Julian Stubbe und Mandy Töppel (Hrsg.) Muster und Verläufe der Mensch-Technik-Interaktivität Band zum gleichnamigen Workshop am 17./18. Juni 2011 in Berlin Technical University Technology Studies Working Papers TUTS-WP-2-2012
Julian Stubbe und Mandy Töppel (Hrsg.)
Muster und Verläufe der Mensch-Technik-Interaktivität Band zum gleichnamigen Workshop am 17./18. Juni 2011 in Berlin
Technical University Technology Studies
Working Papers
TUTS-WP-2-2012
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Inhaltsverzeichnis
Einführung und kurze Zusammenfassung der Diskussion
Julian Stubbe 5
Die Agency digitaler Artefakte in Bildungskontexten –
Typologie von Interaktionsverläufen zwischen Subjekt und Technologie
Corinne Büching, Julia Walter-Herrmann & Heidi Schelhowe 7
Mensch-Roboter Interaktion –
Status der technischen Entität, Kognitive (Des)Orientierung und
Emergenzfunktion des Dritten
Diego Companga & Claudia Muhl 19
Ein modellbasierter Ansatz zur Rekonstruktion von Interaktivitätsverläufen
Julian Stubbe & Mandy Töppel 35
Verhaltenswirksamkeit von Alarmsystemen
Rebecca Wiczorek 45
‚Interaktionen’ zwischen Subjekt und Internet.
Zur Aufzeichnung, Auswertung und Typisierung von Internetpraktiken
Tanja Carstensen & Jana Ballenthien 51
Experimente mit unbekannten Gegenständen –
Strategien der Bedeutungskonstruktion
Juliane Böhme 59
G.H. Mead – Ausgangspunkt für eine Analyse von Mensch-Technik Interaktion
Valentin Janda 67
Autorenverzeichnis 77
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Einführung und kurze Zusammenfassung der Diskussion
Julian Stubbe
In dem vorliegenden Band sind die Beiträge des Workshops „Muster und Verläufe der Mensch-
Technik-Interaktivität“, der am 17. und 18. Juni 2011 in Berlin stattfand, in Form kurzer Discussi-
on-Paper zusammengetragen. Die Veranstaltung wurde als Kooperation des DFG-Projekts „Model-
lierung von Benutzerverhalten zur Usability-Evaluierung von Sprachdialogdiensten mit Hilfe von
techniksoziologisch ermittelten Regeln“, an der TU Berlin, und des Verbundprojektes "Subjektkon-
struktionen und digitale Kultur (SKUDI)", ins Leben gerufen.
Die Idee zu dem Workshop entstand durch den Wunsch, einen inhaltlichen Austausch unter jungen
Wissenschaftlern zu initiieren, die zu Themen der Mensch-Technik-Interaktivität forschen. Im
Rahmen der Veranstaltung trafen daraufhin 18 WissenschaftlerInnen aus der Soziologie, Psycholo-
gie und Informatik zusammen, um gemeinsam ihre Forschungsfragen zu diskutieren. Im Zentrum
der Diskussion stand die Frage, wie Muster und Verläufe der Mensch-Technik-Interaktivität analy-
siert und darstellgestellt werden können. Hinsichtlich der Analyse von Interaktivitätsverläufen sollte
erörtert werden, wie Handlungen „mit“ und „gegenüber“ Technik abgestimmt werden und welche
spezifischen technischen Eigenschaften das Gefühl des reziproken Interagierens zwischen Mensch
und Maschine hervorrufen.
In den Beiträgen wurden verschiedene Forschungsansätze zu diesem Thema vorgestellt und disku-
tiert. Darunter fielen theoretische Anregungen als auch empirische Studien und Experimente mit
verschiedenen Technologien. Die in diesem Band zusammengetragenen Beispiele stammen aus
Versuchen mit
Roboter-Prototypen,
einer interaktiven Kunstinstallation,
einem Alarmsystem,
einem Sprachdialogsystem,
alltäglichen Internetanwendungen
als auch Haushaltsgegenständen.
Anhand dieser Beispiele wurden Ansätze entwickelt, auf deren Grundlage untersucht wird, wie sich
Interaktivität in ihrem zeitlichen Verlauf entfaltet und Prozesse der Annäherung, Krisenbewältigung
und Kontrolle analysiert werden können. In einigen Beiträgen in diesem Band werden hierzu erste
Ergebnisse vorgestellt, die Interaktivitätsverläufe rekonstruieren und spezifische Mustern aufde-
cken.
Eine Vielzahl der vorgestellten Versuche wurde per Video als auch durch technische Protokollie-
rung von Systemabläufen aufgezeichnet. Durch diese Vorgehensweisen ergaben sich während des
Workshops einige methodische Diskussionspunkte. Dazu zählte bspw. die Differenz zwischen rein
empiriegeleiteten Verfahren der qualitativen Sozialforschung und modellhaften Konzepten der Nut-
zermodellierung als auch die Frage, inwiefern Erkenntnisse aus Laborstudien auf Alltagssituationen
übertragbar sind.
Der letztere Punkt wurde von den Teilnehmenden besonders intensiv diskutiert, da der Großteil der
vorgestellten Daten aus experimentellen Szenarien stammt. Dies war in erster Linie dem For-
schungsgegenstand an sich geschuldet, da die Probanden mit einer Technik interagieren sollten, die
sie nicht kannten. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass die beobachteten Verhaltens-
und Handlungsweisen andere sind als im alltäglichen Umgang mit Technik. Die Formulierung der
Fragestellung sollte diese Prämisse berücksichtigen und den Kontext der experimentellen Situation
mit in die Analyse aufnehmen. Dabei sollte danach gefragt werden, welche rahmenden Elemente
der Situation in der Interaktivität wirksam werden. Gemeinsam ist diesen Situationen, dass es um
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den Umgang mit unbekannten Objekten geht, also wie sich Personen einer ihnen unbekannten
Technik annähern. Insbesondere die Arbeit mit Videodaten bietet für einen derartigen Ansatz eine
geeignete Grundlage, da hier Handlungsaspekte sichtbar werden, die in einem Interview o.ä. ver-
borgen blieben.
Aus dieser Forderung ergab sich auch der Schluss, dass spezifische Akteurskonstellationen, in de-
nen sich die beobachtete Interaktion vollzieht, mit in die Analyse einfließen müssen. Dazu gehört
die Frage, wie Konstellationen hergestellt werden und sich im Interaktivitätsverlauf verändern. In
den vorgestellten Daten wurde ersichtlich, dass die beobachtete Interaktion nicht auf die bilaterale
Beziehung zwischen Mensch und Artefakt beschränkt ist, sondern rahmende Elemente einer Situa-
tion von den Probanden hinzugezogen werden, um ihre Handlugen auszurichten. Dies betrifft auch
die Frage, ob sich das Interagieren „gegenüber“ oder „mit“ der Technik vollzieht. Bei der ersten Art
der Beziehung wird die Technik zum direkten Interaktionspartner und die Handlungen beziehen
sich auf das Artefakt, bei der zweiten Art wird die Technik in eine bestehende Handlung eingebun-
den. In den empirischen Settings der Beiträge, war der erste Fall der häufigere, da die Zwecke der
Technik zumindest grob vorgegeben waren und sich die Handlungen der Probanden darauf kon-
zentrierten, eine Beziehung zu dem Artefakt aufzubauen.
Um die Handlungen besser verstehen zu können sollte auch gefragt werden, welcher Handlungstyp
in den Daten vorliegt bzw. von welcher Natur die Handlungen sind, die beobachtet werden. Dazu
gehört, ob Handlungen zweckgerichtet oder spielerischer Natur sind. Während zweckgerichtete
Handlungen ein definiertes Ziel verfolgen und somit einem konkreten Nutzen unterliegen, ist der
Zweck einer spielerischen Handlung, die Aktivität an sich aufrechtzuerhalten. Besonders die expe-
rimentellen Umgebungen führen dazu, dass beide Handlungstypen vermischt auftauchen, da ein
Zweck in diesen Situationen künstlich hergestellt wird und keiner realen Notwendigkeit aus dem
Alltag einer Person entspricht. Allerdings bleibt die Frage bestehen, zu welcher Art Handlungen wir
Probanden anleiten und durch die Aufgaben, die wir ihnen stellen, vorprogrammieren.
Desweiteren wurde in der Abschlussdiskussion gefordert, das Potenzial von Krisenexperimenten zu
nutzen, um genauer feststellen zu können wie Menschen eine ihnen unbekannte Technologie
„handhabbar“ machen. Im Umgang mit unbekannten Techniken scheinen Krisen in gewisser Weise
vorprogrammiert, sei es, dass Krisen durch das Nicht-Funktionieren der Test-Technik entstehen,
durch den künstlichen Einbau einer Krise in den Versuchsaufbau oder indem die Probanden keinen
Weg finden, die Technik zu bedienen. In den Beiträgen traten alle drei Krisenfälle auf, als auch
Wege damit umzugehen. Allerdings beinhalten diese Wege nicht nur kreative Handlungen des
Problemlösens, sondern auch die Veränderung des Rahmens durch Witze-Machen oder Erweiterung
der Szene durch den Einbezug abseits stehender Personen. Dementsprechend ist die Bewältigung
von Krisen im Labor eine andere als im Alltag. Allerdings zeigen uns die Krisen in Experimentsitu-
ationen, auf welche Handlungsaspekte wir schauen müssen und welche grundlegenden Mechanis-
men die Handlungen einer Person koordinieren. Krisenexperimente erlauben uns die Grundstruktu-
ren der Kommunikation zwischen Mensch und technischem Artefakt besser verstehen zu können.
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Die Agency digitaler Artefakte in Bildungskontexten –
Typologie von Interaktionsverläufen zwischen Subjekt und Technologie
Corinne Büching, Julia Walter-Herrmann & Heidi Schelhowe
1 Einleitung
„Computerfrust: Mann wirft PC aus dem Fenster […] Der Täter muss keine Strafe fürchten - die
Polizei zeigte Verständnis“ titelte einst die Online-Nachrichten-Site SpiegelOnline1 und auch die
Kommentare zum Beitrag sind geprägt von Mitgefühl mit dem Unbekannten, dessen Computer ihm
nicht gehorchen wollte. Allzu vertraut scheint den LeserInnen das Gefühl der Ohnmacht im Kampf
Mensch gegen Maschine zu sein: Viele kennen die Widerspenstigkeit digitaler Artefakte aus ihrem
Alltag. Für den Laien sind die technologischen Blackboxes mit ihrer Handlungsmacht kaum zu
verstehen, geschweige denn zu beherrschen – was bleibt, ist missglückte Interaktion. Doch die
„Unberechenbarkeit“ und „Eigensinnigkeit“ digitaler Artefakte muss nicht zwangsläufig zu Frustra-
tion führen, sie birgt auch neuartige Potentiale, wie wir mit dem vorliegenden Beitrag zeigen wer-
den.
In unserem Beitrag werden vier verschiedene Muster der Interaktion2 von Subjekt und digitalem
Artefakt in Bildungsszenarien vorgestellt und diskutiert. Diese Muster der kooperierenden,
kontrollierenden, kreativen und koexistenten Interaktion zeichnen sich durch unterschiedliche
Verteilungen von Agency auf seiten der Subjekte oder der digitalen Artefakte aus. Nach einer theo-
retischen Rahmung unserer Forschung werden zwei Workshops vorgestellt, in denen die Muster
beobachtet werden konnten und das Erhebungsszenario wird dargestellt. Ergebnisse und Kontextua-
lisierung der Muster der Mensch-Maschine-Interaktionsverläufe und Folgerungen für den Bildungs-
prozess werden daraufhin beschrieben.
Die Interaktion mit technischen Geräten und Artefakten wird immer mehr zur alltäglichen
Selbstverständlichkeit für Jugendliche. Im Projekt SKUDI treten wir in den Dialog mit der
Generation, die mit dem Computer aufgewachsen ist (15-30Jährige). Hinter SKUDI verbirgt sich
die Kurzform von Subjektkonstruktion und Digitale Kultur, ein von der VW-Stiftung gefördertes
dreijähriges Forschungsprojekt. Im Projekt gehen wir von einer Veränderung der Gesellschaft durch
Digitalisierung und Technologisierung aus. Gesellschaftliche Umbrüche betrachten wir als Heraus-
forderungen für die Subjekte der Gegenwart, die sich in der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt
verändern. Der Fokus des Bremer Teilprojekts liegt auf den Veränderungen von Lebenswirklichkeit
und Subjektkonstruktion durch Lernprozesse in Interaktion mit digitalen Artefakten. Zur Erfor-
schung dieser Lernprozesse werden Workshopkonzepte entwickelt und durchgeführt, die einen kon-
struktivistischen (aufbauend auf Piaget 2003, Piaget/Inhelder 1980) und konstruktionistischen (vgl.
Papert 1996, 1994, 1991) Umgang mit digitalen Artefakten ermöglichen.
1 http://www.spiegel.de/netzwelt/spielzeug/0,1518,494637,00.html (letzter Zugriff: 02.10.2011).
2 Interaktion umfasst hier das generelle Handeln zwischen Menschen und digitalen Artefakten und nicht
bloß das subjektiv sinngeleitete und auf Verstehen basierende Handeln von Menschen im Weberschen
Sinne. Dabei verstehen wir Interaktivität mit digitalen Artefakten als prozessuale Größe: Die Interaktivität
ist umso höher je komplexer die Reziprozität der Handlungen ist (vgl . Schelhowe 2007: 65ff., Schelhowe
2006: 2ff.).
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2 Die Agency digitaler Artefakte als Konzept in
Bildungszusammenhängen
Die in diesem Paper vorzustellenden Muster von Interaktionsverläufen lassen sich dadurch charak-
terisieren, dass Menschen und digitale Artefakte in der Interaktion miteinander jeweils unterschied-
liche Maße an Agency ausüben. Nach Rammert fasst das Konzept der Agency3 die Handlungsmacht,
Handlungsfähigkeit und auch Widerspenstigkeit der Aktivität und Reaktivität von Menschen und
(insbesondere technischen) Objekten, die sich irgendwo in der Mitte zwischen absolutem Determi-
nismus und purem Zufall verorten lässt (Rammert 2011: 3), ohne dabei auf das Sinnverstehen
menschlicher Handlungen beschränkt zu werden (Rammert 2011: 10).
Bei den im Rahmen unserer Untersuchung eingesetzten Artefakten, dem Schwarm und den Robots4,
handelt es sich um digitale Artefakte, die über besondere interaktive Potenziale verfügen. Ihnen
wird eine außerordentliche Form der Agency, ja eine gewisse ‚Intelligenz„ zugeschrieben. Diese
digitalen Artefakte, als innovative Technologien, verfügen über stark ausgeprägte Mobilität, Pro-
grammierbarkeit und kontextabhängige Interaktivität.
Die Beschreibung und systematische Untersuchung vergleichbarer High-Tech-Konstellationen so-
wie der damit assoziierten verteilten Agency stehen maßgeblich im Fokus von Wissenschaften, die
sich mit komplexen Systemen und der Rolle von Technologie beschäftigen, wie den Science-and-
Technology-Studies, den Ingenieurswissenschaften, aber auch den Kulturwissenschaften. Meist
beziehen sich die Untersuchungen auf professionelle, per se hoch technologisierte Bereiche. Die
gegenwärtige Technologisierung aller gesellschaftlichen Bereiche bringt es mit sich, dass solche
interaktiven Artefakte immer mehr den Alltag, und damit auch den Bildungsalltag, durchdringen.
Trotz der Allgegenwart von Interaktion mit ‚intelligenten„ Artefakten in Bildungskontexten, wie sie
beispielsweise mittels E-Learning, Interactive Whiteboards oder dem simplen Einsatz von Compu-
tern für Lernprozesse vollzogen wird, findet in der pädagogisch orientierten Literatur hauptsächlich
eine Auseinandersetzung mit Diskursen, die die Rolle Digitaler Medien in Bildungsprozessen the-
matisieren, statt. Die systematische Beschreibung und empirische Untersuchung der Agency digita-
ler Artefakte in Bildungskontexten ist jedoch ein Desiderat (vgl. Röhl 2011: 225)5. Im Mittelpunkt
dieses Beitrags stehen daher die empirisch fundierte Beschreibung und Analyse von Agency in In-
teraktionsverläufen zwischen Menschen und digitalen Artefakten in Bildungskontexten sowie die
Systematisierung verschiedener Muster von Interaktionsverläufen als Aspekt des Lernens.
3 Die von Rammert vorgenommenen Differenzierungen von levels of agency, je nach involvierter Technik
sowie die Unterscheidung von kognitiv intentionaler Agency und handlungsbasierter Agency (Rammert
2011) werden nicht übernommen.
4 Bei den Robots, die im Rahmen unserer Workshops von den TeilnehmerInnen konstruiert werden, handelt
es sich um Robots aus der Produktserie LEGO ® MINDSTORMS ® NXT 2.0. Diese basieren auf pro-
grammierbaren Legosteinen (NXT), Elektromotoren, Sensoren sowie Bausteinen der LEGO Technic ®-
Produktserie. Diese Robots korrespondieren in besonderem Maße mit konstruktionistischen Lernideen
(vgl. Papert 1980).
5 Jüngst erschienen jedoch einige Veröffentlichungen zur Actor-Network-Theory in Bildungskontexten, in
denen – wenn auch eher metaphorisch als empirisch orientiert – von einer Agency der Objekte ausgegan-
gen wird (vgl. hierzu Röhl 2011: 225). Darüber hinaus findet sich eine erste systematische Beschreibung
der Agency digitaler Artefakte in Lernprozessen bei Wiesner et al. (vgl. Wiesner et al. 2006), die aus Ar-
beiten im Rahmen unserer Arbeitsgruppe Digitale Medien in der Bildung (dimeb) an der Universität Bre-
men hervorgegangen ist.
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3 Workshops als Bildungsangebot und Erhebungsszenario
Im Rahmen unseres Projekts wird Lernen in der Interaktion mit technischen Artefakten in von uns
durchgeführten Workshops evoziert und analysiert. Bei diesen Workshops handelt es sich um päda-
gogisch-didaktisch durchdachte Arrangements, in denen sich Lernen mit hoher Wahrscheinlichkeit
und mit einer maximalen Reduktion instruktionistischer Eingriffe durch die pädagogischen Beglei-
terInnen ereignen kann. Die Workshops haben eine doppelte Funktion: Einerseits erhalten die Ju-
gendlichen die Möglichkeit, mit vorrangig nicht-alltäglichen, innovativen technischen Artefakten zu
interagieren bzw. diese selbst zu konstruieren. Zusammen mit weiteren Aspekten der Auseinander-
setzung mit Technologie stellen die Workshops also ein Bildungsangebot für die jungen Erwachse-
nen dar, in dessen Rahmen Lernprozesse stattfinden, sich technische Blackboxes öffnen lassen und
die Agency der Artefakte nachvollziehbar und durchschaubar wird. Andererseits sind diese Work-
shops aber auch Experimentalsituationen, in welchen Erkenntnisse über die soziokulturellen Prakti-
ken der jungen Erwachsenen und deren Subjektkonstruktionen gewonnen und analysiert werden
können. In den Workshops lassen sich Interaktionsverläufe zwischen Subjekten und digitalen Arte-
fakten empirisch beobachten.
Zwei der durchgeführten Workshops, nämlich Theater mit dem Schwarm und Robots DIY, sollen im
Folgenden vorgestellt werden. Die im Rahmen dieser Workshops erhobenen Daten dienen als
Grundlage für die Beschreibung der Typologie von Mustern von Interaktionsverläufen.
3.1 Theater mit dem Schwarm
Im Mittelpunkt des Workshops Theater mit dem Schwarm steht die körperliche Interaktion mit der
Lichtinstallation Der Schwarm. Der technische Aufbau des Schwarms (Abbildung 1) besteht aus
einem Beamer, der Lichtpunkte auf den Boden projiziert; einem Laserscanner, der Bewegungen auf
der Projektionsfläche erkennt; einer Software, die die vom Laserscanner erkannten Daten einliest
und für die Ausgabe berechnet. Der primär wahrnehmbare Schwarm selbst besteht aus auf den Bo-
den projizierten Lichtpunkten, die ein Schwarmverhalten simulieren.6
Abbildung 1: Technischer Aufbau Der Schwarm Abbildung 2: Schwarmwesen
(Quelle: Büching et.al 2010)
6 Die Technologie des Schwarms sowie unterschiedliche Anwendungsszenarien werden in verschiedenen
Publikationen der Arbeitsgruppe dimeb der Universität Bremen, die auch das beschriebene Teilprojekt
SKUDI durchführt, beschrieben (vgl. bspw. Hashagen et al. 2008).
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Die Berechnung des Schwarmverhaltens basiert auf einem von Craig Reynolds entwickelten Algo-
rithmus zur Steuerung des Verhaltens autonomer Charaktere. Dabei verhalten sich die Schwarmcha-
raktere, so genannte Boids, entsprechend dreier Regeln: Separation, Kohesion und Ausrichtung:
„The Separation rule implements collision avoidance and Cohesion ensures proximity, whereas
Alignment adjusts orientation and velocity“ (Reynolds zit. nach Hashagen et al. 2008: 3).
Die Boids werden in der Installation Der Schwarm in unterschiedlichem Design, als Käfer oder
Libellen, verwendet (siehe Abbildung 2). Die Farben der Boids sind dabei variabel und an ‚Emotio-
nen„ gekoppelt. Der Zustand – also Farbe, Emotion und das Bewegungsverhalten der Boids – ist
abhängig von der Bewegung eines interagierenden Menschen. Der Schwarm verhält sich zutraulich
– ausgedrückt in den Farben Weiß und Blau – wenn die Person still steht. Ein blaugrüner Schwarm
observiert die AkteurIn, grün signalisiert Ängstlichkeit. Bewegt sich die AkteurIn schnell und ruck-
artig, so wird die Lichtinstallation zuerst orange, d.h. Der Schwarm scheint verwirrt und flüchtet vor
dem handelnden Subjekt. Wechselt Der Schwarm schließlich zur Farbe Rot, wird ein Angriff ange-
kündigt. Dieses Stadium ist interpretierbar als aggressives Verhalten von Seiten des Schwarms ge-
genüber dem interagierenden Menschen.
Der Schwarm kann also seine algorithmisch bedingten Zustände, Farben und Verhaltensweisen
verändern, sobald ein Subjekt auf die Projektionsfläche tritt. In der Interaktion spielen Mensch und
Installation zusammen. Rammert beschreibt dieses Zusammenspiel unter dem Aspekt der Identifi-
zierung von ‚Intelligenz‟ folgendermaßen: „Die Intelligenz ist keine individuelle, auf den einzelnen
Menschen konzentrierte, sondern sie entsteht in der Interaktivität mit den in Programmen verkörper-
ten intentionalen Strukturen und unter wechselseitiger Bezugnahme der menschlichen und nicht-
menschlichen Elemente im sozio-technischen System als eine Art verteilter Intelligenz“ (Ram-
mert/Schulz-Schaeffer 2007: 95).
In dem von uns arrangierten Workshop entdecken und erforschen TeilnehmerInnen die Algorithmik
und Funktionsweise des Schwarms sowohl performativ als auch intellektuell und erarbeiten selbst-
ständig in Interaktion mit der Installation eine Theaterperformance, die sie zur Aufführung bringen.
3.2 Robot DIY
Im Workshop Robot DIY werden die TeilnehmerInnen motiviert, Robots zu bauen, sie mit Mikro-
prozessoren, Sensoren und Aktuatoren auszustatten und sie zu programmieren. Nach einer Phase
eigener Ideenfindung und der Einführung in Material und Programmierung entwickeln und konstru-
ieren die TeilnehmerInnen selbstständig in Kleingruppen Robots. Die Welt der Zeichen (Software)
wird dabei in Verbindung gebracht mit der stofflichen Welt (Hardware und Umwelt). Lernprozesse
des Subjekts im Umgang mit dem Artefakt und der Herstellung von ‚Intelligenz‟ sowie die Interak-
tion mit dem auf diese Weise selbst hergestellten Produkt werden so beobachtbar. Dabei wird die
reine Nutzungsebene von Technologie verlassen und eine durch Verstehen und Begreifen der inne-
ren Prozesse fundierte Annäherung, wie sie im Bildungsprozess intendiert ist, wird sichtbar. Unser
Zugang folgt einem konstruktionistischen Konzept, wie Seymour Papert es entwickelt hat: „From
constructivist theories of psychology we take a view of learning as a reconstruction rather than as a
transmission of knowledge. Then we extend the idea of manipulative materials to the idea that
learning is most effective when part of an activity the learner experiences as constructing a mean-
ingful product“ (Papert 1987). Im Konstruktionsprozess lernen die jungen Erwachsenen nicht nur
etwas über Programmierung, sondern erleben und begreifen auch die ‚Intelligenz„ von Robots.. Dies
erlaubt uns, die Agency der Artefakte in ihrem Einfluss in Bildungsprozessen zu untersuchen, indem
der Prozess weniger auf didaktisch-pädagogischem Eingriff beruht, sondern so weit wie möglich
aus der Situation entsteht und aus dem Umgang mit den Artefakten selbst hervorgeht. Die Frage, die
wir im Projekt stellen, ist die, ob und wie Interaktionsverläufe und Muster der Interaktion durch
dieses handlungsorientierte Begreifen beeinflusst werden und inwiefern dies den Entwicklungspro-
zess der jungen Menschen in ihrem Bezug zur digitalen Kultur positiv beeinflussen kann.
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3.3 Methoden der Erhebung und Analyse der Interaktionsverläufe
Zur Analyse von soziokulturellen Praktiken und Subjektkonstruktionen, die unserer Annahme zu-
folge neue Dimensionen menschlicher Existenz im Kontext einer digital geprägten Kultur beinhal-
ten, bedienen wir uns fokussiert narrativer Einzel- und Gruppeninterviews, die während und im
Anschluss an die Workshops geführt werden sowie Beobachtungsprotokollen. Die subjektiven Re-
flexions- und Kommunikationsprozesse der jungen Erwachsenen werden im Rahmen der Auswer-
tung der Interviews mit dem Verfahren der Grounded Theory (vgl. Strauss/ Corbin 1996, Strauss
1991) rekonstruiert. Da davon ausgegangen wird, dass sich mittels interaktiver Handlungen mit
Artefakten Lernprozesse vollziehen, werden diese – zusätzlich zu den Interviews – mit Videoauf-
nahmen festgehalten und kodiert. Durch die alleinige Auswertung von Interviews konnte die bereits
durch die Reflexionen der Interviewten gebrochene, Ex-post-Perspektive der Befragten auf die ei-
genen Interaktionsverläufe rekonstruiert werden. Mit der Festinstallation von Videokameras auf der
Projektionsfläche des Schwarms können zusätzlich auch die Interaktionsverläufe zwischen Subjek-
ten und digitalen Artefakten festgehalten werden. Die Aufnahmen des Robot DIY-Workshops rich-
ten sich dabei auf die Arbeitstische der jeweiligen Gruppen und werden situationsabhängig aufge-
zeichnet. Die Interaktionsverläufe können somit für die Analysierenden konserviert werden, so dass
der subjektive, aber auch der situative Sinn und Charakter der Interaktionen rekonstruiert werden
kann. Der situative Charakter umfasst in unserem Fall das In-Zusammenhang-Bringen von Hand-
lungen mit der technikgesättigten Workshopsituation und der Interaktion mit anderen AkteurInnen.
Vorrangig handelt es sich bei den Aufzeichnungen um nicht-sprachliche Interaktionsverläufe zwi-
schen AkteurInnen und technischen Artefakten. Sowohl die Interviews als auch die Videoaufnah-
men werden kodiert und es wird daraus eine Typologie von Interaktionsverläufen erschlossen. Die
im nächsten Kapitel vorgestellte Typologie stützt sich sowohl auf das textuell analysierte Material
der Interviews als auch auf die Auswertung der Videosequenzen.
4 Muster von Interaktionsverläufen
Wie bereits erläutert, gehen wir davon aus, dass im Umgang mit technischen Artefakten Lernpro-
zesse stattfinden, die auch durch die Agency der Technologie selbst mit hervorgerufen werden kön-
nen. Im Zuge der Beschäftigung mit diesen Prozessen konnten vier allgemeine Muster von Mensch-
Maschine-Interaktionsverläufen herausgearbeitet werden, die im Zentrum dieses Beitrages stehen.
Entscheidend für die Interaktionsverläufe ist – neben der Definition der Muster über ihre Verteilung
und Ausprägung der Agency ihrer Akteure – die subjektive Wahrnehmung der Agency-
Konstellationen durch den Menschen. Die Verteilung von Agency zwischen Menschen und digitalen
Artefakten variiert in dem Maße, wie die Subjekte digitale Artefakte als gleichberechtigte Interakti-
onspartner wahrnehmen, das Artefakt in ihren Handlungen versuchen zu dominieren oder sich als
AkteurInnen empfinden, die vom Artefakt dominiert werden. Die Formen der Verteilung von
Agency sind dabei nicht statisch, also nicht an einzelne Subjekte, digitale Artefakte oder Konstella-
tionen gekoppelt, sondern sie sind variabel, kontextgebunden und können sich überlappen. Die her-
ausgearbeiteten Muster definieren jeweils kurze Interaktionsabläufe, auf die wiederum Interaktions-
abläufe anderer Muster folgen können. Bemerkenswert ist die grundsätzliche Offenheit der Formen
von verteiltem Handeln oder Distributed Agency in der Konstellation zwischen Menschen und digi-
talen Artefakten in unseren Erhebungsszenarien. In diesen erscheinen die digitalen Artefakte weder
als reine Werkzeuge menschlichen Handelns, denen die schlichte Nutzung im Rahmen zweckge-
richteten Handelns attribuiert werden kann, noch lässt sich ein Determinismus der digitalen Techno-
logie gegenüber dem Menschen feststellen.
Die folgende Typologie wird auf die Verteilung von Agency in Interaktionsverläufen zwischen
Mensch und Technologie zugespitzt, andere einflussnehmende Faktoren, wie beispielsweise die
Workshopumgebung, werden vernachlässigt.
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4.1 Kooperierende Interaktion
Als kooperierende Interaktion bezeichnen wir, wenn Menschen die digitalen Artefakte als gleichbe-
rechtigte Interaktionspartner begreifen. Solche Formen von Interaktion entsprechen quasi der ‚reins-
ten Form„ einer Distributed Agency, in der menschliche oder digitale AkteurInnen Handlungen aus-
führen, auf die reziproke Handlungen des Interaktionspartners folgen können. In der kooperierenden
Interaktion erscheint die Handlungsmacht gleichermaßen auf beide Interaktionspartner verteilt, so
dass nicht präzise gesagt werden kann, von wem in einem bestimmten Moment die eigentliche
Agency ausgeht.
In den Untersuchungsszenarios wurden solche Handlungen insbesondere bei der Konstruktion von
Robots deutlich. In kooperierenden Handlungen folgt auf eine Konstruktion des Menschen die Be-
schränkung, Variation und Weiterentwicklung durch die Materialität und Disposition des Robots, so
dass der Konstruktionsprozess einer ständigen wechselseitigen Verschiebung von Agency gleicht.
Bei zwei WorkshopteilnehmerInnen war dieser Prozess der Wechselseitigkeit und permanenten
Verschiebung besonders deutlich zu beobachten. Die Idee der beiden einen Robot zu konstruieren,
der sich nicht, wie viele Robots, auf Rädern fortbewegt, sondern ähnlich wie Tiere auf Beinen lau-
fen kann, wurde immer wieder von der Materialität des Robots konterkariert. Diese Materialität und
die (mitunter widerspenstigen) Handlungen des Robots lieferten für die WorkshopteilnehmerInnen
zugleich neue Impulse der Weiterentwicklung des Robots, so dass die beiden im Verlauf des Work-
shops verschiedene Robots konstruierten, welche auf unterschiedlichen Fortbewegungsmechanis-
men basierten. Zwar verfügten die WorkshopteilnehmerInnen über eine Konstruktionsidee, die sie
zweckgerichtet verfolgen wollten, doch waren sie nicht in der Lage, diese Idee nur mit Hilfe ihrer
eigenen Agency umzusetzen. Vielmehr folgte der Konstruktionsprozess einem ständigen ‚Hin und
Her„ von Handlungen, in dem sowohl menschliche als auch digitale Akteure Agency besaßen und
ihren Teil zur Konstruktionsleistung beitrugen. Deutlich wird diese Gleichverteilung von Agency
durch die Aussage einer der beiden KonstrukteurInnen, der auf die Frage, weshalb der von ihnen
konstruierte Robot über eine bestimmte Funktion verfüge, antwortet: „Keine Ahnung. Evolution.“
Dieses Zitat illustriert das Eigenleben des Robots sowie seine ‚natürliche„ Entwicklung, die aber
nicht im Gegensatz zu der Konstruktionsleistung der WorkshopteilnehmerInnen steht.
Beobachtbar wurde diese Form der Distributed Agency in kooperierenden Handlungen auch im
Workshop mit dem Schwarm. Dort musste eine Teilnehmerin darauf warten, dass Der Schwarm
sich ‚beruhigt„, bevor sie weiter mit ihm interagieren konnte. Dabei kann sie keinen Einfluss darauf
nehmen, wann genau diese Beruhigung eintritt. Der Schwarm handelt jedoch nicht autonom, son-
dern eine ruckartige Handlung der Interaktionspartnerin veranlasste ihn dazu aggressiv zu sein.
Gleichzeitig gaben diese Aggression und das Warten der Interaktionspartnerin Impulse für neue
Handlungen, so dass sich insgesamt eine permanente Verkettung mit abwechselnd ausgeübter
Agency ergab. Im Interview nach dem Workshop äußerte sich die Teilnehmerin über den Schwarm
wie folgt: „Die Schwarmtierchen sind auch gute Mitspieler gewesen.“ Es wird deutlich, dass sie das
‚Eigenleben„ oder die Agency des Schwarms akzeptiert und diese sinnvoll in ihre Handlungen inte-
griert.
4.2 Kontrollierende Interaktion
Charakteristisch für eine kontrollierende Interaktion ist, dass das Subjekt in der Interaktion mit digi-
talen Artefakten diesen keine Agency zugesteht und so versucht die Interaktivitätsverläufe von sub-
jektiver Seite zu bestimmen. Es tut dies, indem es die eigenen Handlungen möglichst gut auf die
Handlungs- und Funktionsweisen der digitalen Artefakte abstimmt. Dafür ist es notwendig, dass der
Mensch ‚das Wesen‟ der digitalen Artefakte in einem Maße durchdringt und studiert, dass die Akti-
onen des Artefakts für ihn vorhersehbar erscheinen. Dies bewirkt jedoch auch, dass das Subjekt in
seiner kontrollierenden Haltung nicht auf unvorhergesehene ‚Äußerungen‟ des digitalen Akteurs
eingeht. In einer Beobachterperspektive entsteht so der Eindruck, dass Agency lediglich auf Seiten
des Menschen besteht.
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Im Rahmen der Analyse von Interaktionsverläufen, die bei der Konstruktion von Robots zu be-
obachten waren, konnten kontrollierende Interaktionen vor allen Dingen in einer der Arbeitsgrup-
pen herausgearbeitet werden. Diese Arbeitsgruppe erarbeitete zuerst ein komplexes und realisti-
sches Konzept eines Robots, von dem sie im Verlaufe der Konstruktion kaum abwich. Konnte der
Robot eine erwünschte Funktion nicht ausführen oder ließ sich ein Bauteil nicht anbringen, so wur-
de überlegt, wo ein Fehler im Konzept sein könnte, um dann die Konstruktion fortzusetzen. Scherz-
haft kommentierte ein Workshopteilnehmer die ‚missglückte„ Konstruktionsleistung seines Grup-
penpartners mit der Aufforderung: „Du musst es [das Robot] eben dazu zwingen, das zu tun.“ In
dem beschriebenen Kontext ist das Zitat jedoch nicht als Kräfteringen um die Ausübung von
Agency zu verstehen, sondern es verdeutlicht die Überlegenheit des kontrollierend handelnden Sub-
jekts über andere Akteure. Die Widerspenstigkeiten des Materials werden von dem zitierten Jungen
nicht als Agency des digitalen Artefakts wahrgenommen, sondern als Mängel in der eigenen Kon-
struktionsleistung. Denn „Maschinen können nie mehr als was Menschen ihnen beibringen“, so ein
anderer Workshopteilnehmer im Einzelinterview. Dementsprechend wird von ihm auch nicht ver-
sucht, eine Konstruktionsidee in Abhängigkeit vom Verhalten des digitalen Artefakts zu variieren.
Eher werden weitere kontextabhängige ‚Störfaktoren„ aus dem Konstruktionsprozess eliminiert. Im
Zuge eines solchen Ausschlusses von ‚Störfaktoren„ konstruierte die genannte Gruppe beispielswei-
se eine Hebebühne für das Robot, welche es ermöglichte die Mobilität des Robots zu testen und zu
verbessern, ohne dabei von herumlaufenden Menschen oder Unebenheiten des Bodens gestört zu
werden. Auch Gespräche mit anderen WorkshopteilnehmerInnen wurden weitestgehend unterbun-
den, um maximale Konzentration für die Konstruktion des Robots aufbringen zu können. Festzuhal-
ten ist, dass sich kontrollierende Handlungen, bezogen auf ein digitales Artefakt, leichter in ver-
gleichsweise störungsarmen Laborumgebungen ausführen lassen, da sich dort nicht nur die Agency
des digitalen Artefakts, sondern auch die Agency aller anderen Akteure kontrollieren respektive
eliminieren lässt. In einer solchen Laborsituation wird das digitale Artefakt zum Werkzeug für die
Überprüfung von Hypothesen und Konstruktionsideen.
Ein solches Verständnis des digitalen Artefakts als Werkzeug der Überprüfung von Hypothesen ließ
sich auch in Interaktionsverläufen mit dem Schwarm beobachten. Ein Teilnehmer, der ebenfalls
durch Handlungen des Typus kontrollierende Interaktion auffiel, erläuterte während seiner Perfor-
mance mit dem Schwarm immer wieder, was nun der nächste Schritt des Schwarms sein müsse, um
diesen auch sofort einzuleiten. Wenn Der Schwarm jedoch nicht jene erwartete Performanz zeigte,
erläuterte der Workshopteilnehmer, weshalb (also auf der Grundlage welcher Überlegungen seiner-
seits sowie ihm bekannten Funktionsweisen) Der Schwarm sich nun vermeintlich falsch verhalte.
Für die Aufführung studierte der Teilnehmer Den Schwarm sehr genau und versuchte Logik und
Programmierung so gut zu verstehen, dass sie vorhersagbar ist.
4.3 Kreative Interaktion
Das Muster der kreativen Interaktion greift auf, was in der kontrollierenden Interaktion negiert
wurde. Der Mensch geht hierbei auf unvorhergesehene Ausprägungen einer von den digitalen
Akteuren ausgehenden Agency ein und reagiert mit einer auf den Eigensinn des Artefakts
bezogenen, spontanen Handlung zur Rückgewinnung der Agency oder aber das digitale Artefakt
‚beraubt‟ den menschlichen Akteur der gerade ausgeübten Handlungsmacht. Auf Seiten des
Subjekts ist die kreative Interaktion gekennzeichnet durch die Akzeptanz des Eigensinns der
Technologie einerseits und eine dieser entsprechenden Handlungsreaktion bzw. Anpassung des
Subjekts. Konkret beschreibt die kreative Interaktion den Moment des Wechsels oder Übersprungs
von Agency vom digitalen Akteur zum menschlichen oder vice versa, wie er in der kooperierenden
Interaktionen nicht mehr sichtbar ist (wo er aber auch vorkommen kann).
Der Begriff der kreativen Interaktion wurde in Anlehnung an den von Hans Joas geprägten Termi-
nus der ‚kreativen Handlung‟ entwickelt. Nach Joas ist eine kreative Handlung eine Handlung, die
zwischen Routine und Transformation verankert ist. „Die Handlung muss an anderen Punkten der
Welt ansetzen oder sich selbst umstrukturieren. Diese Rekonstruktion ist eine kreative Leistung des
Handelnden […] Das heißt zugleich auch, daß Kreativität hier als Leistung innerhalb von Situatio-
-14-
nen, die eine Lösung fordern, gesehen wird, und nicht als ungezwungene Hervorbringung von neu-
em ohne konstitutiven Hintergrund“ (Joas 1996: 190). Von Joas übernehmen wir den situativen
Charakter kreativer Handlungen sowie die Rekonstruktion von Handlungen, die nicht mit der
schöpferischen Intentionalität menschlicher Handlungen verbunden sein muss (wie der Begriff der
Kreativität es nahe legt) sondern auch von dem Schwarm veranlasst werden kann.
Kreative Interaktionen konnten wir vorrangig bei Interaktionsverläufen mit dem Schwarm identifi-
zieren, da dieser aufgrund seines besonderen Eigensinns häufigen Anstoß für solche kreativen
Handlungen gibt. Durch die Sequenzialität der Interaktionen mit dem Schwarm wird darüber hinaus
der Übersprung der Agency von einem Akteur auf den anderen besonders deutlich.
Eine kreative Handlung soll beispielhaft mithilfe eines Videotranskripts (Abbildung 3) verdeutlicht
werden. Zu sehen ist eine Workshopteilnehmerin mit Namen Clara (Name anonymisiert), die sich
auf der Projektionsfläche des Schwarms befindet. Sie führt in der Rolle einer Königin durch die
Abschlusspräsentation des Workshops. Die Boids spielen dabei ihre Untertanen, von denen sie Ge-
horsam und Unterhaltung – die von den anderen Teilnehmerinnen in Form von Tänzen, Vorträgen,
Sketchen und Schauspielstücken realisiert wird – verlangt. Clara versammelt die Boids um sich in
einer Kreisformation (siehe Sequenz 1 und 2), indem sie sich nicht bewegt. Dann hebt sie ihr Zep-
ter, um dem Schwarm Anweisungen zu geben (Sequenz 3). Dabei passiert etwas Eigensinniges und
Außergewöhnliches: Ein Boid verliert den Anschluss an die Gruppe und irrt umher auf der Suche
nach Nachbarschaft. In den Sequenzen 3 bis 9 ist der nicht vorhersehbare und selten auftretende
Eigensinn der Installation beobachtbar. Ein Boid bewegt sich so lange an den Rändern der Projekti-
onsfläche entlang, bis es wieder auf den Schwarm trifft. Dabei hat der verlorene Boid alleinige
Agency, lediglich die Schwarmformation als Ganze reagiert auf das Subjekt, das hier vor neue Her-
ausforderungen gestellt wird. Die Agency wechselt an dieser Stelle vom Subjekt hin zur digitalen
Installation. Als Clara das eigensinnige Boid bemerkt, verfolgt sie dieses mit ihrem Zepter und ver-
balisiert: „DU DA! Komm sofort hierher!“ (Sequenz 3-5). Die von Clara intendierte und erhoffte
Folge, nämlich die Rückkehr des verlorenen Tierchens tritt ein, was von Clara mit einer lobenden
Geste kommentiert wird (Sequenz 6-10). Clara reagiert auf die Handlung der Installation mit einer
neuen kreativen, improvisierten Handlung. Dadurch gewinnt sie die Agency zurück. Die Hand-
lungskompetenz entsteht dabei in der Situation selbst und ist an dieser Stelle nicht die Folge eines
Reflexionsprozesses.
-15-
Sequenz 1 2 3 4 5
Text Clara D e r T a g i s t n o c h l a n g e n i c h t v o r b e i . D U D A ! K o m m s o f o r t h i e r h e r
Bewegung
Clara:
Körper
Oberkörper senkt
sich
Bewegung
Clara: Hände ruhend Hebt beide Hände
zeigt nach dem
ausgebrochenen
Tierchen
Bewegung
Schwarm
Entfernt sich weiter
(kreisförmig) von
Clara
Einzelne „Tierchen“
diffundieren
ungleichmäßig
Ein „Tierchen“
entfernt sich aus dem
Kreis
„Tierchen“ macht einen großen
linkswärtigen Bogen /Schwarm nähert sich
Clara wieder
Sequenz 6 7 8 9 10
Text Clara W a s i s t d e n n d a s ? A l s o d a s k a n n j a w o h l ü
Bewegung
Clara:
Körper
Bewegung
Clara: Hände Folgt dem „Tierchen“ mit dem Zeigestab
Beide Hände wieder
am Körper angelegt
Bewegung
Schwarm
„Tierchen“ nähert sich dem Schwarm wieder / Schwarm
umkreist Clara
Schwarm diffundiert
erneut (kreisförmig)
Abbildung 3: Videotranskript: Subjekt und digitale Installation
Mit dem Verlassen der Schwarmformation eines Boids verändert sich Claras Wirklichkeit, so dass
sie gezwungen ist, ihre bisherige Handlungsabsicht zu ändern und eine neue, zuvor nicht intendierte
Handlung vorzunehmen. Die Akteursqualität der Installation und des Menschen erzeugen in wech-
selnder Handlungsmacht kreative Handlungen. Diese kreativen Handlungen können ausschließlich
dann entstehen, wenn das Subjekt sich auf das Artefakt und seine Eigenmächtigkeit einlässt.
Derartige Interaktionsverläufe sind vergleichbar mit einer „experimental interactivity“ (Rammert
2007a: 71), wie Rammert sie in Anlehnung an den „mangle of praxis“ bei Andrew Pickering be-
schreibt. Das folgende Zitat erläutert das Konzept der experimental interactivity sowie seine Gene-
alogie: “Andrew Pickering nicely illustrated how human agency and material agency develop in a
relation of interdependency – when materials or technological designs resist human expectations or
even show us new and unexpected paths to follow – and how human actors are moved to change
their goals. He calls this stepwise shift from ends-in-view to adaptations the `mangle of praxis`
(Pickering 1995). I prefer to call it `experimental interactivity`“ (Rammert 2011: 6f., vgl. Pickering
1995).
4.4 Koexistente Interaktion
Mit koexistenter Interaktion sind derartige Interaktionsverläufe von Subjekt und Digitalem Medium
zu begreifen, denen streng genommen gar keine Interaktion zu Grunde liegt. Die digitalen Artefakte
und das Subjekt handeln unabhängig voneinander im selben Raum-Zeit-Kontinuum. Sie beziehen
sich dabei nicht oder nur bedingt aufeinander.
-16-
Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Eine Gruppe von mehreren Personen inszeniert beim Work-
shop Theater mit dem Schwarm einen Diskoabend. Die Projektionsfläche des Schwarms dient als
Tanzfläche und die illuminierten Boids werden als Lichter einer Diskokugel genutzt. Diese Assozia-
tion drängt sich visuell auf, spart in diesem Fall jedoch die veränderbaren Zustände und die Mög-
lichkeiten der Interaktion mit der Installation aus. Die Subjekte, auf die Der Schwarm reagiert, sind
stetig wechselnd, je nachdem welche Person vom Laserscanner erfasst wird. Aufgrund der Unruhe
auf der Projektionsfläche ist Der Schwarm während der gesamten Inszenierung ausschließlich ag-
gressiv und in der Farbe Rot. Es ist nicht ersichtlich, dass die TeilnehmerInnen auf Den Schwarm
reagieren. Die Handlungen der Subjekte sind weder auf die Installation gerichtet, noch beziehen sie
die Reaktion des Schwarm in den Handlungsentwurf ein. Nachdem die Menschen die Projektions-
fläche verlassen, benötigt der Schwarm verhältnismäßig lange, um wieder in den Ausgangszustand
zurück zu finden. Dabei durchläuft er alle ‚Gemütszustände„ ohne Interaktion mit einem Subjekt.
5 Interaktionsverläufe und ihre Implikationen für
Bildungsprozesse
Die vorliegende Abhandlung konnte zeigen, wie sich Interaktionsverläufe in Bildungsszenarien
typologisieren lassen – und zwar als kooperierende, kontrollierende, kreative und koexistente Inter-
aktion. Die Interaktionsverläufe, die mittels Videoanalysen herausgearbeitet wurden, zeichnen sich
dadurch aus, dass die Verteilungen der Agency von Subjekt und digitalem Artefakt unterschiedlich
gelagert sind. Je nach Verteilung der Agency ergeben sich unterschiedliche Implikationen für Bil-
dungsprozesse in der Interaktion mit digitalen Artefakten. Wiesner et al. beschreiben das Potential
digitaler Artefakte, am Beispiel von Lego®-Robots, für Bildungsprozesse wie folgt: „The system
suggests new action without pointing into the „right‟ direction. From the kids view, the technology
at hands „acts‟ on two levels: they experience an immediate physical, material processing that is
executed through semiotic processes (programming). Only for this reason, students experience a
process of the merging of abstraction and experimental interaction, of their own and of technologi-
cal actions. System feedbacks are thus fundamental, simultaneously didactically constructed and
mediable agency-pattern, simply because they initiate reactions” (Wiesner et al. 2006: 6f.). Der
Analyse von Agency für den Bildungszusammenhang wird im Rahmen des Projektes SKUDI eine
entscheidende Bedeutung beigemessen, aufgrund dessen wird im Folgenden noch kurz darauf ein-
gegangen, welche Implikationen verteiltes Handeln für das Lernen hat.
An Hand der vier entwickelten Muster von Interaktionsverläufen lässt sich die Ebene der Lernpro-
zesse näher bestimmen. So lässt sich feststellen, dass Subjekte, die sich nach dem kooperierenden
Muster verhalten, die Agency der digitalen Artefakte wahrnehmen, reflektieren, sensibel dafür sind
und dem Handeln mit dem Artefakt einen Sinn zuschreiben, der sich aus der Gemeinsamkeit des
Handelns ergibt. Schelhowe beschreibt diese Fähigkeit in einem früheren Aufsatz wie folgt: „Ich
kann einerseits ganz eintauchen, mich ganz gefangen nehmen lassen vom Interaktionsprozess. Es ist
die Faszination der ‚Immersion‟. Dennoch setzt die Aneignung dieser Technologie aber eine sym-
bolische ‚Aneignung‟ voraus, es ist ständige geistige ‚Anwesenheit„ […] gefordert. Nur durch ein
aktives und interaktives Verhalten von Seiten der NutzerInnen können die Computerartefakte ihr
interaktives Potential zur Geltung bringen“ (Schelhowe 2006: 11).
Bei der kontrollierenden Interaktion, in der die Agency digitaler Artefakte zurückgedrängt wird,
konnten eher geistig-intellektuelle als körperlich-stofflich motivierte Handlungen festgestellt wer-
den. Auch in unseren Erhebungsszenarien ist es primär die intellektuelle Durchdringung und Refle-
xion der Interaktion des digitalen Artefakts, die zu Vorstellungen von Berechenbarkeit und Kontrol-
lierbarkeit und zur Eliminierung von Agency des digitalen Artefakts führt. Bildungsprozesse finden
demnach maßgeblich auf kognitiver Ebene statt, nicht auf performativer.
-17-
Am Beispiel der kreativen Interaktion kann gezeigt werden, dass Lernprozesse auch auf Handlun-
gen basieren können und nicht ausschließlich auf intellektueller Ebene stattfinden. Solche kreativen
Handlungen sind bereits den in den Workshops angelegten Bildungsmöglichkeiten geschuldet und
erwünscht: Basierend auf der konstruktionistischen Lerntheorie nach Seymour Papert gehen wir
davon aus, dass Wissen durch die Lernenden selbst aufgebaut und re-konstruiert anstatt vermittelt
wird und dass die Lernenden selbst eigene kreative Leistungen und Artefakte hervorbringen. Inso-
fern besteht die Hoffnung, dass die jungen Erwachsenen im Rahmen der Workshops durch die In-
teraktion mit technischen Artefakten selbst neue Weisen der Weltwahrnehmung entwickeln und
dieses in kreativen Interaktionsverläufen zum Ausdruck bringen.
Wie beschrieben, sind Handlungen, die im Rahmen von koexistenten Interaktionen stattfinden,
nicht aufeinander bezogen. Daher können auch keine auf der Interaktion von Mensch und digitalem
Artefakt basierenden Lernprozesse beobachtet werden.
Generell lässt sich sagen, dass bei Handlungen, die vom Menschen dominiert werden, Bildungspro-
zesse eher kognitiver Natur sind. Bei kooperativen Handlungen die zwischen Subjekt und digitalem
Artefakt vollzogen werden, sind die Prozesse sowohl kognitiver als auch performativer Natur.
6 Ausblick
Der vorliegende Beitrag konnte zeigen, dass „das Digitale Medium in Bildungsprozessen mehr als
ein Ding [ist], das es zu benutzen oder zu verstehen gilt“ (Schelhowe 2006: 2). Mittels der von ihm
ausgehenden Agency ergeben sich spezifische Muster von Interaktionsverläufen zwischen Subjekt
und Technologie, die wiederum Einfluss auf Bildungsprozesse nehmen. Die weitere empirische
Erforschung und Diskussion dieser Zusammenhänge ist nicht nur von wissenschaftlicher Bedeu-
tung für die Bildungsforschung: ‚Intelligente‟ Technologien durchdringen Lebens- und Arbeitswelt
(siehe die anderen Beiträge in diesem Band) und finden sich nicht nur in konstruktionistischen
Workshops. Daher ist es von besonderer Relevanz der Frage nachzugehen, in wie weit sich die
Muster der Interaktion zwischen Subjekt und digitalem Artefakt auch außerhalb der Erhebungssze-
narien wiederfinden lassen und welche Implikationen dies wiederum für Bildungsprozesse beinhal-
tet.
Im Sinne einer Triangulation von Methoden (zur Sättigung und Ausweitung der hier vorgestellten
Typologie) ist die Einbeziehung weiterer Workshops und Interviews wünschenswert. Mittels Ein-
zelinterviews könnten die Muster mit entsprechenden Einstellungen gegenüber Technologie und
dem subjektiven Erleben der eigenen Agency unterlegt werden. Ein erster Blick auf weiteres Da-
tenmaterial zeigt, dass gleiche Handlungen, die vom digitalen Artefakt ausgehen, verschiedene Er-
lebnisse und Handlungen bei unterschiedlichen Subjekten herausfordern. Die subjektiven Empfin-
dungen sind dabei abhängig vom Grad der Kompetenz und Medienbildung der Subjekte. Somit sind
die Interaktionsverläufe in Relation zur Subjektkonstruktion zu betrachten, die im Rahmen des Pro-
jekts SKUDI in erster Linie untersucht werden. Die Offenheit des Verfahrens der Grounded Theory,
nach der im Projekt SKUDI vorgegangen wird, ist hierfür besonders geeignet, da die Kombination
von unterschiedlichstem empirischen Materials ermöglicht und forciert wird.
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-19-
Mensch-Roboter Interaktion – Status der technischen Entität, Kognitive
(Des)Orientierung und Emergenzfunktion des Dritten
Diego Companga & Claudia Muhl
1 Einleitung
In diesem Paper wird einerseits der Frage nachgegangen welche Bedingungen erfüllt sein müssen,
damit eine Mensch-Roboter Interaktion erfolgreich verläuft. Zugleich soll es andererseits (und vor
allem) auch darum gehen, das Scheitern der Interaktion mit Robotern als einen Anlass wahrzuneh-
men, um allgemeinen Fragen hinsichtlich der Eigentümlichkeiten von 'sozialer Interaktion' nachzu-
gehen. Insbesondere der Vergleich des 'Scheiterns' mit den Besonderheiten der (wenigen) Interakti-
onskontexte, in denen Menschen mit Robotern erfolgreich interagieren können, ist hilfreich um
nachzuvollziehen wie das 'Gelingen' von Interaktion in (spät-)modernen Gegenwartsgesellschaften
'zustande' kommt.
Wir nehmen eine kritisch-radikalkonstruktivistische Perspektive ein, wonach die Bedingungen,
nicht nur für das Zustandekommen, sondern auch für das Ermitteln eines Gelingens oder Scheiterns
von Interaktion selbst das Ergebnis sozialer Konstruktion ist. Jenseits sozialkonstruktivistischer
Theorien, die die Aufmerksamkeit auf die Konstruktion der Wirklichkeit als Ergebnis sozialer In-
teraktion lenken, möchten wir die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit sozialer Interaktion
schlechthin stellen.
Den 'Leitfaden' unserer theoretischen Überlegungen stellen verschiedene Fallbeispiele von Mensch-
Roboter Interaktionen, die alle mit Hilfe audiovisueller Speichermedien aufgezeichnet und entspre-
chend ethnografischer Verfahren ausgewertet worden sind. Einige auffällige – und zunächst eigen-
artige – Befunde bezüglich des Interaktionserfolgs respektive Scheiterns haben dazu geführt folgen-
de Elemente als zentrale Aspekte zu identifizieren, denen wir im Folgenden weiter nachgehen
werden: Die Eindeutigkeit des Status des Artefaktes, die kognitive Kompetenz der involvierten
Probanden, die Bedeutsamkeit eines Dritten, die Interaktionssituation des 'bewertenden' menschli-
chen Akteurs.
2 Zum Gegenstand: "Social Robotics"
2.1 Forschungspraxis im 21. Jahrhundert erlaubt die Entwicklung von "sozialen
Robotern"
Seit dem 20. Jahrhundert ist es möglich, an komplexeren interaktiven Systemen zu forschen und
damit die rein manuelle Bedienung von Maschinen zu ersetzen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahr-
hunderts avanciert die technologische Entwicklung mit zunehmender Geschwindigkeit in dieser
Hinsicht. Sie ermöglicht es, Roboter zu konstruieren die auf verschiedene Signale ihrer Umwelt
reagieren können, sogar als Interaktionspartner auftreten und teilweise autonom entsprechend ein-
programmierter Prämissen systemintern Handlungsentscheidungen treffen können (vgl. Fong et al.
2003).
So tritt sukzessive die sensorisch vermittelte Kommunikation mit künstlichen Systemen in die La-
borrealität ein. In diesem Zuge hat sich das Paradigma der sozialen Roboter entwickelt, die heute
Gegenstand der Forschung und ein Ziel der Systementwicklung in den Ingenieurwissenschaften
sind. Die Systeme lassen sich nach Anwendungsfeld, Aufgabensprektrum oder avisiertem Gegen-
über differenzieren. So stehen socially interactive robots eher im Schwarm mit anderen Robotern in
Kommunikation, und social robots oder sociable robots treten in den direkten Austausch mit Men-
-20-
schen (vgl. Fong et al. 2003; Dautenhahn 1994; Breazeal 2002). Zukünftig soll ein interaktiver Um-
gang mit Robotersystemen – auch im Alltag – möglich werden.
Die Scientific Community in der Robotik begann ihre Arbeit jedoch zögerlich; sie hielt soziale Phä-
nomene nicht für relevant, sondern favorisierte technische Lösungen und war mit der Bewältigung
vordergründiger Probleme wie dem Ermöglichen von wechselseitiger Wahrnehmung beschäftigt.
So formulierte Kerstin Dautenhahn damals: "In principle, social phenomena are not relevant for
robotics when other technical solutions are possible. But the scenarios that are stated for future ro-
bots (e.g. welfare robots, domestic robots [...]) include aspects of communication and cooperation
between robots and between robots and humans" (Dautenhahn 1994, 291). Es war u.a. Dautenhahn
sogar zunächst ein Anliegen, kontingente soziale Phänomene durch einfache binäre Lösungen zu
umgehen. Mehrere Problemfelder der Systementwicklung taten sich auf, und nach wie vor ist bei-
spielsweise die Frage des Designs der äußeren Hülle der Robotersysteme umstritten. Die Hypothe-
se, dass das Aussehen die Erwartungen der Akteure maßgeblich präge und damit die Interaktion mit
einem Roboter erleichtern könne, machen sich Forschende im Feld des Anthropomorphismus zu
nutze und erstellen Roboter mit menschenähnlichem Antlitz und Gestalt. Bekannt geworden sind
die Arbeiten des Japaners Hiroshi Ishiguro weit über die Grenzen der Experten hinaus, da er nicht
nur Geminoid, ein Ebenbild seiner Selbst, sondern auch das Roboterdouble einer bekannten Fern-
sehmoderatorin, mittlerweile in der 2. Auflage Repliee Q2, sowie seine fünfjährige Tochter als Ro-
boter nachgebaut hat Allerdings spricht auch einiges gegen einen intensiv betriebenen Anthropo-
morphismus: Schon in den 1970er Jahren hat Mori die Hypothese des "Uncanny Valley" im
Forschungsfeld der Robotik aufgebracht, sie besagt, dass nach einer kontinuierlichen Akzeptanzzu-
nahme bei ansteigendem menschenähnlichem Aussehen, diese durch starke Ablehnung abgelöst
wird, sobald die Menschenähnlichkeit zu stark ausgeprägt ist (vgl. Mori 1970). Forschungsresultate
und Meinungen differieren jedoch auch hier. Zudem wurde ein weiterer Schauplatz eines fachlichen
sowie gesellschaftlichen Diskurses ausgemacht, nämlich der, Roboter an die Gepflogenheiten des
zwischenmenschlichen Umgangs anzupassen, allein um bei den vorgesehenen Nutzenden der Tech-
nologie, den Menschen, Akzeptanz zu schaffen. So entwickelte sich das Argument für soziale Ro-
boter weiter: "Social competence might be much more important for the acceptance and integration
of the robots in human societies than a robots outer appearance" (Dautenhahn 1994). Das Aufgaben-
feld der Ingenieurleistungen in der sozialen Robotik ist heute vielgestaltig und zunehmend werden
weitere Disziplinen eingebunden, die durch ihre spezifische Kompetenz zu der Entwicklung künst-
licher, autonomer und interaktiver Agenten und Roboter beitragen.
2.2 Interaktion mit sozialen Agenten soll der natürlichen Interaktion ähneln
Ein Ziel in dem sich etablierenden Forschungsfeld Human-Robot Interaction (HRI) ist es, eine na-
türliche Interaktion mit dem Roboter zu ermöglichen, bzw. einen "Flow" in der Interaktion zu
schaffen (Wrede et al. 2010).
Eine der zentralen Fragen der Technikentwicklung künstlicher sozialer Agenten dabei bleibt, wie
interaktive Systeme aufgebaut werden können, die für menschliche Handlungspartner verstehbar
kommunizieren und damit funktional werden können? Zu deren Beantwortung wird in der sozialen
Robotik zunehmend Wissen aus Disziplinen herangezogen, die kommunikative Prozesse analysie-
ren, erklären und verstehen können. Im Zusammenwirken interdisziplinärer Expertinnen werden
u.a. Verlaufsmuster von Mensch-Technik-Interaktivität untersucht und es wird angestrebt, anhand
der auf dieser Grundlage gewonnenen Erkenntnisse die technischen Systeme für den Einsatz in
hybriden Interaktionskontexten zu optimieren.
Die Sensorik des Roboters bildet eine Schnittstelle zu seiner Umwelt und den Akteuren: Verschie-
dene Informationen aus der Welt können aufgenommen und zusammengefügt werden. Komplexe
technische Systeme nutzen u.a. Laser-, Audio- und Videosignale, deren Verarbeitung heute in Echt-
zeit realisiert werden kann. Solche technischen Elemente werden modular zusammengesetzt, sie
nehmen Signale und die eingehenden Befehle auf und beantworten diese mit einem entsprechenden
-21-
Output. Damit ist zumindest technisch die Grundlage für eine direkte Interaktion vorhanden. Die
Robotersysteme werden zudem mit Algorithmen ausgestattet, die akustische und visuelle Muster
erkennen, um damit Sprache, Objekte oder Gesichter zu identifizieren, bevor sie selbst Antworten
darauf generieren. Neben den technischen Voraussetzungen eines 'interaktiven' technischen Systems
muss jedoch immer auch die Frage gelöst werden, ob und wie es zu einem semantisch sinnvollen
Austausch und damit auch zu einer erfolgreichen Interaktion zwischen dem menschlichen Akteur
und dem Artefakt kommen kann.
An der Entwicklung von interaktiven Robotern interdisziplinär zu arbeiten bedeutet: 1.) die techni-
schen Einheiten mit ihren jeweiligen Limitierungen zu beachten, um daraus hybride Schnittstellen
zu entwickeln, 2.) die Eigentümlichkeiten sozialer Akteure (Menschen) einzuplanen, die in jeweils
spezifischen und kulturell gefärbten Hinsichten in sozialer (Inter-)Aktion mit anderen Menschen
geübt sind, sowie 3.) sowohl die physikalische Umgebung als auch den sozialen Kontext zu berück-
sichtigen und diese miteinzubeziehen. Lucy Suchman arbeitet seit den 1980er Jahren an dieser
Thematik. Ihre Perspektive darauf sind sozio-materielle Praktiken, die die technischen Systeme
maßgeblich bestimmen. Sie betont, dass die Interaktion mit Computern oder Technologie ein plan-
volles Unterfangen sei und Handlungen immer in den konkreten sozialen Kontexten eingebettet
seien. Damit macht Suchman auf die Situiertheit sozio-technischer Arrangements aufmerksam:
"Actions are primarily situated and (that) situated actions are essentially ad hoc" (Suchman 1987:
ix).
2.3 Empirische Daten aus der Human-Robot Interaction als Herausforderung zur
Reflexion und Erweiterung des Konzepts von Handlung
Menschliche Handlung wird konstant aus dynamischen Faktoren der materiellen und sozialen Welt
konstruiert. Das Feld der HRI macht nun die Klärung des Konzepts von Handlung erneut erforder-
lich. Denn, um das Interagieren menschlicher Akteure mit interaktiver Technik zu beschreiben, ist
es aus soziologischer Perspektive nötig, weitere Differenzierungen vorzunehmen. Der soziologische
Handlungsbegriff, der bedeutet, mit einander gemeinsam in einem sozialen Kontext zu handeln,
muss in dem Zusammenhang neu thematisiert werden, denn ein medial vermittelter Austausch von
sensorischer Information zwischen Mensch und Robotersystem ist weniger geläufig als eine zwi-
schenmenschliche Interaktion.
Die Beobachtung konkreter Interaktionen zwischen Menschen und Robotern aus mehreren Fallstu-
dien konzentriert sich daher hier auf zwei Aspekte: Wie verhalten sich menschliche Akteure in der
Interaktion mit technischen Artefakten, und zeigen sich generalisierbare Phänomene in den empiri-
schen Daten?
3 Mensch-Roboter Interaktion – Ein sozialtheoretischer
Bezugsrahmen
Bei geplanten sowie versuchsweise getesteten Anwendungsszenarien der Servicerobotik liegt ein
recht spezieller Fall von hybriden Interaktionskontexten vor. Dies hängt einerseits damit zusammen,
dass die Erwartungshaltung gegenüber 'Servicerobotern' aufgrund massenmedialer Darstellungen
von überhöhten Erwartungen hinsichtlich der 'interaktiven ' Fähigkeiten gekennzeichnet ist, sowie
andererseits, dass im Alltag keine technischen Artefakte vorhanden sind, die es erlauben würden
erste Erfahrungen mit dieser Art von 'Maschinen' zu sammeln, um die überfrachteten Vorstellungen
zu redimensionieren. Hinzu kommt, dass im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der maßgeblichen
Forschungsinstitute, die Fähigkeiten und/oder Entwicklungsziele weitestgehend der massenmedial
erzeugten Erwartungshaltung entsprochen und diese damit verstärkt wird. Das Feld der Servicero-
botikentwicklung stellt vermutlich ein Feld für eine besonders fruchtbare Empirie dar, wenn der
Verzahnung zwischen medialen Erzählungen und forschungspolitisch bedingten Ausrichtungen des
-22-
technischen und wissenschaftlichen Feldes nachgegangen werden soll. Im Fall der Servicerobotik
sollte sich die Forschung von der plausiblen Arbeitshypothese leiten lassen, wonach die medialen
Erzählungen keinen Transmissionsriemen der Überführung wissenschaftlich-technischer Entwick-
lungsbemühungen in den öffentlichen Raum darstellen, sondern vielmehr einseitig als eine Art von
Vision-Push für jene fungieren.
Dem überladenen Bild einer Interaktion mit 'sozialen' Robotern, als dem menschlichen Akteur
ebenbürtiges Alter Ego, steht eine im Kern triviale Interaktionserfahrung mit Technik im Alltag
gegenüber, die sich bestenfalls als Interaktionssurrogat oder -simulation beschreiben lässt. So stellt
die Interaktion mit technischen Artefakten genau betrachtet in alltäglichen Kontexten vielmals
nichts weiter dar, als die Bedienung von Technik. Nichts desto trotz kann diese Situation als eine
komplex wahrgenommene Objektbeziehung gelten und beschrieben werden, bei der es sich jedoch
nicht um ein aufeinanderbezogenes Arrangement zweier nicht-trivialer Entitäten, sondern lediglich
um ein kompliziertes Input-Output Verhältnis handelt, das von dem menschlichen Bediener nicht
hinreichend 'begriffen' wird (Foerster 1993; 1996a; 1996b).
3.1 Interaktion mit Technik: Einige allgemeine Perspektiven auf ein (un)gewöhnliches
(soziales) Verhältnis
Der in diesem Zusammenhang oft bemühte Turing-Test vermag es einen (zumindest vorläufig) ge-
eigneten Theorierahmen bereitzustellen, um der Frage nach den Eigenschaften einer Mensch-
Technik Interaktion nachzugehen (Turing 1994). Bettina Heintz macht in ihrer Studie "Die Herr-
schaft der Regel" (1993) darauf aufmerksam, dass die Besonderheit des Turing-Tests darin bestehe
eine soziologische Perspektive einzunehmen: Er überführt eine im Rahmen der Künstlichen Intelli-
genz (KI) Forschung vielmals philosophische und/oder psychologische Perspektive in eine soziolo-
gische und nimmt hierbei eine geradezu klassische Stellung innerhalb der sogenannten schwachen
KI ein (Zimmerli/Wolf 1994). Turing stellt nicht die Frage nach den internen Operationen und Zu-
ständen der Maschine, sondern lediglich inwieweit der Output als funktionales Äquivalent einer
sozialen Handlung im Rahmen einer sozialen Beziehung wahrgenommen werden kann. Wir erin-
nern uns: Soziales Handeln liegt vor, wenn diesem eine angebbare Intention von Ego zugrunde
liegt, die sich an das Handeln eines Alter Ego orientiert; eine soziale Beziehung wenn dies auf Ego
und Alter Ego jeweils füreinander zugleich und gleichzeitig zutrifft (Weber 1990: 1, 13).
Bemerkenswert an Turings 'Versuchsaufbau' ist einerseits, dass es eben nicht darum gehen kann, ob
und wenn ja in welcher Form sowie Ausmaß die inneren Zustände einer Maschine denen eines
Menschen ähneln bzw. sich mit diesen parallelisieren lassen (und zwar unabhängig davon ob die
Vergleichbarkeit auf der Grundlage einer Simulation oder Emulation verwirklicht wird). Ob eine
Maschine als 'sozial' gelten kann bzw. inwieweit diese als soziale Entität gilt, hängt vielmehr davon
ab, ob die von dieser ausgehenden Aktionen von ihrem (menschlichen!) Gegenüber als der voran-
gehenden Aktion (ihres Gegenübers) und/oder des Kontextes angemessen wahrgenommen werden
können. Innerhalb eines sozialen Bezugrahmens bedeutet dies in der Regel, dass das Verhalten der
Maschine als Ausdruck einer plausiblen Antizipation von an diese gestellten Erwartung(en) von
Seiten der anwesenden Menschen gelten können (Heintz 1995).
Der springende Punkt auf den Heintz bei Turing hinsichtlich einer soziologischen Beschäftigung
mit der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit künstlicher Intelligenz aufmerksam macht, ist
die soziologisch irrelevante Unterscheidung zwischen einer 'echten' Interaktion und einer bloßen
Interaktionssimulation. Von einem – sehr allgemein gesprochen – sozialkonstruktivistischen Ver-
ständnis her, kann es selbstredend keinen Unterschied geben: Denn das was als 'echte' Interaktion
gilt, wird ex post als Effekt eben dieser zuvor noch 'fraglichen' Interaktion hergestellt, indem ent-
sprechend der 'Echtheit' weiter gehandelt (bzw. weitere sozialrelevante Handlungen daran ange-
schlossen werden). Auf die involvierten Entitäten übertragen bedeutet dies eo ipso, dass auch diese
Kraft ihrer sich im sozialen Raum entfaltenden Effekte als legitime soziale Entitäten etablieren.
Oder anders gesagt, frei nach Dorothy Thomas' Bonmot: Der Output einer Maschine konstituiert
diese als ein vollwertig sozialrelevantes Alter Ego, wenn Ego mit eben diesem Output nicht anders
-23-
umgeht als mit dem einer Entität, die als vollwertige soziale Interaktionspartnerin gilt (vgl. Merton
1995: 399ff).
Es hat den Anschein, dass aus der Perspektive einer 'gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklich-
keit' (Berger/Luckmann 2003) im Zuge der Thematisierung von Mensch-Technik Interaktion die
Grenze zwischen Simulation und Realität genauso nichtig (unbedeutend, beliebig) ist, wie die zwi-
schen objektiver und konstruierter Wirklichkeit. Allerdings wird hier eine eigentümliche Schieflage
deutlich, die konstruktivistische Theorien vor allem dann offenbaren/zeitigen, wenn sie zur Be-
schreibung/ Erklärung hybrider Interaktionskontexte zur Anwendung kommen und die Frage nach
einer soziologischen Charakterisierung der involvierten Entitäten virulent wird. Offenbar liegt zwi-
schen interaktionsbedingter, emergenter Sinnproduktion, sozialem Wirklichkeitsaufbau und der
Akteuretablierung involvierter Entitäten ein ko-konstitutives, zirkuläres Verhältnis vor.
Strukturalistische Theorien haben mit zirkulären Argumentationsfiguren von Anbeginn ihre Mühen
gehabt und (notgedrungen) entsprechende Entparadoxierungsstrategien entwickelt: Bereits Jakob-
son hat in seinem linguistischen Modell das Nullphonem eingeführt, Lévi-Strauss, der Godfather
des sozialwissenschaftlichen Strukturalismus, hat auf jenen aufbauend den Nullwert ins Spiel ge-
bracht und Deleuze geht sogar so weit den Nullpunkt als eines der zentralen Elemente zu charakte-
risieren, an denen zweifelsfrei eine strukturalistische Argumentationsweise identifiziert werden
kann (Lévi-Strauss 1978; Deleuze 1992). Der Sozialkonstruktivismus hat sich statt dessen nie mit
dem Problem eines drohenden infiniten Regress' konfrontieren müssen, weder hinsichtlich der Kon-
stitution des Sozialen als seinen Gegenstand, noch der Generierung von Zirkelschlüssen innerhalb
eines konkreten Interaktionskontextes, das als Keimzelle wirklichkeitskonstituierender Akte gilt.
Diese unbefangene Leichtigkeit hängt damit zusammen, dass sich der Sozialkonstruktivismus – im
Gegensatz zum deutlich radikaleren Strukturalismus – nie in die Verlegenheit der Formulierung
performativer Widersprüche begeben musste, da er sich einer apodiktischen Gewissheit sicher sein
konnte, nämlich dass der Aufbau sozialer Wirklichkeit von Menschen geleistet wird. Der Struktura-
lismus würde also hier den Nullpunkt sozialkonstruktivistischer Argumentation sehen. Sowohl in
Meads Modell symbolisch vermittelter Interaktion als auch in Berger/Luckmanns Grundlegung
eines wissenssoziologisch inspirierten Sozialkonstruktivismus sowie Blumers Symbolischen Inter-
aktionismus kommt nicht nur die Argumentation sondern auch der den Wirklichkeitsaufbau des
Gegenstandes absichernde Nullpunkt zum Vorschein:
Mead hat als Sozialbehaviorist von vornherein den Menschen als ein mit Selbstbewusstsein ausge-
stattetes Wesen als Problembezug vor Augen. Die Tatsache, dass er sein Modell einer sozialen Be-
ziehung unverändert auf den Bereich der Objektbeziehungen übertragen kann, ist ein Anzeichen
dafür, dass der Unterschied zwischen Menschen und nicht-Menschen in seiner Theorie den Stellen-
wert einer unerschütterlichen Prämisse einnimmt (Mead 2002: 229, 324ff). In Berger/Luckmanns
anschaulicher Wiederaufnahme von Meads Akteur- und Interaktionsmodell wird dieser Zug noch
verstärkt und gleichfalls einer symbolisch interaktionistischen Lesart recht gegeben. Ber-
ger/Luckmann stellen den Wirklichkeits- und Bedeutungsaufbau als das Ergebnis zunächst habitua-
lisierter, sodann institutionalisierter, interpretativer Übereinkunft hinsichtlich einer bestimmten Be-
deutung/Deutung eines Zeichens/Wortes/Handlung etc. dar (Berger/Luckmann 2003: 49ff).
Wenngleich der Wirklichkeitsaufbau und somit auch der Identitätsaufbau (letzteres hat Mead haupt-
sächlich interessiert, für ersteres hingegen interessieren sich Berger/Luckmann und Blumer) an den
Reaktionen von Alter Ego gekoppelt sind, die Bedeutung sich also auch in deren Modell im Nach-
hinein als Effekt gelingender Interaktion etabliert und es folglich keine private Wirklichkeit, jenseits
einer sozialen, emergenten geben kann, wird die Interaktion aus der Binnenperspektive der an dieser
beteiligten Akteure erzählt (Berger/Luckmann 2003: 53; Zimmerman/Wieder 1974; Mead 2002:
116ff, 270). Die Akteure sind von sich aus motiviert eine Verständigung mit ihrem Gegenüber her-
zustellen – es gibt den einzelnen Akteur immer schon bevor dieser sich im Rahmen einer sozialen
Wirklichkeit zurechtfinden muss (Habermas 2006: 212).
-24-
Radikalkonstruktivistische Ansätze (bspw. Luhmanns funktional-strukturelle Systemtheorie) schlie-
ßen stärker an Meads Modell an und machen demzufolge ernst mit der letztlich vom einzelnen Ak-
teur völlig losgelösten sozialen Wirklichkeit. Das Problem der daraus resultierenden bzw. unweiger-
lich anzunehmenden Selbstbezüglichkeit sozialer Systeme wird als grundsätzliches Paradoxie-
Problem dieser freilich erkannt und innerhalb der Theorie durch das Theorem des Re-Entry ent-
schärft: Aber auch hier zeigt sich eindeutig eine bevorzugte Stellung des Akteurs wenn auch 'nur' in
Form eines materiellen Substrates, denn die strukturelle Kopplung mit sozialen Systemen ist (noch)
reserviert für Bewusstseinssysteme (Luhmann 2006: 117f; 1994: 716f; Baecker 2011).
Das Theorem der Emergenzfunktion des Dritten bietet sich an, um diese im Rahmen von Mensch-
Technik Interaktion zum Vorschein kommende und sich als problematisch herausstellende Diffe-
renz zu thematisieren: Es geht um die Problematik einer vermeintlichen Ununterscheidbarkeit zwi-
schen Simulation und Realität, die allerdings nur behauptet werden kann, weil letztlich doch nur die
Menschen als legitime soziale Akteure von den Theorien gesetzt und wahrgenommen werden im
Gegensatz zu der Technik (Lindemann 2002; 2006). Dieser Umstand kommt in der Position, die
Turing im Rahmen seines Versuchsaufbaus einnimmt zum Vorschein; Turing beobachtet für die
Leserinnen die Interaktion zwischen Mensch und Maschine und legt damit zugleich fest welche
Entität die 'echte' ist und welche statt dessen auf eine gute Simulation angewiesen ist, um als soziale
Entität gelten zu können (Turing 1994). Ähnlich ist auch Heintz' Argumentation aufgestellt; in ihrer
Darstellung kommt es chronologisch zu einer zunehmenden 'Algorithmisierung' des Sozialen, die
das Soziale maschinenähnlich werden lässt, um in einem zweiten Schritt festzustellen, dass es jen-
seits der auf Seiten des Sozialen dem Technischen vereinfachten 'Simulierbarkeit' von Sozialität und
mithin einer zunehmenden Austauschbarkeit und Teilhabe, die Aktualisierung von Kontingenz den
Menschen im Unterschied zur Maschine auszeichnet (Heintz 1993: 299).
3.2 Interaktion mit Technik: Erwartungserwartungen, Situiertheit und Rahmung sowie
die Funktion des Dritten
In Turings Versuchsanordnung kommt die angerissene Unterscheidung, ob es zwischen Interaktion
und Simulation einen sozialrelevanten Unterschied geben kann, zum tragen. Zwei Merkmalen des
Turing-Tests können erhellende Hinweise – nicht nur hinsichtlich der Mensch-Roboter Interaktion,
sondern auch der Konstitution des Sozialen als Interaktionsraum – abgewonnen werden: Zunächst
beobachtet Turing den Test von Außen – er stellt sich einen Menschen und einen nicht-Menschen
(Maschine) vor und beobachtet inwieweit der Mensch den nicht-Menschen als Menschensurrogat
wahrnimmt; das bedeutet zunächst, dass der Output der Maschine als funktionales Äquivalent einer
menschlichen sozialen Handlung im Rahmen einer sozialen Beziehung beschrieben werden kann.
Turings Position spielt eine konstitutive Rolle für das von ihm Ausgesagte; und zwar jenseits der
Beeinflussung einer Beobachtung durch die Beobachterin und daraus resultierenden performativen
Effekte der Konstitution des beobachteten Gegenstandes.
Der zweite Aspekt der in Turings Darstellung hervorgehoben werden soll, ist die unproblematisierte
Annahme der Zuschreibung von Sozialkompetenz. Was bedeutet es als sozial kompetenter Akteur
(respektive Entität) zu gelten? Welche Eigenschaften müssen beobachtbar sein? Lässt sich Turings
These im Rahmen eines gestuften Handlungsmodells soziologisch operationalisieren oder im Sinne
Heintz' auf die radikale Differenz von Algorithmisierung vs. Kontingenzfähigkeit der handelnden
Entität runterbrechen (Rammert/Schulz-Schaeffer 2002)? Nicht ganz irrelevant ist hierbei die Fest-
stellung, dass beide Varianten die Situiertheit und den Kontext der Interaktion in die Argumentation
mit einfließen lassen. In unserer Empirie kommt diesem Faktor erhebliche Bedeutung zu, da wir
davon ausgehen, dass im Prinzip unentscheidbar ist, welche Entität als soziale Entität gelten kann,
faktisch der Kreis solcher Entitäten aber auf Menschen beschränkt wird (ein Umstand der in
Turings Test zweifach unhinterfragt zum tragen kommt), entscheidet die Eindeutigkeit des Kontex-
tes in Kombination mit der Eindeutigkeit des Status der Entität über eine reibungslose Interaktions-
situation.
-25-
Zunächst aber einige weitere Präzisierungen hinsichtlich der Turingschen experimentellen Mess-
barkeit der Differenz. Zu den zuletzt aufgeworfenen Fragen nach der Bestimmung von Sozialkom-
petenz. In dem hier thematisierten Zusammenhang ist es instruktiv vorläufig zwischen vier ver-
schiedenen Darstellungen sozialer Interaktion zu unterscheiden: Die Grundlegung symbolisch ver-
vermittelter Interaktion durch Mead, dessen sozialkonstruktivistisch respektive interaktionistisch
gewendeter 'Vereinfachung' durch Berger/Luckmann und Blumer sowie funktional-struktureller
Wiederaufnahme durch Luhmann (die sich zugleich anbietet um Webers klassischen Handlungsbe-
griff anzureißen) und schließlich Garfinkels Entdeckung ethnomethodologischer Verfahren zur
Gewährleistung erfolgreicher Interaktion. An dieser Stelle ist kein Raum um die Theorien im ein-
zelnen durchzugehen, soweit nötig und sinnvoll ist auf die jeweils entscheidenden Punkte im letzten
Abschnitt hingewiesen worden. Lediglich auf Garfinkels Thematisierung ethnomethodologischer
Verfahren soll gemeinsam mit Meads Charakterisierung von Objektbeziehungen in Kürze einge-
gangen werden:
Garfinkel problematisiert die 'Beschaffenheit' bzw. die Gestalt der an einer Interaktion teilnehmen-
den Entität; Mead hingegen parallelisiert eine Objektbeziehung mit den Eigenschaften symbolisch
vermittelter Akteurbeziehungen. Zugleich gehen alle anderen Ansätze zwar (oftmals implizit) 'nur'
von miteinander interagierenden Menschen aus, die formulierten Bedingungen müssten sich jedoch
auf Interaktionen mit Objekten übertragen lassen, sofern es – konstruktivistisch gewendet – zwi-
schen simulierter und echter Interaktion keinen Unterschied geben soll. Garfinkels Studien zur
Transsexualität und Meads Darstellung der Interaktion mit Artefakten und Naturobjekten gehen die
von uns zur Diskussion gestellte Sollbruchstelle konstruktivistischer Sozialtheorien aus zwei unter-
schiedlichen, sich ergänzenden Stoßrichtungen an.
In Meads dargestellten Objektbeziehungen ist der Status des Objektes (als Artefakt oder Naturob-
jekt) stets völlig eindeutig (Mead 1987). Garfinkel hingegen beobachtet erhebliche Irritationen, die
eine erfolgreiche Interaktion empfindlich stören können, wenn ein Mensch nicht bestimmten erwar-
teten Kriterien entspricht (Garfinkel 2007). Diese zwei Beobachtungen zusammengenommen füh-
ren zu ersten möglichen Erklärungsansätzen für die Frage nach einer erfolgreichen Interaktion mit
Robotern: Offensichtlich reicht es nicht aus, dass bestimmte Kriterien für die Zuschreibung von
Sozialkompetenz vorhanden sind – so wie uns Turing in seiner imaginierten Testumgebung weis-
machen will. Eine der ersten erfolgreichen (und sehr bekannten) Durchführungen dieses Tests stellt
Weizenbaums (1977) Experiment ELIZA dar. Das besondere an diesem Test ist, dass die menschli-
chen Testpersonen die Maschine nicht sehen, sie wissen nichts von der Maschine und gehen davon
aus, dass die Antworten von einem abwesenden Menschen stammen. Es liegt zwar eine Objektbe-
ziehung, die als Sozialbeziehung 'funktioniert' vor, allerdings nur deshalb, weil sich die Frage nach
der Entität (und der Eindeutigkeit des Status dieser) erst gar nicht stellt.
In ELIZA liegt eine 'glückliche' Kombination der hier vorläufig als relevant identifizierten Eigen-
schaften hinsichtlich einer erfolgreichen Interaktion mit Objekten bzw. Robotern vor. Die Interakti-
on mit einem Objekt bzw. nicht-Menschen ist im Prinzip möglich und als vollwertige Interaktion
beschreibbar, solange der Status der Entität eindeutig genug ist: entweder Objekt oder Mensch,
wobei es bezüglich Menschen weitere Restriktionen und Präzisierungen gibt, auf die unter anderem
Garfinkel aufmerksam macht (Garfinkel 2007; Lindemann 1993; Hirschauer 1994). Die Interaktion
gelingt in Weizenbaums Experiment nur deshalb so gut, weil die Menschen nicht wissen, dass sie
mit einem Objekt interagieren. Sowohl Weizenbaum als auch Turing spielen eine konstitutive Rolle
für das erfolgreiche Zustandekommen der Interaktion: Sie legen nicht nur durch den Versuchsauf-
bau einen geeigneten Rahmen fest, sondern haben auch durch ihre Rolle als beobachtende Instanz
hinsichtlich der Charakterisierung dessen was als soziale Interaktion gelten soll die Funktion des
Dritten inne. Deren Bestätigung der Situation als erfolgreiche Interaktion ist entscheidend für eine
entsprechende Charakterisierung, insofern zugleich gewährleistet ist, dass eine der Interaktionspart-
nerinnen ein Mensch ist. Wittgenstein würde uns an dieser Stelle vielleicht mit der Frage konfron-
tieren: Stell dir vor, es handele sich um zwei aufeinander reagierende Computerprogramme; wofür
würde ein solcher Versuch stehen und für wen würde er (noch) etwas bedeuten?
-26-
Weder in Turings noch in Weizenbaums Versuchsanordnung wird davon ausgegangen, dass die
menschlichen Probanden 'verrückt' sind. Das ist insofern bemerkenswert, als die nicht-menschlichen
'Egos' es sich erst recht nicht leisten könnten von den an sie gestellten Erwartungen abzuweichen.
Turing und Weizenbaum garantieren für die Interaktionssituation als solche, indem sie unter ande-
rem feststellen, dass die Menschen vollwertige Interaktionspartner sind, da das zugleich die Bedin-
gung darstellt, die erfüllt sein muss, damit die Aufmerksamkeit auf die Fähigkeiten der nicht-
menschlichen Akteure gerichtet werden kann. Eine der zwei miteinander interagierenden Entitäten
muss 'von Außen' als zweifelsfrei kompetent bewertet werden. Lindemann legt dar, dass die Inter-
aktionsdyade (bspw. so wie in Berger/Luckmanns Robinsonade) nicht ausreicht um einen sozialen
Raum zu etablieren, da der Aufbau sozialen Sinns nur gelingen kann, wenn Ego davon ausgeht,
dass Alter in der Lage ist das Problem doppelter Kontingenz erfolgreich zu verarbeiten. Ohne eine
externe Referenz, die Ego die Entscheidung zwar nicht abnimmt aber in der einen oder anderen
Hinsicht be- oder entkräftet, wäre dies ein unmögliches Unterfangen. Andernfalls würde sich die
Frage stellen woher Ego wissen kann, dass Alter faktisch damit rechnet, dass sich Ego anders als
erwartet verhalten kann und dies im Rahmen seines an Ego gerichteten Handelns in Rechnung stellt.
Woher weiß also Ego, dass die aufgrund der Reaktion von Alter zustande kommende Bedeutungs-
konstitution von Egos Handlung/Äußerung (sozialer Sinn) ein Akt der auf die im Prinzip nicht be-
stimmbaren (unvorhersehbaren bzw. nicht determinierbaren) Aktion von Ego beruht? Inwiefern
kann sich Ego der Bedeutung eines Wortes vergewissern, sofern allein der richtige Gebrauch dar-
über entscheiden kann und dieser immer nur von der selben Entität bestätigt wird (bspw. zwischen
Robinson und Freitag)? Der im Rahmen einer Dyade aufgebaute Verweiszusammenhang sozialen
Sinns ist genauso brüchig und unstabil wie die Unmöglichkeit der Etablierung einer rein privaten
Sprache, da sie einem riesigen Zirkelschluss gleichkommen würde. Es bedarf im sozialen Raum
einer dritten Entität, die die Angemessenheit einer Reaktion von Alter bewertet, damit diese für Ego
bestimmbar wird und damit zugleich um Alter das Attribut einer legitimen, vollwertigen sozialen
Entität zu verleihen (Lindemann 2006).
In alltäglichen Kontexten vertrauen menschliche Akteure der physischen Gestalt von Menschen, um
schnell und unkompliziert ermitteln zu können, wer zum legitimen Kreis sozialer Interaktions-
partner gehört. Wenn das Antlitz des Gegenübers nicht zur Verfügung steht entscheidet der Kontext
darüber (bspw. telefonieren), ob davon ausgegangen werden kann, dass es sich um einen legitimen
Interaktionspartner handelt oder um ein Objekt mit dem sich keine soziale Wirklichkeit aufbauen
lässt (bspw. Navigationsgerät). In beiden Fällen funktioniert die Interaktion aufgrund der erfolgrei-
chen Identifikation des Gegenübers, dabei ist es gleich ob es sich um einen Interaktionspartner han-
delt der am (Wieder-)Aufbau sozialer Wirklichkeit partizipiert oder bloß um einer in ihrer Signal-
verarbeitung und Output determinierten (trivialen) Maschine. Problematisch wird es erst, wenn mit
einer Entität interagiert wird, die neuartig ist und es sich dabei nicht zweifelsfrei um einen Men-
schen handelt. Offensichtlich spricht auch theoretisch einiges dafür, dass der Raum des Sozialen in
(spät)modernen Gegenwartsgesellschaften auf wenige Entitäten beschränkt wird, nämlich Men-
schen. "Note, however, that the idea that only consciousness has access to communication and that
therefore only human beings are engaged in society is a restrictive idea entertained only by modern
society, which has driven ghosts and devils, spirits and gods, plants and animals out of the realm
where partners in communication were to be found. This is the flop side of humanism‟s venerable
attempt to liberate humans from natural and mystical confinement. The world of human beings has
been emptied of any other kind of intelligence for listening to and talking with." (Baecker 2011: 17)
Dass in 'westlichen' Gegenwartsgesellschaften, die Eindeutigkeit der Bestimmung schnell und zwei-
felsfrei erfolgen muss und mit Kategorien einhergeht die eine Positionierung im sozialen Raum
ermöglicht (an der unter anderem ungleichheitsfördernde (Struktur-)Kategorien heften) wird in Stu-
dien zur Transsexualität deutlich.
3.3 Thesen und Fragestellung
Die Theoriediskussion und der hierin aufgespannte Theorierahmen zur Untersuchung von Mensch-
Roboter Interaktion leitet sich aus unserer Empirie ab - in einem der qualitativen Forschung übli-
chen iterativen Abgleich- und Anreicherungsprozess zwischen Empirie und Theorie möchten wir
-27-
folgende Thesen aufstellen, die wir zugleich als Richtschnur für künftige handlungstheoretisch in-
spirierte Forschung mit Social Robotics vorschlagen möchten:
Nur bestimmte Entitäten werden als legitime Akteure wahrgenommen – als solche gelten der-
zeit nur Menschen;
es bedarf einer dritten Entität, um bestimmen zu können, wer dazu gehört;
dies wird in unserer Roboterempirie besonders gut sichtbar; die Interaktion gelingt entweder
wenn der Status (triviale Maschine) eindeutig ist (dies kann bspw. auch aufgrund bzw. mit Hilfe
des Kontextes gewährleistet werden, bspw. Navigationsgerät1) oder wenn kognitive Fähigkeiten
die Restriktion (nur Menschen) nicht mehr zulassen bzw. aufweichen.
4 Mensch-Roboter-Interaktion – Drei empirische Fallstudien
entlang ihrer Krisenexperimenttauglichkeit2
Zwischenmenschliche Interaktionen sind kontextabhängig, sozial konstruiert und anfällig für Fehl-
deutungen und Missverständnisse. Menschen können diesen kommunikativ begegnen, was u.a.
durch die Krisenexperimente Harold Garfinkels gezeigt wurde und wiederum den Rückschluss auf
deren Konzeption von gelingender Kommunikation im Alltag zulässt. Aber was führt dazu, ein
Missverständnis aufzutun bzw. eine etwaige Fehldeutung zu erkennen, wenn das Gegenüber kein
Mensch ist und der Umgang mit einem solchen Agenten oder Serviceroboter nicht zu einer bereits
zuvor gemachten Alltagserfahrung zählt?
Die im Folgenden dargelegten Beobachtungen subsumieren Daten mehrerer Studien. Gerade die
hohe Fehleranfälligkeit der Kommunikation zwischen menschlichen Novizen und technischen Sys-
temen in der HRI haben das gezielte Einsetzen von Krisen in die experimentelle Interaktion ange-
regt. Sie zeigen Aspekte davon auf, wie die Erwartungshaltung der menschlichen Interaktions-
partner jeweils gewesen ist. Die Folgende Matrix gibt das Grundgerüst der
Auswertungsdimensionen unserer Empirie wieder. Zugleich stellt diese das Fundament für den so-
zialtheoretischen Rahmen dar, der im Zuge der sich herauskristallisierenden Sortierungskriterien der
Felder als eine mögliche Erklärung vorgeschlagen wird.
1 An dieser Stelle möchten wir auf den Beitrag von Julian Stubbe und Mandy Töppel (in diesem Band)
hinweisen, der hinsichtlich der geschilderten Irritationen der sprachgesteuerten Menüführung des techni-
schen Systems (Smart Home) unsere These zu bestätigen scheint: Die selbe 'Technik', die in einem Auto
aufgrund des Kontextes zweifelsfrei als technischer Agent identifiziert werden kann und deshalb eine er-
folgreiche Interaktion erlaubt, führt in einem ungewohnten soziotechnischen Arrangement zu Verwirrung.
2 Ein Teil der verwendeten Empirie entstammt dem BMBF geförderten Vorhaben: "Förderung des Wissens-
transfers für eine aktive Mitgestaltung des Pflegesektors durch Mikrosystemtechnik" (WiMi-Care), För-
derkennzeichen: 01FC08024-27 (vgl. http://www.wimi-care.de).
-28-
Probanden
Artefakte kognitiv orientiert demenziell erkrankt
Status nicht eindeutig 4.1) Interaktion scheitert 4.3) Interaktion gelingt
Status eindeutig 4.2) Interaktion gelingt - - - -
4.1 Scheitern der Mensch-Roboter-Interaktion in sozialen Kontexten
Wir haben die Interaktionen von mehreren Personen mit Servicerobotern in zwei gänzlich unter-
schiedlichen Kontexten beobachtet. Einerseits geht es um eine quasi experimentelle Umgebung
bzw. um Interaktionsversuche zwischen einem Serviceroboter und Probanden in einer Laborumge-
bung, andererseits um den Einsatz eines Serviceroboters in einer stationären Pflegeeinrichtung für
Senioren. In beiden Fällen kann das Scheitern der Interaktion zwischen Roboter und Akteuren auf
einer sehr elementaren Ebene beobachtet werden. So sollte bspw. einer der zwei zum Einsatz ge-
kommenen Serviceroboter die Senioren einer Station mit Getränken versorgen. Die recht simple
Interaktionssequenz bestand lediglich darin eine Bestellung aufzunehmen und diese an die richtige
Person zu überreichen. Der Roboter hat das Getränk auf ein Tablett den Bewohnern überreicht und
dabei diese verbal (es handelt sich um eine menschliche zuvor aufgezeichnete Stimme) adressiert.
Vom Roboter angesprochen haben die Bewohner der Einrichtung eine direkte Interaktion mit dem
Artefakt gemieden und sich wann immer es ging an die anwesenden 'Experten' gewandt – seien dies
dort tätige Pflegekräfte oder die an dem Pilottest beteiligten Ingenieure. Falls das Glas vom Tablett
genommen worden ist, hat sich der Roboter bedankt – auch diese Interaktionsofferte ist in der Regel
ignoriert worden. Der Roboter war nicht in der Lage die Ablehnung als Aufforderung aufzufangen
und bspw. durch eine entsprechende Kommentierung erfolgreich daran anzuschließen, um der Un-
wahrscheinlichkeit des Gelingens von Kommunikation ihren Tribut zu zollen – Watzlawicks Kom-
munikationsgesetz, es sei unmöglich nicht zu kommunizieren, trifft demnach auf Serviceroboter
nicht zu. Gegenwärtig sind soziale Roboter in der Lage nicht zu Kommunizieren und es ist verstö-
rend ihnen dabei zuzusehen und die Schneise sozialer Verwüstung in Augenschein zu nehmen, die
sie hinterlassen.
Das nicht-Eintreten eines erwarteten Verhaltens von Seiten des Roboters wird durch die involvier-
ten Akteure (bzw. Probanden) manchmal versucht einzufangen, da die Reaktion auf solch ein Ret-
tungsmanöver in der Regel ebenfalls unerwartet ist. Da dies in keinster Weise darauf rekurriert,
endet jeder Versuch der Etablierung einer Verständigungsschleife, in der die Aktion von Ego durch
die Reaktion Alter Egos in ihrer Bedeutung hergestellt wird, zum Scheitern verurteilt. Interaktion in
einem soziologischen Sinn ist nicht nur vom Scheitern bedroht, sondern wird im Keim erstickt; sie
kommt genau genommen nicht einmal ansatzweise zustande. Der menschliche Akteur versucht
mehr oder weniger lang eine komplette Schleife der Bedeutungskonsolidierung mit dem Roboter als
Alter Ego durchzuführen. Nach einigen vergeblichen Versuchen wird die Interaktion in spe endgül-
tig als gescheitert bewertet und keine weiteren Versuche unternommen.
Aus unserer Sicht sollten bezüglich dieser zwei Fallbeispiele von jeweils unterschiedlichen Kontex-
ten und unterschiedlichen Servicerobotern, aber mit sehr ähnlichen Mustern des Scheiterns der
Etablierung einer Mensch-Roboter Interaktion, folgende Befunde festgehalten werden:
Die Interaktion scheitert auf einer so grundsätzlichen Ebene, dass nicht von einem Krisenexpe-
riment die Rede sein kann; statt dessen zeigt sich, dass der Interaktionskontext so labil – wenn
nicht gar inexistent – ist, dass kein Krisenexperiment durchgeführt werden könnte und insofern
das Scheitern sich (weit) unterhalb eines Krisenexperimentniveaus abspielt;
-29-
die involvierten Akteure neigen dazu entweder gar nicht mit dem Roboter zu interagieren oder
spätestens nach einigen unternommenen Versuchen der Etablierung einer erfolgreichen Interak-
tion mit den Robotern, die anwesenden Akteure als Vermittler einzusetzen;
die Serviceroboter befinden sich in einem sozialen Zwischenraum: Die Probanden trauen diesen
zu, sozial zu Handeln und ggf. auf dieser Grundlage eine soziale Beziehung zumindest ansatz-
weise aufzubauen, allerdings wird diese Erwartung einerseits von den 'sozial-interaktiven' Fä-
higkeiten der Artefakte enttäuscht andererseits werden die Interaktionsversuche von vornherein
unter Vorbehalt durchgeführt; eine Einbeziehung anwesender sozial etablierter Entitäten (Men-
schen) wird immer eingeholt.
4.2 Die Eindeutigkeit des Artefaktes als Artefakt für das Gelingen der Mensch-Roboter-
Interaktion
Was macht die Eindeutigkeit eines Artefaktes als künstlichem Gegenüber mit unbekannten Fähig-
keiten aus? Und was erleben Menschen, die den Umgang mit künstlichen Agenten nicht geübt sind,
als Scheitern ihrer Kommunikationsangebote? Gezielt wurden in der ersten experimentelle Fallstu-
die krisenhafte Ereignisse herbeigeführt, um Indizien für diese Fragen zu erzeugen. Maßgeblich
scheinen die kognitiven Rahmungen zu sein, die von den Menschen in Bezug auf die Künstlichkeit
ihres Gegenübers gemacht wurden: Erwartungen und Zuschreibungen hinsichtlich der interaktiven
Kapazitäten und Kompetenzen des Roboters. Die über das technische System nicht-instruierten
Probanden zeigten keine eindeutige Zuschreibung ihres Gegenübers als Artefakt oder als mit voll-
ständigen Attributen eines als Interaktionsgegenüber eingestuften Partners.
In der ersten Fallstudie wurden Interaktionen mit einem Agenten durchgeführt, der ein comicartiges
Babygesicht auf einem Monitor zeigt. Er ist der Interaktionspartner in dem experimentellen Szena-
rio. Die Freiheitsgrade seines Gesichtes lassen Bewegungen der Augenbrauen, der -lider und des
Mundes zu, und sie zeigen auch Richtungsänderungen der Blickes selbst an. Der Agent ist nicht mit
einem sprachverstehenden bzw. -generierendem System ausgestattet und drückt seine gerichtete
Aufmerksamkeit allein mittels dieser Augenbewegungen aus. Diese wird durch einen Algorithmus
gesteuert, der sich am biologischen Aufmerksamkeitsmechanismus orientiert und sich nach dem
salienten Objekt bzw. Bildareal ausrichtet (vgl. Muhl/Nagai 2007).
In den Interaktionen mit den Agenten, zeigen sich in der menschlichen Handlung verschiedene
Phänomene der Irritation. Die menschlichen Akteure nutzten mehrere Strategien des Reparierens,
sofern Störungen ihrer Erwartungen auftraten: Das Abweichen der Blickrichtung des Roboters vom
Hauptort des Geschehens – falls wahrgenommen – wurde durch eine Vielzahl von Handlungsvari-
anten beantwortet, oder schließlich durch gänzliches Einstellen der Handlung. Aktivitäten und
Sprache richteten sich sowohl an den Roboter, als auch an die Experimentatorinnen. Dem Agenten
wurden durchaus kommunikative Fähigkeiten zugeschrieben und ihm zugetraut, sich semantisch
sinnvoll (bspw. sprachlich) zu artikulieren. Die Enttäuschung der Erwartung, dass der Agent auf
Ansprache mit eigenen Redebeiträgen reagierte, wurde in machen Fällen durch ein Monologisieren
der Probanden kompensiert, oder aber durch deren Kommentar, nun auch selbst nicht sprechen zu
wollen. Es erfolgt also eine Orientierung an Interaktionsmustern aus sozialen Kontexten, obwohl
und gerade weil das Gegenüber als Maschine erkannt wird und die Erwartungen entsprechend daran
angepasst werden können. Die empirischen Befunde belegen jedoch auch hier, dass die Emergenz
des Dritten die Funktion eines Korrektivs und der Absicherung hinsichtlich des Status von Alter
einnimmt.
4.3 Die Anerkennung des Artefaktes als sozialer Interaktionspartner durch Akteure mit
eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten
Das dritte Fallbeispiel stellt der jeweils einwöchige Einsatz eines der zwei autonomen Servicerobo-
ter in einer stationären Pflegeeinrichtung dar. Im Rahmen einer ersten Pilotphase ist der Roboter
eine Woche lang in einer Station mit überwiegend kognitiv orientierten Bewohnern zum Einsatz
-30-
gekommen. Seine Aufgabe bestand darin die Bewohner in den drei Gemeinschaftsräumen mit Ge-
tränken zu versorgen. Die Anforderungen bestanden dabei in: 1.) Aufnahme einer Bestellung bzw.
eines Trinkwunsches von einem der Bewohner in einem der Gemeinschaftsräume, 2.) das Zapfen
eines Bechers Wasser von einem handelsüblichen Wasserspender, 3.) das eigenständige Wiederauf-
suchen der Person und das Anbieten des Getränks. Dabei hat sich gezeigt, dass im Unterschied zu
den weiter oben dargestellten Irritationen und dem unbefriedigenden Verlauf der Interaktion mit
kognitiv orientierten Bewohnern, die Interaktion insbesondere mit einer an Demenz erkrankten Be-
wohnerin (mittleres bis schweres Stadium) die Interaktion unproblematisch und reibungslos verlief.
Aufgrund dieser Beobachtung ist in enger Abstimmung mit der Pflegeleitung und nach Durchfüh-
rung von vier Experteninterviews (zwei mit langjährig praktizierenden Gerontopsychiaterinnen,
zwei mit Ergotherapeutinnen) die zweite einwöchige Pilotphase ausschließlich in einer Demenzsta-
tion (entsprechend des in Pflegeeinrichtungen inzwischen üblichen segregativen Ansatzes) durchge-
führt worden.
Stark kognitiv desorientierte Personen interagieren mit dem Roboter ohne sich durch Abweichun-
gen vom erwarteten Verhalten irritieren zu lassen. Die Zuschreibung sozialer Handlungskompetenz
erfolgt hierbei auf der Ebene eines Wiedereingliederns in übliche Handlungsmuster. Besonders
auffällig wird dies in Interaktionssequenzen in denen der Roboter offensichtlich elementare Hand-
lungskompetenz vermissen ließ: Einige Male blieb der Roboter mit 1-1,5 Meter Abstand von einer
am Tisch sitzenden Person stehen mit der Aufforderung das Hindernis bitte zu entfernen (wie sich
herausstellte war diese Fehlfunktion einem Spiegel geschuldet, das die maßgeblich für die Naviga-
tion verantwortlichen Laserscanner zu Fehlinformationen führte). Genauso wie einem menschlichen
Akteur ein relativ hohes Maß an unerwartetem Verhalten in Interaktion zugestanden wird (Versuche
und Strategien der Reparatur scheiternder Kommunikation finden sich in der ethnomethodologi-
schen aber auch allgemeinen interaktionistischen Literatur). Dieser 'Vertrauensvorschuss' wird
Menschen gewährt, insofern davon ausgegangen wird, dass diese in der Lage sind den gestörten
Verlauf ihrerseits auszugleichen. Krisenexperimente erfahren ihre Rechtfertigung ja gerade vor dem
Hintergrund dieser Grundannahme: Die Strategien zur Wiederherstellung von 'Normalität' ließen
sich mit dem Instrument des Krisenexperiments nicht nachweisen, wenn nicht davon ausgegangen
würde, dass sich Menschen untereinander einen relativ hohen Toleranzbereich der Erwartungsent-
täuschung zulassen; im Gegensatz bspw. zu einem technischen Artefakt, dem ein unerwarteter Out-
put entweder als Fehlfunktion oder bestenfalls als Ergebnis einer fehlerhaften Bedienung attestiert
wird. Halfmann unterschiedet deshalb zwischen Technik als Medium und Installation – eine Unter-
scheidung die bei Menschen keinen Sinn machen würde; diese könnten u.U. als nicht zurechnungs-
fähig und/oder kognitiv stark eingeschränkt und/oder nicht ausreichend sozialisiert (Kleinkinder)
sowie – bei ausreichend reflektierten Personen – als einem anderen Kulturkreis stammend gelten;
aber schlechterdings nicht als Installation (Halfmann 1996: 109ff).
Kurz gefasst: Die Akteure labeln das Artefakt durch ihr Handeln als legitimen Interaktionspartner.
Hierfür bedürfen sie keiner externen Absicherung, genau so wie das es sich für das Kleinkind von
selbst versteht, dass auch Puppen oder gar Steine angesprochen und in die Interaktion einbezogen
werden, da sie beseelt sind.
4.4 Resümee der empirischen Befunde
Im Rahmen der vorgestellten Fallbeispiele von Mensch-Roboter Interaktion zeigt sich, dass techni-
sche Artefakte nur dann als Interaktionspartner gelten können, wenn der Status der Artefakte ein-
deutig genug ist. Dies kann und wird vielfach vermutlich über den Kontext hergestellt; der Kontext
zeigt an welche Entitäten als soziale Akteure gelten können und welche nicht. Genauso wie es dem
Kontext geschuldet ist, dass soziale Kontexte stabil sind. Institutionalisierte Praktiken sind in der
Regel kontextabhängige Kontexte (in einer Bäckerei, muss nicht zunächst geklärt werden, wer wel-
che Rolle inne hat und dem Bäckereifachverkäufer wir ein anderes Interaktionsinventar zugemutet
werden als einer Fachärztin oder Therapeutin oder Richterin). Ein Lakmustest stellen aus unserer
Sicht Krisenexperimente dar: Diese sind nur dann erfolgreich durchführbar, wenn der soziale Kon-
text im Prinzip stabil ist. Das wiederum setzt voraus, dass einige elementare Bedingungen des Sozi-
-31-
alen erfüllt sein müssen (bspw. dass nur Menschen als Interaktionspartner gelten) – bei physisch
anwesenden Servicerobotern ist das nicht klar (wir vermuten hier einen massenmedialen Einfluss
der Darstellung solcher Maschinen und die mangelnden Erfahrungswerte im Alltag) im Gegensatz
zu dem Agenten Babyface, bei dem der Statuseindeutig ist (Status eindeutig).
Krisenexperimente weisen also zuzüglich ihrer ursprünglichen Funktion - nämlich die Muster von
Interaktionsverläufen und der schmale Grat auf dem sie sich häufig bewegen sowie die Strategien
der Reparatur beschädigter Verweiszusammenhänge und damit der Gewährleistung des Interakti-
onserfolgs sichtbar zu machen - eine weitere Dimension und Anwendungsmöglichkeit auf. Sie kön-
nen auch als Instrument verwendet werden, um in Grenzsituationen des Sozialen erste Hinweise zu
liefern, auf welcher Seite der Grenze sich die beobachteten Interaktionsversuche befinden: Sofern
Krisenexperimente durchgeführt werden können, liegt eine soziale Interaktionssituation vor, wenn
diese nicht durchgeführt werden können befindet sich die untersuchte Situation warum auch immer
im Jenseits des Sozialen.
5 Fazit
Eine Analyse der Mensch-Roboter Interaktion vermag es nicht nur Aussagen über Mensch-Technik
Interaktionen im Allgemeinen zu formulieren, sondern auch plausible Mutmaßungen über die 'Na-
tur' sozialer Interaktion anzustellen. Es wird deutlich, dass vollwertige Interaktionen unterhalb des
von Turing bereitgestellten Bezugrahmens eine Struktur aufweisen, die deutlich robuster ausfällt,
als es sozialkonstruktivistisch (auf den ersten Blick) erscheinen mag: Die Begrenzung des sozialen
Raumes verweist in modernen Gegenwartsgesellschaften auf ein ganz bestimmtes materiales Sub-
strat. Der Aufbau von und eine volle Teilhabe am Sozialraum obliegt allein den interagierenden
'Menschen'. Das heuristische Potenzial unserer Empirie liegt dabei gerade in der Neuartigkeit der
Technik einerseits und den hohen Erwartungen auf Seiten der Probanden andererseits.
Unser Forschungsdesign setzt am grundsätzlichen Scheitern der Mensch-Roboter Interaktion an und
radikalisiert den Interaktionskontext in zwei entgegengesetzte Richtungen: Einmal wird das Arte-
fakt einer Eindeutigkeit überführt, die das Interaktionsarrangement auf Seiten der menschlichen
Akteure wieder verhandelbar werden lässt (was sich bspw. dadurch bemerkbar macht, dass Krisen-
experimente erfolgreich durchgeführt werden können). Auf der dieser Manipulation gegenüber lie-
genden Seite werden Probanden ausgewählt, die eine grundsätzliche Offenheit gegenüber ihrer so-
zialrelevanten Umwelt an den Tag legen. Die mit demenziell erkrankten Personen (mittleres bis
schweres Stadium, exklusive Korsakow-Syndrom) durchgeführten Versuche fördern eindrücklich
zu Tage, dass die 'Festlegung' auf Menschen als legitime soziale Akteure eine kulturell bedingte,
sozial kontingente Restriktion darstellt. Die im 'Normalfall' beobachtete grundsätzliche Irritation,
die das Einschalten einer dritten Entität erforderlich gemacht hat, ist hier nicht beobachtbar. Die
einem animistischen Weltbild (das einer frühen Entwicklungsstufe des Kindes entspricht) paralleli-
sierbare Einstellung gegenüber der unmittelbaren Umwelt demenziell erkrankter Personen führt zu
einer reibungslosen Interaktion mit der technischen Entität.
Der Turing-Test müsste also erweitert werden, um heute adäquat auf Mensch-Technik Interaktion
angewendet zu werden, wenn es gilt der Frage nachzugehen, inwieweit Artefakte als Mithandelnde
erlebt werden. Zumindest geben die Befunde unserer Empirie Anlass, die Reichweite des Turing-
Tests einzuschränken: Er gilt für Situationen in denen entweder der menschliche Akteur davon aus-
gehen könnte, dass der Output einer Maschine von einem Menschen generiert wird oder – falls dies
nicht der Fall ist – wenn der Interaktions-Kontext und das Vorwissen des Akteurs ausreichen, um
zweifelsfrei davon ausgehen zu können, dass es sich um eine Maschine und infolgedessen um eine
'als ob' Interaktion handelt. Wenn also, bezüglich des letzten Falles, der Status des Artefaktes ein-
deutig erscheint und sich nicht ernsthaft die Frage stellt, ob die Maschine als sozialer Akteur gelten
könnte.
-32-
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-35-
Ein modellbasierter Ansatz zur Rekonstruktion von
Interaktivitätsverläufen
Julian Stubbe & Mandy Töppel
1 Einleitung
In diesem Paper werden wir einen Ansatz zur Rekonstruktion von Interaktivitätsverläufen vorstel-
len. Die Entwicklung des Ansatzes ist Teil der Arbeit im Forschungsprojekt „Modellierung von
Benutzerverhalten zur Usability-Evaluierung von Sprachdialogdiensten mit Hilfe von techniksozio-
logisch ermittelten Regeln“, das in Kooperation des Zentrums Technik und Gesellschaft und dem
Quality and Usability Lab der Deutschen Telekom durchgeführt wird1. Ziel des Projekts ist es, sozi-
ologische Methoden zur Verbesserung von Nutzersimulationen einzusetzen. Nutzersimulationen
sind Computerprogramme, mit denen automatisierte Interface-Evaluationen durchgeführt werden
können, um so Vorhersagen über die Usability eines Systems machen zu können. Eine Anforderung
an die soziologische Auswertung ist, dass die erhobenen Daten formalisierbar werden, um daraus
Wahrscheinlichkeiten im Nutzerverhalten ableiten zu können.
Die empirische Untersuchung des Projekts wurde mit dem Sprachdialogsystem INSPIRE durchge-
führt. Das System wurde in einer Smart-Home-Umgebung installiert, in der es möglich war, ver-
schiedene Geräte per Sprache zu steuern. Die zu den Versuchen eingeladenen Probanden hatten
keinerlei Vorerfahrung mit dem System und wurden in Einzelversuchen, die per Video festgehalten
wurden, dazu aufgefordert verschiedene Aufgaben mit INSPIRE durchzuführen.
Die Fragestellungen, zu denen wir in diesem Paper unseren Ansatz und erste Ergebnisse vorstellen
wollen, lassen sich auf zwei Punkte aufteilen:
1. Wie können wir Interaktivitätsverläufe rekonstruieren und welche Muster lassen sich in den
Verläufen erkennen?
2. Auf welche Praktiken greifen Nutzer zurück, wenn sie mit einer ihnen unbekannten Techno-
logie interagieren sollen? Und können wir diese Praktiken in den Interaktivitätsverläufen
wiedererkennen?
Dabei wird die erste Fragestellung im Zentrum des Papers stehen, zur zweiten werden wir nur einen
ersten Ausblick geben können. Im Folgenden werden wir zunächst die Datenerhebung und das Un-
tersuchungssetting näher vorstellen. Daran anschließend erläutern wir unseren Ansatz zur Rekon-
struktion von Interaktivitätsverläufen. Dazu stellen wir ein Interaktivitätsmodell vor und erläutern
unser Vorgehen anhand eines empirischen Beispiels. In einer ersten Ergebnisvorstellung werden wir
drei Muster skizzieren, die wir in den Sequenzen identifizieren konnten. Abschließend werden wir
anreißen, ob bestimmte Praktiken im Umgang mit Technik in den Sequenzen wiederzuerkennen
sind.
1 Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) gefördert. An dem Projekt sind auf
Seiten des Zentrums Technik und Gesellschaft und des Instituts für Soziologie Dr. Martin Meister, Dipl.-
Geogr. Julian Stubbe, Dipl. soz. tech. Mandy Töppel und Prof. Dr. Werner Rammert beteiligt. Auf Seiten
des Quality and Usability Lab der Deutschen Telekom sind Prof. Dr. Sebastian Möller und Dipl.-Inf. Ste-
fan Schmidt in dem Projekt involviert. Alle Projektpartner sind Teil der Technischen Universität Berlin.
-36-
2 Datenerhebung mit dem Sprachdialogsystem INSPIRE
2.1 Untersuchungssetting
Die Datenerhebung fand in einer Smart-Home-Umgebung im DAI-Labor an der TU Berlin statt
(Abbildung 1). Für die Versuche wurde das Sprachdialogsystem INSPIRE2 genutzt, das speziell für
die Tests vorbereitet wurde. Der Versuchsraum ist wie ein modernes Wohnzimmer gestaltet. Dort
befinden sich Decken-, Wand- und Standleuchten, eine Couch mit Couchtisch, Rollos, ein Fernse-
her und eine Stereoanlage sowie einige Dekorationselemente.
Abbildung 1: DAI-Labor Abbildung 2: Wizard of OZ
INSPIRE ist ein Test-System im Entwicklungsstadium. Das System besteht in erster Linie aus ei-
nem Interface, das eine Sprach- als auch graphische Ausgabe umfasst, und Dateien, die den Inhalt
der Anwendungen bilden (Songdateien, Fernsehprogramme etc.). Die Spracherkennung, über die
der Nutzer Befehle eingibt, ist von diesen Systemkomponenten entkoppelt. Die Spracherkennung
ersetzt in gewisser Weise nur die Maus und Tastatur (über die das System auch gesteuert werden
kann). Dabei verfügt das System über ein „Mapping“, in dem bestimmte Begriffe mit spezifischen
Funktionen verknüpft sind. Wird ein Begriff genannt, wechselt INSPIRE seinen Systemzustand, so
dass die Maschine etwas „tut“.
Da die Spracherkennung nicht hinreichend funktioniert, um sie für einen Nutzertest fehlerfrei ein-
setzen zu können, wurde INSPIRE von einer nichtsichtbaren Person, die sich im angrenzenden
Kontrollraum aufhielt, gesteuert. Diese Vorgehensweise ist in der Usability-Forschung durchaus
üblich, da sie Nutzertests ermöglicht, ohne, dass alle Komponenten eines Systems funktionieren
müssen. In der Community wird die eingebende Person auch als „Wizard of Oz“ bezeichnet (vgl.
Sarodnick und Brau 2006: 159). Aus soziologischer Perspektive ist diese Konstellation als positiv
zu bewerten, da somit Fehler, die aus dem schieren Nicht-Funktionieren der Spracherkennung resul-
tieren, vermieden werden. Allerdings muss darauf geachtet werden, dass der Wizard of Oz keine
Interpretation der Befehle eingibt, sondern den genauen Wortlaut der Probanden. Dies kann in den
Log-Dateien des Systems kontrolliert werden.
Für die Versuche wurden drei Anwendungen vorbereitet, die von den Probanden per Sprache be-
dient werden sollten: ein Anrufbeantworter (Nachrichten abhören, beantworten und löschen), eine
TV-Programminformation (Sendungen suchen, an den Beginn erinnern, aufnehmen) und ein MP3-
Player (Musiksammlung nach Interpreten durchsuchen und Abspielliste bearbeiten). Zu den drei
Anwendungen wurde je eine Aufgabe als nicht-triviales Szenario gestellt. Die Aufgabe zur Bedie-
nung des Anrufbeantworters lautete bspw.:
2 INSPIRE = INfotainment management with Speech Interaction via REmote microphones and telephone
interfaces
-37-
Bitte hören Sie ihren Anrufbeantworter ab. Versuchen Sie Ihre Oma zurückzurufen und lö-
schen Sie die Nachricht des Anrufers, der sich verwählt hat. Falls bei dem Rückruf der An-
schluss besetzt ist, machen Sie bitte mit dem Rest der Aufgabe weiter.
Die Probanden wurden bei der Bewältigung der Aufgaben weder unterstützt noch begleitet. Wenn
sie Hilfe benötigten, konnten sie mit der Äußerung „Hilfe“ eine Hilfeausgabe auslösen, die sie über
ihren Systemstatus und weitere Möglichkeiten der Bedienung informierte. Die Versuchsteilnehmer
hatten zudem keine Erfahrung mit INSPIRE.
Es wurde eine heterogene Gruppe von Probanden hinsichtlich der Faktoren Generation, Geschlecht
und Bildung zusammengestellt. Insgesamt nahmen 33 Probanden an der Untersuchung teil. In An-
lehnung an das Konzept der Technikgeneration (Sackmann und Weymann 1994) erfolgte eine Ver-
teilung der Probanden in die Altersgruppen 18-35, 36-55 und 55+.
2.2 Beobachtungs- und Befragungsdaten
Die Beobachtungsdaten bilden die Datenbasis aus der die Interaktivitätsverläufe rekonstruiert wer-
den, sie setzen sich zusammen aus Videomitschnitten, Bildschirmsignalen und Log-Dateien des
Systems. Die Befragungsdaten dienen dazu Praktiken, die im Umgang mit INSPIRE angewandt
wurden, zu erfassen.
In der Untersuchung wurde eine problemfokussierte Kameraperspektive angewandt, welche sich auf
die Interaktion zwischen dem Nutzenden und dem Gerät konzentriert. Der Fokus der Kameraein-
stellung liegt auf dem Gesichtsausdruck sowie der Arme und Hände (vgl. Sarodnick und Brau 2006:
160). INSPIRE bietet die Möglichkeit alle Abläufe des Systems in Log-Dateien zu protokollieren.
Das hat den Vorteil, dass jede Handlung in ihrer Reihenfolge nachvollziehbar wird und welche Sys-
temreaktion auf eine bestimmte Eingabe folgte. Die Log-Dateien beinhalten die Eingaben des
Wizard of Oz, den Systemstatus und die Sprachausgabe. Weiterhin wurden die Bildschirmsignale,
wie im Fall des MP3-Players und der TV-Programminformation, mitgeschnitten.
Die Beobachtungsverfahren wurden durch Interviews mit einem Videofeedback ergänzt. Mit Hilfe
des Interviews sollen die Intentionen und Assoziationen der Probanden rekonstruiert werden. Dazu
wurden die Probanden kurz nach ihrem Versuch mit ausgewählten Videoausschnitten konfrontiert.
Auf diese Weise konnten die Probanden ihre Handlungen und Probleme während der Interaktion
mit dem System erläutern. Der Vorteil des Videofeedbacks liegt vor allem darin, dass sich der Nut-
zer durch das Videofeedback in die Problemsituation zurückversetzen kann, wobei die Videose-
quenz als narrativer Stimulus fungiert (vgl. Sarodnick und Brau 2006: 162). Nach dem Videofeed-
back erfolgte ein leitfadengestütztes, offenes Interview, das sich in drei thematische Schwerpunkte
gliedert:
1. Alltägliche Techniknutzung: Welche Informations- bzw. Kommunikationstechnologien nut-
zen die Befragten täglich, in welchen Bereichen (privat/beruflich)?
2. Alltägliche Technikkompetenz: Welche Technikkompetenzen hinsichtlich bestimmter Hard-
ware und Softwareprogramme besitzen die Befragten?
3. Ähnlichkeiten zwischen der bekannten und der neuen Technologie: An welche Technologien
aus dem Alltag haben sich die Befragten bei der Bedienung von INSPIRE erinnert?
Die Erkenntnisse aus den Interviews, werden insbesondere zur Beantwortung der Frage, auf welche
Praktiken die Probanden im Umgang mit einem unbekannten System zurückgreifen, hinzugezogen.
-38-
3 Die Rekonstruktion von Interaktivitätsverläufen
Um aus den erhobenen Beobachtungsdaten Interaktivitätsverläufe zu rekonstruieren, haben wir ein
Interaktivitätsmodell entwickelt. Dieses werden wir zunächst vorstellen, um daran anschließend
unser Vorgehen an einem empirischen Beispiel näher zu erläutern.
3.1 Interaktivitätsmodell
Das Interaktivitätsmodell (Abbildung 3) wurde von uns „aus den Daten heraus“ entwickelt. Das
heißt, dass der Ausgangspunkt des Modells keine theoretische Logik über das Nutzerverhalten ist,
wie es in der HCI-Forschung der Fall ist, in der die innere Konsistenz und der Detailgrad eines Mo-
dells im Vordergrund steht (vgl. Preece 1994). Vielmehr verfolgen wir eine empiriegeleitete Mo-
dellbildung, in der wir von beobachtbaren Abläufen ausgehen und die Frage aufwerfen, welche
Handlungselemente wir in den Daten unterscheiden können. Ziel des Modelles ist es nicht die
Komplexität des Nutzerverhaltens in Gänze abzubilden, sondern Interaktionsverläufe zu rekonstru-
ieren und Muster in den erhobenen Sequenzen aufzudecken. Die von uns entworfene Darstellungs-
weise haben wir an bereits bestehende Ansätze angelehnt.3
Abbildung 3: Interaktivitätsmodell
Wir gehen davon aus, dass sich das Nutzerverhalten aus drei Elementen zusammensetzt:
1. einer Aufgabe, die der Intention der Person entspricht und entweder eine Manipulation des
Systems zum Ziel hat oder Informationen über dieses abrufen soll;
2. der Operationalisierung des Befehls, die entweder als Stichwort, Teilsatz oder Satz erfolgt;
und
3 Hierbei ist vor allem die Transkriptionsweise Lucy Suchmanns zu nennen, die sie im empirischen Teil
ihres Buchs “Plans and situated actions. The problem of human-machine communication” (Suchmann
1987) anwendet.
-39-
3. der Bewertung der Aktion, wobei die Systemantwort als „erwartet“ oder „unerwartet“ klassi-
fiziert wird.
Das Verhalten der Maschine kann mit zwei Elementen beschrieben werden: dem Systemstatus, der
in den Log-Dateien erfasst ist, und dem Ausgabeprompt, also der Sprachausgabe des Systems. Die
Ausgabeprompts können weiter differenziert werden nach vorgebenden Fragen, halboffenen Fra-
gen, offenen Fragen und Prompts, die keine Fragen sind.
Anhand dieses Modells wurde der gesamte Datensatz analysiert. Bei der Auswertung wurde jeder
Wechsel zwischen Nutzer und System (im Folgenden kurz „Turn“ genannt) gemäß der genannten
Elemente annotiert. Anschließend wurden die Elemente jedes Turns zu typisierten Interaktivitäts-
schritten zusammengefasst. Jeder dieser Interaktivitätsschritte wird in seinem Bezug zum vorange-
gangenen Schritt bestimmt. Wir unterscheiden folgende Interaktivitätsschritte:
- Anpassung: Unter Anpassung summieren wir Interaktivitätsschritte, in denen der Proband
sich der Vorgabe des Systems anpasste.
- Variation der Form: Dieser Interaktivitätsschritt trifft zu, wenn ein Proband gegenüber dem
vorangegangenen Schritt die Operationalisierung seines Befehls verändert. In der Regel
kommt es zu einer Variation der Form nach einer unerwarteten Systemreaktion.
- Variation des Inhalts: Es kommt zu einer Veränderung des Inhalts.
- Wiederholung: Der Proband wiederholt seinen Befehl im genauen Wortlaut.
- Hilfe: Der Nutzer sagt „Hilfe“ und erhält daraufhin einen situationsspezifischen Hilfe-
Prompt.
- Neuanfang: Dabei kommt es zum Abbruch und Neubeginn einer Aufgabe.
- Ende: Dies ist die Beendigung der Interaktivität.
Die Einteilung von Interaktivitätsschritten erleichtert es, die Interaktivitätsstruktur der Sequenzen
zeitlich und grafisch darzustellen, um auf diese Weise spezifische Muster zu identifizieren.
3.2 Ein empirisches Beispiel
Das Beispiel stammt aus der Interaktivität mit dem Anrufbeantworter. Die Probandin (VP18) ist 31
Jahre alt und hat ein Problem beim Löschen einer Nachricht. Das Problem tritt auf nachdem bereits
einige Nachrichten erfolgreich abgehört, sowie eine Nachricht gelöscht wurde. Abbildung 4 zeigt
das Transkript der empirischen Sequenz mit dem Wortlaut der Probandin, sowie des System-
prompts.
-40-
Abbildung 4: Transkript VP18 ab 73. Sekunde
Auf der Seite „Maschine“ sind die Ausgabeprompts des Systems abgebildet. Links daneben ist die
akkumulierte Zeit der Systemzustände. Rechts, in der Spalte „Mensch“, befindet sich das wörtliche
Transkript der Sprachbefehle der Probandin. In der Spalte „Pause“ ist die Zeit angegeben, die nach
dem Ausgabeprompt des Systems verstreicht ehe die Probandin einen weiteren Befehl abgibt.
In der Sequenz wird deutlich, dass die Dauer der Pause von Bedeutung ist. Nach dem Ausgabe-
prompt „Die zweite Nachricht wurde gelöscht!“ verstreichen 14 Sekunden bis zum nächsten Befehl.
Dies ist ein Hinweis auf eine Situation, in der es offensichtlich zu einer Irritation kam, die in Zu-
sammenhang mit der Formulierung des Ausgabeprompts entstand. In den darauffolgenden Turns
erkennt man, dass es hieraus zu einer Verkettung von Systemreaktionen kommt, die der Probandin
vermitteln, dass das System den Befehl nicht verstanden hat. Die Sequenz lässt sich wie folgt re-
konstruieren (Abbildung 5):
Abbildung 5: Rekonstruierter Interaktivitätsverlauf
-41-
Der erste Turn der Sequenz ruft keine Irritation bei der Probandin hervor. Hier wird eine „Vorge-
bende Frage“ als „erwartet“ bewertet und mit einer „Manipulation“ in der Form eines „Stichworts“
geantwortet. Nun wird deutlich, dass zwar der gewünschte Systemzustand hervorgerufen wurde
(„Message2Deleted“), der „System-Prompt“, sprich die Reaktion des Systems, aber unerwartet ist4.
Nach dem Ausgabeprompt „Keine Frage“ entsteht eine deutliche Pause in der die Probandin auf
einen Hinweis zum Fortfolgen wartet, wie bei dem vorherigen System-Prompt. Nachdem sie er-
kannt hat, dass dieser Hinweis vom System nicht kommt und sie nicht gefragt wird, wie sie weiter
verfahren will, versucht sie direkt in einen neuen Systemzustand zu gelangen („Manipulation“).
Dieser Befehl lässt sich in dem entsprechenden Systemzustand nicht anwenden und endet mit einer
Verkettung von „NoMatchStart“-Systemzuständen, die bedeuten, dass das System den Befehl nicht
verstanden hat.
In den beiden Turns, die auf die erste Irritation folgen, zeigt sich, dass die Probandin sehr wohl er-
kennt, dass ihr Befehl das Problem auslöst und nicht z.B. die akustische Übertragung des Befehls,
wie von einigen anderen Probanden angenommen. Dementsprechend versucht sie ihren Befehl an-
zupassen, so dass er vom System verstanden wird. Auf die wiederkehrende Reaktion des Systems
„Ich konnte Sie nicht verstehen. Was möchten Sie tun?“ hin, variiert sie die Operationalisierung
ihrer Befehle, indem sie diesen zunehmend reduziert. Den Inhalt ihrer Befehle behält sie allerdings
bei.
Aus dieser Variation der Befehle, ergibt sich eine spezifische Abfolge von Interaktivitätsschritten.
Am Beginn der Sequenz kommt es zum Interaktivitätsschritt „Anpassung“. Darauf folgt eine Kette
von Variationen, von denen die erste eine „Variation des Inhalts“ ist, gefolgt von zwei „Variationen
der Form“. Der abschließende Interaktivitätsschritt ist „Ende“. Dass es sich hierbei um eine abrup-
tes Ende handelt, wird deutlich, da der vorangehende Interaktivitätsschritt eine „Variation der
Form“ ist und keine „Anpassung“, wie bei einem erfolgreichen Abschluss der Aufgabe.
Obwohl es sich bei der Sequenz um eine eher erfolglose Interaktivität mit dem Gerät handelt, da die
Probandin es nicht schafft ihre Oma zurückzurufen, erkennt man in dem rekonstruierten Interaktivi-
tätsverlauf, dass sie dennoch über ein gewisses Technikverständnis und über die Fähigkeit ihr Ver-
halten zu variieren, verfügt. Die Sequenz zeigt, dass sie die Technik für sich nutzbar machen will
indem sie ihre Aktionen kleinteilig verändert, um eine sinnvolle Kommunikation mit dem Gerät
herzustellen. Leider ist sie mit dieser Strategie nicht erfolgreich. Anstatt die „Operationalisierung“
des Schritts zu variieren, hätte die Probandin die „Aufgabe“ des Befehls verändern müsse, um so
Informationen über den Systemzustand zu erhalten. Auf diese Weise hätte sie ihr Ziel erreicht.
Das Beispiel zeigt weiterhin, dass die Bewertung „unerwartet“ generell daraufhin weist, dass ein
Problem bei der Interaktivität mit dem System vorliegt. Der auf ein Unerwartet folgende Interaktivi-
tätsschritt ist demnach besonders interessant, da der Proband sein Verhalten und seine Aktionen auf
eine gewisse Weise anpassen und variieren muss, um weiter mit dem Gerät interagieren zu können.
Nach der Bewertung unerwartet lassen sich mittels des Interaktivitätsmodells unterschiedliche Lö-
sungswege differenzieren, die die Probanden zum Lösen eines Problems einschlagen. Diese Lö-
sungswege zeigen sich, wie im Beispiel gezeigt wurde, in der Zusammensetzung aufeinanderfol-
gender Interaktivitätsschritte innerhalb einer Sequenz.
4 An dieser Stelle lässt sich gut erkennen, dass die Unterscheidung Erwartet / Unerwartet, wesentlich aussa-
gekräftiger ist, als eine Unterscheidung zwischen Erfolg und Misserfolg einer Aktion. Bei letzterer Unter-
scheidung geht die interaktive Bedeutung einer Systemreaktion verloren und es werden Befehle als erfolg-
reich ausgewiesen, deren Systemreaktionen u.U. Irritationen bei den Probanden hervorrufen.
-42-
3.3 Muster in den Rekonstruierten Sequenzen
In Abbildung 6 sind die gesamten Interaktivitätsverläufe des Szenarios „Anrufbeantworter“ darge-
stellt. Jede Zeile umfasst die Sequenz eines Probanden und zeigt die chronologische Abfolge der
Interaktivitätsschritte.
Abbildung 6: Interaktivitätsstruktur der Szenarios "Anrufbeantworter"
Unter Mustern verstehen wir spezifische Anordnungen und Abfolgen von Interaktivitätsschritten,
die weder singulär und willkürlich auftreten, noch immer wieder in exakt derselben Art zu finden
sind. In den ausgewerteten Sequenzen konnten wir bisher drei Muster identifizieren:
„Am Anfang probieren“: Die Darstellung der Interaktivitätssequenzen zeigt sehr deutlich,
dass am Anfang der Interaktivität am häufigsten eine „Variation der Form“ erfolgte. Wir
schließen daraus, dass der User am Anfang durch die Variation seiner Spracheingaben so
lange „probiert“ bis das System eine gewünschte Reaktion hervorbringt.
„Anpassung über mehrere Schritte“: Der Interaktivitätsschritt „Anpassung“ tritt in der Regel
mehrmals hintereinander auf. Zu diesem Muster kommt es, wenn der Nutzende erkennt,
dass eine strikte Befolgung der vorgebenden Prompts zum schnellen Erreichen seines Zieles
führt. Eine hohe Anzahl des Interaktivitätsschritts „Anpassung“ weist daraufhin, dass der
Nutzer ohne starke Probleme mit dem Gerät interagieren konnte, da er relativ selten ge-
zwungen war, sein Verhalten zu variieren.
„Erweitertes Probieren“: Der Interaktivitätsschritt „Variation des Inhalts“ tritt in der Regel
direkt vor oder direkt nach einer „Variation der Form“ auf, aber selten isoliert. Auf der ei-
nen Seite beinhaltet dieses Muster, dass es zu mehreren „unerwarteten“ Systemreaktionen
kam, aber auf der anderen Seite wird auch deutlich, dass es intuitive Ansätze bei den Pro-
banden gab, Probleme zu bewältigen.
Diese Muster zeigen, dass es mit dem entwickelten Ansatz möglich ist, Interaktivitätssequenzen zu
rekonstruieren und in diesen Verläufen Muster zu entdecken. Es sind allerdings weitere Erhebungen
nötig, um eine fundierte Typologie von Interaktivitätsverläufen aufzustellen.
-43-
4 Ausblick: Nutzungspraktiken in den Sequenzen
Unter Nutzungspraktiken verstehen wir Handlungsgewohnheiten, die durch ein hohes Maß an Kon-
tinuität habitualisiert wurden, aber gleichzeitig eine vorhandene situative Flexibilität aufweisen, um
sie im Umgang mit einer neuen Technik anzuwenden.
4.1 Wirkung von Gewohnheiten in den Sequenzen am Beispiel VP18
Anhand des vorgestellten Beispiels (VP18) wird deutlich, dass diese Handlungsgewohnheiten in
den rekonstruierten Verläufen und Mustern wiederzuerkennen sind.
Abbildung 7: Beispielsequenz VP18 Praktiken im Muster “Erweitertes Probieren”
In Abbildung 7 ist die Sequenz abgebildet, die oben ausführlich besprochen wurde. In dem an den
Versuch anschließenden Interview, äußert sich die Probandin zu ihrem alltäglichen Verhalten beim
Lösen technischer Probleme, wie folgt:
“Ja, aber es ist auch ne Typfrage. Ich glaub, ich bin eh nicht jemand, der, der besonders
schnell andere Leute um Hilfe fragt, sondern es erstmal selber versuchen will.”
Die Probandin ist folglich jemand, die alltägliche Probleme im Umgang mit Technik versucht selber
zu lösen. Dieses Verhalten spiegelt in der wiederholten Veränderung ihres Befehls, als Reaktion auf
die Fehlermeldung des Systems, wider. Ein alternatives Verhalten zu ihrer Reaktion wäre bspw. die
Anforderung eines Hilfe-Prompts, dass sie aber bewusst ablehnt.
Weiterhin wurde sie danach gefragt, wo sie Probleme im Umgang mit INSPIRE gesehen hat:
“Ja äh, ich denk am Anfang ist es eher der Vorbehalt, versteht mich das System? […] im
Laufe der Versuche, hat sich dann eher gezeigt, das System versteht meine Befehle nicht, also
die Worte, die ich nutze, führen mich nicht zum Ziel.”
Sie erkennt, dass die Probleme mit INSPIRE über die Veränderung ihrer Befehle bewältigt werden
können. Dies ist keine triviale Erkenntnis, da es durchaus Probanden gab, die bspw. die akustische
Übertragung ihrer Befehle als Fehlerquelle interpretierten und somit keine Versuche unternahmen
ihre Befehle anzupassen. Die Interviewauszüge von VP18 zeigen hingegen, dass zum einen Ge-
wohnheiten im Umgang mit Technik auch in einer experimentellen Situation wirksam werden und
zum anderen, dass die Probandin Probleme mit dem Gerät der geringen „Passung“ ihrer Begriffe
zugeschrieben hat.
4.2 Praxisrekonstruktion und die Ableitung von Nutzerattributen
Diese qualitative Auswertung der Daten zeigt, dass durchaus eine Verbindung zwischen Interaktivi-
tätsverläufen und Alltagspraktiken im Umgang mit Technik hergestellt werden kann. Um der in der
Einleitung erwähnten Anforderung an die soziologische Auswertung, die Daten zu formalisieren,
gerecht zu werden, haben wir aus einer ersten Auswertung der Interviews folgende Nutzerattribute
zusammengefasst, die weniger strukturelle Variablen (wie Alter oder Bildung fokussieren) sondern
den verschiedenartigen Umgang mit Technik.
Genutzte Techniken im Alltag: Es hat sich in den Interviews gezeigt, dass der Umgang mit
INSPIRE wesentlich von den im Alltag habitualisierten Handlungsvollzügen beeinflusst
wird. Bisher unterscheiden wir grob zwischen der Nutzung von Computern, Unterhaltungs-
elektronik und Telefon/Handy.
-44-
Alltägliches Problemlösungsverhalten: Aus den Gesprächen konnten wir drei signifikante
Verhaltensweisen ableiten: (1) Probieren: die Person probiert, technische Probleme mittels
eines „Trial and Error“- Verfahrens selbständig zu lösen; (2) Informationsbeschaffung: die
Person sucht selbstständig nach Informationen, die ihr beim Lösen des Problems helfen;
und (3) Hilfe bei anderen Personen suchen: der Proband bittet bei Problemen jemanden um
Hilfe. In den Sequenzen wird dieses Nutzerattribut hinsichtlich des Verhaltens nach „uner-
warteten“ Systemreaktionen relevant.
Selbst- oder Gerätezuschreibung von Problemen: Es hat sich gezeigt, dass Probleme in den
Versuchsläufen entweder dem eigenen Verhalten oder dem Gerät zugeschrieben wurden.
Bei „Gerätzuschreibung“ kommt es vermehrt zum Interaktivitätsschritt „Wiederholung“
und bei „Selbstzuschreibung“ zur stärkeren Variation der Befehle.
Domänenexpertise: Hierunter fällt, ob sich der Nutzer in dem Nutzungsbereich der Anwen-
dung auskennt. Eine hohe Domänenexpertise wirkt sich positiv auf den Gesamtverlauf der
Interaktivität aus.
Erfahrung mit Sprachdialogsystemen: Dies zeigt, ob der Nutzer Erfahrung mit der Modalität
der Anwendung hat, also ob jemand daran gewöhnt ist, mittels Sprache ein technisches Ge-
rät zu bedienen. Dies äußert sich in einer hohen Bedienkompetenz des Geräts und der damit
verbundenen Anwendungen von „Teilsätzen“ und „Stichworten“, im Gegensatz zu „Sät-
zen“.
Die Nutzerattribute werden in den weiteren Erhebungen genauer spezifiziert, und es wird versucht,
Screening-Methoden zur Einordnung von Nutzern zu entwickeln. Es zeigt sich allerdings jetzt
schon, dass durch die Methode der offenen Interviews Praktiken der Techniknutzung erfasst wer-
den, die eine klassische Usability-Untersuchung nicht hervorgebracht hätte.
5 Schlussbemerkung
In diesem Paper haben wir unseren Auswertungsansatz zur Rekonstruktion von Interaktivitätsver-
läufen vorgestellt als auch erste Ergebnisse unserer Arbeit diskutiert. Unser modellbasierter Ansatz
fußt auf der Identifizierung vergleichbarer Elemente, auf deren Grundlage die Verläufe verschiede-
ner Testperson analysiert werden können. Die rekonstruierten Interaktivitätsverläufe können durch
die gewählte Darstellungsweise grafisch veranschaulicht und miteinander verglichen werden. Wie
gezeigt wurde, lassen sich Muster in den Sequenzen identifizieren. Um daraus eine fundierte Typo-
logie abzuleiten bedarf es allerdings noch weiterer Erhebungen und Auswertungen.
Durch die Verbindung der rekonstruierten Verläufe mit den Interviewdaten wird ersichtlich, dass
Unterschiede im Nutzerverhalten auf die alltägliche Techniknutzung zurückgeführt werden können.
Dabei zeigen die Probanden Verhaltensweisen gegenüber der unbekannten Technologie, die sie
auch im alltäglichen Umgang mit Technik anwenden. Es hat sich gezeigt, dass insbesondere Prob-
lemsituationen besonders aufschlussreich sind, um diese Handlungsweisen aufzudecken.
Unsere weitere Auswertungsarbeit wird sich in erster Linie auf die systematische Verbindung von
Interaktivitätsverläufen und Alltagspraktiken bzw. Nutzerattributen konzentrieren.
Literatur
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Sackmann, R. & A. Weymann (1994): Die Technisierung des Alltags. Generationen und technische Innovati-
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tische Anwendung. Huber, Bern.
Suchmann, L. A. (1987): Plans and situated actions. The problem of human-machine communication.
Cambridge University Press
-45-
Verhaltenswirksamkeit von Alarmsystemen
Rebecca Wiczorek
1 Zusammenfassung
In sicherheitsrelevanten Arbeitsumgebungen werden Alarmsysteme eingesetzt, um Operateure bei
der Überwachung von Prozessen zu unterstützen. Bei der Interaktion von Operateuren mit
Alarmsystemen treten immer wieder Probleme auf. Es kommt vor, dass Operateure aufgrund man-
gelnden Vertrauens zu langsam oder gar nicht mehr auf die Alarme reagieren. Beim Umgang mit
binären Alarmsystemen kommt es meist zum sogenannten „Probability Matching“, bei dem die
Operateure versuchen, die Reliabilität des Systems durch ihre Antworthäufigkeiten zu imitieren.
Einer neueren Theorie zu folge bedienen sich Operateure jedoch noch einer anderen Strategie, dem
sogenannten „Extreme Responding“. Dieses kommt zum Einsatz, wenn die Validierung der Alarme
nicht möglich ist. In einer empirischen Untersuchung konnte diese Theorie bestätigt und gezeigt
werden, dass unabhängig von der Reliabilität des Systems häufiger „Extreme Responding“ Strate-
gien als andere zum Einsatz kommen, wenn dem Operateur keine Zusatzinformationen zur Verfü-
gung stehen.
2 Einleitung
Heutzutage sind zahlreiche Abläufe und Vorgänge in der Industrie und im Verkehrswesen automa-
tisiert. Vor allem in sicherheitsrelevanten Branchen wie der Prozessindustrie, der Medizin, im
Bahn-, Schiffs- und Kraftfahrzeugverkehr sowie in der Luftfahrt arbeiten Menschen mithilfe von
komplexer und hoch entwickelter Technik.
Automationen und ihre Bediener, die sogenannten Operateure, bilden zusammen ein Mensch-
Maschine-System, welches einen gestellten Arbeitsauftrag in Form eines Produkts oder einer
Dienstleistung erfüllt. Allerdings wird nicht jede Maschine als Automation bezeichnet. Unter Au-
tomatisierung versteht man die Übertragung einer ehemals vom Menschen ausgeführten Tätigkeit
auf eine Maschine. Das Ergebnis dieses Prozesses bezeichnet man als Automation (Hauß & Timpe,
2000).
Die Hauptgründe für die Automatisierung von Funktionen sind eine Steigerung der Produktivität
sowie die Erhöhung der Sicherheit. Die Nutzung von Automationen bietet viele Vorteile in unter-
schiedlichen Bereichen. Automationen verfügen meist über bessere sensorische Fähigkeiten, sie
können große Datenmengen parallel aufnehmen, verarbeiten, speichern sowie deren gezielten Abruf
ermöglichen. Mithilfe von Algorithmen können sie Situationen bewerten und Handlungsvorschläge
generieren. Aufgrund ihrer Vorteile kommen Automationen nicht nur in der Arbeitswelt sondern
auch im privaten Bereich zum Einsatz. Automationen des täglichen Lebens sind z.B. Computer,
Navigationssysteme, Einparkhilfen oder Alarmsysteme wie z.B. Feuermelder.
Bei der Nutzung von Automationen kann es zu unterschiedlichen Fehlern und Problemen kommen.
Solange Automationen nicht perfekt sind, bedarf es deshalb ihrer Überwachung durch einen Opera-
teur, der in der Lage ist, im Bedarfsfall selbst einzugreifen.
Zusätzlich ist eine kontinuierliche Optimierung der Kommunikation und Zusammenarbeit der bei-
den Akteure des Mensch-Maschine-Systems erforderlich. Christofferson und Woods (2002) prägten
die Team Player Metapher, die eine Versinnbildlichung der Forderung darstellt, die Fokussierung
auf die Einzelkomponenten zugunsten eines kooperationsbezogenen Blickwinkels aufzugeben.
-46-
3 Alarmsysteme
Eine spezielle Klasse von Automationen sind Alarmsysteme. Sie kommen vermehrt in sicherheits-
relevanten Arbeitsumgebungen zum Einsatz. Alarmsysteme sind definiert als sensorbasierte Signal-
systeme, welche über mindestens zwei Zustände verfügen (Alarm vs. Kein Alarm), die auf Basis
eines definierten Inputs aus der Umwelt oder des Menschen aktiviert werden. Mindestens ein Zu-
stand informiert den oder die Adressaten über eine potentielle Gefahr, welche eine verstärkte Über-
wachung der Situation oder ein Eingreifen erfordert (Meyer, 2004). Die üblichsten Alarmformen
sind auditive oder visuelle Signale, seltener sind taktile Formen.
Der Operateur entscheidet in jeder einzelnen Situation, ob er der impliziten Handlungsanweisung
des Alarmsystems Folge leistet oder nicht. In der Praxis kommt es bei der Interaktion von Operateu-
ren mit Alarmsystemen immer wieder zu Problemen. Ein Grund hierfür ist das häufige Auftreten
von Fehlalarmen, was dazu führt, dass das System vom Nutzer als unzuverlässig wahrgenommen
wird. Die wahrgenommene Zuverlässigkeit beeinflusst das Vertrauen, das der Operateur der Ma-
schine entgegenbringt (Madhavan, Wiegmann & Lacson, 2006). Bestehende Vertrauensdefizite
können sich ihrerseits auf das Verhalten des Operateurs auswirken (Lee & See, 2004). Als Konse-
quenz reagiert der Bediener langsamer (Getty, Swets, Pickett & Gonthier, 1995) oder gar nicht mehr
(Bliss, Gilson & Deaton, 1995) auf die Alarme des Warnsystems. Diese Tendenz wird auch als Cry
Wolf Phenomenon (Breznitz, 1983) bezeichnet. Warum es bei den meisten Alarmsystemen unab-
hängig von ihrem Leistungsvermögen und ihren sensorischen Fähigkeiten, sehr oft zu Fehlalarmen
kommt, kann mithilfe der Signalentdeckungstheorie erklärt werden.
3.1 Signalentdeckungstheorie
Die Signaldetektionstheorie (SDT) nach Swets (1964) ist eine Kombination aus statistischer Ent-
scheidungstheorie und der Theorie über die Eigenschaften von Signal-Rauschen- und Rauschen-
Verteilungen, die dem Bereich der Psychophysik entspringt. Sie beschreibt die Vorgänge bei der
Entdeckung verrauschter Signale. Die SDT unterscheidet zwischen der Sensitivität und dem Ant-
wortkriterium bzw. Schwellenwert, die weitgehend voneinander unabhängig sind (Egan, 1975).
Die Umwelt ist dadurch gekennzeichnet, dass stets ein Rauschen (nicht notwendigerweise akus-
tisch) vorliegt, welches in seiner Intensität schwankt. Daraus ergibt sich die Rauschen-Verteilung
(vgl. Abbildung 1). Von Zeit zu Zeit kann ein Signal auftreten, welches zu diesem Rauschen addiert
wird. Bei dem Signal handelt es sich z.B. um einen kritischen Zustand oder einen Fehler im über-
wachten System. Da auch die Intensität dieses Signals variieren kann, ergibt sich die Signal-
Rauschen-Verteilung (im Folgenden auch als Signal-Verteilung bezeichnet). Da es sich um die Ad-
dition des Signals zum Rauschen handelt, ist diese Kurve auf der x-Achse nach rechts verschoben
(vgl. Abbildung 1). Die Verteilungen des Rauschens und des Signals können sich überlappen. Das
bedeutet, dass ein starkes Rauschen dieselbe Intensität haben kann, wie ein schwaches Signal.
-47-
Kriterium ß
kein Alarm Alarm
p(x
)
Wertebereich
Signal-VerteilungRauschen-Verteilung
Miss
Correct
RejectionHit
False
Alarm
d‘
Abb. 1: Signal- und Rauschen-Verteilung der Signaldetecktionstheorie mit Sensitivität d’ u. Kriterium
ß.
Die Sensitivität beschreibt, wie gut der Empfänger zwischen den beiden Verteilungen unterscheiden
kann. Sie ist die Relation zwischen den physikalischen Eigenschaften des Inputs und den Fähigkei-
ten des Alarmsystems. Im Rahmen der SDT ist die Sensitivität (d‟) definiert als der Abstand der
Scheitelpunkte der beiden Kurven (vgl. Abbildung 1). Im Bereich der möglichen Überlappung der
beiden Kurven gibt es einen Bereich der Unsicherheit. Hier ist es für das jeweilige System nicht
möglich, zwischen Signal und Rauschen eindeutig zu unterscheiden. Das System benötigt einen
Schwellenwert, der den Übergang vom Rauschen zum Signal festlegt. Dieser Schwellenwert wird
auch als Kriterium bezeichnet. Alle Inputwerte unterhalb (links) des Kriteriums werden der Rausch-
Verteilung zugeordnet, alle Werte oberhalb (rechts) der Signal-Verteilung.
Es gibt also zwei mögliche Zustände – ein Rauschen oder ein Signal. Ferner gibt es auch zwei mög-
liche Antworten: „Alarm“, bei vorliegendem Signal und „kein Alarm“ bei Abwesenheit eines Sig-
nals. Daraus ergibt sich eine 2x2-Matrix mit vier möglichen Ergebnissen. Wird ein Signal (bzw.
Fehler im zu überwachenden System) richtig erkannt, spricht man von einem Hit (Treffer). Wird
hingegen ein Alarm gegeben, obwohl kein Signal vorliegt, so spricht man von einem False Alarm
(FA, Falscher Alarm). Gibt das Warnsystem keinen Alarm, wenn kein Signal vorliegt, bezeichnet
man das als Correct Rejection (CR, richtige Ablehnung). Bleibt der Alarm aus, obwohl ein Signal
vorliegt, so handelt es sich um einen Miss (Verpasser).
Durch die Veränderung der Sensitivität oder das Verschieben des Kriteriums ergeben sich verschie-
dene Verteilungen der Hits, False Alarms (FAs), Misses und Correct Rejections (CRs). Bei einem
Alarmsystem stehen Sensitivität und Kriterium in der Regel fest. Die Sensitivität ergibt sich aus
technischen Möglichkeiten der Sensorgestaltung und finanziellen Beschränkungen, während das
Kriterium vom Ingenieur bzw. Designer des Systems festgelegt wird. Dabei handelt es sich um eine
schwierige Abwägung. Die Kosten von Misses und FAs müssen berücksichtigt werden. Da in si-
cherheitsrelevanten Bereichen die Konsequenzen von Misses meist gefährlicher sind als die von
FAs, wird häufig ein liberales Kriterium gewählt. Die Wahrscheinlichkeit für Misses verringert
sich, während mehr FAs auftreten. Eine hohe Anzahl falscher Alarme kann bei der Nutzung des
Systems jedoch zum Cry Wolf Effect führen (z.B. Bliss et al., 1995).
Parasuraman, Hancock & Olofinboba (1997) weisen darauf hin, dass nicht nur die Wahl des Krite-
riums, sondern auch die a prior Wahrscheinlichkeit bzw. Fehlerbasisrate (also die Grundgesamtheit
-48-
aller auftretenden kritischen Zustände oder Fehler im zu überwachenden System) einen großen Ein-
fluss auf die Anzahl der FAs hat. Auch bei einer sehr hohen Sensitivität kommt es zu einer Vielzahl
von FAs, wenn die zugrunde liegende Fehlerbasisrate sehr gering ist. Da die Fehlerbasisraten in
Hochsicherheitsbranchen wie der Luftfahrt oder der Prozessindustrie oft in einem sehr niedrigen
Bereich liegen, ist es wichtig, den Einfluss der Basisrate auf die Anzahl auftretender False Alarms
zu berücksichtigen. Die Fehlerbasisrate ist vom Operateur nicht direkt wahrnehmbar, sondern nur
über den Umweg der Positive Predictive Value (PPV, Getty et al., 1995) des Systems. Die PPV gibt
das Verhältnis von korrekten zu falschen Alarmen an (Hits/(Hits+FAs)).
3.2 Strategien im Umgang mit Alarmen
Die PPV ist eine entscheidende Charakteristik des Alarmsystems, da sie das Verhalten von Opera-
teuren maßgeblich beeinflusst (Getty et al., 1995). Versuchspersonen tendieren häufig dazu, die
(wahrgenommene) PPV des Systems durch ihr Verhalten nachzubilden. Bei sinkender PPV reduzie-
ren sie ihre Reaktionshäufigkeit auf Alarme und erhöhen diese bei steigender PPV. Dieses Verhal-
ten wird auch als Probability Matching (PM) bezeichnet (Bliss et al. 1995; Bliss, 1997).
Weitere Hinweise auf die Entstehung von unterschiedlichen Strategien im Umgang mit Alarmsys-
temen liefert eine Metaanalyse von Bliss (2003). In der Metaanalyse zeigte sich neben dem bekann-
ten PM bei einem Teil der Probanden ein sogenanntes Extreme Responding (ExR). Dabei handelt es
sich um die Tendenz bei hohen PPVs auf alle generierten Alarme und bei niedrigen PPVs auf kei-
nen der Alarme zu reagieren. Bliss (2003) entwickelte die Theorie, dass die Wahl einer PM Strate-
gie oder der alternativen ExR Strategie maßgeblich von der Möglichkeit des Operateurs zur Validie-
rung der generierten Alarme abhängt. Die Validierung eines Alarms kann durch Prüfen von
zusätzlichen Informationen wie z.B. Rohdaten erfolgen. Systeme, die keine Möglichkeit zur Über-
prüfung bieten, können das Vertrauen negativ beeinflussen. Ein schwaches Vertrauen kann, ebenso
wie ein sehr starkes Vertrauen, zu ExR führen.
4 Experimentelle Validierung
Zur empirischen Überprüfung der Theorie zur Entstehung von ExR wurde eine experimentelle Un-
tersuchung durchgeführt. In dieser Untersuchung ging es um die Erfassung der Verhaltensänderung
von Versuchspersonen in Abhängigkeit der Veränderung der PPV bei Alarmsystemen ohne Zugang
zu Rohdaten durch den Operateur. Die 56 Probanden bearbeiteten dieselbe Aufgabe mithilfe von
fünf Alarmsystemen, welche sich bezüglich ihrer PPV unterschieden. Verwendet wurde das Mehr-
fachaufgaben-Paradigma M-TOPS (Multi-task Operator Performance Simulation). Verglichen wur-
den Verhalten und Leistung in den fünf Bedingungen. Es wurde davon ausgegangen, dass sich die
Bearbeitungsraten in Abhängigkeit der PPV unterscheiden würden. Es wurde weiterhin erwartet,
dass ExR die häufigste gewählte Strategie sein würde, da den Probanden keine Möglichkeit zur
Validierung der Alarme gegeben wurde.
4.1 Ergebnisse
Die Analyse der Antworthäufigkeiten mit einer einfaktoriellen Varianzanalyse zeigte signifikante
Unterschiede, F(4,51)=20.44; p<.001, bei der Bearbeitungshäufigkeit in Abhängigkeit der verschie-
denen PPVs der Systeme. Je höher die PPV, desto häufiger reagierten die Probanden auf die Alar-
me. Das Bearbeitungsmuster, welches in Abbildung 2 durch die Mittelwerte der Bearbeitungshäu-
figkeit der fünf Gruppen dargestellt ist, repräsentiert auf den ersten Blick ein klassisches Probability
Matching.
-49-
Abb. 2: Mittelwerte der Bearbeitsungshäufigkeit in Prozent und Anzahl an positive und negative Ext-
reme Responding bei unterschiedlichen PPVs
Neben der Varianzanalyse wurde zusätzlich eine Mikroanalyse der Daten durchgeführt. Hierbei
wurde ein Underresponding bzw. negative ExR definiert als eine Antworthäufigkeit von unter 10%
und ein Overresponding bzw. positive ExR als eine Antworthäufigkeit von über 90%. Die Ergebnis-
se zeigten, dass signifikant häufiger, χ²(1,n=56)=4,57; p<.05, eine ExR Strategie zum Einsatz kam
als andere Strategien. Abbildung 2 verdeutlicht, dass bei niedrigen PPVs ein negative ExR erfolgte,
während die Probanden bei hohen PPVs eine positive ExR Strategie wählten.
5 Diskussion
Die Ergebnisse der Analysen bezüglich der Bearbeitungsraten zeigten einen klassischen Cry Wolf
Effect. Die Bearbeitungshäufigkeit reduzierte sich mit steigender Anzahl von FAs bzw. sinkender
PPV. Diese Befunde entsprechen ähnlichen Ergebnissen von Bliss et al. (1995). Die Verhaltensän-
derungen in Abhängigkeit von der PPV lassen auf eine gute Sensibilität der Probanden für diese
Charakteristik des Alarmsystems schließen.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass es bei der Untersuchung von Verhaltensmustern in der
Mensch-Maschine-Interaktion mitunter erforderlich ist, neben dem klassischen varianzanalytischen
Vorgehen zusätzliche Mikroanalysen durchzuführen. Während die reine Betrachtung der Mittelwer-
te den Schluss nahe legt, dass die Probanden dieser Studie vermehrt PM Strategien gewählt haben,
revidiert die Feinanalyse diese Bild. Bei der gezielten Betrachtung der Strategien jedes Einzelnen
ergibt sich ein anderes Muster.
Entsprechend der Theorie von Bliss (2003), zeigte sich ein häufiges Vorkommen von Extreme Res-
ponding Strategien. Probability Matching und andere Strategien wurden in allen Bedingungen deut-
lich weniger angewandt. Desweiteren zeigte sich ein deutlicher Einfluss der Höhe der PPV auf die
Art des gezeigten ExR. Wie in der Metaanalyse von Bliss (2003) kam es bei hohen PPVs vermehrt
zu einem positve ExR und bei niedrigen PPVs zu einem negative ExR.
In einem gut funktionierenden Mensch-Maschine-System sollten beide Akteure zusammenarbeiten
und sich gegenseitig ergänzen (Christoffersen & Woods, 2002). Für Alarmsysteme bedeutet das im
idealen Fall, dass der Mensch die richtigen Diagnosen des Systems beibehält und die falschen Di-
-50-
agnosen revidiert, indem er in diesen Fällen nicht den impliziten Handlungsanweisungen folgt. Um
Fehler des Systems korrigieren zu können bzw. eigene Fehler zu vermeiden, benötigt der Operateur
jedoch Zugang zu Informationen wie z.B. Rohdaten. Ist das der Fall, so handelt es sich um ein
doppeltes Signalentdeckungsparadigma mit zwei Akteuren, die jeweils über eine Sensitivität und
ein Kriterium verfügen. Die Automation trifft eine Vorauswahl und der Operateur analysiert nur
noch die potentiellen Alarme selbst. Wird dem Operateur kein Zugang zu solchen Zusatzinformati-
onen gewährt, kann er keinen Gebrauch von der eigenen Sensitivität machen. Er ist nur noch in der
Lage, sein Verhalten über das Verschieben des eigenen Kriteriums zu regulieren. In dieser Untersu-
chung kam es in über 50% der Fälle zur Wahl eines extremen Kriteriums.
Ist es dem Operateur nicht möglich, eine eigene Analyse vorzunehmen, so handelt es sich streng
genommen nicht um ein Mensch-Maschine-System. Folgt der Operateur allen impliziten Hand-
lungsanweisungen des Systems und führt immer eine Handlung aus, wenn ein Alarm gegeben wird
und unterlässt diese Handlung bei Abwesenheit des Alarms, erfüllt er nur noch eine exekutive
Funktion. Ist die PPV der Automation hingegen so gering, dass der Operateur die Alarme ignoriert,
kann man ebenfalls nicht von einem Mensch-Maschine-System sprechen. In diesem Fall ist das
Vorhandensein der Automation überflüssig.
Um die Interaktion von Operateuren mit Alarmsystemen weiter zu verbessern, sollte der Zugang zu
Rohdaten gewährleistet sein um eine Validierung der Alarme durch den Operateur zu ermöglichen
und damit Extreme Responding Strategien vorzubeugen.
Literatur
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Swets, J.A. (1964). Signal Detection and Recognition by Human Observers. New York: John Wiley & Sons.
-51-
‚Interaktionen’ zwischen Subjekt und Internet.
Zur Aufzeichnung, Auswertung und Typisierung von Internetpraktiken
Tanja Carstensen & Jana Ballenthien,
1 Einleitung
Mit dem Internet sind neue technisch-mediale Verhaltensschauplätze entstanden. Im Forschungs-
projekt „Subjektkonstruktionen und digitale Kultur“1 untersuchen wir die Frage, inwiefern im Um-
gang mit digitalen Technologien alltägliche Praktiken2 herausgefordert, irritiert oder verfestigt wer-
den bzw. sich neue herausbilden. Im Mittelpunkt steht dabei die Suche nach neuen Subjektformen
im Kontext gegenwärtiger gesellschaftlicher medien- und technikbasierter Umbrüche in den Berei-
chen webbasierte Erwerbsarbeit, kommunikative Öffentlichkeiten im Cyberspace und Lernen in der
Interaktion mit technischen Artefakten.
Im Teilprojekt „Webbasierte Erwerbsarbeit“ an der TU Hamburg-Harburg, Arbeitsgruppe Arbeit–
Gender–Technik behandeln wir die Fragen, welche Praktiken für AkteurInnen, die webbasiert arbei-
ten, in unterschiedlichen Arbeits- und Berufsfeldern virulent werden, wie sie verschiedene informa-
tionstechnische Werkzeuge und mediale Schauplätze im Internet nutzen und gestalten, und welche
Subjektkonstruktionen damit verbunden sind. Dabei geht es uns um technik- und arbeitssoziologi-
sche Fragen danach, wie Erwerbsarbeit sich mit den digitalen Technologien verändert und welche
Bedeutung das Internet im von Entgrenzung, Subjektivierung und Prekarisierung geprägten Ar-
beitsalltag (u.a. Voß/Pongratz 1998) der Subjekte hat.
Um diese Fragen zu beantworten, haben wir nicht nur, wie meist üblich, Interviews geführt, sondern
Internetpraktiken von „WebworkerInnen“ mit Hilfe einer Software aufgezeichnet. Unsere methodi-
sche Vorgehensweise, die Ergebnisse, die in einer Typologie von Subjekt-Internet-Interaktionen
münden, sowie Fragen nach Reichweite und Aussagekraft dieser Vorgehensweise stellen wir im
Folgenden nach einigen theoretischen Vorbemerkungen vor.
2 Theoretische Vorbemerkungen
Subjekte konstituieren sich in der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, d.h. auch im Umgang mit
Technik. Insbesondere Turkle (1984: 9) weist darauf hin, dass Technik zum Anlass werden kann,
über Gesellschaft, Erziehung, Politik, das Wesen des Menschen und sein Verhältnis zur Natur nach-
zudenken, Technik verändert das Bewusstsein der Menschen von sich, von anderen und von seiner
Beziehung zur Welt. Sie kann Auslöser für Auseinandersetzungen werden, Handlungsroutinen wer-
den durch neue Technik in Frage gestellt, andere dafür etabliert. Dies gilt für den Umgang mit Din-
1 Dieses Verbundprojekt wird von der VW-Stiftung gefördert. Beteiligt sind neben der TU Hamburg-
Harburg (Prof. Dr. Gabriele Winker/Dr. Tanja Carstensen) die Universität Münster (PD Dr. Raphael
Beer), die Universität Klagenfurt (Prof. Dr. Christina Schachtner) und die Universität Bremen (Prof. Dr.
Heidi Schelhowe).
2 Dass wir von „Praktiken“ sprechen, impliziert dabei bereits, dass Technik und Materialität als konstitutiv
für menschliche Handlungen betrachtet werden. Vgl. hierzu u.a. Reckwitz (2003: 289), der Praktiken als
know-how abhängige Verhaltensroutinen auffasst, die sowohl von Körpern als auch von Artefakten in
routinisierten Beziehungen beeinflusst und getragen werden.
-52-
gen generell, gewinnt aber eine neue Qualität, wenn Subjekte nicht nur eine instrumentelle, sondern
auch eine interaktive Beziehung zu Technik haben, d.h. wenn die Technik, mit der die Subjekte
umgehen, zu relativ autonomen Aktionen und Interaktionen befähigt ist (Rammert 2006: 174f).
Jede Technik bietet dabei aber auch gewisse Handlungs- und Interpretationsspielräume. Sie kann
angenommen, abgelehnt und ihrem ursprünglichen Verwendungszusammenhang entnommen wer-
den. NutzerInnen werden hierbei als definitionsmächtige Subjekte betrachtet (vgl. Böhm/Wehner
1990: 126; Löchel 1997: 19; Hörning 2001: 22). Der Umgang mit einer neuen Technik wird in star-
kem Maße von den jeweiligen Interessenlagen, Denk- und Handlungsmustern, letztlich durch den
Deutungshorizont der NutzerInnen geprägt, wobei die „Sachgesetzlichkeiten“ der Technik in den
Hintergrund treten können (vgl. Rammert u.a. 1991: 14f.; 143ff.). Je nachdem, welche Deutungs-
muster wirkmächtig sind, wird Technik unterschiedlich genutzt (vgl. auch Carstensen 2007: 28ff).
Gleichzeitig sind diese Interpretations- und Nutzungsspielräume nicht beliebig und grenzenlos. Die
materiellen Eigenschaften von Technik haben bestimmte Wirkungen, und die Form einer Technik
schließt bestimmte Verwendungsweisen aus oder macht diese zumindest sehr unwahrscheinlich.
Insbesondere die Akteur-Netzwerk-Theorie hat auf die Bedeutung der Materialität und der Hand-
lungsträgerschaft bzw. der ‟aktiven‟ und ‚eigensinnigen‟ Anteile von Technik hingewiesen (vgl.
Latour 1995; Rammert/Schulz-Schaeffer 2002).
Damit ist es demnach wichtig, Technik einerseits mit ihrer symbolisch-kommunikativen Dimension
zu untersuchen. Andererseits muss aber auch die praktisch-materielle Dimension von Technik be-
rücksichtigt und die Beteiligung technischer Artefakte an Praktiken in die Analyse mit einbezogen
werden (hierzu auch Braun-Thürmann 2006). Wie wir dies in unserem methodischen Vorgehen
umsetzen, stellen wir im Folgenden dar.
3 Methodisches Vorgehen
3.1 Methodologische Reflexion der Analyseergebnisse aus den Interviews
Wir führten zunächst 30 qualitative Interviews mit jungen Menschen (22-30 Jahre), deren zentraler
Arbeitsgegenstand das Internet ist. Sie arbeiten in Feldern wie Social Media Beratung, Entwicklung,
Webdesign und Online-Journalismus. Die Interviews führten wir anhand eines Leitfadens, der zum
Einstieg eine erzählgenerierende Frage über die ersten Erfahrung mit dem Internet bis zum heutigen
Zeitpunkt sowie diverse Sättigungsfragen enthält; im Weiteren geht es um die Bedeutung von Ar-
beit, Alltag und Tagesabläufen, um Zufriedenheiten sowie Zukunftspläne.
Die Ergebnisse aus den Interviews geben uns Aufschluss über die „Internetsozialisation“ der Web-
workerInnen, ihr Alltags- und Arbeitsmanagement, die wahrgenommenen Anforderungen und Be-
lastungen des Alltags. Es zeigt sich, dass die jungen WebworkerInnen gegenwärtig mit einer Reihe
von Herausforderungen des Web 2.0 konfrontiert sind, die sie bewusst wahrnehmen und denen sie
oftmals strategisch begegnen. Zum einen ist dies der Umgang mit einer entgrenzten Arbeitswelt, in
der Grenzen zwischen Erwerbsarbeitszeit und Freizeit, Beruf und Hobby, KollegInnen und Freun-
dInnen sowie bezahlten und unbezahlten Tätigkeiten verschwimmen. Während manche diese
Grenzverwischungen genießen und ihre Arbeit nicht vom ‚Rest‟ des Lebens trennen möchten, ent-
wickeln andere WebworkerInnen klare und strikte Strategien, die Grenzen wieder neu zu ziehen.
Ähnliches lässt sich hinsichtlich der sich auflösenden Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Pri-
vatsphäre beobachten: Auch hier fehlen (bisher) etablierte gesellschaftliche Routinen, so dass das
Ziehen subjektiv ‚sinnvoller‟ Grenzen gefordert ist. Die Subjekte bewegen sich hier zwischen An-
forderungen an einen Selbstvermarktungsdruck im Netz und gesellschaftlichen Datenschutzdiskur-
sen, die vor zu viel Preisgabe warnen. Sie sind davon teilweise überfordert, teilweise genervt, sie
gehen darin auf oder sie schöpfen daraus Kraft. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich aktiv und be-
wusst damit auseinander setzen (Ballenthien/Carstensen 2011). Eine dritte Herausforderung betrifft
-53-
den Umgang mit dem wachsenden Angebot an sozialen Netzwerken, Tools, Software, Program-
miersprachen etc., das stets mit der Aufforderung verbunden ist, alles zu nutzen oder zumindest zu
kennen. Auch hier gilt es, selbstorganisiert zu entscheiden, was man wie und warum nutzt, und neue
Formen informellen Lernens jenseits klassischer Bildungsinstitutionen zu entwickeln, um sich die
neuen Technologien anzueignen. Auffällig ist dabei insgesamt, dass die Subjekte im Wesentlichen
mit Praktiken der Grenzziehung beschäftigt sind. In all den genannten Bereichen existieren kaum
(mehr) vorgegebene Grenzen; die Grenzziehungsarbeit muss also auf subjektiver Ebene geleistet
werden. Dies tun die Subjekte auf sehr unterschiedliche Arten: pragmatisch mit dem Ziel der Ar-
beitsersparnis, leidenschaftlich, genussvoll, technik-, öffentlichkeits- und kommunikationsbegeis-
tert, bewusst-gestalterisch mit politischen Anliegen, strategisch-selbstdiszipliniert und bedacht auf
die eigene Imagepflege, aber auch zurückhaltend, schüchtern oder ignorant. Da unser Sample sehr
technikkompetent ist, gehen wir davon aus, dass sich an den beobachteten Praktiken richtungswei-
sende Pionierarbeit für Grenzmanagement zeigt.
Die Interviews geben damit vor allem Aufschluss über Bedeutungskonstruktionen und Sinnhorizon-
te der Subjekte und damit besonders über die symbolisch-kommunikative Dimension von Technik.
Die konkreten Praktiken im Umgang mit dem Internet – und damit die praktisch-materielle Dimen-
sion – bleiben hingegen weitgehend unsichtbar. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen hat sich
gezeigt, dass insbesondere im Umgang mit neuen Technologien oftmals die konkrete Sprache fehlt,
d. h. Begrifflichkeiten und Formulierungen, um alltägliche Routinen und Tätigkeiten zu beschreiben
(Carstensen/Winker 2005: 92). Dies liegt auch daran, dass viele Praktiken unbewusst durchgeführt
werden und damit in der Interviewsituation kaum abrufbar und erst recht nicht verbalisierbar sind.
Zudem kommt es vor, dass Handeln und das Sprechen über das Handeln voneinander abweichen.
Die Frage, wie sich der Umgang der Subjekte mit dem Internet konkret darstellt, kann anhand des
Interviewmaterials nur begrenzt beantwortet werden. Dabei ist es für die Frage nach den Subjekt-
konstruktionen im Umgang mit dem Internet von großem Interesse, was das Internet an Praktiken
(er)fordert, wie die Subjekte auf Aktionen des Internets reagieren, wie viel Handlungsspielräume
das Internet zulässt und wie die Subjekte diesen wahrnehmen und nutzen. Auch technik- und ar-
beitssoziologische Erkenntnisse können darüber gewonnen werden, welche Arbeitserleichterungen,
Hilfestellungen, aber auch welche zusätzlichen Belastungen, Störungen in der Interaktion entstehen.
3.2 Das Aufzeichnen von Internetpraktiken
Um dieser begrenzten Aussagekraft der Interviews zu begegnen, zogen wir Software basierter Auf-
zeichnungen von Internetsessions hinzu. Im Anschluss an das Interview baten wir die Interviewper-
sonen, an einen Laptop ihre alltäglichen Internetroutinen durchzuführen sowie von uns gestellte
Recherche- und Programmieraufgaben zu lösen. Währenddessen sollten sie ihr Handeln und jegli-
che Gedanken, auch Irritationen fortwährend verbalisieren. Falls sie etwas nicht ausführen konnten,
weil sie beispielsweise zuhause mit einem anderen Betriebssystem arbeiten, sollten sie beschreiben,
was sie normalerweise an dieser Stelle tun würden. Die Forscherinnen blieben im Raum anwesend.
Dabei wurden eine Reihe alltäglicher Routinen sowie Irritationen sichtbar. In vielen Fällen riefen
die Interviewten zunächst ihre E-Mails ab, besuchten dann ihre Profile in ihren sozialen Netzwer-
ken, führten einige Recherchetätigkeiten durch (Nachrichten, Wetter) und zeigten uns anschließend
typische Tätigkeiten mit dem Internet aus ihrer Erwerbsarbeit. Die Aufzeichnung erfolgte mit einem
Programm (Morae), das einen Mitschnitt des Desktops sowie eine zeitlich-tabellarische Auflistung
der besuchten Webseiten produziert, die Person vor dem Rechner filmt und Geräusche, Tastaturein-
gaben und Mausbewegungen aufzeichnet.
Auf Grundlage des auf diese Weise produzierten Materials protokollierten wir zunächst die aufgeru-
fenen Webseiten, die Praktiken der Interviewten, ihre Kommentare und die (Re-)Aktionen der
Technik. Anschließend codierten und analysierten wir die menschlichen und technischen „Aktivitä-
ten“ sowie „Interaktionen“ zwischen Subjekt und Internet (z.B. „URL-Eingabe Fehlermeldung“;
Pop-Up öffnet sich wird routiniert geschlossen). Einzelne Sequenzen werteten wir feinanalytisch
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aus. Dieses Vorgehen ist mit seiner mikrosoziologischen ausgerichteten und kleinteiligen Analyse-
weise von technografischen Methoden (Rammert/Schubert 2006) und den Workplace Studies
(Knoblauch/Heath 2006) inspiriert. Hier kommen Vorteile wie die der Aufzeichnungen mit Video-
technik gegenüber face-to-face-Interaktionen zum Tragen, die Feinheiten der Interaktion sichtbar
machen (Schubert 2006). Technologien werden als etwas betrachtet, das konstitutiver Teil von
Handlungsabläufen und Interaktionen ist und nicht externer Einfluss.
Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Erhebungssituation erheblich davon beeinflusst wurde, dass
die Forscherinnen im Raum anwesend waren, dass das vorangegangene Interview Themen und Fra-
gen vorstrukturiert hat, dass es nicht der eigene Rechner ist (und in vielen Fällen auch nicht das
sonst verwendete Betriebssystem) und dass im Unterschied zu sonstigen Internetsituationen vermut-
lich auch Nervosität oder Aufregung von Bedeutung für die Ausführung der Praktiken sein können.
Dennoch zeigte sich, dass die Aufgabenstellung sehr gut funktioniert hat und dass analytisch gerade
die Irritationen Aufschluss über die alltäglichen Routinen geben (Garfinkel 1967). Besonders her-
vorzuheben ist der Effekt, dass die Situation, in der die Interviewten am Computer sitzen und ihre
Finger auf die Tastatur oder die Maus legen, nicht nur beobachtbare Praktiken hervorbringt, sondern
auch äußerst erzählgenerierend wirkt, und dadurch Themen und Praktiken, die im Interview verges-
sen wurden, auf einmal verbalisiert werden können. In gewissem Sinne ist diese Erhebungssituation
damit auch als Fortsetzung des Interviews in anderem Setting auszuwerten.
4 Typen der Subjekt-Internet-Interaktion
Bei der Auswertung der Frage, wie sich die Interaktionen der Subjekte mit dem Internet konkret
darstellen, zeigte sich, dass es eine Reihe typischer, immer wiederkehrender Situationen gibt, die
wir zu einer Typologie von sechs Subjekt-Internet-Interaktionen zusammenfassen:
Zwänge durch das Internet:
Das erste Interaktionsmuster zeichnet sich dadurch aus, dass das Internet eine bestimmte menschli-
che Handlung fordert und sich dabei sehr restriktiv zeigt. Wird der Aufforderung nicht Folge geleis-
tet, erscheint eine Fehlermeldung. Typische Beispiele sind Formulare, die Usernamen und Passwör-
ter abfragen und keinerlei Fehler oder Abweichungen zulassen, oder URL-Eingaben, die bei
Tippfehlern die erwartete Seite nicht öffnen. Eine Fortsetzung der Interaktion gelingt nur über An-
passung des Subjekts an die Anforderungen des Internets; ansonsten bleibt den Subjekten nur die
Möglichkeit, die Aktion abzubrechen.
Störungen, Unerwartetes, Eigensinniges durch das Internet:
Das zweite Interaktionsmuster, das wir in unseren Aufzeichnungen identifizieren konnten, umfasst
Situationen, in denen das Internet die Subjekte mit ‚eigensinnigen‟ Handlungen überrascht. Hierun-
ter fassen wir Situationen, in denen beispielsweise eine Seite nicht oder sehr langsam geladen wird,
in denen ein Programm abstürzt oder in denen durch die Nutzung anderer Betriebssysteme oder
Browser die Webseiten nicht aussehen wie erwartet. Weitere Beispiele sind Pop-Up-Fenster, Wür-
mer, Viren etc. Das Internet produziert hierbei einen unerwarteten Mehraufwand, da es zusätzliche
Handlungen erforderlich macht (und sei es nur ein Klick um das Pop-Up zu schließen). Auch er-
zeugt es oftmals Wartesituationen und erzwingt Momente des Nicht-Handeln-Könnens. Es kommt
zu Irritationen auf Seiten der Subjekte, die aber je nach Handlungswissen und Internetkompetenz
unterschiedlich hoch ausfallen und dementsprechend aufwändig oder routiniert überwunden werden
können.
Handlungsaufforderungen mit Freiräumen:
Ein drittes Muster an Interaktionen zwischen Internet und Subjekt besteht aus Handlungsaufforde-
rungen, die das Internet an die Subjekte stellt, die aber nicht zwingend erfüllt werden müssen, son-
dern lediglich ein bestimmtes Handeln nahe legen. Hierunter fassen wir Aufforderungen, Updates
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zu installieren oder auch Google-Trefferlisten, die am Ende der Seite auffordern, die Suche noch
einmal mit den englischen Begriffen durchzuführen. Prinzipiell können Links generell darunter
gefasst werden, da sie immer nahe legen, sie anzuklicken und damit vom eigentlichen Handlungs-
ziel ‚ablenken‟ können. Besonders deutlich werden die Handlungsaufforderungen allerdings am
Interface von Facebook: Hier wimmelt es vor lauter Vorschlägen, Anfragen und Tipps („Was
machst Du gerade?“, „Schreibe einen Kommentar“, „Schreib etwas“, „FreundIn hinzufügen“). Ob-
wohl die Aufforderungen teilweise sehr nachdrücklich erfolgen, sind Widersetzungen hier ohne
weiteres möglich. Das Wegklicken oder Ignorieren hat keine Folgen für die folgenden Handlungen.
So lässt sich beobachten, dass die Versuchspersonen diese Handlungsspielräume ganz unterschied-
lich nutzen und die Aufforderungen mal als Service und Unterstützung betrachten und mal als un-
brauchbar ignorieren. Auch hier sind Handlungswissen und Kompetenzen wieder von zentraler
Bedeutung.
Erfüllung der Erwartung auf eine bestimmte Handlung:
Die einfachste Interaktion zwischen Subjekten und Internet stellt das vierte Muster dar. Hier wird
eine Handlung vom Subjekt initiiert und das Internet reagiert wie erwartet, d.h. sie führt letztlich
den menschlichen Befehl einfach aus. Beispiele hierfür sind URL-Eingaben, nach denen sich die
erwarteten Seiten öffnen oder Suchanfragen, die erwartete Trefferlisten erzeugen. Auch korrekte
Passworteingaben, nach denen man erfolgreich eingeloggt ist, können hierzu gezählt werden.
Das Internet ermöglicht ‚Erfolg„ trotz heterogener Handlungen:
Die vielleicht überraschendste Interaktion findet sich im fünften Muster. Insbesondere an unserer
Retrieval-Aufgabe zeigte sich, dass unser Sample auf der Suche nach einer sehr konkreten Lösung
eine große Vielfalt an Wegen aufzeigt. Die Frage, wie man einen Audio-Tag in eine Website ein-
binden kann, wird von den Subjekten höchst unterschiedlich bearbeitet und (dennoch) immer er-
folgreich gelöst. Hier zeigt sich das Internet als flexibel und zuvorkommend. Die Subjekte nutzen
unterschiedliche Suchworte bei Google, besuchen verschiedenste Seiten, nutzen unterschiedliche
Codes etc. – am Ende gelingt es immer, den Audio-Tag einzubinden. Auch die korrekte Websitean-
zeige trotz fehlerhafter URL-Eingaben kann hierunter gefasst werden. Unterschiedlichste Nutzungs-
stile und Kompetenzen werden also vom Internet ‚aufgefangen‟, ‚ausgeglichen‟, das Internet er-
weist sich als ‚entgegenkommend‟.
Das Internet zeigt sich durch das Subjekt gestaltbar:
Am flexibelsten aber stellt sich das Internet im sechsten Muster dar. Hierunter haben wir alle Inter-
aktionen gefasst, in denen das Internet von den Subjekten vielseitig und je nach Bedürfnissen selbst
gestaltet wird. Das Internet bietet an vielen Stellen die Möglichkeit, es an die eigenen Vorlieben
anzupassen, von kleineren Aktionen wie Passwörter speichern oder Lesezeichen einrichten bis hin
zu komplexen Programmierleistungen, in denen die Subjekte sich Artefakte nach ihren Wünschen
‚erschaffen‟. Wer über das erforderliche Wissen verfügt und diese Möglichkeiten nutzen kann, für
den kann das Internet eine Arbeitserleichterung mit großen Spielräumen der Gestaltbarkeit sein. Je
mehr Wissen die Subjekte über die Gestaltbarkeit des Internets haben, desto mehr Details können
allerdings auch wiederum einen neuen Arbeitsaufwand erzeugen, da viel probiert wird, um die ‚bes-
te‟ Lösung zu finden.
5 Diskussion zur Reichweite und Aussagekraft der Typologie
Inhaltlich wird zunächst eine große Bandbreite an Interaktionen deutlich, die von Situation des
Zwangs durch Technik bis hin zu Situationen, in denen die Subjekte große Gestaltungsspielräume
haben, reichen. Auch wird deutlich, dass Routinen im Umgang mit dem Internet eine zentrale Be-
deutung einnehmen. Die Subjekte verfügen über eine Vielzahl routinierter Handlungsweisen, die sie
oftmals unreflektiert einsetzen; kommt es zu Störungen, kommen sie zwar mit ihren eingespielten
Routinen nicht weiter, können aber oftmals durch Neukombination alter Routinen Lösungen für das
-56-
Problem finden. Diese Routinen werden in Interviews in der Regel nicht thematisiert, da sie viel zu
unbewusst ablaufen.
Zudem werden (neue) Anforderungen an die Subjekte sichtbar: Sie müssen auf Störungen reagieren,
sie müssen sich technischen Vorgaben fügen, wenn sie ihr Ziel erreichen wollen, sie müssen sich
der Logik der Programmiersprache unterwerfen, sie müssen spontan und flexibel auf Unerwartetes
reagieren können und Kontrollanforderungen nachkommen. Vor dem Hintergrund technik- und
arbeitssoziologischer Ansätze, die nach Belastungen und Erleichterungen durch Technik fragen, ist
gleichzeitig aber auch interessant, dass auffällig viele Situationen der Arbeitserleichterung sichtbar
werden, Situationen, in denen das Internet Arbeit abnimmt, in denen es menschliche Fehler korri-
giert, über sie hinwegsieht, mithilft, den richtigen Weg zu finden. Die Interaktionen mit dem Inter-
net sind voller reibungsloser Abläufe, funktionierender Interaktionen, in denen menschliche Erwar-
tungen erfüllt oder sogar positiv überrascht werden. Neben Situationen der Störungen und des
Eigensinns technischer Aktionen finden sich damit vielfältige Ermöglichungen und Unterstützungen
menschlicher Handlungen.
Letztlich wird deutlich, dass sich sämtliche Interaktionen zwischen den Polen Frei-
heit/Arbeitserleichterung vs. Zwang/Barriere sowie bewusstes Handeln vs. Routine bewegen:
bewusstes
Handeln
Routine
Zwang/Barriere
Freiheit/Arbeitserleichterung
Medie
nkom
petenz
1.
2.
3.
Abbildung 1: Pole der Subjekt-Internet-Interaktionen
Dabei wird allerdings auch deutlich, dass die Typologie keine eindeutig zuordenbaren Interaktionen
enthält, sondern immer relational zu den Subjekten zu betrachten ist. Die gleichen ‚Aktionen‟ des
Internets können in dem einen Fall als Zwang, in dem anderen lediglich als Handlungsaufforderung
wirken, je nach Erfahrungen und Medienkompetenz der Subjekte. Sie sind es, die den ‚Handlungen‟
der Technik unterschiedlich viel Raum geben. So kann ein Pop-Up für ein Subjekt einen Zwang
darstellen (1. in Abb. 1) und zum Scheitern des Vorhabens führen, für ein anderes ist es eine kaum
wahrgenommene Störung, die weggeklickt wird (2. in der Abb. 1) und für ein drittes Subjekt ist es
das zufrieden stellende Ergebnis einer eigenen Programmierleistung (3. in Abb. 1). Die gleiche Si-
tuation kann also auf Abbildung 1 an verschiedenen Stellen eingetragen werden. Letztlich spielen
hierbei Fragen nach Handlungswissen und Medienkompetenz eine zentrale Rolle. Je kompetenter
das Subjekt, desto eher verschiebt sich die Interaktion von Subjekt und Internet nach rechts oben in
-57-
der Abbildung. So stellen unsere Typen jeweils vielleicht eher ein Kontinuum von Subjekt-Internet-
Interaktionen dar.
Auch die theoretischen Entscheidungen der ForscherInnen beeinflussen die Betrachtung der Inter-
aktionen: Auch hier gibt es eine große Bandbreite, wie unterschiedlich die gleiche Situation be-
trachtet werden kann. Handlungsvorschläge, die das Internet macht, können als ‚smart‟ und ‚restrik-
tiv‟ zugleich eingeordnet werden, denn einerseits unterstützen sie, andererseits lenken sie eventuell
in Richtungen, die das Subjekt gar nicht beabsichtigt hat. Eine Programmiersprache zu lernen kann
als Medienkompetenz und Ermächtigung, aber auch als Anpassungs- und Unterordnungsleistung
unter die Logik der Codes betrachtet werden. Der einfache Umgang mit dem Internet setzt bereits
eine Vielzahl standardisierter und normierter Handlungen voraus, und sei es nur, vorgegebene Fel-
der auszufüllen. Am Ende verschwimmen die Pole Freiheit und Zwang damit. Die vorgeschlagene
Typologie muss daher in ihrer Relativität betrachtet werden. Dennoch verdeutlicht sie in ihrer
Bandbreite und in ihrer mikrosoziologischen Perspektive die unterschiedlichen Facetten und Fein-
heiten der Interaktionen von Subjekt und Internet und ermöglicht damit eine differenzierte Analyse
konkreter Praktiken.
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-58-
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-59-
Experimente mit unbekannten Gegenständen –
Strategien der Bedeutungskonstruktion
Juliane Böhme
1 Einleitung
Wir wissen, wie wir im Alltag bestimmte Dinge benutzen sollen. Dies erscheint uns unproblema-
tisch und selbstverständlich. Da der alltägliche Umgang mit Gegenständen für uns allgemein zur
Routine gehört, scheint es jedoch recht schwierig diesen analytisch zu hinterfragen. Sieht man ein
Objekt, so weiß man in der Regel auch wie man es benutzen soll, ohne dass man ohne Weiteres
Auskunft darüber geben kann, woran man sich eigentlich orientiert. Es wurde aus diesem Grund
nach einem Weg gesucht, die Routinen der Deutung zu durchbrechen, um so Aufschluss darüber zu
erhalten, wie sich der Prozess der Bedeutungskonstruktion vollzieht.
Die Idee etwas über die Normalität zu erfahren, indem man für Befremdung sorgt, ist in der Sozio-
logie nicht neu. So zeigte beispielsweise Garfinkels mittels seiner Krisenexperimente in den 1960er
Jahren einen Weg auf die Strukturen des Alltagshandelns aufzudecken, indem man in alltäglichen
Situationen Krisen provoziert, um die sonst „seen but unnoticed“ (Garfinkel, 1967) Routinen zum
Vorschein zu bringen. An diesem Vorgehen orientierte sich auch das Experiment, welches ich im
Rahmen meiner Diplomarbeit durchführte und dessen Ergebnisse im Folgenden kurz dargestellt
werden. Das Experiment sollte dazu dienen, die Normalität und Routine des alltäglichen Umgangs
mit Objekten in eine krisenhafte Situation zu überführen. Das Ziel war es dabei, die Routinen der
Deutung aufzubrechen, um den Prozess der Bedeutungszuweisung einer detaillierteren Analyse
zugänglich zu machen.
Die allgemeine Fragestellung, was ein Ding zu einem Ding seiner Art macht, wurde dabei - ganz im
Sinne der Grounded Theory - in Auseinandersetzung mit den Problemen und fruchtbareren Wegen
der Datenerhebung zunehmend fokussiert (vgl. Glaser & Strauss, 1998). Die Frage danach, wie die
Bedeutungskonstruktion von unbekannten Gegenständen abläuft, ist das Resultat dieser Überlegun-
gen.
Für die Datenerhebung wurde ein quasi-experimentelles Setting gewählt, das im Sinne des theoreti-
cal samplings der Grounded Theory (vgl. Glaser & Strauss, 1998, S. 53ff) mehrfach variiert wurde.
In den 23 durchgeführten Versuchen setzten sich dabei Gruppen von ein bis drei Teilnehmern mit
einem unbekannten Objekt1 auseinander und versuchten dessen Funktion zu bestimmen. Es wurden
dabei Videodaten der Versuche erhoben und mittels der Videointeraktionsanalyse (vgl. Knoblauch,
2004, Knoblauch, Tuma, & Schnettler, 2010) ausgewertet.
1 Die Versuchsgegenstände können im Sinne Martin Heideggers als Zeug verstanden werden, d.h als Ge-
genstände die für einen speziellen Gebrauch hergestellt wurde. Charakteristisch ist für diese, dass er uns
dienlich ist, da er nur für seine Anwendung gemacht wurde (vgl. Heidegger & Herrmann, 1977,S. 13ff).
Ausschlaggebend für die Selektion war, dass es sich um kleine Funktionsobjekte handelt. Die Dinge mit
denen sich die Versuchspersonen auseinandersetzen sollten, sind keine Einzelteile von anderen, größeren
Objekten, sondern können in einem unmittelbaren Handlungskontext alle mechanisch und instrumentell
eingesetzt werden.
-60-
2 Ergebnisse der Datenanalyse
Im Folgenden werden nun kurz die Ergebnisse der Datenanalyse vorgestellt. Die zentrale Frage, die
die Datenanalyse leitete, war, ob die Probanden trotz der Unterschiedlichkeit der Versuche ein ähn-
liches Vorgehen zeigen, um das Problem der Bedeutungsbestimmung des unbekannten Objektes zu
bewältigen. Die Analyse der Daten ergab dabei, dass sich die Vorgehensweise in den einzelnen
Versuchen stark ähnelte. Es konnte eine Reihe von Strategien herausgearbeitet werden, auf die die
Versuchspersonen zurückgreifen. In den verschiedenen Phasen der Versuche werden diese Strate-
gien dabei in unterschiedlich starkem Maße zur Anwendung gebracht. Zudem treten sie häufig in
Kombination miteinander auf und ergänzen sich so gegenseitig. Fünf Strategien können dabei zent-
ral für die Bedeutungsbestimmung des unbekannten Gegenstandes verstanden werden:
das visuelle und körperliche Erfassen von Merkmalen,
das Aufzeigen von Verwendungszusammenhängen,
die Zustimmung und Ablehnung von Deutungsvorschlägen,
die imaginierte Nutzung des Gegenstandes,
die Nutzung von Analogien.
3 Verknüpfung von Theorie und Empirie
Auf Grund der Kürze des Artikels ist es mir leider nicht möglich alle fünf Strategien, sowie die
theoretischen Implikationen die sich aus diesen ergeben, im Detail darzustellen. Deshalb werden im
Folgenden ausgewählte empirische Beispiele herangezogen und exemplarisch drei der Strategien
näher diskutiert. Es handelt sich dabei um das körperliche Erfassen von Merkmalen, die imaginierte
Nutzung des Gegenstandes und die Nutzung von Analogien. Die Darstellung dieser Beispiele wird
dabei mit einigen theoretischen Überlegungen eingerahmt und verknüpft. Das Ziel dabei ist es, die
Erklärungsleistung ausgewählter theoretischen Positionen zu kombinieren und hinsichtlich ihrer
Relevanz für den Prozess der Bedeutungskonstruktion der unbekannten Gegenstände zu betrachten.
Es wird dabei vor allem der ethnomethodologischen Position Rechnung getragen. Es zeigt sich je-
doch, dass Barthes„ soziologische Rezeption des Saussureschen Strukturalismus einige interessante
Aspekte enthält, die für die Bedeutungskonstruktion unbekannter Gegenstände fruchtbar sind. Der
große Stellenwert, den die Einbettung in eine Anwendungssituation im Zuge der Versuche ein-
nimmt, kann darüber hinaus unter Verweis auf die pragmatische Maxime erklärt werden, die die
vorgeschlagene Deutung des Gegenstandes überprüft.
Wie bereits erwähnt, zeigt die Analyse des Datenmaterials, dass die Versuchspersonen verschiedene
Strategien verwenden, um das Problem der Bedeutungskonstruktion des unbekannten Gegenstandes
zu bewältigen. Aus Sicht der Ethnomethodologie sind die Verfahren und Methoden, mittels derer
wir unsere alltäglichen Angelegenheiten sinnhaft strukturieren und bewältigen, Ethnomethoden. Die
Strategien, die die Probanden zur Anwendung bringen um das Problem der Bedeutungskonstruktion
zu lösen, können somit als Ethnomethoden verstanden werden.
Im Folgenden wird gezeigt, dass das Vorgehen der Versuchspersonen als ein Accounting gedeutet
werden kann. Diesem ethnomethodologische Konzept folgend sind die „Aktivitäten, mittels derer
wir unsere sozial organisierten alltäglichen Angelegenheiten bewältigen, […] identisch mit den
Verfahren, mittels derer diese Situationen „accountable“ gemacht werden” (Bergmann, 1988, S.
-61-
44f).2 Das Handeln der Einzelnen bietet somit gleichzeitig stets eine Erklärung dafür an, wie dieses
gedeutet werden kann. Die Ethnomethoden können dabei als kommunikative Leistungen verstanden
werden, durch welche sich die Interaktionspartner gegenseitig den Sinn ihres Handelns anzeigen
und so situativ ihre gemeinsame Wirklichkeit konstruieren. Wichtig ist hierbei, dass die Bedeu-
tungskonstruktion des unbekannten Objektes zu einem maßgeblichen Teil mittels nonverbaler As-
pekte der Kommunikation bewerkstelligt wird. Auf diesen Annahmen aufbauend, handelt es sich
bei der Bedeutungskonstruktion der unbekannten Gegenstände um eine kommunikative Konstrukti-
on. Kommunikation wird dabei im Sinne von Mondada und Schmitt (2010) als multimodal verstan-
den, so dass nicht nur auf sprachliche Aspekte reduziert wird. Der Körper selbst kann vielmehr als
ein Medium der Kommunikation verstanden werden, dessen Ausdrucksweisen sozialkulturell ge-
formt sind (Knoblauch, 2005, S. 100).
Ausgehend von der Feststellung, dass die Strategien der Versuchsteilnehmer als Ethnomethoden
verstanden werden können, stellt sich nun die Frage, wie die Probanden dieses Accounting im
Rahmen des Experiments vollziehen. Die verwendeten Strategien müssten somit dazu dienen, das
Verständnis der einzelnen Handelnden auch für ihr Gegenüber erklärbar zu machen und gleichzeitig
eine gemeinsame Wirklichkeit schaffen. Aus diesem Grund wird im Folgenden diskutiert, wie der
Prozess des Accounting in einigen der beschriebenen Strategien verläuft. Eine zentrale Rolle kommt
dabei dem körperlichen Umgang mit dem Objekt zu.
3.1 Das körperliche Erfassen von Merkmalen
Ein wichtiges Merkmal, das wie die Daten nahe legen, nur durch die körperliche Erfahrung im Um-
gang mit dem Gegenstand erschlossen werden kann, ist beispielsweise die Art und Weise wie man
den Gegenstand in der Hand hält, um ihn zu benutzen. Im Unterschied zu anderen Aspekten wird
die richtige Haltung des Gegenstandes jedoch häufig kaum sprachlich thematisiert, sondern direkt
körperlich umgesetzt und vorgeführt. Ein Datenbeispiel soll diesen Zusammenhang verdeutlichen.
Die zwei Probanden haben im Versuch 1 bereits einige Merkmale ihres Versuchsgegenstandes erör-
tert und tauschen sich nun in einer kurzen Abfolge über drei verschiedene Möglichkeiten aus, den
Gegenstand zu verwenden. Dabei wird der Gegenstand jeweils auf eine andere Weise in die Hand
genommen.
Der erste Vorschlag bezieht sich darauf, dass die Form des Gegenstandes an einen Tortenheber
erinnert. Die Vp2 nimmt den Gegenstand und macht eine nach vorn gerichtete pikende Bewegung.
Die Haltung des Gegenstandes und die Bewegung die Vp2 ausführt erinnern auch optisch an den
gewohnten Umgang mit einem Tortenheber. (Bild 1)
Kurz darauf bringt Vp2 einen weiteren Vorschlag ein, wonach es sich auch um ein Fischmesser
handeln könnte. Als sie über das Fischmesser spricht und ihren Vorschlag begründet, verändert sich
die Art und Weise, wie Vp2 den Gegenstand hält, deutlich. Sie dreht das Objekt und hält es nun
eher senkrecht. Die flache Seite ist nun aufgerichtet. (Bild 2)
Nach den Ausführungen zum Fischmesser bemerkt Vp2, dass das Objekt gut in der Hand liege.
Dabei umschließt sie den hinteren Teil des Gegenstandes mit allen Fingern der Hand vollständig
und äußert die Vermutung, dass es sich dabei auch um etwas zum Kratzen oder Spachteln handeln
könnte. Dies untermalt Vp2 durch eine entsprechende Anwendungsgeste. Sie streckt dabei erst die
Hand etwas nach vorn aus und knickt dann sein Handgelenk ein wenig nach unten ab, um mit einer
2 Im Original heißt es bei Garfinkel (1967): „the activities whereby members produce and manage settings
of organized everyday affairs are identical with members‟ procedures of making those settings ‚account-
able‟”(ebd., S. 1).
-62-
fließenden Bewegung seine Hand anschließend wieder etwas dichter an seinen Körper zu ziehen.
(Bild 3)
Kurz darauf unternimmt sein Versuchspartner (Vp1) den Versuch, die andere Seite des Objektes als
Griff zu definieren. Vp1 leitet dies ein mit: „Man könnte das natürlich auch“ und dreht den Gegen-
stand anders herum. Als er dies kurz probiert hat, löst er den Griff wieder und bemerkt „obwohl das
geht schlecht“. (Bild 4)
Die Erfahrung, den Gegenstand auf diese Art in die Hand zu nehmen, scheint dabei als Kriterium zu
genügen, um zu ermitteln, dass dies wohl nicht die richtige Handhaltung ist. Die Versuchsteilneh-
mer besitzen somit ein bestimmtes körperliches Wissen darüber, wie es sich anfühlt, Gegenstände
auf eine richtige Weise in den Händen zu halten.
3.2 Die imaginäre Nutzung des Gegenstandes
In den vorangegangenen Ausführungen wurde bereits ersichtlich, wie wichtig der körperliche Um-
gang mit dem Versuchsgegenstand ist, um seine zentralen Merkmale zu bestimmen. Die haptische
Erschließung des Objektes durch die Bestimmung der richtigen Handhaltung geht dabei mit einer
Überprüfung einzelner Deutungsvorschläge einher. Interessant ist an dieser Stelle vor allem, dass
die Versuchsteilnehmer sich bei dieser Art der Anwendung stets etwas dazu denken müssen, was
sich außerhalb der Situation befindet. Im Folgenden wird deshalb von einer imaginierten Anwen-
dung gesprochen. Sie ahmen dabei Situationen nach, in denen sie sich vorstellen würden, das Ob-
jekt auf eine ganz bestimmte Weise zu benutzen. Im Sinne des Accountings machen die Versuchs-
personen durch ihren körperlichen Umgang mit dem Objekt gleichzeitig für die anderen Teilnehmer
ersichtlich, wie sie zu ihren Schlüssen gelangen.
Der Einsatz des Objektes in einer imaginierten Anwendungssituation scheint die zentrale Strategie
der Bedeutungskonstruktion zu sein. Beim dargestellten Beispiel zur Frage der richtigen Handhal-
tung, wird die imaginäre Nutzung primär zur Überprüfung bestimmter Ideen genutzt. Dieses Vor-
gehen zeigt sich vielfach, wenn die Versuchsteilnehmer neue Aspekte thematisieren oder überlegen,
ob bestehende Annahmen vielleicht doch revidiert werden sollten. Diese wird im Interaktionspro-
zess in unterschiedlichem Maße genutzt. Die häufigste Nutzung dieser Strategie zeigt sich, wenn die
Handelnden versuchen einen Anwendungsvorschlag zu begründen. Dabei wird die Vorführung
einer bestimmten Anwendung als Illustration einer gleichzeitigen sprachlichen Ausführung genutzt,
um einen Deutungsvorschlag zu bekräftigen.
Im weiteren Verlauf des Versuches greift Vp2 die im Bild 3 dargestellte Idee des Kratzen erneut auf
und expliziert etwas genauer: „Also (.) also ich glaube ja auch, dass man das so anfassen muss“.
Zugleich umschließt Vp2 den unteren Teil des Objekts fest mit den Fingern der rechten Hand. Seine
Faust ist dabei ein wenig von der Tischplatte abgehoben, so dass Vp1 seine Handhaltung gut erken-
nen kann. Aus dieser Idee zieht die Vp2 nun folgenden Schluss: „Und dann hat man„s ja relativ so
Bild 3 Bild 4 Bild 2 Bild 1
-63-
in der Hand, dass man damit viel Kraft ausüben kann“. Währenddessen vollzieht sie mit dem quer
gehaltenen Objekt in der Faust mehrfach eine nach vorne gerichtete Bewegung.
Betrachtet man dieses Beispiel bezüglich der Frage, wie hier das Accounting abläuft, so zeigt sich,
dass die Probanden hinsichtlich der Funktion des Objektes nicht einfach eine sprachliche Zuschrei-
bung vollziehen. Von entscheidender Bedeutung ist an dieser Stelle das Körperwissen der Ver-
suchspersonen. Der Körper fungiert als „Resonanzboden der Kultur, als Kulturkörper“ (Knoblauch,
2005, S. 105). Das internalisierte sozialkulturelle Wissen der Versuchspersonen äußert sich dabei
im Umgang mit dem Objekt. Der Körper zeigt somit seinen Einfluss als zentrales Medium der
Kommunikation (vgl. Knoblauch, 2005, S. 100). Die Bedeutung, die dem Objekt zugewiesen wird,
ergibt sich nicht aus den semantischen Dimensionen bestimmter verwendeter Begriffe. Die Vp2
behandelt das Objekt vielmehr auf eine bestimmte Weise und macht diese auch für seinen Ver-
suchspartner ersichtlich. Welchen Teil des Gegenstandes die Vp2 als Griff versteht, wird durch den
Umgang mit dem Objekt ersichtlich, ohne dass der Begriff selbst verwendet wird. Es werden dabei
die semiotischen Aspekte des Gegenstandes herausgestellt, die sich in der Behandlung und im Um-
gang zeigen. Da der Einzelne davon ausgeht, dass auch die anderen Versuchsteilnehmer diese sehen
und auch verstehen, werden diese Bedeutungsaspekte in der Interaktion nicht explizit erläutert. Zum
Thema der Konversation wird vielmehr der Zusatz, der nicht gesehen werden kann. Im herangezo-
genen Beispiel ist dies die Möglichkeit der Kraftausübung. Die Reziprozität der Perspektiven be-
zieht sich somit auch auf die imaginäre Nutzung des Objekts, da angenommen wird, dass die ande-
ren Versuchspersonen über einen ähnlichen Bestand an internalisiertem Körperwissen verfügen.
Der illustrative Einsatz des Objekts dient dazu, den Deutungsvorschlag des Objekts auch für die
Versuchspartner verstehbar zu machen. Die imaginäre Nutzung hat in diesem Sinne auch eine star-
ke rhetorische Funktion. Durch die Vorführung ihrer vorgestellten Anwendung erhöhen die Proban-
den die Legitimität ihrer Hypothesen beträchtlich. Da die Funktionszuweisung eine Schlussfolge-
rung der Handelnden ist und keine logische Ableitung aus den Merkmalen, müssen sie begründen,
wie sie zu dieser Annahme gelangt sind, damit ihre Hypothese von den anderen Versuchspersonen
akzeptiert wird.
3.3 Die Nutzung von Analogien
Auch der Verweis auf Analogien zu anderen Gegenständen unterstützt das Accounting und somit
die Schaffung einer gemeinsamen Definition der Situation. Die Versuchspersonen nehmen dabei
Bezug auf bestimmte Wissensbestände, die ihrer Erfahrung entstammen. Sie beziehen sich dabei
auf Dinge, von denen sie annehmen, dass sie auch von den anderen verstanden werden, da sie einem
Bestand an Alltagswissen entstammen. Der Verweis auf Analogien und Situationen ermöglicht es
den Probanden nun, diese nutzbringend für die Bedeutungsbestimmung des Objektes einzusetzen,
da sie davon ausgehen können, dass ihre Deutungshypothesen so für die anderen Versuchspersonen
besser nachzuvollziehen sind.
Auf welchem Wege die Versuchspersonen geeignete Gegenstände für eine Bezugnahme auswählen,
zeigt sich deutlich in den Ausführungen von Vp1: „Naja, ansonsten haben doch nur so Kuchenheber
so „ne Spitze die keinen Sinn an sich hat, dafür dass sie spitz sein muss, sondern halt nur so dieses
Zulaufende“. Ausgehend von der Feststellung, dass die Spitze des Objekts nicht richtig spitz sei,
wird nach anderen Gegenständen gesucht, bei denen sich diese Kombination von Merkmalen eben-
falls zeigt. Durch das In-Beziehung-setzen der Merkmale des Objekts entsteht somit eine Verweis-
struktur, die bestimmt, welche Analogien genutzt werden.3 Ähnlich äußert sich auch Vp2 im Ver-
such 1: „Sieht aus wie„n Tortenheber so„n bisschen (.) von der Form her“. Die Vorgehensweise der
3 Je weniger eindeutig die Merkmale des Gegenstandes bestimmt werden können, desto unterschiedlicher
sind auch die Verweise die von den Probanden genutzt werden.
-64-
Versuchsperson legt nahe, dass eine strukturalistische Perspektive zur Erklärung dieses Handelns
herangezogen werden kann.
Das Zeichen und seine Bedeutung werden aus Sicht des semiotischen Strukturalismus als ein un-
trennbar verbundenes Paar verstanden, welches in einer asymmetrischen, aber trotzdem kulturspezi-
fisch klar festgelegten Verbindung zu einander steht (vgl. Hahn, 2005, S. 118). Die Form und Struk-
tur eines Zeichens bestimmt also über die Bedeutung bzw. Botschaft, die es übermittelt. Während
Saussure sich dabei auf die Sprache fokussierte, weitet Barthes in seiner soziologischen Rezeption
dieses strukturalistische Konzept stark aus. Nach Barthes (1985 [1967]) weist alles Soziale einen
Code auf und funktioniert wie ein Kommunikationssystem. Nach dieser Perspektive verfügen alle
Bereiche des Sozialen über ein spezifisches Vokabular und eine eigene Syntax.
Überträgt man diese Idee auf den Bereich der Objekte, so müssen sich die Zeichen der Objekte auch
durch die Bezugnahme auf eine übergeordnete Struktur erklären lassen. Die Verweisstruktur des
Objekts erlaubt es den Versuchspersonen somit, den unbekannten Gegenstand zu deuten. Dass die
Probanden sich an einer übergeordneten Struktur orientieren, darf jedoch nicht so verstanden wer-
den, dass das Objekt eine klare Bedeutung hat, auf die alle Versuchsgruppen in gleicher Weise
schließen müssen. Die Referenz zur strukturalistischen Perspektive ist vielmehr darin begründet,
dass die Objekte die Probanden in ihrer Zeichenart an verschiedene bestimmte Gegenstände erin-
nern. Die Strategie der Nutzung von Analogien erfasst genau diesen Aspekt. Die Versuchspersonen
verweisen im Rahmen der Experimente auf verschiedene Gegenstände. Die Bezugnahme erfolgt
dabei vor allem aufgrund einer ähnlichen Form der Objekte. Die ‚Form„, auf die hier Bezug ge-
nommen wird, kann im Sinne der bartheschen Matrix verstanden werden. Es handelt sich dabei um
eine spezifische Merkmalskombination, die die Versuchspersonen aufgrund ihres internalisierten
kulturellen Wissensbestandes entdecken und zur Orientierung für die Suche nach passenden Analo-
gien nutzen. Es erfolgt dabei ein Vergleich mit dem Muster anderer Dinge ihres bekannten kultur-
spezifischen Vorrats an Gegenständen. Für die Versuchspersonen gilt es somit stets zu entscheiden,
welche Aspekte wichtig sind, um eine Orientierung an der Struktur zu ermöglichen. Dies ist die
Voraussetzung, um so auf entsprechende Gegenstände schließen zu können, die aufgrund ähnlicher
Merkmalskombination zur Bedeutungsbestimmung des Versuchsobjekts hilfreich erscheinen.
Bestimmte Zeichen, die ein Objekt aussendet, führen aus dieser strukturalistischen Perspektive da-
zu, dass bestimmte kulturspezifische Wissensbestände abgerufen werden. Wie die Zeichen oder
Merkmale des Objekts verstanden werden, wird dabei allerdings im Rahmen des Interaktionspro-
zesses ausgehandelt. Bei der Ablehnung von Deutungshypothesen beziehen sich die Versuchsper-
sonen deshalb ebenfalls auf die Merkmale des Objekts selbst, die dieser Auslegung zuwiderlaufen.
Der Prozess der Bedeutungsbestimmung ist natürlich nicht willkürlich, da das Objekt selbst eine
gewisse ‚Widerständigkeit„ gegen bestimmte Deutungsvorschläge zeigt. Es ist somit nicht möglich,
den Gegenstand beliebig zu konstruieren. Sind bestimmte Merkmale erst einmal herausgestellt, so
müssen diese auch beachtet werden. Sollen diese Merkmale in einem Deutungsvorschlag ausge-
schlossen werden, so müssen die Probanden dies in der Regel auch argumentativ begründen.
Durch die Nutzung von Analogien zu bestimmten Gegenständen wird die Bedeutungsbestimmung
des Objekts jedoch noch nicht abgeschlossen. Die Einbettung in eine Anwendungssituation, in der
sich der Deutungsvorschlag bewährt, ist ein entscheidender Schritt. Nur wenn es den Versuchsper-
sonen gelingt dies zu erfüllen, kann das Problem der Bedeutungskonstruktion gelöst werden. Wa-
rum der Beleg der Deutungshypothese durch eine Einsatzsituation so entscheidend ist, kann unter
Rekurs auf die pragmatische Maxime erklärt werden. Peirce, der Begründer des Pragmatismus,
formuliert diesbezüglich: „Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Bezüge
haben könnten, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in Gedanken zukommen lassen. Dann ist un-
ser Begriff dieser Wirkung das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes“ (Peirce C. S., 1968, S.
113). Die Praxis in der ein Zeichen verwendet wird, ist somit das Bezeichnete selbst.
-65-
Dass die Anwendungssituation entscheidend ist, liegt somit darin begründet, dass sich die Bedeu-
tung eines Objekts nur in seinem Gebrauch zeigt. Da alle Aspekte einer Interaktion als indexikal
verstanden werden können, muss also ein spezifischer Kontext gefunden werden, indem die abduk-
tiv gebildete Deutungshypothese der Versuchspersonen überprüft werden kann. Es gilt somit eine
Situation zu definieren, in der der Versuchsgegenstand im Sinne eines Gedankenexperiments zum
Einsatz gebracht wird. Die einzelnen indexikalen Elemente erhalten erst eine konkrete Bedeutung,
wenn der Gegenstand in einer alltagstypischen Anwendungssituation seine Wirkmächtigkeit zeigen
kann.
Es geht somit nicht nur darum überhaupt eine Anwendungssituation aufzuzeigen, sondern auch hier
gilt es, die anderen Versuchspersonen von der eigenen Deutung zu überzeugen und einen triftigen
Beleg für die eigene Hypothese zu finden. Die Situationen, auf die dabei verwiesen wird, werden
als ‚alltagstypisch„ bezeichnet, da die Versuchspersonen auch hier gezielt Bezug auf Dinge und
Situationen nehmen, bei denen sie davon ausgehen, dass sie auch von den anderen nachvollzogen
werden können und sich somit auf den Bestand an Alltagswissen beziehen, den sie bei ihren Ver-
suchspartnern vermuten. Schlägt der Versuch fehl, eine konkrete Situation zu finden, in der sich die
Wirkung des Objekts zeigen kann, so können die Beziehungen nicht belegt werden, die zwischen
den Merkmalen des Objekts und den Funktionen geschlossen wurden. Die Nutzung von Analogien
zu anderen Gegenständen kann zwar eine Deutungshypothese bekräftigen, doch nur durch die Ein-
bettung in eine konkrete Anwendungssituation kann eine abschließende Überprüfung der Idee be-
werkstelligt werden.
Die zentrale Leistung des Accountings besteht darin, dass die Versuchspersonen sich im Zuge der
Interaktion eine gemeinsame Wirklichkeit schaffen. Die Bedeutungsbestimmung des unbekannten
Objekts kann somit als ein Prozess der Bedeutungskonstruktion verstanden werden. Betrachtet man
die Ethnomethoden als kommunikative Leistungen, handelt es sich spezifischer um eine kommuni-
kative Konstruktion der Bedeutung, die die Versuchspersonen gemeinsam vollziehen. Diese fokus-
siert sich aufgrund des Experiments und der Aufgabenstellung auf eine gemeinsame Definition und
Deutung des Gegenstands. Die Merkmale des Objekts werden dabei ausgehandelt, wobei das Ob-
jekt selbst als kommunikative Ressource dient. Der unbekannte Gegenstand als solcher besitzt somit
keine feste Bedeutung. Er wird stattdessen auf der Basis der kulturellen Wissensbestände der Ver-
suchspersonen hinsichtlich seiner Merkmale und Funktionen gedeutet. Dieses Wissen zeigten sich
die Probanden sowohl im Umgang mit dem Objekt an, der als richtig oder falschen empfunden
wird, als auch in der Bezugnahme auf bestimmte Analogien zu anderen Gegenständen, die auf ei-
nem Vergleich der zentralen Merkmale von Objekten beruhen.
3.4 Die Abduktion als Metastrategie
Eine Betrachtung der Daten erlaubt den Schluss, dass das Verhalten der Probanden nicht willkürlich
ist, sondern dass sie zielgerichtet vorgehen und sich auf bestimmte Annahmen berufen, welche sie
auch für die anderen Versuchsteilnehmer als nachvollziehbar erachten. Bei der vergleichenden Be-
trachtung des Datenmaterials zeigte sich, dass sich bestimmte Verfahren in allen Versuchen glichen.
Ganz allgemein lässt sich das Vorgehen der Probanden als ein Dreischritt beschreiben, bei dem sie
versuchen die relevanten Merkmale des Objektes herauszustellen, diesen eine Funktion zuzuweisen
und eine Anwendungssituation zu finden in der sich diese Kombination belegen lässt. Diese spezifi-
sche Art des Schlussfolgerns kann als Abduktion verstanden werden und stellt eine Art von Metast-
rategie dar, die die Versuche wie ein roter Faden durchzieht. Bei der Abduktion wird ausgehend von
einem problematischen Ereignis, dass der Handelnde sich nicht erklären kann, eine Regel konstru-
iert wird. Mit Hilfe dieser Regel wird nun das zunächst überraschende Ereignis als ein Fall dieser
neuen Regel verstanden. Der zentrale Aspekt besteht dabei in dem Erfinden einer Regel (vgl. Rei-
chertz, 2003, S. 62). Diese Art des Schließens birgt jedoch die Gefahr des Trugschlusses, da nicht
sicher ist, ob die Regel zu Recht aufgestellt wurde. Auch im Fall der Bedeutungskonstruktion unbe-
kannter Objekte stellt der Übergang von den Merkmalen zu den Funktionen keine Ableitung aus
den Merkmalen dar, sondern eine Deutungshypothese. Mittels Abduktion werden die jeweiligen
Ergebnisse der Kleinstrategien integriert und genutzt, um daran anschließend bestimmte sprachliche
-66-
Schlussfolgerungen zu knüpfen. Dieses Vorgehen lässt die spezifische Deutung des Gegenstandes
für die Versuchsteilnehmer als sinnvoll und logisch begründet erscheinen und wird zur Festsetzung
bestimmter Ergebnisse genutzt. Dabei werden ausgehend von bestimmten Merkmalen, die die Teil-
nehmer am Objekt identifizieren, bestimmte Assoziationen zu bekannten Objekten oder bestimmten
Verwendungskontexten getätigt, die auch den anderen zugänglich sind, um so zu begründen, warum
das Objekt auf eine bestimmte Art und Weise gedeutet werden kann. Neben dem Erfassen der
Merkmale ist die zentrale Herausforderung der Bedeutungsbestimmung des Objekts das Schließen
auf eine Funktion. Um dies zu bewerkstelligen greifen die Probanden im Rahmen des Interaktions-
prozesses auf verschiedene Strategien zurück, die ihnen helfen dies zu bewältigen.
Auch wenn sich dieser Text der Bedeutungskonstruktion unbekannter Gegenstände widmete, kön-
nen die hier gewonnen Erkenntnisse als eine gewisse Grundlage für die allgemeine Frage der Be-
deutung von Alltagsgegenständen liefern. Inwiefern sich die aufgezeigten Strategien der Bedeu-
tungskonstruktion auch im alltäglichen Umgang mit Objekten zeigen, ist ein interessanter Anstoß,
dem sich andere Forschungsprojekte zuwenden könnten.
Literatur
Barthes, R. (1985 [1967]). Die Sprache der Mode. Frankfurt am Main: suhrkamp.
Bergmann, J. (1988). Ethnomethodologie. Untersuchungen zur methodischen Erzeugung von sozialer Wirk-
lichkeit im alltäglichen Handeln. In ders., Ethnomethodologie und Konversationsanalyse (S. 13-51).
Hagen.
Garfinkel, H. (1967). Studies in ethnomethodology. New Jersey: Polity Press.
Glaser, B., & Strauss, A. (1998). Grounded Theory. Strategien qualitativer Sozialforschung. Bern.
Hahn, H. P. (2005). Materielle Kultur. Berlin: D. Reimer.
Heidegger, M., & Herrmann, F.-W. v. (1977). Holzwege. Frankfurt am Main.
Knoblauch, H. (2004). Die Video-Interaktions-Analyse. Sozialer Sinn 5(1), 123-138.
Knoblauch, H. (2005): Kulturkörper. Die Bedeutung des Körpers in der sozialkonstruktivistischen Wissensso-
ziologie. In M. Schroer, Soziologie des Körpers. Frankfurt am Main, 92-113.
Knoblauch, H., Tuma, R., & Schnettler, B. (2010 ). Interpretative Videoanalysen in der Sozialforschung. In S.
M. (Hg.), Enzyklopädie Erziehungswissenschaft Online. Weinheim und München: Juventa Verlag.
Mondada, L., & Schmitt, R. (2010). Zur Multimodalität von Situationseröffnungen. In L. R. Mondada, Situa-
tionseröffnungen. Zur multimodalen Herstellung fokussierter Interaktion. (S. 7-52). Tübingen: Narr.
Peirce, C. S. (1968). Über die Klarheit unserer Gedanken. Frankfurt am Main: Klostermann.
-67-
G.H. Mead – Ausgangspunkt für eine Analyse von Mensch-Technik
Interaktion
Valentin Janda
1 Einleitung
Dieser Artikel skizziert einen Zugang für die Analyse von Mensch-Technik-Interaktivität, der sich
an drei Grundsätzen des Pragmatismus im Sinne von George Herbert Mead orientiert. Den empiri-
schen Gegenstand bildet eine Reihe von Versuchen mit einer Sprachsteuerungstechnik1, in deren
Rahmen Versuchspersonen mit einer für sie unbekannten Technik verschiedene Aufgaben bearbei-
tet haben.2
Hierfür ist es zunächst notwendig, verschiedene theoretische Annahmen aus dem Pragmatismus
darzustellen und eine Beziehung zur Benutzung von Technik herzustellen. Daran anschließend wer-
den im dritten Teil dieses Textes Beispiele aus der Nutzung der Sprachsteuerung vorgestellt. Dabei
sind mit Hilfe der zuvor erarbeiteten Grundsätze drei Phänomene voneinander abzugrenzen. Beim
Erstkontakt mit der Sprachsteuerung orientieren die Akteure sich in ihrem Handeln an Situationen
aus der Mensch-Mensch Interaktion in denen sie Erfahrung haben. Sobald die Akteure Gelegenheit
hatten die Eigenschaften ihres technischen Gegenübers kennen zu lernen, nutzen sie die neu ge-
wonnene Erfahrung und die Eingaben verlaufen erfolgreicher. Schließlich entwickeln die Versuchs-
personen mit zunehmender Erfahrung einen eigenen Stil der Eingabe und die Benutzung weist krea-
tiv schöpferische Momente auf.
Schließlich wird im vierten Teil anknüpfend an die theoretischen und empirischen Erläuterungen
gezeigt, dass es möglich ist, einen Verlauf von Mensch-Technik-Interaktivität anhand von Ereignis-
sen zu strukturieren. Ein Ereignis wird dabei bestimmt als der Moment, in dem ein Akteur ausge-
hend von seiner Handlung gegenüber der Technik Aufschluss über die Eigenschaften seines techni-
schen Gegenübers erhält. Schließlich weist die hier erörterte Form der Analyse von Mensch-
Technik Interaktivität über die dichotomische Betrachtung von Mensch und Technik hinaus.
2 Drei Annahmen aus Meads Pragmatismus
Für die Analyse und Beschreibung der Interaktion mit der Sprachsteuerungstechnik ist es nötig drei
zentrale Elemente aus der Theorie zum Dingumgang von Mead darzustellen.
1 Diese Sprachsteuerungstechnik (Inspire) ermöglicht es verschiedene Heimgeräte (hier MP3-Player, elekt-
ronische Programminformationen und Anrufbeantworter) über einen Sprachdialog zu steuern. Das System
ist in einem als modernes Wohnzimmer eingerichteten Raum integriert und nutzt den Fernseher für gra-
phische Ausgaben (vgl. Schmidt et. al, 2010, 189).
2 Zentrale Argumente und die empirischen Beispiele stammen aus meiner Diplomarbeit mit dem Titel:
Usability – Potential einer soziologischen Betrachtung. Dieser Artikel, wie auch die genannte Diplomar-
beit, beruhen auf empirischen Daten des DFG-geförderten Projekts User-Model (Modellierung von Benut-
zerverhalten zur Usability-Evaluierung von Sprachdialogdiensten mit Hilfe von techniksoziologisch ermit-
telten Regeln). Siehe hierzu auch den Beitrag von Julian Stubbe und Mandy Töppel in diesem Band.
-68-
2.1 Antizipation technischer Eigenschaften
Meads theoretische Grundfigur ist das Konzept des ‚taking the role of the other„ (Mead, 1967
[1934], 254). Hiermit kann erklärt werden, wie Interaktion zwischen zwei oder mehr Personen mög-
lich ist. Auf der anderen Seite enthält dieses Konzept eine Erklärung, wie sich ausgehend von Hand-
lungen die Identität von Individuen entwickelt. Weniger populär sind dagegen Meads Schriften zur
Dingkonstitution, die in ihrer Anlage allerdings große Ähnlichkeit zu den Konzepten sozialer Inter-
aktion aufweisen.
„Der Durchbruch für Meads Theorie der Dingkonstitution kam nun, als er erkannte, dass die Kooperation von
Hand und Auge erst dann ‚Dinge„, permanente Objekte bilde, wenn die im sozialen Umgang entwickelte Fähig-
keit der Rollenübernahme auf den Umgang mit nicht-sozialen Objekten ausgedehnt wird“ (Joas, 1980, 151).
Die Rollenübernahme ist nicht nur im Sozialen das zentrale Konzept von Mead, auch für den Um-
gang mit Dingen (wozu sicher auch Technik gehört) behält die Rollenübernahme ihre Bedeutung.
Die allein dem Menschen vorbehaltene Fähigkeit sich in sein Gegenüber hinein zu versetzen, ein
Verhalten oder Eigenschaften von Dingen durch eine Rollenübernahme zu antizipieren und daran
schließlich das eigene Handeln auszurichten ist die besondere Leistung des Menschen, so der
Grundgedanke Meads (Mead, 1995 [1973], 196f.). Eine Antizipation der Eigenschaften von Technik
ist allerdings nicht ad hoc möglich, eine Antizipation gründet immer auf erlebten Ereignissen, deren
Summe die Erfahrungen eines Akteurs bilden.
2.2 Gleichzeitigkeit als Vorrausetzung für Antizipation
Vorrausetzung für einen instrumentellen Umgang mit Dingen ist die dem Menschen eigene Bedürf-
nishemmung, allein der Mensch ist fähig während der Handlung eine ‚Pause„ zu vollziehen (vgl.
Mead, 1969, 141).3 Durch die Hemmung des sofortigen Handlungsvollzuges wird die Hand des
Menschen freigestellt von der sofortigen Bedürfnisbefriedigung, so wird die Hand zu einem Sinnes-
organ, indem sie z.B. Eigenschaften von Objekten ertastet.
Der Mensch kann in der Folge eine Gleichzeitigkeit zwischen einer Kontaktwahrnehmung mit sei-
ner Hand und einer Distanzwahrnehmung mit seinen Augen erreichen: Hält er z.B. einen Gegen-
stand in seiner Hand und betrachtet diesen gleichzeitig, liegt in diesem Moment – und nur dann –
eine Gleichzeitigkeit von Kontakt- und Distanzwahrnehmung vor. In Zukunft wird der Akteur seine
Kontakterfahrung auf die Distanzwahrnehmungen übertragen: Sieht er einen Gegenstand, den er
zuvor in den Händen gehalten hat, trifft er aufgrund seiner Erfahrung bestimmte Annahmen über die
Eigenschaften dieses Dinges.
„In der Kontakterfahrung ist die Eigenschaft des Widerstandes im Objekt identisch mit der Eigenschaft des Wi-
derstandes im Organismus; dagegen ist die Eigenschaft des Objektes in der Distanzerfahrung überhaupt nicht in
dem Organismus präsent“ (Mead, 1983, 242).
Dabei kann die Antizipation der Eigenschaften ausgehend von der Distanzwahrnehmung fehlerhaft
sein, dennoch wird der Akteur aufgrund seiner Gleichzeitigkeitserfahrungen die Eigenschaften von
Dingen (und damit auch von Technik) antizipieren und daran sein Handeln ausrichten. Das Objekt
wird zu einem permanenten Objekt und kann z.B. wirkungssteigernd, d.h. technisch genutzt wer-
den.
Ein Problem in der Übertragung dieser Argumentation von Mead auf die Nutzung von Technik liegt
in dem Zuschnitt des Gleichzeitigkeitsbegriffs auf die Sinnesorgane Auge und Hand. Das hier ge-
wählte Beispiel einer Sprachsteuerungstechnik lässt eine Gleichzeitigkeit von Auge und Hand nicht
3 Meads Argumente weisen an dieser Stelle einige Parallelen zu denen von Arnold Gehlen auf. Für eine
ausführlichere Erläuterung empfiehlt sich Gehlen und seine Ausführungen „zur Hemmbarkeit sämtlicher
Antriebe“ (Gehlen, 1997, [1940], 334).
-69-
zu, die Hand ist für die Nutzung dieser Technik gänzlich überflüssig. Dennoch gelingt den Ver-
suchspersonen im Eindruck des Umgangs Erfahrungen zu sammeln und in der Folge die Eigen-
schaften des Sprachsteuerungssystems richtig zu antizipieren. Eine Gleichzeitigkeit kann deshalb
nicht allein auf Auge und Hand beschränkt sein, wäre dem so könnten viele Dinge und Techniken
keine Verwendung finden. Das Phänomen der Gleichzeitigkeit4 bedarf dennoch einer genaueren
Analyse, die gerade auch den Umgang mit moderner Technik einschließt.
2.3 Die Vorordnung von Handlung gegenüber Bewusstsein
Das Konzept des ‚taking the role of the other„, so wurde in Abschnitt 2.1 angedeutet, enthält eine
doppelte Erklärung. Zum einen wird verstehbar wie die Handlungen gegenüber Mensch und Ding
orientiert sind, auf der anderen Seite betont Mead, wie für das Individuum durch den sozialen Um-
gang und durch den Dingumgang die eigene Identität, aber auch das menschliche und dingliche
Gegenüber in seinen Eigenschaften entsteht. Erst durch Handeln kann der Akteur ein Bewusstsein
und ein Bild seiner Umwelt erhalten.
„Wir werden vielmehr zu dem Schluß gezwungen, daß Bewußtsein das Produkt solchen Verhaltens
ist. Anstatt eine Voraussetzung für gesellschaftliches Handeln zu sein, ist das gesellschaftliche Han-
deln eine Voraussetzung für Bewußtsein“ (Mead, 1995 [1973], 56).
Die Gleichzeitigkeitserfahrungen gegenüber Dingen, eine Rollenübernahme gegenüber Menschen,
das zeitliche Erleben, alles ist nur durch Handlung erschließbar, deshalb erschließt es sich auch
jedem Menschen anders. Zunächst mag hier der Verdacht eines totalen Relativismus aufkommen,
dies ist allerdings unberechtigt, denn der Pragmatismus thematisiert wohl die Dinge und Menschen
‚wie sie sind„, sie sind eben nur ausschließlich durch das subjektive Handeln wahrnehmbar. In die-
sem Konzept liegt die große Stärke einer pragmatistischen Analyse, Jörg Strübing formuliert sehr
treffend:
„Im Visier der pragmatischen Kritik steht die analytische Aufspaltung in dauerhaft voneinander ge-
trennt zu denkende Entitäten einer als gegeben angenommenen Welt. Wissen ohne Wissenden, Daten
ohne Kontext, Geräte ohne Bedienerinnen, Handelnde ohne Gesellschaft. […] Auch die pragmati-
sche Epistemologie verzichtet ja nicht auf Unterscheidung von, z.B. Theorie/Wissen und Metho-
de/Mittel, sie fasst beide jedoch als ein differenzhaltiges Kontinuum in einem dynamischen Wech-
selverhältnis auf. […] Im Begriff des Kontinuums ist zugleich gesagt, dass das Eine nichts ohne das
Andere ist, es ist für immer Eines für das Andere Etwas“ (Strübing, 2005, 344f.).
Dadurch entsteht eine Perspektive mit der Mensch und Technik, vor allem aber ihre Bezugnahme
aufeinander als das zentrale Element thematisiert werden können. Welche Schlüsse unter der Be-
rücksichtigung dieser Annahmen möglich werden, wird nun erläutert.
3 Beispiele: Interaktivität mit einer Sprachsteuerungstechnik
In den folgenden Abschnitten werden einige empirische Daten aus verschiedenen Experimenten mit
einem Sprachsteuerungssystem für die Argumentation verwendet. Die Versuche dauerten in der
Regel zwischen 15 und 25 Minuten, keine der Versuchsperson hatte konkrete Vorkenntnisse, bei
allen Versuchspersonen war am Ende des Versuchs ein wesentlich erfolgreicherer Umgang mit der
Technik zu beobachten als zu Anfang der Versuche.
4 Die erläuterte Erfahrung der Gleichzeitigkeit von Hand und Auge gegenüber dem Gegenstand in der Hand
ist sehr konkret. Eine Gleichzeitigkeit gegenüber dem Sprachsteuerungssystem ist wesentlich stärker kul-
turell bedingt und vorrausetzungsreich (man muss z.B. bestimmte signifikante sprachliche Gesten beherr-
schen). In diesem Beispiel werden von den Versuchspersonen Wortbedeutungen und technische Erfahrun-
gen in die ‚neue Gleichzeitigkeit„ mit hineingenommen.
-70-
3.1 Beispiel A: Höflichkeitsformeln für eine neue Technik
Dieses Beispiel zeigt einige eklatante Differenzen im Stil der verbalen Eingabe zu Anfang und ge-
gen Ende von zwei Versuchen.
03:30.00 – 06:10.00 18:02.00 – 19:54.00
„Sie koennen fuer mich ne Sendung aufnehmen,
aehm n Film aufnehmen“
„Musiksammlung anzeigen“
„fuer Morgen“ „fuer Morgen“
„mmh abends“ „wechseln“
„ja, Dr. House 21 15 bitte mich daran inform-, aeh
erinnern“
„oeffnen“
„gut und jetzt nehmen Sie bitte, ich red ihn einfach
mit du an, nehmen Sie einen Spielfilm auf und
zwar den von heute Abend 20 Uhr 15“ „oeffnen“
„aeh, Inspire naechste Aufgabe“ „fuenf“
„Heute, Programmvorschau heute“ „wechseln“
„aufnehmen“ „pfff, wechseln zur Playlist“
„hae“ „wechseln“
„Spielfilm“ „puh, hinzufuegen zur Musiksammlung“
„welche Sendung“ „hinzufuegen“
„Fussball“ „pff“
„Na ist ja kein Spielfilm“ „hinzufuegen zur Playlist“
„nein ich haette gern einen Spielfilm heute Abend,
Spielfilm 20 Uhr 15 Pro Sieben“
Tabelle 1: Sprachbefehle einer Versuchsperson zu Beginn und am Ende eines Experimentes
Es wird ersichtlich, dass sich nach 15 Min., bzw. 10 Min. der Stil der Eingaben stark verändert hat.
Erinnern die Eingaben zu Beginn an die höfliche Ansprache gegenüber einem Menschen, teilweise
sogar an ein Bittstellen, so sind sie zu einer späteren Phase sehr kryptisch. Sie bestehen nur noch
aus einzelnen Wörtern, Höflichkeitsformeln sind gänzlich verschwunden und grammatische Regeln
finden keine Beachtung.
Der Versuchsperson fehlt zu Beginn die Erfahrung von Gleichzeitigkeit an der sie ihr Handeln ge-
genüber der Sprachsteuerungstechnik orientieren könnten. Mead zufolge handeln die Versuchs-
personen aufgrund der antizipierten Eigenschaften ihres dinglichen Gegenübers. In den beispielhaf-
ten Ausschnitten fehlt der Versuchsperson allerdings die Handlungsgrundlage, genauer die
Erfahrung mit der Sprachsteuerungstechnik, schließlich ist für ausnahmslos alle Versuchspersonen
die Technik neu. In der Folge orientieren sie sich in ihrer Antizipation an anderen Kontexten, in
denen sie bereits Erfahrung haben, in diesem Fall scheint dass eine Bittstellung gegenüber unbe-
kannten Personen zu sein. Diese Vermutung liegt aufgrund des veränderten Sprachstils nahe.
-71-
3.2 Beispiel B: Unterbrechungen aufgrund von Erfahrung
In den folgenden zwei kurzen Beispielen haben die Versuchspersonen schon einige Zeit (mehr als
15 Min.) die Sprachsteuerungstechnik genutzt. Dabei sind die in den hier folgenden Tabellen ange-
führten Sprachausgaben des Sprachsteuerungssystems im Fall der ersten Tabelle bereits siebenmal
wiedergegeben worden, im Fall der zweiten Tabelle fünfmal.
Die Versuchspersonen unterbrechen die Ausgabe des Sprachsteuerungssystems, indem sie mit der
nächsten Eingabe beginnen bevor die Sprachausgabe beendet ist (Der Pfeil ↓ markiert die Stelle der
Unterbrechung, der kursiv geschriebene Teil wurde vom System nicht mehr wiedergegeben).
16:40 – 16:41: „ja“
16:42.9 – 16:51.2: „Ich konnte Sie nicht
verstehen,↓ was möchten Sie mit Ihrer
Playlist tun? Wenn Sie nicht weiter wis-
sen, sagen Sie Hilfe.
16:46 – 16:47: „ja!“
Tabelle 2: linke Spalte enthält Sprachbefehle einer Versuchsperson, rechte Spalte enthält eine unter-
brochene Sprachausgabe des Sprachsteuerungssystems
15:29.7 – 15:39.5: „Ihre Angaben Musik,
Playlist, anzeigen und eins passen nicht
zusammen ↓, wählen Sie eine der Mög-
lichkeiten aus der Liste aus, indem Sie die
zugehörige Nummer nennen.“
15:38 – 15:39: „zwei“
Tabelle 3: linke Spalte enthält Sprachbefehle einer Versuchsperson, rechte Spaltenthält eine unterbro-
chene Sprachausgabe des Sprachsteuerungssystems
Wie kann das hier in aller Kürze dargestellte Phänomen Erklärung finden?
Die Versuchspersonen verfügen nun über eine gewisse ‚Vergangenheit„ mit der Sprachsteuerung.
Hatten die Versuchspersonen in dem vorherigen Beispiel keine Erfahrungen mit dem System, wur-
de daraus die These abgeleitet, dass aufgrund mangelnder Erfahrung auf Erfahrungen aus anderen
Kontexten zurückgegriffen wird. Nun wird gezeigt, dass gegen Ende den Versuchsperson einige
Eigenschaften soweit bekannt sind, dass sie gelegentlich in Abläufe der Technik eingreifen: Die
Versuchspersonen warten die Sprachausgabe des Systems nicht ab, sie kommen der Technik zuvor.
Für sie ist es gewissermaßen überflüssig geworden auf die Reaktion des Systems zu warten. Ihre Er-
fahrung macht sie in der Antizipation so sicher, dass eine vollständige Beobachtung der System-
reaktion ihnen nicht mehr nötig erscheint.
3.3 Beispiel C: Modifikation erfolgreicher Eingaben
Ein weiteres Beispiel für einen souveränen Umgang mit den Spracheingabebefehlen findet sich in
den zwei folgenden Ausschnitten, die wie Beispiel B aus einer späten Phase von zwei Versuchs-
durchläufen stammen. Interessant ist hier, wie von den Testpersonen mit funktionierenden Eingabe-
befehlen verfahren wird.
-72-
13:07 – 13:08 drei
13:10 – 13:11 Öffnen
13:17 – 13:19 Vier öffnen
Tabelle 4: in der rechten Spalte befinden sich drei aufeinanderfolgende Sprachbefehle, der dritte Befehl
ist eine Neukombination
21:08 – 21:09 Nummer drei
21:12 – 21:13 Öffnen
21:21 – 21:25 Vier öffnen
21:30 – 21:32 Sechs hinzufügen
Tabelle 5: in der rechten Spalte befinden sich vier aufeinanderfolgende Sprachbefehle, der
dritte und vierte Befehl sind Neukombinationen
Von beiden Testpersonen werden zwei Eingabebefehle zu einem neuen Befehl zusammengefasst
(eine von zwei Eingaben wird auf diese Weise ersetzt). Hier ist Erfahrung im Umgang mit der
Sprachsteuerung erkennbar. Die Versuchspersonen handeln immer unter Bezugnahme auf ihre Er-
fahrungen. Trotz einer relativ kleinen Anzahl von möglichen Eingabebefehlen gelingt es den Ver-
suchspersonen situativ kreativ zu handeln. Die Eingabebefehle ‚drei„ oder ‚öffnen„ werden von den
Versuchspersonen sicher beherrscht, dennoch findet ein experimenteller, kreativer Umgang mit den
Befehlen statt. Dadurch werden die Eingaben kürzer und prägnanter. Derartiges Handeln erklärbar
zu machen, gelingt ebenfalls durch einen Bezug auf Mead, denn das gegenwärtige Handeln ist im-
mer in Abhängigkeit von der erlebten Erfahrung zu sehen (vgl. Mead, 1995 [1973], 154). In diesem
Beispiel versetzen sich die Versuchspersonen sogar in die Lage kreativ schöpferisch neue Prob-
lemlösungen zu entwickeln (vgl. Klima, 1994, 374).
4 Phasen und Ereignisse der Interaktion
Die in Abschnitt zwei dargelegten Konzepte aus dem Pragmatismus und die Beispiele aus Abschnitt
drei dienen nun als Grundlage für die Erörterung einer Einteilung von Mensch-Technik Interaktion
in idealtypische Phasen.
In Abschnitt 2.3 wurde bereits die pragmatistische Annahme der Vorordnung des Handelns gegen-
über dem Bewusstsein erläutert. Die dingliche Umwelt, Subjekte, seine Identität, alles erschließt
sich dem Akteur erst durch sein eigenes Handeln.
„die Relation von Individuum und Umwelt ist damit konstitutiv für die Umwelt und nicht ein E-
piphänomen der Umwelt“ (Joas, 1980, 183).
Für die Analyse von Mensch-Technik Interaktivität gilt die Annahme, dass der Prozess, der zeitli-
che Verlauf dieser Interaktivität durch die Handlungen des Akteurs strukturiert wird. Eine Eintei-
lung in Minuten und Sekunden wird dem Interaktionsprozess nicht gerecht, was aber sind die Ein-
heiten oder Elemente, die den Interaktivitätsprozess gliedern?
Der Interaktivitätsprozess wird durch Ereignisse strukturiert, durch jedes Ereignis im Prozess der
Techniknutzung erfährt der Akteur etwas über die Eigenschaften der Technik (und über sich selbst).
Das Handeln gegenüber einer Technik lässt bestimmte Eigenschaften dieser Technik erkennbar
-73-
werden (Die Sprachsteuerungstechnik z.B. reagiert auf „Inspire nächste Aufgabe“, nicht aber auf
„Inspire mach weiter“). Ein Ereignis ist der Moment, in dem ein Akteur ausgehend von seiner eige-
nen Handlung Aufschluss über die Eigenschaften seines technischen Gegenübers erhält. Mead be-
stimmt das Ereignis als Ursache der Bedingungen unter denen es Auftritt; oder anders formuliert,
das Ereignis erschafft die Bedingungen des Handelns.
„Das Verhältnis eines Ereignisses zu den Bedingungen, unter denen es auftritt, nennen wir kausale
Verursachung (causation)“ (Mead, 1969, 263f.).
„Das Ereignis wird damit nicht nur als Teil eines objektiven Zeitablaufs gedacht, sondern als Ur-
sprung aller Zeitstrukturierung. Ohne die Unterbrechung des Zeitablaufs durch das Ereignis wäre
keine Zeiterfahrung möglich“ (Joas, 1980, 172).
Für den Umgang mit Technik bedeutet das, dass durch ein Ereignis die Bedingungen des Handels
deutlich werden. Die Bedingungen des Handelns sind bei einer Nutzung von Technik die techni-
schen Eigenschaften. Spricht eine Versuchsperson die Sprachsteuerungstechnik an, ist das Ereignis
die ‚Reaktion„ der Technik, sie gibt der Versuchsperson Aufschluss über die Eigenschaften (bei
Mead Handlungsbedingungen) und ist gleichzeitig das strukturierende Element des Interaktivitäts-
prozesses.
Der Prozess der Techniknutzung stellt sich als Abfolge aus Handlungen der Nutzer und Reaktionen
der Technik dar. Jede Reaktion gibt dem Nutzer einen Anhaltspunkt für seine zukünftigen Anti-
zipationen. Die Antizipation bildet wiederum die Grundlage für die nächste Handlung.5
Eine Analyse von Meads Zeitbegriff zeigt, dass Nutzung von Technik als ein durch Ereignisse
strukturierter Prozess aufgefasst werden muss. Erfahrungen aus der Vergangenheit werden unter
dem Eindruck der Gegenwart für ein immer auf die Zukunft bezogenes Handeln eingesetzt. Jeder
Akteur hat dabei aufgrund selbst erlebter Ereignisse der Nutzung eine eigene Vergangenheit mit der
Technik und diese Perspektive ist nur begrenzt teilbar. Jeder Analyse von Nutzungsprozessen sollte
eine Strukturierung des Nutzungsprozesses ausgehend von Ereignissen zu Grunde liegen.
Im Eindruck der dargestellten Annahmen und Beispiele lassen sich für die Versuche mit der
Sprachsteuerung drei idealtypische Phasen der Nutzung beobachten. Die Einteilung in Phasen ori-
entiert sich dabei an der Antizipationsfähigkeit der Nutzer, welche in Abhängigkeit der erlebten
Ereignisse steht. Diese Phasen entsprechen nicht den Beispielen, orientieren sich aber an ihnen.
Die in 3.1 beschriebenen Ausschnitte von Eingaben aus der Anfangs- und Endphase von verschie-
denen Versuchsdurchläufen weisen große Differenzen im Sprachstil auf. Der Charakter der Sprache
als signifikante Geste erinnert anfangs stark an eine Anrede gegenüber einem Menschen. In späte-
ren Phasen wird in den Eingabebefehlen dagegen auf Grammatik und Höflichkeitsformeln verzich-
tet. Die These, dass die Versuchspersonen aufgrund von mangelnder Erfahrung mit der Sprachsteu-
erung zunächst auf signifikante Gesten aus der Mensch-Mensch Kommunikation zurückgreifen
liegt nahe, gerade weil sich der Sprachstil nach kurzer Zeit so stark verändert hat. Dieser Wandel
deutet darauf hin, dass das Sammeln eigener Erfahrungen mit der Technik den Rückgriff auf Erfah-
5 Eine mit der gerade erläuterten Gliederung vergleichbare Strukturierung findet sich – wenn auch nicht
explizit – in unterschiedlicher Literatur. In dem Aufsatz ‚Zwei Naturen sozialer Aktivität„ nimmt Roger
Häußling eine Einteilung einer Interaktivität anhand von Ereignissen vor. Häußling untersucht 180 ‚Ein-
zelkooperationen„ zwischen einem Serviceroboter und Versuchspersonen (Häußling, 2008, 728). Ein wei-
teres Beispiel für eine Datenanalyse, deren Muster ebenfalls durch Handlung und Reaktion der Technik
strukturiert ist, findet sich in ‚Sequenzen-Routinen-Positionen – Von der Interaktion zur Struktur„ von
(Hahne et. al., 2007).
-74-
rungen aus anderen Kontexten unnötig macht. Eine Nutzung, in der Eingaben an den Sprachge-
brauch aus anderen Kontexten erinnern, soll hier als die erste Phase bezeichnet werden.
Eine zweite Phase weist einen anderen Stil der Eingabe auf, da die Versuchspersonen bereits durch
ihr Handeln ausgelöste Ereignisse Gelegenheit hatten Erfahrungen zu sammeln und diese für die
Antizipation der Eigenschaften ihres technischen Gegenübers nutzen. Kennzeichnend für diese Pha-
se ist ein Verzicht auf Grammatik und Höflichkeitsformeln, die von den jeweiligen Versuchsperso-
nen als obsolet erkannt werden. Außerdem sind ein recht souveräner Umgang mit der Technik und
weniger Fehler als in Phase eins erkennbar. In dieser Phase liegt ausreichend viel Erfahrung vor, um
einen souveränen und eigenen Stil der Eingabe zu entwickeln.
Für eine dritte Phase im Umgang mit der Sprachsteuerungstechnik sind Unterbrechungen der
Sprachausgabe durch die Versuchspersonen charakteristisch und ein so sicherer Umgang mit Ein-
gabebefehlen, dass Abwandlungen und Neukombinationen erfolgreich ausprobiert werden. Die
Nutzung weist kreative Momente auf. Die dritte Phase kennzeichnet sich dadurch, dass die Kennt-
nisse der Versuchspersonen gegenüber der Technik so ausgebildet sind, dass a) das Feedback der
Eingabe, gemeint ist die Reaktion der Technik auf das Handeln, nicht mehr abgewartet werden
muss und b) mit einer bestimmten Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass Neukombinati-
onen von Eingaben Aussicht auf Erfolg haben.
Diese Phasen beziehen sich auf die Sprachsteuerungstechnik, es sollte dennoch möglich sein auch
die Interaktion mit anderen Typen von Technik mit Hilfe dieses Schemas einzuteilen.
Rammert klassifiziert Technik in fünf Kategorien (passiv, aktiv, reaktiv, interaktiv und transaktiv)
(vgl. Rammert, 2003, 295). Technik kann heute mit dem Begriff des Bewirkens nicht mehr ange-
messen beschrieben werden. Avancierte Technik besitzt Autonomie und Aktionsfähigkeit. Für jede
Analyse von Interaktivität mit Technik – ganz gleich welches Aktivitätsniveau dabei vorliegt – ist
es wünschenswert, diese Interaktivität mit den gleichen Begriffen beschreiben zu können. Meads
Begriffsapparat, der sehr große Ähnlichkeiten bei der Beschreibung von Dingumgang und mensch-
licher Interaktion aufweist, scheint deshalb besonders geeignet Begriffe und Erklärungen für die
Analyse von Interaktivität mit jedem Typ von Technik zu bieten. Die Stärke von Meads Begriffen
liegt ja gerade darin sowohl für den Umgang mit einfachen Dingen geeignet zu sein, als die Interak-
tion zwischen Menschen und in Gruppen erklärbar zu machen. Auch wenn Mead von Nico Lüdtke
für seinen mangelhaften Subjektbegriff kritisiert wird, bietet er dennoch für das Verständnis von
Interaktion mit Technik jeden Aktivitätsniveaus einen Begriffsapparat (vgl. Lüdtke, 2007). Das ist
gerade in Hinsicht auf Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz und Biotechnologie
interessant.
5 Fazit
Die vorliegende Argumentation basiert auf Grundsätzen aus Meads pragmatistischem Verständnis
von Dingumgang und Dingkonstitution: 1) Das Prinzip der Rollenübernahme oder Antizipation hat
auch im Umgang mit unbelebten Objekten Gültigkeit. 2) Eine Gleichzeitigkeitserfahrung bildet die
Grundlage für den Umgang mit Dingen und Technik. 3) Umwelt und Selbst sind ausschließlich
durch Handlung erfahrbar.
Ein Bezug dieser Annahmen auf einige kurze Ausschnitte einer Interaktion von verschiedenen Ver-
suchspersonen mit einer Sprachsteuerungstechnik ließ drei Phänomene erkennbar werden: Bei ei-
nem Erstkontakt mit der Technik greifen die Versuchspersonen aufgrund von mangelnder Gleich-
zeitigkeitserfahrung scheinbar auf Erfahrungen aus anderen, in diesem Fall sozialen Kontexten
zurück. Das zweite und dritte Beispiel machen deutlich, dass mit einiger Erfahrung aufschlussge-
bende Reaktionen der Technik nicht mehr abgewartet werden bzw. erfolgreiche Befehle kreativ
-75-
verändert werden. Die Versuchspersonen hatten Gelegenheit Gleichzeitigkeitserfahrungen zu sam-
meln und wenden diese im Umgang mit der Sprachsteuerungstechnik an.
Diese Beispiele bilden die Grundlage für Idealtypische Phasen der Nutzung von Technik. Die Pha-
sen sind jeweils abhängig davon inwieweit es dem Akteur möglich ist die Eigenschaften der Tech-
nik zu antizipieren. In der ersten Phase hatten die Akteure keine Gelegenheit aus Ereignissen
Schlüsse auf die Eigenschaften der Technik zu ziehen, sie greifen deshalb auf Erfahrungen aus an-
deren Kontexten zurück. In der zweiten Phase verfügen die Akteure über Erfahrungen, die Eigen-
schaften der Technik sind soweit bekannt, dass eine instrumentelle Nutzung der Technik möglich
ist. Merkmal der dritten Phase ist eine so reichhaltige Erfahrung mit der Technik und daraus resul-
tierende Kenntnisse, dass ein kreativer Umgang mit der Technik möglich ist und Ereignisse, welche
dem Akteur Aufschluss bieten, nicht mehr abgewartet werden, da der Akteur die Reaktion der
Technik schon kennt.
Ein Kritikpunkt an dieser Argumentation ist die implizite Übertragung des Gleichzeitigkeitsbegriffs
von Auge und Hand auf andere Sinnesorgane. Im Falle der Sprachsteuerung auf Auge und Ohr. In
diesem Punkt ist weitere Forschung nötig, auch um den vielen unterschiedlichen Bedienungs-
konzepten moderner Technik gerecht zu werden.
Die Stärken der vorgestellten Argumente liegen sicher darin mit Meads breitem Verständnis Tech-
nik aller Aktivitätsniveaus unter einen ‚begrifflichen Hut„ zu bringen. Auf der anderen Seite macht
eine pragmatistische Perspektive deutlich, dass eine Analyse von Technik ohne ihr Komplementär,
den Mensch, wenig Erkenntnis verspricht. Mensch-Technik Interaktivität – und hiermit ist jede
Benutzung von Technik eingeschlossen – kann nur sinnvoll analysiert werden, wenn die Subjektivi-
tät der Akteure als konstituierendes Element Eingang in die Analyse findet. Dieser Grundsatz sollte
für alle Technikwissenschaften von Bedeutung sein.
Literatur
Gehlen, Arnold (1997) [1940]: Der Mensch – Seine Natur und seine Stellung in der Welt. Quelle und Meyer,
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Häußling, Roger (2008): Die zwei Naturen sozialer Aktivität – Relationalistische Betrachtung aktueller
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gress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Campus Verlag, Frankfurt am Main, New York. S.
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Lüdtke, Nico (2007): Lässt sich das Problem der Intersubjektivität mit Mead lösen? – Zu aktuellen Fragen der
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Band 58. TUD Press, Dresden.
Strübing, Jörg (2005): Pragmatische Wissenschafts- und Technikforschung: Theorie und Methode. Campus
Verlag, Frankfurt am Main.
-77-
Autorenverzeichnis
Jana Ballenthien
Arbeit-Gender-Technik, Technische Universität Hamburg-Harburg
Juliane Böhme
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
Corinne Büching
Digital Media in Education (dimeb), Universität Bremen
Tanja Carstensen
Arbeit-Gender-Technik, Technische Universität Hamburg-Harburg
Diego Compagna
Institut für Soziologie, Universität Duisburg-Essen
Julia Walter-Herrmann
Digital Media in Education (dimeb), Universität Bremen
Valentin Janda
Institut für Soziologie, Technische Universität Berlin
Claudia Muhl
Cognitive Interaction Technology Center of Excellence (CITEC), Universität Bielefeld
-78-
Heidi Schelhowe
Digital Media in Education (dimeb), Universität Bremen
Julian Stubbe
Graduiertenkolleg Innovationsgesellschaft heute, Institut für Soziologie,
Technische Universität Berlin
Mandy Töppel
Zentrum Technik und Gesellschaft, Technische Universität Berlin
Rebecca Wiczorek
Graduiertenkolleg prometei, Zentrum Mensch-Maschine-Systeme, Technische Universität Berlin
-79-
In der Reihe „Working Papers“ sind bisher erschienen:
2/2012 Julian Stubbe
Mandy Töppel (Hrsg.)
Muster und Verläufe der Mensch-Technik-Interaktivität
Band zum gleichnamigen Workshop am 17./18. Juni 2011 in Berlin
TUTS-WP-2-2012
1/2012 Jochen Gläser How does Governance change research content?
On the possibility of a sociological middle-range theory linking science
policy studies to the sociology of scientific knowledge*
TUTS-WP-1-2012
6/2011 Anna Henkel Die Dinge der Gesellschaft
Erste Überlegungen zu einer Gesellschaftstheorie der Dinglichkeit
Bestell-Nr.: TUTS-WP-6-2011
5/2011 Jörg Potthast Soziologie der Kritik und Technik im Alltag
Bestell-Nr.: TUTS-WP-5-2011
4/2011 Michael Hutter
Hubert Knoblauch
Werner Rammert
Arnold Windeler
Innovationsgesellschaft heute: Die reflexive Herstellung des Neuen
Bestell-Nr.: TUTS-WP-4-2011
3/2011 Werner Rammert Distributed Agency and Advanced Technology
Or: How to Analyse Constellations of Collective Inter-Agency
Bestell-Nr.: TUTS-WP-3-2011
2/2011 Jessica Stock Eine Maschine wird Mensch?
Von der Notwendigkeit, Technik als integralen Bestandteil sozialer Praktiken
zu akzeptieren – Ein Theorie-Report.
Bestell-Nr.: TUTS-WP-2-2011
1/2011 Jörg Potthast Wetterkarten, Netzwerkdiagramme und Stammbäume: Innovationskul-
turanalyse in Kalifornien.
Bestell-Nr.: TUTS-WP-1-2011
3/2010 Michael Hahne Aktivitätstheorie. Vorstellung zentraler Konzepte und Einordnung in die per-
spektivistische Theorievorstellung.
Bestell-Nr.: TUTS-WP-3-2010
-80-
2/2010 Werner Rammert Die Innovationen der Gesellschaft
Bestell-Nr.: TUTS-WP-2-2010
1/2010 Jörg Potthast Following passengers/locating access
On recent attempts to disrupt terrorist travel (by air)
Bestell-Nr.: TUTS-WP-1-2010
2/2009 Cornelius Schubert Medizinisches Körperwissen als zirkulierende Referenzen zwischen Körper
und Technik
Bestell-Nr.: TUTS-WP-2-2009
1/2009 Werner Rammert Die Pragmatik des technischen Wissens oder:
„How to do Words with things“
Bestell-Nr.: TUTS-WP-1-2009
5/2008 Michael Hahne
Corinna Jung
Über die Entstehungsbedingungen von technisch unterstützten Ge-
meinschaften
Bestell-Nr.: TUTS-WP-5-2008
4/2008 Werner Rammert Where the action is: Distributed agency between humans,
machines, and programs
Bestell-Nr.: TUTS-WP-4-2008
3/2008 Ingo Schulz-Schaeffer Technik als Gegenstand der Soziologie
Bestell-Nr.: TUTS-WP-3-2008
2/2008 Holger Braun-
Thürmann
Die Ökonomie der Wissenschaften und ihre Spin-offs
Bestell-Nr.: TUTS-WP-2-2008
1/2008 Werner Rammert Technik und Innovation
Bestell-Nr.: TUTS-WP-1-2008
8/2007 Jörg Potthast Die Bodenhaftung der Flugsicherung
Bestell-Nr.: TUTS-WP-8-2007
7/2007 Kirstin Lenzen Die innovationsbiographische Rekonstruktion technischer Identitäten am
Beispiel der Augmented Reality-Technologie.
Bestell-Nr.: TUTS-WP-7-2007
-81-
6/2007 Michael Hahne
Martin Meister
Renate Lieb
Peter Biniok
Sequenzen-Routinen-Positionen – Von der Interaktion zur Struktur. Anlage
und Ergebnisse des zweiten Interaktivitätsexperimentes des INKA-Projektes.
Bestell-Nr.: TUTS-WP-6-2007
5/2007 Nico Lüdtke Lässt sich das Problem der Intersubjektivität mit Mead lösen? – Zu aktuellen
Fragen der Sozialtheorie
Bestell-Nr. TUTS-WP-5-2007
4/2007 Werner Rammert Die Techniken der Gesellschaft: in Aktion, in Interaktivität und hybri-den
Konstellationen.
Bestell-Nr. TUTS-WP-4-2007
3/2007 Ingo Schulz-Schaeffer Technik als sozialer Akteur und als soziale Institution.
Sozialität von Technik statt Postsozialität
Bestell-Nr. TUTS-WP-3-2007
2/2007 Cornelius Schubert Technology Roadmapping in der Halbleiterindustrie
Bestell-Nr. TUTS-WP-2-2007
1/2007 Werner Rammert Technografie trifft Theorie: Forschungsperspektiven einer
Soziologie der Technik
Bestell-Nr. TUTS-WP-1-2007
4/2006 Esther Ruiz Ben Timing Expertise in Software Development Environments
Bestell-Nr. TUTS-WP-4-2006
3/2006 Werner Rammert Technik, Handeln und Sozialstruktur: Eine Einführung in die Soziolo-gie der
Technik
Bestell-Nr. TUTS-WP-3-2006
2/2006 Alexander Peine Technological Paradigms Revisited – How They Contribute to the Under-
standing of Open Systems of Technology
Bestell-Nr. TUTS-WP-2-2006
1/2006 Michael Hahne Identität durch Technik: Wie soziale Identität und Gruppenidentität im sozio-
technischen Ensemble von Ego-Shooterclans entstehen
Bestell-Nr. TUTS-WP-1-2006
-82-
7/2005 Peter Biniok Kooperationsnetz Nanotechnologie – Verkörperung eines neuen Inno-
vationsregimes?
Bestell-Nr. TUTS-WP-7-2005
6/2005 Uli Meyer
Cornelius Schubert
Die Konstitution technologischer Pfade.
Überlegungen jenseits der Dichotomie von Pfadabhängigkeit und Pfadkreation
Bestell-Nr. TUTS-WP-6-2005
5/2005 Gesa Lindemann Beobachtung der Hirnforschung
Bestell-Nr. TUTS-WP-5-2005
4/2005 Gesa Lindemann Verstehen und Erklären bei Helmuth Plessner
Bestell-Nr. TUTS-WP-4-2005
3/2005 Daniela Manger Entstehung und Funktionsweise eines regionalen Innovationsnetzwerks – Eine
Fallstudienanalyse
Bestell-Nr. TUTS-WP-3-2005
2/2005 Estrid Sørensen Fluid design as technology in practice – Spatial description of online 3D vir-
tual environment in primary school
Bestell-Nr. TUTS-WP-2-2005
1/2005 Uli Meyer
Ingo Schulz-Schaeffer
Drei Formen interpretativer Flexibilität
Bestell-Nr. TUTS-WP-1-2005
3/2004 Werner Rammert Two Styles of Knowing and Knowledge Regimes: Between „Explicitation‟
and „Exploration‟ under Conditions of „Functional Specialization‟ or „Frag-
mental Distribution‟
Bestell-Nr. TUTS-WP-3-2004
2/2004 Jörg Sydow
Arnold Windeler
Guido Möllering
Path-Creating Networks in the Field of Text Generation
Lithography: Outline of a Research Project
Bestell-Nr. TUTS-WP-2-2004
1/2004 Corinna Jung Die Erweiterung der Mensch-Prothesen-Konstellation.
Eine technografische Analyse zur ‚intelligenten‟ Beinprothese
Bestell-Nr. TUTS-WP-1-2004
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10/2003 Cornelius Schubert Patient safety and the practice of anaesthesia: how hybrid networks of cooper-
ation live and breathe
Bestell-Nr. TUTS-WP-10-2003
9/2003 Holger Braun-
Thürmann
Christin Leube
Katharina Fichtenau
Steffen Motzkus
Saskia Wessäly
Wissen in (Inter-)Aktion - eine technografische Studie
Bestell-Nr. TUTS-WP-9-2003
8/2003 Eric Lettkemann
Martin Meister
Vom Flugabwehrgeschütz zum niedlichen Roboter. Zum Wandel des Koope-
ration stiftenden Universalismus der Kybernetik
Bestell-Nr. TUTS-WP-8-2003
7/2003 Klaus Scheuermann
Renate Gerstl
Das Zusammenspiel von Multiagentensystem und Mensch bei der Terminko-
ordination im Krankenhaus: Ergebnisse der Simulationsstu-die ChariTime
Bestell-Nr. TUTS-WP-7-2003
6/2003 Martin Meister
Diemo Urbig
Kay Schröter
Renate Gerstl
Agents Enacting Social Roles. Balancing Formal Structure and Practical Ra-
tionality in MAS Design
Bestell-Nr. TUTS-WP-6-2003
5/2003 Roger Häußling Perspektiven und Grenzen der empirischen
Netzwerkanalyse für die Innovationsforschung am Fallbeispiel der Konsum-
güterindustrie
Bestell-Nr. TUTS-WP-5-2003
4/2003 Werner Rammert Die Zukunft der künstlichen Intelligenz:
verkörpert – verteilt – hybrid
Bestell-Nr. TUTS-WP-4-2003
3/2003 Regula Burri Digitalisieren, disziplinieren. Soziotechnische Anatomie und die Kon-stitution
des Körpers in medizinischen Bildgebungsverfahren
Bestell-Nr. TUTS-WP-3-2003
2/2003 Werner Rammert Technik in Aktion:
Verteiltes Handeln in soziotechnischen Konstellationen
Bestell-Nr. TUTS-WP-2-2003
-84-
1/2003 Renate Gerstl
Alexander Hanft
Sebastian Müller
Michael Hahne
Martin Meister
Dagmar Monett Diaz
Modellierung der praktischen Rolle in Verhandlungen
mit einem erweiterten Verfahren des fallbasierten
Schließens
Bestell-Nr. TUTS-WP-1-2003
9/2002 Werner Rammert Gestörter Blickwechsel durch Videoüberwachung?
Ambivalenzen und Asymmetrien soziotechnischer Beobachtungsord-nungen
Bestell-Nr. TUTS-WP-9-2002
8/2002 Werner Rammert Zwei Paradoxien einer Wissenspolitik: Die Verknüpfung heterogenen und die
Verwertung impliziten Wissens
Bestell-Nr. TUTS-WP-8-2002
6/2002 Martin Meister
Diemo Urbig
Renate Gerstl
Eric Lettkemann
Alexander Ostherenko
Kay Schröter
Die Modellierung praktischer Rollen für
Verhandlungssysteme in Organisationen. Wie die Komplexität von Multi-
agentensystemen durch Rollenkonzeptionen erhöht werden kann
Bestell-Nr. TUTS-WP-6-2002
5/2002 Cornelius Schubert Making interaction and interactivity visible.
On the practical and analytical uses of audiovisual
recordings in high-tech and high-risk work situations
Bestell-Nr. TUTS-WP-5-2002
4/2002 Werner Rammert
Ingo Schulz-Schaeffer
Technik und Handeln - Wenn soziales Handeln sich auf
menschliches Verhalten und technische Artefakte ver-teilt.
Bestell-Nr. TUTS-WP-4-2002
3/2002 Werner Rammert Technik als verteilte Aktion. Wie technisches Wirken als Agentur in hybriden
Aktionszusammenhängen gedeutet werden kann.
Bestell-Nr.: TUTS-WP-3-2002
2/2002 Werner Rammert Die technische Konstruktion als Teil der gesellschaftlichen Konstruk-tion der
Wirklichkeit
Bestell-Nr. TUTS-WP-2-2002
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1/2002 Werner Rammert The Governance of Knowledge Limited: The rising relevance of non-explicit
knowledge under a new regime of distributed knowledge production
Bestell-Nr. TUTS-WP-1-2002
2/2001 Ingo Schulz-Schaeffer Technikbezogene Konzeptübertragungen und das Problem der Prob-
lemähnlichkeit. Der Rekurs der
Multiagentensystem-Forschung auf Mechanismen
sozialer Koordination
Bestell-Nr. TUTS-WP-2-2001
1/2001 Werner Rammert The Cultural Shaping of Technologies and the Politics
of Technodiversity
Bestell-Nr. TUTS-WP-1-2001
10/2000 Frank Janning
Klaus Scheuermann
Cornelius Schubert
Multiagentensysteme im Krankenhaus. Sozionische
Gestaltung hybrider Zusammenhänge
Bestell-Nr. TUTS-WP-10-2000
9/2000 Holger Braun Formen und Verfahren der Interaktivität – Soziologische Analysen einer
Technik im Entwicklungsstadium.
Bestell-Nr. TUTS-WP-9-2000
8/2000 Werner Rammert Nichtexplizites Wissen in Soziologie und Sozionik. Ein kursorischer Über-
blick
Bestell-Nr. TUTS-WP-8-2000
7/2000 Werner Rammert Ritardando and Accelerando in Reflexive Innovation, or How Networks Syn-
chronise the Tempi of
Technological Innovation
Bestell-Nr. TUTS-WP-7-2000
5/2000 Jerold Hage
Roger Hollingsworth
Werner Rammert
A Strategy for Analysis of Idea Innovation, Networks and Institutions Nation-
al Systems of Innovation, Idea Innovation Networks, and Comparative Inno-
vation Biographies
Bestell-Nr. TUTS-WP-5-2000
4/2000 Holger Braun Soziologie der Hybriden. Über die Handlungsfähigkeit
von technischen Agenten
Bestell-Nr. TUTS-WP-4-2000
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3/2000 Ingo Schulz-Schaeffer Enrolling Software Agents in Human Organizations.
The Exploration of Hybrid Organizations within the Socionics Research Pro-
gram
Bestell-Nr. TUTS-WP-3-2000
2/2000 Klaus Scheuermann Menschliche und technische ‚Agency„: Soziologische
Einschätzungen der Möglichkeiten und Grenzen künstlicher Intelligenz im
Bereich der Multi-agentensysteme
Bestell-Nr. TUTS-WP-2-2000
1/2000 Hans-Dieter Burkhard
Werner Rammert
Integration kooperationsfähiger Agenten in komplexen Organisationen. Mög-
lichkeiten und Grenzen der Gestaltung hybrider offener Systeme
Bestell-Nr. TUTS-WP-1-2000
1/1999 Werner Rammert Technik Stichwort für eine Enzyklopädie
Bestell-Nr. TUTS-WP-1-1999