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Nachhaltige Landnutzung durch vorausschauende Politik

May 14, 2023

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Page 1: Nachhaltige Landnutzung durch vorausschauende Politik

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AKTU ELL

Ökonomie undNachhal t igkei t imEu ropa-Wah lkam pf

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NEUE KONZEPTE

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Page 2: Nachhaltige Landnutzung durch vorausschauende Politik

IN HALT 2.2009

EDITORIAL

NACHRICHTEN

AKTUELLE BERICHTE

556

Soziales Unternehmertum in Deutschland

Pol i t ik + Gesel lschaf tUnternehmen + Wir tschaf tFo rschung + B i l dung

Ökonomie und Nachhaltigkeit im Europawahlkampf: Kernthema oderRandnotizl Andrea Röm mele und Natascha Zowislo-CrünewaldBewunderung trotz Zweifel: Soziales Tun im Kapitalismus Hans-lürgen ArltWeichenstellungen für eine nachhaltige StromversorgungChristian Hey und OIav HohmeyerFörderung des nachhaltigen Konsums von MitarbeiternViola Muster und Ulf Schrader

SOCIAL ENTREPREN EURSH IPEinführung Jana Gebauer, Franziska Mohaupt und Rafoel ZeglerKleine Schritte zum institutionellen Wandel Kate Ganly undJohanna MairDie Demokratisierung der Energieversorgung Ursula SladekPragmatische Argumente für den Klimaschutz Sophie FabriciusVon Zukunftsgründern und Heldengeschichten Rafael Zeglea Jana Gebauer,Fronziska Mohoupt, Marionne Henkel, Lena Partzsch undJustus LodemannDie Universität vom Kopf auf die Füße gestellt Corolin Gebel,Claudia Neusü$ und Wolfgang StarkEi ne u mfassende Transformation des U nterneh men s J a m es Austi nund Ezequiel Ref;ccoZu siebzig Prozent verrücktJohn Etkington und Pamela Hartigan

30 Nachhaltige Landnutzungdurchvorausschauende Polit ikKatharino Diehl und Katharina Helming

35 Potenziale der Materialeffizienz erschließen Raimund Bleischwitz,Sören Steger, Mathias Onischka und Bettina Bahn-Wolkowiak

39 Faktor l0 mit hohen Risiken? Michoel Steinfeldt und Ulrich Petschow43 Realistische Inwertsetzung statt Abgeltungen von Kosten

Karin lngold und Tiana Moser47 Klimapolit ik ganzheitl ich denken Uwe Schubert und Axel Sonntag

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SCHWERPUNKT 14l 5l 8l 920

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NEUE KONZEPTE

MITTEILUNGEN 5 I IÖW52 VÖW

LITERATUR 53 Rezensiert56 Kurz vorgestellt57 Neu erschienen

58 Vorschau + lmpressum

Ökol ogischesVirischaft en 2. 2009

Page 3: Nachhaltige Landnutzung durch vorausschauende Politik

t I NEUEK.N.EPTE

Neue I nstrumente zur Folgenabschätzungvon Polit ikoptionen

Nachhaltige Landn utzun g durchvorausschauende Politi kDie Poli t ik braucht verlässl iche Werkzeuge, umAuswirkungen von Entscheidungen abschätzenzu können. Eine Nachfrage an wissensbasiertenInstrumenten besteht insbesondere bei rom-plexen Fragestel lungen in der Ökologie, derNutzung von natürl ichen Ressourcen undder Landnutzung.Von Kathar ina Diehl und Kathar ina Helming

6ie aktuelle Politikgestaltung im Themenfeld LandnutzungUwird an ihrer Wirksamkeit auf den lCimaschutz gemessen,und ist gleichzeitig von Diskussionen in Reaktion auf die Fi-nanzkrise oder die Gestaltung der zukünftigen Nutzung vonRessourcen beeinflusst. Wihrend politische Maßnahmen meistinnerhalb eines Sektors getroffen werden, sind krisenartige Ent-wicklungen oftmals miteinander verknüpft. Eine politischeMaßnahme zur Dämpfung eines Problems kann gleichzeitigdie Rahmenbedingungen eines anderen verändem. Dabei kanneine Verkettung von Problemen und Gegenmaßnahmen immerstärkere Amplituden von Folgeerscheinungen hervorrufen.

Entscheidungsträger sind gefordert, mit ihren Handlungennicht nur an den Ursachen anzusetzen, sondern auch möglichstalle Nebenwirkungen zu kennen. Das setzt Instrumente oderMethoden voraus, die solche intendierten oder unintendiertenNebenwirkungen berechnen und auch Sektor übergreifendeKonsequenzen ableiten können.

Auswirkungen von Veränderungenin der Landnutzung

Die Europäische Union hat in den vergangenen fahren be-achtliche Beträge in die Forschung und Entwicklung solcherfaktenbasierten Instrumente investiert, um für verschiedeneSektoren, auf verschiedenen strategischen Ebenen und beiunterschiedlicher räumlicher Aufl ösung die Politikgestaltungzu unterstützen. Das Forschungsprojekt SENSOR hat Metho-den und Instrumente für die Folgenabschätzung von Landnut-zungsänderungen entw'ickelt (Helming et al. 2008). Das von derGeneraldirektion Forschung der Europäischen Kommission fi-nanzierte, vierjährige Projekt wurde am Leibniz-Zentrum ftirAgrarlandschaft sforschung ( ZALF ) e.V. koordinie rI und in Zu-sammenarbeit mit 36 Partnerinstituten aus 15 europäischenStaaten sowie China und Lateinamerika durchgeführt.

Zielsetzung der Landnutzungspolitik auf europäischer Ebe-ne ist es, die ländliche Entwicklung zu untersttitzen, den sozia-len Zusammenhalt zu ftjrdem und den Negativzusammenhangvon Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung aufzulösen(CEC 2003). Die Europäische Union stand viel{ältigen Diskus-sionen in den letzten fahren vor, wie diese Ziele möglichst nach-haltig erreicht werden können. Dennoch ist wissenschaftlichesBelegmaterial fiir Entscheidungsträger nicht ansatzweise voll-ständig. Instrumente zur vorausschauenden Folgenabschätzungvon Politikoptionen fokussieren derzeit hauptsächlich auf öko-nomische oder auf ökologische Aspekte. Eine integrierte, alledrei Säulen der Nachhaltigkeit berücksichtigende Folgenabschät-zung miI systematischer Erwägung langfristiger oder uninten-dierter Nebenfolgen und kumulativer oder grenzüberschreiten-der Eflekte findet nicht statt (Jacob 2008).

So wurde auch die Rolle der Landwirtschaft bisher nicht im-mer systematisch im Kontext der globalen Herausforderungen,Ernährung, I(ima und Energie, diskutiert. Und das, obwohl dieLandwirtschaft viele Funktionen der Landschaft aufrechterhält,die nicht direkt mit der Produktion von Nahrungsmitteln undRohstoffen zu tun haben. Diese Leistungen haben die Eigen-schaft von öflentlichen Gütem und umfassen beispielsweise dieOffenhaltung von Landschaften ftir ästhetische und Erholungs-zwecke, eine intakte dörfliche Kulturlandschaft , Biodiversitäts-schutz, die Abpufferung von Wetterextremen sowie die Reini-gung von Wasser und Luft. Diese Multifunktionalität dientewiederholt als Argument für ökonomische Unterstützung derLandwirtschaft (Müller et al. 2008).

Darüber hinaus werden Anderungen von Landnutzung in-zwischen als ein maßgeblicher Motor ftir globalen Wandel imUmweltsektor gesehen. Auf der regionalen Ebene sind die Aus-wirkungen oft leichter zu beobachten als aufglobaler Ebene.Eine Untersuchung derselben ist am besten integrativ und bein-haltet sowohl soziale, ökonomische und ökologische Auswir-kungen in allen Sektoren der Landnutzung: Land- und Forst-wirtschaft, Tiansport und Energieversorgung sowie Tourismusund Naturschutz.

Eine integrierte Herangehensweise

Die vorausschauende Folgenabschätzung ist in der euro-päischen Politikgestaltung mittlerweile ein fester Bestandteil.Sie wird in mehreren Schritten durchgeführt. Nach der ldenti-fikation eines politischen Problems, der Zieldefinition und derAusarbeitung von bevorzugten Optionen werden sowohl die be-absichtigten wie auch die unbeabsichtigten Auswirkungen ana-

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lysiert und miteinander verglichen (CEC 2005). In diesem Sta-dium der Folgenabschätzung ist die Anwendung von wissens-basierten Instrumenten und Modellen am nützlichsten und hierkönnen auch Akteure durch qualitative Methoden eingebundenwerden.

SENSOR entwickelte das Sustainability Impact AssessmentTool, kurz SIAI, ein quantitatives Multimodellierungs-lnstru-ment, das Politikszenarien hinsichtlich ihrer Auswirkungen auflandnutzung sowie Umwelt-, soziale und ökonomische Aspek-te im ländlichen Raum Sektor übergreifend und interdiszipli-när bewertete (Sieber et al. 2008). Es wurde durch ein zweites,qualitatives Produkt ergänzt. Das Framework for ParticipatoryImpact Assessment, kurz FoPIA, basierte auf derselben logi-schen Grundstruktur und bezog nationale, regionale und loka-le Akteure in die Bewertung von Landnutzungspolitik mit ein(Morris et al. 2008).

Beide Modelle, sowohl das qualitative FoPIA als auch das evi-denzbasierte SIAT, verknüpften sozio-ökonomische Tiendsze-narien und Politikoptionen mit Landnutzungsänderungen. Die-se wurden über Indikatoranalysen aufökologische, soziale undökonomische Auswirkungen hin untersucht und in Bezug aufNachhaltigkeitsziele bewertet.

Im Grunde war dies die projektspezifische Anwendung desDPSIR-Modells. DPSIR steht fiir Driving forces, Pressures, Sta-tes, Impacts and Responses (OECD 2001, adaptiert durch EEA).Es ist ein vereinfachtes Modell zur Darstellung von Umweltbe-lastungen und Umweltschutzmaßnahmen, das auf europäi-scher Ebene verwendet wird, um eine kausale Kette von Ein-flussgrößen zu beschreiben, so zum Beispiel von derEuropäischen Umweltagentur, dem United Nations Environ-ment Programme und dem Schweizer Bundesamt für Umwelt.

Der Ansatz von SENSOR berücksichtigte alle räumlichenAspekte von Landnutzung, die die nachhaltige Entwicklungländlicher Regionen beeinflussen. Der breite Ansatz, die fächer-übergreifende Bearbeitung und die Untersttitzung durch maß-geschneiderte Computermodelle boten die Möglichkeit, poten-

NEUE KONZEPTE

zielle Auswirkungen auf die Landschaft zu simulieren und A,1-ternativen einander gegenüberzustellen.

Berücksichtigung von regionalenBesonderheiten

Evidenzbasierte Folgenabschätzung verlangt, dass Anderun-gen in der Landnutzung anhand von einzelnen messbaren In-dikatoren erklärt werden können, wobei die Indikatoren in Sen-sor so gewählt wurden, dass sie entsprechend dem räumlichenund zeitlichen Rahmen sind. Um den regionalen Vergleich zuerleichtern, wurde für die Berechnungen in Sensor ein räumli-ches regionales Referenzsystem gewählt, das aus 534 NUTS Ein-heiten, einer Klassifizierung auf europäischer Ebenö zum sta-tistischen Vergleich von Regionen, bestand, die wiederum in 30Cluster zusammengefasst wurden (Renetzeder et al. 2008).

Diese 30 Clusterregionen sind unabhängig von nationalenGrenzen zu sehen und basieren aufden geophysischen und so-zio-ökonomischen Eigenschaften der NUTS Einheiten. Es istim Interesse der Entscheidungsträger, regionale, oft sehr spezi-fische Reaktionen vorherzusehen, die durch die entsprechen-den lokalen Indikatoren ausgelöst werden, um gegebenenfallsflankierende Maßnahmen auf nationaler Ebene zu implemen-tieren oder die Umsetzung einer EU-Richtlinie entsprechendzu adaptieren.

Funktionen der Landnutzung

Um die Auswirkungen politisch induzierter Landnutzungs-änderungen auf die nachhaltige Entwicklung analysieren undbewerten zu können, bedurfte es eines Konzeptes, das eine Ba-lance zwischen sozialen, ökonomischen und ökologischen Inter-essen ermöglicht. Dazu wurde das Konzept der Landnutzungs-funktionen entwickelt. Es beschreibt die privaten undöffentlichen Leishrngen und Güter, die durch das Zusammen-spiel von landscha.ftlicher Ausstathrng und Landnutzung ent-

stehen (Perez-Soba et al. 2008). Es fasstdie relevantesten ökonomischen, sozialenund ökologischen Aspekte einer Regionzu ganzen neun Funktionen zusammen,und stellt so die Gesamtheit der Güterund Dienstleistungen dar, die durch dieLandnutzung bereitgestellt werden. Die-ser Ansatz erlaubte eine Bewertung vonbeobachtbaren und messbaren Verände-nrngen und deren Wechselbeziehungen.Darüber hinaus konnten Querschnitt-vergleiche zwischen Multikriterienanaly-sen innerhalb von Regionen und Vergleiche zwischen Regionen durchgefuhrtwerden.

Mithilfe eines umfassenden Indikato-rensystems wurden in Sensor die Auswir-kungen von politisch induzierten t

Abbi ldung l : Analyt isches Konzept: Anwendung des DPSIR-Model ls zur Entwicklung von Instrumentenfür d ie vorausschauende Folgenabschätzung von Landnutzungsänderungen.

Globale rcdeökorcmirhe Trendi, Politikoptionen

Szenarienbeschreibung Annahmen tltl

Pressure

State

Ökonomische Anpassungen

Landnutzungsänderung€n

8io-geophysische Indikatoren

Sodo-ökonomische IndikatorenModelle

lmpact

Landnutzungsfu nktlonen

Nachhaltige EntwicklungWerte

HandlungenResponse J

entxhetdunsstrasa

Helming 20Og

Quelle: Diehl et al. 2009

Ökol o gi sch esW irtschaft en 2. 2009

Page 5: Nachhaltige Landnutzung durch vorausschauende Politik

NEUE KONZEPTE

Abbi ldung 2: Die neun Landnutzungsfunkt ionen

Soziale Landnutzungsfunktionen

1. Bereitstellung von Arbeit (Qualität der Arbeitsplätze, Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitsstandort)

2. Gesundheit und Erholung (Eereitstellung von sauberem Wasser, sauberer Luft, Zugang zu

Landschaft für Erholungszwecke

3. Kultur(ldentität,Asthetik, Kulturerbe, lokaleWerte)

Ökonomische Landnutzungsfunlft ionen

+. iiedlung und Industrie (Fläche für iieotung una inaurtrie I iireuersioter iiacr'"nu"ioiiucrti5. Landabhän9ige Produktion (Fläche für Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Energie, Ressourcenabbau -

reversibler Flächenverbrauch)

6. Transport (Fläche für Straßen, Schienen und öffuntliches V€rkehrswesen - hauptsächlich ineversibel)

-Ökoloqlsche Landnutzungsfunktionen ._7. BereitstellungvonabiotischenRessourcen(ausgleichendeWirkungfürQualitätvonLuft,Wasserund

- Mineralien

8. BereitstellungvonbiotischenRessourcen(KapazitätderLandschaft,Biodiversitätzuerhalten)

9. Aufrechterhaltung von Ökosystemprozessen ( Speicherung und Pufferung von Energie und

.- . stolqgqrs,g!{lör9!.49lqlhlslyllyry q9! w9:r-"tr9i-ll-aYls lnd stgILrq'rLrylslqogenror,'9ligll ,Perez-Soba 2008

Quelle: Perez-Soba et al. 2008

Landnutzungsänderungen auf diese neun Landnutzungsfunk-tionen bewertet. Damit wurden die möglichen Auswirkungenvon politischen Interventionen in Form von,,Wenn-dann'Bezie-hungen" illustriert. Entscheidungsträger haben somit die Mög-lichkeit, die Folgen ihrer Entscheidungen besser abzuschätzen.

M aßgesch neiderte Com putermodel le

Das quantitative multi-modellierungs-Instrument SIAI (Sus-tainability Impact Assessment Tool) sollte Entscheidungsträ-gern, sozusagen per Knopfdruck, Politikszenarien hinsichtlichihrer Auswirkungen auf Landnutzung vor Augen fi.ihren. Wech-selbeziehungen konnten durch die Verwendung einer Kombination von sektorspezifischen und makroökonomischen Model-len abgebildet werden. Die Herausforderung dabei war einef{izienter Kompromiss zwischen voller Flexibilität in der politischen Analyse aufder einen Seite und einer robusten, schnel-len und leicht handhabbaren Ausführung auf der anderen.

Ein Grundverständnis der verzweigten Verkettung von imHintergrund laufender Modelle wurde bei der Interpretation derErgebnisse vorausgesetzt (fansson et al. 2008).

fede Simulation begann mit CAPRI, einem agrarökonomischen Modell. Das partielle Gleichgewichtsmodell NEM ES I Ssorgte für die Simulation der makroökonomischen, exogenenRahmenbedingungen. Dies beinhaltete die Verwendung derSubmodule ftir Tourismus (B&B), Transport (TIM) und städtische Entwicklung (SICK). Am Ende des Ablaufes sichtbar undvon Interesse fiir den politischen Entscheidungsträger stand derLandnutzungswandel (CLU E).

Für das Iahr 2025 wurden Politikszenarien berechnet undderen Auswirkungen auf ein Spektrum von 88 Indikatoren si-muliert. Letztere wurden wiederum in neun landnutzungsfunk-tionen zusammengefasst. Signifikante Veränderungen auf re-gionaler Basis konnten anhand von Diagrammen und Kartensichtbar gemacht werden. Ein großer Vorteil bestand darin, dassman nicht nur einen zukünftigen möglichen Zustand mit demheutigen vergleichen konnte, sondern auch verschiedene mög-liche Zukunftszustände miteinander.

FoPIA (Framework for Participatorylmpact Assessment) ergänzte das evi-denzbasierte Modell durch partizipativesVorgehen. Gemeinsam mit den Akteurenwurden Vorraussagen zu möglichentandnutzungsänderungen getroffen unddann bewertet. Indikatoren wurden nachsozialen, ökonomischen und ökologi-schen Gesichtspunkten gruppiert und dieEinflüsse auf jeden Bereich untersucht.Anschließend wurden Veränderungenhinsichtlich ihrer Relevanz fur die Regiondiskutiert. Auch hier erleichterte dieGruppierung in neun Landnutzungs-funktionen die Bewerfung, da die Land-nutzungsfunkionen bereits durch ein Set

von Indikatoren charakterisiert waren. Die szenarienbasierteHerangehensweise und Bewertung von Landnutzungsfunktio-nen wurde von den Akteuren verstanden und auch für sinnvollerachtet.

Zugegebenermaßen kann ein methodisches Modell ftir Fol-genabschätzungen nie vollständig die komplexen Verbindun-gen zwischen Gesetzesändenrngen in Bezug aufLandnutzungund den daraus resultierenden Anderungen in sozialen, ökono-mischen und ökologischen Systemen darstellen. Kein Modellkann die gesamte Bandbreite an Werten und Bewerhrngen ein-fangen und jedes Modell muss sich mit der Konfrontation derenornen Komplexität und der notwendigen Vereinfachung zu-gunsten einer Handhabbarkeit auseinandersetzen. So auch dieModelle SIAI und FoPIA. |edoch kann speziell die Vorstruktu-rierung vieler Indikatoren durch die Verwendung der neunLandnutzungsfunktionen einen effizienten analytischen Pro-zess erbringen.

Für das FoPIA werden im Folgenden beispielhaft Ergebnisseeiner Förderung von Energiepflanzenanbau beschrieben.

Regionale Auswirku ngen vonBioenergie-Förderung

Das Wachstum des globalen Bioenergiemarktes geht rapidevonstatten und erfordert eine schnelle Reaktion, um die Aus-wirkungen der Entwicklung auf Landschaften, Ökosysteme undBiodiversität zu verstehen (IUCN 2008). Land- und Forstwirt-schaft sind die zwei Hauptsekoren für erneuerbare Energiepro-duktion. Eine Richtlinie ftir Bioenergie könnte entscheidendenEinfluss auf Landnutzung und somit auch auf die nachhaltigeEntwicklung von ländlichen Gebieten haben.

Ziele der Europäischen Kommission in Bezug auf Bioener-gie sind erstens die Festlegung von quantitativen Zahlen ftir einen proportionalen Anteil an Bioenergie und zwar in den dreiKategorien des Energieaufwands Kraftstoff, Elektrizität undWärme sowie zweitens eine nachhaltige Produktion und drit-tens die Unterstützung einer wettbewerbsflähigen und export-geeigneten Industrie durch Technologieftirderung (CEC 2006).

Ökol ogischesW irtsch aft en 2. 2009

Page 6: Nachhaltige Landnutzung durch vorausschauende Politik

kn Ztge der Erprobungsphase derModelle SIAI und FoPIA wurden mehre-re Regionen in Europa identifiziert, dieaufgrund ihrer geografischen, ökologi-schen'und sozio-ökonomischen Eigen-schaften besonders sensibel aufzu erwar-tende Verändenrngen reagieren könnten.Beispielsweise in der polnischen RegionSchlesien könnten Anderungen inner-halb des Energiesektors, insbesondereeine Förderung von altemativen Energienim Bereich des Anbaus nachwachsenderRohstoffe, deutliche Konsequenzen fürdie nachhaltige Entwicklung nach sichziehen. Schlesien ist eine typische ehe-malige Kohlebergbauregion mit hoherArbeitslosigkeit und einem hohen Anteilan teilweise erheblich kontaminiertenAgrarflächen.

Drei mögliche Szenarien wurden mitden Akteuren vor Ort diskutiert. Zuerstwurde eine geringfügige Förderung furBioenergie in der Region Schlesien alsReferenz-Szenario definiert. Ein alterna-tives Szenario beschrieb eine Politik, dieeine Erhöhung der Anbaufläche für Bio-energieproduktion in Schlesien erfordern würde, um die Ziel-vorgabe an vorgegebenen proportionalen Anteilen der Europä-ischen Union zu erreichen. Ein Szenario hoher Förderungbeschrieb eine Situation, die von einer intensiven Bioenergie-fiirderung, und damit einer substanziellen und nicht regulier-

ten Zunahme an entsprechender Anbaufläche, charakterisiertwürde. Der derzeitige Status quo, was Politik und landnutzungin der Region angeht, lag nach Einschätzung der einbezogenenExperten wahrscheinlich zwischen Szenario eins und Szenariozwei, da Polen erst kürzlich eine nationale Politik für Bioener-gie eingesetzt hat.

Im Dialog setzten die Akteure vergleichsweise hohe Stan-dards ftir die Definition einer nachhaltigen Entwicklung, insbe-sondere ftir Gesundheit und Erholung, Siedlung und Industriesowie für die Aufrechterhaltung von Ökosystemprozessen. Esist anzunehmen, dass die Akteure aufgrund der industriellenBergbau-Vergangenheit der Region fur diese Funktionen be-sonöers senslbrhslert waren.

Nach Einschatzung der lokalen Alcteure hätte eine moderateErhöhung der Anbaufläche ftir Bioenergie überwiegend positi-ve Auswirkungen auf die neun landnutzungsfunktionen. Abge-sehen von der Funltion der Biodiversität, ftir welche die Gruppe aufgrund der geänderten Fruchtfolgestruktur eine leichteNegativentwicklung vorhersagte, wurden für das Referenz-Sze-nario positive Auswirkungen auf die sozialen Fun}tionen erwar-tet, insbesondere aufdie Verfiigbarkeit von Arbeitsstellen undGesundheit. Interessant in diesem Zusammenhang war jedoch,

dass just die Vertreter des Agrarsektors den Einfluss aufdie

Abbildung 3: Die Bewertung von Landnutzungsfunktionen durch Aheure für drei mögliche Szenarien der

Bioenergieförderungspolitik in der Region Schlesien, projiziert aufdas )ahr 2025.

Funktion der Biodiversität stärker negativ bewerteten als Verlre-ter anderer Sektoren.

Das zweite Szenario ließ vermuten, dass die Standards einernachhaltigen Entwicklung, abgesehen von der Funktion Land-schaftskultur mit den Indikatoren zur Attraktivität von Land-schaften, nicht erreicht werden könnten. Zumindest nicht, wenndie Standards so hoch angesetztwerden, wie in der Diskussions-runde mit den Akteuren geschehen. Das Ergebnis weist daraufhin, dass alle Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung inSchlesien einer wesentlichen Verbesserung bedürfen.

Ein stark intensivierter Anbau von Bioenergie, wie im drit-ten Szenario beschrieben, wurde von den Akteuren als eindeu-tig nicht nachhaltig bezeichnet. Dieses Szenario würde zwar dieVerftigbarkeit von Arbeitsplätzen erheblich erhöhen, aber auchbeträchtliche Auswirkungen auf die Funktion Biodiversität ha-ben. Darüber hinaus wurde eine Auswirkung auf die Mobilitätals problematisch erachtet. So sei die Kapazität des Straßennet-zes in Sctrlesien für öen momentanen Bedarl ausreichend, kön-ne aber nicht wesendich erweitert werden, ohne wiederum an-derweitige Funktionsverluste in Kauf zu nehmen.

Fazit

SENSOR gehört zu einer Familie neuartiger Forschungspro-jelite, die herausfinden möchten, wie Werkzeuge fur eine Fol-genabschätzung aufgebaut sein müssen, um politisches Han-cleln unterstützen a) können. SIAT und FoPIA bieten dempolitischen Entscheidungsträger die notwendigen Instru- t

Bereitstellung von Arbeit

Transport und Infrastruktur

O Landnutzungsfunkt ionen

- Baseline: Geringe Förderung von Bioenergie

- Förderung von BiGnergie

- Hohe Förderung von Bioenergie

Landabhängige Produktion

5EN50R 2009

Quel le: Diehl et a l . 2009

Ö kologischesW irtschaft en 2. 2009

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INEUE KONZEPTE

mente, um komplexe Ergebnisse sowohl auf EU- als auch aufregionaler Ebene auszuwerten. Inzwischen wurde dieser An-satz auch in China und Südamerika getestet. Die verwendetenMethoden erwiesen sich auch ftir Nachhaltigkeitsbewerhrngenmultifunktionaler Landnutzung in einem nicht-europäischenKontext als nützlich. Ein SIAI für China wird derzeit entwickelt.indem Methoden und Bewerhrngsverfahren an die chinesischenGegebenheiten adaptiert werden.

Die Ergebnisse sind ein Beitrag zur Umsetzung von Ideen,Herangehensweisen und Innovationen im Bereich der Landnut-zung. Voraussetzung ist, dass die Instrumente als solche verwen-det werden. Maßgeblich für die Entscheidungsfindung ist derDialog, der bei der Anwendung solcher Instrumente entsteht.

Ziel ist letztendlich, nicht lediglich ein Gegensteuem in Re-aktion auf Ausschläge im System, sondern eine überlegte, fak-tenbasierte und den Kriterien der Nachhaltigkeit entsprechendeproalctive Handlungsweise. Der Dialog sollte helfen, nicht nurPolitik transparenter zu gestalten, sondern auch, wissenschaft-liche Erkenntnisse zugänglicher zu machen.

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I AUTORINNEN + KONTAKT

Kotharina Diehl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin amLeibn iz-Zentru m fü r Agrarlandschaft sforsch u n g,

Dr. Kotharina Helming ist Senior Scientist und wissen-schaft l iche Koordinator in von SENSOR am

Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung.

Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF),Eberswalder Straße 84, I 5374 Müncheberg.

Tel.: +49 33432-82414, E-Mail: [email protected]

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Nach ha ltig keit U *i. UmweltforschungDer Blick über den fachlichen Tellenand und der Austausch mit Prahikerngewrnnen immer größere Bedeutung für die Lösung komplexer Umweltprobleme. Die Auto(inn)en liefern für das fachübergreifende Arbeiten das nötigeRüsEeug: Aus ihren Erfahrungen und der ausgewerteten Literatur entstandeine einzigartige Übersicht zur Methodologie transdisziplinärer Projehe - einunentbehrliches Kompendium für Forsche(innen) und Berate(innen).

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Ökol o gisch esWi rtschaft en 2. 2009