrielle Arbeitsteilung dramatisch beschleunigt wird Vernetzung 20 nenshynen

Ihr zentrales Prinzip ist die Befaumlhigung zur Trennung von Kommunikation und Transport ihre wichtigste Technik ist im Hinblick aufkommunikative Akte die Eliminierung geographischer Distanzen durch die materielle Verbindung bnv Verschaltung verschiedener Leitungen

In der industriellen Zivilisation wie sie sich zwischen Aufklaumlrung und Postmodeme entwickelte geschah in der Konsequenz die alltaumlgliche Distribushytion von Guumltern und Informationen nicht mehr nur lokal oder regional sonshydern national Zwar wuchsen weiterhin als Auszligerordentlichkeit globale FernshyNetzwerke fuumlr Transport und Kommunikation zu See auf Land und schlieszligshylich auch in der Luft 23 Die durchschnittliche Distribution von Waren und auch Medienjedoch fand innerhalb von Nationen statt und in einem gewissen Maszlige zwischen benachbarten Staaten sowie seit der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunshyderts innerhalb kontinentaler Handelszonen Dieser geografischen (Er-) Schlieszligung die das erste industrielle Jahrhundert unter dem Banner des Natioshynalstaats leistete korrelierte die oumlkonomische und politische kulturelle und geistige Verengung auf die Grenzen der Nation Im 1 9 Jahrhundert brachte sie mit der industriellen Zentralisierung und dem Aufschwung der Kapitalen neue hauptstaumldtische Institutionen wie Nationalmuseen Nationalbibliotheken oder Nationaltheater hervor Mit Beginn des 20 Jahrhunderts und dem Siegeszug der industriellen audiovisuellen Medien eskalierte diese Nationalisierung der Kommunikation bis sie die lokalen Oumlffentlichkeiten nahezu in Gaumlnze uumlberlashygerte

lthttpwww wiredcouknewsarchive20 11-0 118transatlantic-cablespage=algt - Zur Geschichte sowohl des ersten transatlantischen Telegraphenkabels wie des ersten Telefonkabels vgl NN Milestones The First Submarine Transatlantic Teshy

lephone Cable System (TAT-I) 956 IEEE Global History Network (o J)

lthttpwwwieeeghnorgwikiindexphpMilestones The _First_ Submarine_ Transatl antic_ Telephone_ Cable_System_(T AT -1)_1956gt

23 Das Faszinosum fuumlr die Zeitgenossen des 19 und fruumlhen 20 Jahrhw1derts belegt schon das Kommunistische Manifest An die Stelle der alten durch Landeserzeugshynisse befriedigten Beduumlrfuisse treten neue welche die Produkte der entferntesten Laumlnder w1d Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen An die Stelle der alten lokashy

len und nationalen Selbstgenuumlgsanlkeit und Abgeschlossenheil tritt ein allseitiger

Verkehr eine allseitige Abhaumlngigkeit der Nationen voneinander Kar Marx und

Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei ( 1848) (Berlin Dietz 1972) lthttpwwwmlwerkedememe04me04_ 459htmgt 466

1 1 8 Gundolf S Freyennuth

Die neuen industriellen Medien- vom Telegrafen uumlber Telefon und Radio bis zum Fernsehen- bedienten sich dabei eines gaumlnzlich neuen Verfahrens der Hardware-Schaltung im Telefonverkehr etwa zunaumlchst von Hand durch Telefonistirmen und spaumlter durch automatische elektrische Schalter (circuit switching) 24 Technisch leistet Hardware-Schaltung dabei zweierlei Zum eishynen werden im geographischen Transport abgeschwaumlchte Stromimpulse vershystaumlrkt weitergeleitet zum zweiten werden verschiedene kuumlrzere Leitungen zu einer neuen kontinuierlichen Verbindung verschaltet Was Uumlberbruumlckung in mechanischen (und industriellen) Netzwerken des Transports leistet gelingt in den industriellen Kommunikationsnetzwerken so mittels Schaltung Sie ershyschafft das notwendige physische Kontinuum (die Kante) zwischen zwei Punkten (Knoten) indem sie den Raum der Sender und Empfaumlnger voneinanshyder trermt eben nicht mehr uumlberbruumlckt sondem unmittelbar und in Echtzeit eliminiert 25

Werm auch Telefonistirmen oder elektrische Schalter im Vergleich zur Bruumlcke nie die Qualitaumlt eines existentiellen Mythos gewarmen so figuriert die Praxis der Verschaltung - in ihrem Doppelsirm - doch recht prominent in zahlreichen Filmen des 20 Jahrhunderts Gespielt wird dabei mit zeitgenoumlssishyschen Aumlngsten dass durch falsche Verbindungen herbeigefuhrt von boumlswillishygen Operateuren oder fehlerhaften Schaltern Fremde in die Privatsphaumlre einshydringen und uns mit Dingen konfrontieren koumlrmten von denen entweder wir oder die anderen besser nichts wissen sollten 26 In dieser Hinsicht markiert der technische Vorgang der Schaltung die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten inshydustrieller Vernetzung selbst die niemals gaumlnzlich kontrollierbare Anstrenshygung zahlreiche Kommunikationspfade - Leitungen - deren Existenz in der industriellen Epoche die Vorbedingung fiir das Gelingen immaterieller Fernshykommunikation ist fiir eine kurze Zeit miteinander zu verbinden27

24 Vgl Elektrizitaumlt ersetzt die Logik der Uumlbertragung im strikten Sinne des Wortes zugunsten einer Logik der Schaltung Hartrnann Globale Medienkultur 12

25 Dass die industriellen -elektrischen -Medien keineswegs die physische Reichweite der Menschen vergroumlszligern sondern vielmehr raumlun1liche Distanz aufheben im Sinne

von auszliger Kraft setzen bemerkte bereits Marshall McLuhan Electric media [ ] abolish the spatial dimension rather than enlarge it Marshall McLuhan Undershystanding Media The Extensions of Man (New York Signet Books 1964) 255

26 Ein hervorragendes Beispiel dafur gibt Anatole Litvaks Film Noir Sony Wrong Number ( 1948)

27 Die Gewalt der analogen Schaltung als Vernichtung von Raum und Zeit verlangt danach dass sie nur temporaumlr geschehen soll Im zweiten Jahrhw1dertdrittel wird

folgerichtig sowohl ihr kurzfristiges Misslingen - die Fehlschaltung- als auch ihre dauerhafte Durchsetzung- die Gleichschaltungmiddot als Schrecken erfahren

NetzWerke 1 1 9

3 Audiovisualitaumlt

Die besondere Vorliebe die Kino- wie Fernsehfilme stets fur das Telefon als narratives Vehikel besaszligen weil es raumlumlich getrennte Protagonisten visuell shydurch Gegenschnitt oder geteilte Bildraumlume - verschaltete weist auf den starshyken Zusammenhang zwischen dem technologischen Stand der Vemetzung und dem audiovisueller Nanmiddotation Deutlich manipulieren industrielle Netzwerke der Kommunikation und der Film als das repraumlsentative audiovisuelle Erzaumlhlshymedium der industriellen Epoche raumlumliche und zeitliche Verhaumlltnisse auf recht aumlhnliche Art und Weise Filmakteure spielen ihre Rollen bekanntlich nicht mehr live und sequentiell Filmische Handlungen werden vielmehr nach dem Muster tayloristischer Arbeitsorganisation in einer Vielzahl von Einzelshyszenen aufgenommen und dann nicht anders als die meisten industriellen Washyren endmontiert (final cut) Die Montage fuumlgt dabei Bilder und Toumlne die im Augenblick der Reproduktion aus ihren natuumlrlichen - tatsaumlchlichen - Koorshydinaten gerissen wurden zu einem neuen kuumlnstlichen - fiktionalen- Raumshyzeitkontinuum Raumlumliche und zeitliche Distanzen werden so nicht laumlnger vershyund uumlberdeckt sondern eliminiert das heiszligt herausgeschnitten Auf diese Weise steigert sich das Potential zur Gestaltung raumzeitlicher Verhaumlltnisse Moumlglich wird ein beschleunigtes und stetes Wechseln zwischen entfernten Orshyten oder Zeiten und damit zum Beispiel die Darstellung paral leler Handlungsshyverlaumlufe

Als Basisinnovation der industriellen Modeme wurde die Montage nicht nur im Film sondern in nahezu allen Kuumlnsten wirksam in Musik wie Malerei Fotografie Lyrik Roman Dem1 in der Kombination des Heterogenen die es verband ohne es nach dem handwerklichen Ideal des Realismus organisch zu verschmelzen druumlckte sich die Erfahrung aus dass in der industriellen Zivilishysation ob am Flieszligband oder im Buumlro Arbeit seriell zu leisten ist jeder sepashyrate Schritt also seine wirkliche Bedeutung nur in der raumzeitlichen Kombishynation mit anderen gewinnt Seine vorbildhafte Vollendung erreichte das Vershyfahren der Montage daher auch nicht in den vorindustriellen Kuumlnsten die es um 1 900 zuerst applizierten - etwa als Bildmontage Montage im Bild - sonshydern mit einer gewissen Zwangslaumlufigkeit im narrativen Film in seiner Monshytage von Bildern Sie erst befahigte das fotorealistische Medium indem sie das Kontinuum seiner Echtzeit-Aufuahmen in einer neuen Ordnung aufhob zu eishyner der industriellen Wahrnehmung gemaumlszligen Manipulation von Zeit und Raum wie sie vorindustJiellen Medien und Kuumlnsten selbst noch der industrishyell aufgeruumlsteten Buumlhne prinzipiell verwehrt blieb Das was aber auf der Buumlhne vor sich geht ist teilweise raumlumlich teilweise zeitlich in der Regel raumlumlich und zeitlich nie aber zeit-raumlumlich wie es die Vorgaumlnge im Film sind schrieb Amold Hauser Der Film unterscheidet sich von den anderen

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 2: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

106 Gundolf S Freyennuth

Entwicklungsstand der Netzwerke des Transports und der Kommunikation

sowie die Art und Weise des Gebrauchs den einzelne Gesellschaften von den jeweils zur Verfuumlgung stehenden Technologien machen

Zentral waren dafuumlr seit den Anfaumlngen der Zivilisation SiedlungszentrenshyDoumlrfer Staumldte Metropolen und in ihnen wiederum besondere Knotenpunkte sozialer oumlkonomischer und kultureller Begegnungen wie Marktplaumltze Haumlfen Kultstaumltten Boumlrsen Kneipen und Kaffeehaumluser An ihnen wurden und werden Guumlter und Gene Neuigkeiten und Meme umgeschlagen Schon fruumlh fungiershyten Staumldte daruumlber hinaus nicht nur als privilegierte Knoten regionaler uumlberreshygionaler und sogar globaler Netzwerke Sie entwickelten auch waumlhrend sie

groumlszliger und groumlszliger wurden innerhalb ihrer Mauem eigene Netzwerke materishyelle wie Trink- und Abwassersysteme und immaterielle wie oumlkonomische und kulturelle soziale und sexuelle Beziehungsgeflechte

So einflussreich diese biologische und kulturelle Vernetzung war der menschlichen Wahrnehmung und Reflexion blieb sie lange verschlossen- unshysichtbar wie die Luft die wir atmen Antike und Mittelalter besaszligen wenig theoretisches Bewusstsein von der Vielzahl vemetzter Aktivitaumlten Erst in der Aufklaumlrung begann man ihre praumlgende Funktion fuumlr das soziale und kulturelle Leben zu erkennen und auch eine erste mathematische Netzwerk-Theorie zu fonnulieren die Graphentheorie (1736) Um die Mitte des 20 Jahrhunderts gelang dann mit der Theorie zufaumllliger Graphen (1959) die Erklaumlrung kompleshyxerer industrieller Netzwerke ln den vergangeneo zwei Jahrzehnten schlieszligshylich seit die Forschung mit der Durchsetzung digitaler Netzwerke Zugang zu groumlszligeren und zuverlaumlssigen Datenmengen erhielt gelangen Erkenntnisfortshyschritte die es ermoumlglichen mehr und mehr der biologischen und kulturellen Netzwerke zu analysieren und zu verstehen die unsere Existenz so weitgeshyhend praumlgen Die mit der Digitalisierung entstandene Netzwerk-Theorie beanshysprucht denn auch einen common blueprint gefunden zu haben der houmlchst unterschiedlichen Netzwerken gemeinsam sei etwa der Nahrungskette und der Vemetzung der Molekuumlle in lebenden Zellen den Netzwerken der natuumlrlichen Sprachen und dem World Wide Web oumlkonomischen Systemen und der neuronalen Vemetzung in menschlichen Gehimen3

In diesem Essay werde ich mich allerdings nicht generell mit der Geshyschichte und den Theorien der Vemetzung auseinandersetzen sondern auf die

Frage konzentrieren wie in der westlichen Neuzeit Fortschritte der Vemetshy

zung die Herstellung und den Wandel von Oumlffentlichkeit und speziell die Entwicklung der audiovisuellen Medien und Kuumlnste fonnten Dabei werde ich

3 Albert-Laszlo Barabasi Linked How Eve1ything is Connected to Everything Else

and What it Means for Business Science and Everyday Life (New York Plume

2003) 6f

NetzWerke 1 07

darstellen dass wir heute in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche die Fortsetshyzung kultureller Prozesse erleben die zur Zeit der Renaissance mit der Meshychanisierung begannen und sich mit Aufklaumlrung und Industrialisierung intenshysivierten Den historischen Fluchtpunkt meiner Uumlberlegungen bildet dabei die Durchsetzung digitaler Netzwerke und in ihrem Gefolge die Emergenz einer hybriden - teils materiellen teils virtuellen - Kultur Sie veraumlndert erneut das

Leben in den kulturellen Zentren von Grund auf und ebenso dessen dokumenshytarische tmd fiktionale Verarbeitung in den audiovisuellen Medien und Kuumlnsshyten

Die Wechselbeziehung zwischen dem historischen Stand der Vemetzung und dem kulturellen Leben innerhalb der drei neuzeitlichen Epochen werde ich in jeweils fuumlnf Schritten analysieren Im ersten skizziere ich das Entstehen einer neuen Kultur - der mechanischen der industriellen der digitalen - aus technologischen und sozialen Veraumlnderungen im zweiten beschreibe ich die vorherrschenden Vernetzungspraktiken im dritten die Praktiken audiovisueller

Medienproduktion Dabei demonstriere ich die starke Interdependenz zwishyschen den Prinzipien der Vemetzung und denen audiovisueller Narration das heiszligt zwischen dem kulturellen Leben in den zivilisatorischen Zentren und seiner Erzaumlhlung oder richtiger seiner audiovisuellen Repraumlsentation und Ktishytik Im vierten Schritt untersuche ich die zeitgenoumlssischen Netzwerk-Theorien

das heiszligt die Wahrnehmung und theoretische Reflexion der kulturell praumlgenshyden Vemetzungspraktiken im fuumlnften die Konsequenzen dieser technologishyschen und kulturellen Voraussetzungen fuumlr das oumlffentliche Leben das heiszligt die Ausbildung unterschiedlich strukturierter Oumlffentlichkeiten

I Audiovisuelle Kultur im Zeitalter mechanischer Vemetzung

I Mechanisierung

Was wir die Renaissance nennen verdankt sich der Wiederentdeckung bzw dem Re-Import des- im christlichen Europa nahezu verlorenen- Wissens der Antike eines schriftlich tradierten theoretischen Wissens der Philosophen und Naturwissenschaftler und seiner fruchtbaren Verbindung mit dem im Laufe des Mittelalters akkumulierten handwerklichen Wissen primaumlr muumlndlich trashydierten praktischen Kenntnissen und Verfahrensweisen 4 Ein wesentliches Re-

4 Die Darstellung des Prozesses der Mechanisierung folgt Siegfried Giedion Mechanization Takes Command A Contribution to Anonymaus Histmy (New York Norton 1 969) Amold Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur (Muumlnchen Beck 1967 ( 1 95 l )) Marshal l McLuhan The Gutenberg Galwy The Maldng of Typographie Man (Toronto U of Toronto P 1 962) Erwin Panofsky Renaissance and Renascences in Western Art Harper Torchbooks TB I447 (New York Harper

108 Gundolf S Freyermuth

sultat war die - durch Mathematisierung getriebene - Entwicklung mechanishy

scher Technologie von der Erfindung des Kompasses der die Seefahrt expanshydieren lieszlig bis zur Erfindung des Geriistbaus der die Architektur revolutioshynierte von der Entwicklung der Perspektivtechnik bis zur Erfindung der Drushy

ckerpresse Diese Durchsetzung mechanischer Technologie in nahezu allen Lebensbereichen initiierte das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung sowie oumlkonomische und kulturelle Nutzung dieshyser mechanischen Mittel lag Techniker und Baumeister Handwerker und Haumlndler Seeleute und Militaumlrs Kaufleute und Bankiers Geistes- und Naturshywissenschaftler Gelehrte und Kuumlnstler Uumlberwiegend lebten und arbeiteten sie in Staumldten den neuen stetig wachsenden Zentren neuzeitlicher Kultur der

Waren- und der Kunstproduktion des Handels und des Austauschs von Inshyformationen Schritt fiir Schritt wichen uumlberkommene mittelalterliche Lebensshyformen moderneren saumlkularen und aufgeklaumlrten Praktiken und Denkweisen beide wesentlich gepraumlgt vom Prozess der Mechanisierung und seinen kultushyrellen Konsequenzen

2 Vernetzung

Neue Netzwerke des Transports und der Kommunikation begannen die prosshypetierenden staumldtischen Zentren miteinander zu verbinden Der Buchhandel zum Beispiel machte bald schon an kulturellem Einfluss dem tradierten Kommunikationsnetzwerk der katholischen Kirche Konkurrenz In beiden Faumllshylen mussten physische Datenspeicher- Briefe Buumlcher- durch den Raum beshy

wegt werden Das entscheidende Kennzeichen dieser und aller anderen Netzshywerke der mechanischen Epoche war insofern dass Neuigkeiten und Waren sich dem Ptinzip nach gleich schnell verbreiteten Mediale Kommunikation basierte- in direktem Gegensatz zu den nachfolgenden Epochen- auf Transshyport Angelehnt an das populaumlre Nummerierungssystem von Softwareshy

Versionen koumlnnen wir Praktiken der Distribution von Informationen und Guumlshytern die physische Bewegung mittels biologischer oder jedenfalls natuumlrlicher Energie erfordern Vernetzung 10 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist die Identitaumlt von Transport und Kommunikation ihre wichtigste Technik ist die materielle Uumlberwindung geographischer Disshytanz durch die Uumlberwindung bzw Uumlberbruumlckung von raumlumlichen wie zeitlishychen Zwischenraumlumen

amp Row 1969) Ruggiero Romano und Albe110 Tenenti Die Grundlegung der moshy

demen Welt Spaumltmittelalter Renaissance Reformation (Frankfurt aM Hamburg Fischer-Buumlcherei 1967)

NetzWerke 109

In der mechanischen Zivilisation wie sie sich zwischen Renaissance und Autklaumltung entwickelte war Vemetzung daher technologisch auf uumlberwindbashyre Distanzen limitiert Zwar etablierten sich zu See und auf Land einige fragile Fern-Netzwerke vor allem im Kontext der Entdeckung Ausbeutung und Beshysiedlung der Neuen Welt Die durchschnittliche Distribution von Waren und Medien jedoch fand innerhalb einzelner Staumldte in ihrem naumlheren und ferneren Einzugsbereich und auch zwischen benachbarten Staumldten statt Insofern die zentrale Technik mechanischer Vemetzung die Uumlberwindung des Zwischenshyraums war der die Sender und Empfaumlnger von Waren oder Nachrichten vonshyeinander trennte wurde der Bau von Bruumlcken zur vorrangigsten technischen Leistung mechanischer Vernetzung

Denn sie erschaffen indem sie geographische Kluumlfte abdecken- Getrennshytes miteinander verbinden Distanzen eben uumlberbruumlcken- die fiir mechanishysche Vernetzung notwendige physische Kontinuitaumlt zwischen geographischen Knotenpunkten In der Konsequenz avancierten sie zu mythischen Orten emoshytional besetzten Zwischen-Raumlumen existentiellen Uumlbergangs deren Konstrukshytion und Dekonstruktion Eroberung und Verlust die Triumphe Gefahren und Fallgruben von Transport und Kommunikation in der mechanischen Epoche symbolisierte 5 Eine Bruumlcke zu uumlberqueren ist grundsaumltzlich risikobehaftet denn ihre Oberflaumlche verdeckt inuner etvas ob nun einen Abgrund einen reishyszligenden Strom oder lauemde Gegner In dieser Hinsicht stehen Bruumlcken fuumlr die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten mate1ieller Vemetzung selbst fiir die beshyschwerliche und stets gefaumlhrliche Anstrengung geographische Distanzen zu uumlberwinden die sich bei keinem Akt physischen Transpo11s vermeiden laumlsst6

3 Audiovisualitaumlt

Uumlberbruumlckung als Basisprinzip mechanischer Vemetzung- die Uumlberwindung geographischer Distanz durch deren Verdeckung - illustriert eine Anekdote

5 Besonders prominent figurieren Bruumlcken in Romanen der ersten Haumllfte des zwanshyzigsten Jahrhunderts wie Thomton Wilders The Bridge of San Luis Rey ( 1 927) oder Emest Hemingways For Whom the Bell Tolls ( 1 940) und dann in Filmen der zweishyten Jahrhw1derthaumllfte wie David Leans The Bridge on the River Kwai ( 1 957) Bemshyhard Wickis Die Bruumlcke ( 1 959) oder John Guillennins The Bridge at Remagen ( 1 969) Die International Movie Data Base fuumlhrt mehrere hundert Filme auf die das Substantiv Bruumlcke in ihrem Titel tragen

6 Diese kategorialen Bedeutung der Uumlberbruumlckung fuumlr Transport und Kommunikation in der vorindustriellen Epoche hat z B Frank Hartmann benannt Was immer fuumlr Moumlglichkeiten hier an gedacht wurden meist hatten sie damit zu tun eine technische Bruumlcke zu schlagen um eine gewisse Fernwirkung zu erzeugen Frank Hartmann Globale Medienkultur- Technik Geschichte Theorien (Wien WUV 2006) 30

110 Gundolf S Freyennuth

um den deutschen Dichter Johann Wolfgang von Goethe Als er auf seiner

Reise nach Italien die Alpen uumlberquerte soll Goethe wie vor ihm schon der

Kunsthistoriker Johann Joachim Wirrekelmann die Gardinen seiner Kutsche

zugezogen haben um sich den Anblick der endlosen ennuumldenden und potenshy

tiell gefahrliehen Weite der Natur zu ersparen Indem er so die Distanz zwishy

schen verschiedenen Knotenpunkten im zeitgenoumlssischen Transport-Netzwerk

visuell verdeckte - uumlberbruumlckte middot middot scheint sich Goethe in der Dunkelkammer

seiner Kutsche sitzend wie den Inhalt eines Pakets oder eines Briefs behandelt

zu haben als jemanden bzw als etwas das fiir die Dauer des Transports von

der Umwelt verborgen war und erst wieder nach der sicheren Ankunft das Tashy

geslicht sehen sollte

Die Bedeutung dieser Anekdote reicht jedoch weiter Das audiovisuelle

Leitmedium der Epoche war bekanntlich die Buumlhne- die Bretter die die Welt

bedeuteten - und Goethe ein erfahrener Theaterautor mit der dramaturgischen

Funktion von Vorhaumlngen bestens vertraut In sein Kurschabteil wickelte er sich

also nicht einfach ein wie in ein Paket er inszenierte vielmehr seine Reiseershy

fahrung nach dem Muster eines Buumlhnenstuumlcks Goethes Verhalten deutet auf

eine zentrale Beziehung zwischen kultureller Vemetzung und audiovisuellem

Erzaumlhlen Auf jeder technologischen Entwicklungsstufe muumlssen Kommunikashy

tion und Kunst mit vergleichbaren Mitteln versuchen ihre Raum-Zeitshy

Probleme zu loumlsen Auf der mechanischen (Guckkasten-)Buumlhne steht da

Theaterschauspieler dramatische Handlungen von ihrem Anfang bis zu ihrem

Ende live - also in Echtzeit - und im selben Raum zu spielen haben in dem

sich auch das Publikum befindet fiir eine Manipulation von Raum und Zeit

lediglich der Vorhang zur Verfiigung Seine Funktion ist dialektisch Durch

die visuelle Abtrennung des Illusionsraums der Buumlhne vom Zuschauerraum

uumlberwindet er innerhalb der Einheit von Ort und Zeit welche die Realitaumlt Lishy

ve-Handlungen vorgibt Distanzen in Raum und Zeit indem er sie verdeckt

und damit uumlberbruumlckt 7

4 Netzwerf1heorie

Mit Blick auf die herausragende techno-kulturelle Funktion der Bruumlcke fiir

Transport und Kommunikation in der mechanischen Epoche uumlberrascht es

7 In diesem Zusanunenhang koumlnnen wir den Balkon diesen zwischen Renaissance und Aufklaumlrung so beliebten Handlungsort des Dazwischen zwischen Innen und Auszligen als abgebrochene Bruumlcke verstehen als einen Handlungsart der die Protashy

gonisten eher trennt denn verbindet -Funktioniert der Theatervorhang unter zeitgeshy

noumlssischer Perspektive daher wie eine Bruumlcke so erscheint er aus der spaumlteren Pershy

spektive des industriellen Films als primitiver Vorlaumlufer der cinematischen Basisshytechnologie von Schnit1 und Montage

Netz Werke 1 1 1

nicht dass die erste mathematische Theorie der Vernetzung in der Auseinanshydersetzung mit der Funktion eines Netzes von Bruumlcken fuumlr das urbane Leben entstand Im fruumlhen 1 8 Jahrhundert als Inunanuel Kant der einflussreichste Philosoph der deutschen Aufklaumlrung in Koumlnigsberg lehrte partizipierten die Buumlrger der Stadt an einem populaumlren Wettbewerb Man suchte einen Weg der es erlaubte alle Teile der Innenstadt zu durchlaufen ohne eine der sieben Bruumlshycken zweimal zu uumlberqueren8 Alle Versuche das Problem durch praktisches Experimentieren zu loumlsen scheiterten Kein richtiger Weg wollte sich fmden Dann ging der Mathematiker Leonhard Euler das Problem systematisch an Jeden Teil der Stadt begriff er dabei als ein Ding - in moderner mathematishyscher Begrifflichkeit als eine abstrakte Ecke oder einen Knoten - und jede Bruumlcke als eine Aktion- in moderner mathematischer Begrifflichkeit als eine abstrakte Verbindung oder eine Kante So schuf er eine mathematische Strukshytur genannt Graph die es ilun erlaubte jenseits von Trial-and-En-ar-Anlaumlufen die Beziehungen zwischen Ecken und Kanten quantitativ zu analysieren Both Kant (in politics) and Euler (in mathematics) schreibt Eugene Thacker show how an adequate understanding of networks must not come from experience but from an abstracting spatializing procedure9

bull

bull - -- - - - - - - - - - - - - - -e

bull FIG I Graph der sieben Bruumlcken von Koumlnigsberg10

8 Zur Darstellung des Koumlnigsherger Bruumlckenproblems vgl Barabasi Linked l Of Eine einfache Ein fuumlhrung findet sich online bei MathePrisma einer Modulsammlung des Fachbereichs Mathematik der Bergischen Universitaumlt Wuppertal lthttpwwwmatheprismauni-wuppertaldeModuleKoenigsbgt

9 Eugene Thacker Networks Swanns Multitudes ctheory (2004) lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=422gt amp lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=423gt

10 Diese und die folgenden I llustrationen von Leon S Freyennuth

1 1 2 GundolfS Freyermuth

Euters mathematische Formuliemng des Koumlnigsherger Bruumlckenproblems die Anstrengung Transport- und Kommunikationsnetzwerke terminologisch zushyverlaumlssig zu erfassen und in ihrer Funktionalitaumlt berechenbar zu machen leiteshyte eine epistemologische Wende ein von der Perspektive der Nutzer von Netzwerken deren Phantasie die Loumlsung eines Problems zu finden hatte von dem man annahm dass es im Prinzip loumlsbar sei zu der Perspektive des Netzshywerks dessen Anlage entweder einen bestimmten Gebrauch erlaubt oder eben nicht Die zentrale Leistung bestand dabei in der abstrahierenden Uumlbersetzung in eine geometrische Struktur in der topologischen Abstraktion mit der die in den Netzen angelegte potenzielle Nutzung zweifelsfrei berechenbar wurde Indem er 1736 eine solche topologische Sicht zum ersten Mal einnahm konnte Euler nicht nur beweisen dass es fiir das Koumlnigsherger Bruumlckenproblem keine Loumlsung gab- keinen Weg durch alle Teile der Stadt bei dem man nicht eine Bruumlcke zweimal uumlberqueren musste 11 Er demonstrierte daruumlber hinaus geneshyreJI die entscheidende Bedeutung des Netzwerk-Designs Seine Anlage limishytiert seinen Gebrauch Wer dje Stmktur eines Netzwerks kontrolliert praumldeterminiert seine moumlgliche Nutzung

5 Oumlffentlichkeit

Dem technologischen Stand entsprechend spielten zwischen Renaissance und Aufklaumlmng nationale oder gar internationale Netzwerke fiir das oumlffentliche Leben eine nur geringe Rolle Die Kommunikation der Gebildeten oder Gutshyausgebildeten unter der Buumlrgerschaft blieb noch weitgehend unbeeinflusst oder gar bestimmt durch (Massen-)Medien12 Im sozialen und kulturellen Ausshytausch dominierte der Umgang von Angesicht zu Angesicht auf den Straszligen der Staumldte auf (Markt-)Plaumltzen den Foyers von Veranstaltungssaumllen und Theshyatern in Kaffeehaumlusern Salons kurzum an Orten die insofern oumlffentlich washyren als keiner der Interagierenden an ihnen Privatheil beanspmchen konnte und vergleichsweise ungehinderter Zugang gesichert war Angeregt und ershyweitert wurde dieser physische Kontakt weitgehend Gleicher i e die Peer-tashyPeer-Kommunikation durch Medien vergleichsweise geringer Auflage und Reichweite wie Baumlnkelsaumlnge und Dramen Pamphlete Zeitschriften und Buuml-

11 Im 19 Jahrhundert bauten die Koumlnigsherger eine achte Bruumlcke und machten damit die sogenannte Eutertour durch die Stadt moumlglich vgl Barabasi Linked 12

12 Vgl Juumlrgen Habennas Strukturwandel der Oumlffentlichkeit Untersuchungen zu einer Kategorie der buumlrgerlichen Gesellschaft [5 Aufl Sonderausg ed (Sammlung Luchterhand 25) (Neuwied] Luchterhand 1971 )

NetzWerke 1 1 3

cher13 Ein Grundkennzeichen oumlffentlicher Diskurse zwischen Renaissance und Modeme war so dass sie mehr in persoumlnlicher muumlndlicher und schriftlishycher Kommunikation uumlber Medien - Literatur Malerei Musik - denn als Kommunikation mittels Medien- Presse Flugblatt- verliefen 14

Aus diesen Bedingungen des oumlffentlichen Diskurses ergab sich der Vorteil einer weitgehend gleichberechtigten persoumlnlichen Interaktion in Echtzeit wie aber auch der Nachteil geografischer und sozialer Beschraumlnkung Ein wichtishyges Kennzeichen von Oumlffentlichkeit in der mechanischen Epoche ist daher dass sie geographisch fragmentiert und intellektuell divers war da die Beteishyligten und die Themen oumlffentlicher Diskussion von Stadt zu Stadt wechselten In der Konsequenz betrachteten sich in weiten Teilen Europas die wenigen Gebildeten die am oumlffentlichen Diskurs partizipierten eher als Buumlrger ihrer

Stadt und weniger als Buumlrger eines groumlszligeren politischen Gebildes (des Kaisershyoder Koumlnigreichs eines Nationalstaats) In mancherlei Hinsicht - etwa mit Blick auf die Dominanz von Peer-ta-Peer-Kommunikation und den hohen Grad an Fragmentierung- glich das oumlffentliche Leben in diesen vorindustrielshylen Zeiten daher mehr dem sich gegenwaumlrtig ausbildenden digitalen als der uniformen von Massenmedien gepraumlgten Oumlffentlichkeit des damals heraufshyziehenden industriellen Zeitalters 15

13 Instruktiv ist dabei dass unter den Bedingungen mechanischer Kultur auch Medien die in der industriellen Epoche passiv rezipiert wurden auf Partizipation angelegt waren So erschienen etwa viele Zeitungen Zeitschriften und Buumlcher mit freien Seishyten die--- da diese Schriften in der Familie sowie im Freundes- und Bekanntenkreis

weitergereicht wurden - der Kommunikation und intel lektuellen Auseinandersetshyzung unter den Lesem dienen sollten Vgl Jack Shafer The Prota-Internet of 1 704 - The small ways in which ColoniaJ newspapers anticipated the Web Slate 26 August 2010 lthttpwwwslatecomlaiticlesnews_and _pol iticspress _ box20 1 008 the_protointemet_ o(_ 1 704htmlgt Shafer verweist als Quelle auf Thomas C Leoshynard News for all America s Coming-OfAge Wilh the Press (New York Oxford UP 1 995)

14 Ausnahmen stellten sich in Zeiten groszliger Krisen her Das wichtigste Beispiel gibt die Reformationsbewegung Pamphlete verbreiteten sich in einer geschaumltzten Auflashyge von sechs bis sieben Mill ionen wie Lauffeuer durch Zentraleuropa In etwa ein Viertel dieser Pamphlete stammten von Luther Hinzu kamen Balladen und Holzstishyche die diese epochale Auseinandersetzung gewissermaszligen transmedialisierten Vgl z B NN How Luther went v iral- Social media in the 1 6th Century The Economist 1 7 Dezember 20 I I lthttpwwweconomistcomnode2 1 54 1 7 1 9gt

15 Der Economist verglich denn auch die Situation unserer digitalen Fruumlhzeit mit der Reformation The media environment that Luther had shown hirnself so adept at managing had much in conunon vrith todays on line ecosystem of blogs social netshyworks and discussion threads lt was a decentralised system whose participants took care of distribut ion deciding collectively which messages to amplify through shashy

ring and recommendation [ ] Modem digital networks may be able to do it more

114 GundolfS Freyennuth

Spaumltestens jedoch seit der Aufklaumlrung strebten die Zeitgenossen in den am weitesten entwickelten Regionen mechanischer Kultur danach genau diese Kennzeichen vorindusttieller Oumlffentlichkeit zu uumlberwinden den geographisch begrenzten Einfluss des oumlffentlichen Lebens und die geringe Reichweite der Medien Das Verlangen nach nationalen Debatten kam auf nach nationalen Zeitschriften und Zeitungen und nationalen Fonnen von Unterhaltung und Bildung insbesondere nach einem Nationaltheater Mit mechanischer Vemetshyzungs- und Medientechnologie war diese Sehnsucht freilich nicht zu erfiillen Die mechanische Kultur stieszlig an ihre Grenzen - ein historisch wiederkehrenshydes Problem das Harold Innis so formulierte

We can perhaps assume that the use of a medium of communication over a long period will to some extent deterrnine the character of knowledge to be comrnunicated and suggest that its pervasive influence will eventually create a civilization in which life and flexibility will become exceedingly difficult to maintain and that the advantages of a new medium wil l become such as to Iead to the emergence of a new civilization 16

II Audiovisuelle Kultur im Zeitalter industrieller Vemetzung

1 Industrialisierung

Vor allem zwei Innovationen trieben den Prozess der Industrialisierung die sich steigemde Verfugung uumlber nicht-biologische Energiequellen uumlber Dampfkraft Gas Benzin Elektrizitaumlt sowie die mathematische Analyse und Kontrolle von Arbeitsprozessen das heiszligt die Taylorisierung menschlicher Arbeit und die Automatisierung von Maschinenarbeit17 Wiederum initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg eishyner neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung

quickly but even 500 years ago the sharing of media could play a supporting roJe in precipitating a revolution ibid

16 Harold Adams Innis und Mary Innis Empire and Communications (Toronto U of Toronto P 1 972) 34

Die Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konseshyquenzen folgt Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur David S Landes The Unbmmd Prometheus Technological Change and Industria Development in Western Europe From 1 750 to the Present (London Cambridge UP 1 969) Joe1 Mokyr The Lever of Riches Technological Creativity and Economic Progress (New York Oxford UP 1 990) Lewis Murnford Technics and Civilization (New York Harcourt Brace amp World 1963 (1 934)) Giedion Mechanization Gundo1fS Freyerrnuth Cinema Revisited Vor und nach dem Kino - Audiovisualitaumlt in der Neuzeit in Zulamft Kino Hg Danie1a Kloock (Marburg Schuumlren 2007) 1 5-40

NetzWerke 1 15

dieser neuen technischen Mittel lagen Unternehmer und Manager Finanzshyund Verwaltungsexperten Ingenieure Techniker Mechaniker Facharbeiter Angestellte in den wuchernden privaten und staatlichen Buumlrokratien wie auch eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen Vertreter der aufkonunenden Geistes- Natur- und Sozialwissenschaften Intellektuelle Journalisten und Kuumlnstler die in den neuen industriellen Massenmedien arbeiteten oder sich deshyren zumindest zur Distribution ihrer Werke bedienten Sie alle profitietten vom schnell wachsenden Beduumlrfnis der industriellen Massen nach Bildung Inshyformation und Unterhaltung Gleichzeitig zogen die Staumldte inuner mehr Menshyschen an und eine groszligstaumldtische Lebensform bildete sich heraus gepraumlgt von der IndustJialisierung und ihren sozialen wie kulturellen Folgen

Eins ihrer Hauptkennzeichen war Anonymitaumlt der gaumlnzlich neue Umshystand dass die B ewohner der industriellen Groszligstaumldte in ihrem Alltag - beim Spaziergang auf den Straszligen bei der Nutzung oumlffentlicher Verkehrsmittel beim Einkauf in den Warenhaumlusern beim Besuch von Theatern und Kinosshyeiner schier endlose Reihe von Mitmenschen begegneten die ihnen vollstaumlnshydig fremd waren Eine zweite Konsequenz die das Alltagsleben veraumlnderte war die Uumlberlagerung der Staumldte mit Zeichenstrukturen Als Reaktion auf die Anonymitaumlt des Al ltagslebens und den Umstand dass weite Teile des enorshymen urbanen Raums selbst langjaumlhrigen Bewohnern fremd blieben formte sich waumlhrend des 19 und 20 Jahrhunderts eine analoge InformationsshyInfrastruktur- Straszligenschilder Hausnununern Wegweiser Verkehrsschilder Rekiametafeln Verkehrskontrollsysteme usf Diese medialen Hilfsmittel ershymoumlglichten es Einheimischen wie Ortsfremden die industrielle Stadt und Umwelt zumindest partiell zu lesen und zu navigieren So lange Informatioshynen jedoch analog vermittelt wurden mussten sie mehr oder weniger standarshydisiert sein Der Einzelne erhielt so statistisch unentwegt vor allem Informatishyonen die er nicht oder gerade nicht brauchte Wegweisungen zu Orten an die er nicht wollte Neonreklamen zu Produkten die ihn nicht irrteressielten usf

2 Vernetzung

Entwickelt am Bruumlcken-Modell statischer Knoten und Kanten versagte die Graphentheorie vor den komplexen sozialen und oumlkonomischen Vernetzungen industrieller Massenkultur wie sie sich in den westlichen Metropolen herausshybildete Die vielfaumlltigen Beziehungen zwischen Hunderttausenden von Fremshyden - das Gewirr alltaumlglicher Zufallsbegegnungen beschrieben zum Beispiel

116 Gundolf S F reyermuth

von Edgar Allan Poe in Man of the Crowd 18 oder die heimliche Verwobenshy

heil der sexuellen Beziehungen dargestellt etwa von Arthur Schnitzler als

Reigen19- vermochte die zeitgenoumlssische Forschung ebenso wenig zu beshy

greifen oder gar zu berechnen wie die zahlreichen technischen Netzwerke von

Transport und Kommunikation die im Laufe des 19 und 20 Jahrhunderts neu

entstanden

Zum einen beschleunigte und automatisierte sich der physische Transport

durch den Einsatz industrieller Technologie Damit wuchs der Distributionsrashy

dius von Waren Dienstleistungen und Neuigkeiten Mit dem Ausbau des Eishy

senbahnnetzes der Einrichtung erst nationaler dann kontinentaler Autobahnshy

netze und schlieszliglich mit dem Flugnetz weiteten sich Handel und Kommunishy

kation geographisch aus Gleichzeitig kam es innerhalb der groszligen Staumldte zur

Etablierung von Netzen der Versorgung - Wasser Abwasser Gas Strom

Auch im Falle der Netze der Infrastruktur hat die Zeit ab 1750 und dann das

durch die Doppelrevolution eingeleitete 19 Jahrhunderte Scharnierbedeushy

tung schreibt Dietrich Kerlen Denn erst jetzt werden massenhaft private

Optionen auf die Benutzung von Netzen wirklich20 Die alltaumlgliche Erfahrung

bewirkte einen epistemologischen Wandel In Netzen zu denken konstatiert

Juumlrgen Osterhammel war uumlberhaupt erst eine Anschauungsform des 19

Jahrhunderts 21

Zum zweiten - und in der Konsequenz weitreichender - entstand eine

gaumlnzlich neue Kategorie Jmmaterieller Vemetzung Denn mit Telegraph und

Telefon spaumlter auch mit Radio und Fernsehen machte sich Fernkommunikatishy

on tmabhaumlngig von physischem Transport Das entscheidende Kennzeichen

dieser neuen industriellen Netzwerke war insofern dass Informationen sich

nun schneller als Waren verbreiten konnten Mehr noch Zum ersten Mal in

der Menschheitsgeschichte lieszligen sich Nachrichten uumlber groszlige Distanzen in

Echtzeit kommunizieren Schluumlsseldaten welche diese epochale Entwicklung

rahmen sind die Verlegung des ersten transatlantischen Telegraphenkabels in

den 1850er Jahren und die Verlegung des ersten transatlantischen Telefonkashy

bels in den 1950er Jahren 22

18 Edgar Allan Poe The Man of the Crowd ( 1840) lthttpetextvirginiaeduetcbin toccer-new2id=PoeCrowsgmampimages=imagesmodengampdata=textseng1ish

modengparsedamptag=pub1icamppart=teiHeadergt 19 Arthur Schnitz1er Reigen Zehn Dialoge geschrieben Winter 1896-97

lthttpgutenbergspiegeldebuch53 81 I 1 gt 20 Dietrich Kerlen Einfiihrung in die Medienkunde (Stuttgart Rec1amjun 2003) 148 21 Juumlrgen Osterhammel Die Verwandlung der Welt eine Geschichte des 19 Jahrhunshy

derts (Muumlnchen CH Beck 2009) 101 1 22 Zur Geschichte des transatlantischen Telegraphenkabels vgl Duncan Geere How

the first cable was laid across the Atlantic Wired UK (20 1 1 )

NetzWerke 117

l m Vergleich zur mechanischen Vemetzung koumltmen wir die neuen industshyriellen Praktiken der Vemetzung die eben in der Kommunikation keinen physhysischen Transport mehr erfordern waumlhrend gleichzeitig der Transport materishyeller Guumlter durch den Einsatz non-biologischer Energie Automatisierung und industrielle Arbeitsteilung dramatisch beschleunigt wird Vernetzung 20 nenshynen

Ihr zentrales Prinzip ist die Befaumlhigung zur Trennung von Kommunikation und Transport ihre wichtigste Technik ist im Hinblick aufkommunikative Akte die Eliminierung geographischer Distanzen durch die materielle Verbindung bnv Verschaltung verschiedener Leitungen

In der industriellen Zivilisation wie sie sich zwischen Aufklaumlrung und Postmodeme entwickelte geschah in der Konsequenz die alltaumlgliche Distribushytion von Guumltern und Informationen nicht mehr nur lokal oder regional sonshydern national Zwar wuchsen weiterhin als Auszligerordentlichkeit globale FernshyNetzwerke fuumlr Transport und Kommunikation zu See auf Land und schlieszligshylich auch in der Luft 23 Die durchschnittliche Distribution von Waren und auch Medienjedoch fand innerhalb von Nationen statt und in einem gewissen Maszlige zwischen benachbarten Staaten sowie seit der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunshyderts innerhalb kontinentaler Handelszonen Dieser geografischen (Er-) Schlieszligung die das erste industrielle Jahrhundert unter dem Banner des Natioshynalstaats leistete korrelierte die oumlkonomische und politische kulturelle und geistige Verengung auf die Grenzen der Nation Im 1 9 Jahrhundert brachte sie mit der industriellen Zentralisierung und dem Aufschwung der Kapitalen neue hauptstaumldtische Institutionen wie Nationalmuseen Nationalbibliotheken oder Nationaltheater hervor Mit Beginn des 20 Jahrhunderts und dem Siegeszug der industriellen audiovisuellen Medien eskalierte diese Nationalisierung der Kommunikation bis sie die lokalen Oumlffentlichkeiten nahezu in Gaumlnze uumlberlashygerte

lthttpwww wiredcouknewsarchive20 11-0 118transatlantic-cablespage=algt - Zur Geschichte sowohl des ersten transatlantischen Telegraphenkabels wie des ersten Telefonkabels vgl NN Milestones The First Submarine Transatlantic Teshy

lephone Cable System (TAT-I) 956 IEEE Global History Network (o J)

lthttpwwwieeeghnorgwikiindexphpMilestones The _First_ Submarine_ Transatl antic_ Telephone_ Cable_System_(T AT -1)_1956gt

23 Das Faszinosum fuumlr die Zeitgenossen des 19 und fruumlhen 20 Jahrhw1derts belegt schon das Kommunistische Manifest An die Stelle der alten durch Landeserzeugshynisse befriedigten Beduumlrfuisse treten neue welche die Produkte der entferntesten Laumlnder w1d Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen An die Stelle der alten lokashy

len und nationalen Selbstgenuumlgsanlkeit und Abgeschlossenheil tritt ein allseitiger

Verkehr eine allseitige Abhaumlngigkeit der Nationen voneinander Kar Marx und

Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei ( 1848) (Berlin Dietz 1972) lthttpwwwmlwerkedememe04me04_ 459htmgt 466

1 1 8 Gundolf S Freyennuth

Die neuen industriellen Medien- vom Telegrafen uumlber Telefon und Radio bis zum Fernsehen- bedienten sich dabei eines gaumlnzlich neuen Verfahrens der Hardware-Schaltung im Telefonverkehr etwa zunaumlchst von Hand durch Telefonistirmen und spaumlter durch automatische elektrische Schalter (circuit switching) 24 Technisch leistet Hardware-Schaltung dabei zweierlei Zum eishynen werden im geographischen Transport abgeschwaumlchte Stromimpulse vershystaumlrkt weitergeleitet zum zweiten werden verschiedene kuumlrzere Leitungen zu einer neuen kontinuierlichen Verbindung verschaltet Was Uumlberbruumlckung in mechanischen (und industriellen) Netzwerken des Transports leistet gelingt in den industriellen Kommunikationsnetzwerken so mittels Schaltung Sie ershyschafft das notwendige physische Kontinuum (die Kante) zwischen zwei Punkten (Knoten) indem sie den Raum der Sender und Empfaumlnger voneinanshyder trermt eben nicht mehr uumlberbruumlckt sondem unmittelbar und in Echtzeit eliminiert 25

Werm auch Telefonistirmen oder elektrische Schalter im Vergleich zur Bruumlcke nie die Qualitaumlt eines existentiellen Mythos gewarmen so figuriert die Praxis der Verschaltung - in ihrem Doppelsirm - doch recht prominent in zahlreichen Filmen des 20 Jahrhunderts Gespielt wird dabei mit zeitgenoumlssishyschen Aumlngsten dass durch falsche Verbindungen herbeigefuhrt von boumlswillishygen Operateuren oder fehlerhaften Schaltern Fremde in die Privatsphaumlre einshydringen und uns mit Dingen konfrontieren koumlrmten von denen entweder wir oder die anderen besser nichts wissen sollten 26 In dieser Hinsicht markiert der technische Vorgang der Schaltung die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten inshydustrieller Vernetzung selbst die niemals gaumlnzlich kontrollierbare Anstrenshygung zahlreiche Kommunikationspfade - Leitungen - deren Existenz in der industriellen Epoche die Vorbedingung fiir das Gelingen immaterieller Fernshykommunikation ist fiir eine kurze Zeit miteinander zu verbinden27

24 Vgl Elektrizitaumlt ersetzt die Logik der Uumlbertragung im strikten Sinne des Wortes zugunsten einer Logik der Schaltung Hartrnann Globale Medienkultur 12

25 Dass die industriellen -elektrischen -Medien keineswegs die physische Reichweite der Menschen vergroumlszligern sondern vielmehr raumlun1liche Distanz aufheben im Sinne

von auszliger Kraft setzen bemerkte bereits Marshall McLuhan Electric media [ ] abolish the spatial dimension rather than enlarge it Marshall McLuhan Undershystanding Media The Extensions of Man (New York Signet Books 1964) 255

26 Ein hervorragendes Beispiel dafur gibt Anatole Litvaks Film Noir Sony Wrong Number ( 1948)

27 Die Gewalt der analogen Schaltung als Vernichtung von Raum und Zeit verlangt danach dass sie nur temporaumlr geschehen soll Im zweiten Jahrhw1dertdrittel wird

folgerichtig sowohl ihr kurzfristiges Misslingen - die Fehlschaltung- als auch ihre dauerhafte Durchsetzung- die Gleichschaltungmiddot als Schrecken erfahren

NetzWerke 1 1 9

3 Audiovisualitaumlt

Die besondere Vorliebe die Kino- wie Fernsehfilme stets fur das Telefon als narratives Vehikel besaszligen weil es raumlumlich getrennte Protagonisten visuell shydurch Gegenschnitt oder geteilte Bildraumlume - verschaltete weist auf den starshyken Zusammenhang zwischen dem technologischen Stand der Vemetzung und dem audiovisueller Nanmiddotation Deutlich manipulieren industrielle Netzwerke der Kommunikation und der Film als das repraumlsentative audiovisuelle Erzaumlhlshymedium der industriellen Epoche raumlumliche und zeitliche Verhaumlltnisse auf recht aumlhnliche Art und Weise Filmakteure spielen ihre Rollen bekanntlich nicht mehr live und sequentiell Filmische Handlungen werden vielmehr nach dem Muster tayloristischer Arbeitsorganisation in einer Vielzahl von Einzelshyszenen aufgenommen und dann nicht anders als die meisten industriellen Washyren endmontiert (final cut) Die Montage fuumlgt dabei Bilder und Toumlne die im Augenblick der Reproduktion aus ihren natuumlrlichen - tatsaumlchlichen - Koorshydinaten gerissen wurden zu einem neuen kuumlnstlichen - fiktionalen- Raumshyzeitkontinuum Raumlumliche und zeitliche Distanzen werden so nicht laumlnger vershyund uumlberdeckt sondern eliminiert das heiszligt herausgeschnitten Auf diese Weise steigert sich das Potential zur Gestaltung raumzeitlicher Verhaumlltnisse Moumlglich wird ein beschleunigtes und stetes Wechseln zwischen entfernten Orshyten oder Zeiten und damit zum Beispiel die Darstellung paral leler Handlungsshyverlaumlufe

Als Basisinnovation der industriellen Modeme wurde die Montage nicht nur im Film sondern in nahezu allen Kuumlnsten wirksam in Musik wie Malerei Fotografie Lyrik Roman Dem1 in der Kombination des Heterogenen die es verband ohne es nach dem handwerklichen Ideal des Realismus organisch zu verschmelzen druumlckte sich die Erfahrung aus dass in der industriellen Zivilishysation ob am Flieszligband oder im Buumlro Arbeit seriell zu leisten ist jeder sepashyrate Schritt also seine wirkliche Bedeutung nur in der raumzeitlichen Kombishynation mit anderen gewinnt Seine vorbildhafte Vollendung erreichte das Vershyfahren der Montage daher auch nicht in den vorindustriellen Kuumlnsten die es um 1 900 zuerst applizierten - etwa als Bildmontage Montage im Bild - sonshydern mit einer gewissen Zwangslaumlufigkeit im narrativen Film in seiner Monshytage von Bildern Sie erst befahigte das fotorealistische Medium indem sie das Kontinuum seiner Echtzeit-Aufuahmen in einer neuen Ordnung aufhob zu eishyner der industriellen Wahrnehmung gemaumlszligen Manipulation von Zeit und Raum wie sie vorindustJiellen Medien und Kuumlnsten selbst noch der industrishyell aufgeruumlsteten Buumlhne prinzipiell verwehrt blieb Das was aber auf der Buumlhne vor sich geht ist teilweise raumlumlich teilweise zeitlich in der Regel raumlumlich und zeitlich nie aber zeit-raumlumlich wie es die Vorgaumlnge im Film sind schrieb Amold Hauser Der Film unterscheidet sich von den anderen

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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NetzWerke 1 07

darstellen dass wir heute in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche die Fortsetshyzung kultureller Prozesse erleben die zur Zeit der Renaissance mit der Meshychanisierung begannen und sich mit Aufklaumlrung und Industrialisierung intenshysivierten Den historischen Fluchtpunkt meiner Uumlberlegungen bildet dabei die Durchsetzung digitaler Netzwerke und in ihrem Gefolge die Emergenz einer hybriden - teils materiellen teils virtuellen - Kultur Sie veraumlndert erneut das

Leben in den kulturellen Zentren von Grund auf und ebenso dessen dokumenshytarische tmd fiktionale Verarbeitung in den audiovisuellen Medien und Kuumlnsshyten

Die Wechselbeziehung zwischen dem historischen Stand der Vemetzung und dem kulturellen Leben innerhalb der drei neuzeitlichen Epochen werde ich in jeweils fuumlnf Schritten analysieren Im ersten skizziere ich das Entstehen einer neuen Kultur - der mechanischen der industriellen der digitalen - aus technologischen und sozialen Veraumlnderungen im zweiten beschreibe ich die vorherrschenden Vernetzungspraktiken im dritten die Praktiken audiovisueller

Medienproduktion Dabei demonstriere ich die starke Interdependenz zwishyschen den Prinzipien der Vemetzung und denen audiovisueller Narration das heiszligt zwischen dem kulturellen Leben in den zivilisatorischen Zentren und seiner Erzaumlhlung oder richtiger seiner audiovisuellen Repraumlsentation und Ktishytik Im vierten Schritt untersuche ich die zeitgenoumlssischen Netzwerk-Theorien

das heiszligt die Wahrnehmung und theoretische Reflexion der kulturell praumlgenshyden Vemetzungspraktiken im fuumlnften die Konsequenzen dieser technologishyschen und kulturellen Voraussetzungen fuumlr das oumlffentliche Leben das heiszligt die Ausbildung unterschiedlich strukturierter Oumlffentlichkeiten

I Audiovisuelle Kultur im Zeitalter mechanischer Vemetzung

I Mechanisierung

Was wir die Renaissance nennen verdankt sich der Wiederentdeckung bzw dem Re-Import des- im christlichen Europa nahezu verlorenen- Wissens der Antike eines schriftlich tradierten theoretischen Wissens der Philosophen und Naturwissenschaftler und seiner fruchtbaren Verbindung mit dem im Laufe des Mittelalters akkumulierten handwerklichen Wissen primaumlr muumlndlich trashydierten praktischen Kenntnissen und Verfahrensweisen 4 Ein wesentliches Re-

4 Die Darstellung des Prozesses der Mechanisierung folgt Siegfried Giedion Mechanization Takes Command A Contribution to Anonymaus Histmy (New York Norton 1 969) Amold Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur (Muumlnchen Beck 1967 ( 1 95 l )) Marshal l McLuhan The Gutenberg Galwy The Maldng of Typographie Man (Toronto U of Toronto P 1 962) Erwin Panofsky Renaissance and Renascences in Western Art Harper Torchbooks TB I447 (New York Harper

108 Gundolf S Freyermuth

sultat war die - durch Mathematisierung getriebene - Entwicklung mechanishy

scher Technologie von der Erfindung des Kompasses der die Seefahrt expanshydieren lieszlig bis zur Erfindung des Geriistbaus der die Architektur revolutioshynierte von der Entwicklung der Perspektivtechnik bis zur Erfindung der Drushy

ckerpresse Diese Durchsetzung mechanischer Technologie in nahezu allen Lebensbereichen initiierte das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung sowie oumlkonomische und kulturelle Nutzung dieshyser mechanischen Mittel lag Techniker und Baumeister Handwerker und Haumlndler Seeleute und Militaumlrs Kaufleute und Bankiers Geistes- und Naturshywissenschaftler Gelehrte und Kuumlnstler Uumlberwiegend lebten und arbeiteten sie in Staumldten den neuen stetig wachsenden Zentren neuzeitlicher Kultur der

Waren- und der Kunstproduktion des Handels und des Austauschs von Inshyformationen Schritt fiir Schritt wichen uumlberkommene mittelalterliche Lebensshyformen moderneren saumlkularen und aufgeklaumlrten Praktiken und Denkweisen beide wesentlich gepraumlgt vom Prozess der Mechanisierung und seinen kultushyrellen Konsequenzen

2 Vernetzung

Neue Netzwerke des Transports und der Kommunikation begannen die prosshypetierenden staumldtischen Zentren miteinander zu verbinden Der Buchhandel zum Beispiel machte bald schon an kulturellem Einfluss dem tradierten Kommunikationsnetzwerk der katholischen Kirche Konkurrenz In beiden Faumllshylen mussten physische Datenspeicher- Briefe Buumlcher- durch den Raum beshy

wegt werden Das entscheidende Kennzeichen dieser und aller anderen Netzshywerke der mechanischen Epoche war insofern dass Neuigkeiten und Waren sich dem Ptinzip nach gleich schnell verbreiteten Mediale Kommunikation basierte- in direktem Gegensatz zu den nachfolgenden Epochen- auf Transshyport Angelehnt an das populaumlre Nummerierungssystem von Softwareshy

Versionen koumlnnen wir Praktiken der Distribution von Informationen und Guumlshytern die physische Bewegung mittels biologischer oder jedenfalls natuumlrlicher Energie erfordern Vernetzung 10 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist die Identitaumlt von Transport und Kommunikation ihre wichtigste Technik ist die materielle Uumlberwindung geographischer Disshytanz durch die Uumlberwindung bzw Uumlberbruumlckung von raumlumlichen wie zeitlishychen Zwischenraumlumen

amp Row 1969) Ruggiero Romano und Albe110 Tenenti Die Grundlegung der moshy

demen Welt Spaumltmittelalter Renaissance Reformation (Frankfurt aM Hamburg Fischer-Buumlcherei 1967)

NetzWerke 109

In der mechanischen Zivilisation wie sie sich zwischen Renaissance und Autklaumltung entwickelte war Vemetzung daher technologisch auf uumlberwindbashyre Distanzen limitiert Zwar etablierten sich zu See und auf Land einige fragile Fern-Netzwerke vor allem im Kontext der Entdeckung Ausbeutung und Beshysiedlung der Neuen Welt Die durchschnittliche Distribution von Waren und Medien jedoch fand innerhalb einzelner Staumldte in ihrem naumlheren und ferneren Einzugsbereich und auch zwischen benachbarten Staumldten statt Insofern die zentrale Technik mechanischer Vemetzung die Uumlberwindung des Zwischenshyraums war der die Sender und Empfaumlnger von Waren oder Nachrichten vonshyeinander trennte wurde der Bau von Bruumlcken zur vorrangigsten technischen Leistung mechanischer Vernetzung

Denn sie erschaffen indem sie geographische Kluumlfte abdecken- Getrennshytes miteinander verbinden Distanzen eben uumlberbruumlcken- die fiir mechanishysche Vernetzung notwendige physische Kontinuitaumlt zwischen geographischen Knotenpunkten In der Konsequenz avancierten sie zu mythischen Orten emoshytional besetzten Zwischen-Raumlumen existentiellen Uumlbergangs deren Konstrukshytion und Dekonstruktion Eroberung und Verlust die Triumphe Gefahren und Fallgruben von Transport und Kommunikation in der mechanischen Epoche symbolisierte 5 Eine Bruumlcke zu uumlberqueren ist grundsaumltzlich risikobehaftet denn ihre Oberflaumlche verdeckt inuner etvas ob nun einen Abgrund einen reishyszligenden Strom oder lauemde Gegner In dieser Hinsicht stehen Bruumlcken fuumlr die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten mate1ieller Vemetzung selbst fiir die beshyschwerliche und stets gefaumlhrliche Anstrengung geographische Distanzen zu uumlberwinden die sich bei keinem Akt physischen Transpo11s vermeiden laumlsst6

3 Audiovisualitaumlt

Uumlberbruumlckung als Basisprinzip mechanischer Vemetzung- die Uumlberwindung geographischer Distanz durch deren Verdeckung - illustriert eine Anekdote

5 Besonders prominent figurieren Bruumlcken in Romanen der ersten Haumllfte des zwanshyzigsten Jahrhunderts wie Thomton Wilders The Bridge of San Luis Rey ( 1 927) oder Emest Hemingways For Whom the Bell Tolls ( 1 940) und dann in Filmen der zweishyten Jahrhw1derthaumllfte wie David Leans The Bridge on the River Kwai ( 1 957) Bemshyhard Wickis Die Bruumlcke ( 1 959) oder John Guillennins The Bridge at Remagen ( 1 969) Die International Movie Data Base fuumlhrt mehrere hundert Filme auf die das Substantiv Bruumlcke in ihrem Titel tragen

6 Diese kategorialen Bedeutung der Uumlberbruumlckung fuumlr Transport und Kommunikation in der vorindustriellen Epoche hat z B Frank Hartmann benannt Was immer fuumlr Moumlglichkeiten hier an gedacht wurden meist hatten sie damit zu tun eine technische Bruumlcke zu schlagen um eine gewisse Fernwirkung zu erzeugen Frank Hartmann Globale Medienkultur- Technik Geschichte Theorien (Wien WUV 2006) 30

110 Gundolf S Freyennuth

um den deutschen Dichter Johann Wolfgang von Goethe Als er auf seiner

Reise nach Italien die Alpen uumlberquerte soll Goethe wie vor ihm schon der

Kunsthistoriker Johann Joachim Wirrekelmann die Gardinen seiner Kutsche

zugezogen haben um sich den Anblick der endlosen ennuumldenden und potenshy

tiell gefahrliehen Weite der Natur zu ersparen Indem er so die Distanz zwishy

schen verschiedenen Knotenpunkten im zeitgenoumlssischen Transport-Netzwerk

visuell verdeckte - uumlberbruumlckte middot middot scheint sich Goethe in der Dunkelkammer

seiner Kutsche sitzend wie den Inhalt eines Pakets oder eines Briefs behandelt

zu haben als jemanden bzw als etwas das fiir die Dauer des Transports von

der Umwelt verborgen war und erst wieder nach der sicheren Ankunft das Tashy

geslicht sehen sollte

Die Bedeutung dieser Anekdote reicht jedoch weiter Das audiovisuelle

Leitmedium der Epoche war bekanntlich die Buumlhne- die Bretter die die Welt

bedeuteten - und Goethe ein erfahrener Theaterautor mit der dramaturgischen

Funktion von Vorhaumlngen bestens vertraut In sein Kurschabteil wickelte er sich

also nicht einfach ein wie in ein Paket er inszenierte vielmehr seine Reiseershy

fahrung nach dem Muster eines Buumlhnenstuumlcks Goethes Verhalten deutet auf

eine zentrale Beziehung zwischen kultureller Vemetzung und audiovisuellem

Erzaumlhlen Auf jeder technologischen Entwicklungsstufe muumlssen Kommunikashy

tion und Kunst mit vergleichbaren Mitteln versuchen ihre Raum-Zeitshy

Probleme zu loumlsen Auf der mechanischen (Guckkasten-)Buumlhne steht da

Theaterschauspieler dramatische Handlungen von ihrem Anfang bis zu ihrem

Ende live - also in Echtzeit - und im selben Raum zu spielen haben in dem

sich auch das Publikum befindet fiir eine Manipulation von Raum und Zeit

lediglich der Vorhang zur Verfiigung Seine Funktion ist dialektisch Durch

die visuelle Abtrennung des Illusionsraums der Buumlhne vom Zuschauerraum

uumlberwindet er innerhalb der Einheit von Ort und Zeit welche die Realitaumlt Lishy

ve-Handlungen vorgibt Distanzen in Raum und Zeit indem er sie verdeckt

und damit uumlberbruumlckt 7

4 Netzwerf1heorie

Mit Blick auf die herausragende techno-kulturelle Funktion der Bruumlcke fiir

Transport und Kommunikation in der mechanischen Epoche uumlberrascht es

7 In diesem Zusanunenhang koumlnnen wir den Balkon diesen zwischen Renaissance und Aufklaumlrung so beliebten Handlungsort des Dazwischen zwischen Innen und Auszligen als abgebrochene Bruumlcke verstehen als einen Handlungsart der die Protashy

gonisten eher trennt denn verbindet -Funktioniert der Theatervorhang unter zeitgeshy

noumlssischer Perspektive daher wie eine Bruumlcke so erscheint er aus der spaumlteren Pershy

spektive des industriellen Films als primitiver Vorlaumlufer der cinematischen Basisshytechnologie von Schnit1 und Montage

Netz Werke 1 1 1

nicht dass die erste mathematische Theorie der Vernetzung in der Auseinanshydersetzung mit der Funktion eines Netzes von Bruumlcken fuumlr das urbane Leben entstand Im fruumlhen 1 8 Jahrhundert als Inunanuel Kant der einflussreichste Philosoph der deutschen Aufklaumlrung in Koumlnigsberg lehrte partizipierten die Buumlrger der Stadt an einem populaumlren Wettbewerb Man suchte einen Weg der es erlaubte alle Teile der Innenstadt zu durchlaufen ohne eine der sieben Bruumlshycken zweimal zu uumlberqueren8 Alle Versuche das Problem durch praktisches Experimentieren zu loumlsen scheiterten Kein richtiger Weg wollte sich fmden Dann ging der Mathematiker Leonhard Euler das Problem systematisch an Jeden Teil der Stadt begriff er dabei als ein Ding - in moderner mathematishyscher Begrifflichkeit als eine abstrakte Ecke oder einen Knoten - und jede Bruumlcke als eine Aktion- in moderner mathematischer Begrifflichkeit als eine abstrakte Verbindung oder eine Kante So schuf er eine mathematische Strukshytur genannt Graph die es ilun erlaubte jenseits von Trial-and-En-ar-Anlaumlufen die Beziehungen zwischen Ecken und Kanten quantitativ zu analysieren Both Kant (in politics) and Euler (in mathematics) schreibt Eugene Thacker show how an adequate understanding of networks must not come from experience but from an abstracting spatializing procedure9

bull

bull - -- - - - - - - - - - - - - - -e

bull FIG I Graph der sieben Bruumlcken von Koumlnigsberg10

8 Zur Darstellung des Koumlnigsherger Bruumlckenproblems vgl Barabasi Linked l Of Eine einfache Ein fuumlhrung findet sich online bei MathePrisma einer Modulsammlung des Fachbereichs Mathematik der Bergischen Universitaumlt Wuppertal lthttpwwwmatheprismauni-wuppertaldeModuleKoenigsbgt

9 Eugene Thacker Networks Swanns Multitudes ctheory (2004) lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=422gt amp lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=423gt

10 Diese und die folgenden I llustrationen von Leon S Freyennuth

1 1 2 GundolfS Freyermuth

Euters mathematische Formuliemng des Koumlnigsherger Bruumlckenproblems die Anstrengung Transport- und Kommunikationsnetzwerke terminologisch zushyverlaumlssig zu erfassen und in ihrer Funktionalitaumlt berechenbar zu machen leiteshyte eine epistemologische Wende ein von der Perspektive der Nutzer von Netzwerken deren Phantasie die Loumlsung eines Problems zu finden hatte von dem man annahm dass es im Prinzip loumlsbar sei zu der Perspektive des Netzshywerks dessen Anlage entweder einen bestimmten Gebrauch erlaubt oder eben nicht Die zentrale Leistung bestand dabei in der abstrahierenden Uumlbersetzung in eine geometrische Struktur in der topologischen Abstraktion mit der die in den Netzen angelegte potenzielle Nutzung zweifelsfrei berechenbar wurde Indem er 1736 eine solche topologische Sicht zum ersten Mal einnahm konnte Euler nicht nur beweisen dass es fiir das Koumlnigsherger Bruumlckenproblem keine Loumlsung gab- keinen Weg durch alle Teile der Stadt bei dem man nicht eine Bruumlcke zweimal uumlberqueren musste 11 Er demonstrierte daruumlber hinaus geneshyreJI die entscheidende Bedeutung des Netzwerk-Designs Seine Anlage limishytiert seinen Gebrauch Wer dje Stmktur eines Netzwerks kontrolliert praumldeterminiert seine moumlgliche Nutzung

5 Oumlffentlichkeit

Dem technologischen Stand entsprechend spielten zwischen Renaissance und Aufklaumlmng nationale oder gar internationale Netzwerke fiir das oumlffentliche Leben eine nur geringe Rolle Die Kommunikation der Gebildeten oder Gutshyausgebildeten unter der Buumlrgerschaft blieb noch weitgehend unbeeinflusst oder gar bestimmt durch (Massen-)Medien12 Im sozialen und kulturellen Ausshytausch dominierte der Umgang von Angesicht zu Angesicht auf den Straszligen der Staumldte auf (Markt-)Plaumltzen den Foyers von Veranstaltungssaumllen und Theshyatern in Kaffeehaumlusern Salons kurzum an Orten die insofern oumlffentlich washyren als keiner der Interagierenden an ihnen Privatheil beanspmchen konnte und vergleichsweise ungehinderter Zugang gesichert war Angeregt und ershyweitert wurde dieser physische Kontakt weitgehend Gleicher i e die Peer-tashyPeer-Kommunikation durch Medien vergleichsweise geringer Auflage und Reichweite wie Baumlnkelsaumlnge und Dramen Pamphlete Zeitschriften und Buuml-

11 Im 19 Jahrhundert bauten die Koumlnigsherger eine achte Bruumlcke und machten damit die sogenannte Eutertour durch die Stadt moumlglich vgl Barabasi Linked 12

12 Vgl Juumlrgen Habennas Strukturwandel der Oumlffentlichkeit Untersuchungen zu einer Kategorie der buumlrgerlichen Gesellschaft [5 Aufl Sonderausg ed (Sammlung Luchterhand 25) (Neuwied] Luchterhand 1971 )

NetzWerke 1 1 3

cher13 Ein Grundkennzeichen oumlffentlicher Diskurse zwischen Renaissance und Modeme war so dass sie mehr in persoumlnlicher muumlndlicher und schriftlishycher Kommunikation uumlber Medien - Literatur Malerei Musik - denn als Kommunikation mittels Medien- Presse Flugblatt- verliefen 14

Aus diesen Bedingungen des oumlffentlichen Diskurses ergab sich der Vorteil einer weitgehend gleichberechtigten persoumlnlichen Interaktion in Echtzeit wie aber auch der Nachteil geografischer und sozialer Beschraumlnkung Ein wichtishyges Kennzeichen von Oumlffentlichkeit in der mechanischen Epoche ist daher dass sie geographisch fragmentiert und intellektuell divers war da die Beteishyligten und die Themen oumlffentlicher Diskussion von Stadt zu Stadt wechselten In der Konsequenz betrachteten sich in weiten Teilen Europas die wenigen Gebildeten die am oumlffentlichen Diskurs partizipierten eher als Buumlrger ihrer

Stadt und weniger als Buumlrger eines groumlszligeren politischen Gebildes (des Kaisershyoder Koumlnigreichs eines Nationalstaats) In mancherlei Hinsicht - etwa mit Blick auf die Dominanz von Peer-ta-Peer-Kommunikation und den hohen Grad an Fragmentierung- glich das oumlffentliche Leben in diesen vorindustrielshylen Zeiten daher mehr dem sich gegenwaumlrtig ausbildenden digitalen als der uniformen von Massenmedien gepraumlgten Oumlffentlichkeit des damals heraufshyziehenden industriellen Zeitalters 15

13 Instruktiv ist dabei dass unter den Bedingungen mechanischer Kultur auch Medien die in der industriellen Epoche passiv rezipiert wurden auf Partizipation angelegt waren So erschienen etwa viele Zeitungen Zeitschriften und Buumlcher mit freien Seishyten die--- da diese Schriften in der Familie sowie im Freundes- und Bekanntenkreis

weitergereicht wurden - der Kommunikation und intel lektuellen Auseinandersetshyzung unter den Lesem dienen sollten Vgl Jack Shafer The Prota-Internet of 1 704 - The small ways in which ColoniaJ newspapers anticipated the Web Slate 26 August 2010 lthttpwwwslatecomlaiticlesnews_and _pol iticspress _ box20 1 008 the_protointemet_ o(_ 1 704htmlgt Shafer verweist als Quelle auf Thomas C Leoshynard News for all America s Coming-OfAge Wilh the Press (New York Oxford UP 1 995)

14 Ausnahmen stellten sich in Zeiten groszliger Krisen her Das wichtigste Beispiel gibt die Reformationsbewegung Pamphlete verbreiteten sich in einer geschaumltzten Auflashyge von sechs bis sieben Mill ionen wie Lauffeuer durch Zentraleuropa In etwa ein Viertel dieser Pamphlete stammten von Luther Hinzu kamen Balladen und Holzstishyche die diese epochale Auseinandersetzung gewissermaszligen transmedialisierten Vgl z B NN How Luther went v iral- Social media in the 1 6th Century The Economist 1 7 Dezember 20 I I lthttpwwweconomistcomnode2 1 54 1 7 1 9gt

15 Der Economist verglich denn auch die Situation unserer digitalen Fruumlhzeit mit der Reformation The media environment that Luther had shown hirnself so adept at managing had much in conunon vrith todays on line ecosystem of blogs social netshyworks and discussion threads lt was a decentralised system whose participants took care of distribut ion deciding collectively which messages to amplify through shashy

ring and recommendation [ ] Modem digital networks may be able to do it more

114 GundolfS Freyennuth

Spaumltestens jedoch seit der Aufklaumlrung strebten die Zeitgenossen in den am weitesten entwickelten Regionen mechanischer Kultur danach genau diese Kennzeichen vorindusttieller Oumlffentlichkeit zu uumlberwinden den geographisch begrenzten Einfluss des oumlffentlichen Lebens und die geringe Reichweite der Medien Das Verlangen nach nationalen Debatten kam auf nach nationalen Zeitschriften und Zeitungen und nationalen Fonnen von Unterhaltung und Bildung insbesondere nach einem Nationaltheater Mit mechanischer Vemetshyzungs- und Medientechnologie war diese Sehnsucht freilich nicht zu erfiillen Die mechanische Kultur stieszlig an ihre Grenzen - ein historisch wiederkehrenshydes Problem das Harold Innis so formulierte

We can perhaps assume that the use of a medium of communication over a long period will to some extent deterrnine the character of knowledge to be comrnunicated and suggest that its pervasive influence will eventually create a civilization in which life and flexibility will become exceedingly difficult to maintain and that the advantages of a new medium wil l become such as to Iead to the emergence of a new civilization 16

II Audiovisuelle Kultur im Zeitalter industrieller Vemetzung

1 Industrialisierung

Vor allem zwei Innovationen trieben den Prozess der Industrialisierung die sich steigemde Verfugung uumlber nicht-biologische Energiequellen uumlber Dampfkraft Gas Benzin Elektrizitaumlt sowie die mathematische Analyse und Kontrolle von Arbeitsprozessen das heiszligt die Taylorisierung menschlicher Arbeit und die Automatisierung von Maschinenarbeit17 Wiederum initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg eishyner neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung

quickly but even 500 years ago the sharing of media could play a supporting roJe in precipitating a revolution ibid

16 Harold Adams Innis und Mary Innis Empire and Communications (Toronto U of Toronto P 1 972) 34

Die Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konseshyquenzen folgt Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur David S Landes The Unbmmd Prometheus Technological Change and Industria Development in Western Europe From 1 750 to the Present (London Cambridge UP 1 969) Joe1 Mokyr The Lever of Riches Technological Creativity and Economic Progress (New York Oxford UP 1 990) Lewis Murnford Technics and Civilization (New York Harcourt Brace amp World 1963 (1 934)) Giedion Mechanization Gundo1fS Freyerrnuth Cinema Revisited Vor und nach dem Kino - Audiovisualitaumlt in der Neuzeit in Zulamft Kino Hg Danie1a Kloock (Marburg Schuumlren 2007) 1 5-40

NetzWerke 1 15

dieser neuen technischen Mittel lagen Unternehmer und Manager Finanzshyund Verwaltungsexperten Ingenieure Techniker Mechaniker Facharbeiter Angestellte in den wuchernden privaten und staatlichen Buumlrokratien wie auch eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen Vertreter der aufkonunenden Geistes- Natur- und Sozialwissenschaften Intellektuelle Journalisten und Kuumlnstler die in den neuen industriellen Massenmedien arbeiteten oder sich deshyren zumindest zur Distribution ihrer Werke bedienten Sie alle profitietten vom schnell wachsenden Beduumlrfnis der industriellen Massen nach Bildung Inshyformation und Unterhaltung Gleichzeitig zogen die Staumldte inuner mehr Menshyschen an und eine groszligstaumldtische Lebensform bildete sich heraus gepraumlgt von der IndustJialisierung und ihren sozialen wie kulturellen Folgen

Eins ihrer Hauptkennzeichen war Anonymitaumlt der gaumlnzlich neue Umshystand dass die B ewohner der industriellen Groszligstaumldte in ihrem Alltag - beim Spaziergang auf den Straszligen bei der Nutzung oumlffentlicher Verkehrsmittel beim Einkauf in den Warenhaumlusern beim Besuch von Theatern und Kinosshyeiner schier endlose Reihe von Mitmenschen begegneten die ihnen vollstaumlnshydig fremd waren Eine zweite Konsequenz die das Alltagsleben veraumlnderte war die Uumlberlagerung der Staumldte mit Zeichenstrukturen Als Reaktion auf die Anonymitaumlt des Al ltagslebens und den Umstand dass weite Teile des enorshymen urbanen Raums selbst langjaumlhrigen Bewohnern fremd blieben formte sich waumlhrend des 19 und 20 Jahrhunderts eine analoge InformationsshyInfrastruktur- Straszligenschilder Hausnununern Wegweiser Verkehrsschilder Rekiametafeln Verkehrskontrollsysteme usf Diese medialen Hilfsmittel ershymoumlglichten es Einheimischen wie Ortsfremden die industrielle Stadt und Umwelt zumindest partiell zu lesen und zu navigieren So lange Informatioshynen jedoch analog vermittelt wurden mussten sie mehr oder weniger standarshydisiert sein Der Einzelne erhielt so statistisch unentwegt vor allem Informatishyonen die er nicht oder gerade nicht brauchte Wegweisungen zu Orten an die er nicht wollte Neonreklamen zu Produkten die ihn nicht irrteressielten usf

2 Vernetzung

Entwickelt am Bruumlcken-Modell statischer Knoten und Kanten versagte die Graphentheorie vor den komplexen sozialen und oumlkonomischen Vernetzungen industrieller Massenkultur wie sie sich in den westlichen Metropolen herausshybildete Die vielfaumlltigen Beziehungen zwischen Hunderttausenden von Fremshyden - das Gewirr alltaumlglicher Zufallsbegegnungen beschrieben zum Beispiel

116 Gundolf S F reyermuth

von Edgar Allan Poe in Man of the Crowd 18 oder die heimliche Verwobenshy

heil der sexuellen Beziehungen dargestellt etwa von Arthur Schnitzler als

Reigen19- vermochte die zeitgenoumlssische Forschung ebenso wenig zu beshy

greifen oder gar zu berechnen wie die zahlreichen technischen Netzwerke von

Transport und Kommunikation die im Laufe des 19 und 20 Jahrhunderts neu

entstanden

Zum einen beschleunigte und automatisierte sich der physische Transport

durch den Einsatz industrieller Technologie Damit wuchs der Distributionsrashy

dius von Waren Dienstleistungen und Neuigkeiten Mit dem Ausbau des Eishy

senbahnnetzes der Einrichtung erst nationaler dann kontinentaler Autobahnshy

netze und schlieszliglich mit dem Flugnetz weiteten sich Handel und Kommunishy

kation geographisch aus Gleichzeitig kam es innerhalb der groszligen Staumldte zur

Etablierung von Netzen der Versorgung - Wasser Abwasser Gas Strom

Auch im Falle der Netze der Infrastruktur hat die Zeit ab 1750 und dann das

durch die Doppelrevolution eingeleitete 19 Jahrhunderte Scharnierbedeushy

tung schreibt Dietrich Kerlen Denn erst jetzt werden massenhaft private

Optionen auf die Benutzung von Netzen wirklich20 Die alltaumlgliche Erfahrung

bewirkte einen epistemologischen Wandel In Netzen zu denken konstatiert

Juumlrgen Osterhammel war uumlberhaupt erst eine Anschauungsform des 19

Jahrhunderts 21

Zum zweiten - und in der Konsequenz weitreichender - entstand eine

gaumlnzlich neue Kategorie Jmmaterieller Vemetzung Denn mit Telegraph und

Telefon spaumlter auch mit Radio und Fernsehen machte sich Fernkommunikatishy

on tmabhaumlngig von physischem Transport Das entscheidende Kennzeichen

dieser neuen industriellen Netzwerke war insofern dass Informationen sich

nun schneller als Waren verbreiten konnten Mehr noch Zum ersten Mal in

der Menschheitsgeschichte lieszligen sich Nachrichten uumlber groszlige Distanzen in

Echtzeit kommunizieren Schluumlsseldaten welche diese epochale Entwicklung

rahmen sind die Verlegung des ersten transatlantischen Telegraphenkabels in

den 1850er Jahren und die Verlegung des ersten transatlantischen Telefonkashy

bels in den 1950er Jahren 22

18 Edgar Allan Poe The Man of the Crowd ( 1840) lthttpetextvirginiaeduetcbin toccer-new2id=PoeCrowsgmampimages=imagesmodengampdata=textseng1ish

modengparsedamptag=pub1icamppart=teiHeadergt 19 Arthur Schnitz1er Reigen Zehn Dialoge geschrieben Winter 1896-97

lthttpgutenbergspiegeldebuch53 81 I 1 gt 20 Dietrich Kerlen Einfiihrung in die Medienkunde (Stuttgart Rec1amjun 2003) 148 21 Juumlrgen Osterhammel Die Verwandlung der Welt eine Geschichte des 19 Jahrhunshy

derts (Muumlnchen CH Beck 2009) 101 1 22 Zur Geschichte des transatlantischen Telegraphenkabels vgl Duncan Geere How

the first cable was laid across the Atlantic Wired UK (20 1 1 )

NetzWerke 117

l m Vergleich zur mechanischen Vemetzung koumltmen wir die neuen industshyriellen Praktiken der Vemetzung die eben in der Kommunikation keinen physhysischen Transport mehr erfordern waumlhrend gleichzeitig der Transport materishyeller Guumlter durch den Einsatz non-biologischer Energie Automatisierung und industrielle Arbeitsteilung dramatisch beschleunigt wird Vernetzung 20 nenshynen

Ihr zentrales Prinzip ist die Befaumlhigung zur Trennung von Kommunikation und Transport ihre wichtigste Technik ist im Hinblick aufkommunikative Akte die Eliminierung geographischer Distanzen durch die materielle Verbindung bnv Verschaltung verschiedener Leitungen

In der industriellen Zivilisation wie sie sich zwischen Aufklaumlrung und Postmodeme entwickelte geschah in der Konsequenz die alltaumlgliche Distribushytion von Guumltern und Informationen nicht mehr nur lokal oder regional sonshydern national Zwar wuchsen weiterhin als Auszligerordentlichkeit globale FernshyNetzwerke fuumlr Transport und Kommunikation zu See auf Land und schlieszligshylich auch in der Luft 23 Die durchschnittliche Distribution von Waren und auch Medienjedoch fand innerhalb von Nationen statt und in einem gewissen Maszlige zwischen benachbarten Staaten sowie seit der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunshyderts innerhalb kontinentaler Handelszonen Dieser geografischen (Er-) Schlieszligung die das erste industrielle Jahrhundert unter dem Banner des Natioshynalstaats leistete korrelierte die oumlkonomische und politische kulturelle und geistige Verengung auf die Grenzen der Nation Im 1 9 Jahrhundert brachte sie mit der industriellen Zentralisierung und dem Aufschwung der Kapitalen neue hauptstaumldtische Institutionen wie Nationalmuseen Nationalbibliotheken oder Nationaltheater hervor Mit Beginn des 20 Jahrhunderts und dem Siegeszug der industriellen audiovisuellen Medien eskalierte diese Nationalisierung der Kommunikation bis sie die lokalen Oumlffentlichkeiten nahezu in Gaumlnze uumlberlashygerte

lthttpwww wiredcouknewsarchive20 11-0 118transatlantic-cablespage=algt - Zur Geschichte sowohl des ersten transatlantischen Telegraphenkabels wie des ersten Telefonkabels vgl NN Milestones The First Submarine Transatlantic Teshy

lephone Cable System (TAT-I) 956 IEEE Global History Network (o J)

lthttpwwwieeeghnorgwikiindexphpMilestones The _First_ Submarine_ Transatl antic_ Telephone_ Cable_System_(T AT -1)_1956gt

23 Das Faszinosum fuumlr die Zeitgenossen des 19 und fruumlhen 20 Jahrhw1derts belegt schon das Kommunistische Manifest An die Stelle der alten durch Landeserzeugshynisse befriedigten Beduumlrfuisse treten neue welche die Produkte der entferntesten Laumlnder w1d Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen An die Stelle der alten lokashy

len und nationalen Selbstgenuumlgsanlkeit und Abgeschlossenheil tritt ein allseitiger

Verkehr eine allseitige Abhaumlngigkeit der Nationen voneinander Kar Marx und

Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei ( 1848) (Berlin Dietz 1972) lthttpwwwmlwerkedememe04me04_ 459htmgt 466

1 1 8 Gundolf S Freyennuth

Die neuen industriellen Medien- vom Telegrafen uumlber Telefon und Radio bis zum Fernsehen- bedienten sich dabei eines gaumlnzlich neuen Verfahrens der Hardware-Schaltung im Telefonverkehr etwa zunaumlchst von Hand durch Telefonistirmen und spaumlter durch automatische elektrische Schalter (circuit switching) 24 Technisch leistet Hardware-Schaltung dabei zweierlei Zum eishynen werden im geographischen Transport abgeschwaumlchte Stromimpulse vershystaumlrkt weitergeleitet zum zweiten werden verschiedene kuumlrzere Leitungen zu einer neuen kontinuierlichen Verbindung verschaltet Was Uumlberbruumlckung in mechanischen (und industriellen) Netzwerken des Transports leistet gelingt in den industriellen Kommunikationsnetzwerken so mittels Schaltung Sie ershyschafft das notwendige physische Kontinuum (die Kante) zwischen zwei Punkten (Knoten) indem sie den Raum der Sender und Empfaumlnger voneinanshyder trermt eben nicht mehr uumlberbruumlckt sondem unmittelbar und in Echtzeit eliminiert 25

Werm auch Telefonistirmen oder elektrische Schalter im Vergleich zur Bruumlcke nie die Qualitaumlt eines existentiellen Mythos gewarmen so figuriert die Praxis der Verschaltung - in ihrem Doppelsirm - doch recht prominent in zahlreichen Filmen des 20 Jahrhunderts Gespielt wird dabei mit zeitgenoumlssishyschen Aumlngsten dass durch falsche Verbindungen herbeigefuhrt von boumlswillishygen Operateuren oder fehlerhaften Schaltern Fremde in die Privatsphaumlre einshydringen und uns mit Dingen konfrontieren koumlrmten von denen entweder wir oder die anderen besser nichts wissen sollten 26 In dieser Hinsicht markiert der technische Vorgang der Schaltung die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten inshydustrieller Vernetzung selbst die niemals gaumlnzlich kontrollierbare Anstrenshygung zahlreiche Kommunikationspfade - Leitungen - deren Existenz in der industriellen Epoche die Vorbedingung fiir das Gelingen immaterieller Fernshykommunikation ist fiir eine kurze Zeit miteinander zu verbinden27

24 Vgl Elektrizitaumlt ersetzt die Logik der Uumlbertragung im strikten Sinne des Wortes zugunsten einer Logik der Schaltung Hartrnann Globale Medienkultur 12

25 Dass die industriellen -elektrischen -Medien keineswegs die physische Reichweite der Menschen vergroumlszligern sondern vielmehr raumlun1liche Distanz aufheben im Sinne

von auszliger Kraft setzen bemerkte bereits Marshall McLuhan Electric media [ ] abolish the spatial dimension rather than enlarge it Marshall McLuhan Undershystanding Media The Extensions of Man (New York Signet Books 1964) 255

26 Ein hervorragendes Beispiel dafur gibt Anatole Litvaks Film Noir Sony Wrong Number ( 1948)

27 Die Gewalt der analogen Schaltung als Vernichtung von Raum und Zeit verlangt danach dass sie nur temporaumlr geschehen soll Im zweiten Jahrhw1dertdrittel wird

folgerichtig sowohl ihr kurzfristiges Misslingen - die Fehlschaltung- als auch ihre dauerhafte Durchsetzung- die Gleichschaltungmiddot als Schrecken erfahren

NetzWerke 1 1 9

3 Audiovisualitaumlt

Die besondere Vorliebe die Kino- wie Fernsehfilme stets fur das Telefon als narratives Vehikel besaszligen weil es raumlumlich getrennte Protagonisten visuell shydurch Gegenschnitt oder geteilte Bildraumlume - verschaltete weist auf den starshyken Zusammenhang zwischen dem technologischen Stand der Vemetzung und dem audiovisueller Nanmiddotation Deutlich manipulieren industrielle Netzwerke der Kommunikation und der Film als das repraumlsentative audiovisuelle Erzaumlhlshymedium der industriellen Epoche raumlumliche und zeitliche Verhaumlltnisse auf recht aumlhnliche Art und Weise Filmakteure spielen ihre Rollen bekanntlich nicht mehr live und sequentiell Filmische Handlungen werden vielmehr nach dem Muster tayloristischer Arbeitsorganisation in einer Vielzahl von Einzelshyszenen aufgenommen und dann nicht anders als die meisten industriellen Washyren endmontiert (final cut) Die Montage fuumlgt dabei Bilder und Toumlne die im Augenblick der Reproduktion aus ihren natuumlrlichen - tatsaumlchlichen - Koorshydinaten gerissen wurden zu einem neuen kuumlnstlichen - fiktionalen- Raumshyzeitkontinuum Raumlumliche und zeitliche Distanzen werden so nicht laumlnger vershyund uumlberdeckt sondern eliminiert das heiszligt herausgeschnitten Auf diese Weise steigert sich das Potential zur Gestaltung raumzeitlicher Verhaumlltnisse Moumlglich wird ein beschleunigtes und stetes Wechseln zwischen entfernten Orshyten oder Zeiten und damit zum Beispiel die Darstellung paral leler Handlungsshyverlaumlufe

Als Basisinnovation der industriellen Modeme wurde die Montage nicht nur im Film sondern in nahezu allen Kuumlnsten wirksam in Musik wie Malerei Fotografie Lyrik Roman Dem1 in der Kombination des Heterogenen die es verband ohne es nach dem handwerklichen Ideal des Realismus organisch zu verschmelzen druumlckte sich die Erfahrung aus dass in der industriellen Zivilishysation ob am Flieszligband oder im Buumlro Arbeit seriell zu leisten ist jeder sepashyrate Schritt also seine wirkliche Bedeutung nur in der raumzeitlichen Kombishynation mit anderen gewinnt Seine vorbildhafte Vollendung erreichte das Vershyfahren der Montage daher auch nicht in den vorindustriellen Kuumlnsten die es um 1 900 zuerst applizierten - etwa als Bildmontage Montage im Bild - sonshydern mit einer gewissen Zwangslaumlufigkeit im narrativen Film in seiner Monshytage von Bildern Sie erst befahigte das fotorealistische Medium indem sie das Kontinuum seiner Echtzeit-Aufuahmen in einer neuen Ordnung aufhob zu eishyner der industriellen Wahrnehmung gemaumlszligen Manipulation von Zeit und Raum wie sie vorindustJiellen Medien und Kuumlnsten selbst noch der industrishyell aufgeruumlsteten Buumlhne prinzipiell verwehrt blieb Das was aber auf der Buumlhne vor sich geht ist teilweise raumlumlich teilweise zeitlich in der Regel raumlumlich und zeitlich nie aber zeit-raumlumlich wie es die Vorgaumlnge im Film sind schrieb Amold Hauser Der Film unterscheidet sich von den anderen

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 4: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

108 Gundolf S Freyermuth

sultat war die - durch Mathematisierung getriebene - Entwicklung mechanishy

scher Technologie von der Erfindung des Kompasses der die Seefahrt expanshydieren lieszlig bis zur Erfindung des Geriistbaus der die Architektur revolutioshynierte von der Entwicklung der Perspektivtechnik bis zur Erfindung der Drushy

ckerpresse Diese Durchsetzung mechanischer Technologie in nahezu allen Lebensbereichen initiierte das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung sowie oumlkonomische und kulturelle Nutzung dieshyser mechanischen Mittel lag Techniker und Baumeister Handwerker und Haumlndler Seeleute und Militaumlrs Kaufleute und Bankiers Geistes- und Naturshywissenschaftler Gelehrte und Kuumlnstler Uumlberwiegend lebten und arbeiteten sie in Staumldten den neuen stetig wachsenden Zentren neuzeitlicher Kultur der

Waren- und der Kunstproduktion des Handels und des Austauschs von Inshyformationen Schritt fiir Schritt wichen uumlberkommene mittelalterliche Lebensshyformen moderneren saumlkularen und aufgeklaumlrten Praktiken und Denkweisen beide wesentlich gepraumlgt vom Prozess der Mechanisierung und seinen kultushyrellen Konsequenzen

2 Vernetzung

Neue Netzwerke des Transports und der Kommunikation begannen die prosshypetierenden staumldtischen Zentren miteinander zu verbinden Der Buchhandel zum Beispiel machte bald schon an kulturellem Einfluss dem tradierten Kommunikationsnetzwerk der katholischen Kirche Konkurrenz In beiden Faumllshylen mussten physische Datenspeicher- Briefe Buumlcher- durch den Raum beshy

wegt werden Das entscheidende Kennzeichen dieser und aller anderen Netzshywerke der mechanischen Epoche war insofern dass Neuigkeiten und Waren sich dem Ptinzip nach gleich schnell verbreiteten Mediale Kommunikation basierte- in direktem Gegensatz zu den nachfolgenden Epochen- auf Transshyport Angelehnt an das populaumlre Nummerierungssystem von Softwareshy

Versionen koumlnnen wir Praktiken der Distribution von Informationen und Guumlshytern die physische Bewegung mittels biologischer oder jedenfalls natuumlrlicher Energie erfordern Vernetzung 10 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist die Identitaumlt von Transport und Kommunikation ihre wichtigste Technik ist die materielle Uumlberwindung geographischer Disshytanz durch die Uumlberwindung bzw Uumlberbruumlckung von raumlumlichen wie zeitlishychen Zwischenraumlumen

amp Row 1969) Ruggiero Romano und Albe110 Tenenti Die Grundlegung der moshy

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NetzWerke 109

In der mechanischen Zivilisation wie sie sich zwischen Renaissance und Autklaumltung entwickelte war Vemetzung daher technologisch auf uumlberwindbashyre Distanzen limitiert Zwar etablierten sich zu See und auf Land einige fragile Fern-Netzwerke vor allem im Kontext der Entdeckung Ausbeutung und Beshysiedlung der Neuen Welt Die durchschnittliche Distribution von Waren und Medien jedoch fand innerhalb einzelner Staumldte in ihrem naumlheren und ferneren Einzugsbereich und auch zwischen benachbarten Staumldten statt Insofern die zentrale Technik mechanischer Vemetzung die Uumlberwindung des Zwischenshyraums war der die Sender und Empfaumlnger von Waren oder Nachrichten vonshyeinander trennte wurde der Bau von Bruumlcken zur vorrangigsten technischen Leistung mechanischer Vernetzung

Denn sie erschaffen indem sie geographische Kluumlfte abdecken- Getrennshytes miteinander verbinden Distanzen eben uumlberbruumlcken- die fiir mechanishysche Vernetzung notwendige physische Kontinuitaumlt zwischen geographischen Knotenpunkten In der Konsequenz avancierten sie zu mythischen Orten emoshytional besetzten Zwischen-Raumlumen existentiellen Uumlbergangs deren Konstrukshytion und Dekonstruktion Eroberung und Verlust die Triumphe Gefahren und Fallgruben von Transport und Kommunikation in der mechanischen Epoche symbolisierte 5 Eine Bruumlcke zu uumlberqueren ist grundsaumltzlich risikobehaftet denn ihre Oberflaumlche verdeckt inuner etvas ob nun einen Abgrund einen reishyszligenden Strom oder lauemde Gegner In dieser Hinsicht stehen Bruumlcken fuumlr die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten mate1ieller Vemetzung selbst fiir die beshyschwerliche und stets gefaumlhrliche Anstrengung geographische Distanzen zu uumlberwinden die sich bei keinem Akt physischen Transpo11s vermeiden laumlsst6

3 Audiovisualitaumlt

Uumlberbruumlckung als Basisprinzip mechanischer Vemetzung- die Uumlberwindung geographischer Distanz durch deren Verdeckung - illustriert eine Anekdote

5 Besonders prominent figurieren Bruumlcken in Romanen der ersten Haumllfte des zwanshyzigsten Jahrhunderts wie Thomton Wilders The Bridge of San Luis Rey ( 1 927) oder Emest Hemingways For Whom the Bell Tolls ( 1 940) und dann in Filmen der zweishyten Jahrhw1derthaumllfte wie David Leans The Bridge on the River Kwai ( 1 957) Bemshyhard Wickis Die Bruumlcke ( 1 959) oder John Guillennins The Bridge at Remagen ( 1 969) Die International Movie Data Base fuumlhrt mehrere hundert Filme auf die das Substantiv Bruumlcke in ihrem Titel tragen

6 Diese kategorialen Bedeutung der Uumlberbruumlckung fuumlr Transport und Kommunikation in der vorindustriellen Epoche hat z B Frank Hartmann benannt Was immer fuumlr Moumlglichkeiten hier an gedacht wurden meist hatten sie damit zu tun eine technische Bruumlcke zu schlagen um eine gewisse Fernwirkung zu erzeugen Frank Hartmann Globale Medienkultur- Technik Geschichte Theorien (Wien WUV 2006) 30

110 Gundolf S Freyennuth

um den deutschen Dichter Johann Wolfgang von Goethe Als er auf seiner

Reise nach Italien die Alpen uumlberquerte soll Goethe wie vor ihm schon der

Kunsthistoriker Johann Joachim Wirrekelmann die Gardinen seiner Kutsche

zugezogen haben um sich den Anblick der endlosen ennuumldenden und potenshy

tiell gefahrliehen Weite der Natur zu ersparen Indem er so die Distanz zwishy

schen verschiedenen Knotenpunkten im zeitgenoumlssischen Transport-Netzwerk

visuell verdeckte - uumlberbruumlckte middot middot scheint sich Goethe in der Dunkelkammer

seiner Kutsche sitzend wie den Inhalt eines Pakets oder eines Briefs behandelt

zu haben als jemanden bzw als etwas das fiir die Dauer des Transports von

der Umwelt verborgen war und erst wieder nach der sicheren Ankunft das Tashy

geslicht sehen sollte

Die Bedeutung dieser Anekdote reicht jedoch weiter Das audiovisuelle

Leitmedium der Epoche war bekanntlich die Buumlhne- die Bretter die die Welt

bedeuteten - und Goethe ein erfahrener Theaterautor mit der dramaturgischen

Funktion von Vorhaumlngen bestens vertraut In sein Kurschabteil wickelte er sich

also nicht einfach ein wie in ein Paket er inszenierte vielmehr seine Reiseershy

fahrung nach dem Muster eines Buumlhnenstuumlcks Goethes Verhalten deutet auf

eine zentrale Beziehung zwischen kultureller Vemetzung und audiovisuellem

Erzaumlhlen Auf jeder technologischen Entwicklungsstufe muumlssen Kommunikashy

tion und Kunst mit vergleichbaren Mitteln versuchen ihre Raum-Zeitshy

Probleme zu loumlsen Auf der mechanischen (Guckkasten-)Buumlhne steht da

Theaterschauspieler dramatische Handlungen von ihrem Anfang bis zu ihrem

Ende live - also in Echtzeit - und im selben Raum zu spielen haben in dem

sich auch das Publikum befindet fiir eine Manipulation von Raum und Zeit

lediglich der Vorhang zur Verfiigung Seine Funktion ist dialektisch Durch

die visuelle Abtrennung des Illusionsraums der Buumlhne vom Zuschauerraum

uumlberwindet er innerhalb der Einheit von Ort und Zeit welche die Realitaumlt Lishy

ve-Handlungen vorgibt Distanzen in Raum und Zeit indem er sie verdeckt

und damit uumlberbruumlckt 7

4 Netzwerf1heorie

Mit Blick auf die herausragende techno-kulturelle Funktion der Bruumlcke fiir

Transport und Kommunikation in der mechanischen Epoche uumlberrascht es

7 In diesem Zusanunenhang koumlnnen wir den Balkon diesen zwischen Renaissance und Aufklaumlrung so beliebten Handlungsort des Dazwischen zwischen Innen und Auszligen als abgebrochene Bruumlcke verstehen als einen Handlungsart der die Protashy

gonisten eher trennt denn verbindet -Funktioniert der Theatervorhang unter zeitgeshy

noumlssischer Perspektive daher wie eine Bruumlcke so erscheint er aus der spaumlteren Pershy

spektive des industriellen Films als primitiver Vorlaumlufer der cinematischen Basisshytechnologie von Schnit1 und Montage

Netz Werke 1 1 1

nicht dass die erste mathematische Theorie der Vernetzung in der Auseinanshydersetzung mit der Funktion eines Netzes von Bruumlcken fuumlr das urbane Leben entstand Im fruumlhen 1 8 Jahrhundert als Inunanuel Kant der einflussreichste Philosoph der deutschen Aufklaumlrung in Koumlnigsberg lehrte partizipierten die Buumlrger der Stadt an einem populaumlren Wettbewerb Man suchte einen Weg der es erlaubte alle Teile der Innenstadt zu durchlaufen ohne eine der sieben Bruumlshycken zweimal zu uumlberqueren8 Alle Versuche das Problem durch praktisches Experimentieren zu loumlsen scheiterten Kein richtiger Weg wollte sich fmden Dann ging der Mathematiker Leonhard Euler das Problem systematisch an Jeden Teil der Stadt begriff er dabei als ein Ding - in moderner mathematishyscher Begrifflichkeit als eine abstrakte Ecke oder einen Knoten - und jede Bruumlcke als eine Aktion- in moderner mathematischer Begrifflichkeit als eine abstrakte Verbindung oder eine Kante So schuf er eine mathematische Strukshytur genannt Graph die es ilun erlaubte jenseits von Trial-and-En-ar-Anlaumlufen die Beziehungen zwischen Ecken und Kanten quantitativ zu analysieren Both Kant (in politics) and Euler (in mathematics) schreibt Eugene Thacker show how an adequate understanding of networks must not come from experience but from an abstracting spatializing procedure9

bull

bull - -- - - - - - - - - - - - - - -e

bull FIG I Graph der sieben Bruumlcken von Koumlnigsberg10

8 Zur Darstellung des Koumlnigsherger Bruumlckenproblems vgl Barabasi Linked l Of Eine einfache Ein fuumlhrung findet sich online bei MathePrisma einer Modulsammlung des Fachbereichs Mathematik der Bergischen Universitaumlt Wuppertal lthttpwwwmatheprismauni-wuppertaldeModuleKoenigsbgt

9 Eugene Thacker Networks Swanns Multitudes ctheory (2004) lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=422gt amp lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=423gt

10 Diese und die folgenden I llustrationen von Leon S Freyennuth

1 1 2 GundolfS Freyermuth

Euters mathematische Formuliemng des Koumlnigsherger Bruumlckenproblems die Anstrengung Transport- und Kommunikationsnetzwerke terminologisch zushyverlaumlssig zu erfassen und in ihrer Funktionalitaumlt berechenbar zu machen leiteshyte eine epistemologische Wende ein von der Perspektive der Nutzer von Netzwerken deren Phantasie die Loumlsung eines Problems zu finden hatte von dem man annahm dass es im Prinzip loumlsbar sei zu der Perspektive des Netzshywerks dessen Anlage entweder einen bestimmten Gebrauch erlaubt oder eben nicht Die zentrale Leistung bestand dabei in der abstrahierenden Uumlbersetzung in eine geometrische Struktur in der topologischen Abstraktion mit der die in den Netzen angelegte potenzielle Nutzung zweifelsfrei berechenbar wurde Indem er 1736 eine solche topologische Sicht zum ersten Mal einnahm konnte Euler nicht nur beweisen dass es fiir das Koumlnigsherger Bruumlckenproblem keine Loumlsung gab- keinen Weg durch alle Teile der Stadt bei dem man nicht eine Bruumlcke zweimal uumlberqueren musste 11 Er demonstrierte daruumlber hinaus geneshyreJI die entscheidende Bedeutung des Netzwerk-Designs Seine Anlage limishytiert seinen Gebrauch Wer dje Stmktur eines Netzwerks kontrolliert praumldeterminiert seine moumlgliche Nutzung

5 Oumlffentlichkeit

Dem technologischen Stand entsprechend spielten zwischen Renaissance und Aufklaumlmng nationale oder gar internationale Netzwerke fiir das oumlffentliche Leben eine nur geringe Rolle Die Kommunikation der Gebildeten oder Gutshyausgebildeten unter der Buumlrgerschaft blieb noch weitgehend unbeeinflusst oder gar bestimmt durch (Massen-)Medien12 Im sozialen und kulturellen Ausshytausch dominierte der Umgang von Angesicht zu Angesicht auf den Straszligen der Staumldte auf (Markt-)Plaumltzen den Foyers von Veranstaltungssaumllen und Theshyatern in Kaffeehaumlusern Salons kurzum an Orten die insofern oumlffentlich washyren als keiner der Interagierenden an ihnen Privatheil beanspmchen konnte und vergleichsweise ungehinderter Zugang gesichert war Angeregt und ershyweitert wurde dieser physische Kontakt weitgehend Gleicher i e die Peer-tashyPeer-Kommunikation durch Medien vergleichsweise geringer Auflage und Reichweite wie Baumlnkelsaumlnge und Dramen Pamphlete Zeitschriften und Buuml-

11 Im 19 Jahrhundert bauten die Koumlnigsherger eine achte Bruumlcke und machten damit die sogenannte Eutertour durch die Stadt moumlglich vgl Barabasi Linked 12

12 Vgl Juumlrgen Habennas Strukturwandel der Oumlffentlichkeit Untersuchungen zu einer Kategorie der buumlrgerlichen Gesellschaft [5 Aufl Sonderausg ed (Sammlung Luchterhand 25) (Neuwied] Luchterhand 1971 )

NetzWerke 1 1 3

cher13 Ein Grundkennzeichen oumlffentlicher Diskurse zwischen Renaissance und Modeme war so dass sie mehr in persoumlnlicher muumlndlicher und schriftlishycher Kommunikation uumlber Medien - Literatur Malerei Musik - denn als Kommunikation mittels Medien- Presse Flugblatt- verliefen 14

Aus diesen Bedingungen des oumlffentlichen Diskurses ergab sich der Vorteil einer weitgehend gleichberechtigten persoumlnlichen Interaktion in Echtzeit wie aber auch der Nachteil geografischer und sozialer Beschraumlnkung Ein wichtishyges Kennzeichen von Oumlffentlichkeit in der mechanischen Epoche ist daher dass sie geographisch fragmentiert und intellektuell divers war da die Beteishyligten und die Themen oumlffentlicher Diskussion von Stadt zu Stadt wechselten In der Konsequenz betrachteten sich in weiten Teilen Europas die wenigen Gebildeten die am oumlffentlichen Diskurs partizipierten eher als Buumlrger ihrer

Stadt und weniger als Buumlrger eines groumlszligeren politischen Gebildes (des Kaisershyoder Koumlnigreichs eines Nationalstaats) In mancherlei Hinsicht - etwa mit Blick auf die Dominanz von Peer-ta-Peer-Kommunikation und den hohen Grad an Fragmentierung- glich das oumlffentliche Leben in diesen vorindustrielshylen Zeiten daher mehr dem sich gegenwaumlrtig ausbildenden digitalen als der uniformen von Massenmedien gepraumlgten Oumlffentlichkeit des damals heraufshyziehenden industriellen Zeitalters 15

13 Instruktiv ist dabei dass unter den Bedingungen mechanischer Kultur auch Medien die in der industriellen Epoche passiv rezipiert wurden auf Partizipation angelegt waren So erschienen etwa viele Zeitungen Zeitschriften und Buumlcher mit freien Seishyten die--- da diese Schriften in der Familie sowie im Freundes- und Bekanntenkreis

weitergereicht wurden - der Kommunikation und intel lektuellen Auseinandersetshyzung unter den Lesem dienen sollten Vgl Jack Shafer The Prota-Internet of 1 704 - The small ways in which ColoniaJ newspapers anticipated the Web Slate 26 August 2010 lthttpwwwslatecomlaiticlesnews_and _pol iticspress _ box20 1 008 the_protointemet_ o(_ 1 704htmlgt Shafer verweist als Quelle auf Thomas C Leoshynard News for all America s Coming-OfAge Wilh the Press (New York Oxford UP 1 995)

14 Ausnahmen stellten sich in Zeiten groszliger Krisen her Das wichtigste Beispiel gibt die Reformationsbewegung Pamphlete verbreiteten sich in einer geschaumltzten Auflashyge von sechs bis sieben Mill ionen wie Lauffeuer durch Zentraleuropa In etwa ein Viertel dieser Pamphlete stammten von Luther Hinzu kamen Balladen und Holzstishyche die diese epochale Auseinandersetzung gewissermaszligen transmedialisierten Vgl z B NN How Luther went v iral- Social media in the 1 6th Century The Economist 1 7 Dezember 20 I I lthttpwwweconomistcomnode2 1 54 1 7 1 9gt

15 Der Economist verglich denn auch die Situation unserer digitalen Fruumlhzeit mit der Reformation The media environment that Luther had shown hirnself so adept at managing had much in conunon vrith todays on line ecosystem of blogs social netshyworks and discussion threads lt was a decentralised system whose participants took care of distribut ion deciding collectively which messages to amplify through shashy

ring and recommendation [ ] Modem digital networks may be able to do it more

114 GundolfS Freyennuth

Spaumltestens jedoch seit der Aufklaumlrung strebten die Zeitgenossen in den am weitesten entwickelten Regionen mechanischer Kultur danach genau diese Kennzeichen vorindusttieller Oumlffentlichkeit zu uumlberwinden den geographisch begrenzten Einfluss des oumlffentlichen Lebens und die geringe Reichweite der Medien Das Verlangen nach nationalen Debatten kam auf nach nationalen Zeitschriften und Zeitungen und nationalen Fonnen von Unterhaltung und Bildung insbesondere nach einem Nationaltheater Mit mechanischer Vemetshyzungs- und Medientechnologie war diese Sehnsucht freilich nicht zu erfiillen Die mechanische Kultur stieszlig an ihre Grenzen - ein historisch wiederkehrenshydes Problem das Harold Innis so formulierte

We can perhaps assume that the use of a medium of communication over a long period will to some extent deterrnine the character of knowledge to be comrnunicated and suggest that its pervasive influence will eventually create a civilization in which life and flexibility will become exceedingly difficult to maintain and that the advantages of a new medium wil l become such as to Iead to the emergence of a new civilization 16

II Audiovisuelle Kultur im Zeitalter industrieller Vemetzung

1 Industrialisierung

Vor allem zwei Innovationen trieben den Prozess der Industrialisierung die sich steigemde Verfugung uumlber nicht-biologische Energiequellen uumlber Dampfkraft Gas Benzin Elektrizitaumlt sowie die mathematische Analyse und Kontrolle von Arbeitsprozessen das heiszligt die Taylorisierung menschlicher Arbeit und die Automatisierung von Maschinenarbeit17 Wiederum initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg eishyner neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung

quickly but even 500 years ago the sharing of media could play a supporting roJe in precipitating a revolution ibid

16 Harold Adams Innis und Mary Innis Empire and Communications (Toronto U of Toronto P 1 972) 34

Die Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konseshyquenzen folgt Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur David S Landes The Unbmmd Prometheus Technological Change and Industria Development in Western Europe From 1 750 to the Present (London Cambridge UP 1 969) Joe1 Mokyr The Lever of Riches Technological Creativity and Economic Progress (New York Oxford UP 1 990) Lewis Murnford Technics and Civilization (New York Harcourt Brace amp World 1963 (1 934)) Giedion Mechanization Gundo1fS Freyerrnuth Cinema Revisited Vor und nach dem Kino - Audiovisualitaumlt in der Neuzeit in Zulamft Kino Hg Danie1a Kloock (Marburg Schuumlren 2007) 1 5-40

NetzWerke 1 15

dieser neuen technischen Mittel lagen Unternehmer und Manager Finanzshyund Verwaltungsexperten Ingenieure Techniker Mechaniker Facharbeiter Angestellte in den wuchernden privaten und staatlichen Buumlrokratien wie auch eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen Vertreter der aufkonunenden Geistes- Natur- und Sozialwissenschaften Intellektuelle Journalisten und Kuumlnstler die in den neuen industriellen Massenmedien arbeiteten oder sich deshyren zumindest zur Distribution ihrer Werke bedienten Sie alle profitietten vom schnell wachsenden Beduumlrfnis der industriellen Massen nach Bildung Inshyformation und Unterhaltung Gleichzeitig zogen die Staumldte inuner mehr Menshyschen an und eine groszligstaumldtische Lebensform bildete sich heraus gepraumlgt von der IndustJialisierung und ihren sozialen wie kulturellen Folgen

Eins ihrer Hauptkennzeichen war Anonymitaumlt der gaumlnzlich neue Umshystand dass die B ewohner der industriellen Groszligstaumldte in ihrem Alltag - beim Spaziergang auf den Straszligen bei der Nutzung oumlffentlicher Verkehrsmittel beim Einkauf in den Warenhaumlusern beim Besuch von Theatern und Kinosshyeiner schier endlose Reihe von Mitmenschen begegneten die ihnen vollstaumlnshydig fremd waren Eine zweite Konsequenz die das Alltagsleben veraumlnderte war die Uumlberlagerung der Staumldte mit Zeichenstrukturen Als Reaktion auf die Anonymitaumlt des Al ltagslebens und den Umstand dass weite Teile des enorshymen urbanen Raums selbst langjaumlhrigen Bewohnern fremd blieben formte sich waumlhrend des 19 und 20 Jahrhunderts eine analoge InformationsshyInfrastruktur- Straszligenschilder Hausnununern Wegweiser Verkehrsschilder Rekiametafeln Verkehrskontrollsysteme usf Diese medialen Hilfsmittel ershymoumlglichten es Einheimischen wie Ortsfremden die industrielle Stadt und Umwelt zumindest partiell zu lesen und zu navigieren So lange Informatioshynen jedoch analog vermittelt wurden mussten sie mehr oder weniger standarshydisiert sein Der Einzelne erhielt so statistisch unentwegt vor allem Informatishyonen die er nicht oder gerade nicht brauchte Wegweisungen zu Orten an die er nicht wollte Neonreklamen zu Produkten die ihn nicht irrteressielten usf

2 Vernetzung

Entwickelt am Bruumlcken-Modell statischer Knoten und Kanten versagte die Graphentheorie vor den komplexen sozialen und oumlkonomischen Vernetzungen industrieller Massenkultur wie sie sich in den westlichen Metropolen herausshybildete Die vielfaumlltigen Beziehungen zwischen Hunderttausenden von Fremshyden - das Gewirr alltaumlglicher Zufallsbegegnungen beschrieben zum Beispiel

116 Gundolf S F reyermuth

von Edgar Allan Poe in Man of the Crowd 18 oder die heimliche Verwobenshy

heil der sexuellen Beziehungen dargestellt etwa von Arthur Schnitzler als

Reigen19- vermochte die zeitgenoumlssische Forschung ebenso wenig zu beshy

greifen oder gar zu berechnen wie die zahlreichen technischen Netzwerke von

Transport und Kommunikation die im Laufe des 19 und 20 Jahrhunderts neu

entstanden

Zum einen beschleunigte und automatisierte sich der physische Transport

durch den Einsatz industrieller Technologie Damit wuchs der Distributionsrashy

dius von Waren Dienstleistungen und Neuigkeiten Mit dem Ausbau des Eishy

senbahnnetzes der Einrichtung erst nationaler dann kontinentaler Autobahnshy

netze und schlieszliglich mit dem Flugnetz weiteten sich Handel und Kommunishy

kation geographisch aus Gleichzeitig kam es innerhalb der groszligen Staumldte zur

Etablierung von Netzen der Versorgung - Wasser Abwasser Gas Strom

Auch im Falle der Netze der Infrastruktur hat die Zeit ab 1750 und dann das

durch die Doppelrevolution eingeleitete 19 Jahrhunderte Scharnierbedeushy

tung schreibt Dietrich Kerlen Denn erst jetzt werden massenhaft private

Optionen auf die Benutzung von Netzen wirklich20 Die alltaumlgliche Erfahrung

bewirkte einen epistemologischen Wandel In Netzen zu denken konstatiert

Juumlrgen Osterhammel war uumlberhaupt erst eine Anschauungsform des 19

Jahrhunderts 21

Zum zweiten - und in der Konsequenz weitreichender - entstand eine

gaumlnzlich neue Kategorie Jmmaterieller Vemetzung Denn mit Telegraph und

Telefon spaumlter auch mit Radio und Fernsehen machte sich Fernkommunikatishy

on tmabhaumlngig von physischem Transport Das entscheidende Kennzeichen

dieser neuen industriellen Netzwerke war insofern dass Informationen sich

nun schneller als Waren verbreiten konnten Mehr noch Zum ersten Mal in

der Menschheitsgeschichte lieszligen sich Nachrichten uumlber groszlige Distanzen in

Echtzeit kommunizieren Schluumlsseldaten welche diese epochale Entwicklung

rahmen sind die Verlegung des ersten transatlantischen Telegraphenkabels in

den 1850er Jahren und die Verlegung des ersten transatlantischen Telefonkashy

bels in den 1950er Jahren 22

18 Edgar Allan Poe The Man of the Crowd ( 1840) lthttpetextvirginiaeduetcbin toccer-new2id=PoeCrowsgmampimages=imagesmodengampdata=textseng1ish

modengparsedamptag=pub1icamppart=teiHeadergt 19 Arthur Schnitz1er Reigen Zehn Dialoge geschrieben Winter 1896-97

lthttpgutenbergspiegeldebuch53 81 I 1 gt 20 Dietrich Kerlen Einfiihrung in die Medienkunde (Stuttgart Rec1amjun 2003) 148 21 Juumlrgen Osterhammel Die Verwandlung der Welt eine Geschichte des 19 Jahrhunshy

derts (Muumlnchen CH Beck 2009) 101 1 22 Zur Geschichte des transatlantischen Telegraphenkabels vgl Duncan Geere How

the first cable was laid across the Atlantic Wired UK (20 1 1 )

NetzWerke 117

l m Vergleich zur mechanischen Vemetzung koumltmen wir die neuen industshyriellen Praktiken der Vemetzung die eben in der Kommunikation keinen physhysischen Transport mehr erfordern waumlhrend gleichzeitig der Transport materishyeller Guumlter durch den Einsatz non-biologischer Energie Automatisierung und industrielle Arbeitsteilung dramatisch beschleunigt wird Vernetzung 20 nenshynen

Ihr zentrales Prinzip ist die Befaumlhigung zur Trennung von Kommunikation und Transport ihre wichtigste Technik ist im Hinblick aufkommunikative Akte die Eliminierung geographischer Distanzen durch die materielle Verbindung bnv Verschaltung verschiedener Leitungen

In der industriellen Zivilisation wie sie sich zwischen Aufklaumlrung und Postmodeme entwickelte geschah in der Konsequenz die alltaumlgliche Distribushytion von Guumltern und Informationen nicht mehr nur lokal oder regional sonshydern national Zwar wuchsen weiterhin als Auszligerordentlichkeit globale FernshyNetzwerke fuumlr Transport und Kommunikation zu See auf Land und schlieszligshylich auch in der Luft 23 Die durchschnittliche Distribution von Waren und auch Medienjedoch fand innerhalb von Nationen statt und in einem gewissen Maszlige zwischen benachbarten Staaten sowie seit der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunshyderts innerhalb kontinentaler Handelszonen Dieser geografischen (Er-) Schlieszligung die das erste industrielle Jahrhundert unter dem Banner des Natioshynalstaats leistete korrelierte die oumlkonomische und politische kulturelle und geistige Verengung auf die Grenzen der Nation Im 1 9 Jahrhundert brachte sie mit der industriellen Zentralisierung und dem Aufschwung der Kapitalen neue hauptstaumldtische Institutionen wie Nationalmuseen Nationalbibliotheken oder Nationaltheater hervor Mit Beginn des 20 Jahrhunderts und dem Siegeszug der industriellen audiovisuellen Medien eskalierte diese Nationalisierung der Kommunikation bis sie die lokalen Oumlffentlichkeiten nahezu in Gaumlnze uumlberlashygerte

lthttpwww wiredcouknewsarchive20 11-0 118transatlantic-cablespage=algt - Zur Geschichte sowohl des ersten transatlantischen Telegraphenkabels wie des ersten Telefonkabels vgl NN Milestones The First Submarine Transatlantic Teshy

lephone Cable System (TAT-I) 956 IEEE Global History Network (o J)

lthttpwwwieeeghnorgwikiindexphpMilestones The _First_ Submarine_ Transatl antic_ Telephone_ Cable_System_(T AT -1)_1956gt

23 Das Faszinosum fuumlr die Zeitgenossen des 19 und fruumlhen 20 Jahrhw1derts belegt schon das Kommunistische Manifest An die Stelle der alten durch Landeserzeugshynisse befriedigten Beduumlrfuisse treten neue welche die Produkte der entferntesten Laumlnder w1d Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen An die Stelle der alten lokashy

len und nationalen Selbstgenuumlgsanlkeit und Abgeschlossenheil tritt ein allseitiger

Verkehr eine allseitige Abhaumlngigkeit der Nationen voneinander Kar Marx und

Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei ( 1848) (Berlin Dietz 1972) lthttpwwwmlwerkedememe04me04_ 459htmgt 466

1 1 8 Gundolf S Freyennuth

Die neuen industriellen Medien- vom Telegrafen uumlber Telefon und Radio bis zum Fernsehen- bedienten sich dabei eines gaumlnzlich neuen Verfahrens der Hardware-Schaltung im Telefonverkehr etwa zunaumlchst von Hand durch Telefonistirmen und spaumlter durch automatische elektrische Schalter (circuit switching) 24 Technisch leistet Hardware-Schaltung dabei zweierlei Zum eishynen werden im geographischen Transport abgeschwaumlchte Stromimpulse vershystaumlrkt weitergeleitet zum zweiten werden verschiedene kuumlrzere Leitungen zu einer neuen kontinuierlichen Verbindung verschaltet Was Uumlberbruumlckung in mechanischen (und industriellen) Netzwerken des Transports leistet gelingt in den industriellen Kommunikationsnetzwerken so mittels Schaltung Sie ershyschafft das notwendige physische Kontinuum (die Kante) zwischen zwei Punkten (Knoten) indem sie den Raum der Sender und Empfaumlnger voneinanshyder trermt eben nicht mehr uumlberbruumlckt sondem unmittelbar und in Echtzeit eliminiert 25

Werm auch Telefonistirmen oder elektrische Schalter im Vergleich zur Bruumlcke nie die Qualitaumlt eines existentiellen Mythos gewarmen so figuriert die Praxis der Verschaltung - in ihrem Doppelsirm - doch recht prominent in zahlreichen Filmen des 20 Jahrhunderts Gespielt wird dabei mit zeitgenoumlssishyschen Aumlngsten dass durch falsche Verbindungen herbeigefuhrt von boumlswillishygen Operateuren oder fehlerhaften Schaltern Fremde in die Privatsphaumlre einshydringen und uns mit Dingen konfrontieren koumlrmten von denen entweder wir oder die anderen besser nichts wissen sollten 26 In dieser Hinsicht markiert der technische Vorgang der Schaltung die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten inshydustrieller Vernetzung selbst die niemals gaumlnzlich kontrollierbare Anstrenshygung zahlreiche Kommunikationspfade - Leitungen - deren Existenz in der industriellen Epoche die Vorbedingung fiir das Gelingen immaterieller Fernshykommunikation ist fiir eine kurze Zeit miteinander zu verbinden27

24 Vgl Elektrizitaumlt ersetzt die Logik der Uumlbertragung im strikten Sinne des Wortes zugunsten einer Logik der Schaltung Hartrnann Globale Medienkultur 12

25 Dass die industriellen -elektrischen -Medien keineswegs die physische Reichweite der Menschen vergroumlszligern sondern vielmehr raumlun1liche Distanz aufheben im Sinne

von auszliger Kraft setzen bemerkte bereits Marshall McLuhan Electric media [ ] abolish the spatial dimension rather than enlarge it Marshall McLuhan Undershystanding Media The Extensions of Man (New York Signet Books 1964) 255

26 Ein hervorragendes Beispiel dafur gibt Anatole Litvaks Film Noir Sony Wrong Number ( 1948)

27 Die Gewalt der analogen Schaltung als Vernichtung von Raum und Zeit verlangt danach dass sie nur temporaumlr geschehen soll Im zweiten Jahrhw1dertdrittel wird

folgerichtig sowohl ihr kurzfristiges Misslingen - die Fehlschaltung- als auch ihre dauerhafte Durchsetzung- die Gleichschaltungmiddot als Schrecken erfahren

NetzWerke 1 1 9

3 Audiovisualitaumlt

Die besondere Vorliebe die Kino- wie Fernsehfilme stets fur das Telefon als narratives Vehikel besaszligen weil es raumlumlich getrennte Protagonisten visuell shydurch Gegenschnitt oder geteilte Bildraumlume - verschaltete weist auf den starshyken Zusammenhang zwischen dem technologischen Stand der Vemetzung und dem audiovisueller Nanmiddotation Deutlich manipulieren industrielle Netzwerke der Kommunikation und der Film als das repraumlsentative audiovisuelle Erzaumlhlshymedium der industriellen Epoche raumlumliche und zeitliche Verhaumlltnisse auf recht aumlhnliche Art und Weise Filmakteure spielen ihre Rollen bekanntlich nicht mehr live und sequentiell Filmische Handlungen werden vielmehr nach dem Muster tayloristischer Arbeitsorganisation in einer Vielzahl von Einzelshyszenen aufgenommen und dann nicht anders als die meisten industriellen Washyren endmontiert (final cut) Die Montage fuumlgt dabei Bilder und Toumlne die im Augenblick der Reproduktion aus ihren natuumlrlichen - tatsaumlchlichen - Koorshydinaten gerissen wurden zu einem neuen kuumlnstlichen - fiktionalen- Raumshyzeitkontinuum Raumlumliche und zeitliche Distanzen werden so nicht laumlnger vershyund uumlberdeckt sondern eliminiert das heiszligt herausgeschnitten Auf diese Weise steigert sich das Potential zur Gestaltung raumzeitlicher Verhaumlltnisse Moumlglich wird ein beschleunigtes und stetes Wechseln zwischen entfernten Orshyten oder Zeiten und damit zum Beispiel die Darstellung paral leler Handlungsshyverlaumlufe

Als Basisinnovation der industriellen Modeme wurde die Montage nicht nur im Film sondern in nahezu allen Kuumlnsten wirksam in Musik wie Malerei Fotografie Lyrik Roman Dem1 in der Kombination des Heterogenen die es verband ohne es nach dem handwerklichen Ideal des Realismus organisch zu verschmelzen druumlckte sich die Erfahrung aus dass in der industriellen Zivilishysation ob am Flieszligband oder im Buumlro Arbeit seriell zu leisten ist jeder sepashyrate Schritt also seine wirkliche Bedeutung nur in der raumzeitlichen Kombishynation mit anderen gewinnt Seine vorbildhafte Vollendung erreichte das Vershyfahren der Montage daher auch nicht in den vorindustriellen Kuumlnsten die es um 1 900 zuerst applizierten - etwa als Bildmontage Montage im Bild - sonshydern mit einer gewissen Zwangslaumlufigkeit im narrativen Film in seiner Monshytage von Bildern Sie erst befahigte das fotorealistische Medium indem sie das Kontinuum seiner Echtzeit-Aufuahmen in einer neuen Ordnung aufhob zu eishyner der industriellen Wahrnehmung gemaumlszligen Manipulation von Zeit und Raum wie sie vorindustJiellen Medien und Kuumlnsten selbst noch der industrishyell aufgeruumlsteten Buumlhne prinzipiell verwehrt blieb Das was aber auf der Buumlhne vor sich geht ist teilweise raumlumlich teilweise zeitlich in der Regel raumlumlich und zeitlich nie aber zeit-raumlumlich wie es die Vorgaumlnge im Film sind schrieb Amold Hauser Der Film unterscheidet sich von den anderen

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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NetzWerke 109

In der mechanischen Zivilisation wie sie sich zwischen Renaissance und Autklaumltung entwickelte war Vemetzung daher technologisch auf uumlberwindbashyre Distanzen limitiert Zwar etablierten sich zu See und auf Land einige fragile Fern-Netzwerke vor allem im Kontext der Entdeckung Ausbeutung und Beshysiedlung der Neuen Welt Die durchschnittliche Distribution von Waren und Medien jedoch fand innerhalb einzelner Staumldte in ihrem naumlheren und ferneren Einzugsbereich und auch zwischen benachbarten Staumldten statt Insofern die zentrale Technik mechanischer Vemetzung die Uumlberwindung des Zwischenshyraums war der die Sender und Empfaumlnger von Waren oder Nachrichten vonshyeinander trennte wurde der Bau von Bruumlcken zur vorrangigsten technischen Leistung mechanischer Vernetzung

Denn sie erschaffen indem sie geographische Kluumlfte abdecken- Getrennshytes miteinander verbinden Distanzen eben uumlberbruumlcken- die fiir mechanishysche Vernetzung notwendige physische Kontinuitaumlt zwischen geographischen Knotenpunkten In der Konsequenz avancierten sie zu mythischen Orten emoshytional besetzten Zwischen-Raumlumen existentiellen Uumlbergangs deren Konstrukshytion und Dekonstruktion Eroberung und Verlust die Triumphe Gefahren und Fallgruben von Transport und Kommunikation in der mechanischen Epoche symbolisierte 5 Eine Bruumlcke zu uumlberqueren ist grundsaumltzlich risikobehaftet denn ihre Oberflaumlche verdeckt inuner etvas ob nun einen Abgrund einen reishyszligenden Strom oder lauemde Gegner In dieser Hinsicht stehen Bruumlcken fuumlr die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten mate1ieller Vemetzung selbst fiir die beshyschwerliche und stets gefaumlhrliche Anstrengung geographische Distanzen zu uumlberwinden die sich bei keinem Akt physischen Transpo11s vermeiden laumlsst6

3 Audiovisualitaumlt

Uumlberbruumlckung als Basisprinzip mechanischer Vemetzung- die Uumlberwindung geographischer Distanz durch deren Verdeckung - illustriert eine Anekdote

5 Besonders prominent figurieren Bruumlcken in Romanen der ersten Haumllfte des zwanshyzigsten Jahrhunderts wie Thomton Wilders The Bridge of San Luis Rey ( 1 927) oder Emest Hemingways For Whom the Bell Tolls ( 1 940) und dann in Filmen der zweishyten Jahrhw1derthaumllfte wie David Leans The Bridge on the River Kwai ( 1 957) Bemshyhard Wickis Die Bruumlcke ( 1 959) oder John Guillennins The Bridge at Remagen ( 1 969) Die International Movie Data Base fuumlhrt mehrere hundert Filme auf die das Substantiv Bruumlcke in ihrem Titel tragen

6 Diese kategorialen Bedeutung der Uumlberbruumlckung fuumlr Transport und Kommunikation in der vorindustriellen Epoche hat z B Frank Hartmann benannt Was immer fuumlr Moumlglichkeiten hier an gedacht wurden meist hatten sie damit zu tun eine technische Bruumlcke zu schlagen um eine gewisse Fernwirkung zu erzeugen Frank Hartmann Globale Medienkultur- Technik Geschichte Theorien (Wien WUV 2006) 30

110 Gundolf S Freyennuth

um den deutschen Dichter Johann Wolfgang von Goethe Als er auf seiner

Reise nach Italien die Alpen uumlberquerte soll Goethe wie vor ihm schon der

Kunsthistoriker Johann Joachim Wirrekelmann die Gardinen seiner Kutsche

zugezogen haben um sich den Anblick der endlosen ennuumldenden und potenshy

tiell gefahrliehen Weite der Natur zu ersparen Indem er so die Distanz zwishy

schen verschiedenen Knotenpunkten im zeitgenoumlssischen Transport-Netzwerk

visuell verdeckte - uumlberbruumlckte middot middot scheint sich Goethe in der Dunkelkammer

seiner Kutsche sitzend wie den Inhalt eines Pakets oder eines Briefs behandelt

zu haben als jemanden bzw als etwas das fiir die Dauer des Transports von

der Umwelt verborgen war und erst wieder nach der sicheren Ankunft das Tashy

geslicht sehen sollte

Die Bedeutung dieser Anekdote reicht jedoch weiter Das audiovisuelle

Leitmedium der Epoche war bekanntlich die Buumlhne- die Bretter die die Welt

bedeuteten - und Goethe ein erfahrener Theaterautor mit der dramaturgischen

Funktion von Vorhaumlngen bestens vertraut In sein Kurschabteil wickelte er sich

also nicht einfach ein wie in ein Paket er inszenierte vielmehr seine Reiseershy

fahrung nach dem Muster eines Buumlhnenstuumlcks Goethes Verhalten deutet auf

eine zentrale Beziehung zwischen kultureller Vemetzung und audiovisuellem

Erzaumlhlen Auf jeder technologischen Entwicklungsstufe muumlssen Kommunikashy

tion und Kunst mit vergleichbaren Mitteln versuchen ihre Raum-Zeitshy

Probleme zu loumlsen Auf der mechanischen (Guckkasten-)Buumlhne steht da

Theaterschauspieler dramatische Handlungen von ihrem Anfang bis zu ihrem

Ende live - also in Echtzeit - und im selben Raum zu spielen haben in dem

sich auch das Publikum befindet fiir eine Manipulation von Raum und Zeit

lediglich der Vorhang zur Verfiigung Seine Funktion ist dialektisch Durch

die visuelle Abtrennung des Illusionsraums der Buumlhne vom Zuschauerraum

uumlberwindet er innerhalb der Einheit von Ort und Zeit welche die Realitaumlt Lishy

ve-Handlungen vorgibt Distanzen in Raum und Zeit indem er sie verdeckt

und damit uumlberbruumlckt 7

4 Netzwerf1heorie

Mit Blick auf die herausragende techno-kulturelle Funktion der Bruumlcke fiir

Transport und Kommunikation in der mechanischen Epoche uumlberrascht es

7 In diesem Zusanunenhang koumlnnen wir den Balkon diesen zwischen Renaissance und Aufklaumlrung so beliebten Handlungsort des Dazwischen zwischen Innen und Auszligen als abgebrochene Bruumlcke verstehen als einen Handlungsart der die Protashy

gonisten eher trennt denn verbindet -Funktioniert der Theatervorhang unter zeitgeshy

noumlssischer Perspektive daher wie eine Bruumlcke so erscheint er aus der spaumlteren Pershy

spektive des industriellen Films als primitiver Vorlaumlufer der cinematischen Basisshytechnologie von Schnit1 und Montage

Netz Werke 1 1 1

nicht dass die erste mathematische Theorie der Vernetzung in der Auseinanshydersetzung mit der Funktion eines Netzes von Bruumlcken fuumlr das urbane Leben entstand Im fruumlhen 1 8 Jahrhundert als Inunanuel Kant der einflussreichste Philosoph der deutschen Aufklaumlrung in Koumlnigsberg lehrte partizipierten die Buumlrger der Stadt an einem populaumlren Wettbewerb Man suchte einen Weg der es erlaubte alle Teile der Innenstadt zu durchlaufen ohne eine der sieben Bruumlshycken zweimal zu uumlberqueren8 Alle Versuche das Problem durch praktisches Experimentieren zu loumlsen scheiterten Kein richtiger Weg wollte sich fmden Dann ging der Mathematiker Leonhard Euler das Problem systematisch an Jeden Teil der Stadt begriff er dabei als ein Ding - in moderner mathematishyscher Begrifflichkeit als eine abstrakte Ecke oder einen Knoten - und jede Bruumlcke als eine Aktion- in moderner mathematischer Begrifflichkeit als eine abstrakte Verbindung oder eine Kante So schuf er eine mathematische Strukshytur genannt Graph die es ilun erlaubte jenseits von Trial-and-En-ar-Anlaumlufen die Beziehungen zwischen Ecken und Kanten quantitativ zu analysieren Both Kant (in politics) and Euler (in mathematics) schreibt Eugene Thacker show how an adequate understanding of networks must not come from experience but from an abstracting spatializing procedure9

bull

bull - -- - - - - - - - - - - - - - -e

bull FIG I Graph der sieben Bruumlcken von Koumlnigsberg10

8 Zur Darstellung des Koumlnigsherger Bruumlckenproblems vgl Barabasi Linked l Of Eine einfache Ein fuumlhrung findet sich online bei MathePrisma einer Modulsammlung des Fachbereichs Mathematik der Bergischen Universitaumlt Wuppertal lthttpwwwmatheprismauni-wuppertaldeModuleKoenigsbgt

9 Eugene Thacker Networks Swanns Multitudes ctheory (2004) lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=422gt amp lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=423gt

10 Diese und die folgenden I llustrationen von Leon S Freyennuth

1 1 2 GundolfS Freyermuth

Euters mathematische Formuliemng des Koumlnigsherger Bruumlckenproblems die Anstrengung Transport- und Kommunikationsnetzwerke terminologisch zushyverlaumlssig zu erfassen und in ihrer Funktionalitaumlt berechenbar zu machen leiteshyte eine epistemologische Wende ein von der Perspektive der Nutzer von Netzwerken deren Phantasie die Loumlsung eines Problems zu finden hatte von dem man annahm dass es im Prinzip loumlsbar sei zu der Perspektive des Netzshywerks dessen Anlage entweder einen bestimmten Gebrauch erlaubt oder eben nicht Die zentrale Leistung bestand dabei in der abstrahierenden Uumlbersetzung in eine geometrische Struktur in der topologischen Abstraktion mit der die in den Netzen angelegte potenzielle Nutzung zweifelsfrei berechenbar wurde Indem er 1736 eine solche topologische Sicht zum ersten Mal einnahm konnte Euler nicht nur beweisen dass es fiir das Koumlnigsherger Bruumlckenproblem keine Loumlsung gab- keinen Weg durch alle Teile der Stadt bei dem man nicht eine Bruumlcke zweimal uumlberqueren musste 11 Er demonstrierte daruumlber hinaus geneshyreJI die entscheidende Bedeutung des Netzwerk-Designs Seine Anlage limishytiert seinen Gebrauch Wer dje Stmktur eines Netzwerks kontrolliert praumldeterminiert seine moumlgliche Nutzung

5 Oumlffentlichkeit

Dem technologischen Stand entsprechend spielten zwischen Renaissance und Aufklaumlmng nationale oder gar internationale Netzwerke fiir das oumlffentliche Leben eine nur geringe Rolle Die Kommunikation der Gebildeten oder Gutshyausgebildeten unter der Buumlrgerschaft blieb noch weitgehend unbeeinflusst oder gar bestimmt durch (Massen-)Medien12 Im sozialen und kulturellen Ausshytausch dominierte der Umgang von Angesicht zu Angesicht auf den Straszligen der Staumldte auf (Markt-)Plaumltzen den Foyers von Veranstaltungssaumllen und Theshyatern in Kaffeehaumlusern Salons kurzum an Orten die insofern oumlffentlich washyren als keiner der Interagierenden an ihnen Privatheil beanspmchen konnte und vergleichsweise ungehinderter Zugang gesichert war Angeregt und ershyweitert wurde dieser physische Kontakt weitgehend Gleicher i e die Peer-tashyPeer-Kommunikation durch Medien vergleichsweise geringer Auflage und Reichweite wie Baumlnkelsaumlnge und Dramen Pamphlete Zeitschriften und Buuml-

11 Im 19 Jahrhundert bauten die Koumlnigsherger eine achte Bruumlcke und machten damit die sogenannte Eutertour durch die Stadt moumlglich vgl Barabasi Linked 12

12 Vgl Juumlrgen Habennas Strukturwandel der Oumlffentlichkeit Untersuchungen zu einer Kategorie der buumlrgerlichen Gesellschaft [5 Aufl Sonderausg ed (Sammlung Luchterhand 25) (Neuwied] Luchterhand 1971 )

NetzWerke 1 1 3

cher13 Ein Grundkennzeichen oumlffentlicher Diskurse zwischen Renaissance und Modeme war so dass sie mehr in persoumlnlicher muumlndlicher und schriftlishycher Kommunikation uumlber Medien - Literatur Malerei Musik - denn als Kommunikation mittels Medien- Presse Flugblatt- verliefen 14

Aus diesen Bedingungen des oumlffentlichen Diskurses ergab sich der Vorteil einer weitgehend gleichberechtigten persoumlnlichen Interaktion in Echtzeit wie aber auch der Nachteil geografischer und sozialer Beschraumlnkung Ein wichtishyges Kennzeichen von Oumlffentlichkeit in der mechanischen Epoche ist daher dass sie geographisch fragmentiert und intellektuell divers war da die Beteishyligten und die Themen oumlffentlicher Diskussion von Stadt zu Stadt wechselten In der Konsequenz betrachteten sich in weiten Teilen Europas die wenigen Gebildeten die am oumlffentlichen Diskurs partizipierten eher als Buumlrger ihrer

Stadt und weniger als Buumlrger eines groumlszligeren politischen Gebildes (des Kaisershyoder Koumlnigreichs eines Nationalstaats) In mancherlei Hinsicht - etwa mit Blick auf die Dominanz von Peer-ta-Peer-Kommunikation und den hohen Grad an Fragmentierung- glich das oumlffentliche Leben in diesen vorindustrielshylen Zeiten daher mehr dem sich gegenwaumlrtig ausbildenden digitalen als der uniformen von Massenmedien gepraumlgten Oumlffentlichkeit des damals heraufshyziehenden industriellen Zeitalters 15

13 Instruktiv ist dabei dass unter den Bedingungen mechanischer Kultur auch Medien die in der industriellen Epoche passiv rezipiert wurden auf Partizipation angelegt waren So erschienen etwa viele Zeitungen Zeitschriften und Buumlcher mit freien Seishyten die--- da diese Schriften in der Familie sowie im Freundes- und Bekanntenkreis

weitergereicht wurden - der Kommunikation und intel lektuellen Auseinandersetshyzung unter den Lesem dienen sollten Vgl Jack Shafer The Prota-Internet of 1 704 - The small ways in which ColoniaJ newspapers anticipated the Web Slate 26 August 2010 lthttpwwwslatecomlaiticlesnews_and _pol iticspress _ box20 1 008 the_protointemet_ o(_ 1 704htmlgt Shafer verweist als Quelle auf Thomas C Leoshynard News for all America s Coming-OfAge Wilh the Press (New York Oxford UP 1 995)

14 Ausnahmen stellten sich in Zeiten groszliger Krisen her Das wichtigste Beispiel gibt die Reformationsbewegung Pamphlete verbreiteten sich in einer geschaumltzten Auflashyge von sechs bis sieben Mill ionen wie Lauffeuer durch Zentraleuropa In etwa ein Viertel dieser Pamphlete stammten von Luther Hinzu kamen Balladen und Holzstishyche die diese epochale Auseinandersetzung gewissermaszligen transmedialisierten Vgl z B NN How Luther went v iral- Social media in the 1 6th Century The Economist 1 7 Dezember 20 I I lthttpwwweconomistcomnode2 1 54 1 7 1 9gt

15 Der Economist verglich denn auch die Situation unserer digitalen Fruumlhzeit mit der Reformation The media environment that Luther had shown hirnself so adept at managing had much in conunon vrith todays on line ecosystem of blogs social netshyworks and discussion threads lt was a decentralised system whose participants took care of distribut ion deciding collectively which messages to amplify through shashy

ring and recommendation [ ] Modem digital networks may be able to do it more

114 GundolfS Freyennuth

Spaumltestens jedoch seit der Aufklaumlrung strebten die Zeitgenossen in den am weitesten entwickelten Regionen mechanischer Kultur danach genau diese Kennzeichen vorindusttieller Oumlffentlichkeit zu uumlberwinden den geographisch begrenzten Einfluss des oumlffentlichen Lebens und die geringe Reichweite der Medien Das Verlangen nach nationalen Debatten kam auf nach nationalen Zeitschriften und Zeitungen und nationalen Fonnen von Unterhaltung und Bildung insbesondere nach einem Nationaltheater Mit mechanischer Vemetshyzungs- und Medientechnologie war diese Sehnsucht freilich nicht zu erfiillen Die mechanische Kultur stieszlig an ihre Grenzen - ein historisch wiederkehrenshydes Problem das Harold Innis so formulierte

We can perhaps assume that the use of a medium of communication over a long period will to some extent deterrnine the character of knowledge to be comrnunicated and suggest that its pervasive influence will eventually create a civilization in which life and flexibility will become exceedingly difficult to maintain and that the advantages of a new medium wil l become such as to Iead to the emergence of a new civilization 16

II Audiovisuelle Kultur im Zeitalter industrieller Vemetzung

1 Industrialisierung

Vor allem zwei Innovationen trieben den Prozess der Industrialisierung die sich steigemde Verfugung uumlber nicht-biologische Energiequellen uumlber Dampfkraft Gas Benzin Elektrizitaumlt sowie die mathematische Analyse und Kontrolle von Arbeitsprozessen das heiszligt die Taylorisierung menschlicher Arbeit und die Automatisierung von Maschinenarbeit17 Wiederum initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg eishyner neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung

quickly but even 500 years ago the sharing of media could play a supporting roJe in precipitating a revolution ibid

16 Harold Adams Innis und Mary Innis Empire and Communications (Toronto U of Toronto P 1 972) 34

Die Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konseshyquenzen folgt Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur David S Landes The Unbmmd Prometheus Technological Change and Industria Development in Western Europe From 1 750 to the Present (London Cambridge UP 1 969) Joe1 Mokyr The Lever of Riches Technological Creativity and Economic Progress (New York Oxford UP 1 990) Lewis Murnford Technics and Civilization (New York Harcourt Brace amp World 1963 (1 934)) Giedion Mechanization Gundo1fS Freyerrnuth Cinema Revisited Vor und nach dem Kino - Audiovisualitaumlt in der Neuzeit in Zulamft Kino Hg Danie1a Kloock (Marburg Schuumlren 2007) 1 5-40

NetzWerke 1 15

dieser neuen technischen Mittel lagen Unternehmer und Manager Finanzshyund Verwaltungsexperten Ingenieure Techniker Mechaniker Facharbeiter Angestellte in den wuchernden privaten und staatlichen Buumlrokratien wie auch eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen Vertreter der aufkonunenden Geistes- Natur- und Sozialwissenschaften Intellektuelle Journalisten und Kuumlnstler die in den neuen industriellen Massenmedien arbeiteten oder sich deshyren zumindest zur Distribution ihrer Werke bedienten Sie alle profitietten vom schnell wachsenden Beduumlrfnis der industriellen Massen nach Bildung Inshyformation und Unterhaltung Gleichzeitig zogen die Staumldte inuner mehr Menshyschen an und eine groszligstaumldtische Lebensform bildete sich heraus gepraumlgt von der IndustJialisierung und ihren sozialen wie kulturellen Folgen

Eins ihrer Hauptkennzeichen war Anonymitaumlt der gaumlnzlich neue Umshystand dass die B ewohner der industriellen Groszligstaumldte in ihrem Alltag - beim Spaziergang auf den Straszligen bei der Nutzung oumlffentlicher Verkehrsmittel beim Einkauf in den Warenhaumlusern beim Besuch von Theatern und Kinosshyeiner schier endlose Reihe von Mitmenschen begegneten die ihnen vollstaumlnshydig fremd waren Eine zweite Konsequenz die das Alltagsleben veraumlnderte war die Uumlberlagerung der Staumldte mit Zeichenstrukturen Als Reaktion auf die Anonymitaumlt des Al ltagslebens und den Umstand dass weite Teile des enorshymen urbanen Raums selbst langjaumlhrigen Bewohnern fremd blieben formte sich waumlhrend des 19 und 20 Jahrhunderts eine analoge InformationsshyInfrastruktur- Straszligenschilder Hausnununern Wegweiser Verkehrsschilder Rekiametafeln Verkehrskontrollsysteme usf Diese medialen Hilfsmittel ershymoumlglichten es Einheimischen wie Ortsfremden die industrielle Stadt und Umwelt zumindest partiell zu lesen und zu navigieren So lange Informatioshynen jedoch analog vermittelt wurden mussten sie mehr oder weniger standarshydisiert sein Der Einzelne erhielt so statistisch unentwegt vor allem Informatishyonen die er nicht oder gerade nicht brauchte Wegweisungen zu Orten an die er nicht wollte Neonreklamen zu Produkten die ihn nicht irrteressielten usf

2 Vernetzung

Entwickelt am Bruumlcken-Modell statischer Knoten und Kanten versagte die Graphentheorie vor den komplexen sozialen und oumlkonomischen Vernetzungen industrieller Massenkultur wie sie sich in den westlichen Metropolen herausshybildete Die vielfaumlltigen Beziehungen zwischen Hunderttausenden von Fremshyden - das Gewirr alltaumlglicher Zufallsbegegnungen beschrieben zum Beispiel

116 Gundolf S F reyermuth

von Edgar Allan Poe in Man of the Crowd 18 oder die heimliche Verwobenshy

heil der sexuellen Beziehungen dargestellt etwa von Arthur Schnitzler als

Reigen19- vermochte die zeitgenoumlssische Forschung ebenso wenig zu beshy

greifen oder gar zu berechnen wie die zahlreichen technischen Netzwerke von

Transport und Kommunikation die im Laufe des 19 und 20 Jahrhunderts neu

entstanden

Zum einen beschleunigte und automatisierte sich der physische Transport

durch den Einsatz industrieller Technologie Damit wuchs der Distributionsrashy

dius von Waren Dienstleistungen und Neuigkeiten Mit dem Ausbau des Eishy

senbahnnetzes der Einrichtung erst nationaler dann kontinentaler Autobahnshy

netze und schlieszliglich mit dem Flugnetz weiteten sich Handel und Kommunishy

kation geographisch aus Gleichzeitig kam es innerhalb der groszligen Staumldte zur

Etablierung von Netzen der Versorgung - Wasser Abwasser Gas Strom

Auch im Falle der Netze der Infrastruktur hat die Zeit ab 1750 und dann das

durch die Doppelrevolution eingeleitete 19 Jahrhunderte Scharnierbedeushy

tung schreibt Dietrich Kerlen Denn erst jetzt werden massenhaft private

Optionen auf die Benutzung von Netzen wirklich20 Die alltaumlgliche Erfahrung

bewirkte einen epistemologischen Wandel In Netzen zu denken konstatiert

Juumlrgen Osterhammel war uumlberhaupt erst eine Anschauungsform des 19

Jahrhunderts 21

Zum zweiten - und in der Konsequenz weitreichender - entstand eine

gaumlnzlich neue Kategorie Jmmaterieller Vemetzung Denn mit Telegraph und

Telefon spaumlter auch mit Radio und Fernsehen machte sich Fernkommunikatishy

on tmabhaumlngig von physischem Transport Das entscheidende Kennzeichen

dieser neuen industriellen Netzwerke war insofern dass Informationen sich

nun schneller als Waren verbreiten konnten Mehr noch Zum ersten Mal in

der Menschheitsgeschichte lieszligen sich Nachrichten uumlber groszlige Distanzen in

Echtzeit kommunizieren Schluumlsseldaten welche diese epochale Entwicklung

rahmen sind die Verlegung des ersten transatlantischen Telegraphenkabels in

den 1850er Jahren und die Verlegung des ersten transatlantischen Telefonkashy

bels in den 1950er Jahren 22

18 Edgar Allan Poe The Man of the Crowd ( 1840) lthttpetextvirginiaeduetcbin toccer-new2id=PoeCrowsgmampimages=imagesmodengampdata=textseng1ish

modengparsedamptag=pub1icamppart=teiHeadergt 19 Arthur Schnitz1er Reigen Zehn Dialoge geschrieben Winter 1896-97

lthttpgutenbergspiegeldebuch53 81 I 1 gt 20 Dietrich Kerlen Einfiihrung in die Medienkunde (Stuttgart Rec1amjun 2003) 148 21 Juumlrgen Osterhammel Die Verwandlung der Welt eine Geschichte des 19 Jahrhunshy

derts (Muumlnchen CH Beck 2009) 101 1 22 Zur Geschichte des transatlantischen Telegraphenkabels vgl Duncan Geere How

the first cable was laid across the Atlantic Wired UK (20 1 1 )

NetzWerke 117

l m Vergleich zur mechanischen Vemetzung koumltmen wir die neuen industshyriellen Praktiken der Vemetzung die eben in der Kommunikation keinen physhysischen Transport mehr erfordern waumlhrend gleichzeitig der Transport materishyeller Guumlter durch den Einsatz non-biologischer Energie Automatisierung und industrielle Arbeitsteilung dramatisch beschleunigt wird Vernetzung 20 nenshynen

Ihr zentrales Prinzip ist die Befaumlhigung zur Trennung von Kommunikation und Transport ihre wichtigste Technik ist im Hinblick aufkommunikative Akte die Eliminierung geographischer Distanzen durch die materielle Verbindung bnv Verschaltung verschiedener Leitungen

In der industriellen Zivilisation wie sie sich zwischen Aufklaumlrung und Postmodeme entwickelte geschah in der Konsequenz die alltaumlgliche Distribushytion von Guumltern und Informationen nicht mehr nur lokal oder regional sonshydern national Zwar wuchsen weiterhin als Auszligerordentlichkeit globale FernshyNetzwerke fuumlr Transport und Kommunikation zu See auf Land und schlieszligshylich auch in der Luft 23 Die durchschnittliche Distribution von Waren und auch Medienjedoch fand innerhalb von Nationen statt und in einem gewissen Maszlige zwischen benachbarten Staaten sowie seit der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunshyderts innerhalb kontinentaler Handelszonen Dieser geografischen (Er-) Schlieszligung die das erste industrielle Jahrhundert unter dem Banner des Natioshynalstaats leistete korrelierte die oumlkonomische und politische kulturelle und geistige Verengung auf die Grenzen der Nation Im 1 9 Jahrhundert brachte sie mit der industriellen Zentralisierung und dem Aufschwung der Kapitalen neue hauptstaumldtische Institutionen wie Nationalmuseen Nationalbibliotheken oder Nationaltheater hervor Mit Beginn des 20 Jahrhunderts und dem Siegeszug der industriellen audiovisuellen Medien eskalierte diese Nationalisierung der Kommunikation bis sie die lokalen Oumlffentlichkeiten nahezu in Gaumlnze uumlberlashygerte

lthttpwww wiredcouknewsarchive20 11-0 118transatlantic-cablespage=algt - Zur Geschichte sowohl des ersten transatlantischen Telegraphenkabels wie des ersten Telefonkabels vgl NN Milestones The First Submarine Transatlantic Teshy

lephone Cable System (TAT-I) 956 IEEE Global History Network (o J)

lthttpwwwieeeghnorgwikiindexphpMilestones The _First_ Submarine_ Transatl antic_ Telephone_ Cable_System_(T AT -1)_1956gt

23 Das Faszinosum fuumlr die Zeitgenossen des 19 und fruumlhen 20 Jahrhw1derts belegt schon das Kommunistische Manifest An die Stelle der alten durch Landeserzeugshynisse befriedigten Beduumlrfuisse treten neue welche die Produkte der entferntesten Laumlnder w1d Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen An die Stelle der alten lokashy

len und nationalen Selbstgenuumlgsanlkeit und Abgeschlossenheil tritt ein allseitiger

Verkehr eine allseitige Abhaumlngigkeit der Nationen voneinander Kar Marx und

Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei ( 1848) (Berlin Dietz 1972) lthttpwwwmlwerkedememe04me04_ 459htmgt 466

1 1 8 Gundolf S Freyennuth

Die neuen industriellen Medien- vom Telegrafen uumlber Telefon und Radio bis zum Fernsehen- bedienten sich dabei eines gaumlnzlich neuen Verfahrens der Hardware-Schaltung im Telefonverkehr etwa zunaumlchst von Hand durch Telefonistirmen und spaumlter durch automatische elektrische Schalter (circuit switching) 24 Technisch leistet Hardware-Schaltung dabei zweierlei Zum eishynen werden im geographischen Transport abgeschwaumlchte Stromimpulse vershystaumlrkt weitergeleitet zum zweiten werden verschiedene kuumlrzere Leitungen zu einer neuen kontinuierlichen Verbindung verschaltet Was Uumlberbruumlckung in mechanischen (und industriellen) Netzwerken des Transports leistet gelingt in den industriellen Kommunikationsnetzwerken so mittels Schaltung Sie ershyschafft das notwendige physische Kontinuum (die Kante) zwischen zwei Punkten (Knoten) indem sie den Raum der Sender und Empfaumlnger voneinanshyder trermt eben nicht mehr uumlberbruumlckt sondem unmittelbar und in Echtzeit eliminiert 25

Werm auch Telefonistirmen oder elektrische Schalter im Vergleich zur Bruumlcke nie die Qualitaumlt eines existentiellen Mythos gewarmen so figuriert die Praxis der Verschaltung - in ihrem Doppelsirm - doch recht prominent in zahlreichen Filmen des 20 Jahrhunderts Gespielt wird dabei mit zeitgenoumlssishyschen Aumlngsten dass durch falsche Verbindungen herbeigefuhrt von boumlswillishygen Operateuren oder fehlerhaften Schaltern Fremde in die Privatsphaumlre einshydringen und uns mit Dingen konfrontieren koumlrmten von denen entweder wir oder die anderen besser nichts wissen sollten 26 In dieser Hinsicht markiert der technische Vorgang der Schaltung die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten inshydustrieller Vernetzung selbst die niemals gaumlnzlich kontrollierbare Anstrenshygung zahlreiche Kommunikationspfade - Leitungen - deren Existenz in der industriellen Epoche die Vorbedingung fiir das Gelingen immaterieller Fernshykommunikation ist fiir eine kurze Zeit miteinander zu verbinden27

24 Vgl Elektrizitaumlt ersetzt die Logik der Uumlbertragung im strikten Sinne des Wortes zugunsten einer Logik der Schaltung Hartrnann Globale Medienkultur 12

25 Dass die industriellen -elektrischen -Medien keineswegs die physische Reichweite der Menschen vergroumlszligern sondern vielmehr raumlun1liche Distanz aufheben im Sinne

von auszliger Kraft setzen bemerkte bereits Marshall McLuhan Electric media [ ] abolish the spatial dimension rather than enlarge it Marshall McLuhan Undershystanding Media The Extensions of Man (New York Signet Books 1964) 255

26 Ein hervorragendes Beispiel dafur gibt Anatole Litvaks Film Noir Sony Wrong Number ( 1948)

27 Die Gewalt der analogen Schaltung als Vernichtung von Raum und Zeit verlangt danach dass sie nur temporaumlr geschehen soll Im zweiten Jahrhw1dertdrittel wird

folgerichtig sowohl ihr kurzfristiges Misslingen - die Fehlschaltung- als auch ihre dauerhafte Durchsetzung- die Gleichschaltungmiddot als Schrecken erfahren

NetzWerke 1 1 9

3 Audiovisualitaumlt

Die besondere Vorliebe die Kino- wie Fernsehfilme stets fur das Telefon als narratives Vehikel besaszligen weil es raumlumlich getrennte Protagonisten visuell shydurch Gegenschnitt oder geteilte Bildraumlume - verschaltete weist auf den starshyken Zusammenhang zwischen dem technologischen Stand der Vemetzung und dem audiovisueller Nanmiddotation Deutlich manipulieren industrielle Netzwerke der Kommunikation und der Film als das repraumlsentative audiovisuelle Erzaumlhlshymedium der industriellen Epoche raumlumliche und zeitliche Verhaumlltnisse auf recht aumlhnliche Art und Weise Filmakteure spielen ihre Rollen bekanntlich nicht mehr live und sequentiell Filmische Handlungen werden vielmehr nach dem Muster tayloristischer Arbeitsorganisation in einer Vielzahl von Einzelshyszenen aufgenommen und dann nicht anders als die meisten industriellen Washyren endmontiert (final cut) Die Montage fuumlgt dabei Bilder und Toumlne die im Augenblick der Reproduktion aus ihren natuumlrlichen - tatsaumlchlichen - Koorshydinaten gerissen wurden zu einem neuen kuumlnstlichen - fiktionalen- Raumshyzeitkontinuum Raumlumliche und zeitliche Distanzen werden so nicht laumlnger vershyund uumlberdeckt sondern eliminiert das heiszligt herausgeschnitten Auf diese Weise steigert sich das Potential zur Gestaltung raumzeitlicher Verhaumlltnisse Moumlglich wird ein beschleunigtes und stetes Wechseln zwischen entfernten Orshyten oder Zeiten und damit zum Beispiel die Darstellung paral leler Handlungsshyverlaumlufe

Als Basisinnovation der industriellen Modeme wurde die Montage nicht nur im Film sondern in nahezu allen Kuumlnsten wirksam in Musik wie Malerei Fotografie Lyrik Roman Dem1 in der Kombination des Heterogenen die es verband ohne es nach dem handwerklichen Ideal des Realismus organisch zu verschmelzen druumlckte sich die Erfahrung aus dass in der industriellen Zivilishysation ob am Flieszligband oder im Buumlro Arbeit seriell zu leisten ist jeder sepashyrate Schritt also seine wirkliche Bedeutung nur in der raumzeitlichen Kombishynation mit anderen gewinnt Seine vorbildhafte Vollendung erreichte das Vershyfahren der Montage daher auch nicht in den vorindustriellen Kuumlnsten die es um 1 900 zuerst applizierten - etwa als Bildmontage Montage im Bild - sonshydern mit einer gewissen Zwangslaumlufigkeit im narrativen Film in seiner Monshytage von Bildern Sie erst befahigte das fotorealistische Medium indem sie das Kontinuum seiner Echtzeit-Aufuahmen in einer neuen Ordnung aufhob zu eishyner der industriellen Wahrnehmung gemaumlszligen Manipulation von Zeit und Raum wie sie vorindustJiellen Medien und Kuumlnsten selbst noch der industrishyell aufgeruumlsteten Buumlhne prinzipiell verwehrt blieb Das was aber auf der Buumlhne vor sich geht ist teilweise raumlumlich teilweise zeitlich in der Regel raumlumlich und zeitlich nie aber zeit-raumlumlich wie es die Vorgaumlnge im Film sind schrieb Amold Hauser Der Film unterscheidet sich von den anderen

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 6: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

110 Gundolf S Freyennuth

um den deutschen Dichter Johann Wolfgang von Goethe Als er auf seiner

Reise nach Italien die Alpen uumlberquerte soll Goethe wie vor ihm schon der

Kunsthistoriker Johann Joachim Wirrekelmann die Gardinen seiner Kutsche

zugezogen haben um sich den Anblick der endlosen ennuumldenden und potenshy

tiell gefahrliehen Weite der Natur zu ersparen Indem er so die Distanz zwishy

schen verschiedenen Knotenpunkten im zeitgenoumlssischen Transport-Netzwerk

visuell verdeckte - uumlberbruumlckte middot middot scheint sich Goethe in der Dunkelkammer

seiner Kutsche sitzend wie den Inhalt eines Pakets oder eines Briefs behandelt

zu haben als jemanden bzw als etwas das fiir die Dauer des Transports von

der Umwelt verborgen war und erst wieder nach der sicheren Ankunft das Tashy

geslicht sehen sollte

Die Bedeutung dieser Anekdote reicht jedoch weiter Das audiovisuelle

Leitmedium der Epoche war bekanntlich die Buumlhne- die Bretter die die Welt

bedeuteten - und Goethe ein erfahrener Theaterautor mit der dramaturgischen

Funktion von Vorhaumlngen bestens vertraut In sein Kurschabteil wickelte er sich

also nicht einfach ein wie in ein Paket er inszenierte vielmehr seine Reiseershy

fahrung nach dem Muster eines Buumlhnenstuumlcks Goethes Verhalten deutet auf

eine zentrale Beziehung zwischen kultureller Vemetzung und audiovisuellem

Erzaumlhlen Auf jeder technologischen Entwicklungsstufe muumlssen Kommunikashy

tion und Kunst mit vergleichbaren Mitteln versuchen ihre Raum-Zeitshy

Probleme zu loumlsen Auf der mechanischen (Guckkasten-)Buumlhne steht da

Theaterschauspieler dramatische Handlungen von ihrem Anfang bis zu ihrem

Ende live - also in Echtzeit - und im selben Raum zu spielen haben in dem

sich auch das Publikum befindet fiir eine Manipulation von Raum und Zeit

lediglich der Vorhang zur Verfiigung Seine Funktion ist dialektisch Durch

die visuelle Abtrennung des Illusionsraums der Buumlhne vom Zuschauerraum

uumlberwindet er innerhalb der Einheit von Ort und Zeit welche die Realitaumlt Lishy

ve-Handlungen vorgibt Distanzen in Raum und Zeit indem er sie verdeckt

und damit uumlberbruumlckt 7

4 Netzwerf1heorie

Mit Blick auf die herausragende techno-kulturelle Funktion der Bruumlcke fiir

Transport und Kommunikation in der mechanischen Epoche uumlberrascht es

7 In diesem Zusanunenhang koumlnnen wir den Balkon diesen zwischen Renaissance und Aufklaumlrung so beliebten Handlungsort des Dazwischen zwischen Innen und Auszligen als abgebrochene Bruumlcke verstehen als einen Handlungsart der die Protashy

gonisten eher trennt denn verbindet -Funktioniert der Theatervorhang unter zeitgeshy

noumlssischer Perspektive daher wie eine Bruumlcke so erscheint er aus der spaumlteren Pershy

spektive des industriellen Films als primitiver Vorlaumlufer der cinematischen Basisshytechnologie von Schnit1 und Montage

Netz Werke 1 1 1

nicht dass die erste mathematische Theorie der Vernetzung in der Auseinanshydersetzung mit der Funktion eines Netzes von Bruumlcken fuumlr das urbane Leben entstand Im fruumlhen 1 8 Jahrhundert als Inunanuel Kant der einflussreichste Philosoph der deutschen Aufklaumlrung in Koumlnigsberg lehrte partizipierten die Buumlrger der Stadt an einem populaumlren Wettbewerb Man suchte einen Weg der es erlaubte alle Teile der Innenstadt zu durchlaufen ohne eine der sieben Bruumlshycken zweimal zu uumlberqueren8 Alle Versuche das Problem durch praktisches Experimentieren zu loumlsen scheiterten Kein richtiger Weg wollte sich fmden Dann ging der Mathematiker Leonhard Euler das Problem systematisch an Jeden Teil der Stadt begriff er dabei als ein Ding - in moderner mathematishyscher Begrifflichkeit als eine abstrakte Ecke oder einen Knoten - und jede Bruumlcke als eine Aktion- in moderner mathematischer Begrifflichkeit als eine abstrakte Verbindung oder eine Kante So schuf er eine mathematische Strukshytur genannt Graph die es ilun erlaubte jenseits von Trial-and-En-ar-Anlaumlufen die Beziehungen zwischen Ecken und Kanten quantitativ zu analysieren Both Kant (in politics) and Euler (in mathematics) schreibt Eugene Thacker show how an adequate understanding of networks must not come from experience but from an abstracting spatializing procedure9

bull

bull - -- - - - - - - - - - - - - - -e

bull FIG I Graph der sieben Bruumlcken von Koumlnigsberg10

8 Zur Darstellung des Koumlnigsherger Bruumlckenproblems vgl Barabasi Linked l Of Eine einfache Ein fuumlhrung findet sich online bei MathePrisma einer Modulsammlung des Fachbereichs Mathematik der Bergischen Universitaumlt Wuppertal lthttpwwwmatheprismauni-wuppertaldeModuleKoenigsbgt

9 Eugene Thacker Networks Swanns Multitudes ctheory (2004) lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=422gt amp lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=423gt

10 Diese und die folgenden I llustrationen von Leon S Freyennuth

1 1 2 GundolfS Freyermuth

Euters mathematische Formuliemng des Koumlnigsherger Bruumlckenproblems die Anstrengung Transport- und Kommunikationsnetzwerke terminologisch zushyverlaumlssig zu erfassen und in ihrer Funktionalitaumlt berechenbar zu machen leiteshyte eine epistemologische Wende ein von der Perspektive der Nutzer von Netzwerken deren Phantasie die Loumlsung eines Problems zu finden hatte von dem man annahm dass es im Prinzip loumlsbar sei zu der Perspektive des Netzshywerks dessen Anlage entweder einen bestimmten Gebrauch erlaubt oder eben nicht Die zentrale Leistung bestand dabei in der abstrahierenden Uumlbersetzung in eine geometrische Struktur in der topologischen Abstraktion mit der die in den Netzen angelegte potenzielle Nutzung zweifelsfrei berechenbar wurde Indem er 1736 eine solche topologische Sicht zum ersten Mal einnahm konnte Euler nicht nur beweisen dass es fiir das Koumlnigsherger Bruumlckenproblem keine Loumlsung gab- keinen Weg durch alle Teile der Stadt bei dem man nicht eine Bruumlcke zweimal uumlberqueren musste 11 Er demonstrierte daruumlber hinaus geneshyreJI die entscheidende Bedeutung des Netzwerk-Designs Seine Anlage limishytiert seinen Gebrauch Wer dje Stmktur eines Netzwerks kontrolliert praumldeterminiert seine moumlgliche Nutzung

5 Oumlffentlichkeit

Dem technologischen Stand entsprechend spielten zwischen Renaissance und Aufklaumlmng nationale oder gar internationale Netzwerke fiir das oumlffentliche Leben eine nur geringe Rolle Die Kommunikation der Gebildeten oder Gutshyausgebildeten unter der Buumlrgerschaft blieb noch weitgehend unbeeinflusst oder gar bestimmt durch (Massen-)Medien12 Im sozialen und kulturellen Ausshytausch dominierte der Umgang von Angesicht zu Angesicht auf den Straszligen der Staumldte auf (Markt-)Plaumltzen den Foyers von Veranstaltungssaumllen und Theshyatern in Kaffeehaumlusern Salons kurzum an Orten die insofern oumlffentlich washyren als keiner der Interagierenden an ihnen Privatheil beanspmchen konnte und vergleichsweise ungehinderter Zugang gesichert war Angeregt und ershyweitert wurde dieser physische Kontakt weitgehend Gleicher i e die Peer-tashyPeer-Kommunikation durch Medien vergleichsweise geringer Auflage und Reichweite wie Baumlnkelsaumlnge und Dramen Pamphlete Zeitschriften und Buuml-

11 Im 19 Jahrhundert bauten die Koumlnigsherger eine achte Bruumlcke und machten damit die sogenannte Eutertour durch die Stadt moumlglich vgl Barabasi Linked 12

12 Vgl Juumlrgen Habennas Strukturwandel der Oumlffentlichkeit Untersuchungen zu einer Kategorie der buumlrgerlichen Gesellschaft [5 Aufl Sonderausg ed (Sammlung Luchterhand 25) (Neuwied] Luchterhand 1971 )

NetzWerke 1 1 3

cher13 Ein Grundkennzeichen oumlffentlicher Diskurse zwischen Renaissance und Modeme war so dass sie mehr in persoumlnlicher muumlndlicher und schriftlishycher Kommunikation uumlber Medien - Literatur Malerei Musik - denn als Kommunikation mittels Medien- Presse Flugblatt- verliefen 14

Aus diesen Bedingungen des oumlffentlichen Diskurses ergab sich der Vorteil einer weitgehend gleichberechtigten persoumlnlichen Interaktion in Echtzeit wie aber auch der Nachteil geografischer und sozialer Beschraumlnkung Ein wichtishyges Kennzeichen von Oumlffentlichkeit in der mechanischen Epoche ist daher dass sie geographisch fragmentiert und intellektuell divers war da die Beteishyligten und die Themen oumlffentlicher Diskussion von Stadt zu Stadt wechselten In der Konsequenz betrachteten sich in weiten Teilen Europas die wenigen Gebildeten die am oumlffentlichen Diskurs partizipierten eher als Buumlrger ihrer

Stadt und weniger als Buumlrger eines groumlszligeren politischen Gebildes (des Kaisershyoder Koumlnigreichs eines Nationalstaats) In mancherlei Hinsicht - etwa mit Blick auf die Dominanz von Peer-ta-Peer-Kommunikation und den hohen Grad an Fragmentierung- glich das oumlffentliche Leben in diesen vorindustrielshylen Zeiten daher mehr dem sich gegenwaumlrtig ausbildenden digitalen als der uniformen von Massenmedien gepraumlgten Oumlffentlichkeit des damals heraufshyziehenden industriellen Zeitalters 15

13 Instruktiv ist dabei dass unter den Bedingungen mechanischer Kultur auch Medien die in der industriellen Epoche passiv rezipiert wurden auf Partizipation angelegt waren So erschienen etwa viele Zeitungen Zeitschriften und Buumlcher mit freien Seishyten die--- da diese Schriften in der Familie sowie im Freundes- und Bekanntenkreis

weitergereicht wurden - der Kommunikation und intel lektuellen Auseinandersetshyzung unter den Lesem dienen sollten Vgl Jack Shafer The Prota-Internet of 1 704 - The small ways in which ColoniaJ newspapers anticipated the Web Slate 26 August 2010 lthttpwwwslatecomlaiticlesnews_and _pol iticspress _ box20 1 008 the_protointemet_ o(_ 1 704htmlgt Shafer verweist als Quelle auf Thomas C Leoshynard News for all America s Coming-OfAge Wilh the Press (New York Oxford UP 1 995)

14 Ausnahmen stellten sich in Zeiten groszliger Krisen her Das wichtigste Beispiel gibt die Reformationsbewegung Pamphlete verbreiteten sich in einer geschaumltzten Auflashyge von sechs bis sieben Mill ionen wie Lauffeuer durch Zentraleuropa In etwa ein Viertel dieser Pamphlete stammten von Luther Hinzu kamen Balladen und Holzstishyche die diese epochale Auseinandersetzung gewissermaszligen transmedialisierten Vgl z B NN How Luther went v iral- Social media in the 1 6th Century The Economist 1 7 Dezember 20 I I lthttpwwweconomistcomnode2 1 54 1 7 1 9gt

15 Der Economist verglich denn auch die Situation unserer digitalen Fruumlhzeit mit der Reformation The media environment that Luther had shown hirnself so adept at managing had much in conunon vrith todays on line ecosystem of blogs social netshyworks and discussion threads lt was a decentralised system whose participants took care of distribut ion deciding collectively which messages to amplify through shashy

ring and recommendation [ ] Modem digital networks may be able to do it more

114 GundolfS Freyennuth

Spaumltestens jedoch seit der Aufklaumlrung strebten die Zeitgenossen in den am weitesten entwickelten Regionen mechanischer Kultur danach genau diese Kennzeichen vorindusttieller Oumlffentlichkeit zu uumlberwinden den geographisch begrenzten Einfluss des oumlffentlichen Lebens und die geringe Reichweite der Medien Das Verlangen nach nationalen Debatten kam auf nach nationalen Zeitschriften und Zeitungen und nationalen Fonnen von Unterhaltung und Bildung insbesondere nach einem Nationaltheater Mit mechanischer Vemetshyzungs- und Medientechnologie war diese Sehnsucht freilich nicht zu erfiillen Die mechanische Kultur stieszlig an ihre Grenzen - ein historisch wiederkehrenshydes Problem das Harold Innis so formulierte

We can perhaps assume that the use of a medium of communication over a long period will to some extent deterrnine the character of knowledge to be comrnunicated and suggest that its pervasive influence will eventually create a civilization in which life and flexibility will become exceedingly difficult to maintain and that the advantages of a new medium wil l become such as to Iead to the emergence of a new civilization 16

II Audiovisuelle Kultur im Zeitalter industrieller Vemetzung

1 Industrialisierung

Vor allem zwei Innovationen trieben den Prozess der Industrialisierung die sich steigemde Verfugung uumlber nicht-biologische Energiequellen uumlber Dampfkraft Gas Benzin Elektrizitaumlt sowie die mathematische Analyse und Kontrolle von Arbeitsprozessen das heiszligt die Taylorisierung menschlicher Arbeit und die Automatisierung von Maschinenarbeit17 Wiederum initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg eishyner neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung

quickly but even 500 years ago the sharing of media could play a supporting roJe in precipitating a revolution ibid

16 Harold Adams Innis und Mary Innis Empire and Communications (Toronto U of Toronto P 1 972) 34

Die Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konseshyquenzen folgt Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur David S Landes The Unbmmd Prometheus Technological Change and Industria Development in Western Europe From 1 750 to the Present (London Cambridge UP 1 969) Joe1 Mokyr The Lever of Riches Technological Creativity and Economic Progress (New York Oxford UP 1 990) Lewis Murnford Technics and Civilization (New York Harcourt Brace amp World 1963 (1 934)) Giedion Mechanization Gundo1fS Freyerrnuth Cinema Revisited Vor und nach dem Kino - Audiovisualitaumlt in der Neuzeit in Zulamft Kino Hg Danie1a Kloock (Marburg Schuumlren 2007) 1 5-40

NetzWerke 1 15

dieser neuen technischen Mittel lagen Unternehmer und Manager Finanzshyund Verwaltungsexperten Ingenieure Techniker Mechaniker Facharbeiter Angestellte in den wuchernden privaten und staatlichen Buumlrokratien wie auch eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen Vertreter der aufkonunenden Geistes- Natur- und Sozialwissenschaften Intellektuelle Journalisten und Kuumlnstler die in den neuen industriellen Massenmedien arbeiteten oder sich deshyren zumindest zur Distribution ihrer Werke bedienten Sie alle profitietten vom schnell wachsenden Beduumlrfnis der industriellen Massen nach Bildung Inshyformation und Unterhaltung Gleichzeitig zogen die Staumldte inuner mehr Menshyschen an und eine groszligstaumldtische Lebensform bildete sich heraus gepraumlgt von der IndustJialisierung und ihren sozialen wie kulturellen Folgen

Eins ihrer Hauptkennzeichen war Anonymitaumlt der gaumlnzlich neue Umshystand dass die B ewohner der industriellen Groszligstaumldte in ihrem Alltag - beim Spaziergang auf den Straszligen bei der Nutzung oumlffentlicher Verkehrsmittel beim Einkauf in den Warenhaumlusern beim Besuch von Theatern und Kinosshyeiner schier endlose Reihe von Mitmenschen begegneten die ihnen vollstaumlnshydig fremd waren Eine zweite Konsequenz die das Alltagsleben veraumlnderte war die Uumlberlagerung der Staumldte mit Zeichenstrukturen Als Reaktion auf die Anonymitaumlt des Al ltagslebens und den Umstand dass weite Teile des enorshymen urbanen Raums selbst langjaumlhrigen Bewohnern fremd blieben formte sich waumlhrend des 19 und 20 Jahrhunderts eine analoge InformationsshyInfrastruktur- Straszligenschilder Hausnununern Wegweiser Verkehrsschilder Rekiametafeln Verkehrskontrollsysteme usf Diese medialen Hilfsmittel ershymoumlglichten es Einheimischen wie Ortsfremden die industrielle Stadt und Umwelt zumindest partiell zu lesen und zu navigieren So lange Informatioshynen jedoch analog vermittelt wurden mussten sie mehr oder weniger standarshydisiert sein Der Einzelne erhielt so statistisch unentwegt vor allem Informatishyonen die er nicht oder gerade nicht brauchte Wegweisungen zu Orten an die er nicht wollte Neonreklamen zu Produkten die ihn nicht irrteressielten usf

2 Vernetzung

Entwickelt am Bruumlcken-Modell statischer Knoten und Kanten versagte die Graphentheorie vor den komplexen sozialen und oumlkonomischen Vernetzungen industrieller Massenkultur wie sie sich in den westlichen Metropolen herausshybildete Die vielfaumlltigen Beziehungen zwischen Hunderttausenden von Fremshyden - das Gewirr alltaumlglicher Zufallsbegegnungen beschrieben zum Beispiel

116 Gundolf S F reyermuth

von Edgar Allan Poe in Man of the Crowd 18 oder die heimliche Verwobenshy

heil der sexuellen Beziehungen dargestellt etwa von Arthur Schnitzler als

Reigen19- vermochte die zeitgenoumlssische Forschung ebenso wenig zu beshy

greifen oder gar zu berechnen wie die zahlreichen technischen Netzwerke von

Transport und Kommunikation die im Laufe des 19 und 20 Jahrhunderts neu

entstanden

Zum einen beschleunigte und automatisierte sich der physische Transport

durch den Einsatz industrieller Technologie Damit wuchs der Distributionsrashy

dius von Waren Dienstleistungen und Neuigkeiten Mit dem Ausbau des Eishy

senbahnnetzes der Einrichtung erst nationaler dann kontinentaler Autobahnshy

netze und schlieszliglich mit dem Flugnetz weiteten sich Handel und Kommunishy

kation geographisch aus Gleichzeitig kam es innerhalb der groszligen Staumldte zur

Etablierung von Netzen der Versorgung - Wasser Abwasser Gas Strom

Auch im Falle der Netze der Infrastruktur hat die Zeit ab 1750 und dann das

durch die Doppelrevolution eingeleitete 19 Jahrhunderte Scharnierbedeushy

tung schreibt Dietrich Kerlen Denn erst jetzt werden massenhaft private

Optionen auf die Benutzung von Netzen wirklich20 Die alltaumlgliche Erfahrung

bewirkte einen epistemologischen Wandel In Netzen zu denken konstatiert

Juumlrgen Osterhammel war uumlberhaupt erst eine Anschauungsform des 19

Jahrhunderts 21

Zum zweiten - und in der Konsequenz weitreichender - entstand eine

gaumlnzlich neue Kategorie Jmmaterieller Vemetzung Denn mit Telegraph und

Telefon spaumlter auch mit Radio und Fernsehen machte sich Fernkommunikatishy

on tmabhaumlngig von physischem Transport Das entscheidende Kennzeichen

dieser neuen industriellen Netzwerke war insofern dass Informationen sich

nun schneller als Waren verbreiten konnten Mehr noch Zum ersten Mal in

der Menschheitsgeschichte lieszligen sich Nachrichten uumlber groszlige Distanzen in

Echtzeit kommunizieren Schluumlsseldaten welche diese epochale Entwicklung

rahmen sind die Verlegung des ersten transatlantischen Telegraphenkabels in

den 1850er Jahren und die Verlegung des ersten transatlantischen Telefonkashy

bels in den 1950er Jahren 22

18 Edgar Allan Poe The Man of the Crowd ( 1840) lthttpetextvirginiaeduetcbin toccer-new2id=PoeCrowsgmampimages=imagesmodengampdata=textseng1ish

modengparsedamptag=pub1icamppart=teiHeadergt 19 Arthur Schnitz1er Reigen Zehn Dialoge geschrieben Winter 1896-97

lthttpgutenbergspiegeldebuch53 81 I 1 gt 20 Dietrich Kerlen Einfiihrung in die Medienkunde (Stuttgart Rec1amjun 2003) 148 21 Juumlrgen Osterhammel Die Verwandlung der Welt eine Geschichte des 19 Jahrhunshy

derts (Muumlnchen CH Beck 2009) 101 1 22 Zur Geschichte des transatlantischen Telegraphenkabels vgl Duncan Geere How

the first cable was laid across the Atlantic Wired UK (20 1 1 )

NetzWerke 117

l m Vergleich zur mechanischen Vemetzung koumltmen wir die neuen industshyriellen Praktiken der Vemetzung die eben in der Kommunikation keinen physhysischen Transport mehr erfordern waumlhrend gleichzeitig der Transport materishyeller Guumlter durch den Einsatz non-biologischer Energie Automatisierung und industrielle Arbeitsteilung dramatisch beschleunigt wird Vernetzung 20 nenshynen

Ihr zentrales Prinzip ist die Befaumlhigung zur Trennung von Kommunikation und Transport ihre wichtigste Technik ist im Hinblick aufkommunikative Akte die Eliminierung geographischer Distanzen durch die materielle Verbindung bnv Verschaltung verschiedener Leitungen

In der industriellen Zivilisation wie sie sich zwischen Aufklaumlrung und Postmodeme entwickelte geschah in der Konsequenz die alltaumlgliche Distribushytion von Guumltern und Informationen nicht mehr nur lokal oder regional sonshydern national Zwar wuchsen weiterhin als Auszligerordentlichkeit globale FernshyNetzwerke fuumlr Transport und Kommunikation zu See auf Land und schlieszligshylich auch in der Luft 23 Die durchschnittliche Distribution von Waren und auch Medienjedoch fand innerhalb von Nationen statt und in einem gewissen Maszlige zwischen benachbarten Staaten sowie seit der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunshyderts innerhalb kontinentaler Handelszonen Dieser geografischen (Er-) Schlieszligung die das erste industrielle Jahrhundert unter dem Banner des Natioshynalstaats leistete korrelierte die oumlkonomische und politische kulturelle und geistige Verengung auf die Grenzen der Nation Im 1 9 Jahrhundert brachte sie mit der industriellen Zentralisierung und dem Aufschwung der Kapitalen neue hauptstaumldtische Institutionen wie Nationalmuseen Nationalbibliotheken oder Nationaltheater hervor Mit Beginn des 20 Jahrhunderts und dem Siegeszug der industriellen audiovisuellen Medien eskalierte diese Nationalisierung der Kommunikation bis sie die lokalen Oumlffentlichkeiten nahezu in Gaumlnze uumlberlashygerte

lthttpwww wiredcouknewsarchive20 11-0 118transatlantic-cablespage=algt - Zur Geschichte sowohl des ersten transatlantischen Telegraphenkabels wie des ersten Telefonkabels vgl NN Milestones The First Submarine Transatlantic Teshy

lephone Cable System (TAT-I) 956 IEEE Global History Network (o J)

lthttpwwwieeeghnorgwikiindexphpMilestones The _First_ Submarine_ Transatl antic_ Telephone_ Cable_System_(T AT -1)_1956gt

23 Das Faszinosum fuumlr die Zeitgenossen des 19 und fruumlhen 20 Jahrhw1derts belegt schon das Kommunistische Manifest An die Stelle der alten durch Landeserzeugshynisse befriedigten Beduumlrfuisse treten neue welche die Produkte der entferntesten Laumlnder w1d Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen An die Stelle der alten lokashy

len und nationalen Selbstgenuumlgsanlkeit und Abgeschlossenheil tritt ein allseitiger

Verkehr eine allseitige Abhaumlngigkeit der Nationen voneinander Kar Marx und

Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei ( 1848) (Berlin Dietz 1972) lthttpwwwmlwerkedememe04me04_ 459htmgt 466

1 1 8 Gundolf S Freyennuth

Die neuen industriellen Medien- vom Telegrafen uumlber Telefon und Radio bis zum Fernsehen- bedienten sich dabei eines gaumlnzlich neuen Verfahrens der Hardware-Schaltung im Telefonverkehr etwa zunaumlchst von Hand durch Telefonistirmen und spaumlter durch automatische elektrische Schalter (circuit switching) 24 Technisch leistet Hardware-Schaltung dabei zweierlei Zum eishynen werden im geographischen Transport abgeschwaumlchte Stromimpulse vershystaumlrkt weitergeleitet zum zweiten werden verschiedene kuumlrzere Leitungen zu einer neuen kontinuierlichen Verbindung verschaltet Was Uumlberbruumlckung in mechanischen (und industriellen) Netzwerken des Transports leistet gelingt in den industriellen Kommunikationsnetzwerken so mittels Schaltung Sie ershyschafft das notwendige physische Kontinuum (die Kante) zwischen zwei Punkten (Knoten) indem sie den Raum der Sender und Empfaumlnger voneinanshyder trermt eben nicht mehr uumlberbruumlckt sondem unmittelbar und in Echtzeit eliminiert 25

Werm auch Telefonistirmen oder elektrische Schalter im Vergleich zur Bruumlcke nie die Qualitaumlt eines existentiellen Mythos gewarmen so figuriert die Praxis der Verschaltung - in ihrem Doppelsirm - doch recht prominent in zahlreichen Filmen des 20 Jahrhunderts Gespielt wird dabei mit zeitgenoumlssishyschen Aumlngsten dass durch falsche Verbindungen herbeigefuhrt von boumlswillishygen Operateuren oder fehlerhaften Schaltern Fremde in die Privatsphaumlre einshydringen und uns mit Dingen konfrontieren koumlrmten von denen entweder wir oder die anderen besser nichts wissen sollten 26 In dieser Hinsicht markiert der technische Vorgang der Schaltung die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten inshydustrieller Vernetzung selbst die niemals gaumlnzlich kontrollierbare Anstrenshygung zahlreiche Kommunikationspfade - Leitungen - deren Existenz in der industriellen Epoche die Vorbedingung fiir das Gelingen immaterieller Fernshykommunikation ist fiir eine kurze Zeit miteinander zu verbinden27

24 Vgl Elektrizitaumlt ersetzt die Logik der Uumlbertragung im strikten Sinne des Wortes zugunsten einer Logik der Schaltung Hartrnann Globale Medienkultur 12

25 Dass die industriellen -elektrischen -Medien keineswegs die physische Reichweite der Menschen vergroumlszligern sondern vielmehr raumlun1liche Distanz aufheben im Sinne

von auszliger Kraft setzen bemerkte bereits Marshall McLuhan Electric media [ ] abolish the spatial dimension rather than enlarge it Marshall McLuhan Undershystanding Media The Extensions of Man (New York Signet Books 1964) 255

26 Ein hervorragendes Beispiel dafur gibt Anatole Litvaks Film Noir Sony Wrong Number ( 1948)

27 Die Gewalt der analogen Schaltung als Vernichtung von Raum und Zeit verlangt danach dass sie nur temporaumlr geschehen soll Im zweiten Jahrhw1dertdrittel wird

folgerichtig sowohl ihr kurzfristiges Misslingen - die Fehlschaltung- als auch ihre dauerhafte Durchsetzung- die Gleichschaltungmiddot als Schrecken erfahren

NetzWerke 1 1 9

3 Audiovisualitaumlt

Die besondere Vorliebe die Kino- wie Fernsehfilme stets fur das Telefon als narratives Vehikel besaszligen weil es raumlumlich getrennte Protagonisten visuell shydurch Gegenschnitt oder geteilte Bildraumlume - verschaltete weist auf den starshyken Zusammenhang zwischen dem technologischen Stand der Vemetzung und dem audiovisueller Nanmiddotation Deutlich manipulieren industrielle Netzwerke der Kommunikation und der Film als das repraumlsentative audiovisuelle Erzaumlhlshymedium der industriellen Epoche raumlumliche und zeitliche Verhaumlltnisse auf recht aumlhnliche Art und Weise Filmakteure spielen ihre Rollen bekanntlich nicht mehr live und sequentiell Filmische Handlungen werden vielmehr nach dem Muster tayloristischer Arbeitsorganisation in einer Vielzahl von Einzelshyszenen aufgenommen und dann nicht anders als die meisten industriellen Washyren endmontiert (final cut) Die Montage fuumlgt dabei Bilder und Toumlne die im Augenblick der Reproduktion aus ihren natuumlrlichen - tatsaumlchlichen - Koorshydinaten gerissen wurden zu einem neuen kuumlnstlichen - fiktionalen- Raumshyzeitkontinuum Raumlumliche und zeitliche Distanzen werden so nicht laumlnger vershyund uumlberdeckt sondern eliminiert das heiszligt herausgeschnitten Auf diese Weise steigert sich das Potential zur Gestaltung raumzeitlicher Verhaumlltnisse Moumlglich wird ein beschleunigtes und stetes Wechseln zwischen entfernten Orshyten oder Zeiten und damit zum Beispiel die Darstellung paral leler Handlungsshyverlaumlufe

Als Basisinnovation der industriellen Modeme wurde die Montage nicht nur im Film sondern in nahezu allen Kuumlnsten wirksam in Musik wie Malerei Fotografie Lyrik Roman Dem1 in der Kombination des Heterogenen die es verband ohne es nach dem handwerklichen Ideal des Realismus organisch zu verschmelzen druumlckte sich die Erfahrung aus dass in der industriellen Zivilishysation ob am Flieszligband oder im Buumlro Arbeit seriell zu leisten ist jeder sepashyrate Schritt also seine wirkliche Bedeutung nur in der raumzeitlichen Kombishynation mit anderen gewinnt Seine vorbildhafte Vollendung erreichte das Vershyfahren der Montage daher auch nicht in den vorindustriellen Kuumlnsten die es um 1 900 zuerst applizierten - etwa als Bildmontage Montage im Bild - sonshydern mit einer gewissen Zwangslaumlufigkeit im narrativen Film in seiner Monshytage von Bildern Sie erst befahigte das fotorealistische Medium indem sie das Kontinuum seiner Echtzeit-Aufuahmen in einer neuen Ordnung aufhob zu eishyner der industriellen Wahrnehmung gemaumlszligen Manipulation von Zeit und Raum wie sie vorindustJiellen Medien und Kuumlnsten selbst noch der industrishyell aufgeruumlsteten Buumlhne prinzipiell verwehrt blieb Das was aber auf der Buumlhne vor sich geht ist teilweise raumlumlich teilweise zeitlich in der Regel raumlumlich und zeitlich nie aber zeit-raumlumlich wie es die Vorgaumlnge im Film sind schrieb Amold Hauser Der Film unterscheidet sich von den anderen

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Netz Werke 1 1 1

nicht dass die erste mathematische Theorie der Vernetzung in der Auseinanshydersetzung mit der Funktion eines Netzes von Bruumlcken fuumlr das urbane Leben entstand Im fruumlhen 1 8 Jahrhundert als Inunanuel Kant der einflussreichste Philosoph der deutschen Aufklaumlrung in Koumlnigsberg lehrte partizipierten die Buumlrger der Stadt an einem populaumlren Wettbewerb Man suchte einen Weg der es erlaubte alle Teile der Innenstadt zu durchlaufen ohne eine der sieben Bruumlshycken zweimal zu uumlberqueren8 Alle Versuche das Problem durch praktisches Experimentieren zu loumlsen scheiterten Kein richtiger Weg wollte sich fmden Dann ging der Mathematiker Leonhard Euler das Problem systematisch an Jeden Teil der Stadt begriff er dabei als ein Ding - in moderner mathematishyscher Begrifflichkeit als eine abstrakte Ecke oder einen Knoten - und jede Bruumlcke als eine Aktion- in moderner mathematischer Begrifflichkeit als eine abstrakte Verbindung oder eine Kante So schuf er eine mathematische Strukshytur genannt Graph die es ilun erlaubte jenseits von Trial-and-En-ar-Anlaumlufen die Beziehungen zwischen Ecken und Kanten quantitativ zu analysieren Both Kant (in politics) and Euler (in mathematics) schreibt Eugene Thacker show how an adequate understanding of networks must not come from experience but from an abstracting spatializing procedure9

bull

bull - -- - - - - - - - - - - - - - -e

bull FIG I Graph der sieben Bruumlcken von Koumlnigsberg10

8 Zur Darstellung des Koumlnigsherger Bruumlckenproblems vgl Barabasi Linked l Of Eine einfache Ein fuumlhrung findet sich online bei MathePrisma einer Modulsammlung des Fachbereichs Mathematik der Bergischen Universitaumlt Wuppertal lthttpwwwmatheprismauni-wuppertaldeModuleKoenigsbgt

9 Eugene Thacker Networks Swanns Multitudes ctheory (2004) lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=422gt amp lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=423gt

10 Diese und die folgenden I llustrationen von Leon S Freyennuth

1 1 2 GundolfS Freyermuth

Euters mathematische Formuliemng des Koumlnigsherger Bruumlckenproblems die Anstrengung Transport- und Kommunikationsnetzwerke terminologisch zushyverlaumlssig zu erfassen und in ihrer Funktionalitaumlt berechenbar zu machen leiteshyte eine epistemologische Wende ein von der Perspektive der Nutzer von Netzwerken deren Phantasie die Loumlsung eines Problems zu finden hatte von dem man annahm dass es im Prinzip loumlsbar sei zu der Perspektive des Netzshywerks dessen Anlage entweder einen bestimmten Gebrauch erlaubt oder eben nicht Die zentrale Leistung bestand dabei in der abstrahierenden Uumlbersetzung in eine geometrische Struktur in der topologischen Abstraktion mit der die in den Netzen angelegte potenzielle Nutzung zweifelsfrei berechenbar wurde Indem er 1736 eine solche topologische Sicht zum ersten Mal einnahm konnte Euler nicht nur beweisen dass es fiir das Koumlnigsherger Bruumlckenproblem keine Loumlsung gab- keinen Weg durch alle Teile der Stadt bei dem man nicht eine Bruumlcke zweimal uumlberqueren musste 11 Er demonstrierte daruumlber hinaus geneshyreJI die entscheidende Bedeutung des Netzwerk-Designs Seine Anlage limishytiert seinen Gebrauch Wer dje Stmktur eines Netzwerks kontrolliert praumldeterminiert seine moumlgliche Nutzung

5 Oumlffentlichkeit

Dem technologischen Stand entsprechend spielten zwischen Renaissance und Aufklaumlmng nationale oder gar internationale Netzwerke fiir das oumlffentliche Leben eine nur geringe Rolle Die Kommunikation der Gebildeten oder Gutshyausgebildeten unter der Buumlrgerschaft blieb noch weitgehend unbeeinflusst oder gar bestimmt durch (Massen-)Medien12 Im sozialen und kulturellen Ausshytausch dominierte der Umgang von Angesicht zu Angesicht auf den Straszligen der Staumldte auf (Markt-)Plaumltzen den Foyers von Veranstaltungssaumllen und Theshyatern in Kaffeehaumlusern Salons kurzum an Orten die insofern oumlffentlich washyren als keiner der Interagierenden an ihnen Privatheil beanspmchen konnte und vergleichsweise ungehinderter Zugang gesichert war Angeregt und ershyweitert wurde dieser physische Kontakt weitgehend Gleicher i e die Peer-tashyPeer-Kommunikation durch Medien vergleichsweise geringer Auflage und Reichweite wie Baumlnkelsaumlnge und Dramen Pamphlete Zeitschriften und Buuml-

11 Im 19 Jahrhundert bauten die Koumlnigsherger eine achte Bruumlcke und machten damit die sogenannte Eutertour durch die Stadt moumlglich vgl Barabasi Linked 12

12 Vgl Juumlrgen Habennas Strukturwandel der Oumlffentlichkeit Untersuchungen zu einer Kategorie der buumlrgerlichen Gesellschaft [5 Aufl Sonderausg ed (Sammlung Luchterhand 25) (Neuwied] Luchterhand 1971 )

NetzWerke 1 1 3

cher13 Ein Grundkennzeichen oumlffentlicher Diskurse zwischen Renaissance und Modeme war so dass sie mehr in persoumlnlicher muumlndlicher und schriftlishycher Kommunikation uumlber Medien - Literatur Malerei Musik - denn als Kommunikation mittels Medien- Presse Flugblatt- verliefen 14

Aus diesen Bedingungen des oumlffentlichen Diskurses ergab sich der Vorteil einer weitgehend gleichberechtigten persoumlnlichen Interaktion in Echtzeit wie aber auch der Nachteil geografischer und sozialer Beschraumlnkung Ein wichtishyges Kennzeichen von Oumlffentlichkeit in der mechanischen Epoche ist daher dass sie geographisch fragmentiert und intellektuell divers war da die Beteishyligten und die Themen oumlffentlicher Diskussion von Stadt zu Stadt wechselten In der Konsequenz betrachteten sich in weiten Teilen Europas die wenigen Gebildeten die am oumlffentlichen Diskurs partizipierten eher als Buumlrger ihrer

Stadt und weniger als Buumlrger eines groumlszligeren politischen Gebildes (des Kaisershyoder Koumlnigreichs eines Nationalstaats) In mancherlei Hinsicht - etwa mit Blick auf die Dominanz von Peer-ta-Peer-Kommunikation und den hohen Grad an Fragmentierung- glich das oumlffentliche Leben in diesen vorindustrielshylen Zeiten daher mehr dem sich gegenwaumlrtig ausbildenden digitalen als der uniformen von Massenmedien gepraumlgten Oumlffentlichkeit des damals heraufshyziehenden industriellen Zeitalters 15

13 Instruktiv ist dabei dass unter den Bedingungen mechanischer Kultur auch Medien die in der industriellen Epoche passiv rezipiert wurden auf Partizipation angelegt waren So erschienen etwa viele Zeitungen Zeitschriften und Buumlcher mit freien Seishyten die--- da diese Schriften in der Familie sowie im Freundes- und Bekanntenkreis

weitergereicht wurden - der Kommunikation und intel lektuellen Auseinandersetshyzung unter den Lesem dienen sollten Vgl Jack Shafer The Prota-Internet of 1 704 - The small ways in which ColoniaJ newspapers anticipated the Web Slate 26 August 2010 lthttpwwwslatecomlaiticlesnews_and _pol iticspress _ box20 1 008 the_protointemet_ o(_ 1 704htmlgt Shafer verweist als Quelle auf Thomas C Leoshynard News for all America s Coming-OfAge Wilh the Press (New York Oxford UP 1 995)

14 Ausnahmen stellten sich in Zeiten groszliger Krisen her Das wichtigste Beispiel gibt die Reformationsbewegung Pamphlete verbreiteten sich in einer geschaumltzten Auflashyge von sechs bis sieben Mill ionen wie Lauffeuer durch Zentraleuropa In etwa ein Viertel dieser Pamphlete stammten von Luther Hinzu kamen Balladen und Holzstishyche die diese epochale Auseinandersetzung gewissermaszligen transmedialisierten Vgl z B NN How Luther went v iral- Social media in the 1 6th Century The Economist 1 7 Dezember 20 I I lthttpwwweconomistcomnode2 1 54 1 7 1 9gt

15 Der Economist verglich denn auch die Situation unserer digitalen Fruumlhzeit mit der Reformation The media environment that Luther had shown hirnself so adept at managing had much in conunon vrith todays on line ecosystem of blogs social netshyworks and discussion threads lt was a decentralised system whose participants took care of distribut ion deciding collectively which messages to amplify through shashy

ring and recommendation [ ] Modem digital networks may be able to do it more

114 GundolfS Freyennuth

Spaumltestens jedoch seit der Aufklaumlrung strebten die Zeitgenossen in den am weitesten entwickelten Regionen mechanischer Kultur danach genau diese Kennzeichen vorindusttieller Oumlffentlichkeit zu uumlberwinden den geographisch begrenzten Einfluss des oumlffentlichen Lebens und die geringe Reichweite der Medien Das Verlangen nach nationalen Debatten kam auf nach nationalen Zeitschriften und Zeitungen und nationalen Fonnen von Unterhaltung und Bildung insbesondere nach einem Nationaltheater Mit mechanischer Vemetshyzungs- und Medientechnologie war diese Sehnsucht freilich nicht zu erfiillen Die mechanische Kultur stieszlig an ihre Grenzen - ein historisch wiederkehrenshydes Problem das Harold Innis so formulierte

We can perhaps assume that the use of a medium of communication over a long period will to some extent deterrnine the character of knowledge to be comrnunicated and suggest that its pervasive influence will eventually create a civilization in which life and flexibility will become exceedingly difficult to maintain and that the advantages of a new medium wil l become such as to Iead to the emergence of a new civilization 16

II Audiovisuelle Kultur im Zeitalter industrieller Vemetzung

1 Industrialisierung

Vor allem zwei Innovationen trieben den Prozess der Industrialisierung die sich steigemde Verfugung uumlber nicht-biologische Energiequellen uumlber Dampfkraft Gas Benzin Elektrizitaumlt sowie die mathematische Analyse und Kontrolle von Arbeitsprozessen das heiszligt die Taylorisierung menschlicher Arbeit und die Automatisierung von Maschinenarbeit17 Wiederum initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg eishyner neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung

quickly but even 500 years ago the sharing of media could play a supporting roJe in precipitating a revolution ibid

16 Harold Adams Innis und Mary Innis Empire and Communications (Toronto U of Toronto P 1 972) 34

Die Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konseshyquenzen folgt Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur David S Landes The Unbmmd Prometheus Technological Change and Industria Development in Western Europe From 1 750 to the Present (London Cambridge UP 1 969) Joe1 Mokyr The Lever of Riches Technological Creativity and Economic Progress (New York Oxford UP 1 990) Lewis Murnford Technics and Civilization (New York Harcourt Brace amp World 1963 (1 934)) Giedion Mechanization Gundo1fS Freyerrnuth Cinema Revisited Vor und nach dem Kino - Audiovisualitaumlt in der Neuzeit in Zulamft Kino Hg Danie1a Kloock (Marburg Schuumlren 2007) 1 5-40

NetzWerke 1 15

dieser neuen technischen Mittel lagen Unternehmer und Manager Finanzshyund Verwaltungsexperten Ingenieure Techniker Mechaniker Facharbeiter Angestellte in den wuchernden privaten und staatlichen Buumlrokratien wie auch eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen Vertreter der aufkonunenden Geistes- Natur- und Sozialwissenschaften Intellektuelle Journalisten und Kuumlnstler die in den neuen industriellen Massenmedien arbeiteten oder sich deshyren zumindest zur Distribution ihrer Werke bedienten Sie alle profitietten vom schnell wachsenden Beduumlrfnis der industriellen Massen nach Bildung Inshyformation und Unterhaltung Gleichzeitig zogen die Staumldte inuner mehr Menshyschen an und eine groszligstaumldtische Lebensform bildete sich heraus gepraumlgt von der IndustJialisierung und ihren sozialen wie kulturellen Folgen

Eins ihrer Hauptkennzeichen war Anonymitaumlt der gaumlnzlich neue Umshystand dass die B ewohner der industriellen Groszligstaumldte in ihrem Alltag - beim Spaziergang auf den Straszligen bei der Nutzung oumlffentlicher Verkehrsmittel beim Einkauf in den Warenhaumlusern beim Besuch von Theatern und Kinosshyeiner schier endlose Reihe von Mitmenschen begegneten die ihnen vollstaumlnshydig fremd waren Eine zweite Konsequenz die das Alltagsleben veraumlnderte war die Uumlberlagerung der Staumldte mit Zeichenstrukturen Als Reaktion auf die Anonymitaumlt des Al ltagslebens und den Umstand dass weite Teile des enorshymen urbanen Raums selbst langjaumlhrigen Bewohnern fremd blieben formte sich waumlhrend des 19 und 20 Jahrhunderts eine analoge InformationsshyInfrastruktur- Straszligenschilder Hausnununern Wegweiser Verkehrsschilder Rekiametafeln Verkehrskontrollsysteme usf Diese medialen Hilfsmittel ershymoumlglichten es Einheimischen wie Ortsfremden die industrielle Stadt und Umwelt zumindest partiell zu lesen und zu navigieren So lange Informatioshynen jedoch analog vermittelt wurden mussten sie mehr oder weniger standarshydisiert sein Der Einzelne erhielt so statistisch unentwegt vor allem Informatishyonen die er nicht oder gerade nicht brauchte Wegweisungen zu Orten an die er nicht wollte Neonreklamen zu Produkten die ihn nicht irrteressielten usf

2 Vernetzung

Entwickelt am Bruumlcken-Modell statischer Knoten und Kanten versagte die Graphentheorie vor den komplexen sozialen und oumlkonomischen Vernetzungen industrieller Massenkultur wie sie sich in den westlichen Metropolen herausshybildete Die vielfaumlltigen Beziehungen zwischen Hunderttausenden von Fremshyden - das Gewirr alltaumlglicher Zufallsbegegnungen beschrieben zum Beispiel

116 Gundolf S F reyermuth

von Edgar Allan Poe in Man of the Crowd 18 oder die heimliche Verwobenshy

heil der sexuellen Beziehungen dargestellt etwa von Arthur Schnitzler als

Reigen19- vermochte die zeitgenoumlssische Forschung ebenso wenig zu beshy

greifen oder gar zu berechnen wie die zahlreichen technischen Netzwerke von

Transport und Kommunikation die im Laufe des 19 und 20 Jahrhunderts neu

entstanden

Zum einen beschleunigte und automatisierte sich der physische Transport

durch den Einsatz industrieller Technologie Damit wuchs der Distributionsrashy

dius von Waren Dienstleistungen und Neuigkeiten Mit dem Ausbau des Eishy

senbahnnetzes der Einrichtung erst nationaler dann kontinentaler Autobahnshy

netze und schlieszliglich mit dem Flugnetz weiteten sich Handel und Kommunishy

kation geographisch aus Gleichzeitig kam es innerhalb der groszligen Staumldte zur

Etablierung von Netzen der Versorgung - Wasser Abwasser Gas Strom

Auch im Falle der Netze der Infrastruktur hat die Zeit ab 1750 und dann das

durch die Doppelrevolution eingeleitete 19 Jahrhunderte Scharnierbedeushy

tung schreibt Dietrich Kerlen Denn erst jetzt werden massenhaft private

Optionen auf die Benutzung von Netzen wirklich20 Die alltaumlgliche Erfahrung

bewirkte einen epistemologischen Wandel In Netzen zu denken konstatiert

Juumlrgen Osterhammel war uumlberhaupt erst eine Anschauungsform des 19

Jahrhunderts 21

Zum zweiten - und in der Konsequenz weitreichender - entstand eine

gaumlnzlich neue Kategorie Jmmaterieller Vemetzung Denn mit Telegraph und

Telefon spaumlter auch mit Radio und Fernsehen machte sich Fernkommunikatishy

on tmabhaumlngig von physischem Transport Das entscheidende Kennzeichen

dieser neuen industriellen Netzwerke war insofern dass Informationen sich

nun schneller als Waren verbreiten konnten Mehr noch Zum ersten Mal in

der Menschheitsgeschichte lieszligen sich Nachrichten uumlber groszlige Distanzen in

Echtzeit kommunizieren Schluumlsseldaten welche diese epochale Entwicklung

rahmen sind die Verlegung des ersten transatlantischen Telegraphenkabels in

den 1850er Jahren und die Verlegung des ersten transatlantischen Telefonkashy

bels in den 1950er Jahren 22

18 Edgar Allan Poe The Man of the Crowd ( 1840) lthttpetextvirginiaeduetcbin toccer-new2id=PoeCrowsgmampimages=imagesmodengampdata=textseng1ish

modengparsedamptag=pub1icamppart=teiHeadergt 19 Arthur Schnitz1er Reigen Zehn Dialoge geschrieben Winter 1896-97

lthttpgutenbergspiegeldebuch53 81 I 1 gt 20 Dietrich Kerlen Einfiihrung in die Medienkunde (Stuttgart Rec1amjun 2003) 148 21 Juumlrgen Osterhammel Die Verwandlung der Welt eine Geschichte des 19 Jahrhunshy

derts (Muumlnchen CH Beck 2009) 101 1 22 Zur Geschichte des transatlantischen Telegraphenkabels vgl Duncan Geere How

the first cable was laid across the Atlantic Wired UK (20 1 1 )

NetzWerke 117

l m Vergleich zur mechanischen Vemetzung koumltmen wir die neuen industshyriellen Praktiken der Vemetzung die eben in der Kommunikation keinen physhysischen Transport mehr erfordern waumlhrend gleichzeitig der Transport materishyeller Guumlter durch den Einsatz non-biologischer Energie Automatisierung und industrielle Arbeitsteilung dramatisch beschleunigt wird Vernetzung 20 nenshynen

Ihr zentrales Prinzip ist die Befaumlhigung zur Trennung von Kommunikation und Transport ihre wichtigste Technik ist im Hinblick aufkommunikative Akte die Eliminierung geographischer Distanzen durch die materielle Verbindung bnv Verschaltung verschiedener Leitungen

In der industriellen Zivilisation wie sie sich zwischen Aufklaumlrung und Postmodeme entwickelte geschah in der Konsequenz die alltaumlgliche Distribushytion von Guumltern und Informationen nicht mehr nur lokal oder regional sonshydern national Zwar wuchsen weiterhin als Auszligerordentlichkeit globale FernshyNetzwerke fuumlr Transport und Kommunikation zu See auf Land und schlieszligshylich auch in der Luft 23 Die durchschnittliche Distribution von Waren und auch Medienjedoch fand innerhalb von Nationen statt und in einem gewissen Maszlige zwischen benachbarten Staaten sowie seit der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunshyderts innerhalb kontinentaler Handelszonen Dieser geografischen (Er-) Schlieszligung die das erste industrielle Jahrhundert unter dem Banner des Natioshynalstaats leistete korrelierte die oumlkonomische und politische kulturelle und geistige Verengung auf die Grenzen der Nation Im 1 9 Jahrhundert brachte sie mit der industriellen Zentralisierung und dem Aufschwung der Kapitalen neue hauptstaumldtische Institutionen wie Nationalmuseen Nationalbibliotheken oder Nationaltheater hervor Mit Beginn des 20 Jahrhunderts und dem Siegeszug der industriellen audiovisuellen Medien eskalierte diese Nationalisierung der Kommunikation bis sie die lokalen Oumlffentlichkeiten nahezu in Gaumlnze uumlberlashygerte

lthttpwww wiredcouknewsarchive20 11-0 118transatlantic-cablespage=algt - Zur Geschichte sowohl des ersten transatlantischen Telegraphenkabels wie des ersten Telefonkabels vgl NN Milestones The First Submarine Transatlantic Teshy

lephone Cable System (TAT-I) 956 IEEE Global History Network (o J)

lthttpwwwieeeghnorgwikiindexphpMilestones The _First_ Submarine_ Transatl antic_ Telephone_ Cable_System_(T AT -1)_1956gt

23 Das Faszinosum fuumlr die Zeitgenossen des 19 und fruumlhen 20 Jahrhw1derts belegt schon das Kommunistische Manifest An die Stelle der alten durch Landeserzeugshynisse befriedigten Beduumlrfuisse treten neue welche die Produkte der entferntesten Laumlnder w1d Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen An die Stelle der alten lokashy

len und nationalen Selbstgenuumlgsanlkeit und Abgeschlossenheil tritt ein allseitiger

Verkehr eine allseitige Abhaumlngigkeit der Nationen voneinander Kar Marx und

Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei ( 1848) (Berlin Dietz 1972) lthttpwwwmlwerkedememe04me04_ 459htmgt 466

1 1 8 Gundolf S Freyennuth

Die neuen industriellen Medien- vom Telegrafen uumlber Telefon und Radio bis zum Fernsehen- bedienten sich dabei eines gaumlnzlich neuen Verfahrens der Hardware-Schaltung im Telefonverkehr etwa zunaumlchst von Hand durch Telefonistirmen und spaumlter durch automatische elektrische Schalter (circuit switching) 24 Technisch leistet Hardware-Schaltung dabei zweierlei Zum eishynen werden im geographischen Transport abgeschwaumlchte Stromimpulse vershystaumlrkt weitergeleitet zum zweiten werden verschiedene kuumlrzere Leitungen zu einer neuen kontinuierlichen Verbindung verschaltet Was Uumlberbruumlckung in mechanischen (und industriellen) Netzwerken des Transports leistet gelingt in den industriellen Kommunikationsnetzwerken so mittels Schaltung Sie ershyschafft das notwendige physische Kontinuum (die Kante) zwischen zwei Punkten (Knoten) indem sie den Raum der Sender und Empfaumlnger voneinanshyder trermt eben nicht mehr uumlberbruumlckt sondem unmittelbar und in Echtzeit eliminiert 25

Werm auch Telefonistirmen oder elektrische Schalter im Vergleich zur Bruumlcke nie die Qualitaumlt eines existentiellen Mythos gewarmen so figuriert die Praxis der Verschaltung - in ihrem Doppelsirm - doch recht prominent in zahlreichen Filmen des 20 Jahrhunderts Gespielt wird dabei mit zeitgenoumlssishyschen Aumlngsten dass durch falsche Verbindungen herbeigefuhrt von boumlswillishygen Operateuren oder fehlerhaften Schaltern Fremde in die Privatsphaumlre einshydringen und uns mit Dingen konfrontieren koumlrmten von denen entweder wir oder die anderen besser nichts wissen sollten 26 In dieser Hinsicht markiert der technische Vorgang der Schaltung die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten inshydustrieller Vernetzung selbst die niemals gaumlnzlich kontrollierbare Anstrenshygung zahlreiche Kommunikationspfade - Leitungen - deren Existenz in der industriellen Epoche die Vorbedingung fiir das Gelingen immaterieller Fernshykommunikation ist fiir eine kurze Zeit miteinander zu verbinden27

24 Vgl Elektrizitaumlt ersetzt die Logik der Uumlbertragung im strikten Sinne des Wortes zugunsten einer Logik der Schaltung Hartrnann Globale Medienkultur 12

25 Dass die industriellen -elektrischen -Medien keineswegs die physische Reichweite der Menschen vergroumlszligern sondern vielmehr raumlun1liche Distanz aufheben im Sinne

von auszliger Kraft setzen bemerkte bereits Marshall McLuhan Electric media [ ] abolish the spatial dimension rather than enlarge it Marshall McLuhan Undershystanding Media The Extensions of Man (New York Signet Books 1964) 255

26 Ein hervorragendes Beispiel dafur gibt Anatole Litvaks Film Noir Sony Wrong Number ( 1948)

27 Die Gewalt der analogen Schaltung als Vernichtung von Raum und Zeit verlangt danach dass sie nur temporaumlr geschehen soll Im zweiten Jahrhw1dertdrittel wird

folgerichtig sowohl ihr kurzfristiges Misslingen - die Fehlschaltung- als auch ihre dauerhafte Durchsetzung- die Gleichschaltungmiddot als Schrecken erfahren

NetzWerke 1 1 9

3 Audiovisualitaumlt

Die besondere Vorliebe die Kino- wie Fernsehfilme stets fur das Telefon als narratives Vehikel besaszligen weil es raumlumlich getrennte Protagonisten visuell shydurch Gegenschnitt oder geteilte Bildraumlume - verschaltete weist auf den starshyken Zusammenhang zwischen dem technologischen Stand der Vemetzung und dem audiovisueller Nanmiddotation Deutlich manipulieren industrielle Netzwerke der Kommunikation und der Film als das repraumlsentative audiovisuelle Erzaumlhlshymedium der industriellen Epoche raumlumliche und zeitliche Verhaumlltnisse auf recht aumlhnliche Art und Weise Filmakteure spielen ihre Rollen bekanntlich nicht mehr live und sequentiell Filmische Handlungen werden vielmehr nach dem Muster tayloristischer Arbeitsorganisation in einer Vielzahl von Einzelshyszenen aufgenommen und dann nicht anders als die meisten industriellen Washyren endmontiert (final cut) Die Montage fuumlgt dabei Bilder und Toumlne die im Augenblick der Reproduktion aus ihren natuumlrlichen - tatsaumlchlichen - Koorshydinaten gerissen wurden zu einem neuen kuumlnstlichen - fiktionalen- Raumshyzeitkontinuum Raumlumliche und zeitliche Distanzen werden so nicht laumlnger vershyund uumlberdeckt sondern eliminiert das heiszligt herausgeschnitten Auf diese Weise steigert sich das Potential zur Gestaltung raumzeitlicher Verhaumlltnisse Moumlglich wird ein beschleunigtes und stetes Wechseln zwischen entfernten Orshyten oder Zeiten und damit zum Beispiel die Darstellung paral leler Handlungsshyverlaumlufe

Als Basisinnovation der industriellen Modeme wurde die Montage nicht nur im Film sondern in nahezu allen Kuumlnsten wirksam in Musik wie Malerei Fotografie Lyrik Roman Dem1 in der Kombination des Heterogenen die es verband ohne es nach dem handwerklichen Ideal des Realismus organisch zu verschmelzen druumlckte sich die Erfahrung aus dass in der industriellen Zivilishysation ob am Flieszligband oder im Buumlro Arbeit seriell zu leisten ist jeder sepashyrate Schritt also seine wirkliche Bedeutung nur in der raumzeitlichen Kombishynation mit anderen gewinnt Seine vorbildhafte Vollendung erreichte das Vershyfahren der Montage daher auch nicht in den vorindustriellen Kuumlnsten die es um 1 900 zuerst applizierten - etwa als Bildmontage Montage im Bild - sonshydern mit einer gewissen Zwangslaumlufigkeit im narrativen Film in seiner Monshytage von Bildern Sie erst befahigte das fotorealistische Medium indem sie das Kontinuum seiner Echtzeit-Aufuahmen in einer neuen Ordnung aufhob zu eishyner der industriellen Wahrnehmung gemaumlszligen Manipulation von Zeit und Raum wie sie vorindustJiellen Medien und Kuumlnsten selbst noch der industrishyell aufgeruumlsteten Buumlhne prinzipiell verwehrt blieb Das was aber auf der Buumlhne vor sich geht ist teilweise raumlumlich teilweise zeitlich in der Regel raumlumlich und zeitlich nie aber zeit-raumlumlich wie es die Vorgaumlnge im Film sind schrieb Amold Hauser Der Film unterscheidet sich von den anderen

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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1 1 2 GundolfS Freyermuth

Euters mathematische Formuliemng des Koumlnigsherger Bruumlckenproblems die Anstrengung Transport- und Kommunikationsnetzwerke terminologisch zushyverlaumlssig zu erfassen und in ihrer Funktionalitaumlt berechenbar zu machen leiteshyte eine epistemologische Wende ein von der Perspektive der Nutzer von Netzwerken deren Phantasie die Loumlsung eines Problems zu finden hatte von dem man annahm dass es im Prinzip loumlsbar sei zu der Perspektive des Netzshywerks dessen Anlage entweder einen bestimmten Gebrauch erlaubt oder eben nicht Die zentrale Leistung bestand dabei in der abstrahierenden Uumlbersetzung in eine geometrische Struktur in der topologischen Abstraktion mit der die in den Netzen angelegte potenzielle Nutzung zweifelsfrei berechenbar wurde Indem er 1736 eine solche topologische Sicht zum ersten Mal einnahm konnte Euler nicht nur beweisen dass es fiir das Koumlnigsherger Bruumlckenproblem keine Loumlsung gab- keinen Weg durch alle Teile der Stadt bei dem man nicht eine Bruumlcke zweimal uumlberqueren musste 11 Er demonstrierte daruumlber hinaus geneshyreJI die entscheidende Bedeutung des Netzwerk-Designs Seine Anlage limishytiert seinen Gebrauch Wer dje Stmktur eines Netzwerks kontrolliert praumldeterminiert seine moumlgliche Nutzung

5 Oumlffentlichkeit

Dem technologischen Stand entsprechend spielten zwischen Renaissance und Aufklaumlmng nationale oder gar internationale Netzwerke fiir das oumlffentliche Leben eine nur geringe Rolle Die Kommunikation der Gebildeten oder Gutshyausgebildeten unter der Buumlrgerschaft blieb noch weitgehend unbeeinflusst oder gar bestimmt durch (Massen-)Medien12 Im sozialen und kulturellen Ausshytausch dominierte der Umgang von Angesicht zu Angesicht auf den Straszligen der Staumldte auf (Markt-)Plaumltzen den Foyers von Veranstaltungssaumllen und Theshyatern in Kaffeehaumlusern Salons kurzum an Orten die insofern oumlffentlich washyren als keiner der Interagierenden an ihnen Privatheil beanspmchen konnte und vergleichsweise ungehinderter Zugang gesichert war Angeregt und ershyweitert wurde dieser physische Kontakt weitgehend Gleicher i e die Peer-tashyPeer-Kommunikation durch Medien vergleichsweise geringer Auflage und Reichweite wie Baumlnkelsaumlnge und Dramen Pamphlete Zeitschriften und Buuml-

11 Im 19 Jahrhundert bauten die Koumlnigsherger eine achte Bruumlcke und machten damit die sogenannte Eutertour durch die Stadt moumlglich vgl Barabasi Linked 12

12 Vgl Juumlrgen Habennas Strukturwandel der Oumlffentlichkeit Untersuchungen zu einer Kategorie der buumlrgerlichen Gesellschaft [5 Aufl Sonderausg ed (Sammlung Luchterhand 25) (Neuwied] Luchterhand 1971 )

NetzWerke 1 1 3

cher13 Ein Grundkennzeichen oumlffentlicher Diskurse zwischen Renaissance und Modeme war so dass sie mehr in persoumlnlicher muumlndlicher und schriftlishycher Kommunikation uumlber Medien - Literatur Malerei Musik - denn als Kommunikation mittels Medien- Presse Flugblatt- verliefen 14

Aus diesen Bedingungen des oumlffentlichen Diskurses ergab sich der Vorteil einer weitgehend gleichberechtigten persoumlnlichen Interaktion in Echtzeit wie aber auch der Nachteil geografischer und sozialer Beschraumlnkung Ein wichtishyges Kennzeichen von Oumlffentlichkeit in der mechanischen Epoche ist daher dass sie geographisch fragmentiert und intellektuell divers war da die Beteishyligten und die Themen oumlffentlicher Diskussion von Stadt zu Stadt wechselten In der Konsequenz betrachteten sich in weiten Teilen Europas die wenigen Gebildeten die am oumlffentlichen Diskurs partizipierten eher als Buumlrger ihrer

Stadt und weniger als Buumlrger eines groumlszligeren politischen Gebildes (des Kaisershyoder Koumlnigreichs eines Nationalstaats) In mancherlei Hinsicht - etwa mit Blick auf die Dominanz von Peer-ta-Peer-Kommunikation und den hohen Grad an Fragmentierung- glich das oumlffentliche Leben in diesen vorindustrielshylen Zeiten daher mehr dem sich gegenwaumlrtig ausbildenden digitalen als der uniformen von Massenmedien gepraumlgten Oumlffentlichkeit des damals heraufshyziehenden industriellen Zeitalters 15

13 Instruktiv ist dabei dass unter den Bedingungen mechanischer Kultur auch Medien die in der industriellen Epoche passiv rezipiert wurden auf Partizipation angelegt waren So erschienen etwa viele Zeitungen Zeitschriften und Buumlcher mit freien Seishyten die--- da diese Schriften in der Familie sowie im Freundes- und Bekanntenkreis

weitergereicht wurden - der Kommunikation und intel lektuellen Auseinandersetshyzung unter den Lesem dienen sollten Vgl Jack Shafer The Prota-Internet of 1 704 - The small ways in which ColoniaJ newspapers anticipated the Web Slate 26 August 2010 lthttpwwwslatecomlaiticlesnews_and _pol iticspress _ box20 1 008 the_protointemet_ o(_ 1 704htmlgt Shafer verweist als Quelle auf Thomas C Leoshynard News for all America s Coming-OfAge Wilh the Press (New York Oxford UP 1 995)

14 Ausnahmen stellten sich in Zeiten groszliger Krisen her Das wichtigste Beispiel gibt die Reformationsbewegung Pamphlete verbreiteten sich in einer geschaumltzten Auflashyge von sechs bis sieben Mill ionen wie Lauffeuer durch Zentraleuropa In etwa ein Viertel dieser Pamphlete stammten von Luther Hinzu kamen Balladen und Holzstishyche die diese epochale Auseinandersetzung gewissermaszligen transmedialisierten Vgl z B NN How Luther went v iral- Social media in the 1 6th Century The Economist 1 7 Dezember 20 I I lthttpwwweconomistcomnode2 1 54 1 7 1 9gt

15 Der Economist verglich denn auch die Situation unserer digitalen Fruumlhzeit mit der Reformation The media environment that Luther had shown hirnself so adept at managing had much in conunon vrith todays on line ecosystem of blogs social netshyworks and discussion threads lt was a decentralised system whose participants took care of distribut ion deciding collectively which messages to amplify through shashy

ring and recommendation [ ] Modem digital networks may be able to do it more

114 GundolfS Freyennuth

Spaumltestens jedoch seit der Aufklaumlrung strebten die Zeitgenossen in den am weitesten entwickelten Regionen mechanischer Kultur danach genau diese Kennzeichen vorindusttieller Oumlffentlichkeit zu uumlberwinden den geographisch begrenzten Einfluss des oumlffentlichen Lebens und die geringe Reichweite der Medien Das Verlangen nach nationalen Debatten kam auf nach nationalen Zeitschriften und Zeitungen und nationalen Fonnen von Unterhaltung und Bildung insbesondere nach einem Nationaltheater Mit mechanischer Vemetshyzungs- und Medientechnologie war diese Sehnsucht freilich nicht zu erfiillen Die mechanische Kultur stieszlig an ihre Grenzen - ein historisch wiederkehrenshydes Problem das Harold Innis so formulierte

We can perhaps assume that the use of a medium of communication over a long period will to some extent deterrnine the character of knowledge to be comrnunicated and suggest that its pervasive influence will eventually create a civilization in which life and flexibility will become exceedingly difficult to maintain and that the advantages of a new medium wil l become such as to Iead to the emergence of a new civilization 16

II Audiovisuelle Kultur im Zeitalter industrieller Vemetzung

1 Industrialisierung

Vor allem zwei Innovationen trieben den Prozess der Industrialisierung die sich steigemde Verfugung uumlber nicht-biologische Energiequellen uumlber Dampfkraft Gas Benzin Elektrizitaumlt sowie die mathematische Analyse und Kontrolle von Arbeitsprozessen das heiszligt die Taylorisierung menschlicher Arbeit und die Automatisierung von Maschinenarbeit17 Wiederum initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg eishyner neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung

quickly but even 500 years ago the sharing of media could play a supporting roJe in precipitating a revolution ibid

16 Harold Adams Innis und Mary Innis Empire and Communications (Toronto U of Toronto P 1 972) 34

Die Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konseshyquenzen folgt Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur David S Landes The Unbmmd Prometheus Technological Change and Industria Development in Western Europe From 1 750 to the Present (London Cambridge UP 1 969) Joe1 Mokyr The Lever of Riches Technological Creativity and Economic Progress (New York Oxford UP 1 990) Lewis Murnford Technics and Civilization (New York Harcourt Brace amp World 1963 (1 934)) Giedion Mechanization Gundo1fS Freyerrnuth Cinema Revisited Vor und nach dem Kino - Audiovisualitaumlt in der Neuzeit in Zulamft Kino Hg Danie1a Kloock (Marburg Schuumlren 2007) 1 5-40

NetzWerke 1 15

dieser neuen technischen Mittel lagen Unternehmer und Manager Finanzshyund Verwaltungsexperten Ingenieure Techniker Mechaniker Facharbeiter Angestellte in den wuchernden privaten und staatlichen Buumlrokratien wie auch eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen Vertreter der aufkonunenden Geistes- Natur- und Sozialwissenschaften Intellektuelle Journalisten und Kuumlnstler die in den neuen industriellen Massenmedien arbeiteten oder sich deshyren zumindest zur Distribution ihrer Werke bedienten Sie alle profitietten vom schnell wachsenden Beduumlrfnis der industriellen Massen nach Bildung Inshyformation und Unterhaltung Gleichzeitig zogen die Staumldte inuner mehr Menshyschen an und eine groszligstaumldtische Lebensform bildete sich heraus gepraumlgt von der IndustJialisierung und ihren sozialen wie kulturellen Folgen

Eins ihrer Hauptkennzeichen war Anonymitaumlt der gaumlnzlich neue Umshystand dass die B ewohner der industriellen Groszligstaumldte in ihrem Alltag - beim Spaziergang auf den Straszligen bei der Nutzung oumlffentlicher Verkehrsmittel beim Einkauf in den Warenhaumlusern beim Besuch von Theatern und Kinosshyeiner schier endlose Reihe von Mitmenschen begegneten die ihnen vollstaumlnshydig fremd waren Eine zweite Konsequenz die das Alltagsleben veraumlnderte war die Uumlberlagerung der Staumldte mit Zeichenstrukturen Als Reaktion auf die Anonymitaumlt des Al ltagslebens und den Umstand dass weite Teile des enorshymen urbanen Raums selbst langjaumlhrigen Bewohnern fremd blieben formte sich waumlhrend des 19 und 20 Jahrhunderts eine analoge InformationsshyInfrastruktur- Straszligenschilder Hausnununern Wegweiser Verkehrsschilder Rekiametafeln Verkehrskontrollsysteme usf Diese medialen Hilfsmittel ershymoumlglichten es Einheimischen wie Ortsfremden die industrielle Stadt und Umwelt zumindest partiell zu lesen und zu navigieren So lange Informatioshynen jedoch analog vermittelt wurden mussten sie mehr oder weniger standarshydisiert sein Der Einzelne erhielt so statistisch unentwegt vor allem Informatishyonen die er nicht oder gerade nicht brauchte Wegweisungen zu Orten an die er nicht wollte Neonreklamen zu Produkten die ihn nicht irrteressielten usf

2 Vernetzung

Entwickelt am Bruumlcken-Modell statischer Knoten und Kanten versagte die Graphentheorie vor den komplexen sozialen und oumlkonomischen Vernetzungen industrieller Massenkultur wie sie sich in den westlichen Metropolen herausshybildete Die vielfaumlltigen Beziehungen zwischen Hunderttausenden von Fremshyden - das Gewirr alltaumlglicher Zufallsbegegnungen beschrieben zum Beispiel

116 Gundolf S F reyermuth

von Edgar Allan Poe in Man of the Crowd 18 oder die heimliche Verwobenshy

heil der sexuellen Beziehungen dargestellt etwa von Arthur Schnitzler als

Reigen19- vermochte die zeitgenoumlssische Forschung ebenso wenig zu beshy

greifen oder gar zu berechnen wie die zahlreichen technischen Netzwerke von

Transport und Kommunikation die im Laufe des 19 und 20 Jahrhunderts neu

entstanden

Zum einen beschleunigte und automatisierte sich der physische Transport

durch den Einsatz industrieller Technologie Damit wuchs der Distributionsrashy

dius von Waren Dienstleistungen und Neuigkeiten Mit dem Ausbau des Eishy

senbahnnetzes der Einrichtung erst nationaler dann kontinentaler Autobahnshy

netze und schlieszliglich mit dem Flugnetz weiteten sich Handel und Kommunishy

kation geographisch aus Gleichzeitig kam es innerhalb der groszligen Staumldte zur

Etablierung von Netzen der Versorgung - Wasser Abwasser Gas Strom

Auch im Falle der Netze der Infrastruktur hat die Zeit ab 1750 und dann das

durch die Doppelrevolution eingeleitete 19 Jahrhunderte Scharnierbedeushy

tung schreibt Dietrich Kerlen Denn erst jetzt werden massenhaft private

Optionen auf die Benutzung von Netzen wirklich20 Die alltaumlgliche Erfahrung

bewirkte einen epistemologischen Wandel In Netzen zu denken konstatiert

Juumlrgen Osterhammel war uumlberhaupt erst eine Anschauungsform des 19

Jahrhunderts 21

Zum zweiten - und in der Konsequenz weitreichender - entstand eine

gaumlnzlich neue Kategorie Jmmaterieller Vemetzung Denn mit Telegraph und

Telefon spaumlter auch mit Radio und Fernsehen machte sich Fernkommunikatishy

on tmabhaumlngig von physischem Transport Das entscheidende Kennzeichen

dieser neuen industriellen Netzwerke war insofern dass Informationen sich

nun schneller als Waren verbreiten konnten Mehr noch Zum ersten Mal in

der Menschheitsgeschichte lieszligen sich Nachrichten uumlber groszlige Distanzen in

Echtzeit kommunizieren Schluumlsseldaten welche diese epochale Entwicklung

rahmen sind die Verlegung des ersten transatlantischen Telegraphenkabels in

den 1850er Jahren und die Verlegung des ersten transatlantischen Telefonkashy

bels in den 1950er Jahren 22

18 Edgar Allan Poe The Man of the Crowd ( 1840) lthttpetextvirginiaeduetcbin toccer-new2id=PoeCrowsgmampimages=imagesmodengampdata=textseng1ish

modengparsedamptag=pub1icamppart=teiHeadergt 19 Arthur Schnitz1er Reigen Zehn Dialoge geschrieben Winter 1896-97

lthttpgutenbergspiegeldebuch53 81 I 1 gt 20 Dietrich Kerlen Einfiihrung in die Medienkunde (Stuttgart Rec1amjun 2003) 148 21 Juumlrgen Osterhammel Die Verwandlung der Welt eine Geschichte des 19 Jahrhunshy

derts (Muumlnchen CH Beck 2009) 101 1 22 Zur Geschichte des transatlantischen Telegraphenkabels vgl Duncan Geere How

the first cable was laid across the Atlantic Wired UK (20 1 1 )

NetzWerke 117

l m Vergleich zur mechanischen Vemetzung koumltmen wir die neuen industshyriellen Praktiken der Vemetzung die eben in der Kommunikation keinen physhysischen Transport mehr erfordern waumlhrend gleichzeitig der Transport materishyeller Guumlter durch den Einsatz non-biologischer Energie Automatisierung und industrielle Arbeitsteilung dramatisch beschleunigt wird Vernetzung 20 nenshynen

Ihr zentrales Prinzip ist die Befaumlhigung zur Trennung von Kommunikation und Transport ihre wichtigste Technik ist im Hinblick aufkommunikative Akte die Eliminierung geographischer Distanzen durch die materielle Verbindung bnv Verschaltung verschiedener Leitungen

In der industriellen Zivilisation wie sie sich zwischen Aufklaumlrung und Postmodeme entwickelte geschah in der Konsequenz die alltaumlgliche Distribushytion von Guumltern und Informationen nicht mehr nur lokal oder regional sonshydern national Zwar wuchsen weiterhin als Auszligerordentlichkeit globale FernshyNetzwerke fuumlr Transport und Kommunikation zu See auf Land und schlieszligshylich auch in der Luft 23 Die durchschnittliche Distribution von Waren und auch Medienjedoch fand innerhalb von Nationen statt und in einem gewissen Maszlige zwischen benachbarten Staaten sowie seit der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunshyderts innerhalb kontinentaler Handelszonen Dieser geografischen (Er-) Schlieszligung die das erste industrielle Jahrhundert unter dem Banner des Natioshynalstaats leistete korrelierte die oumlkonomische und politische kulturelle und geistige Verengung auf die Grenzen der Nation Im 1 9 Jahrhundert brachte sie mit der industriellen Zentralisierung und dem Aufschwung der Kapitalen neue hauptstaumldtische Institutionen wie Nationalmuseen Nationalbibliotheken oder Nationaltheater hervor Mit Beginn des 20 Jahrhunderts und dem Siegeszug der industriellen audiovisuellen Medien eskalierte diese Nationalisierung der Kommunikation bis sie die lokalen Oumlffentlichkeiten nahezu in Gaumlnze uumlberlashygerte

lthttpwww wiredcouknewsarchive20 11-0 118transatlantic-cablespage=algt - Zur Geschichte sowohl des ersten transatlantischen Telegraphenkabels wie des ersten Telefonkabels vgl NN Milestones The First Submarine Transatlantic Teshy

lephone Cable System (TAT-I) 956 IEEE Global History Network (o J)

lthttpwwwieeeghnorgwikiindexphpMilestones The _First_ Submarine_ Transatl antic_ Telephone_ Cable_System_(T AT -1)_1956gt

23 Das Faszinosum fuumlr die Zeitgenossen des 19 und fruumlhen 20 Jahrhw1derts belegt schon das Kommunistische Manifest An die Stelle der alten durch Landeserzeugshynisse befriedigten Beduumlrfuisse treten neue welche die Produkte der entferntesten Laumlnder w1d Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen An die Stelle der alten lokashy

len und nationalen Selbstgenuumlgsanlkeit und Abgeschlossenheil tritt ein allseitiger

Verkehr eine allseitige Abhaumlngigkeit der Nationen voneinander Kar Marx und

Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei ( 1848) (Berlin Dietz 1972) lthttpwwwmlwerkedememe04me04_ 459htmgt 466

1 1 8 Gundolf S Freyennuth

Die neuen industriellen Medien- vom Telegrafen uumlber Telefon und Radio bis zum Fernsehen- bedienten sich dabei eines gaumlnzlich neuen Verfahrens der Hardware-Schaltung im Telefonverkehr etwa zunaumlchst von Hand durch Telefonistirmen und spaumlter durch automatische elektrische Schalter (circuit switching) 24 Technisch leistet Hardware-Schaltung dabei zweierlei Zum eishynen werden im geographischen Transport abgeschwaumlchte Stromimpulse vershystaumlrkt weitergeleitet zum zweiten werden verschiedene kuumlrzere Leitungen zu einer neuen kontinuierlichen Verbindung verschaltet Was Uumlberbruumlckung in mechanischen (und industriellen) Netzwerken des Transports leistet gelingt in den industriellen Kommunikationsnetzwerken so mittels Schaltung Sie ershyschafft das notwendige physische Kontinuum (die Kante) zwischen zwei Punkten (Knoten) indem sie den Raum der Sender und Empfaumlnger voneinanshyder trermt eben nicht mehr uumlberbruumlckt sondem unmittelbar und in Echtzeit eliminiert 25

Werm auch Telefonistirmen oder elektrische Schalter im Vergleich zur Bruumlcke nie die Qualitaumlt eines existentiellen Mythos gewarmen so figuriert die Praxis der Verschaltung - in ihrem Doppelsirm - doch recht prominent in zahlreichen Filmen des 20 Jahrhunderts Gespielt wird dabei mit zeitgenoumlssishyschen Aumlngsten dass durch falsche Verbindungen herbeigefuhrt von boumlswillishygen Operateuren oder fehlerhaften Schaltern Fremde in die Privatsphaumlre einshydringen und uns mit Dingen konfrontieren koumlrmten von denen entweder wir oder die anderen besser nichts wissen sollten 26 In dieser Hinsicht markiert der technische Vorgang der Schaltung die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten inshydustrieller Vernetzung selbst die niemals gaumlnzlich kontrollierbare Anstrenshygung zahlreiche Kommunikationspfade - Leitungen - deren Existenz in der industriellen Epoche die Vorbedingung fiir das Gelingen immaterieller Fernshykommunikation ist fiir eine kurze Zeit miteinander zu verbinden27

24 Vgl Elektrizitaumlt ersetzt die Logik der Uumlbertragung im strikten Sinne des Wortes zugunsten einer Logik der Schaltung Hartrnann Globale Medienkultur 12

25 Dass die industriellen -elektrischen -Medien keineswegs die physische Reichweite der Menschen vergroumlszligern sondern vielmehr raumlun1liche Distanz aufheben im Sinne

von auszliger Kraft setzen bemerkte bereits Marshall McLuhan Electric media [ ] abolish the spatial dimension rather than enlarge it Marshall McLuhan Undershystanding Media The Extensions of Man (New York Signet Books 1964) 255

26 Ein hervorragendes Beispiel dafur gibt Anatole Litvaks Film Noir Sony Wrong Number ( 1948)

27 Die Gewalt der analogen Schaltung als Vernichtung von Raum und Zeit verlangt danach dass sie nur temporaumlr geschehen soll Im zweiten Jahrhw1dertdrittel wird

folgerichtig sowohl ihr kurzfristiges Misslingen - die Fehlschaltung- als auch ihre dauerhafte Durchsetzung- die Gleichschaltungmiddot als Schrecken erfahren

NetzWerke 1 1 9

3 Audiovisualitaumlt

Die besondere Vorliebe die Kino- wie Fernsehfilme stets fur das Telefon als narratives Vehikel besaszligen weil es raumlumlich getrennte Protagonisten visuell shydurch Gegenschnitt oder geteilte Bildraumlume - verschaltete weist auf den starshyken Zusammenhang zwischen dem technologischen Stand der Vemetzung und dem audiovisueller Nanmiddotation Deutlich manipulieren industrielle Netzwerke der Kommunikation und der Film als das repraumlsentative audiovisuelle Erzaumlhlshymedium der industriellen Epoche raumlumliche und zeitliche Verhaumlltnisse auf recht aumlhnliche Art und Weise Filmakteure spielen ihre Rollen bekanntlich nicht mehr live und sequentiell Filmische Handlungen werden vielmehr nach dem Muster tayloristischer Arbeitsorganisation in einer Vielzahl von Einzelshyszenen aufgenommen und dann nicht anders als die meisten industriellen Washyren endmontiert (final cut) Die Montage fuumlgt dabei Bilder und Toumlne die im Augenblick der Reproduktion aus ihren natuumlrlichen - tatsaumlchlichen - Koorshydinaten gerissen wurden zu einem neuen kuumlnstlichen - fiktionalen- Raumshyzeitkontinuum Raumlumliche und zeitliche Distanzen werden so nicht laumlnger vershyund uumlberdeckt sondern eliminiert das heiszligt herausgeschnitten Auf diese Weise steigert sich das Potential zur Gestaltung raumzeitlicher Verhaumlltnisse Moumlglich wird ein beschleunigtes und stetes Wechseln zwischen entfernten Orshyten oder Zeiten und damit zum Beispiel die Darstellung paral leler Handlungsshyverlaumlufe

Als Basisinnovation der industriellen Modeme wurde die Montage nicht nur im Film sondern in nahezu allen Kuumlnsten wirksam in Musik wie Malerei Fotografie Lyrik Roman Dem1 in der Kombination des Heterogenen die es verband ohne es nach dem handwerklichen Ideal des Realismus organisch zu verschmelzen druumlckte sich die Erfahrung aus dass in der industriellen Zivilishysation ob am Flieszligband oder im Buumlro Arbeit seriell zu leisten ist jeder sepashyrate Schritt also seine wirkliche Bedeutung nur in der raumzeitlichen Kombishynation mit anderen gewinnt Seine vorbildhafte Vollendung erreichte das Vershyfahren der Montage daher auch nicht in den vorindustriellen Kuumlnsten die es um 1 900 zuerst applizierten - etwa als Bildmontage Montage im Bild - sonshydern mit einer gewissen Zwangslaumlufigkeit im narrativen Film in seiner Monshytage von Bildern Sie erst befahigte das fotorealistische Medium indem sie das Kontinuum seiner Echtzeit-Aufuahmen in einer neuen Ordnung aufhob zu eishyner der industriellen Wahrnehmung gemaumlszligen Manipulation von Zeit und Raum wie sie vorindustJiellen Medien und Kuumlnsten selbst noch der industrishyell aufgeruumlsteten Buumlhne prinzipiell verwehrt blieb Das was aber auf der Buumlhne vor sich geht ist teilweise raumlumlich teilweise zeitlich in der Regel raumlumlich und zeitlich nie aber zeit-raumlumlich wie es die Vorgaumlnge im Film sind schrieb Amold Hauser Der Film unterscheidet sich von den anderen

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 9: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

NetzWerke 1 1 3

cher13 Ein Grundkennzeichen oumlffentlicher Diskurse zwischen Renaissance und Modeme war so dass sie mehr in persoumlnlicher muumlndlicher und schriftlishycher Kommunikation uumlber Medien - Literatur Malerei Musik - denn als Kommunikation mittels Medien- Presse Flugblatt- verliefen 14

Aus diesen Bedingungen des oumlffentlichen Diskurses ergab sich der Vorteil einer weitgehend gleichberechtigten persoumlnlichen Interaktion in Echtzeit wie aber auch der Nachteil geografischer und sozialer Beschraumlnkung Ein wichtishyges Kennzeichen von Oumlffentlichkeit in der mechanischen Epoche ist daher dass sie geographisch fragmentiert und intellektuell divers war da die Beteishyligten und die Themen oumlffentlicher Diskussion von Stadt zu Stadt wechselten In der Konsequenz betrachteten sich in weiten Teilen Europas die wenigen Gebildeten die am oumlffentlichen Diskurs partizipierten eher als Buumlrger ihrer

Stadt und weniger als Buumlrger eines groumlszligeren politischen Gebildes (des Kaisershyoder Koumlnigreichs eines Nationalstaats) In mancherlei Hinsicht - etwa mit Blick auf die Dominanz von Peer-ta-Peer-Kommunikation und den hohen Grad an Fragmentierung- glich das oumlffentliche Leben in diesen vorindustrielshylen Zeiten daher mehr dem sich gegenwaumlrtig ausbildenden digitalen als der uniformen von Massenmedien gepraumlgten Oumlffentlichkeit des damals heraufshyziehenden industriellen Zeitalters 15

13 Instruktiv ist dabei dass unter den Bedingungen mechanischer Kultur auch Medien die in der industriellen Epoche passiv rezipiert wurden auf Partizipation angelegt waren So erschienen etwa viele Zeitungen Zeitschriften und Buumlcher mit freien Seishyten die--- da diese Schriften in der Familie sowie im Freundes- und Bekanntenkreis

weitergereicht wurden - der Kommunikation und intel lektuellen Auseinandersetshyzung unter den Lesem dienen sollten Vgl Jack Shafer The Prota-Internet of 1 704 - The small ways in which ColoniaJ newspapers anticipated the Web Slate 26 August 2010 lthttpwwwslatecomlaiticlesnews_and _pol iticspress _ box20 1 008 the_protointemet_ o(_ 1 704htmlgt Shafer verweist als Quelle auf Thomas C Leoshynard News for all America s Coming-OfAge Wilh the Press (New York Oxford UP 1 995)

14 Ausnahmen stellten sich in Zeiten groszliger Krisen her Das wichtigste Beispiel gibt die Reformationsbewegung Pamphlete verbreiteten sich in einer geschaumltzten Auflashyge von sechs bis sieben Mill ionen wie Lauffeuer durch Zentraleuropa In etwa ein Viertel dieser Pamphlete stammten von Luther Hinzu kamen Balladen und Holzstishyche die diese epochale Auseinandersetzung gewissermaszligen transmedialisierten Vgl z B NN How Luther went v iral- Social media in the 1 6th Century The Economist 1 7 Dezember 20 I I lthttpwwweconomistcomnode2 1 54 1 7 1 9gt

15 Der Economist verglich denn auch die Situation unserer digitalen Fruumlhzeit mit der Reformation The media environment that Luther had shown hirnself so adept at managing had much in conunon vrith todays on line ecosystem of blogs social netshyworks and discussion threads lt was a decentralised system whose participants took care of distribut ion deciding collectively which messages to amplify through shashy

ring and recommendation [ ] Modem digital networks may be able to do it more

114 GundolfS Freyennuth

Spaumltestens jedoch seit der Aufklaumlrung strebten die Zeitgenossen in den am weitesten entwickelten Regionen mechanischer Kultur danach genau diese Kennzeichen vorindusttieller Oumlffentlichkeit zu uumlberwinden den geographisch begrenzten Einfluss des oumlffentlichen Lebens und die geringe Reichweite der Medien Das Verlangen nach nationalen Debatten kam auf nach nationalen Zeitschriften und Zeitungen und nationalen Fonnen von Unterhaltung und Bildung insbesondere nach einem Nationaltheater Mit mechanischer Vemetshyzungs- und Medientechnologie war diese Sehnsucht freilich nicht zu erfiillen Die mechanische Kultur stieszlig an ihre Grenzen - ein historisch wiederkehrenshydes Problem das Harold Innis so formulierte

We can perhaps assume that the use of a medium of communication over a long period will to some extent deterrnine the character of knowledge to be comrnunicated and suggest that its pervasive influence will eventually create a civilization in which life and flexibility will become exceedingly difficult to maintain and that the advantages of a new medium wil l become such as to Iead to the emergence of a new civilization 16

II Audiovisuelle Kultur im Zeitalter industrieller Vemetzung

1 Industrialisierung

Vor allem zwei Innovationen trieben den Prozess der Industrialisierung die sich steigemde Verfugung uumlber nicht-biologische Energiequellen uumlber Dampfkraft Gas Benzin Elektrizitaumlt sowie die mathematische Analyse und Kontrolle von Arbeitsprozessen das heiszligt die Taylorisierung menschlicher Arbeit und die Automatisierung von Maschinenarbeit17 Wiederum initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg eishyner neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung

quickly but even 500 years ago the sharing of media could play a supporting roJe in precipitating a revolution ibid

16 Harold Adams Innis und Mary Innis Empire and Communications (Toronto U of Toronto P 1 972) 34

Die Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konseshyquenzen folgt Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur David S Landes The Unbmmd Prometheus Technological Change and Industria Development in Western Europe From 1 750 to the Present (London Cambridge UP 1 969) Joe1 Mokyr The Lever of Riches Technological Creativity and Economic Progress (New York Oxford UP 1 990) Lewis Murnford Technics and Civilization (New York Harcourt Brace amp World 1963 (1 934)) Giedion Mechanization Gundo1fS Freyerrnuth Cinema Revisited Vor und nach dem Kino - Audiovisualitaumlt in der Neuzeit in Zulamft Kino Hg Danie1a Kloock (Marburg Schuumlren 2007) 1 5-40

NetzWerke 1 15

dieser neuen technischen Mittel lagen Unternehmer und Manager Finanzshyund Verwaltungsexperten Ingenieure Techniker Mechaniker Facharbeiter Angestellte in den wuchernden privaten und staatlichen Buumlrokratien wie auch eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen Vertreter der aufkonunenden Geistes- Natur- und Sozialwissenschaften Intellektuelle Journalisten und Kuumlnstler die in den neuen industriellen Massenmedien arbeiteten oder sich deshyren zumindest zur Distribution ihrer Werke bedienten Sie alle profitietten vom schnell wachsenden Beduumlrfnis der industriellen Massen nach Bildung Inshyformation und Unterhaltung Gleichzeitig zogen die Staumldte inuner mehr Menshyschen an und eine groszligstaumldtische Lebensform bildete sich heraus gepraumlgt von der IndustJialisierung und ihren sozialen wie kulturellen Folgen

Eins ihrer Hauptkennzeichen war Anonymitaumlt der gaumlnzlich neue Umshystand dass die B ewohner der industriellen Groszligstaumldte in ihrem Alltag - beim Spaziergang auf den Straszligen bei der Nutzung oumlffentlicher Verkehrsmittel beim Einkauf in den Warenhaumlusern beim Besuch von Theatern und Kinosshyeiner schier endlose Reihe von Mitmenschen begegneten die ihnen vollstaumlnshydig fremd waren Eine zweite Konsequenz die das Alltagsleben veraumlnderte war die Uumlberlagerung der Staumldte mit Zeichenstrukturen Als Reaktion auf die Anonymitaumlt des Al ltagslebens und den Umstand dass weite Teile des enorshymen urbanen Raums selbst langjaumlhrigen Bewohnern fremd blieben formte sich waumlhrend des 19 und 20 Jahrhunderts eine analoge InformationsshyInfrastruktur- Straszligenschilder Hausnununern Wegweiser Verkehrsschilder Rekiametafeln Verkehrskontrollsysteme usf Diese medialen Hilfsmittel ershymoumlglichten es Einheimischen wie Ortsfremden die industrielle Stadt und Umwelt zumindest partiell zu lesen und zu navigieren So lange Informatioshynen jedoch analog vermittelt wurden mussten sie mehr oder weniger standarshydisiert sein Der Einzelne erhielt so statistisch unentwegt vor allem Informatishyonen die er nicht oder gerade nicht brauchte Wegweisungen zu Orten an die er nicht wollte Neonreklamen zu Produkten die ihn nicht irrteressielten usf

2 Vernetzung

Entwickelt am Bruumlcken-Modell statischer Knoten und Kanten versagte die Graphentheorie vor den komplexen sozialen und oumlkonomischen Vernetzungen industrieller Massenkultur wie sie sich in den westlichen Metropolen herausshybildete Die vielfaumlltigen Beziehungen zwischen Hunderttausenden von Fremshyden - das Gewirr alltaumlglicher Zufallsbegegnungen beschrieben zum Beispiel

116 Gundolf S F reyermuth

von Edgar Allan Poe in Man of the Crowd 18 oder die heimliche Verwobenshy

heil der sexuellen Beziehungen dargestellt etwa von Arthur Schnitzler als

Reigen19- vermochte die zeitgenoumlssische Forschung ebenso wenig zu beshy

greifen oder gar zu berechnen wie die zahlreichen technischen Netzwerke von

Transport und Kommunikation die im Laufe des 19 und 20 Jahrhunderts neu

entstanden

Zum einen beschleunigte und automatisierte sich der physische Transport

durch den Einsatz industrieller Technologie Damit wuchs der Distributionsrashy

dius von Waren Dienstleistungen und Neuigkeiten Mit dem Ausbau des Eishy

senbahnnetzes der Einrichtung erst nationaler dann kontinentaler Autobahnshy

netze und schlieszliglich mit dem Flugnetz weiteten sich Handel und Kommunishy

kation geographisch aus Gleichzeitig kam es innerhalb der groszligen Staumldte zur

Etablierung von Netzen der Versorgung - Wasser Abwasser Gas Strom

Auch im Falle der Netze der Infrastruktur hat die Zeit ab 1750 und dann das

durch die Doppelrevolution eingeleitete 19 Jahrhunderte Scharnierbedeushy

tung schreibt Dietrich Kerlen Denn erst jetzt werden massenhaft private

Optionen auf die Benutzung von Netzen wirklich20 Die alltaumlgliche Erfahrung

bewirkte einen epistemologischen Wandel In Netzen zu denken konstatiert

Juumlrgen Osterhammel war uumlberhaupt erst eine Anschauungsform des 19

Jahrhunderts 21

Zum zweiten - und in der Konsequenz weitreichender - entstand eine

gaumlnzlich neue Kategorie Jmmaterieller Vemetzung Denn mit Telegraph und

Telefon spaumlter auch mit Radio und Fernsehen machte sich Fernkommunikatishy

on tmabhaumlngig von physischem Transport Das entscheidende Kennzeichen

dieser neuen industriellen Netzwerke war insofern dass Informationen sich

nun schneller als Waren verbreiten konnten Mehr noch Zum ersten Mal in

der Menschheitsgeschichte lieszligen sich Nachrichten uumlber groszlige Distanzen in

Echtzeit kommunizieren Schluumlsseldaten welche diese epochale Entwicklung

rahmen sind die Verlegung des ersten transatlantischen Telegraphenkabels in

den 1850er Jahren und die Verlegung des ersten transatlantischen Telefonkashy

bels in den 1950er Jahren 22

18 Edgar Allan Poe The Man of the Crowd ( 1840) lthttpetextvirginiaeduetcbin toccer-new2id=PoeCrowsgmampimages=imagesmodengampdata=textseng1ish

modengparsedamptag=pub1icamppart=teiHeadergt 19 Arthur Schnitz1er Reigen Zehn Dialoge geschrieben Winter 1896-97

lthttpgutenbergspiegeldebuch53 81 I 1 gt 20 Dietrich Kerlen Einfiihrung in die Medienkunde (Stuttgart Rec1amjun 2003) 148 21 Juumlrgen Osterhammel Die Verwandlung der Welt eine Geschichte des 19 Jahrhunshy

derts (Muumlnchen CH Beck 2009) 101 1 22 Zur Geschichte des transatlantischen Telegraphenkabels vgl Duncan Geere How

the first cable was laid across the Atlantic Wired UK (20 1 1 )

NetzWerke 117

l m Vergleich zur mechanischen Vemetzung koumltmen wir die neuen industshyriellen Praktiken der Vemetzung die eben in der Kommunikation keinen physhysischen Transport mehr erfordern waumlhrend gleichzeitig der Transport materishyeller Guumlter durch den Einsatz non-biologischer Energie Automatisierung und industrielle Arbeitsteilung dramatisch beschleunigt wird Vernetzung 20 nenshynen

Ihr zentrales Prinzip ist die Befaumlhigung zur Trennung von Kommunikation und Transport ihre wichtigste Technik ist im Hinblick aufkommunikative Akte die Eliminierung geographischer Distanzen durch die materielle Verbindung bnv Verschaltung verschiedener Leitungen

In der industriellen Zivilisation wie sie sich zwischen Aufklaumlrung und Postmodeme entwickelte geschah in der Konsequenz die alltaumlgliche Distribushytion von Guumltern und Informationen nicht mehr nur lokal oder regional sonshydern national Zwar wuchsen weiterhin als Auszligerordentlichkeit globale FernshyNetzwerke fuumlr Transport und Kommunikation zu See auf Land und schlieszligshylich auch in der Luft 23 Die durchschnittliche Distribution von Waren und auch Medienjedoch fand innerhalb von Nationen statt und in einem gewissen Maszlige zwischen benachbarten Staaten sowie seit der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunshyderts innerhalb kontinentaler Handelszonen Dieser geografischen (Er-) Schlieszligung die das erste industrielle Jahrhundert unter dem Banner des Natioshynalstaats leistete korrelierte die oumlkonomische und politische kulturelle und geistige Verengung auf die Grenzen der Nation Im 1 9 Jahrhundert brachte sie mit der industriellen Zentralisierung und dem Aufschwung der Kapitalen neue hauptstaumldtische Institutionen wie Nationalmuseen Nationalbibliotheken oder Nationaltheater hervor Mit Beginn des 20 Jahrhunderts und dem Siegeszug der industriellen audiovisuellen Medien eskalierte diese Nationalisierung der Kommunikation bis sie die lokalen Oumlffentlichkeiten nahezu in Gaumlnze uumlberlashygerte

lthttpwww wiredcouknewsarchive20 11-0 118transatlantic-cablespage=algt - Zur Geschichte sowohl des ersten transatlantischen Telegraphenkabels wie des ersten Telefonkabels vgl NN Milestones The First Submarine Transatlantic Teshy

lephone Cable System (TAT-I) 956 IEEE Global History Network (o J)

lthttpwwwieeeghnorgwikiindexphpMilestones The _First_ Submarine_ Transatl antic_ Telephone_ Cable_System_(T AT -1)_1956gt

23 Das Faszinosum fuumlr die Zeitgenossen des 19 und fruumlhen 20 Jahrhw1derts belegt schon das Kommunistische Manifest An die Stelle der alten durch Landeserzeugshynisse befriedigten Beduumlrfuisse treten neue welche die Produkte der entferntesten Laumlnder w1d Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen An die Stelle der alten lokashy

len und nationalen Selbstgenuumlgsanlkeit und Abgeschlossenheil tritt ein allseitiger

Verkehr eine allseitige Abhaumlngigkeit der Nationen voneinander Kar Marx und

Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei ( 1848) (Berlin Dietz 1972) lthttpwwwmlwerkedememe04me04_ 459htmgt 466

1 1 8 Gundolf S Freyennuth

Die neuen industriellen Medien- vom Telegrafen uumlber Telefon und Radio bis zum Fernsehen- bedienten sich dabei eines gaumlnzlich neuen Verfahrens der Hardware-Schaltung im Telefonverkehr etwa zunaumlchst von Hand durch Telefonistirmen und spaumlter durch automatische elektrische Schalter (circuit switching) 24 Technisch leistet Hardware-Schaltung dabei zweierlei Zum eishynen werden im geographischen Transport abgeschwaumlchte Stromimpulse vershystaumlrkt weitergeleitet zum zweiten werden verschiedene kuumlrzere Leitungen zu einer neuen kontinuierlichen Verbindung verschaltet Was Uumlberbruumlckung in mechanischen (und industriellen) Netzwerken des Transports leistet gelingt in den industriellen Kommunikationsnetzwerken so mittels Schaltung Sie ershyschafft das notwendige physische Kontinuum (die Kante) zwischen zwei Punkten (Knoten) indem sie den Raum der Sender und Empfaumlnger voneinanshyder trermt eben nicht mehr uumlberbruumlckt sondem unmittelbar und in Echtzeit eliminiert 25

Werm auch Telefonistirmen oder elektrische Schalter im Vergleich zur Bruumlcke nie die Qualitaumlt eines existentiellen Mythos gewarmen so figuriert die Praxis der Verschaltung - in ihrem Doppelsirm - doch recht prominent in zahlreichen Filmen des 20 Jahrhunderts Gespielt wird dabei mit zeitgenoumlssishyschen Aumlngsten dass durch falsche Verbindungen herbeigefuhrt von boumlswillishygen Operateuren oder fehlerhaften Schaltern Fremde in die Privatsphaumlre einshydringen und uns mit Dingen konfrontieren koumlrmten von denen entweder wir oder die anderen besser nichts wissen sollten 26 In dieser Hinsicht markiert der technische Vorgang der Schaltung die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten inshydustrieller Vernetzung selbst die niemals gaumlnzlich kontrollierbare Anstrenshygung zahlreiche Kommunikationspfade - Leitungen - deren Existenz in der industriellen Epoche die Vorbedingung fiir das Gelingen immaterieller Fernshykommunikation ist fiir eine kurze Zeit miteinander zu verbinden27

24 Vgl Elektrizitaumlt ersetzt die Logik der Uumlbertragung im strikten Sinne des Wortes zugunsten einer Logik der Schaltung Hartrnann Globale Medienkultur 12

25 Dass die industriellen -elektrischen -Medien keineswegs die physische Reichweite der Menschen vergroumlszligern sondern vielmehr raumlun1liche Distanz aufheben im Sinne

von auszliger Kraft setzen bemerkte bereits Marshall McLuhan Electric media [ ] abolish the spatial dimension rather than enlarge it Marshall McLuhan Undershystanding Media The Extensions of Man (New York Signet Books 1964) 255

26 Ein hervorragendes Beispiel dafur gibt Anatole Litvaks Film Noir Sony Wrong Number ( 1948)

27 Die Gewalt der analogen Schaltung als Vernichtung von Raum und Zeit verlangt danach dass sie nur temporaumlr geschehen soll Im zweiten Jahrhw1dertdrittel wird

folgerichtig sowohl ihr kurzfristiges Misslingen - die Fehlschaltung- als auch ihre dauerhafte Durchsetzung- die Gleichschaltungmiddot als Schrecken erfahren

NetzWerke 1 1 9

3 Audiovisualitaumlt

Die besondere Vorliebe die Kino- wie Fernsehfilme stets fur das Telefon als narratives Vehikel besaszligen weil es raumlumlich getrennte Protagonisten visuell shydurch Gegenschnitt oder geteilte Bildraumlume - verschaltete weist auf den starshyken Zusammenhang zwischen dem technologischen Stand der Vemetzung und dem audiovisueller Nanmiddotation Deutlich manipulieren industrielle Netzwerke der Kommunikation und der Film als das repraumlsentative audiovisuelle Erzaumlhlshymedium der industriellen Epoche raumlumliche und zeitliche Verhaumlltnisse auf recht aumlhnliche Art und Weise Filmakteure spielen ihre Rollen bekanntlich nicht mehr live und sequentiell Filmische Handlungen werden vielmehr nach dem Muster tayloristischer Arbeitsorganisation in einer Vielzahl von Einzelshyszenen aufgenommen und dann nicht anders als die meisten industriellen Washyren endmontiert (final cut) Die Montage fuumlgt dabei Bilder und Toumlne die im Augenblick der Reproduktion aus ihren natuumlrlichen - tatsaumlchlichen - Koorshydinaten gerissen wurden zu einem neuen kuumlnstlichen - fiktionalen- Raumshyzeitkontinuum Raumlumliche und zeitliche Distanzen werden so nicht laumlnger vershyund uumlberdeckt sondern eliminiert das heiszligt herausgeschnitten Auf diese Weise steigert sich das Potential zur Gestaltung raumzeitlicher Verhaumlltnisse Moumlglich wird ein beschleunigtes und stetes Wechseln zwischen entfernten Orshyten oder Zeiten und damit zum Beispiel die Darstellung paral leler Handlungsshyverlaumlufe

Als Basisinnovation der industriellen Modeme wurde die Montage nicht nur im Film sondern in nahezu allen Kuumlnsten wirksam in Musik wie Malerei Fotografie Lyrik Roman Dem1 in der Kombination des Heterogenen die es verband ohne es nach dem handwerklichen Ideal des Realismus organisch zu verschmelzen druumlckte sich die Erfahrung aus dass in der industriellen Zivilishysation ob am Flieszligband oder im Buumlro Arbeit seriell zu leisten ist jeder sepashyrate Schritt also seine wirkliche Bedeutung nur in der raumzeitlichen Kombishynation mit anderen gewinnt Seine vorbildhafte Vollendung erreichte das Vershyfahren der Montage daher auch nicht in den vorindustriellen Kuumlnsten die es um 1 900 zuerst applizierten - etwa als Bildmontage Montage im Bild - sonshydern mit einer gewissen Zwangslaumlufigkeit im narrativen Film in seiner Monshytage von Bildern Sie erst befahigte das fotorealistische Medium indem sie das Kontinuum seiner Echtzeit-Aufuahmen in einer neuen Ordnung aufhob zu eishyner der industriellen Wahrnehmung gemaumlszligen Manipulation von Zeit und Raum wie sie vorindustJiellen Medien und Kuumlnsten selbst noch der industrishyell aufgeruumlsteten Buumlhne prinzipiell verwehrt blieb Das was aber auf der Buumlhne vor sich geht ist teilweise raumlumlich teilweise zeitlich in der Regel raumlumlich und zeitlich nie aber zeit-raumlumlich wie es die Vorgaumlnge im Film sind schrieb Amold Hauser Der Film unterscheidet sich von den anderen

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 10: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

114 GundolfS Freyennuth

Spaumltestens jedoch seit der Aufklaumlrung strebten die Zeitgenossen in den am weitesten entwickelten Regionen mechanischer Kultur danach genau diese Kennzeichen vorindusttieller Oumlffentlichkeit zu uumlberwinden den geographisch begrenzten Einfluss des oumlffentlichen Lebens und die geringe Reichweite der Medien Das Verlangen nach nationalen Debatten kam auf nach nationalen Zeitschriften und Zeitungen und nationalen Fonnen von Unterhaltung und Bildung insbesondere nach einem Nationaltheater Mit mechanischer Vemetshyzungs- und Medientechnologie war diese Sehnsucht freilich nicht zu erfiillen Die mechanische Kultur stieszlig an ihre Grenzen - ein historisch wiederkehrenshydes Problem das Harold Innis so formulierte

We can perhaps assume that the use of a medium of communication over a long period will to some extent deterrnine the character of knowledge to be comrnunicated and suggest that its pervasive influence will eventually create a civilization in which life and flexibility will become exceedingly difficult to maintain and that the advantages of a new medium wil l become such as to Iead to the emergence of a new civilization 16

II Audiovisuelle Kultur im Zeitalter industrieller Vemetzung

1 Industrialisierung

Vor allem zwei Innovationen trieben den Prozess der Industrialisierung die sich steigemde Verfugung uumlber nicht-biologische Energiequellen uumlber Dampfkraft Gas Benzin Elektrizitaumlt sowie die mathematische Analyse und Kontrolle von Arbeitsprozessen das heiszligt die Taylorisierung menschlicher Arbeit und die Automatisierung von Maschinenarbeit17 Wiederum initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg eishyner neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung

quickly but even 500 years ago the sharing of media could play a supporting roJe in precipitating a revolution ibid

16 Harold Adams Innis und Mary Innis Empire and Communications (Toronto U of Toronto P 1 972) 34

Die Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konseshyquenzen folgt Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur David S Landes The Unbmmd Prometheus Technological Change and Industria Development in Western Europe From 1 750 to the Present (London Cambridge UP 1 969) Joe1 Mokyr The Lever of Riches Technological Creativity and Economic Progress (New York Oxford UP 1 990) Lewis Murnford Technics and Civilization (New York Harcourt Brace amp World 1963 (1 934)) Giedion Mechanization Gundo1fS Freyerrnuth Cinema Revisited Vor und nach dem Kino - Audiovisualitaumlt in der Neuzeit in Zulamft Kino Hg Danie1a Kloock (Marburg Schuumlren 2007) 1 5-40

NetzWerke 1 15

dieser neuen technischen Mittel lagen Unternehmer und Manager Finanzshyund Verwaltungsexperten Ingenieure Techniker Mechaniker Facharbeiter Angestellte in den wuchernden privaten und staatlichen Buumlrokratien wie auch eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen Vertreter der aufkonunenden Geistes- Natur- und Sozialwissenschaften Intellektuelle Journalisten und Kuumlnstler die in den neuen industriellen Massenmedien arbeiteten oder sich deshyren zumindest zur Distribution ihrer Werke bedienten Sie alle profitietten vom schnell wachsenden Beduumlrfnis der industriellen Massen nach Bildung Inshyformation und Unterhaltung Gleichzeitig zogen die Staumldte inuner mehr Menshyschen an und eine groszligstaumldtische Lebensform bildete sich heraus gepraumlgt von der IndustJialisierung und ihren sozialen wie kulturellen Folgen

Eins ihrer Hauptkennzeichen war Anonymitaumlt der gaumlnzlich neue Umshystand dass die B ewohner der industriellen Groszligstaumldte in ihrem Alltag - beim Spaziergang auf den Straszligen bei der Nutzung oumlffentlicher Verkehrsmittel beim Einkauf in den Warenhaumlusern beim Besuch von Theatern und Kinosshyeiner schier endlose Reihe von Mitmenschen begegneten die ihnen vollstaumlnshydig fremd waren Eine zweite Konsequenz die das Alltagsleben veraumlnderte war die Uumlberlagerung der Staumldte mit Zeichenstrukturen Als Reaktion auf die Anonymitaumlt des Al ltagslebens und den Umstand dass weite Teile des enorshymen urbanen Raums selbst langjaumlhrigen Bewohnern fremd blieben formte sich waumlhrend des 19 und 20 Jahrhunderts eine analoge InformationsshyInfrastruktur- Straszligenschilder Hausnununern Wegweiser Verkehrsschilder Rekiametafeln Verkehrskontrollsysteme usf Diese medialen Hilfsmittel ershymoumlglichten es Einheimischen wie Ortsfremden die industrielle Stadt und Umwelt zumindest partiell zu lesen und zu navigieren So lange Informatioshynen jedoch analog vermittelt wurden mussten sie mehr oder weniger standarshydisiert sein Der Einzelne erhielt so statistisch unentwegt vor allem Informatishyonen die er nicht oder gerade nicht brauchte Wegweisungen zu Orten an die er nicht wollte Neonreklamen zu Produkten die ihn nicht irrteressielten usf

2 Vernetzung

Entwickelt am Bruumlcken-Modell statischer Knoten und Kanten versagte die Graphentheorie vor den komplexen sozialen und oumlkonomischen Vernetzungen industrieller Massenkultur wie sie sich in den westlichen Metropolen herausshybildete Die vielfaumlltigen Beziehungen zwischen Hunderttausenden von Fremshyden - das Gewirr alltaumlglicher Zufallsbegegnungen beschrieben zum Beispiel

116 Gundolf S F reyermuth

von Edgar Allan Poe in Man of the Crowd 18 oder die heimliche Verwobenshy

heil der sexuellen Beziehungen dargestellt etwa von Arthur Schnitzler als

Reigen19- vermochte die zeitgenoumlssische Forschung ebenso wenig zu beshy

greifen oder gar zu berechnen wie die zahlreichen technischen Netzwerke von

Transport und Kommunikation die im Laufe des 19 und 20 Jahrhunderts neu

entstanden

Zum einen beschleunigte und automatisierte sich der physische Transport

durch den Einsatz industrieller Technologie Damit wuchs der Distributionsrashy

dius von Waren Dienstleistungen und Neuigkeiten Mit dem Ausbau des Eishy

senbahnnetzes der Einrichtung erst nationaler dann kontinentaler Autobahnshy

netze und schlieszliglich mit dem Flugnetz weiteten sich Handel und Kommunishy

kation geographisch aus Gleichzeitig kam es innerhalb der groszligen Staumldte zur

Etablierung von Netzen der Versorgung - Wasser Abwasser Gas Strom

Auch im Falle der Netze der Infrastruktur hat die Zeit ab 1750 und dann das

durch die Doppelrevolution eingeleitete 19 Jahrhunderte Scharnierbedeushy

tung schreibt Dietrich Kerlen Denn erst jetzt werden massenhaft private

Optionen auf die Benutzung von Netzen wirklich20 Die alltaumlgliche Erfahrung

bewirkte einen epistemologischen Wandel In Netzen zu denken konstatiert

Juumlrgen Osterhammel war uumlberhaupt erst eine Anschauungsform des 19

Jahrhunderts 21

Zum zweiten - und in der Konsequenz weitreichender - entstand eine

gaumlnzlich neue Kategorie Jmmaterieller Vemetzung Denn mit Telegraph und

Telefon spaumlter auch mit Radio und Fernsehen machte sich Fernkommunikatishy

on tmabhaumlngig von physischem Transport Das entscheidende Kennzeichen

dieser neuen industriellen Netzwerke war insofern dass Informationen sich

nun schneller als Waren verbreiten konnten Mehr noch Zum ersten Mal in

der Menschheitsgeschichte lieszligen sich Nachrichten uumlber groszlige Distanzen in

Echtzeit kommunizieren Schluumlsseldaten welche diese epochale Entwicklung

rahmen sind die Verlegung des ersten transatlantischen Telegraphenkabels in

den 1850er Jahren und die Verlegung des ersten transatlantischen Telefonkashy

bels in den 1950er Jahren 22

18 Edgar Allan Poe The Man of the Crowd ( 1840) lthttpetextvirginiaeduetcbin toccer-new2id=PoeCrowsgmampimages=imagesmodengampdata=textseng1ish

modengparsedamptag=pub1icamppart=teiHeadergt 19 Arthur Schnitz1er Reigen Zehn Dialoge geschrieben Winter 1896-97

lthttpgutenbergspiegeldebuch53 81 I 1 gt 20 Dietrich Kerlen Einfiihrung in die Medienkunde (Stuttgart Rec1amjun 2003) 148 21 Juumlrgen Osterhammel Die Verwandlung der Welt eine Geschichte des 19 Jahrhunshy

derts (Muumlnchen CH Beck 2009) 101 1 22 Zur Geschichte des transatlantischen Telegraphenkabels vgl Duncan Geere How

the first cable was laid across the Atlantic Wired UK (20 1 1 )

NetzWerke 117

l m Vergleich zur mechanischen Vemetzung koumltmen wir die neuen industshyriellen Praktiken der Vemetzung die eben in der Kommunikation keinen physhysischen Transport mehr erfordern waumlhrend gleichzeitig der Transport materishyeller Guumlter durch den Einsatz non-biologischer Energie Automatisierung und industrielle Arbeitsteilung dramatisch beschleunigt wird Vernetzung 20 nenshynen

Ihr zentrales Prinzip ist die Befaumlhigung zur Trennung von Kommunikation und Transport ihre wichtigste Technik ist im Hinblick aufkommunikative Akte die Eliminierung geographischer Distanzen durch die materielle Verbindung bnv Verschaltung verschiedener Leitungen

In der industriellen Zivilisation wie sie sich zwischen Aufklaumlrung und Postmodeme entwickelte geschah in der Konsequenz die alltaumlgliche Distribushytion von Guumltern und Informationen nicht mehr nur lokal oder regional sonshydern national Zwar wuchsen weiterhin als Auszligerordentlichkeit globale FernshyNetzwerke fuumlr Transport und Kommunikation zu See auf Land und schlieszligshylich auch in der Luft 23 Die durchschnittliche Distribution von Waren und auch Medienjedoch fand innerhalb von Nationen statt und in einem gewissen Maszlige zwischen benachbarten Staaten sowie seit der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunshyderts innerhalb kontinentaler Handelszonen Dieser geografischen (Er-) Schlieszligung die das erste industrielle Jahrhundert unter dem Banner des Natioshynalstaats leistete korrelierte die oumlkonomische und politische kulturelle und geistige Verengung auf die Grenzen der Nation Im 1 9 Jahrhundert brachte sie mit der industriellen Zentralisierung und dem Aufschwung der Kapitalen neue hauptstaumldtische Institutionen wie Nationalmuseen Nationalbibliotheken oder Nationaltheater hervor Mit Beginn des 20 Jahrhunderts und dem Siegeszug der industriellen audiovisuellen Medien eskalierte diese Nationalisierung der Kommunikation bis sie die lokalen Oumlffentlichkeiten nahezu in Gaumlnze uumlberlashygerte

lthttpwww wiredcouknewsarchive20 11-0 118transatlantic-cablespage=algt - Zur Geschichte sowohl des ersten transatlantischen Telegraphenkabels wie des ersten Telefonkabels vgl NN Milestones The First Submarine Transatlantic Teshy

lephone Cable System (TAT-I) 956 IEEE Global History Network (o J)

lthttpwwwieeeghnorgwikiindexphpMilestones The _First_ Submarine_ Transatl antic_ Telephone_ Cable_System_(T AT -1)_1956gt

23 Das Faszinosum fuumlr die Zeitgenossen des 19 und fruumlhen 20 Jahrhw1derts belegt schon das Kommunistische Manifest An die Stelle der alten durch Landeserzeugshynisse befriedigten Beduumlrfuisse treten neue welche die Produkte der entferntesten Laumlnder w1d Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen An die Stelle der alten lokashy

len und nationalen Selbstgenuumlgsanlkeit und Abgeschlossenheil tritt ein allseitiger

Verkehr eine allseitige Abhaumlngigkeit der Nationen voneinander Kar Marx und

Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei ( 1848) (Berlin Dietz 1972) lthttpwwwmlwerkedememe04me04_ 459htmgt 466

1 1 8 Gundolf S Freyennuth

Die neuen industriellen Medien- vom Telegrafen uumlber Telefon und Radio bis zum Fernsehen- bedienten sich dabei eines gaumlnzlich neuen Verfahrens der Hardware-Schaltung im Telefonverkehr etwa zunaumlchst von Hand durch Telefonistirmen und spaumlter durch automatische elektrische Schalter (circuit switching) 24 Technisch leistet Hardware-Schaltung dabei zweierlei Zum eishynen werden im geographischen Transport abgeschwaumlchte Stromimpulse vershystaumlrkt weitergeleitet zum zweiten werden verschiedene kuumlrzere Leitungen zu einer neuen kontinuierlichen Verbindung verschaltet Was Uumlberbruumlckung in mechanischen (und industriellen) Netzwerken des Transports leistet gelingt in den industriellen Kommunikationsnetzwerken so mittels Schaltung Sie ershyschafft das notwendige physische Kontinuum (die Kante) zwischen zwei Punkten (Knoten) indem sie den Raum der Sender und Empfaumlnger voneinanshyder trermt eben nicht mehr uumlberbruumlckt sondem unmittelbar und in Echtzeit eliminiert 25

Werm auch Telefonistirmen oder elektrische Schalter im Vergleich zur Bruumlcke nie die Qualitaumlt eines existentiellen Mythos gewarmen so figuriert die Praxis der Verschaltung - in ihrem Doppelsirm - doch recht prominent in zahlreichen Filmen des 20 Jahrhunderts Gespielt wird dabei mit zeitgenoumlssishyschen Aumlngsten dass durch falsche Verbindungen herbeigefuhrt von boumlswillishygen Operateuren oder fehlerhaften Schaltern Fremde in die Privatsphaumlre einshydringen und uns mit Dingen konfrontieren koumlrmten von denen entweder wir oder die anderen besser nichts wissen sollten 26 In dieser Hinsicht markiert der technische Vorgang der Schaltung die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten inshydustrieller Vernetzung selbst die niemals gaumlnzlich kontrollierbare Anstrenshygung zahlreiche Kommunikationspfade - Leitungen - deren Existenz in der industriellen Epoche die Vorbedingung fiir das Gelingen immaterieller Fernshykommunikation ist fiir eine kurze Zeit miteinander zu verbinden27

24 Vgl Elektrizitaumlt ersetzt die Logik der Uumlbertragung im strikten Sinne des Wortes zugunsten einer Logik der Schaltung Hartrnann Globale Medienkultur 12

25 Dass die industriellen -elektrischen -Medien keineswegs die physische Reichweite der Menschen vergroumlszligern sondern vielmehr raumlun1liche Distanz aufheben im Sinne

von auszliger Kraft setzen bemerkte bereits Marshall McLuhan Electric media [ ] abolish the spatial dimension rather than enlarge it Marshall McLuhan Undershystanding Media The Extensions of Man (New York Signet Books 1964) 255

26 Ein hervorragendes Beispiel dafur gibt Anatole Litvaks Film Noir Sony Wrong Number ( 1948)

27 Die Gewalt der analogen Schaltung als Vernichtung von Raum und Zeit verlangt danach dass sie nur temporaumlr geschehen soll Im zweiten Jahrhw1dertdrittel wird

folgerichtig sowohl ihr kurzfristiges Misslingen - die Fehlschaltung- als auch ihre dauerhafte Durchsetzung- die Gleichschaltungmiddot als Schrecken erfahren

NetzWerke 1 1 9

3 Audiovisualitaumlt

Die besondere Vorliebe die Kino- wie Fernsehfilme stets fur das Telefon als narratives Vehikel besaszligen weil es raumlumlich getrennte Protagonisten visuell shydurch Gegenschnitt oder geteilte Bildraumlume - verschaltete weist auf den starshyken Zusammenhang zwischen dem technologischen Stand der Vemetzung und dem audiovisueller Nanmiddotation Deutlich manipulieren industrielle Netzwerke der Kommunikation und der Film als das repraumlsentative audiovisuelle Erzaumlhlshymedium der industriellen Epoche raumlumliche und zeitliche Verhaumlltnisse auf recht aumlhnliche Art und Weise Filmakteure spielen ihre Rollen bekanntlich nicht mehr live und sequentiell Filmische Handlungen werden vielmehr nach dem Muster tayloristischer Arbeitsorganisation in einer Vielzahl von Einzelshyszenen aufgenommen und dann nicht anders als die meisten industriellen Washyren endmontiert (final cut) Die Montage fuumlgt dabei Bilder und Toumlne die im Augenblick der Reproduktion aus ihren natuumlrlichen - tatsaumlchlichen - Koorshydinaten gerissen wurden zu einem neuen kuumlnstlichen - fiktionalen- Raumshyzeitkontinuum Raumlumliche und zeitliche Distanzen werden so nicht laumlnger vershyund uumlberdeckt sondern eliminiert das heiszligt herausgeschnitten Auf diese Weise steigert sich das Potential zur Gestaltung raumzeitlicher Verhaumlltnisse Moumlglich wird ein beschleunigtes und stetes Wechseln zwischen entfernten Orshyten oder Zeiten und damit zum Beispiel die Darstellung paral leler Handlungsshyverlaumlufe

Als Basisinnovation der industriellen Modeme wurde die Montage nicht nur im Film sondern in nahezu allen Kuumlnsten wirksam in Musik wie Malerei Fotografie Lyrik Roman Dem1 in der Kombination des Heterogenen die es verband ohne es nach dem handwerklichen Ideal des Realismus organisch zu verschmelzen druumlckte sich die Erfahrung aus dass in der industriellen Zivilishysation ob am Flieszligband oder im Buumlro Arbeit seriell zu leisten ist jeder sepashyrate Schritt also seine wirkliche Bedeutung nur in der raumzeitlichen Kombishynation mit anderen gewinnt Seine vorbildhafte Vollendung erreichte das Vershyfahren der Montage daher auch nicht in den vorindustriellen Kuumlnsten die es um 1 900 zuerst applizierten - etwa als Bildmontage Montage im Bild - sonshydern mit einer gewissen Zwangslaumlufigkeit im narrativen Film in seiner Monshytage von Bildern Sie erst befahigte das fotorealistische Medium indem sie das Kontinuum seiner Echtzeit-Aufuahmen in einer neuen Ordnung aufhob zu eishyner der industriellen Wahrnehmung gemaumlszligen Manipulation von Zeit und Raum wie sie vorindustJiellen Medien und Kuumlnsten selbst noch der industrishyell aufgeruumlsteten Buumlhne prinzipiell verwehrt blieb Das was aber auf der Buumlhne vor sich geht ist teilweise raumlumlich teilweise zeitlich in der Regel raumlumlich und zeitlich nie aber zeit-raumlumlich wie es die Vorgaumlnge im Film sind schrieb Amold Hauser Der Film unterscheidet sich von den anderen

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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NetzWerke 1 15

dieser neuen technischen Mittel lagen Unternehmer und Manager Finanzshyund Verwaltungsexperten Ingenieure Techniker Mechaniker Facharbeiter Angestellte in den wuchernden privaten und staatlichen Buumlrokratien wie auch eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen Vertreter der aufkonunenden Geistes- Natur- und Sozialwissenschaften Intellektuelle Journalisten und Kuumlnstler die in den neuen industriellen Massenmedien arbeiteten oder sich deshyren zumindest zur Distribution ihrer Werke bedienten Sie alle profitietten vom schnell wachsenden Beduumlrfnis der industriellen Massen nach Bildung Inshyformation und Unterhaltung Gleichzeitig zogen die Staumldte inuner mehr Menshyschen an und eine groszligstaumldtische Lebensform bildete sich heraus gepraumlgt von der IndustJialisierung und ihren sozialen wie kulturellen Folgen

Eins ihrer Hauptkennzeichen war Anonymitaumlt der gaumlnzlich neue Umshystand dass die B ewohner der industriellen Groszligstaumldte in ihrem Alltag - beim Spaziergang auf den Straszligen bei der Nutzung oumlffentlicher Verkehrsmittel beim Einkauf in den Warenhaumlusern beim Besuch von Theatern und Kinosshyeiner schier endlose Reihe von Mitmenschen begegneten die ihnen vollstaumlnshydig fremd waren Eine zweite Konsequenz die das Alltagsleben veraumlnderte war die Uumlberlagerung der Staumldte mit Zeichenstrukturen Als Reaktion auf die Anonymitaumlt des Al ltagslebens und den Umstand dass weite Teile des enorshymen urbanen Raums selbst langjaumlhrigen Bewohnern fremd blieben formte sich waumlhrend des 19 und 20 Jahrhunderts eine analoge InformationsshyInfrastruktur- Straszligenschilder Hausnununern Wegweiser Verkehrsschilder Rekiametafeln Verkehrskontrollsysteme usf Diese medialen Hilfsmittel ershymoumlglichten es Einheimischen wie Ortsfremden die industrielle Stadt und Umwelt zumindest partiell zu lesen und zu navigieren So lange Informatioshynen jedoch analog vermittelt wurden mussten sie mehr oder weniger standarshydisiert sein Der Einzelne erhielt so statistisch unentwegt vor allem Informatishyonen die er nicht oder gerade nicht brauchte Wegweisungen zu Orten an die er nicht wollte Neonreklamen zu Produkten die ihn nicht irrteressielten usf

2 Vernetzung

Entwickelt am Bruumlcken-Modell statischer Knoten und Kanten versagte die Graphentheorie vor den komplexen sozialen und oumlkonomischen Vernetzungen industrieller Massenkultur wie sie sich in den westlichen Metropolen herausshybildete Die vielfaumlltigen Beziehungen zwischen Hunderttausenden von Fremshyden - das Gewirr alltaumlglicher Zufallsbegegnungen beschrieben zum Beispiel

116 Gundolf S F reyermuth

von Edgar Allan Poe in Man of the Crowd 18 oder die heimliche Verwobenshy

heil der sexuellen Beziehungen dargestellt etwa von Arthur Schnitzler als

Reigen19- vermochte die zeitgenoumlssische Forschung ebenso wenig zu beshy

greifen oder gar zu berechnen wie die zahlreichen technischen Netzwerke von

Transport und Kommunikation die im Laufe des 19 und 20 Jahrhunderts neu

entstanden

Zum einen beschleunigte und automatisierte sich der physische Transport

durch den Einsatz industrieller Technologie Damit wuchs der Distributionsrashy

dius von Waren Dienstleistungen und Neuigkeiten Mit dem Ausbau des Eishy

senbahnnetzes der Einrichtung erst nationaler dann kontinentaler Autobahnshy

netze und schlieszliglich mit dem Flugnetz weiteten sich Handel und Kommunishy

kation geographisch aus Gleichzeitig kam es innerhalb der groszligen Staumldte zur

Etablierung von Netzen der Versorgung - Wasser Abwasser Gas Strom

Auch im Falle der Netze der Infrastruktur hat die Zeit ab 1750 und dann das

durch die Doppelrevolution eingeleitete 19 Jahrhunderte Scharnierbedeushy

tung schreibt Dietrich Kerlen Denn erst jetzt werden massenhaft private

Optionen auf die Benutzung von Netzen wirklich20 Die alltaumlgliche Erfahrung

bewirkte einen epistemologischen Wandel In Netzen zu denken konstatiert

Juumlrgen Osterhammel war uumlberhaupt erst eine Anschauungsform des 19

Jahrhunderts 21

Zum zweiten - und in der Konsequenz weitreichender - entstand eine

gaumlnzlich neue Kategorie Jmmaterieller Vemetzung Denn mit Telegraph und

Telefon spaumlter auch mit Radio und Fernsehen machte sich Fernkommunikatishy

on tmabhaumlngig von physischem Transport Das entscheidende Kennzeichen

dieser neuen industriellen Netzwerke war insofern dass Informationen sich

nun schneller als Waren verbreiten konnten Mehr noch Zum ersten Mal in

der Menschheitsgeschichte lieszligen sich Nachrichten uumlber groszlige Distanzen in

Echtzeit kommunizieren Schluumlsseldaten welche diese epochale Entwicklung

rahmen sind die Verlegung des ersten transatlantischen Telegraphenkabels in

den 1850er Jahren und die Verlegung des ersten transatlantischen Telefonkashy

bels in den 1950er Jahren 22

18 Edgar Allan Poe The Man of the Crowd ( 1840) lthttpetextvirginiaeduetcbin toccer-new2id=PoeCrowsgmampimages=imagesmodengampdata=textseng1ish

modengparsedamptag=pub1icamppart=teiHeadergt 19 Arthur Schnitz1er Reigen Zehn Dialoge geschrieben Winter 1896-97

lthttpgutenbergspiegeldebuch53 81 I 1 gt 20 Dietrich Kerlen Einfiihrung in die Medienkunde (Stuttgart Rec1amjun 2003) 148 21 Juumlrgen Osterhammel Die Verwandlung der Welt eine Geschichte des 19 Jahrhunshy

derts (Muumlnchen CH Beck 2009) 101 1 22 Zur Geschichte des transatlantischen Telegraphenkabels vgl Duncan Geere How

the first cable was laid across the Atlantic Wired UK (20 1 1 )

NetzWerke 117

l m Vergleich zur mechanischen Vemetzung koumltmen wir die neuen industshyriellen Praktiken der Vemetzung die eben in der Kommunikation keinen physhysischen Transport mehr erfordern waumlhrend gleichzeitig der Transport materishyeller Guumlter durch den Einsatz non-biologischer Energie Automatisierung und industrielle Arbeitsteilung dramatisch beschleunigt wird Vernetzung 20 nenshynen

Ihr zentrales Prinzip ist die Befaumlhigung zur Trennung von Kommunikation und Transport ihre wichtigste Technik ist im Hinblick aufkommunikative Akte die Eliminierung geographischer Distanzen durch die materielle Verbindung bnv Verschaltung verschiedener Leitungen

In der industriellen Zivilisation wie sie sich zwischen Aufklaumlrung und Postmodeme entwickelte geschah in der Konsequenz die alltaumlgliche Distribushytion von Guumltern und Informationen nicht mehr nur lokal oder regional sonshydern national Zwar wuchsen weiterhin als Auszligerordentlichkeit globale FernshyNetzwerke fuumlr Transport und Kommunikation zu See auf Land und schlieszligshylich auch in der Luft 23 Die durchschnittliche Distribution von Waren und auch Medienjedoch fand innerhalb von Nationen statt und in einem gewissen Maszlige zwischen benachbarten Staaten sowie seit der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunshyderts innerhalb kontinentaler Handelszonen Dieser geografischen (Er-) Schlieszligung die das erste industrielle Jahrhundert unter dem Banner des Natioshynalstaats leistete korrelierte die oumlkonomische und politische kulturelle und geistige Verengung auf die Grenzen der Nation Im 1 9 Jahrhundert brachte sie mit der industriellen Zentralisierung und dem Aufschwung der Kapitalen neue hauptstaumldtische Institutionen wie Nationalmuseen Nationalbibliotheken oder Nationaltheater hervor Mit Beginn des 20 Jahrhunderts und dem Siegeszug der industriellen audiovisuellen Medien eskalierte diese Nationalisierung der Kommunikation bis sie die lokalen Oumlffentlichkeiten nahezu in Gaumlnze uumlberlashygerte

lthttpwww wiredcouknewsarchive20 11-0 118transatlantic-cablespage=algt - Zur Geschichte sowohl des ersten transatlantischen Telegraphenkabels wie des ersten Telefonkabels vgl NN Milestones The First Submarine Transatlantic Teshy

lephone Cable System (TAT-I) 956 IEEE Global History Network (o J)

lthttpwwwieeeghnorgwikiindexphpMilestones The _First_ Submarine_ Transatl antic_ Telephone_ Cable_System_(T AT -1)_1956gt

23 Das Faszinosum fuumlr die Zeitgenossen des 19 und fruumlhen 20 Jahrhw1derts belegt schon das Kommunistische Manifest An die Stelle der alten durch Landeserzeugshynisse befriedigten Beduumlrfuisse treten neue welche die Produkte der entferntesten Laumlnder w1d Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen An die Stelle der alten lokashy

len und nationalen Selbstgenuumlgsanlkeit und Abgeschlossenheil tritt ein allseitiger

Verkehr eine allseitige Abhaumlngigkeit der Nationen voneinander Kar Marx und

Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei ( 1848) (Berlin Dietz 1972) lthttpwwwmlwerkedememe04me04_ 459htmgt 466

1 1 8 Gundolf S Freyennuth

Die neuen industriellen Medien- vom Telegrafen uumlber Telefon und Radio bis zum Fernsehen- bedienten sich dabei eines gaumlnzlich neuen Verfahrens der Hardware-Schaltung im Telefonverkehr etwa zunaumlchst von Hand durch Telefonistirmen und spaumlter durch automatische elektrische Schalter (circuit switching) 24 Technisch leistet Hardware-Schaltung dabei zweierlei Zum eishynen werden im geographischen Transport abgeschwaumlchte Stromimpulse vershystaumlrkt weitergeleitet zum zweiten werden verschiedene kuumlrzere Leitungen zu einer neuen kontinuierlichen Verbindung verschaltet Was Uumlberbruumlckung in mechanischen (und industriellen) Netzwerken des Transports leistet gelingt in den industriellen Kommunikationsnetzwerken so mittels Schaltung Sie ershyschafft das notwendige physische Kontinuum (die Kante) zwischen zwei Punkten (Knoten) indem sie den Raum der Sender und Empfaumlnger voneinanshyder trermt eben nicht mehr uumlberbruumlckt sondem unmittelbar und in Echtzeit eliminiert 25

Werm auch Telefonistirmen oder elektrische Schalter im Vergleich zur Bruumlcke nie die Qualitaumlt eines existentiellen Mythos gewarmen so figuriert die Praxis der Verschaltung - in ihrem Doppelsirm - doch recht prominent in zahlreichen Filmen des 20 Jahrhunderts Gespielt wird dabei mit zeitgenoumlssishyschen Aumlngsten dass durch falsche Verbindungen herbeigefuhrt von boumlswillishygen Operateuren oder fehlerhaften Schaltern Fremde in die Privatsphaumlre einshydringen und uns mit Dingen konfrontieren koumlrmten von denen entweder wir oder die anderen besser nichts wissen sollten 26 In dieser Hinsicht markiert der technische Vorgang der Schaltung die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten inshydustrieller Vernetzung selbst die niemals gaumlnzlich kontrollierbare Anstrenshygung zahlreiche Kommunikationspfade - Leitungen - deren Existenz in der industriellen Epoche die Vorbedingung fiir das Gelingen immaterieller Fernshykommunikation ist fiir eine kurze Zeit miteinander zu verbinden27

24 Vgl Elektrizitaumlt ersetzt die Logik der Uumlbertragung im strikten Sinne des Wortes zugunsten einer Logik der Schaltung Hartrnann Globale Medienkultur 12

25 Dass die industriellen -elektrischen -Medien keineswegs die physische Reichweite der Menschen vergroumlszligern sondern vielmehr raumlun1liche Distanz aufheben im Sinne

von auszliger Kraft setzen bemerkte bereits Marshall McLuhan Electric media [ ] abolish the spatial dimension rather than enlarge it Marshall McLuhan Undershystanding Media The Extensions of Man (New York Signet Books 1964) 255

26 Ein hervorragendes Beispiel dafur gibt Anatole Litvaks Film Noir Sony Wrong Number ( 1948)

27 Die Gewalt der analogen Schaltung als Vernichtung von Raum und Zeit verlangt danach dass sie nur temporaumlr geschehen soll Im zweiten Jahrhw1dertdrittel wird

folgerichtig sowohl ihr kurzfristiges Misslingen - die Fehlschaltung- als auch ihre dauerhafte Durchsetzung- die Gleichschaltungmiddot als Schrecken erfahren

NetzWerke 1 1 9

3 Audiovisualitaumlt

Die besondere Vorliebe die Kino- wie Fernsehfilme stets fur das Telefon als narratives Vehikel besaszligen weil es raumlumlich getrennte Protagonisten visuell shydurch Gegenschnitt oder geteilte Bildraumlume - verschaltete weist auf den starshyken Zusammenhang zwischen dem technologischen Stand der Vemetzung und dem audiovisueller Nanmiddotation Deutlich manipulieren industrielle Netzwerke der Kommunikation und der Film als das repraumlsentative audiovisuelle Erzaumlhlshymedium der industriellen Epoche raumlumliche und zeitliche Verhaumlltnisse auf recht aumlhnliche Art und Weise Filmakteure spielen ihre Rollen bekanntlich nicht mehr live und sequentiell Filmische Handlungen werden vielmehr nach dem Muster tayloristischer Arbeitsorganisation in einer Vielzahl von Einzelshyszenen aufgenommen und dann nicht anders als die meisten industriellen Washyren endmontiert (final cut) Die Montage fuumlgt dabei Bilder und Toumlne die im Augenblick der Reproduktion aus ihren natuumlrlichen - tatsaumlchlichen - Koorshydinaten gerissen wurden zu einem neuen kuumlnstlichen - fiktionalen- Raumshyzeitkontinuum Raumlumliche und zeitliche Distanzen werden so nicht laumlnger vershyund uumlberdeckt sondern eliminiert das heiszligt herausgeschnitten Auf diese Weise steigert sich das Potential zur Gestaltung raumzeitlicher Verhaumlltnisse Moumlglich wird ein beschleunigtes und stetes Wechseln zwischen entfernten Orshyten oder Zeiten und damit zum Beispiel die Darstellung paral leler Handlungsshyverlaumlufe

Als Basisinnovation der industriellen Modeme wurde die Montage nicht nur im Film sondern in nahezu allen Kuumlnsten wirksam in Musik wie Malerei Fotografie Lyrik Roman Dem1 in der Kombination des Heterogenen die es verband ohne es nach dem handwerklichen Ideal des Realismus organisch zu verschmelzen druumlckte sich die Erfahrung aus dass in der industriellen Zivilishysation ob am Flieszligband oder im Buumlro Arbeit seriell zu leisten ist jeder sepashyrate Schritt also seine wirkliche Bedeutung nur in der raumzeitlichen Kombishynation mit anderen gewinnt Seine vorbildhafte Vollendung erreichte das Vershyfahren der Montage daher auch nicht in den vorindustriellen Kuumlnsten die es um 1 900 zuerst applizierten - etwa als Bildmontage Montage im Bild - sonshydern mit einer gewissen Zwangslaumlufigkeit im narrativen Film in seiner Monshytage von Bildern Sie erst befahigte das fotorealistische Medium indem sie das Kontinuum seiner Echtzeit-Aufuahmen in einer neuen Ordnung aufhob zu eishyner der industriellen Wahrnehmung gemaumlszligen Manipulation von Zeit und Raum wie sie vorindustJiellen Medien und Kuumlnsten selbst noch der industrishyell aufgeruumlsteten Buumlhne prinzipiell verwehrt blieb Das was aber auf der Buumlhne vor sich geht ist teilweise raumlumlich teilweise zeitlich in der Regel raumlumlich und zeitlich nie aber zeit-raumlumlich wie es die Vorgaumlnge im Film sind schrieb Amold Hauser Der Film unterscheidet sich von den anderen

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 12: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

116 Gundolf S F reyermuth

von Edgar Allan Poe in Man of the Crowd 18 oder die heimliche Verwobenshy

heil der sexuellen Beziehungen dargestellt etwa von Arthur Schnitzler als

Reigen19- vermochte die zeitgenoumlssische Forschung ebenso wenig zu beshy

greifen oder gar zu berechnen wie die zahlreichen technischen Netzwerke von

Transport und Kommunikation die im Laufe des 19 und 20 Jahrhunderts neu

entstanden

Zum einen beschleunigte und automatisierte sich der physische Transport

durch den Einsatz industrieller Technologie Damit wuchs der Distributionsrashy

dius von Waren Dienstleistungen und Neuigkeiten Mit dem Ausbau des Eishy

senbahnnetzes der Einrichtung erst nationaler dann kontinentaler Autobahnshy

netze und schlieszliglich mit dem Flugnetz weiteten sich Handel und Kommunishy

kation geographisch aus Gleichzeitig kam es innerhalb der groszligen Staumldte zur

Etablierung von Netzen der Versorgung - Wasser Abwasser Gas Strom

Auch im Falle der Netze der Infrastruktur hat die Zeit ab 1750 und dann das

durch die Doppelrevolution eingeleitete 19 Jahrhunderte Scharnierbedeushy

tung schreibt Dietrich Kerlen Denn erst jetzt werden massenhaft private

Optionen auf die Benutzung von Netzen wirklich20 Die alltaumlgliche Erfahrung

bewirkte einen epistemologischen Wandel In Netzen zu denken konstatiert

Juumlrgen Osterhammel war uumlberhaupt erst eine Anschauungsform des 19

Jahrhunderts 21

Zum zweiten - und in der Konsequenz weitreichender - entstand eine

gaumlnzlich neue Kategorie Jmmaterieller Vemetzung Denn mit Telegraph und

Telefon spaumlter auch mit Radio und Fernsehen machte sich Fernkommunikatishy

on tmabhaumlngig von physischem Transport Das entscheidende Kennzeichen

dieser neuen industriellen Netzwerke war insofern dass Informationen sich

nun schneller als Waren verbreiten konnten Mehr noch Zum ersten Mal in

der Menschheitsgeschichte lieszligen sich Nachrichten uumlber groszlige Distanzen in

Echtzeit kommunizieren Schluumlsseldaten welche diese epochale Entwicklung

rahmen sind die Verlegung des ersten transatlantischen Telegraphenkabels in

den 1850er Jahren und die Verlegung des ersten transatlantischen Telefonkashy

bels in den 1950er Jahren 22

18 Edgar Allan Poe The Man of the Crowd ( 1840) lthttpetextvirginiaeduetcbin toccer-new2id=PoeCrowsgmampimages=imagesmodengampdata=textseng1ish

modengparsedamptag=pub1icamppart=teiHeadergt 19 Arthur Schnitz1er Reigen Zehn Dialoge geschrieben Winter 1896-97

lthttpgutenbergspiegeldebuch53 81 I 1 gt 20 Dietrich Kerlen Einfiihrung in die Medienkunde (Stuttgart Rec1amjun 2003) 148 21 Juumlrgen Osterhammel Die Verwandlung der Welt eine Geschichte des 19 Jahrhunshy

derts (Muumlnchen CH Beck 2009) 101 1 22 Zur Geschichte des transatlantischen Telegraphenkabels vgl Duncan Geere How

the first cable was laid across the Atlantic Wired UK (20 1 1 )

NetzWerke 117

l m Vergleich zur mechanischen Vemetzung koumltmen wir die neuen industshyriellen Praktiken der Vemetzung die eben in der Kommunikation keinen physhysischen Transport mehr erfordern waumlhrend gleichzeitig der Transport materishyeller Guumlter durch den Einsatz non-biologischer Energie Automatisierung und industrielle Arbeitsteilung dramatisch beschleunigt wird Vernetzung 20 nenshynen

Ihr zentrales Prinzip ist die Befaumlhigung zur Trennung von Kommunikation und Transport ihre wichtigste Technik ist im Hinblick aufkommunikative Akte die Eliminierung geographischer Distanzen durch die materielle Verbindung bnv Verschaltung verschiedener Leitungen

In der industriellen Zivilisation wie sie sich zwischen Aufklaumlrung und Postmodeme entwickelte geschah in der Konsequenz die alltaumlgliche Distribushytion von Guumltern und Informationen nicht mehr nur lokal oder regional sonshydern national Zwar wuchsen weiterhin als Auszligerordentlichkeit globale FernshyNetzwerke fuumlr Transport und Kommunikation zu See auf Land und schlieszligshylich auch in der Luft 23 Die durchschnittliche Distribution von Waren und auch Medienjedoch fand innerhalb von Nationen statt und in einem gewissen Maszlige zwischen benachbarten Staaten sowie seit der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunshyderts innerhalb kontinentaler Handelszonen Dieser geografischen (Er-) Schlieszligung die das erste industrielle Jahrhundert unter dem Banner des Natioshynalstaats leistete korrelierte die oumlkonomische und politische kulturelle und geistige Verengung auf die Grenzen der Nation Im 1 9 Jahrhundert brachte sie mit der industriellen Zentralisierung und dem Aufschwung der Kapitalen neue hauptstaumldtische Institutionen wie Nationalmuseen Nationalbibliotheken oder Nationaltheater hervor Mit Beginn des 20 Jahrhunderts und dem Siegeszug der industriellen audiovisuellen Medien eskalierte diese Nationalisierung der Kommunikation bis sie die lokalen Oumlffentlichkeiten nahezu in Gaumlnze uumlberlashygerte

lthttpwww wiredcouknewsarchive20 11-0 118transatlantic-cablespage=algt - Zur Geschichte sowohl des ersten transatlantischen Telegraphenkabels wie des ersten Telefonkabels vgl NN Milestones The First Submarine Transatlantic Teshy

lephone Cable System (TAT-I) 956 IEEE Global History Network (o J)

lthttpwwwieeeghnorgwikiindexphpMilestones The _First_ Submarine_ Transatl antic_ Telephone_ Cable_System_(T AT -1)_1956gt

23 Das Faszinosum fuumlr die Zeitgenossen des 19 und fruumlhen 20 Jahrhw1derts belegt schon das Kommunistische Manifest An die Stelle der alten durch Landeserzeugshynisse befriedigten Beduumlrfuisse treten neue welche die Produkte der entferntesten Laumlnder w1d Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen An die Stelle der alten lokashy

len und nationalen Selbstgenuumlgsanlkeit und Abgeschlossenheil tritt ein allseitiger

Verkehr eine allseitige Abhaumlngigkeit der Nationen voneinander Kar Marx und

Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei ( 1848) (Berlin Dietz 1972) lthttpwwwmlwerkedememe04me04_ 459htmgt 466

1 1 8 Gundolf S Freyennuth

Die neuen industriellen Medien- vom Telegrafen uumlber Telefon und Radio bis zum Fernsehen- bedienten sich dabei eines gaumlnzlich neuen Verfahrens der Hardware-Schaltung im Telefonverkehr etwa zunaumlchst von Hand durch Telefonistirmen und spaumlter durch automatische elektrische Schalter (circuit switching) 24 Technisch leistet Hardware-Schaltung dabei zweierlei Zum eishynen werden im geographischen Transport abgeschwaumlchte Stromimpulse vershystaumlrkt weitergeleitet zum zweiten werden verschiedene kuumlrzere Leitungen zu einer neuen kontinuierlichen Verbindung verschaltet Was Uumlberbruumlckung in mechanischen (und industriellen) Netzwerken des Transports leistet gelingt in den industriellen Kommunikationsnetzwerken so mittels Schaltung Sie ershyschafft das notwendige physische Kontinuum (die Kante) zwischen zwei Punkten (Knoten) indem sie den Raum der Sender und Empfaumlnger voneinanshyder trermt eben nicht mehr uumlberbruumlckt sondem unmittelbar und in Echtzeit eliminiert 25

Werm auch Telefonistirmen oder elektrische Schalter im Vergleich zur Bruumlcke nie die Qualitaumlt eines existentiellen Mythos gewarmen so figuriert die Praxis der Verschaltung - in ihrem Doppelsirm - doch recht prominent in zahlreichen Filmen des 20 Jahrhunderts Gespielt wird dabei mit zeitgenoumlssishyschen Aumlngsten dass durch falsche Verbindungen herbeigefuhrt von boumlswillishygen Operateuren oder fehlerhaften Schaltern Fremde in die Privatsphaumlre einshydringen und uns mit Dingen konfrontieren koumlrmten von denen entweder wir oder die anderen besser nichts wissen sollten 26 In dieser Hinsicht markiert der technische Vorgang der Schaltung die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten inshydustrieller Vernetzung selbst die niemals gaumlnzlich kontrollierbare Anstrenshygung zahlreiche Kommunikationspfade - Leitungen - deren Existenz in der industriellen Epoche die Vorbedingung fiir das Gelingen immaterieller Fernshykommunikation ist fiir eine kurze Zeit miteinander zu verbinden27

24 Vgl Elektrizitaumlt ersetzt die Logik der Uumlbertragung im strikten Sinne des Wortes zugunsten einer Logik der Schaltung Hartrnann Globale Medienkultur 12

25 Dass die industriellen -elektrischen -Medien keineswegs die physische Reichweite der Menschen vergroumlszligern sondern vielmehr raumlun1liche Distanz aufheben im Sinne

von auszliger Kraft setzen bemerkte bereits Marshall McLuhan Electric media [ ] abolish the spatial dimension rather than enlarge it Marshall McLuhan Undershystanding Media The Extensions of Man (New York Signet Books 1964) 255

26 Ein hervorragendes Beispiel dafur gibt Anatole Litvaks Film Noir Sony Wrong Number ( 1948)

27 Die Gewalt der analogen Schaltung als Vernichtung von Raum und Zeit verlangt danach dass sie nur temporaumlr geschehen soll Im zweiten Jahrhw1dertdrittel wird

folgerichtig sowohl ihr kurzfristiges Misslingen - die Fehlschaltung- als auch ihre dauerhafte Durchsetzung- die Gleichschaltungmiddot als Schrecken erfahren

NetzWerke 1 1 9

3 Audiovisualitaumlt

Die besondere Vorliebe die Kino- wie Fernsehfilme stets fur das Telefon als narratives Vehikel besaszligen weil es raumlumlich getrennte Protagonisten visuell shydurch Gegenschnitt oder geteilte Bildraumlume - verschaltete weist auf den starshyken Zusammenhang zwischen dem technologischen Stand der Vemetzung und dem audiovisueller Nanmiddotation Deutlich manipulieren industrielle Netzwerke der Kommunikation und der Film als das repraumlsentative audiovisuelle Erzaumlhlshymedium der industriellen Epoche raumlumliche und zeitliche Verhaumlltnisse auf recht aumlhnliche Art und Weise Filmakteure spielen ihre Rollen bekanntlich nicht mehr live und sequentiell Filmische Handlungen werden vielmehr nach dem Muster tayloristischer Arbeitsorganisation in einer Vielzahl von Einzelshyszenen aufgenommen und dann nicht anders als die meisten industriellen Washyren endmontiert (final cut) Die Montage fuumlgt dabei Bilder und Toumlne die im Augenblick der Reproduktion aus ihren natuumlrlichen - tatsaumlchlichen - Koorshydinaten gerissen wurden zu einem neuen kuumlnstlichen - fiktionalen- Raumshyzeitkontinuum Raumlumliche und zeitliche Distanzen werden so nicht laumlnger vershyund uumlberdeckt sondern eliminiert das heiszligt herausgeschnitten Auf diese Weise steigert sich das Potential zur Gestaltung raumzeitlicher Verhaumlltnisse Moumlglich wird ein beschleunigtes und stetes Wechseln zwischen entfernten Orshyten oder Zeiten und damit zum Beispiel die Darstellung paral leler Handlungsshyverlaumlufe

Als Basisinnovation der industriellen Modeme wurde die Montage nicht nur im Film sondern in nahezu allen Kuumlnsten wirksam in Musik wie Malerei Fotografie Lyrik Roman Dem1 in der Kombination des Heterogenen die es verband ohne es nach dem handwerklichen Ideal des Realismus organisch zu verschmelzen druumlckte sich die Erfahrung aus dass in der industriellen Zivilishysation ob am Flieszligband oder im Buumlro Arbeit seriell zu leisten ist jeder sepashyrate Schritt also seine wirkliche Bedeutung nur in der raumzeitlichen Kombishynation mit anderen gewinnt Seine vorbildhafte Vollendung erreichte das Vershyfahren der Montage daher auch nicht in den vorindustriellen Kuumlnsten die es um 1 900 zuerst applizierten - etwa als Bildmontage Montage im Bild - sonshydern mit einer gewissen Zwangslaumlufigkeit im narrativen Film in seiner Monshytage von Bildern Sie erst befahigte das fotorealistische Medium indem sie das Kontinuum seiner Echtzeit-Aufuahmen in einer neuen Ordnung aufhob zu eishyner der industriellen Wahrnehmung gemaumlszligen Manipulation von Zeit und Raum wie sie vorindustJiellen Medien und Kuumlnsten selbst noch der industrishyell aufgeruumlsteten Buumlhne prinzipiell verwehrt blieb Das was aber auf der Buumlhne vor sich geht ist teilweise raumlumlich teilweise zeitlich in der Regel raumlumlich und zeitlich nie aber zeit-raumlumlich wie es die Vorgaumlnge im Film sind schrieb Amold Hauser Der Film unterscheidet sich von den anderen

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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NetzWerke 117

l m Vergleich zur mechanischen Vemetzung koumltmen wir die neuen industshyriellen Praktiken der Vemetzung die eben in der Kommunikation keinen physhysischen Transport mehr erfordern waumlhrend gleichzeitig der Transport materishyeller Guumlter durch den Einsatz non-biologischer Energie Automatisierung und industrielle Arbeitsteilung dramatisch beschleunigt wird Vernetzung 20 nenshynen

Ihr zentrales Prinzip ist die Befaumlhigung zur Trennung von Kommunikation und Transport ihre wichtigste Technik ist im Hinblick aufkommunikative Akte die Eliminierung geographischer Distanzen durch die materielle Verbindung bnv Verschaltung verschiedener Leitungen

In der industriellen Zivilisation wie sie sich zwischen Aufklaumlrung und Postmodeme entwickelte geschah in der Konsequenz die alltaumlgliche Distribushytion von Guumltern und Informationen nicht mehr nur lokal oder regional sonshydern national Zwar wuchsen weiterhin als Auszligerordentlichkeit globale FernshyNetzwerke fuumlr Transport und Kommunikation zu See auf Land und schlieszligshylich auch in der Luft 23 Die durchschnittliche Distribution von Waren und auch Medienjedoch fand innerhalb von Nationen statt und in einem gewissen Maszlige zwischen benachbarten Staaten sowie seit der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunshyderts innerhalb kontinentaler Handelszonen Dieser geografischen (Er-) Schlieszligung die das erste industrielle Jahrhundert unter dem Banner des Natioshynalstaats leistete korrelierte die oumlkonomische und politische kulturelle und geistige Verengung auf die Grenzen der Nation Im 1 9 Jahrhundert brachte sie mit der industriellen Zentralisierung und dem Aufschwung der Kapitalen neue hauptstaumldtische Institutionen wie Nationalmuseen Nationalbibliotheken oder Nationaltheater hervor Mit Beginn des 20 Jahrhunderts und dem Siegeszug der industriellen audiovisuellen Medien eskalierte diese Nationalisierung der Kommunikation bis sie die lokalen Oumlffentlichkeiten nahezu in Gaumlnze uumlberlashygerte

lthttpwww wiredcouknewsarchive20 11-0 118transatlantic-cablespage=algt - Zur Geschichte sowohl des ersten transatlantischen Telegraphenkabels wie des ersten Telefonkabels vgl NN Milestones The First Submarine Transatlantic Teshy

lephone Cable System (TAT-I) 956 IEEE Global History Network (o J)

lthttpwwwieeeghnorgwikiindexphpMilestones The _First_ Submarine_ Transatl antic_ Telephone_ Cable_System_(T AT -1)_1956gt

23 Das Faszinosum fuumlr die Zeitgenossen des 19 und fruumlhen 20 Jahrhw1derts belegt schon das Kommunistische Manifest An die Stelle der alten durch Landeserzeugshynisse befriedigten Beduumlrfuisse treten neue welche die Produkte der entferntesten Laumlnder w1d Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen An die Stelle der alten lokashy

len und nationalen Selbstgenuumlgsanlkeit und Abgeschlossenheil tritt ein allseitiger

Verkehr eine allseitige Abhaumlngigkeit der Nationen voneinander Kar Marx und

Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei ( 1848) (Berlin Dietz 1972) lthttpwwwmlwerkedememe04me04_ 459htmgt 466

1 1 8 Gundolf S Freyennuth

Die neuen industriellen Medien- vom Telegrafen uumlber Telefon und Radio bis zum Fernsehen- bedienten sich dabei eines gaumlnzlich neuen Verfahrens der Hardware-Schaltung im Telefonverkehr etwa zunaumlchst von Hand durch Telefonistirmen und spaumlter durch automatische elektrische Schalter (circuit switching) 24 Technisch leistet Hardware-Schaltung dabei zweierlei Zum eishynen werden im geographischen Transport abgeschwaumlchte Stromimpulse vershystaumlrkt weitergeleitet zum zweiten werden verschiedene kuumlrzere Leitungen zu einer neuen kontinuierlichen Verbindung verschaltet Was Uumlberbruumlckung in mechanischen (und industriellen) Netzwerken des Transports leistet gelingt in den industriellen Kommunikationsnetzwerken so mittels Schaltung Sie ershyschafft das notwendige physische Kontinuum (die Kante) zwischen zwei Punkten (Knoten) indem sie den Raum der Sender und Empfaumlnger voneinanshyder trermt eben nicht mehr uumlberbruumlckt sondem unmittelbar und in Echtzeit eliminiert 25

Werm auch Telefonistirmen oder elektrische Schalter im Vergleich zur Bruumlcke nie die Qualitaumlt eines existentiellen Mythos gewarmen so figuriert die Praxis der Verschaltung - in ihrem Doppelsirm - doch recht prominent in zahlreichen Filmen des 20 Jahrhunderts Gespielt wird dabei mit zeitgenoumlssishyschen Aumlngsten dass durch falsche Verbindungen herbeigefuhrt von boumlswillishygen Operateuren oder fehlerhaften Schaltern Fremde in die Privatsphaumlre einshydringen und uns mit Dingen konfrontieren koumlrmten von denen entweder wir oder die anderen besser nichts wissen sollten 26 In dieser Hinsicht markiert der technische Vorgang der Schaltung die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten inshydustrieller Vernetzung selbst die niemals gaumlnzlich kontrollierbare Anstrenshygung zahlreiche Kommunikationspfade - Leitungen - deren Existenz in der industriellen Epoche die Vorbedingung fiir das Gelingen immaterieller Fernshykommunikation ist fiir eine kurze Zeit miteinander zu verbinden27

24 Vgl Elektrizitaumlt ersetzt die Logik der Uumlbertragung im strikten Sinne des Wortes zugunsten einer Logik der Schaltung Hartrnann Globale Medienkultur 12

25 Dass die industriellen -elektrischen -Medien keineswegs die physische Reichweite der Menschen vergroumlszligern sondern vielmehr raumlun1liche Distanz aufheben im Sinne

von auszliger Kraft setzen bemerkte bereits Marshall McLuhan Electric media [ ] abolish the spatial dimension rather than enlarge it Marshall McLuhan Undershystanding Media The Extensions of Man (New York Signet Books 1964) 255

26 Ein hervorragendes Beispiel dafur gibt Anatole Litvaks Film Noir Sony Wrong Number ( 1948)

27 Die Gewalt der analogen Schaltung als Vernichtung von Raum und Zeit verlangt danach dass sie nur temporaumlr geschehen soll Im zweiten Jahrhw1dertdrittel wird

folgerichtig sowohl ihr kurzfristiges Misslingen - die Fehlschaltung- als auch ihre dauerhafte Durchsetzung- die Gleichschaltungmiddot als Schrecken erfahren

NetzWerke 1 1 9

3 Audiovisualitaumlt

Die besondere Vorliebe die Kino- wie Fernsehfilme stets fur das Telefon als narratives Vehikel besaszligen weil es raumlumlich getrennte Protagonisten visuell shydurch Gegenschnitt oder geteilte Bildraumlume - verschaltete weist auf den starshyken Zusammenhang zwischen dem technologischen Stand der Vemetzung und dem audiovisueller Nanmiddotation Deutlich manipulieren industrielle Netzwerke der Kommunikation und der Film als das repraumlsentative audiovisuelle Erzaumlhlshymedium der industriellen Epoche raumlumliche und zeitliche Verhaumlltnisse auf recht aumlhnliche Art und Weise Filmakteure spielen ihre Rollen bekanntlich nicht mehr live und sequentiell Filmische Handlungen werden vielmehr nach dem Muster tayloristischer Arbeitsorganisation in einer Vielzahl von Einzelshyszenen aufgenommen und dann nicht anders als die meisten industriellen Washyren endmontiert (final cut) Die Montage fuumlgt dabei Bilder und Toumlne die im Augenblick der Reproduktion aus ihren natuumlrlichen - tatsaumlchlichen - Koorshydinaten gerissen wurden zu einem neuen kuumlnstlichen - fiktionalen- Raumshyzeitkontinuum Raumlumliche und zeitliche Distanzen werden so nicht laumlnger vershyund uumlberdeckt sondern eliminiert das heiszligt herausgeschnitten Auf diese Weise steigert sich das Potential zur Gestaltung raumzeitlicher Verhaumlltnisse Moumlglich wird ein beschleunigtes und stetes Wechseln zwischen entfernten Orshyten oder Zeiten und damit zum Beispiel die Darstellung paral leler Handlungsshyverlaumlufe

Als Basisinnovation der industriellen Modeme wurde die Montage nicht nur im Film sondern in nahezu allen Kuumlnsten wirksam in Musik wie Malerei Fotografie Lyrik Roman Dem1 in der Kombination des Heterogenen die es verband ohne es nach dem handwerklichen Ideal des Realismus organisch zu verschmelzen druumlckte sich die Erfahrung aus dass in der industriellen Zivilishysation ob am Flieszligband oder im Buumlro Arbeit seriell zu leisten ist jeder sepashyrate Schritt also seine wirkliche Bedeutung nur in der raumzeitlichen Kombishynation mit anderen gewinnt Seine vorbildhafte Vollendung erreichte das Vershyfahren der Montage daher auch nicht in den vorindustriellen Kuumlnsten die es um 1 900 zuerst applizierten - etwa als Bildmontage Montage im Bild - sonshydern mit einer gewissen Zwangslaumlufigkeit im narrativen Film in seiner Monshytage von Bildern Sie erst befahigte das fotorealistische Medium indem sie das Kontinuum seiner Echtzeit-Aufuahmen in einer neuen Ordnung aufhob zu eishyner der industriellen Wahrnehmung gemaumlszligen Manipulation von Zeit und Raum wie sie vorindustJiellen Medien und Kuumlnsten selbst noch der industrishyell aufgeruumlsteten Buumlhne prinzipiell verwehrt blieb Das was aber auf der Buumlhne vor sich geht ist teilweise raumlumlich teilweise zeitlich in der Regel raumlumlich und zeitlich nie aber zeit-raumlumlich wie es die Vorgaumlnge im Film sind schrieb Amold Hauser Der Film unterscheidet sich von den anderen

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 14: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

1 1 8 Gundolf S Freyennuth

Die neuen industriellen Medien- vom Telegrafen uumlber Telefon und Radio bis zum Fernsehen- bedienten sich dabei eines gaumlnzlich neuen Verfahrens der Hardware-Schaltung im Telefonverkehr etwa zunaumlchst von Hand durch Telefonistirmen und spaumlter durch automatische elektrische Schalter (circuit switching) 24 Technisch leistet Hardware-Schaltung dabei zweierlei Zum eishynen werden im geographischen Transport abgeschwaumlchte Stromimpulse vershystaumlrkt weitergeleitet zum zweiten werden verschiedene kuumlrzere Leitungen zu einer neuen kontinuierlichen Verbindung verschaltet Was Uumlberbruumlckung in mechanischen (und industriellen) Netzwerken des Transports leistet gelingt in den industriellen Kommunikationsnetzwerken so mittels Schaltung Sie ershyschafft das notwendige physische Kontinuum (die Kante) zwischen zwei Punkten (Knoten) indem sie den Raum der Sender und Empfaumlnger voneinanshyder trermt eben nicht mehr uumlberbruumlckt sondem unmittelbar und in Echtzeit eliminiert 25

Werm auch Telefonistirmen oder elektrische Schalter im Vergleich zur Bruumlcke nie die Qualitaumlt eines existentiellen Mythos gewarmen so figuriert die Praxis der Verschaltung - in ihrem Doppelsirm - doch recht prominent in zahlreichen Filmen des 20 Jahrhunderts Gespielt wird dabei mit zeitgenoumlssishyschen Aumlngsten dass durch falsche Verbindungen herbeigefuhrt von boumlswillishygen Operateuren oder fehlerhaften Schaltern Fremde in die Privatsphaumlre einshydringen und uns mit Dingen konfrontieren koumlrmten von denen entweder wir oder die anderen besser nichts wissen sollten 26 In dieser Hinsicht markiert der technische Vorgang der Schaltung die Gefahren und Unzulaumlnglichkeiten inshydustrieller Vernetzung selbst die niemals gaumlnzlich kontrollierbare Anstrenshygung zahlreiche Kommunikationspfade - Leitungen - deren Existenz in der industriellen Epoche die Vorbedingung fiir das Gelingen immaterieller Fernshykommunikation ist fiir eine kurze Zeit miteinander zu verbinden27

24 Vgl Elektrizitaumlt ersetzt die Logik der Uumlbertragung im strikten Sinne des Wortes zugunsten einer Logik der Schaltung Hartrnann Globale Medienkultur 12

25 Dass die industriellen -elektrischen -Medien keineswegs die physische Reichweite der Menschen vergroumlszligern sondern vielmehr raumlun1liche Distanz aufheben im Sinne

von auszliger Kraft setzen bemerkte bereits Marshall McLuhan Electric media [ ] abolish the spatial dimension rather than enlarge it Marshall McLuhan Undershystanding Media The Extensions of Man (New York Signet Books 1964) 255

26 Ein hervorragendes Beispiel dafur gibt Anatole Litvaks Film Noir Sony Wrong Number ( 1948)

27 Die Gewalt der analogen Schaltung als Vernichtung von Raum und Zeit verlangt danach dass sie nur temporaumlr geschehen soll Im zweiten Jahrhw1dertdrittel wird

folgerichtig sowohl ihr kurzfristiges Misslingen - die Fehlschaltung- als auch ihre dauerhafte Durchsetzung- die Gleichschaltungmiddot als Schrecken erfahren

NetzWerke 1 1 9

3 Audiovisualitaumlt

Die besondere Vorliebe die Kino- wie Fernsehfilme stets fur das Telefon als narratives Vehikel besaszligen weil es raumlumlich getrennte Protagonisten visuell shydurch Gegenschnitt oder geteilte Bildraumlume - verschaltete weist auf den starshyken Zusammenhang zwischen dem technologischen Stand der Vemetzung und dem audiovisueller Nanmiddotation Deutlich manipulieren industrielle Netzwerke der Kommunikation und der Film als das repraumlsentative audiovisuelle Erzaumlhlshymedium der industriellen Epoche raumlumliche und zeitliche Verhaumlltnisse auf recht aumlhnliche Art und Weise Filmakteure spielen ihre Rollen bekanntlich nicht mehr live und sequentiell Filmische Handlungen werden vielmehr nach dem Muster tayloristischer Arbeitsorganisation in einer Vielzahl von Einzelshyszenen aufgenommen und dann nicht anders als die meisten industriellen Washyren endmontiert (final cut) Die Montage fuumlgt dabei Bilder und Toumlne die im Augenblick der Reproduktion aus ihren natuumlrlichen - tatsaumlchlichen - Koorshydinaten gerissen wurden zu einem neuen kuumlnstlichen - fiktionalen- Raumshyzeitkontinuum Raumlumliche und zeitliche Distanzen werden so nicht laumlnger vershyund uumlberdeckt sondern eliminiert das heiszligt herausgeschnitten Auf diese Weise steigert sich das Potential zur Gestaltung raumzeitlicher Verhaumlltnisse Moumlglich wird ein beschleunigtes und stetes Wechseln zwischen entfernten Orshyten oder Zeiten und damit zum Beispiel die Darstellung paral leler Handlungsshyverlaumlufe

Als Basisinnovation der industriellen Modeme wurde die Montage nicht nur im Film sondern in nahezu allen Kuumlnsten wirksam in Musik wie Malerei Fotografie Lyrik Roman Dem1 in der Kombination des Heterogenen die es verband ohne es nach dem handwerklichen Ideal des Realismus organisch zu verschmelzen druumlckte sich die Erfahrung aus dass in der industriellen Zivilishysation ob am Flieszligband oder im Buumlro Arbeit seriell zu leisten ist jeder sepashyrate Schritt also seine wirkliche Bedeutung nur in der raumzeitlichen Kombishynation mit anderen gewinnt Seine vorbildhafte Vollendung erreichte das Vershyfahren der Montage daher auch nicht in den vorindustriellen Kuumlnsten die es um 1 900 zuerst applizierten - etwa als Bildmontage Montage im Bild - sonshydern mit einer gewissen Zwangslaumlufigkeit im narrativen Film in seiner Monshytage von Bildern Sie erst befahigte das fotorealistische Medium indem sie das Kontinuum seiner Echtzeit-Aufuahmen in einer neuen Ordnung aufhob zu eishyner der industriellen Wahrnehmung gemaumlszligen Manipulation von Zeit und Raum wie sie vorindustJiellen Medien und Kuumlnsten selbst noch der industrishyell aufgeruumlsteten Buumlhne prinzipiell verwehrt blieb Das was aber auf der Buumlhne vor sich geht ist teilweise raumlumlich teilweise zeitlich in der Regel raumlumlich und zeitlich nie aber zeit-raumlumlich wie es die Vorgaumlnge im Film sind schrieb Amold Hauser Der Film unterscheidet sich von den anderen

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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3 Audiovisualitaumlt

Die besondere Vorliebe die Kino- wie Fernsehfilme stets fur das Telefon als narratives Vehikel besaszligen weil es raumlumlich getrennte Protagonisten visuell shydurch Gegenschnitt oder geteilte Bildraumlume - verschaltete weist auf den starshyken Zusammenhang zwischen dem technologischen Stand der Vemetzung und dem audiovisueller Nanmiddotation Deutlich manipulieren industrielle Netzwerke der Kommunikation und der Film als das repraumlsentative audiovisuelle Erzaumlhlshymedium der industriellen Epoche raumlumliche und zeitliche Verhaumlltnisse auf recht aumlhnliche Art und Weise Filmakteure spielen ihre Rollen bekanntlich nicht mehr live und sequentiell Filmische Handlungen werden vielmehr nach dem Muster tayloristischer Arbeitsorganisation in einer Vielzahl von Einzelshyszenen aufgenommen und dann nicht anders als die meisten industriellen Washyren endmontiert (final cut) Die Montage fuumlgt dabei Bilder und Toumlne die im Augenblick der Reproduktion aus ihren natuumlrlichen - tatsaumlchlichen - Koorshydinaten gerissen wurden zu einem neuen kuumlnstlichen - fiktionalen- Raumshyzeitkontinuum Raumlumliche und zeitliche Distanzen werden so nicht laumlnger vershyund uumlberdeckt sondern eliminiert das heiszligt herausgeschnitten Auf diese Weise steigert sich das Potential zur Gestaltung raumzeitlicher Verhaumlltnisse Moumlglich wird ein beschleunigtes und stetes Wechseln zwischen entfernten Orshyten oder Zeiten und damit zum Beispiel die Darstellung paral leler Handlungsshyverlaumlufe

Als Basisinnovation der industriellen Modeme wurde die Montage nicht nur im Film sondern in nahezu allen Kuumlnsten wirksam in Musik wie Malerei Fotografie Lyrik Roman Dem1 in der Kombination des Heterogenen die es verband ohne es nach dem handwerklichen Ideal des Realismus organisch zu verschmelzen druumlckte sich die Erfahrung aus dass in der industriellen Zivilishysation ob am Flieszligband oder im Buumlro Arbeit seriell zu leisten ist jeder sepashyrate Schritt also seine wirkliche Bedeutung nur in der raumzeitlichen Kombishynation mit anderen gewinnt Seine vorbildhafte Vollendung erreichte das Vershyfahren der Montage daher auch nicht in den vorindustriellen Kuumlnsten die es um 1 900 zuerst applizierten - etwa als Bildmontage Montage im Bild - sonshydern mit einer gewissen Zwangslaumlufigkeit im narrativen Film in seiner Monshytage von Bildern Sie erst befahigte das fotorealistische Medium indem sie das Kontinuum seiner Echtzeit-Aufuahmen in einer neuen Ordnung aufhob zu eishyner der industriellen Wahrnehmung gemaumlszligen Manipulation von Zeit und Raum wie sie vorindustJiellen Medien und Kuumlnsten selbst noch der industrishyell aufgeruumlsteten Buumlhne prinzipiell verwehrt blieb Das was aber auf der Buumlhne vor sich geht ist teilweise raumlumlich teilweise zeitlich in der Regel raumlumlich und zeitlich nie aber zeit-raumlumlich wie es die Vorgaumlnge im Film sind schrieb Amold Hauser Der Film unterscheidet sich von den anderen

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

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NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 16: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

1 20 Gundolf S Freyermuth

Kuumlnsten am wesentlichsten gerade dadurch dass in seinem Weltbild Raum und Zeit flieszligende Grenzen haben - der Raum mit einem quasi-zeitlichen die Zeit mit einem gewissermaszligen raumlumlichen Charakter28

Uumlberbruumlckt der Vorhang raumlumliche wie zeitliche Distanzen so eliminiert das filmische Verfahren der Montage - gleich dem der Schaltung in der visushyellen und audiovisuellen Femkommunikation in der Telefonie und im Fernseshyhen - die Distanz zwischen Punkt A und Punkt B in Echtzeit Distanzen wershyden nicht laumlnger uumlberdeckt sondern weggeschaltet bzw weggeschnitten Dashyrin gestaltet der Film die industrielle Erfahrung einer Schrumpfung des Raums und der massengesellschaftliehen Etablierung sich beschleunigender Fremdshyzei tverhaumll tnisse

Zur aumlsthetischen Manipulation von Zeit und Raum nutzt der Film freilich nicht nur Schnitt tmd Montage sondern kombiniert dieses Basisverfahren mit einer Aufnahme- und Speichertechnik welche die anschlieszligende - materielle - Ferndistribution der konservierten und montierten Audiovisionen ermoumlgshylicht 29 Dabei entsteht im Kino eine neue mediale Raumzeit-Distanz die dem Theater unbekannt ist zwischen den Aktionen der konservierten Schatten im unwirklichen Bildraum der Leinwand und dem Live-Publikum im wirklishychen Zuschauerraum Darkness is to space what si lence is to sound the interval schrieb Marshall McLuhan30 Die weitreichende Bedeuttmg der sich mit dem Medium Film eroumlffnenden Kluft zwischen audiovisueller Fiktion und Publikum erschlieszligt sich wiederum aus einer medienhistorisch spaumlteren Perspektive der digitaler Spiele Sie erlaubt dieses Zwischen als Vorschein zu erkennen Wie einst der Vorhang des Theaters auf Schnitt und Montage voshyrauswies die leistungsstaumlrkeren Mittel des Films zur Manipulation von Raum

28 Hauser Sozialgeschichte der Kunst und Literatur I 007 Ebenso Die Uumlbereinshystimmung zwischen den technischen Mitteln des Films und den Kennzeichen des neuen Zeitbegriffs ist so vollkommen dass man die Zeitkategorien der modernen Kunst wie aus dem Geiste der filmischen Form entstanden empfindet und den Film selbst als die sti lgeschichtlich repraumlsentative wenn auch nicht gerade als die qualitashytiv ergiebigste Kunstgattung der Gegenwart zu bezeichnen geneigt ist (ibid) - Ygl auch Levinson zur Erfindung bzw Entdeckung der Montage The teclmological stage was set for motion photography to be more than a photocopy of life in action scenes that followed one another in the real world could now be separated on film scenes that had no connection in the real world could he brought together in the moshytion picture and all at the behest of the filmmaker s i1mer vision via the expedient of a splice Paul Levinson The Soft Edge A Natural History and Future of the Inshy

formation Revolution (London New York Routledge 1997) 94 29 Dass Schnitt und Montage auch live moumlglich sind demonstriert jede Uumlbertragung

von Sportereignissen oder Shows 30 Zitiert nach Douglas Coupland Marshall McLuhan You Know Nothing of My

Work (New York 11Y Atlas Kindie Edition 201 0) Loc 2047

Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Netz Werke 1 2 1

und Zeit so deutet sich i n dem medialen Niemandsland zwischen filmischer

Fiktion und Kinopublikum der virtuelle Handlungsraum an der mit der Digishy

talisierung und vor allem mit globaler Vernetzung Medien und ihre Nutzer

uumlber Rawn und Zeit hinweg verbinden wird

4 Netzwerktheorie

Zur Zeit da Kino und Telefon den industriellen Alltag veraumlnderten existierte

jedoch weder ein Begriff der Vernetzung im modernen Sitme noch eine mashy

thematische Theorie die es ermoumlglichte dieses Wachstum komplexer und sich

unablaumlssig veraumlndernder Netzwerke wie etwa der Post- und Telefonsysteme zu

analysieren oder zu planen ganz zu schweigen von den noch verwickelteren

Netzen sozialer Beziehungen oder der Verbreitung ansteckender Krankheiten

in den industriellen Massengesellschaften Denn Euters Theorie regulaumlrer Grashy

phen entworfen am Ende der mechanischen Epoche barg als innere Begrenshy

zung den zivilisatorisch noch bescheidenen Stand technischer wie sozialer

Vernetzung Ihr Objekt waren historisch gewachsene Verkehrswege deren

einzelne Elemente (Bruumlcken Straszligen) zwar gezielt produziert worden waren

deren Gesamtstruktur sich jedoch ohne Plan hergestellt hatte und deren Knoshy

ten und Kanten sich quantitativ mehr oder weniger entsprachen Alle Elemente

wurden dabei einzig egalitaumlr und statisch gesetzt das heiszligt weder qualitative

Differenzen welche die Nutzung beeinflussen konnten noch ein Wachstum

des gesamten Netzes waren vorgesehen Zudem verraumlumlichte das Modell poshy

tenzielle Nutzung und vergleichzeitigte damit was in der tatsaumlchlichen Nutshy

zung sukzessiv erfolgte Von daher lag die Aufgabe ein theoretisches Modell

sehr viel dynamischerer Netzwerke wie etwa der modernen Verkehrsnetze

oder gar des Telefonnetzes zu entwickeln das beliebige Schaltungen - Vershy

bindungen - zwischen seinen Millionen von Teilnelunern gestattete (oder geshy

statten wollte) jenseits der Moumlglichkeiten der Graphentheorie

Trotz dieser Maumlngel die sich schon im fruumlhen 1 9 Jahrhundert mit der

Durchsetzung industrieller Transport- und Kommunikationsnetze und auch inshy

stitutionalisierter Netzwerkplanung zu offenbaren begannen sollte die

Graphentheorie fuumlr mehr als zwei Jahrhunderte das Netzwerkdenken dominieshy

ren Das schwelende Beduumlrfnis nach einer Vernetzungstheorie die den industshy

riellen Anforderungen in einem houmlheren Maszlige Genuumlge tat befriedigten erst

1 959 Paul Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random

Graphs in dem sie ein mathematisches Modell fuumlr komplexe Netzwerke mit

einer sehr groszligen Anzahl von Knoten vorstellten 3 1 Die uumlberraschendste Ein-

31 Vgl Mark Buchanan Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of

Networks (New York WW Norton 2002) 34-40 Barabasi Linked 13-24 - Paul

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

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NetzWerke 1 25

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Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 18: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

1 22 Gundolf S Freyermuth

sieht der Zufallsgraphentheorie bestand in der geringen Anzahl von willkuumlrlishychen Verbindungen die ausreichten um ein geschlossenes Netzwerk zu proshyduzieren For a network of 300 points there are nearly 50000 possible l inks that could run between them But if no more than about 2 percent of these are in place the network will be completely connected For I 000 points the cmcial fraction is less than 1 percent For 1 0 million points it is only 000000 1 32

FIG 2 Zufallsgraph

Hatte sich Euters Theorie regulaumlrer Graphen am Vorbild der vorindustriellen Transportwege orientiert so standen der Theorie der Zufallsgraphen arbitraumlr moumlgliche Schaltungen Modell wie sie im analogen Telefonnetz der Mitte des 20 Jahrhunderts moumlglich waren Zufaumlllig gesetzte Kanten konnten nun begrifshyfen werden Doch weite Bereiche realer Vemetzungen blieben theoretisch ausgeschlossen Denn die Zufallsgraphentheorie basierte auf drei Grundanshynahrnen die noch in der Tradition der Graphentheorie standen und daher die Brauchbarkeit fiir industrielle Zwecke sehr stark einschraumlnkten

Erstens konnte sie nicht Wachstum oder andere Formen von Wandel beshyrechnen obwohl nahezu alle damals bekannten Netzwerke des Transports und der Kommunikation keineswegs statisch waren und vor allem die zeitshygenoumlssischen industriellen Netzwerke sich samt und sonders durch schnelshyles Wachsturn auszeichneten Zweitens operierte sie weiterhin mit regulaumlren Graphen bzw gleichfoumlnni-

Erdoumls und Alfred Renyi mit ihrem Forschungspapier On Random Graphs fmden sich onl ine z B unter lthttpwwwrenyihu-p_ erdos1 959- l l pdfgt

32 Buchanan Nexus 37

NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

Humans and Machines into a Global Super01middotganism (New York Sinlon amp Schusshyter 1 993) Joel de Rosnay Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend

(Muumlnchen Gerling Akademie Ver 1 997) Pierre Uvy Collective intelligence

Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

(Reading MA Perseus Books 1998)

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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NetzWerke 1 23

gen Netzwerken in denen Verbindungen - Kanten - mehr oder weniger

gleichmaumlszligig verteilt waren Aber in vielen wenn nicht den meisten realen

Netzwerken verfUgen einige Punkte - sogenannte hubs - uumlber sehr viel

mehr Verbindungen als die meisten anderen In sozialen Netzwerken sind

einige Menschen populaumlrer als andere in oumlkonomischen Netzwerken zieshy

hen einige Firmen sehr viel mehr Kunden an in sexuellen Netzwerken hashy

ben manche mehr Partner als andere in allen natuumlrlichen Sprachen werden

einige Worte sehr viel haumlufiger benutzt als andere in Straszligen- Schienenshy

oder Flugnetzen haben einige Knotenpunkte (Autobahnkreuze Bahnhoumlfe

Flughaumlfen) erheblich mehr Verkehr zu bewaumlltigen als andere usf

Drittens unterschied die Zufallsgraphentheorie nicht die Qualitaumlt von Knoshy

tenpunkten im Gegenteil sie nahm an dass alle Knoten gleich geschaffen

seien denn das war ja die Vorbedingung ftir die Annahme beliebiger Vershy

bindungen Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir jedoch dass Vernetshy

zung nicht beliebig geschieht sondern individuellen und kollektiven Vorshy

lieben und Interessen folgt Im Alltag jedenfalls befreunden wir uns nicht

mit irgendjemandem wir kaufen nicht irgendetwas wir rufen nicht eine

beliebige Telefonnummer an usf Vor allem soziale Netzwerke charakterishy

siert vielmehr clusteiing eine interessengesteuerte Haumlufung oder Grupshy

penbildung

Insgesamt erfasste die Zufallsgraphentheorie allenfalls eine Minderheit realer

Vernetzungen Zwar sollte es nahezu dreiszligig Jahre dauern bis diese Maumlngel

gaumlnzlich erkannt und schlieszliglich in der Forschung uumlberwunden wurden Doch

bereits in den 1 960er und 1 970er Jahren weckte die mathematische Theorie

arbitraumlrer Vernetzung - die Annahme dass unsere kulturellen Netzwerke zushy

fallige Strukturen haben - intellektuellen Widerstand anderer Disziplinen insshy

besondere der Philosophie der Psychologie der Soziologie und der aufkomshy

menden Medientheorie Gemeinsam war diesen verschiedenen Ansaumltzen dass

sie als geordnete Komplexitaumlt zu verstehen suchten was auf den ersten Blick

als reine Beliebigkeit erschien Denn die Zufallsgraphentheorie lief jenen tiefshy

reichenden Sehnsuumlchten nach Sinn zuwider die Albert Einstein in seinem beshy

ruumlhmten gegen die Quantentheorie gerichteten Diktum ausdruumlckte Gott wuumlrshy

fele nicht

Besonders langfristige Folgen sollten dabei die seit den dreiszligiger Jahren

formulierten aber erst 1955 posthum veroumlffentlichten Spekulationen Teilhard

de Chardins zur Noogenese zeitigen 33 Mit ihr bezeichnete der Jesuitenpater

und Palaumlontologe die postulierte Evolution eines globalen Bewusstseins des

so genannten Globalen Gehirns das sich als Konsequenz der immer kom-

33 Pienmiddote Teilhard de Chardin Der Mensch im Kosmos (Muumlnchen Beck 1 959)

1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

Evolutionary Leap To Planetmy Consciousness (Los Angeles Boston JP Tarcher Distributed by Houghton Miffiin 1 983) Gregory Stock Metaman The Merging of

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Mankind s Emerging World in Cyberspace (New York Plenum Trade 1 997) George Dyson Darwin Among the Machines The Evolution of Gobal Intelligence

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NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

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York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

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Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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1 24 Gundolf S Freyennuth

plexeren Netzwerke von Verkehr und Kommunikation abzeichne und unseren Planeten wie er schrieb gleich einer zweiten Haut umhuumllle 34 Medientheoshyretisch wirksam wurden diese Gedanken in Marshall McLuhans Modifikation dass es sich bei der Elektrizitaumlt um die Ausweitung des menschlichen Nervenshysystems auf die materielle Welt handele und die Menschheit daher ihre Limishytierungen technisch und vor allem mittels technischer Vernetzung transzendieshyren koumlnne35 Chardins Vision des globalen Gehirns saumlkularisierte sich bei McLuhan zum globalen Dorf das sich als Effekt elektronischer Vernetzung herstelle The new electronic interdependence recreates the world in the image of a global village36 Als Konsequenz der den Globus umspannenden Netzwerke der Kommunikation schrieb McLuhan enmiddoteiche nun jede Informashytion j eden sofort 37

Wenige Jahre spaumlter gelang dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram der empirische Nachweis dass die postindustrielle Welt tatsaumlchlich ein globales Dorf das heiszligt im Vernetzungsgrad eine sogenannte kleine

Welt war Um die soziale Distanz zu messen die jeden Amerikaner voneishynander trennte ersann er ein einfaches Experiment Er schickte einer Gruppe zufaumlllig ausgewaumlhlter Menschen einen Brief der fiir eine ihnen unbekannte Person in einem anderen Bundesstaat bestimmt war Keine der angesprocheshynen Versuchspersonen erhielt die Adresse des endguumlltigen Empfaumlngers nur

seinen Namen die Stadt in der er lebte (Boston) und seinen Beruf (Boumlrsenshymakler) Die Versuchspersonen sollten nun nicht die Adresse des Mannes selbst recherchieren sondern den Brief persoumlnlichen Bekannten aushaumlndigen

von denen sie annahmen sie koumlnnten diesem Sostoner Boumlrsenmakler ein we-

34 Ibid 1 82

35 McLuhan Understanding Media The Extensions of Man

36 McLuhan The Gutenberg Galaxy 32 37 Chardins und McLuhans Versuche die industriellen Netze in ihrer Komplexitaumlt zu

begreifen ob nun als Lebens- oder Kulturformen sollten nachhaltige Spaumltfolgen zeishytigen IJ1 den achtziger und neunziger Jahren wurden sie einer neuen Generation von (Medien-)Theoretikem der es nun um das Verstaumlndnis der exponentiell wachsenden

digitalen Vemetzung und ihrer zivilisatorischen Konsequenzen ging zum epistemoshylogischen Vorbild vgl ll a Peter Russell The Global Brain Speculations on the

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nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

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NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 21: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

NetzWerke 1 25

nig naumlher stehen als sie selbst 38 Der guumlltigen Zufallsgraphentheorie zu folge haumltte es in einer B evoumllkerung von der Groumlszlige der USA zumindest einige Hunshyderttausend und im schlechtesten Falle mehrere Millionen solcher persoumlnlicher Uumlbergaben erfordert - abhaumlngig davon mit welchem Faktor man soziale Clusshyter-Bildungen einrechnete -- bis die Briefe ihren Empfaumlnger erreichten 39

Mitgrams Briefe benoumltigten jedoch dramatisch weniger Uumlbergabevorgaumlnge Das Experiment indizierte dass zwischen jedem Amerikaner durchschnittlich nur six degrees of separation liegen - dass wir also in einer sogenaMten Kleinen Welt leben

Mathematisch jedoch lieszlig sich dieses empirische Ergebnis nicht demonstshyrieren Im Rahmen der Zufallsgraphen-Theorie wuumlrde es zwar hinreichen weM jeder Erdenbewohner nur 24 andere persoumlnlich keMen wuumlrde um global eine Six-Degree-Vernetzung zu erzielen - jede der involvierten Personen jeshydoch duumlrfte keinen der anderen Beteiligten keMen Realiter aber sind soziale Netzwerke in Clustern organisiert das heiszligt viele weM nicht die meisten BeshykaMten die wir haben keMen sich auch untereinander Traumlgt man diesem Umstand Rechnung steigen im Kontext der Zufallsgraphen die TreMungsstushyfen je nach Modell auf mehrere Hunderttausend oder gar Millionen an40 Milgrams Ergebnisse indizierten insofern da sie einerseits mit einiger Zuvershylaumlssigkeit empirisch reproduzierbar waren andererseits aber der guumlltigen Netzwerk-Theorie widersprachen schlicht deren Unzulaumlnglichkeit Die Zufallsgraphentheotie vermochte die komplexen Vernetzungen der industrielshylen Realitaumlt nicht zu erklaumlren

5 Oumlffentlichkeit

Die six degrees of separation wiesen allerdings nicht nur auf die Existenz noch unerforschter Vernetzungsformen - sie widersprachen auch dem gesunshyden Menschenverstand insbesondere dem Bild von der Massenmenschheit und einem oumlffentlichen Leben das von Anonymitaumlt bestimmt zu sein schien 4 1 In der industriellen Epoche formten MasseM1edien zunehmend das Alltagsleshyben und insbesondere die politische Willensbildung seit der zweiten Haumllfte des 1 9 Jahrhunderts dmch den Aufstieg von Zeitungen und Zeitschriften die in groszliger Auflage uumlberregional und national distribuiert wmden seit der ersten Haumllfte des 20 Jahrhunderts durch Film und Radio seit der zweiten Jahrhun-

38 Stanley Milgram The Small World Problem Physiology Today 2 (1967)

39 Buchanan Nexus 38f

40 Ibid 38

4 1 Vgl mm Folgenden Yochai Benkler The Wealth ofNetworks How Social Producshy

tion Transfonns Markers and Freedom (New Haven [C01m] Yale UP Kindie Edishy

tion 2006)

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Superorganism New York Sirnon amp Schuster 1 993 Teihard de Chardin Pierre Der Mensch im Kosmos Muumlnchen Beck 1 959

Thacker Eugene Networks Swarrns Multitudes In cthe01y (2004)

lthttp wwwctheorynettext_ fileasp)pick=422gt amp lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=423gt

Waldrop Mitchell M The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution Tiwt

Made Computing Personal New York Viking 200 1

Walker Jesse Is That a Computer i n Your Pants Reason (April 2003)

NetzWerke 149

Watts Duncan J und Steven H Strogatz Collective Dynamics of Smaii-World

Networks Nature 393 (1998) 440-442

Page 22: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

1 26 Gundolf S Freyennuth

derthaumllfte durch die Allgegenwart des Fernsehens Vor allem die Rundfunkshy

medien bewirkten einen dramatischen Wandel eine Weitung der lokalen zu

nationalen und internationalen Diskursen und die sukzessive Nivell ierung der

regional und sozial geschiedenen zur nahezu klassenlosen massenmedial vershymittelten Oumlffentlichkeit An die Stelle einer Vielfalt von lokalen und regionashy

len Oumlffentlichkeiten trat eine vereinheitlichte nationale Oumlffentlichkeit in der

nur mehr wenige das Wort ergreifen konnten und der uumlberwiegenden Mehrheit

der Menschen einzig das Zuhoumlren und Zusehen blieb Dass die Oumlffentlichkeit

sich nun in Ungleichberechtigte in Sender und Empfaumlnger Fuumlhrer und Vershyfiihrte teilte diese Gewalt der industriellen Massenmedien bedeutete der

Volksempfaumlnger exemplarisch

Das Alltagsleben veraumlnderte sich damit nachhaltig Nationale Vemetzung

in GestaJt von Radio- und spaumlter Fernsehereignissen - in den USA hieszligen die groszligen Sender charakteristischerweise the Networks - uumlberlagerte und vershy

draumlngte lokale und regionale Verbindungen Angelegenheiten und Ereignisse

Diskussionen von Angesicht zu Angesicht (jace-to-face) und zwischen Gleishychen (peer-to-peer) wie sie einst Diskussionen und die Meinungsbildung in der vorindustti ellen Oumlffentlichkeit kennzeichneten wichen mediatisierten

Stellvertreterdebatten Das Programm des Fernsehens bestimmte Tagesablaumlufe

und steuerte damit aus der Feme lokale Verkehrsfluumlsse den Erfolg lokaler

Unterhaltungsangebote und auch die Themen sowohl ptivater Gespraumlche wie

der wenigen verbliebenen Debatten innerhalb lokaler Oumlffentlichkeiten Mit der

medialen Industtialisierung des oumlffentlichen Lebens verband sich so einerseits

der Vorteil einer Aufhebung der Beschraumlnkungen von Geografie und Bildung

andererseits der Nachteil einseitiger Herrschaftsfcirmigkeit Standardisierung

und damit Unpersoumlnlichkeit

Mit Blick auf den aktuellen Kulturkampf zwischen alten und neuen Medishyen und die unabgeschlossene Debatte ob und wie das Internet kontroll iert und

reguliert werden sollte scheint der Hinweis wichtig dass die Geschichte der

Massen- und vor allem der Rundfunkmedien des 20 Jahrhunderts einige hershy

ausragende Beispiele dafuumlr gibt welche Schluumlsselstellung der Anlage von

Netzwerken - ihrem technologischen wie politischen Design - zufaumlllt Besonshy

ders aufschlussreich ist die Umwandlung des Radios von einem Mittel zur Zweiwege-Kommunikation als das es zu Beginn des 20 Jahrhundetts erfunshy

den und uumlber zwei Jahrzehnte hinweg gebraucht wurde zu einem sehr viel

einfacheren Empfangsgeraumlt das zur Sendung nicht mehr faumlhig war 42 Dieser

Schritt in Verbindung mit politischen Entscheidungen zur Lizenzierung der

verfuumlgbaren Frequenzen verwandelte Radioamateure die einen oumlffentlichen

42 Vgl Martin Campbell-Kelly und William Aspray Computer A Hist01y of the Inshy

formation Machine (New York Basic Books 1 996) 233-35

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Stock Gregory Metaman The Merging of Humans and Machines into a Global

Superorganism New York Sirnon amp Schuster 1 993 Teihard de Chardin Pierre Der Mensch im Kosmos Muumlnchen Beck 1 959

Thacker Eugene Networks Swarrns Multitudes In cthe01y (2004)

lthttp wwwctheorynettext_ fileasp)pick=422gt amp lthttpwwwctheorynettext_fileasppick=423gt

Waldrop Mitchell M The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution Tiwt

Made Computing Personal New York Viking 200 1

Walker Jesse Is That a Computer i n Your Pants Reason (April 2003)

NetzWerke 149

Watts Duncan J und Steven H Strogatz Collective Dynamics of Smaii-World

Networks Nature 393 (1998) 440-442

Page 23: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

NetzWerke 1 27

Diskurs fuumlhrten in eine passive Masse von Zuhoumlrern ein massenmediales Publikum 43 Selbstverstaumlndlich haumltte analoge Radiotechnik - auf Grund schon der Knappheit natuumlrlicher Frequenzen - dauerhaft keine Debatten zwischen Millionen von Gleichen erlaubt Dennoch demonstriert die Geschichte des Rashydios die Zweischneidigkeit innovativer Vernetzungspraktiken Industrielle Technologie erfuumlllte einerseits die aufklaumlrerische Sehnsucht nach einer natioshynalen Distribution von Kunst und Inforn1ation andererseits jedoch war das nashytionale Publikum das mit diesen neuen Medien entstand nicht mehr in der Lage selbst aktiv in oumlffentliche Debatten einzugreifen What happened over the course of the twentieth century in advanced economies and to a lesser extent but still substantially around the globe schreibt Yochai Benkler is the displacement of folk culture by commercially produced mass popular culshyture44 Die Broadcast-Medien erreichten Millionen und brachten sie gleichshyzeitig zum Verstummen - eine nationale Oumlffentlichkeit vereinigt in Schweishygen

Unzufriedenheit mit der Vorherrschaft rein passiven Medienkonsums -the loss of agency imposed by [the J industrial economy45 - kam freilich schon in der zweiten Haumllfte des 20 Jahrhunderts auf Hatten am Ende der meshychanischen Epoche mehr und mehr Zeitgenossen einen Wandel des oumlffentlishychen Lebens ersehnt insbesondere eine nationale Oumlffentlichkeit so sehnten sich nun mehr und mehr Zeitgenossen nach einem weiteren Wandel einem oumlfshyfentlichen Leben an dem - wieder - moumlglichst viele Individuen sich aktiv beshyteiligen konnten Anfaumlnge dieser Sehnsucht lassen sich in den Kuumlnsten beshyobachten etwa im Avantgarde-Theater oder im Aufkommen einer Installatishyons- und Happening-Kunst deren Werke und Aktionen vom Publikum Reakshytionen und Interaktionen einforderten Bald erfasste diese Sehnsucht auch die Massenmedien selbst Die Programmgewaltigen der Fernsehsender zum Beishyspiel erkannten dass ihr Publikum nach mehr Beteiligung verlangte und entshywickelten bereits seit den sechziger Jahren Strategien um den in ihren analoshygen Netzwerken fehlenden Ruumlckkanal zu kompensieren - von der stellvertreshytenden Involvierung des Studiopublikums bis zum Einsatz des Telefons als Kruumlcke und Ersatzmedium (remedial medium) mit dessen Hilfe das heimishysche Publikum uumlber Kandidaten abstimmen oder sich sogar an Wettkaumlmpfen beteiligen konnte Innerhalb der existierenden analogen Netzwerke und Medi-

43 Vgl auch Bertolt Brecht Der Rundfunk als Kommunikationsapparat in Schriften zur Literatur und Kunst I Gesammelte Werke 18 (Frankfurt aM Suhrkamp 1967)

127-134 Hans Magnus Enzensberger Baukasten zu einer Theorie der Medien

Kursbuch no 20 (1970)

44 Benkler 77Je Wealth ofNetworks loc 4016 45 lbid loc 1857

1 28 Gundolf S Freyennuth

entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

lthttpqssstanfordedu-godfieyvonNeumannvnedvacpdfgt Claude Elwood

Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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entechniken lieszlig sich das wachsende Verlangen nach Partizipation und Intershyaktion jedoch nicht wirklich und dauerhaft befriedigen Die industrielle Kultur naumlherte sich ihren Grenzen

III Audiovisuelle Kultur im Zeitalter digitaler Vemetzung

1 Digitalisierung

Die technologischen Grundlagen digitaler Kultur wurden als Fortsetzung des neuzeitlichen Prozesses steter Mathematisienmg um die Mitte des vergangeshynen Jahrhunderts gelegt als Johann von Neumann 1 945 die Virtualisierung der Werkzeuge und Maschinen konzipierte (Programme) und Claude Elwood Shannon 1 948 die Virtualisierung der Materialien der Speichermedien und ihshyrer Gehalte (Dateien) 46 Theoretisch war damit die Trennung von Hard- und Software geleistet- die adaumlquate Uumlbertragung analoger Werte und Funktionen in digitale Daten - wenn auch noch mehrere Jahrzehnte vergehen mussten bis diese theoretischen Konzepte sich technisch realisieren lieszligen und digitale Technologie so leistungsstark und bedienungsfreundlich wurde dass sie in den Alltag eindringen und ihn umfonnen konnte Dann jedoch tmten zunehmend Software und deren AJgorithrnisierung funktional an die Stelle industrieller Hardware-AJgorithrnisierung so dass sich weite Bereiche von Produktion und Kommunikation virtualisierten47 Zum dritten Mal in der westlichen Neuzeit initiierte die Durchsetzung innovativer Technologie das Entstehen und den Aufstieg einer neuen Klasse in deren Haumlnden Entwicklung und oumlkonomische Nutzung dieser neuen technischen Mittel lagen Hard- und SoftwareshyIngenieWe IT -Unternehmer und Risikokapitalgeber Programmierer System-

46 John von Neumann First Draft of a Report on the EDV AC ( 1945)

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Shannon A Mathematical Theory of Communication The Bell System Technical Journal Vol 27 no Juli I Oktober (1948) - Meine Darstellung des Prozesses der Industrialisierung und seiner kulturellen Konsequenzen folgt Janet Abbate lnventing the fntemet (Cambridge Mass MIT Press 1999) Campbell-Kelly und

Aspray Computer Manuel Castells The Rise of the Network Society (Maiden MA

Blackwell Publishers 2000) Freyermuth Cinema Revisited Michael Friedewald Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers (Berlin GNT-Verlag 1999) Levinson The Soft Edge Joel N Shurkin Engines ofthe Mind The Evolution ofthe Computer fiom Mainfiames to Microprocessors (New York Norton 1996) M Mitchell Waldrop The Dream Machine J C Lieklider and the Revolution That Made Computing Personal (New

York Viking 200 1 ) 47 Virtualisierung bezeichnet hier schlicht wie generell technisch - etwa in den Wenshy

dungen virtual memo1y virtual drive virtual reality virtual machine virtual server - die funktional guumlltige Ersetzung von Hard- durch Software

NetzWerke 129

administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

48 Peter F Drucker Post-Capilalist Society (New York NY HarperBusiness 1993 ) 6 49 Robert B Reich The Work of Nations Preparing Ourselves for 21 st-century

Capitalism (New York AA Knopf 1991 ) 1 8 1 5 0 Arthur Kroker und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

Class CultureTexts (New York St Marrins Press 1994) 15

51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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administratoren und Webmaster Netzwerk- und Satellitentechniker Spezialisshyten fuumlr IT-Support und E-Cornmerce CGI-Animatoren CAD- oder Videogashyme-Designer Wissenschaftler auf neuen IT-getriebenen Fachgebieten wie z 8 Robotik Genetik oder Nanotechnologie und natuumlrlich eine neue Schicht und Sorte von Intellektuellen und Akademikern die den Prozess des epochashylen Uumlbergangs von der industriellen zur digitalen Zivilisation analysieren beshygleiten befoumlrdern

Fuumlr diese neue mit der Digitalisierung entstehende Klasse praumlgte Peter F Drucker den Terminus Wissensarbeiter (mowledge worker)48 Robert Reich nannte sie symbolische Analysten (symbolic analysts)49 und Arthur Kroker und Michael A Weinstein sprachen von einer virtuellen Klasse (virtual class) deren Angehoumlrige dependent for their economic support on the drive to virtualization seien 5deg Mit dem Aufstieg dieser neuen Schichten begann im letzten Viertel des 20 Jahrhunderts in den fortgeschrittenen Regionen des Plashyneten eine nachhaltige noch nicht abgeschlossene Veraumlnderung des Arbeitsshyund Alltagslebens

2 Vernetzung

Neben der Entwicklung des Computers zur universellen und persoumlnlichen Arshybeits- und Kulturmaschine bildete die Virtualisierung analoger Verfahren der Kommunikation sowie der vemetzten Produktion und Rezeption von Kunst und Unterhaltung den zweiten groszligen Entwicklungsstrang Die Fortschritte digitaler Vemetzung folgten denen lokaler Computertechnik mit einem gewisshysen zeitlichen Abstand aber in weitgehender struktureller Uumlbereinstimmung Die Basisinnovation digitaler Kornmunikation gelang dabei in Parallele zur Etablierung allgemeiner Betriebssysteme bereits waumlhrend der sechziger Jahre mit der Konzeption des packet switching Es ersetzte circuit switching die Hardwareschaltung durch Softwaresteuerung 5 1 Seit 1 969 in der Praxis ershyprobt bildet das Verfahren heute die infrastrukturelle Basis aller digitalen Kornmunikation in Schrift Wort und Bild 52

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51 Zum Verfahren vgl einfuhrend Gundolf S Freyermuth Kommunikette 20 (Hannoshy

ver Heise 2002) 55ff 52 Es steuert die Kommunikation sowohl innerhalb der unzaumlhligen Ethemet- oder

WiFi-LANs (Local Area Nerworks) in Institutionen und Geschaumlften in Privatwohshynungen oder an oumlffentlichen Orten wie den Daten- und Sprachverkehr der Nationen

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 26: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

1 30 Gundolf S Freyennuth

Wie jede Virtualisierung beseitigt dabei auch die der Hardware-Schaltung

analogen Mangel Waumlhrend geschaltete Leitungen um die Distanz zwischen

Punkt A und Punkt B zu eliminieren fuumlr al le anderen Kommuni kationsakte

geschlossen sein muumlssen erfordert Software-Schaltung keine exklusiven Leishy

tungen Ganz im Gegenteil ist die Offenheit der Leitungen eine Grundvorausshy

setzung fuumlr ihr Funktionieren Statt also den Raum - die physische Distanz

zwischen Punkt A und Punkt B -- einfach zu eliminieren erschlieszligt digitale

Vemetzung zwischen Punkt A und B einen neuen Kommunikations- und

Handlungsraum in dem es sich mit anderen und auch mit Software interagieshy

ren laumlsst vom Online-Banking bis zum Online-Gaming Zudem koumlnnen digishy

tale Netzwerke der Kommunikation da packet switching per definitionem

transmedial operiert zugleich auch als Netzwerke des Transports fuumlr jedwede

virtualisierten - also Software gewordenen - Medien Guumlter und Dienstleisshy

tungen dienen In dieser Hinsicht hat sich der Kreis seit der mechanischen

Epoche gewissermaszligen geschlossen von der vorindustriellen Einheit von

Transport und Kommunikation uumlber die industrielle Trennung von Transport

und Kommunikation zu einer neuen digitalen Einheit von Transport und

Kommunikation

Im Vergleich zu mechanischer und industrieller Vemetzung koumlnnen wir

daher diese neuen digitalen Praktiken der Vemetzung die interaktive und

transmediale P2P-Kommunikation ebenso e1moumlglichen wie die globale Onshy

Demand-Distribution - virtualisierter - Waren und Dienstleistungen Vernetshy

zung 3 0 nennen

Ihr zentrales Prinzip ist Virtualisierung das heiszligt die Konvertierung von

Hardware-basierten Praxen und Hardware-Artefakten in Software-Proshy

gramme und Software-Dateien und ihre wichtigste Technik im Hinblick auf

Kommunikation und Transport ist virtuelle Verraumlumlichung die Transformashy

tion der Distanz die zwischen kommunizierenden Parteien liegt - zwischen

den Nutzern - in einen virtuellen Handlungsraum_

und Kontinente umspannenden WAIIs ( Wide Area Networks) nicht mehr nur des Internet sondern auch des General Packet Radio Service (GPRS) des Universal

Mobile Telecommunications System (UMTS) w1d zunehmend der Festnetztelefonie mittels Voice over Internet Protocol (YoP) Im Fruumlhj ahr 2004 etwa kuumlndigte als erster globaler Telefonkonzern MCJ an bis Ende 2005 al le Uumlbertragungen digital abwickeln zu wollen Konzernchef Michael Capellas zuvor bei den Computerhershystellern Compaq und HP bemerkte Voice data music - they have all been digitized and people want to access this content But its really just packets on a network And on an IP network packets all Iook the same Zitiert nach Marguerite Reardon Capeilas Net telephony is the Future CNET Newscom I I Mai 2004 lthttpnewscomcont2 00-73 52-521 044 7 htmlgt

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

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2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

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3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

Literatur

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Page 27: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

NetzWerke 1 3 1

B islang lassen sich fuumlnf Phasen digitaler Yernetzung unterscheiden Die Zeit der wissenschaftlichen Experimente groumlszligtenteils finanziert im Kontext des militaumlrisch-industriellen Komplexes reichte von den spaumlten vierziger Jahshyren bis in die spaumlten sechziger Jahre und endete 1969 mit der Inbetriebnahme des Arpanets Die sich anschlieszligende Pionierphase in der sich eine Vielzahl inkompatibler proprietaumlrer Netze - primaumlr in den USA - ausbreitete fuumlhrte Anfang der achtziger Jahre mit der Eroumlffnung des lntemets zur Loumlsung des internetworking-Problems Die damit einsetzende Standardisierung Populashyrisierung und auch Internationalisierung digitaler Vernetzung muumlndete ein Jahrzehnt spaumlter mit dem World Wide Web in die zentrale Wende zum graphishyschen User Interface und damit in die Griindeahre digitaler Yernetzung Um die Mitte der neunziger Jahre als erst 38 Millionen Menschen weltweit einen Internetzugang besaszligen entstanden die Zentren des so genalmten Web 1 0 etwa Amazon ( 1 994) Yahoo ( 1995) eBay ( 1995) Damals waren weltweit nur 600 Websites zu besuchen zwei J ahre spaumlter sollten es bereits uumlber 1 00 000 sein 1 996 500 000 1997 eine Million 53 Die Jahre um 1 995 markieren daher den Uumlbergang von primaumlr analoger Kommunikation zu digitaler das heiszligt die kulturelle Durchsetzung digitaler Kommunikation wie digitaler Kunst und Unshyterhaltung 54 Gepraumlgt - und technologisch begrenzt middot middot wurde diese Phase allershydings dadurch dass der Zugang modembasiert - also schmalbandig - und nashyhezu ausschlieszliglich stationaumlr geschah Insbesondere der kategorial transmediashyle Charakter digitaler Yernetzung kam so kaum schon zum Tragen Im WWW dominierten Texte und einfache Illustrationen

Die Wende brachte dann um 2000 die zunehmende Popularisierung statishyonaumlrer dann auch mobiler Breitbandvernetzung Die Zahl der stationaumlren Breitbandverbindungen erhoumlhte sich allein zwischen 2003 und 2004 weltweit um 55 Prozent55 Die Phase des Uumlbergangs zum so genannten Web 20 das sich durch transmediale Nutzerbeteiligung auszeichnet markieren die Populashyrisierung von Napster und aumlhnlichen Tauschboumlrsen (seit 1 999) also die

53 V gl JIatthew Gray Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Intershy

net seit 1996 lthttp wwwmitedupeoplemkgraynetprintablegt - Die Zahl der Seiten die 1997 auf diesen Sites zwn bruf bereit standen belief sich auf rund 320

vWlionen (XIilliam Glanz Fast-Growing Web Holcis More Than 1 Billion Pages The IVashi11gton Times 23 Januar 2000)

54 Alfred D Chandler etwa datiert den Anbruch des Elecnmiddotonic Centwy gerade hinshysichtlich der resulting transfonnation of commun ications auf das Jahr 1996 V gl Alfred Dupont Chandler Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht lnventing the Electronic Century The Epic St01y ofthe Consumer Electronics and Computer lndustries (New York Free Press 2001 ) 174

55 Robyn Greenspan Global Broadband Tops 123M clickzcom 1 7 September 2004 ltwwwcl ickzcomsta tsmarketsbroadbandartic le php3409671 gt

1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

der Praxis erprobt wurde das Verfahren daher erst in den siebziger Jahren (Vgl

Louis Galambos und Eric John Abrahamson Anytime Anywhere Entrepreneurship

and rhe Creation of a Wireless World (Cambridge UK New York Cambridge UP

2002) 3 1 f ) Die dabei mittels digitaler Hard- und Software gelingende Virtualishysierung des Raums - die Ersetzung analoger Rmuneinheit durch digital konstmierte cells - hob den alle Demokratisierung des Funkverkehrs bis dahin verhindernden

Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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1 32 Gundolf S Freyermuth

Virtualisierung und Dezentralisierung der Distribution auditiver Werke und die Anfaumlnge von YouTube (2005) also die Virtualisierung und Dezentralisieshyrung der Distribution audiovisueller Werke Parallel dazu entwickelten sich mit Wikipedia (200 1 ) MySpace (2003) Facebook (2004) WardPress (2005)

Twitter (2006) und Tumblr (2007) die neuen Zentren des so genannten Web 20 des Social Web das wesentlich auf Nutzerbeteiligung geteilten Informashytionen und virtueller Kollaboration beruht Zentral fiir deren Aufstieg war die Durchsetzung mobiler Breitbandvemetzung im Verein mit der Popularisierung so genannter Smartphones und Pads insbesondere des iPhone (2007) und des iPad (20 10) 56

Nicht anders als einst die Bruumlcke wurde der mit digitaler Vemetzung ershyschaffene virtuelle Kommunikations- und Handlungsraum von den Zeitgenosshysen denn auch als mythisch wahrgenommen - als Cyberspace wie ihn Wilshyliam Gibson taufte 57 als ein teils utopischer teils dystopischer Un-Ort der Freiheit und Vergnuumlgen versprach gleichzeitig aber mit Verfiihrung und Vershysklavung drohte 58 Die Online-Welt bot so eine neue frontier eine offene Grenze hinter der sich ein geheimnisumwittertes Parallelreich auftat das einer

56 Neben dem packet switching bi ldet cellular technoogy die Basis mobiler Breitshy

bandvemetzung Entwickelt wurde das theoretische Konzept einer Parzeliierung des

Rawns bereits waumlhrend der 1940er Jahre durch D H Ring in den Bell Labs Zushy

naumlchst fehlte es jedoch an geeigneter Steuertechnik wie staatl icher Genehmigung In

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Frequenzmangel auf und schuf so die Basis jener dramatischen Verbi l l igw1g und Popularisierung der Mobilkommunikation zu der es seit den neunziger Jahren in der

Telefonie und seit Mitte der Nullerj ahre im mobilen Datenverkehr kam 57 Sein Roman Neuromancer ( 1 984) begreift das Reich digitaler Daten das sich mit

von Neumann w1d Shannon eroumlffuete hatte nicht mehr als kuumlhlen 2D-Textraum als endlose Reihe kryptischer Datenzeilen die menetekelgleich auf monochromen Bildshy

schinnen aufflackern Gibsen inszeniert Virtuelles vielmehr darin der Entwicklung

zum grafischen Interface entsprechend hyperrealistisch als 3D-Cyberspace a ls Ort an dem das Vittuelle erschien als consensual hallucination in der die

Entkoumlrperlichung und Vergeistigung die aus der imaginierten ND-Konversion reshysultierte sieht- und greifbar wurde als Wiedergeburt also der Atome in Bits Utopos

der Cyberpunk-Literatm wurde mit Neuromancer die Matrix und das Menschenshy

zum Datenbild Will iam Gibson Neuromancer (New York Ace Books 1 984)

58 Siehe z 8 Filme wie Steven Lisbergers Tran (1 982) oder die Matrix-Trilogie ( 1 999 2003) der Wachowski-Bruder Vgl auch den (ent-)sprechenden Titel der

Aufsatzsammlung Stefan Muumlnker und Alexander Roesler Hg Mythos Internet

(Frankfurt aM Suhrkamp 1 997)

NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

Tenmiddotorism (Brooklyn NY Autonomedia 1 991 ) lthttpwwwhermeticcombey

taz conthtmlgt

60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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NetzWerke 1 33

sinnlichen Wahrnelunung die sich an analogen Artefakten geschult hatte zushynaumlchst fremd und verschlossen schien Auffaumlllig ist dabei der Zusammenhang zwischen der Popularisierung digitaler Vemetzung den theoretischen Diskurshysen die sie begleiteten und der parallelen Science-Fiction-Bluumlte in Literatur und Film insbesondere der Cyberpunk-Literatur Nachvollziehen laumlsst er sich beispielhaft anhand der zahlreichen utopischen Manifeste die im letzten Jahrshyzehnt des 20 Jahrhunderts verfasst wurden etwa T A Z The Tempormy

Autonomaus Zone (1 99 1 )59 Cyberspace amp the American Dream A Magna

Carta for the Knowledge Age ( 1 994)60 The Extropian Principles ( 1995)61

oder A Declaration of the Independence of Cyberspace ( 1996) 62

3 Audiovisualitaumlt

Wie dem Prozess der Mechanisierung die Ausbildung der lllusionsbuumlhne als Medium und der Aufstieg des Dramas als Darstellungsform korrelierte und dem Prozess der Industrialisierung die Ausbildung des Kinos und der Aufstieg des Spielfilms so entwickelt sich nun beim Uumlbergang von der industtiellen zur digitalen Kultur zum dritten Mal in der Neuzeit parallel zu neuen Arbeits- und Lebensweisen auch medientechnologisch eine neue Audiovisualitaumlt Dem Prinzip nach ersetzt sie die - beim Theater echtzeitige beim Film vorgaumlngige - Manipulation von Hardware durch echtzeitige Manipulation von Software Dabei tritt zum einen den existierenden beiden Varianten realistischer Darstelshylung dem nicht-indexikalischen malerischen Realismus und dem indexishykalischen Fotorealismus eine dritte Variante zur Seite ein hybrider Hyperreashylismus dessen digital erzeugten Audiovisionen eine fotorealistische Anmushytung vennitteln ohne jedoch noch reale Lichtspuren fixieren zu muumlssen und der insofern auch seine nicht-indexikalischen Bild- und Tonelemente mit indexikalischen zu montieren vermag Da hyperTealistische Bild- und Tonwelshyten sich dem technologischen Prinzip nach in Echtzeit generieren lassen ershyoumlffnete sich zum zweiten mit der medialen Digitalisierung ein Potential zu multil inearen und auch non-linearen das heiszligt prozedural generierten Erzaumlhlshyfonnen die anstelle rein passiver Rezeption interaktive Nutzung einfordern und dafuumlr zunehmend natuumlrliche Interfaces wie Touch- Gesten- und Sprachsteuerung zur Verfuumlgung stellen Zu Beginn des 2 1 Jahrhunderts ent-

59 Bey Hakim TAZ The Tempormy Autonomaus Zone Ontoogical Anarchy Poetic

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60 Esther Dyson et al Cyberspace and the American Dream A Magna Carta for the Know1edge Age (The Progress amp Freedom Foundation 1 994)

6 1 Max More The Extropian Principles v 26 (Extropy Institute 1 995) 62 John Perry Bar1ow - Declararion of the lndependence of Cyberspace (1 996)

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

Schools in the Digital Revolution Hg Ildiko Enyedi (Budapest University of Theatre and Film Art 20 1 2) 2 1 -39

64 V gl Kevin Kelly Window on the World (In N 13 of the Brightest Tech lvlinds

Sound Off on the Rise of the Tablet) Wired no April (2010)

lthttp wwwwiredcom magazine201 003 ff_tablet_essays all 1 gt 6 5 Thomas Elsaesser Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder in Bildweite Visualitaumlt in der digitalen

kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 30: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

1 34 Gundolf S Freyennuth

steht so ein digitales Mediendispositiv das sich kategorial von den bekannten

Varianten analoger - mechanischer und industrieller - Medialitaumlt unterscheishy

det

Sein Zentrum bilden neben dem digitalen Film dem sie aumlsthetisch wie

oumlkonomisch Konkurrenz machen digitale Spiele Anders als im Kino sind die

aumlsthetischen Erfahrungen die Games vermitteln freilich nicht mehr

tayloristisch vorproduziert und endmontiert sondern werden in Echtzeit und

virtueller Sequentialitaumlt realisiert 63 Spieler erkunden audiovisuelle Welten und

Narrationen vergleichsweise selbstaumlndig interagieren mit Elementen der Fikshy

tionen und auch anderen Spielern und werden so vom passiven Publikum zu

Mit-Erzaumlhlern der erlebten - erfahrenen erlaufenen erkaumlmpften - audiovisushy

el len Geschichten Diese Interaktion die Basis allen SpieJens ist reagiert auf

den Wandel des B ildes in der digitalen Kultur und befoumlrdert ihn zugleich Als

wohl einer der ersten sprach Kevin Kelly davon dass B ildschinne und ihre Inshy

halte die Bilder zu Portalen wuumlrden 64 Thomas Eisaesser hat diesen Wanshy

del in der Auffassung und dem Gebrauch perspektivischer Bilder konkretisiert

als Weg von Albertis Fenster durch das wir passiv auf die Welt drauszligen - dashy

hinter - schauen zum Portal das uns Eingang in die Bil dwelten nehmen laumlsst

oder zumindest interaktive Einflussnahme auf die mehr oder minder hyperreashy

listisch praumlsentierten Virtualitaumlten ennoumlglicht Bilder auf einem Computershy

bildschirm also nicht (als] etwas auf das man blickt sondern etwas worauf

man klickt 65

Die damit in audiovisuellen Spielen verbundene Manipulation von Raum

und Zeit geschieht im Gegensatz zu den aumllteren Hardware-basierten audiovishy

suellen Medien Buumlhne Film und Fernsehen uumlber Software-Funktionen Als

Resultat von Mathematisierung des adaumlquaten Transfers analoger Qualitaumlten

und Funktionen in mathematische Werte und Algorithmen lassen sie sich arshy

bitraumlr gestalten und koumlnnen daher uumlber eine Vielfalt von Interfaces auf houmlchst

unterschiedliche Weise konstantes Feedback zwischen audiovisuellen Gehalshy

ten und ihren Nutzern und ebenfalls zwischen verschiedenen Nutzern organi-

63 Vgl Gundolf S Freyennuth Movies and Garnes Audiovisual Storytelling in the Digital Age in New Skills for New Jobs I New Skils for Old Jobs Film and Media

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kledimkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto (Bielefeld transcript 201 3) 25-67 Hier 54

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

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69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

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NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 31: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

NetzWerke 1 35

sieren 66 Die aumlsthetische Bedeutung mag im direkten Vergleich mit den Medishy

entechnologien der aumllteren AV-Mectien deutlich werden Waumlhrend das Theater

Distanzen in Raum und Zeit uumlberbruumlckt und Film wie Fernsehen sie per Schalshy

tung bzw Schnitt und Montage eliminieren dabei jedoch eine neue RaunlZeitshy

Distanz zwischen den aufgezeichneten Fiktionen und ihren Live-Rezipienten

kreiert nutzen digitale Spiele als virtuel len Handlungsraum das interaktive

Reich der Daten das sich zwischen den audiovisuellen Software-Gehalten und

ihren Nutzern auftut und urspruumlnglich fur Kommunikation und virtuellen

Transport geschaffen wurde Daraus resultiert ein doppelter aumlsthetischer Efshy

fekt eine Virtualisierung von Raum und Zeit sowie eine Verraumlumlichung und

Verzeitlichung von Virtualitaumlt

Im Gegensatz zu Spielfi lmen die von realisierten Handlungen in fiktiven

Welten erzaumlhlen bieten Spiele - wie schon Hans-Georg Gadamer mit Blick

auf analoge ie nicht-audiovisuelle Spiele analysierte - fiktive regelbestimmte

Welten fur moumlgliches Handeln67 Digital etmaumlchtigt eroumlffnen sie in Tom

Chatfields Worten a p01tal to a new destination in human experience a space

where people could interact in real time within an entirely simulated environshy

ment - as if a work of fiction had suddenly become real68 Nonlineare

Audiovisionen kennzeichnet insofem dass der Ablauf ihrer Narrationen nicht

exakt vorgegeben ist sondern erst vom Nutzer in Interaktion mit dem struktushy

rellen Potential eines fiktiven Erzaumlhlraums realisiert wird Das aumlsthetische Ershy

lebnis ist idealiter nicht gesetzt sondem emergiert innerhalb des inhaumlrenten

Spannungsverhaumlltnisses von Narration und Interaktion Genauer Aus der Fushy

sion der - programmierten und designten - narrativen Qualitaumlten fluider Softshy

ware-Welten und der Vielzahl individueller Vorlieben und Entscheidungen

Reaktionen und Interaktionen der Nutzer formen sich im virtuellen Rau11Zeitshy

Dazwischen - Medium - die distinkten aumlsthetischen Erfahrungen multi- oder

nonlinearer Audiovisionen

66 Im digitalen Film bleibt diese lnteraktions-Funktionalitaumlt arbitraumlrer weil nicht dem

Zeitpfeil unterliegender Manipulation seinen Schoumlpfern vorbehalten im digitalen Spiel wird sie uumlber entsprechende Interfaces den Nutzern zumindest partiell zugaumlngshy

lich gemacht

67 Hans-Georg Gadamer Die Akt11alitaumlt des SdJoumllen Vmst als Spiel Symbol und Fest Asthelik und Poetik I IVmsl als A11ssage Gesammelte IV erke Bd 9 (Tuumlbingen Mohr 1985)

68 Tom Chatfield Fu11 lnc lfID Games are the TlVen(y-First Cmttttfs Most Serious Business (London Virgin Kindle Edition 2010) Loc 321 -23

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 32: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

1 36 Gundolf S Freyermuth

4 Netzwerktheorie

Die Geschwindigkeit und das Ausmaszlig des exponentiellen Wachstums digitashyler Netzwerke und ihrer Nutzung zu dem es kam seit Mitte der neunziger Jahshyre die Durchschnittsbuumlrger der entwickelten Welt das World Wide Web zu

entdecken begannen erschien nicht nur den mei sten Zeitgenossen unfassbar Das unkontroll ierte und scheinbar beliebige Wuchern des WWW blieb zushynaumlchst auch denen unverstaumlndlich die sich wissenschaftlich mit dem Studium und der Erforschung von Vernetzung beschaumlftigten Nahezu drei Jahrzehnte nachdem Stanley Milgram mit seinem Experiment die Zufallsgraphentheorie in Frage gestellt hatte lieszlig sich das - scheinbar der AJ tagserfahrung widershysprechende - Resultat der six degrees of separation dass also jeder jeden

uumlber sechs Ecken kennt immer noch nicht mathematisch erklaumlren Obendrein hatte nur ein paar Jahre nach Milgrams Experiment eine weitere Studie die Kluft zwischen empuumlischer und theoretischer Erkenntnis noch vergroumlszligert Bei dem Versuch zu ermitteln welche Verbindungen das Leben in sozialen Geshymeinschaften am nachhaltigsten formten hatte der Soziologe Mark Granevetter Anfang der siebziger Jahre empirisch erhoben auf welchem Weshy

ge Menschen eine neue Anstellung finden 69 Dabei entdeckte er dass der Ershyfolg sich meist nicht durch die Hilfe von Freunden und Familienangehoumlrigen einstellte (close ties) sondern durch die Vermittlung entfernter Bekannter (weak ties) und vor allem durch Menschen die Granevetter bezeichnendershyweise bridges nannte Individuen die Bruumlcken zwischen sozialen Gruppen schlugen die normalerweise wenig Kontakt miteinander hatten Diese schwaumlshycheren sozialen Bindungen erwiesen ihre Staumlrke darin dass sie einen Ausshybruch aus den alltaumlglichen lokal und sozial limitierten Vemetzungen erlaubshyten

FiG 3 Die Staumlrke schwashy

cher YerbindWlgen

69 Mark Granovetter The Strength of Weak Ti es American Journal of Sociology 78

( 1973)

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 33: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

NetzWerke 1 37

In Granevetters Erhebungen kuumlndigte sich eine Erklaumlrung fiir die von Mitgram beobachtete Kleine- Welt-Vemetzung an Deren Raumltsel jedoch sollte noch uumlber ein Vierteljahrhundert ungeloumlst bleiben Erst die spektakulaumlre Durchsetshyzung digitaler Vemetzung im Laufe der neunziger Jahre insbesondere das exshyponentielle Wachstum von Internet und WWW aber auch die Popularisierung digitaler Mobilfunknetze und des GPS-Systems lieszlig die Erforschung von Netzwerken in Kultur- wie Naturwissenschaften eine neue Richtung gewinshynen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es schlieszliglich - wesentlich mit Mitteln digitaler Messung und Simulation sowie orientiert an allmaumlhlich ershykennbaren Mustern digitaler Vemetzung middot entscheidende Maumlngel der an inshydustriellen Netzen orientierten Theorie zu uumlberwinden

Im ersten Durchbruch konnte die von Milgram und Granevetter beobachshytete Naumlhe sozialer Vemetzung in die Zufallsgraphentheorie integriert werden Indem sie regulaumlre Zufallsgraphen durch zufaumlllige gesetzte weak ties ergaumlnzshyten das heiszligt durch Ausreiszliger-Verbindungen und damit Abkuumlrzungen in

andere soziale Gruppen und Lebenswelten konstruierten Duncan J Watts und Steven H Strogatz Ende der neunziger Jahre das (Computer-)Modell eines mittleren Netzwerks das regelmaumlszligige Cluster-Vemetzung durch einige weshynige zusaumltzl iche arbitraumlre Verbindungen -random weak links - spickte 70 Zu ihrer eigenen Uumlberraschung zeigte sich dass bereits wenige beliebig gesetzte Extra-Links die das soziale Clustering kaum reduzierten die Separation der Knoten dramatisch verringerten - auf die empirisch indizierten six degrees of separation Im Falle der sechs Milliarden Knoten der Weltbevoumllkerung muumlsshysen nach Strogatz I Watts Modell auf 10 000 regulaumlre Verbindungen nur drei Zufallslinks konunen um Mitgrams Werte zu bestaumltigen7 1 Das KleineshyWelt-Raumltsel schien wie Mark Buchanan schreibt nach drei Jahrzehnten geshyloumlst

We find here an explanation not only for why the world is small but also for why we are continually surprised by it After al l the long-

70 Duncan J Watts und Steven H Strogatz Col lective Dynamics of Smaii-World Networks Nature 393 ( 1 998)

7 1 Eine empirische Bestaumltigung des Computermodells lieferte z B juumlngst eine Untershysuchung die Facebook in Zusammenarbeit mit der Universitaumlt von Mailand durchshyfuumlhrte In our studies performed earlier this year we examined all 72 1 million acshy

live Facebook users (more than 1 0 of the global population) with 69 billion friendships among them To date these are the largest social network studies ever

released Das Ergebnis The study found that while 996 percent of all pairs of people on Facebook are connected by five degrees of separation (six hops) 92 percent are connected by only four degrees (five hops) (Lars Backstrom Anatomy of Facebook Facebook (20 1 1 ) lthttpwwwfacebookcomnotes facebook-data-teamanatomy-of-facebook1 0 1 503885 1 9243859gt)

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 34: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

1 38 Gundolf S Freyennuth

distance social shortcuts that make the world small are mostly invishysible in our ordinary social lives We can only see as far as those to

whom we are directly linked - by strong or weak ties alike We do

not know all the people our friends know Iet alone the friends and acquaintances ofthose people Jt stands to reason that the shottcuts of

the social world lie mostly beyond our vision and only come into our vision when we stumble over their start ling consequences 72

Nachdem Strogatz und Watts 1 998 ihre Entdeckung veroumlffentlichten setzte

eine Flut weiterer Forschungen ein Binnen weniger Monate konnte nachgeshy

wiesen werden dass die Theorie mittlerer Netzwerke in ihrer Kombination reshy

gelmaumlszligiger mit wenigen zufaumlll igen Verbindungen eine Vielzahl realer Netze

und Vemetzungseffekte mathematisch erfasste von den meisten landgebunshy

denen Verkehrsnetzen uumlber das (amerikanische) Stromnetz bis zu den neuroshy

nalen Netzwerken des menschlichen Gehirns Doch ebenso schnell wurde

deutlich dass nun zwar die Loumlsung eines alten Problems gefunden worden

war aber dass diese Loumlsung nur einen geringen Prozentsatz tatsaumlchlicher Vershy

netzungen zu erklaumlren vennochte

Ausgangspunkt der Einsicht war die populaumlrste Innovation digitaler Vershy

netzung das World Wide Web Als der Physiker Albert Laszlo-Barabasi und

seine Mitarbeiter Ende der neunziger Jahre mit Hilfe eines Webcrawlers die

Verbindungsdichte des WWW maszligen entsprachen die Ergebnisse die der Bot

zuruumlckbrachte weder dem klassischen Zufallsgraphenmodell noch dem vershy

besselten Model l das Strogatz und Watts vorgeschlagen hatten Denn beiden

Modellen war gemeinsam dass j eder ihrer Knoten nur uumlber eine geringe Zahl

von Verbindungen verfuumlgte Im Web besaszligen uumlber 90 Prozent aller Sites in

der Tat nur relativ wenige Verbindungen - i m Schnitt zehn Verlinkungen Eishy

nige wenige Sites jedoch hervorragend vernetzte Knotenpunkte wie Yahoo

oder CNN hatten Millionen von Verlinkungen auf sich gezogen 73 Diese erste

Chance wie Barabasi schreibt to examine the intricate anatomy of arge

complex systems die das WWW historisch eroumlffnete fuumlhrte ihn und seine

Mitarbeiter zur Konstruktion eines weiteren bahnbrechenden Netzwerkmoshy

dels74 Barabasi nannte es skaleninvariant (scale-free)

I am repeatedly asked [ ] Why did it take this long Why did we have to wait tmtil 1 999 to discover the impact of hubs and power laws on the behavior of complex networks The answer is simple

We lacked a map The few network maps available for study before

72 Buchanan Nexus 55 73 Barabasi Linked 58

74 Albert-Laszlo Barabasi und Reka Albert Emergence of Scaling in Random Netshyworks Science 286 ( 1 999)

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 35: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

NetzWerke

the late 1 990s had a few hundred nodes at most The enormous World Wide Web offered the first chance to examine the intricate anatomy of arge complex systems and established the presence of power laws 75

139

Barabasis Theorie skaleninvarianter Netzwerke bestaumltigte zwar den KleineshyWelt-Effekt - middot den geringen Trennungsgrad der Knoten - aber ihr zentrales Kennzeichen war dass die Verteilung der Verbindungen zu einzelnen Knoten Potenzgesetzen (power laws) gehorchte Sind Strogatz I Watts mittlere Kleishyne-Welt-Netzwerke egalitaumlr organisiert insofern ihre Knoten eine recht gleichmaumlszligige Zahl von Verbindungen besitzen so muten die skaleninvarianshyten Kleine-Welt-Netzwerke eher aristokratisch an Denn ihre Knoten kennen keine typische Zahl von Verbindungen Stattdessen zeichnen wenige privileshygierte Hubs oder Konnektoren um Potenzen groumlszliger als alle Konkurrenten fiir das Gros aller Verbindungen im Netzwerk verantwortlich

FtG 4 Skaleninvariantes Netzwerk

Bald entdeckten Barabasi und andere dass nicht nur Internet und W orld W ide Web dergestalt strukturiert waren Jn complex networks a scale-free structure is not the exception but the norn1 which explains its ubiquity in most real sysshytems 76 Uumlber die Maszligen privilegierte Knotenpunkte finden sich in so vershyschiedenen Netzwerken wie der AIDS-Epidemie und der englischen Sprache Krebszellen und dem Luftverkehrsnetz sozialen Beziehungen in Hollywood und der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den meisten entwickelshyten Nationen 77 Der Grund fiir die Existenz solcher super connectors

75 Barabasi Linked 227 76 fbid 90 77 Ruumlckblickend betrachtet deutete bereits Milgrams beruumlhmtes Experiment auf eine

solche Struktur hin Eines seiner seltsamen Resultate war naumlmlich dass jener Bosto-

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 36: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

1 40 GundolfS Freyennuth

schreibt Barabasi liege darin dass Netzwerke eben nicht arbitraumlr wachsen

wie man so lange annahm [T]he Network evolution is govemed by the subtle yet unforgiving law of preferential attachment gut vernetzte Knoten - popushylaumlre Websites zum Beispiel - werden also von den meisten Nutzern bevorzugt

und wachsen daher besonders schnell The rich are getting richer78

Gegen dieses Grundgesetz wurden verschiedene Einspruumlche erhoben So mussten Barabasi und Albert ihr mathematisches Modell nachbessem um zu erklaumlren warum es keineswegs so ist dass aumlltere Websites - die also bereits

reich waren bevor die neuen uumlberhaupt gegruumlndet wurden - stets mehr Vershybindungen als neue haben79 Wesentlicher wiegt aber Yochai Benklers Argushyment des historischen Fortschritts dass das Web zwar gemessen am demokrashy

tischen Ideal aristokratisch anmuten mag jedoch um ein Vielfaches egalitaumlrer ist als es die industJiellen Massenmedien waren die es wenn nicht abloumlst so doch ergaumlnzt und deren Bedeutung es reduziert In der Summe haumllt er daher

fest

The networked public sphere allows hundreds of mill ions of people

to publish whatever and whenever they please without disintegrating

into an tmusable cacophony as the ftrst-generation critics argued

and it filters and focuses attention without re-creating the highly

concentrated model of the mass media that concemed the secondshy

generation cri tique 80

ner Boumlrsenmakler die meisten Briefe von nur sehr wenigen seiner vielen Bekannten

erhielt - von sozial besonders gut vernetzten Individuen (social hubs) 78 Barabasi Linked 86 middot- In diesem Kontext gelang erstmals auch eine systematische

Einsicht in die Ftmktionsweise von Netzwerken Fuumlr skaleninvariante Netze laumlsst

sich etwa die extreme Resistenz gegen zufallige Stoumlrungen berechnen Die Wahrshyscheinlichkeit dass mehrere der privilegierten Konnektoren gleichzeitig ausfallen

ist gering Gleichzeitig aber steigt mit dem Grad der Vemetzung einzelner Hubs

auch die Anfall igkeit fiir gezielte Stoumlrung Um den Verkehr in einem skaleninvariant strukturierten Netzwerk zum Erl iegen zu bringen brauchen nur wenige privilegierter

Konnektoren ausgeschaltet zu werden

79 Lada A Adamic und Bemardo A Huberrnan Power-Law Distribution of the

World Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1

2 1 1 5fullgt 80 Benkler The Wealth ofNetworks Loc 3430

Netz Werke 1 4 1

5 Oumlffentlichkeit

Spaumltestens seit der Jahrhundertwende praumlgt digitale Vemetzung - strukturiert

einerseits durch eine Mischung aus Kleine-Welt-Qualitaumlten die P2Pshy

Kornrnunikation befoumlrdern sowie die Ausnutzung von schwachen Verbindunshy

gen andererseits durch die Dominanz von aristokratischen Superknoten -

das postindustrielle und noch nicht gaumlnzlich digitale Alltagsleben Der einst alshy

le Lebensbereiche durchdringende Einfluss der Broadcast-Medien ihrer Proshy

granunschemata wie ihrer Inhalte ist im Schwinden begriffen Die uumlberkomshy

menen analogen elektronischen Netzwerke die einen Groszligteil des 20 Jahrshy

hunderts das Alltagsleben praumlgten und in vielerlei Hinsicht fernsteuerten wershy

den durch eine neue softwaregestuumltzte Infrastruktur ersetzt die gleichermaszligen

die Virtualitaumlt verraumluml icht und den Raum virtualisiert In den 201 Oer Jahren

treiben insbesondere die Etablierung leistungsfaumlhigerer mobiler Breitbandnetshy

ze und die Popularisierung persoumlnlicher - am Koumlrper tragbarer - Kommunikashy

tionsgeraumlte den nachhaltigen Wandel Sukzessive bildet sich eine mobile die

Realitaumlt und ihre analogen Zeichen uumlberlagemde virtuelle Informationsshy

lnfrastruktur heraus Laumlngst schon lassen sich bestimmte Teile und Aspekte

des staumldtischen Alltags googeln wie Webseiten Wer sich heute im oumlffentlishy

chen Raum bewegt ohne online zu sein ist von einer Vielzahl essentieller

glokaler - lokaler wie globaler - Informationen und Unterhaltungsangebote

Kommunikations- und Interaktionsmoumlglichkeiten abgeschnitten die andere

zur Hand bzw auf dem Display haben

Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Damit veraumlndern sich die sozialen Praktiken Denn solange sich oumlffentlishy

che Infonnationsangebote analoger Technologie bedienen muumlssen sie stanshy

dardisiert sein Die analoge Beschriftung der Realitaumlt die mit der Industrialishy

sierung einsetzte - Hausnununem Straszligen- und Verkehrsschilder Plakate -

wird nun durch virtuelle Augmentierung ergaumlnzt Dabei kommen zwei komshy

plementaumlre Varianten interaktiver Datenkommunikation - menschlicher Intershy

aktion mit transmedial organisierten Daten - zum Tragen Individuen verorten

sich geografisch und erhalten in Echtzeit aus den globalen Datennetzen lokalishy

sierte Informationen vom Wetter bis zur Werbung von der Verkehrslage bis

zur Anwesenheit potenzieller Kommunikationspartner (location awareness) Erreichen laumlsst sich damit im Realrawn eine natuumlrliche Wahrnehmungsweisen

transzendierende virtuelle Praumlsenz wie sie dem Datenraum eignet Daruumlber

hinaus koumlnnen Individuen auch transmediale Informationen die der lokalen

Umwelt selbst einbeschrieben sind abrufen beziehungsweise nach persoumlnlishy

chen Praumlferenzen automatisiert empfangen von interaktiver Wegweisung uumlber

Angebote gesuchter Waren bis zu Kornmentaren und Kritiken die vorherige

Nutzer hinterlassen haben (embedded information) Howard Rheingold spricht

1 42 Gundolf S Freyennuth

deshalb von der Befaumlhigtmg materieller Objekte ihre Geschichtlichkeit zu konununizieren 8 1

Im Kontext sozialer Kommunikation setzt diese Fusion von Architektur und Stadtplanung mit dem Infodesign virtueller Strukturen und simulierter Raumlume deutlich eine Entwicklung fort die spaumltestens mit der Popularisierung von Walkman und Handy unuumlbersehbar wurde die Abwendung von den stanshydardisierten Angeboten industrieller Urbanitaumlt und Oumlffentlichkeit und Hinshywendung zur - zunaumlchst eigenstaumlndigen- Personalisierung der Infonnationen die in und von der Oumlffentlichkeit noch wahrgenommen werden Im Wechselshyspiel von Real- und Datemaum etablieren sich individuelle Unterhaltungs- Inshyfonnations- und Leitsysteme nach den Kriterien subjektiver Interessen Komshymunikativ geht damit eine historisch einmalige Augmentierung einher Sozial oder geografisch Fremde koumlrmen werm sie schon nicht zu Instant Insidern

werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Page 38: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

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werden darm doch so souveraumln Raumlume navigieren oder Angebote selektieren wie es unter analogen Bedingungen erst nach langer Recherche oder mittels eingesessener Erfahrungen moumlglich ist 82 In der Konsequenz vollzieht sich eishyne Personalisierung oumlffentlicher Kommunikation durch Lokalisierung - virtushyelle Verortung - sowie transmediale Interaktion uumlber und mit Daten

Damit veraumlndert sich der oumlffentliche Raum kategorial In der mechanishyschen Epoche ein Ort oumlffentlicher Kommunikation und in der industriellen Epoche uumlberwiegend ein Ort anonymen Verkehrs personalisiert er sich nun Auf Buumlrgersteigen im oumlffentlichen Nahverkehr oder in Cafes und Restaurants werden nunmehr Privatangelegenheiten laut und deutlich diskutiert werm auch meist mit Gegenuumlbern die physisch nicht praumlsent sind und parallel dazu werden nach persoumlnlichen Vorlieben ausgewaumlhlte Infonnations- und Unterhalshytungsangebote konsumiert wie es bis vor kurzem nur in der Privatsphaumlre der eigenen Wohnung moumlglich war Einflussreicher noch veraumlndert j edoch eine andere Qualitaumlt digitaler Vernetzung das oumlffentliche Leben dass sie nicht nur zu massenmedialer Konsumtion sondern auch zm Verbindung unter Gleishychen das heiszligt zur Peer-ta-Peer-Kommunikation ennaumlchtigte Massenmediale Stellvertreter-Partizipation weicht so virtueller- ebenso massenhafter aber inshydividueller und personalisierter- Partizipation

Sie weist zuruumlck auf jene historische Form buumlrgerlicher Oumlffentlichkeit die sich zwischen Renaissance und Autldaumlrung ausbildete um im Laufe des 1 9

und 20 Jahrhunderts in Konkurrenz zu den industriellen Massenmedien an Bedeutung zu verlieren In der digitalen Kultur deutet sich nun eine Synthese an die Verschmelzung der besonderen Qualitaumlten industriell-standardisierter Oumlffentlichkeit- massenmediale Fernkommunikation in Echtzeit und Privatheil

8 1 Vgl Jesse Walker ls That a Computer in Your Pants Reason (2003) 82 Vgl Freyermuth Kommunikette 2 0 1 28

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- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

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Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

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und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

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Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

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Buchanan ark Nexus Small Worlds and the Groundbreaking Science of Networks New York WW Norton 2002

Campbeli-Kelly Martin und Wil liam Aspray Computer A History ofthe Inj01mation Machine New York Basic Books 1 996

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2000 Chandler Alfred Dupont Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht Inventing

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Reading MA Perseus Books 1 998 Elsaesser Thomas Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder In Bildwerte Visualitaumlt in der dishy

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--- Movies and Games Audiovisual Storytel ling in the Digital Age In New Skills for New Jobs I New Skills for Old Jobs Film and Media Schools in the Digital Revolution Hg I ldiko Enyedi Budapest University of Theatre and Film Art 20 12 2 1 -39

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NetzWerke 1 47

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Dezember 20 I I

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I ) 1 956 In IEEE Global History Network (o J) lthttp

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Mai 2004

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Made Computing Personal New York Viking 200 1

Walker Jesse Is That a Computer i n Your Pants Reason (April 2003)

NetzWerke 149

Watts Duncan J und Steven H Strogatz Collective Dynamics of Smaii-World

Networks Nature 393 (1998) 440-442

Page 39: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

NetzWerke 1 43

- mit den besonderen Qual itaumlten vorindustriell-fragmentierter Oumlffentlichkeit shy

Peer-ta-Peer-Kommunikation und -Interaktion Deutlich negiert diese Entshy

wicklung die Anonymitaumlt Passivitaumlt und Konfomlitaumlt industrieller Kultur Homepages von Individuen und kleinen engagierten Gruppen die erfolgreich mit denen groszliger Firmen und Institutionen konkunmiddotieren Blogs einzelner Aushytoren die an pol itischem Einfluss etablierten Massenmedien gleichkommen Aggregationen von Nutzerberichten die in ihrer Gesamtheit laumlngst das Konshysumverhalten mehr beeinflussen als alle Rezensionen von Berufskritikern und Experten - im WWW scheint sich selbst zu organisieren was politische kuumlnstlerische und subkultureHe Opposition im und zum Industrialismus so lange vergeblich herzustellen suchte Gegen-Oumlffentlichkeit( en)

Resuumlmee

Zusammenfassend lassen sich drei Phasen der Vemetzung unterscheiden in deren Verlauf sich mechanische industrielle und digitale Verfahren und Prakshy

tiken akkumulierten In der mechanischen Epoche basiette Fernkonununikation wie die Distrishybution von Waren und Dienstleistungen gleichermaszligen auf physischem

Transport Das zentrale Prinzip mechanischer Vemetzung war Uumlberbruumlshyckung das materielle Abdecken und die physische Uumlberwindung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der industriellen Epoche erlangte der Transport von Waren und Dienstshyleistungen zunehmend Unabhaumlngigkeit von biologischer oder natuumlrlicher Energie und beschleunigte sich dadurch dramatisch Gleichzeitig separiershyten sich kommunikative Prozesse von physischem Transport Als zentrales Prinzip industrieller Vemetzung etablierte sich die Schaltung die technishysche Eliminierung des Raums der Ort A von Ort B trennt In der digitalen Epoche virtualisiert sich mediale Kommunikation wie auch ein wachsender Teil des Transports von (Kultur-)Waren und Dienstleisshy

tungen Damit kommt es auf einem houmlheren technologischen Niveau zu einer erneuten Annaumlherung von Kommunikation und Warentransport Das

zentrale Prinzip der Yemetzung ist die Virtual isierung der Distanz die Punkt A von Punkt B trennt Ein neuartiger Handlungsraum hat sich eroumlffshy

net

Jede dieser technologisch begruumlndeten Praktiken zivil isatorischer Vemetzung beeinflusst das soziale und kulturelle Leben und nicht zuletzt das audiovisuelle

Geschichtenerzaumlhlen nachhaltig Denn die kulturellen Basistechnologien deshytenninieren das spezifische mediale Potential zur Manipulation von Raum und

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

Literatur

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Ascott Roy Gesamtdatenwerk Connectivity Transformation and Transeendeuce

( 1 989) In Ars Electronica Facing the Future edited by Timothey Druckey Boston MIT Press 1 999 86-89 Reprint Online lthttpepcbuffa1oedu

584docsascotthtmlgt

Backstrom Lars Anatomy of Facebook In Facebook (20 1 1 ) Published electronically 22 November lthttpwwwfacebookcomnotesfacebook-datashyteamanatomy-of-facebook l 0 I 503885 1 9243859gt

Barabasi Albert-Laszlo Linked How Eve1ything is Connected to Everything Else and What it Means for Business Science and Everyday Life New York Plume

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86-89

1 46 Gundolf S Freyennuth

Benkler Yochai The Wealth of Networks How Social Production Transforms MarkeiS and Freedom New Haven (Conn ] Yale UP Kindie Edition 2006

Brandt Stefan L Winfried Fluck und Frank Meh1ing (Hg) REAL - Yearbook of Reshysem-eh in English and American Literaure Transcu1tural Spaces Challenges of Urbanity Ecology and the Environment in the New Millennium Vol 26 Tuumlbinshy

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Osterhammel Juumlrgen Die Verwandlung der Welt eine Geschichte des 19 Jahrlnmshy

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Poe Edgar Allan The Man ofthe Crowd 1 840 lthttpetextvirginiaeduetcbintoccershy

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Reardon Marguerite Capel las Net telephony is the Future CNET Newscom I I

Mai 2004

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Page 40: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

144 Gundolf S Freyermuth

Zeit und damit in einem hohen Maszlige die aumlsthetische Gestalt und Wirkung aushydiovisueller Narrationen

Das Theater uumlberbruumlckt Raum- und Zeitspruumlnge mit Hilfe des Vorhangs

und vermag so in einem geringen Maszlige das den Beschraumlnkungen des Allshytags in der vorindustriellen Epoche korreliert die Einheit von Ort und Zeit in seinen Live-Echtzeit-Fiktionen aufzuheben Der Film verschaltet Zwischenraumlume durch Schnitt und Montage und esshykaliert damit die Moumlglichkeit verschiedene Handlungsraumlume und Handshy

lungszeiten zu kombinieren auf eine Art und Weise die der industriellen Erfahrung der Vernichtung von Raum und Zeit entspricht Digitale Spiele nutzen den neuen virtuellen Raum den digitale Vemetzung schuf als virtuellen Handlungsraum fuumlr interaktive Echtzeit-Fiktionen

Aus dieser grundsaumltzlichen - radikalen - medientechnologischen Differenz reshysultiert der doppelte Umstand dass zum einen keins der neuzeitlichen A VshyMedien das andere zu ersetzen vermag und dass zum zweiten j edes der drei Medien zur Gestaltung bestimmter Konflikte und Konstellationen besonders befahigt ist

Die dreistufige Entwicklung neuzeitlicher Kultur vollzog auch die Netzshywerk-Theorie mit einem gewissen zeitlich Abstand nach und fuumlhrte von der Theorie regulaumlrer Graphen die sich an der analogen Vemetzung des Verkehrs

in der mechanischen Epoche bildete uumlber die Theorie der Zufallsgraphen die sich an der analogen Vemetzung der Kommunikation in der industriellen Eposhyche orientierte zur Theorie der Kleine-Welt-Netzwerke middot egalitaumlrer wie arisshy

tokratischer - die primaumlr von den digitalen Netzen der Gegenwart informiert ist jedoch die gemeinsame Struktur j eglicher Vemetzung in Natur und Kultur herauszuarbeiten sucht im Reich der Atome wie in dem der Bits Der digitale Paradigmenwechsel erlaubte dabei einen qualitativen Sprung Zu Beginn des

21 Jahrhunderts schickt sich die Theorie von den Netzwerken an die Kontinshygenz des Geschichtlichen in der j ede spezifische Vemetzung wurzelt durch

Einsicht in mathematisch-naturwissenschaftlich begruumlndete Gesetzmaumlszligigkeishyteil zu verstehen Im dialektischen Gegenzug freilich scheint es nun noumltig den common blueprint den die digitale Netzwerktheorie entwirft im Hinblick auf konkrete Vemetzungen inhaltlich zu spezifizieren und damit allererst zu

realisieren Auf aumlhnliche Art und Weise folgte die Entwicklung von Oumlffentlichkeit

den Qualitaumlten und Beschraumlnkungen zeitgenoumlssischer Vemetzung In der mechanischen Epoche stellte sich Oumlffentlichkeit lokal her sie war daher geographisch fragmentiert und in ihr herrschten Begegnungen und Auseinandersetzung von Angesicht zu Angesicht vor Mit der Durchsetzung industrieller Vemetzung und Medien stellte sich Oumlf-

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

Literatur

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Ascott Roy Gesamtdatenwerk Connectivity Transformation and Transeendeuce

( 1 989) In Ars Electronica Facing the Future edited by Timothey Druckey Boston MIT Press 1 999 86-89 Reprint Online lthttpepcbuffa1oedu

584docsascotthtmlgt

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Barabasi Albert-Laszlo Linked How Eve1ything is Connected to Everything Else and What it Means for Business Science and Everyday Life New York Plume

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86-89

1 46 Gundolf S Freyennuth

Benkler Yochai The Wealth of Networks How Social Production Transforms MarkeiS and Freedom New Haven (Conn ] Yale UP Kindie Edition 2006

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Reading MA Perseus Books 1 998 Elsaesser Thomas Die gtRuumlckkehrlt der 3D-Bilder In Bildwerte Visualitaumlt in der dishy

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transcript 20 13 25-67 Enzensberger Hans Magnus Baukasten zu einer Theorie der Medien Kursbuch Nr

20 ( 1 970) 1 59-1 86 Freyermuth Gundolf S Kommunikette 20 Hannover Heise 2002 --- Netzwerk In Grundbegriffe der Medientheorie Hg Alexander Roesler und

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--- Cinema Revisited Vor und nach dem Kino - Audiovisualitaumlt in der Neuzeit In Zulamfl Kino Hg Daniela KJoock Marburg Schuumlren 2007 1 540

--- Movies and Games Audiovisual Storytel ling in the Digital Age In New Skills for New Jobs I New Skills for Old Jobs Film and Media Schools in the Digital Revolution Hg I ldiko Enyedi Budapest University of Theatre and Film Art 20 12 2 1 -39

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and the Creation of a Wireless Word Cambridge UK New York Cambridge

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NetzWerke 1 47

Geere Duncan How the First Cable Was Laid across the Atlantic In Wired UK (20 1 1 ) lthttpwwwwiredeouknewsarchive20 1 1 -0 1 1 8transatlantic-

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Giedion Siegfried Mechanization Takes Command A Conrribution to Anonymaus Hist01y New York Norton 1969

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( 1 973) 1 360- 1 380 Gray Matthew Internet Statistics Growth and Usage of the Web and the Internet

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Greenspan Robyn Global Broadband Tops 1 23M clickzcom 1 7 September 2004 Habennas Juumlrgen Smddurwandel der Oumlffentlichkeit Untersuchungen zu einer Kateshy

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( 195 1 )

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Kerlen Dietrich Einfohnmg in die Medienkunde Sruttga1t Reclam jun 2003 Kroker Arthur und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

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derts Muumlnchen CH Beck 2009 Panofsky Erwin Renaissance and Renascences in Westem Art Harper Torchbooks

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Mai 2004

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Capitalism New York AA Knopf 1 99 1

Romano Ruggiero und Alberto Tenenti Die Grundlegung der modernen Welt Spaumltshy

mittelalter Renaissance Reformation Frankfurt aM Hamburg Fischershy

Buumlcherei 1 967

Rosnay Joel de Homo symbioticus Einblicke in das 3 Jahrtausend M uumlnchen Gershyling Akademie Verlag 1 997

Russell Peter The Global Brain Speculations on the Evolutionary Leap Ta Planetary Consciousness Los Angeles Boston J P Tarcher distributed by Houghton Miffshy

lin 1 983

Sclmitzler Arthur Reigen Zehn Dialoge geschrieben Winter 1896-97 lthttpgutenbergspiegeldebuch538 1 1 gt

Shafer Jack The Proto-Intemet of 1 704 - The Small Ways in Which Colonial Newsshy

papers Anticipated the Web Slate 26 August 2 0 1 0 Shannon Claude Elwood A Mathematical Theory of Communication The Bell Sysshy

tem TechnicaJoumal Vol 27 no JuliOktober ( 1 948) 379-423 623-656

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to Microprocessors New York Norton 1 996

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Superorganism New York Sirnon amp Schuster 1 993 Teihard de Chardin Pierre Der Mensch im Kosmos Muumlnchen Beck 1 959

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Page 41: NetzWerke: Kommunikative Vemetzung als Basis audiovisuellen Erzählens

NetzWerke 1 45

fentl ichkeit national her sie wurde daher gleichfoumlnnig und in ihr dorruniershyten medialisierte Debatten an denen nur noch wenige aktiv partizipieren konnten Gegenwaumlrtig in der Fruumlhzeit der digitalen Epoche scheint Oumlffentlichkeit sich virtuell - also softwaregestuumltzt - herzustellen sie wird daher wieder geographisch und auch sozial fragmentiert und in ihr dorrunieren zunehshymend mediatisierte P2P-Interaktionen

Ruumlckblickend auf den radikalen Wandel den das Alltagsleben in der Neuzeit und nicht zuletzt im vergangeneu Vierteljahrhundert durchmachte und ausblickend auf den Verlauf zukuumlnftiger Veraumlnderungen stellt sich mit einer gewissen Automatik die Frage wie Zeitgenossen der mechanischen oder auch nur der industriellen Epoche koumlnnten sie zeitreisen wohl den sich ausshybildenden Alltag wie auch Kunst und Unterhaltung der digitalen Kultur erfahshyren und begreifen wuumlrden Networking schrieb Roy Aseort einmal is the provenance of far-reaching connectivity and mediated accelerated and intensified by the computer it Ieads to the amplification of thought enrichment of the imagination both broader and deeper memory and the exshytension of our human senses83

Literatur

Abbate Janet Inventing the Internet Cambridge Mass MIT Press 1 999 Adamic Lada A und Bemardo A Huberman Power-Law Distribution of the World

Wide Web Science 2000 lthttpwwwsciencemagorgcontent287546 1 2 1 1 5 fullgt

Ascott Roy Gesamtdatenwerk Connectivity Transformation and Transeendeuce

( 1 989) In Ars Electronica Facing the Future edited by Timothey Druckey Boston MIT Press 1 999 86-89 Reprint Online lthttpepcbuffa1oedu

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Backstrom Lars Anatomy of Facebook In Facebook (20 1 1 ) Published electronically 22 November lthttpwwwfacebookcomnotesfacebook-datashyteamanatomy-of-facebook l 0 I 503885 1 9243859gt

Barabasi Albert-Laszlo Linked How Eve1ything is Connected to Everything Else and What it Means for Business Science and Everyday Life New York Plume

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Oktober 1999)

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86-89

1 46 Gundolf S Freyennuth

Benkler Yochai The Wealth of Networks How Social Production Transforms MarkeiS and Freedom New Haven (Conn ] Yale UP Kindie Edition 2006

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--- Movies and Games Audiovisual Storytel ling in the Digital Age In New Skills for New Jobs I New Skills for Old Jobs Film and Media Schools in the Digital Revolution Hg I ldiko Enyedi Budapest University of Theatre and Film Art 20 12 2 1 -39

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1 46 Gundolf S Freyennuth

Benkler Yochai The Wealth of Networks How Social Production Transforms MarkeiS and Freedom New Haven (Conn ] Yale UP Kindie Edition 2006

Brandt Stefan L Winfried Fluck und Frank Meh1ing (Hg) REAL - Yearbook of Reshysem-eh in English and American Literaure Transcu1tural Spaces Challenges of Urbanity Ecology and the Environment in the New Millennium Vol 26 Tuumlbinshy

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Campbeli-Kelly Martin und Wil liam Aspray Computer A History ofthe Inj01mation Machine New York Basic Books 1 996

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2000 Chandler Alfred Dupont Takashi Hikino und Andrew Von Nordenflycht Inventing

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Chatfield Tom Fun Jnc Why Games are the Twenty-First Centwy s Most Serious Bushysiness London Virgin Kindie Edition 20 1 0

Coupland Douglas Marshall McLuhan You Know Nothing of My Work New York

NY Atlas Kindie Edition 20 I 0 Drucker Peter F Post-Capitalist Society New York NY HarperBusiness 1 993 Dyson George Darwin Among the Machines The Evolution of Global Intell igence

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gitalen Medienkultur Hg Gundolf S Freyermuth und Lisa Gotto Bielefeld

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20 ( 1 970) 1 59-1 86 Freyermuth Gundolf S Kommunikette 20 Hannover Heise 2002 --- Netzwerk In Grundbegriffe der Medientheorie Hg Alexander Roesler und

Bemd Stieg]er Paderbom Wilhelm Fink 2005 200-209

--- Cinema Revisited Vor und nach dem Kino - Audiovisualitaumlt in der Neuzeit In Zulamfl Kino Hg Daniela KJoock Marburg Schuumlren 2007 1 540

--- Movies and Games Audiovisual Storytel ling in the Digital Age In New Skills for New Jobs I New Skills for Old Jobs Film and Media Schools in the Digital Revolution Hg I ldiko Enyedi Budapest University of Theatre and Film Art 20 12 2 1 -39

Friedewald Michael Der Computer als Werkzeug und Medium Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers Berlin GNT-Verlag 1 999

Gadamer Hans-Georg Die Aktualitaumlt des Schoumlnen Kunst als Spiel Symbol und Fest Asthetik und Poetik I Kunst als Aussage Gesammelte Werke Bd 9 Tuumlbingen

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Sonderausg ed Neuwied] Luchterhand 197 1 Hartrnann Frank Globale Medienkultur - Technik Geschichte Theonmiddoten Wien

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Kerlen Dietrich Einfohnmg in die Medienkunde Sruttga1t Reclam jun 2003 Kroker Arthur und Michael A Weinstein Data Trash The The01y of the Virtual

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McLuhan MarshalL The Gutenberg Galaxy The Making of Typographic Man Toron-

to U of Toronto P 1962

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Milgram Stanley The Small World Problem Physiology Today 2 ( 1 967) 60-67

Mokyr Joel The Lever of Riches Technological Creativity and Economic Progress New York Oxford UP 1990

148 Gundolf S Freyermuth

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kamp 1 997 NN How Luther Went Viral - Social Media in the 1 6th Century The Economist 1 7

Dezember 20 I I

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