Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Institut für Politische Wissenschaft Proseminar: Viel Lärm um Nichts? Soziale Menschenrechte zwischen Moral und Politik. Dozent: Dr. Michael Krennerich Sommersemester 2010 Hausarbeit zum Thema: Mutter- und Kinderschutz für Menschen ohne Papiere. vorgelegt von: Semynina, Olesya - - Matrikel-Nr.: 21468930 1. Hauptfach Politikwissenschaft 2. Hauptfach Theater- und Medienwissenschaft im 2. Semester
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Mutter- und Kinderschutz für Papierlose in Deutschland
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Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Institut für Politische Wissenschaft
Proseminar: Viel Lärm um Nichts? Soziale Menschenrechte zwischen Moral und Politik.
a) UN-Kinderrechtskonvention ....................................................................................................... 9
b) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte .............................................................................. 10
3 Praktische Umsetzung von Ansprüchen............................................................................................. 10
3.1 Der deutsche Staat ....................................................................................................................... 10
3.1.1 Möglichkeiten der Legalisierung für Mutter ........................................................................ 12
3.1.2 Beratungsstellen der Gesundheitsämter und Kinder- und Jugendgesundheitsdienste alsAusweichmöglichkeiten ................................................................................................................ 13
1 EinleitungDer Zugang zu Gesundheitsversorgung in Deutschland stellt für Menschen ohne Papiere1
wegen fehlender Krankenversicherung oft ein großes Problem dar. Die Papierlosen sind auch
in den anderen Bereichen ihres Lebens, wie Arbeit, Familie, Bildung und Wohnen vor dem
Hintergrund eines nicht geklärten Aufenthaltsstatus mit Schwierigkeiten konfrontiert.
Der faktische Ausschluss der Menschen ohne Papiere aus dem regulären Gesundheitssystem
stellt einen Kritikpunkt aus der menschenrechtlichen Perspektive für das staatliche Handeln
dar2. „Schwangerschaft und Geburt in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität stellen besondere
Herausforderungen für die werdenden Mütter […] sowie für die Anlaufstellen nichtstaatlicher
Organisationen dar“.3 Die Schwangerschaft wird nicht selten als Krise für Frauen ohne
Papiere von vielen Autoren betrachtet.4
In dieser Hausarbeit wird der Bereich der Gesundheitsversorgung der werdenden Mütter und
Kinder ohne Papiere beleuchtet. Es geht hier darum, die Problemlage in Hinsicht auf: 1).
mögliche rechtliche Ansprüche, bezogen in erster Linie auf medizinische Versorgung, und
praktische Komplikationen bei deren Umsetzung im Rahmen des regulären
Gesundheitssystems, aus welcher oft faktische Rechtlosigkeit der Betroffenen resultiert; 2).
Ausweichmöglichkeiten, die im privaten und ehrenamtlichen Sektor (Parallelsystem), die
durch NGOs und kirchliche Organisationen angeboten werden sowie 3). die politische
Diskussion im Bezug auf diese Problemlage zu erörtern.
1.1 ArbeitsdefinitionDie gesetzlichen Regelungen zum Schutz vom Mutter und Kind in Deutschland zielen darauf
ab, diese Gruppe in der besonderen Zeit während und nach der Schwangerschaft zu schützen
und das Sicherheitsgefühl der Mutter in der veränderten Lebenssituation zu bewahren. Für
erwerbstätige Mütter werden Kündigungsschutz, finanzielle Unterstützung sowie
Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz gewährleistet. Einen besonderen Platz nehmen hier die
1 siehe Kapitel 1.1.2Vgl.http://www.medibuero.de/attachment/39b520617b75d0e45fa5eb4f5da202aa/d4b12be9b35563a8202c38020f9e7dca/medibuero_plakat_297x297.pdf und Diakonisches Werk Hamburg (Hg.) (2009). Leben ohnePapiere. Eine empirische Studie zur Lebenssituation der Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere inHamburg. Hamburg: S.163.3Vgl. Deutscher Caritasverband (2010). Arbeitspapier zum Thema: Gesundheitliche Versorgung vonschwangeren Frauen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität. Freiburg: S. 3.4Vgl. Koch, Ute (2007). Kranksein in der Illegalität: S. 2 sowie Anderson, Philip (2003). „Dass sie uns nichtvergessen…“ Menschen in der Illegalität in München. München: S. 67 und Diakonisches Werk Hamburg (Hg.)(2009): S. 163.
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Leistungen zu Gesundheitsversorgung ein. Für die Gesundheit der Mutter und des Kindes
spielen Schwangerschaftsvorsorge und -nachbetreuung eine große Rolle.
Die Regelungen zum Schutz des Kindes dienen dazu, dass sich Kinder in ihrer Umgebung
gesund und unbeschwert entwickeln. Dazu bedarf es auch Vorsorgeuntersuchungen und
unbeschwerten Zugang zur Gesundheitsversorgung im Fall einer Erkrankung.
Da in der vorliegenden Hausarbeit die Regelungen zu Mutter- und Kinderschutz der
Papierlosen betrachtet werden, wäre eine Arbeitsdefinition, welche die Gruppe der Menschen
ohne Papiere charakterisiert, sinnvoll.
In Deutschland lassen sich Papierlose als „diejenigen Ausländer, die sich ohne
Aufenthaltstitel, ohne Duldung und ohne Kenntnis der Behörden in Deutschland aufhalten“5
und im Falle der Entdeckung „mit einer strafrechtlichen Ahndung, Ausweisung und/oder
Abschiebung rechnen müssen“6 beschreiben.
Die Mutter- und Kinderrechte für „Menschen ohne Papiere“ können nicht in einem einzigen
Dokument nachgelesen werden und sind von den anderen Regelungen bezüglich der Gruppe
nicht immer getrennt zu beobachten. Diese Rechte gehen aus verschiedenen Quellen hervor,
die auch auf der völkerrechtlichen Ebene angesiedelt sind und sich von den universellen und
unveräußerlichen Menschenrechten ableiten. Diese Menschenrechte können den umstrittenen
ordnungspolitischen7 Regelungen auf der nationalen Ebene in Deutschland entgegengehalten
werden. Die Regelungen in der Bundesrepublik Deutschland zielen auf eine Einengung des
Menschenrechts auf Gesundheit für Menschen ohne Papiere im Vergleich zu den
menschenrechtlich Festgehaltenen.
1.2 MethodenEin Teil der Informationen, die in dieser Hausarbeit verwendet werden, stammt aus
Interviews mit Vertreter der ausgewählten Hilfsorganisationen im Bereich
Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere in Nürnberg. Die Interviews erfolgten in
Form eines persönlichen Gesprächs, im Laufe dessen Fachleute, die sich freiwillig für
Menschen ohne Papiere im Bereich der Gesundheitsversorgung engagieren, nach ihren
5Vgl. BMI (Hg.) (2007). Bericht des Bundesministeriums des Inneren zum Prüfauftrag „Illegalität“ aus derKoalitionsvereinbarung vom 11. November 2005, Kapitel VIII 1.2, Februar 2007: S. 6.6Vgl. Anderson (2003): S. 6.7Vgl. Erzbischöfliches Ordinariat Berlin (Hg.) (2000). Illegal in Berlin. Momentaufnahmen aus derBundeshauptstadt. Betrifft: Migration. Berlin: S.99f.
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praktischen Erfahrungen und Schwierigkeiten, die auf sie auf diesem Arbeitsfeld zukommen,
befragt wurden.
Die Interviewzeit betrug von 30 bis 90 Minuten. Die Interviews wurden als qualitativ mit
offenen, halbstandartisierten Fragen konzipiert. Die Struktur der Interviews lässt sich wie
folgt darstellen: eine kurze Vorstellung des Themas und des Zwecks des Interviews, freie
Erzählung des Interviewpartners und gezielte Fragen, falls diese sich während der Erzählung
noch nicht erübrigten. Es wurden insgesamt 3 Interviews durchgeführt und mit Hilfe von
kurzen Notizen zum Zweck späterer Verwendung festgehalten. Daneben wurden noch
verschiedene schriftliche Quellen herangezogen um einige Informationslücken abzudecken.
In Folge der Interviews wurde ein Einblick auf verschiedenen Ebenen gewährt. So
beispielsweise in das Angebot der Organisationen zur Schwangerschaftsversorgung und die
Kapazitäten gewährleisteten Hilfe, Probleme, mit denen diese Organisationen begegnen,
sowie einige tatsächliche Fälle, die von den Organisation entweder schon gelöst wurden oder
noch unter der Betreuung stehen.
Auf die Fragen zur Artikulation der Problemlage an die politischen Akteure wurden keine
genauen Antworten gegeben, zwei der drei Interviewpartner haben einen Arbeitskreis in
Nürnberg erwähnt und betont, dass ihnen keine bundesweite Koordination bekannt ist. Die
Anlaufstellen und Ansprechpartner sind in ihrer Arbeit praktisch und menschenrechtlich
orientiert.
2 Rechtliche Bestimmungen(Menschen-)rechtliche Ansprüche auf Mutter- und Kinderschutz für Menschen ohne Papiere
können aus den verschiedenen Abkommen auf der völkerrechtlichen Ebene abgeleitet
werden: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Internationaler Pakt über wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte, das UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeglicher Form der
Diskriminierung der Frau (CEDAW) und die UN-Kinderrechtskonvention, außerdem finden
sich die allgemeine Bestimmungen zu Gesundheitsversorgung für alle Menschen (nicht nur
für Staatsbürger) auch auf der nationalen Ebene wieder: Asylbewerberleistungsgesetz und
Grundgesetz.
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2.1 Mutterschutz
2.1.1 Staatliche Regelung
a) Grundgesetz
Art. 1 bis 19 des Grundgesetzes beinhalten Grundrechte oder „Jedermann-Rechte“, die nicht
nur für Deutsche bzw. Ausländer/innen mit Aufenthaltsstatus oder Duldung gelten 8. Art. 6
Abs. 4 impliziert den Anspruch jeder Mutter [Hervorhebung von mir: O.S.] auf den Schutz
und Fürsorge der Gemeinschaft, es werden keine anderen Bedingungen an diesen Anspruch
gekoppelt. Sie sollten vorbehaltlos für alle sich tatsächlich in Deutschland aufhaltenden
Frauen gelten. In Verbindung mit dem Art.1 Abs. 3 Grundgesetz9 gilt diese Bestimmung als
„unmittelbar geltendes Recht“ und bindet alle 3 Staatsgewalten.
b) Mutterschutzfrist
„Innerhalb der gesetzlichen Mutterschutzfrist10 haben alle in Deutschland lebenden Frauen
und ihr Neugeborenes (Alt/Fjodor 2001) Anspruch auf Leistungen nach
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) § 120, Abs.1.
Nach § 53 Ausländergesetz (AuslG) ist für diese Zeit eine temporäre Legalisierung von
illegalisierten Migranten/innen möglich. Die Frauen erhalten den Status einer „Duldung aus
humanitären Gründen“ und können Leistungen nach AsylbLG erhalten, die eine
Schwangerschaftsvorsorge und –nachbetreuung sowie Geburtshilfe enthalten. Das Kind erhält
eine Geburtsurkunde. Nach Ablauf des Mutterschutzes sind Mutter und Kind den
Ausländerbehörden namentlich bekannt und ausreisepflichtig.“11
8Vgl. Beisbart, Andreas (o.J.). Zur Situation von Papierlosen in Deutschland und den Möglichkeitensozialpädagogischer Intervention. Bielefeld: Diplomarbeit: S. 43.9Vgl. GG: Art. 1 (3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt undRechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.10Vgl. MuSchG §3 Abs. 2: 6 Wochen vor und MuSchG § 6 Abs. 1.: acht Wochen (12 bei Früh- undMehrlingsgeburten) nach der Geburt.11Vgl. Braun/ Brzank/ Würflinger (2003): Gesundheitsversorgung illegalisierter Migrantinnen und Migranten –ein europäischer Vergleich, S. 125.
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c) Asylbewerberleistungsgesetz (im folgenden AsylbLG)
Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG12 sind nicht nur sich legal aufhaltende
Migranten/innen leistungsberechtigt, sondern auch offensichtlich "ausreisepflichtige
Ausländer"13, die sich „tatsächlich“ in Deutschland aufhalten.14
Schwangere sind außerdem explizit als leistungsberechtigt genannt: nach § 4 Abs. 2
AsylbLG15 stehen ihnen uneingeschränkt notwendige Leitungen zu16, vergleichbar mit den
Ansprüchen der gesetzlich Versicherten17, „was geboten ist, richtet sich nach den Regeln der
gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. dazu im Einzelnen §§ 20 bis 26 und 30 SGB V)“,
Krankenscheine für ärztliche Vorsorgeuntersuchungen können Schwangere (ebenfalls) […]
beanspruchen.18
2.1.2 Völkerrechtliche Abkommen
a) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 1948 werden Staaten zur Achtung der
Menschenrechte für alle Menschen ohne irgendeinen Unterschied aufgrund der Abstammung
oder „sonstigem Stand“19 aufgefordert. Die Menschenrechte beinhalten u.a. Anspruch eines
jeden [Hervorhebung von mir: O.S] auf ärztliche Versorgung. In Bezug auf Mutterschutz ist
in Art. 25 Abs. 2 Folgendes niedergeschrieben: „Mütter und Kinder haben Anspruch auf
besondere Fürsorge und Unterstützung. Alle Kinder […] genießen den gleichen sozialen
Schutz.“20
12 Vgl. § 1 Leistungsberechtigte: (1) Leistungsberechtigt nach diesem Gesetz sind Ausländer, die sich tatsächlichim Bundesgebiet aufhalten und die […] 5. vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eineAbschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist, 6. Ehegatten, Lebenspartner oderminderjährige Kinder der in den Nummern 1 bis 5 genannten Personen sind, ohne daß sie selbst die dortgenannten Voraussetzungen erfüllen…13Vgl. Classen (2009) a sowie b: S.1.14 Vgl. Fußnote 12.15 Vgl. § 4 Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt: (2) Werdenden Müttern und Wöchnerinnensind ärztliche und pflegerische Hilfe und Betreuung, Hebammenhilfe, Arznei-, Verband- und Heilmittel zugewähren.16Vgl. Classen (2004) sowie Ders (2009) a.17 Vgl. Deutscher Caritasverband (2010): S.5.18Vgl.Classen (2009) b: S. 6f.19Vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Art. 2 unter:http://www.ohchr.org/EN/UDHR/Pages/Language.aspx?LangID=ger20Vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.
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b) Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte21
Die Erklärungen der Staaten aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte finden eine
Fortführung in dem UN-Sozialpakt vom 19.12.1966.22 Darin ist das Recht auf Gesundheit in
Artikel 12 ausdrücklich verbrieft: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden
[Hervorhebung von mir: O.S] auf das für ihn und sie erreichbare Höchstmaß an körperlicher
und geistiger Gesundheit an.“ Ebenfalls in Art. 2, Abs. 2 ist das Recht auf medizinische
Versorgung für jedermann [Hervorhebung von mir: O.S] festgelegt: Die Vertragsstaaten
verpflichten sich, zu gewährleisten, dass die in diesem Pakt verkündeten Rechte ohne
Diskriminierung hinsichtlich [...] der Hautfarbe, [...] der nationalen oder sozialen Herkunft
[...] oder des sonstigen Status [Hervorhebung von mir: O.S] ausgeübt werden.23
Der Schutzanspruch der Mutter für angemessene Zeit vor und nach der Geburt ist in Art. 10,
Abs. 2 dieses Paktes niedergeschrieben.24 In Verbindung mit den Art. 2 und 12 kann diese
Regelung für jede Mutter angewendet werden.
c) CEDAW
UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeglicher Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW)
verpflichtet die Staaten Gleichberechtigung beim Zugang zur Gesundheitsversorgung für
Mann und Frau zu garantieren und sich besonders darum zu bemühen, der Frau eine
„angemessene und erforderlichenfalls unentgeltliche Betreuung“ während der
Schwangerschaft, vor und nach der Geburt zu garantieren.25
d) UN-Kinderrechtskonvention
Die Vertragsstaaten darunter auch Deutschland (1992 unterschrieben) verpflichten sich laut
Art. 24 d) eine angemessene Gesundheitsfürsorge für Mütter vor und nach der Entbindung
sicherzustellen, was in Verbindung mit dem Art. 2 Abs. 1 und 2 für alle Eltern unabhängig
von Herkunft oder „sonstigem Status“ zu gewährleisten sei.
21 Der UN-Sozialpakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ist in Deutschland 1976 in Kraftgetreten.22Vgl. Diakonisches Werk Hamburg (2009): S. 18.23Vgl. Diakonisches Werk Hamburg (2009): S.158 und http://ausdemschatten.antira.info/methode/weitere-bereiche-gesellschaftlicher-marginalisierung/gesundheitsversorgung/ sowiehttp://www.medibuero.de/attachment/39b520617b75d0e45fa5eb4f5da202aa/d4b12be9b35563a8202c38020f9e7dca/medibuero_plakat_297x297.pdf: S. 3.24 Vgl. UN-Sozialpakt.25 Vgl. Diakonisches Werk Hamburg (2009): S. 158.
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2.2 Kinderschutz
2.2.1 Staatliche Regelung
a) Asylbewerberleistungsgesetz26
„Nach § 4 Abs. 3 AsylbLG können Krankenscheine für ärztliche Vorsorgeuntersuchungen für
kleine Kinder (U1 bis U10) […] beansprucht werden. Nach § 4 Abs. 3 besteht […] zudem
Anspruch auf […] üblich[e] Kinderimpfungen“.27
Bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen kann ebenfalls Behandlung beansprucht
werden.28
2.2.2 Völkerrechtliche Abkommen
a) UN-Kinderrechtskonvention29
Kinder sind Menschen, die noch nicht das volle 18. Lebensjahr erreicht haben. Sie werden in
der UN-Kinderrechtskonvention als eine besonders schutzbedürftige Gruppe aufgeführt,
dessen Wohl, adäquate Lebensbedingungen und harmonische Entwicklung durch die
gesetzlichen Regelungen gewährleistet und geschützt werden müssen. Jegliche
Diskriminierung (auch aufgrund eines bestimmten Status der Eltern) soll unterlassen werden,
der Staat soll geeignete Maßnahmen treffen, um alle Formen der Diskriminierung und
ungerechten Behandlung zu unterbinden. Ein Kind hat das Recht auf einen Namen,
Staatsangehörigkeit und Eintrag in das Geburtsregister (Recht auf Geburtsurkunde).30 Jedes
Kind hat Recht auf Gesundheitsversorgung und das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit.
26 § 2 Leistungen in besonderen Fällen: (3) Minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil ineiner Haushaltsgemeinschaft leben, erhalten Leistungen nach Absatz 1 nur, wenn mindestens ein Elternteil inder Haushaltsgemeinschaft Leistungen nach Absatz 1 erhält sowie § 6 Sonstige Leistungen (1) SonstigeLeistungen können insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhaltsoder der Gesundheit unerlässlich, zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten oder zur Erfüllungeiner verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind. Die Leistungen sind als Sachleistungen, beiVorliegen besonderer Umstände als Geldleistung zu gewähren.27Vgl.Classen (2009) b: S. 6f.28 § 4 Abs 1: Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche undzahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zurGenesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungenzu gewähren. Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründenunaufschiebbar ist.29 BRD unterschrieb 1992 die UN-Kinderrechtskonvention.30Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.) (2008). Frauen, Männer und Kinder ohne Papiere inDeutschland - Ihr Recht auf Gesundheit. Bericht der Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität. Berlin: S. 20.
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b) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Wie schon in 2.1.2. a) erwähnt ist in Art. 25 Abs. 2 festgehalten: „Mütter und Kinder haben
Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung. Alle [Hervorhebung von mir: O.S.]
Kinder […] genießen den gleichen sozialen Schutz.“31
3 Praktische Umsetzung von AnsprüchenIn der Praxis stellen die Übermittlungspflichten nach § 87 AufenthG nach Einschätzung der
zivilrechtlichen Akteure sowie der Meinung der Patientinnen selber32 das größte Hindernis
auf dem Weg zur Wahrnehmung ihrer Ansprüchen auf Gesundheitsversorgung dar. Besondere
Probleme treten für Frauen bei einer Schwangerschaft auf. Der illegale Status wird hier zu
einem Gesundheitsrisiko für Mutter und Kind, weil häufig auf die Vorsorgeuntersuchungen
verzichtet wird. Die Gründe dafür sind fehlende Krankenversicherung, Geldmangel oder die
Unwissenheit darüber, wo kostenlose Unterstützung angeboten wird.33
Bei der Ausstellung einer Geburtsurkunde kann es ebenfalls zu ernsthaften Problemen
kommen bis hin zu einer Trennung von Mutter und Kind im Fall einer späteren Abschiebung.
3.1 Der deutsche StaatUnbeachtet ihrer rechtlichen Ansprüchen können die werdenden Mütter nicht uneingeschränkt
und situationsgerecht diese theoretisch gegebenen Rechte durchsetzen, da ordnungsrechtliche
Regelungen diesen in der Praxis indirekt entgegen stehen. Die Rede ist von der
Übermittlungspflicht nach § 87 AufenthG aller öffentlichen Stellen an die Ausländerbehörde,
falls die Stellen Informationen über einen ungeklärten Aufenthaltsstatus eines/r Ausländers/in
erlangt. Im Falle eines Antrags auf Kostenübernahme nach dem AsylbLG durch den/die
Patienten/in, unterliegt er/sie selber der Mitteilungspflicht an Sozialamt gemäß § 60 bis 62, 65
SGB I über seine/ihre Identität und Aufenthalt. Kommt er/sie dieser Pflicht nicht nach, wird
die Leistung verweigert.34 Das Sozialamt soll die Information über illegalen Aufenthalt an die
Ausländerbehörde weiterleiten. Die Ausländerbehörde setzt ein Abschiebungsverfahren ein.
In Notfallsituationen sind die Krankenhäuser zur Aufnahme verpflichtet, in anderen Fällen
dürfen sie Behandlung bis zur Klärung der Kostenübernahme verweigern.35 Wenn sich die
31 Vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.32
33Vgl. Diakonisches Werk Hamburg (2009): S. 187f.34 Vgl. Rinderer (2009): S. 51.35 Vgl. Koch (2007): S. 2.
Interview mit Fr. Kirsch und Fr. Winter-Schwarz.
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Krankenhausverwaltung an das Sozialamt zwecks Kostenabrechnung wendet, dürfen die
Patientendaten nicht an die Ausländerbehörde weitergeleitet werden. Sie unterliegen dem
„verlängerten Geheimnisschutz“.36
Auf Frauen ohne Papiere wirkt die Übermittlungspflicht abschreckend, da sie, wenn sie sich
zum Zweck der Beschaffung eines Krankenscheins an die Sozialämter wenden, auch ihre
Identität sowie ihren Aufenthaltsort preisgeben müssen. Daraufhin müssen sie eventuell mit
einer Abschiebung rechnen und um sich dieser zu entziehen kurzfristig aus der gewohnten
Umgebung und gegebenenfalls unterstützenden sozialen Netzwerke ausbrechen.
Es findet ein weitgehender Ausschluss der Frauen ohne Papiere aus dem öffentlichen
Gesundheitssystem statt.37 Einerseits stellt eine Krankenversicherung in der gesetzlichen
Krankenversicherung ein Problem dar, weil einerseits Menschen ohne Papiere keine
Möglichkeit haben die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft nachzuweisen, 38 andererseits
wird die Krankenversicherung als eine öffentliche Stelle aufgefasst, womit sie der
behördlichen Übermittlungspflicht unterliegt, so dass die Menschen ohne Papiere allgemein
aus Angst vor einer möglichen Abschiebung sich nicht krankenversichern. Andererseits ist es
für diese Gruppe, weil sie oft bedürftig ist39, vor allem finanziell unmöglich, sich privat
krankenversichern zu lassen.
Man spricht auch von den Frauen, die zwar einen legalen Aufenthaltsstatus, aber keine
Krankenversicherung haben, welche die in Verbindung mit einer Schwangerschaft
entstandenen Kosten übernimmt. Somit ist die werdende Mutter auf Selbstfinanzierung
gestellt, so z. Bsp. eine Studentin, die gerade von einer Studentenversicherung zum normalen
Versicherungstarif (gegebenenfalls auch zu einer anderen Krankenkasse) wechselt, weil die
Voraussetzungen für Studentenversicherung nicht mehr gegeben sind. Die neue Krankenkasse
weigert sich allerdings für die Kosten der zuvor schon festgestellten oder auch noch
unbekannten Schwangerschaft einzuspringen,40 Ein anderer Fall, der in der Praxis öfters
vorkommt, sind die Frauen, die aus neueren EU-Länder kommen (und möglicherweise illegal
36 Vgl. Rinderer (2009):S. 54, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009Nr. 88.2.4.0 und http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/VwV87AufenthG_SenSozGes_Sozamt_Krhs.pdf:S. 1.37Vgl. Braun, Tanja/Brzank, Petra und Würflinger, Wiebke (2003). Gesundheitsversorgung illegalisierterMigrantinnen und Migranten – ein europäischer Vergleich. In: Borde, Theda und Matthias David (Hg.). Gutversorgt? Migrantinnen und Migranten im Gesundheits- und Sozialwesen. Frankfurt am Main, Mabuse-Verlag:S. 119-141, hier: S. 124.38Vgl. Braun/ Brzank/ Würflinger (2003): S. 124.39 Vgl. Pflaumer (2008): S. 2f.40 Interview mit Fr. Winter-Schwarz.
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beschäftigt sind), keine Auslandskrankenversicherung im Heimatland abschließen bzw. diese
sich weigert die Kosten für Schwangerschaft zu übernehmen.41 Sie werden in diesen Fällen
oft von Hilfsorganisationen betreut.42
3.1.1 Möglichkeiten der Legalisierung für Mutter
Es gibt nämlich zwei Möglichkeiten der Legalisierung für Mutter:
a) Eine Legalisierung (was einige Frauen als Ziel vor sich haben, wenn sie nicht unerwartet,
sondern bewusst von einem Deutschen oder EU-Bürger bzw. Ausländer mit einem legalen
Aufenthaltsstatus schwanger werden43) ist für eine Mutter auf Grund des Sorgerechts für ein
Kind, das über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt, möglich. Die Feststellung der
Staatsangehörigkeit kann auf Grund der Vaterschaftsanerkennung von einem deutschen
Bürger schon vor der Geburt erfolgen. Im Fall einer wirksamen Vaterschaftsanerkennung, die
aber von Behörden in verschiedenen Bundesländer, ja sogar Städten, anders gehandhabt
wird44: über Mitteilung an das Jugendamt bis zum DNA-Test, wird der Mutter eine
Aufenthaltsgenehmigung/Bleiberecht erteilt.
b) Entscheidet sich eine Frau mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus, das Kind auszutragen, kann
sie für sechs Wochen vor und bis acht Wochen nach der Geburt (Mutterschutzfrist) aufgrund
faktischer Abschiebehindernisse [Reiseunfähigkeit aufgrund hoher Schwangerschaft45] eine
Duldung46 erhalten. Diese kurzfristige Legalisierung zur Durchführung der
Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen und Kostenübernahme durch das Sozialamt ist
nach AlylbLG mit der Statusoffenlegung der Mutter verbunden. In einigen Städten ist sie
auch für längere Zeit (dank Absprachen zwischen Gesundheitsamt, Hilfsorganisationen und
Ausländerbehörde) als gesetzlich vorgesehen möglich: 3 Monate vor der Geburt und 6
Monate danach in Nürnberg (seit 2009), halbjährige Duldung in Berlin (seit 2008)47,
41 Vgl. Braun/ Brzank/ Würflinger (2003): S. 124.42 Interview mit Fr. Winter-Schwarz.43 Interview mit Fr. Kirsch.44 Interview mit Fr. Winter-Schwarz.45 Interview mit Fr. Kirsch:“ in Nürnberg wird an diese Regel gehalten, bisher gab es keine Probleme“.46 Vgl. Erzbischöfliches Ordinariat Berlin (Hg.) (2000): S. 20: “Eine Duldung begründet zwar nach §§ 55, 56Ausländergesetz kein Aufenthaltsrecht. Sie gewährt jedoch vorläufigen Abschiebungsschutz sowie gewissesoziale Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und wird denen ausgestellt, die nicht alsAsylberechtigte anerkannt werden, bei denen aber aus humanitären Gründen eine Rückkehr unzumutbarscheint.“47 Vgl. Hoff (2009): S. 55 zitiert nach Rinderer (2009): S. 44.
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Frankfurt und München.48 In dieser Zeit kann auch eine Geburtsurkunde für das Kind
ausgestellt werden. Danach wird die Mutter zusammen mit dem Kind gegebenenfalls
abgeschoben.49 Über eine Abschiebung wird individuell in jedem Fall entschieden. Frauen mit
Duldung entscheiden sich oft zum erneuten Abtauchen in die Illegalität bevor sie
abgeschoben werden und fliehen aus den Krankenhäusern zusammen mit dem Neugeborenen
bevor der ärztlich bestimmte Entlassungstermin eintritt und bevor die Geburtsurkunde für das
Kind erstellt wird.50
Es kommt aber vereinzelt vor und ist von einigen Autoren berichtet worden, dass Behörden
diese (vor allem gesetzlichen) Mutterschutzregelungen anders handhaben und manchmal
werden die Abschiebungen sogar vor dem Ende der 8 –wöchigen Frist, die eigentlich für alle
gilt und nicht zu den Absprachen auf der städtischen Ebene gehört, vorgenommen.51
3.1.2 Beratungsstellen der Gesundheitsämter und Kinder- und
Jugendgesundheitsdienste als Ausweichmöglichkeiten
In Folge der ärztlichen Schweigepflichten und in Verbindung mit ihren Aufgaben sind die
Gesundheitsämter von der Übermittlungspflicht befreit und brauchen somit nicht die
Patientendaten an die Ausländerbehörde weiterzuleiten.52 Ihre Angebote zur
Gesundheitsversorgung auf kommunaler Ebene können von den Randgruppen der
Bevölkerung anonym und kostenlos genutzt werden. An diese Stellen wenden sich auch
Papierlose und Schwangere. Diese Menschen haben keinen anderen Zugang zu
Gesundheitsleistungen. Die Angst vor Abschiebung wird ihnen hier aufgrund der bewahrten
Anonymität genommen.
Eine präventive Versorgung in Form von gynäkologischen Untersuchungen und
Krebsvorsorgeuntersuchungen ohne Statusoffenlegung bieten einige Gesundheitsämter an
(z.B. in Köln, Frankfurt am Main und Düsseldorf).53 Daneben werden auch anonyme und
48Vgl. Diakonisches Werk Hamburg (Hg.) (2009): S. 187 und Hoff (2008). In: Diakonisches Werk Hamburg (2009):S. 164.49Vgl. http://www.gesundheitsversorgung-fuer-alle.de/infomat.html und Rinderer (2009): S.44 und Groß(2005), 24 in: Rinderer (2009): S. 44.50 Interview mit Fr. Kirsch.51 Vgl. Groß, Jessica (2002). „Illegal“-Gesundheitsversorgung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus: S.2f.52Vgl. Pflaumer, Gerd (2008). Probleme der Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Papiere inDeutschland: S. 3.53Vgl. Rinderer (2009): S. 64 sowie Deutscher Caritasverband (2010): S. 6.
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kostenlose Familiensprechstunden und Vorsorgeuntersuchungen für Schwangere angeboten.54
Diese Stellen sind allerdings oft nicht gut genug für die komplexen Untersuchungen oder
Behandlungen ausgestattet.
Einige Beratungsstellen (u.a. in Köln und Frankfurt) des Gesundheitsamtes berichten davon,
gelegentlich auch Kinder (überwiegend im Säugling- und Kleinkinderalter) behandelt zu
haben. Da die Beratungsstellen auf Geschlechtskrankheiten oder Familienplanung
ausgerichtet sind, können nur „notwendig[e] Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen (U2-
U8) für Kinder in den ersten Lebensmonaten durch[geführt werden]. Aber auch einige
gewöhnliche Erkrankungen (Infektions-, Magen- und Darmerkrankungen) können anhand
eines basalen Medikamentenbestandes behandelt werden.“ Ernsthaft kranke Kinder werden
außerdem an Kinderärzte und Kinderkliniken weitervermittelt,55 was wiederum mit der
einfachsten Ausstattung der Stellen zu tun hat.
Kinder- und Jugendzahngesundheitsdienst stellt zumindest rudimentäre Versorgung
hinsichtlich der Zahngesundheit der Kinder sicher. Es werden zahnärztliche
Reihenvorsorgeuntersuchungen in Kindergärten und Schulen sowie kleine prophylaktische
Behandlungen bei Bedarf vor Ort durchgeführt. „Für weitgreifende Behandlungen müssen
allerdings auch hier normale Zahnarztpraxen aufgesucht werden.“56
3.2 ParallelsystemeAngesicht der mangelhaften Versorgung der Menschen ohne Papiere im Rahmen der
regulären Gesundheitssystems, aber nichtsdestoweniger konstanten Nachfrage auf
Gesundheitsleistungen, bilden sich soziale und medizinische Netzwerke, die sich persönlichen
Kontakten oder informeller Absprachen bedienen.
Die sozialen Netzwerke können einigen Menschen ohne Papiere hilfreich sein, es findet
Arztpraxen und vertrauten Familienärzten oder z. Bsp. Versichertenkartenausleihe
(tendenziell absteigend) von der Seite der Bekannten mit legalem Aufenthaltsstatus statt.
Solche an sich zweifelhafte „Leistungen“, außer vielleicht Kontaktvermittlung, bringen den
Schwangeren eher wenig, weil in dem Fall der Versichertenkartenausleihe ein ernsthaftes
Risiko für Gesundheit von Mutter und Kind sich entwickeln kann. Bei der Ausstellung der
54Vgl. Rinderer (2009): S. 65 und Gesundheitsamt Frankfurt 2009 a, b in: Diakonisches Werk Hamburg (2009): S.16655Vgl. Bommes, Michael und Wilmes, Maren (2007). Menschen ohne Papiere in Köln. Eine Studie im Auftrag desRates der Stadt Köln, Osnabrück: S. 82ff.56Vgl. Bommes/ Wilmes (2007): S.84.
nämlich Medikamentenaustausch, Erfahrungen aus und Kontaktvermittlung zu bestimmtenm
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Geburtsurkunde auf falschen Namen kann es zu schweren Identitätsfeststellungsfehler und
sich daraus ergebenden langanhaltenden Problemen für Mutter und Kind kommen.57
Die medizinischen Netzwerke sind durch Anderson wie folgt beschrieben: „In der Regel sind
diese Netzwerke Zusammenschlüsse von Medizinerinnen und Medizinern und politisch sowie
kirchlich aktiven Bürgerinnen und Bürgern, die eine Beratung von Betroffenen und
Weitervermittlung an behandelnde Ärztinnen und Ärzte koordinieren.“58 Diese Netzwerke
unterliegen keiner Übermittlungspflicht, auch nicht wenn sie zum Teil durch öffentliche
Gelder finanziert werden.
Zurzeit zählt man bis zu 15 Initiativen bundesweit, die medizinische Anlaufstellen für
Nichtversicherte und Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus organisieren.59 Diese Stellen
sind den Behörden bekannt und werden den Kranken ohne Papiere nicht selten empfohlen.60
In Nürnberg halten die Medizinische Flüchtlingshilfe und Deutscher Caritasverband engen
Kontakt zu den werdenden Müttern und ihren Kindern.
Für werdende Mütter ohne Krankenversicherung oder ohne Aufenthaltsgenehmigung existiert
seit 10 Jahren die medizinische Flüchtlingshilfe in Nürnberg und auch seit kurzer Zeit in
Erlangen. Diese Stelle sucht für die Frauen Fachärzte aus und trifft mit denen Absprachen
über die Behandlungen, Kosten und Bezahlung. Daneben stellt sie Kontakt zu den
Krankenhäusern her. Die Mitarbeiter der medizinischen Flüchtlingshilfe Nürnberg und
Erlangen begleiten die Schwangeren zu den Ämtern oder bei Sprachproblemen auch in die
Facharztsprechstunden. Es existiert in der Zwischenzeit ebenfalls wie in Köln, Hamburg oder
Berlin ein breites Netz von vertrauten Ärzten, die zu reduzierten Preisen oder gar
unentgeltlich behandeln. Daneben können die Frauen Rechtsberatung und Ratschläge und
Hilfe zur möglichen Legalisierung bekommen sowie ihre Probleme mit einer Kinderärztin im
Haus besprechen.
In der Sexual- und Schwangerschaftsberatungsstelle des Deutschen Caritasverbandes, die seit
31 Jahren ihren Sitz in Nürnberg hat, werden Vorsorgeuntersuchungen,
Psychologinnensprechstunden, soziale Veranstaltungen und Hilfe bei Behördengang für
57Vgl. Rinderer (2009): S. 62.58Vgl. Anderson (2003): S. 34.59Vgl. http://ausdemschatten.antira.info/methode/weitere-bereiche-gesellschaftlicher-marginalisierung/gesundheitsversorgung/ und Rinderer (2009): S.66.60 Interview mit Fr. Kirsch.
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Schwangere und junge Familien angeboten. Es ist eine Versorgung mit der
Babyerstausstattung möglich, im Hause ist eine Kinderkleiderkammer angerichtet.
4 Politische Forderungen und ReaktionenPolitische Forderungen werden gemeinsam oder einzeln von verschiedenen Organisationen in
Form von Studien, Publikationen, Berichten (Arbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität),
Beiträgen, Stellungnahmen zu den staatlichen Publikationen, Kampagnen (kein mensch ist
illegal/1997/Kassel) und Anträgen (FDP München: Kinder und Jugendliche) bis hin zu
Forderungen (Bundesärztekammer61) und Manifesten62 an die Politik getragen. Als Beispiel
für einen humanen Umgang mit den Menschen ohne Papiere werden die europäischen
Nachbarländer erwähnt.
Im Bericht (2007) des BMI werden folgende Forderungen (2006) von der Seite der Deutschen
Bundesärztekammer erwähnt: „ausdrückliche Herausnahme ärztlicher und sonstiger
medizinischer Hilfe aus dem Straftatbestand des § 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, Streichung der
Übermittlungspflichten nach § 87 Abs. 2 AufenthG sowie Schaffung einer
Kostentragungsregelung für medizinische Behandlungen.“63
Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität gibt in ihrem Bericht „Frauen, Männer und
Kinder ohne Papiere in Deutschland - Ihr Recht auf Gesundheit.“ Empfehlungen zur
Verbesserung der Lage von Menschen ohne Papiere im Bereich der Gesundheitsversorgung.
Sie fordern die Politik und Gesellschaft eine menschenrechtskonforme Lösung für den
Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erarbeiten und Übermittlungspflichten
einzuschränken.64
Außerdem existieren auf den Kommunen- und Landesebenen Arbeitskreise, runde Tische, die
in Zusammenarbeit zwischen kirchlichen, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren,
inoffizielle und offizielle Lösungen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Mütter
und Kinder speziell, sowie der Gruppe der Papierlosen allgemein, diskutieren und
ausarbeiten.
Die Übermittlungspflichten werden weiterhin von der staatlichen Seite als unverzichtbares
Instrument der Migrationskontrolle (unbeachtet ganzer Kritik und Hinweise auf deren
61Vgl. Rinderer (2009): S. 56.62Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.) (2008): S. 13.63Vgl. BMI (Hg.) (2007): S. 11.64Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.) (2008): S. 12.
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Fehlschlag seitens menschenrechtlicher Organisationen) angesehen, andererseits erkennt der
Staat an, dass sie ein wesentliches Hemmnis bei der Inanspruchnahme sozialer Rechte sind65.
„Eine abschreckende Wirkung ist beabsichtigt“66, heißt es im Bericht des Bundesministeriums
des Inneren. Eines ist an diesem Satz sowie an den Handlungen des Staates eindeutig
ablesbar, er räumt Priorität der Ordnung vor der Menschenwürde.
5 SchlussbemerkungDa die Menschen ohne Papiere aus dem regulären Gesundheitssystem mittels Kopplung der
Leistungsberechtigung mit Überwachungsinstrumenten weitgehend ausgeschlossen werden,
aber die Bedürfnis nach Gesundheitsversorgung bleibt, wenden sie sich an (ihren
Bekanntenkreis oder) die nichtstaatlichen Organisationen, die ihrerseits die Bedürfnisse der
Patienten berücksichtigen und entsprechend darauf reagieren. Daraus bilden sich die
Parallelsysteme zum staatlichen Gesundheitssystem. Einerseits werden den gemeinnützigen
Hilfsorganisationen, die sich u. a. für Menschen ohne Papiere im Bereich der
Gesundheitsversorgung engagieren, staatliche Zuschüsse gewährt, praktisch dafür, dass diese
staatliche Aufgaben im Bereich der Gesundheitsversorgung erfüllen.67 Andererseits besteht
weiterhin die Handlungspassivität des Staates in dem genannten Bereich, die als
offensichtlicher Verstoß gegen verschiedene internationale Verpflichtungen von anderen
Akteuren bewertet wird.68 Die Problemlage der Patienten ohne Papiere wird als moralisches
Problem in Hinsicht auf die Organisationen des Gesundheitssystems aufgefasst.69
Mehrere zivilrechtliche Akteure und nichtstaatliche Organisationen, bestehen darauf die
zurzeit nur theoretisch gegebene Ansprüche der Menschen ohne Papiere auf die
Gesundheitsversorgung in der Praxis zu verwirklichen, d.h. effektive anonymisierte Verfahren
herauszuarbeiten, minimale finanzielle Unterstützung zu gewährleisten,
Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen und die Mitteilungspflichten einzuschränken70.
Viele weisen auf die prioritäre Stellung der Menschenrechte vor dem Recht des Staates, die
Migration zu kontrollieren, hin.71 Sie bringen in die Diskussion Beispiele anderer
europäischen Länder ein und kritisieren die Unvereinbarkeit der faktischen Situation der
65Vgl. BMI (Hg.) (2007): S. 39f.66Vgl. BMI (Hg.) (2007): S. 39.67Vgl. Erzbischöfliches Ordinariat Berlin (Hg.) (2000): S. 127.68Vgl. Pflaumer (2008): S. 1.69Vgl. Bommes/ Wilmes (2007): S. 61.70Vgl. Koch (2007): S. 3 und Beisbart (o.J.): S. 58-60.71Vgl. Koch (2007): S. 3.
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Menschen ohne Papiere (besonders der Schwangeren) mit den Bestimmungen des
Grundgesetzes72 und fordern politische Lösungen.73
Eine Schwangerschaft stellt für Frauen ohne Papiere, auf Grund ständiger Angst vor
unregelmäßigen Einkommens und Fehlen der festen Beziehungen sowie Verwandten, oft eine
Existenzkrise dar. Eine Beziehungskrise aufgrund unerwarteter Schwangerschaft führt nicht
selten zur hohen psychologischen sowie physischen Anstrengung, wodurch eine
Risikoschwangerschaft74 entsteht, die wiederum besondere Aufmerksamkeit der Ärzte
erfordert. Diese wird nicht geleistet, da der erschwerte Zugang zur Gesundheitsversorgung
und keine finanzielle Stabilität bestehen. Die Frauen sind auf die sozialen Netze angewiesen
und an NGOs, um einerseits nicht in Abschiebehaft zu gelangen, andererseits auf Grund
unaufschiebbarer Bedürfnis nach ärztlichen Versorgung.
Diese Frauen halten sich fern von der Öffentlichkeit, so dass die Hilfsorganisationen und ihre
Angebote ihnen nicht bekannt sind. Sie werden oft nur dank „Mund zu Mund Propaganda“
auf die Angebote der nichtstaatlichen und anonymen Beratungsstellen aufmerksam und somit
auf viel Glück in der Erfüllung ihrer Menschenrechte angewiesen.75
Innerhalb der Netzwerke ist die Verbindung zwischen den Hilfsorganisationen besonders
wichtig, die einander und jeweilige Spezialgebiete kennen und die Patienten entsprechend
einweisen und weiterhelfen.
Die Kinder der Papierlosen werden von den Eltern von der Gesellschaft und somit von der
Inanspruchnahme ihrer Grundrechte ferngehalten. Sie leiden oft an Mangel an
Gesundheitsversorgung während der Schwangerschaft. Wenn sich die Mutter nicht
angemessen versorgen lässt, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Fehlbildung am ungeborenen
Kind an, und auch danach. Sie werden außerdem in ihren Menschenrechten (Geburtsurkunde,
Staatsangehörigkeit, Eltern, Name) benachteiligt, dadurch, dass die Mutter sich heimlich in
Deutschland aufhält und möglicherweise das Kind bei Geburt aus Angst vor Abschiebung
nicht anmeldet. Daraufhin werden die papierlosen Kinder von dem Staat ignoriert76, weil sie
für den Staat wegen der Abwesenheit der Geburtsurkunden bzw. Meldebescheinigung
inexistent bleiben.
72Vgl. Beisbart (o.J.): S. 58.73 Vgl. Koch (2007): S. 3.74Vgl. Bell, Urte: in Braun/ Brzank/ Würflinger (2003): S. 129 und Groß (2002): S. 3.75Vgl. Rinderer (2009): S. 60.76Vgl. Beisbart (o.J.): S. 48.
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Die Angebote der menschenrechtlichen Organisationen erreichen die Frauen ohne Papiere nur
in wenigen Fällen und stellen nur rudimentäre und nicht flächendeckende Versorgung
bereit77, obwohl schon diese spärliche Hilfe für viele Frauen eine Stütze bedeutet und sich auf
ihre Entscheidung für das Kind positiv auswirkt. Somit übernehmen die
zivilgesellschaftlichen Akteure die Verpflichtungen des Staates zur Gewährleitung der
Gesundheitsversorgung für diese marginalisierte Gruppe.
Da es viel Engagement in die Veränderung der Situation durch die zivilgesellschaftlichen
Akteuren auf diesem Problemfeld investiert wird und das Thema erst seit relativ kurzer Zeit in
dem Druck der öffentlichen Kräfte nachlässt und einige praktische Verbesserungen bei der
Umsetzung der menschenrechtlichen Ansprüchen auf Gesundheitsversorgung für Frauen und
Kinder ohne Papiere eintreten.
77Vgl. Rinderer (2009): S. 60f.
der Öffentlichkeit diskutiert wird, ist es zu vermuten, dass der Widerstand der Politik unter
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6 Quellen
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, unter:http://www.ohchr.org/EN/UDHR/Pages/Language.aspx?LangID=ger [17.08.2010]
Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009.