Gute Aufgaben Gerd Walther G1 Mathematik Modulbeschreibungen des Programms SINUS-Transfer Grundschule
Gute Aufgaben
Gerd Walther
G1Mathematik
Modulbeschreibungen des Program
ms SIN
US-Transfer G
rundschule
Inhaltsverzeichnis
1 Zur Einstimmung ............................................................................................................................. 12 Funktionen von Aufgaben ................................................................................................................ 33 Prozessbezogene Kompetenzen als Perspektive von Qualitätsentwicklung .................................... 64 Qualität von Aufgaben ................................................................................................................... 105 Beispiele für gute und andere Aufgaben: Aufgabenanalyse .......................................................... 116 Rückblick und Agenda: Etwas aus Aufgaben machen, gute Aufgaben als variable Objekte des Unterrichts ...................................................................... 22
6.1 Rückblick ............................................................................................................................... 226.1 Agenda ................................................................................................................................... 246.3 Fragmente zum Schwerpunkt Aufgabenvariation, Aufgabenweiterentwicklung .................. 28
7 Statt einer Zusammenfassung: Vorschlag für ein Unterrichtsbeispiel ........................................... 40Literatur .............................................................................................................................................. 45Anhänge 1 und 2
Impressum
Gerd WaltherGute Aufgaben
Publikation des Programms SINUS-Transfer GrundschuleProgrammträger: Leibniz-Institut für die
Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) an der Universität KielOlshausenstraße 6224098 Kielwww.sinus-an-grundschulen.de© IPN, September 2004
Projektleitung: Prof. Dr. Manfred PrenzelProjektkoordination: Dr. Claudia FischerRedaktion u. Realisation dieser Publikation: Dr. Kirstin LobemeierKontaktadresse: [email protected]
ISBN: 978-3-89088-180-5
Nutzungsbedingungen
Das Kieler Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissen-schaften und Mathematik (IPN) gewährt als Träger der SINUS-Pro-gramme ein nicht exklusives, nicht übertragbares, persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung dieses Dokuments. Dieses Doku-ment ist ausschließlich für den persönlichen, nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt. Die Nutzung stellt keine Übertragung des Ei-gentumsrechts an diesem Dokument dar und gilt vorbehaltlich der folgenden Einschränkungen: Auf sämtlichen Kopien dieses Doku-ments müssen alle Urheberrechtshinweise und sonstigen Hinweise auf gesetzlichen Schutz beibehalten werden. Sie dürfen dieses Do-kument nicht in irgendeiner Weise abändern, noch dürfen Sie dieses Dokument für öffentliche oder kommerzielle Zwecke vervielfälti-gen, vertreiben oder anderweitig nutzen.Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungs-bedingungen an.Trotz sorgfältiger Nachforschungen konnten nicht alle Rechtein-haber der in den SINUS-Materialien verwendeten Abbildungen er-mittelt werden. Betroffene Rechteinhaber wenden sich bitte an den Programmträger (Adresse nebenstehend).
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Gerd Walther
Modul 1: Gute und andere Aufgaben (Arbeitsversion)
1 Zur Einstimmung
Die folgende Aufgabe ist einem Schulbuch1 für die 4. Klasse entnommen:
Eine mögliche Antwort auf die obige Frage könnte schlicht lauten: „Das kommt darauf an.“
Stellen Sie sich bitte folgendes Szenario vor: Ein Mathematiklehrer2 lässt seine Viertklässler
die Aufgabe in der Weise bearbeiten, dass sie nur die jeweiligen Teilergebnisse eines Aufga-
benpärchens berechnen und diese addieren – mehr verlangt auch der Aufgabentext nicht. Spä-
testens nach dem Vergleich der Summen und der Durchführung etwaiger Korrekturen schließt
er die Bearbeitung der Aufgabe ab.
Bei diesem Umgang mit der Aufgabe steht offenbar die Entwicklung bzw. Festigung von ma-
thematischem Grundwissen und mathematischen Fertigkeiten/Verfahren, also sog. Inhaltli-
chen mathematischen Kompetenzen3 im Vordergrund.
Wie Sie in diesem Text noch erfahren werden, würde bei dieser Zielsetzung und der entspre-
chenden Aufgabenbearbeitung im Unterricht die Aufgabe in dem im Weiteren noch näher zu
erläuternden Sinn, d.h. in Bezug auf einen noch festzusetzenden Qualitätsrahmen, nicht als
1 Wenn im vorliegenden Text Aufgaben aus Schulbüchern genommen sind, so ist dies mit der Angabe der ent-sprechende Klassenstufe vermerkt. Wir verzichten aber auf die Quellenangabe, damit punktuelle Kritik (oder Lob), z.B. an einer Aufgabe des Buchs nicht von Lesern dieses Textes vorschnell und pauschal auf das gesamte Schulbuch (-werk) übertragen wird. 2 Bei Personenbezeichnungen werden aus Gründen der besseren Lesbarkeit im Text keine geschlechtsspezifi-schen Unterscheidungen vorgenommen. „Lehrer“, „Schüler“ beinhalten sowohl männliche als auch weibliche Vertreter dieser Gruppen. 3 Vgl. Beschlüsse der Kultusministerkonferenz. Bildungsstandards im Fach Mathematik (Jahrgangsstufe 4). Entwurf (Stand: 23.04.04); im vorliegenden Text kurz Bildungsstandards genannt (vgl. Anhang 1). Die Bil-dungsstandards sprechen hier von inhaltsbezogenen mathematischen Kompetenzen.
Beantworten Sie bitte, bevor Sie weiterlesen die folgende Fra-ge: Würden Sie diese Aufgabe als eine gute Aufgabe bezeich-nen? Geben Sie bitte Gründe für Ihre Einschätzung an.
2
gute Aufgabe sondern, wie wir später sagen werden, als andere Aufgabe eingestuft werden.
Im Hinblick auf andere Zielvorstellungen, wenn es etwa primär um die Entwicklung bzw.
Festigung inhaltlicher mathematischer Kompetenzen ginge, könnte jedoch die Aufgabe bzw.
das, was aus ihr im Unterricht „gemacht“ wird, das Prädikat „gute Aufgabe“ erhalten. Aufga-
ben, das zeigt diese erste Betrachtung bereits, sind hinsichtlich ihrer Beurteilung unter Quali-
tätsgesichtspunkten vielfach ambivalent. Diese Ambivalenz sollten Lehrkräfte nicht als Quel-
le möglicher Irritationen, sondern vielmehr konstruktiv, als Chance zu einem flexiblen Um-
gang mit Aufgaben verstehen.
Unter diesem Aspekt wäre es schade, wenn zum Beispiel die obige Aufgabe nach ihrer ersten
Einschätzung als andere Aufgabe „abgehakt“ und ad acta gelegt werden würde. Wie Sie noch
sehen werden, steckt in dieser Aufgabe nämlich neben der Möglichkeit zur Entwicklung und
Festigung von inhaltlichen Kompetenzen weiteres, in dem eben skizzierten Szenario nicht
genutztes Potential zur Entwicklung und Festigung auch von sog. prozessbezogenen Kompe-
tenzen4.
Mathematiklernen in der Grundschule darf nach heutiger Auffassung nicht auf die Aneignung
von inhaltlichen Kompetenzen, also Kenntnisse und Fertigkeiten reduziert werden. In Verbin-
dung mit der Entwicklung und Festigung inhaltlicher Kompetenzen kommt der Entwicklung
prozessbezogener Kompetenzen, wie zum Beispiel der Fähigkeit, selbstständig oder gemein-
sam mit anderen mathematische Probleme oder außermathematische Probleme mit Hilfe von
Mathematik zu lösen, Situationen experimentierend zu erforschen, Beziehungen und Struktu-
ren zu entdecken, Sachverhalte zu beschreiben und zu begründen, eine große Bedeutung zu.
Beide Kompetenzbereiche gehören zusammen und sollten im Mathematikunterricht der
Grundschule gleichermaßen gefördert werden. Die Fokussierung in diesem Modul auf die
Entwicklung und Festigung prozessbezogener Kompetenzen durch Aufgaben gründet sich
darauf, dass sich in der Vergangenheit der Mathematikunterricht wohl eher auf inhaltliche
Kompetenzen konzentriert hat.
Sie werden in diesem Text unter anderem am Beispiel der obigen Aufgabe erfahren, wie Sie,
vielleicht auch zusammen mit Ihren Schülern, daraus eine gute Aufgabe machen können. Da-
bei wird es vor allem darauf ankommen, das in der Aufgabe „steckende“ Potential zur Ent-
4 Die Bildungsstandards sprechen hier von allgemeinen mathematischen Kompetenzen.
3
wicklung und Festigung von prozessbezogenen Kompetenzen zu erkennen und für das Lernen
der Schüler nutzbar zu machen.
Aktivität 1. Wie würden Sie die obige Aufgabe „verbessern“?
Halten wir fürs erste fest:
Aufgaben an sich sind nicht in einem absoluten Sinn gut; um von guten Aufgaben reden
zu können bedarf es eines Qualitätsmaßstabes,
der Qualitätsmaßstab wird sich an Kompetenzen orientieren, welche bei den Schülern
entwickelt bzw. gefestigt werden sollen,
die Qualität einer Aufgabe ist in der Regel nicht bereits durch ihren Aufgabentext fest-
gelegt, sondern wird durch den Umgang des Lehrers und der Schüler mit der Aufgabe
mit bestimmt.
2 Funktionen von Aufgaben
Der berufliche Alltag von Mathematiklehrern und der Lern-Alltag von Schülern wird wesent-
lich durch den Umgang mit Aufgaben geprägt. Aufgaben werden präsentiert
in schriftlicher Form (z. B. durch Texte, Bilder, Diagramme in Schulbüchern, Ar-
beitsblättern, auf dem Bildschirm),
in mündlicher Form (z. B. während des Unterrichtsgesprächs).
Mündlich gestellte Aufgaben können explizit im üblichen, d. h. auch in der schriftlichen Form
verwendeten Aufgabenformat formuliert werden, z. B. beim Kopfrechnen oder der Kopfgeo-
metrie. Häufig sind mündliche Aufgabenstellungen in ein Unterrichtsgespräch in Verbindung
mit der gemeinsamen Bearbeitung einer Aufgabe eingebettet: Susi stellt an der Tafel ihre
Aufgabenlösung vor und gerät ins Stocken. Mit der Frage der Lehrerin „Wer hilft weiter?“
wird den anderen Kindern implizit die Aufgabe gestellt, Susis Lösungsansatz aufzugreifen
ggf. zu korrigieren und zu Ende zu bringen. Das Angebot eines Schülers „Ich hab das anders
gerechnet“ dürfte in diesem Kontext wohl kaum zum Zuge kommen.
Aufgaben sind sowohl aus Lehrer - als auch Schülerperspektive mit vielfältigen Tätigkeiten
und Bezügen verbunden.
4
Lehrer
wählen Aufgaben für den Unterricht aus,
bereiten Aufgaben vor,
stellen didaktisches Material für die Aufgabenbearbeitung bereit,
stellen - vielfach spontan - Aufgaben in mündlicher Form,
beraten Schüler bei der Bearbeitung von Aufgaben,
überprüfen und werten mündliche oder schriftliche Lösungen und Lösungswege,
führen verschiedene Lösungsfragmente von Schülern zusammen,
bewerten Aufgabenlösungen von Schülern, usw.
Schüler
versuchen, Aufgaben zu lösen,
versuchen, Lösungen anderer Schüler zu verstehen (oder „einfach“ zu übernehmen),
schätzen Aufgaben nach ihrer Lösungschance ein,
bearbeiten allein oder gemeinsam mit anderen (im Unterricht oder zu Hause) Aufga-
ben,
bitten um Unterstützung bei der Aufgabenbearbeitung,
stellen emotionale Bezüge zu Aufgaben und zur Aufgabenbearbeitung her (z. B.:
„interessant/langweilig“, „mache ich gern/ungern“), usw.
Es wird sich zeigen, dass der prozessbezogene Umgang mit Aufgaben, um den es in diesem
Text geht, Bezüge zu fast allen dieser Punkte aufweist.
Wenn wir im Folgenden von „Aufgaben“ sprechen, so sind damit fachbezogene Anforderun-
gen an Schüler im Kontext von Fachunterricht, hier: Mathematikunterricht, gemeint mit der
Intention, Lernprozesse in Gang zu setzen oder Lernergebnisse zu überprüfen. In diesem Sin-
ne zählen dann auch mathematische Anforderungen, die in „Hausaufgaben“ gestellt werden
zu dem hier verwendeten Konzept von Aufgabe, nicht aber z. B. die „Aufgabe“ an einen
Schüler, in der nächsten Woche den Tafeldienst zu übernehmen.
5
Mit Blick auf die Schüler erfüllen Aufgaben im Mathematikunterricht somit zwei grundle-
gende didaktische Funktionen:
1. Durch die individuelle oder gemeinsame Bearbeitung von Aufgaben sollen bei den
Schülern Lernprozesse zur Entwicklung und Konsolidierung von Kompetenzen ange-
stoßen werden.
2. Mit Aufgaben soll der Leistungsstand der Schüler, d. h. ihre durch Lernen erreichten
Kompetenzen festgestellt werden.
Mit Blick auf den Mathematikunterricht erhofft man sich von Aufgaben noch weitere Funkti-
onen:
3. Gute Aufgaben können als Instrument der Qualitätsentwicklung von Mathematikun-
terricht dienen5. Insbesondere kann über das Vehikel „Aufgaben“ das kollegiale Ge-
spräch über Mathematikunterricht (Konzeption, Qualität etc.) zwischen Lehrern in
Gang gesetzt werden.
4. In der aktuellen Diskussion über Bildungsstandards dienen Aufgabenbeispiele als
normatives Instrument der Qualitätssicherung dazu, das Wesentliche dieser Bildungs-
standards an Aufgaben exemplarisch zu verdeutlichen. Gleichzeitig sollen Lehrer da-
für sensibilisiert werden zu erkennen, dass in Aufgaben „dieses Typs“ das Potenzial
zur Entwicklung von Kompetenzen steckt, wie sie die Bildungsstandards fordern.
Gerade die beiden letzten Punkte bilden gewissermaßen das Rückgrat dieses Moduls. Allge-
meines Ziel des Projekts SINUS-Transfer Grundschule ist letzten Endes die weitere Qualitäts-
entwicklung von Mathematikunterricht. Aufgaben sind ein Instrument in diesem Prozess.
Aufgaben, die sich hierfür in besonderer Weise eignen, nennen wir „gute“ Aufgaben. Um eine
nähere inhaltliche Vorstellung von solchen Aufgaben zu bekommen, muss etwas über Quali-
tätsentwicklung von Mathematikunterricht in der Grundschule gesagt werden. Hierzu gibt es
in der Literatur vielfältige Vorstellungen. Wir werden uns hier auf einen, durchaus traditionel-
len Bereich beschränken, nämlich Qualitätsentwicklung von Mathematikunterricht im Sinne
5 Vgl. hierzu Leuders, T.: Qualität im Mathematikunterricht der Sekundarstufe I und II. Cornelsen Verlag, Berlin 2001. Manches von dem, was Leuders über Aufgaben allgemein und Aufgaben als Instrument der Qualitätssi-cherung ausführt, lässt sich auch auf die Grundschule übertragen.
6
einer bewussteren Entwicklung prozessbezogener Kompetenzen bei Schülern im Unterricht.
Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, dass der Blick auf Aufgaben unter dem Gesichtspunkt
einer Entwicklung von prozessbezogenen Kompetenzen im Unterricht nur eine unter einer
Vielzahl von Möglichkeiten ist6.
Lehrer, so hatten wir festgestellt, gehen tagtäglich in ihrem Mathematikunterricht mit Aufga-
ben um. Sie sind gewissermaßen Experten für Aufgaben. Daher kann es nur Ziel dieses Ba-
sisbeitrages zum Modul „Gute Aufgaben“ sein, vor dem Hintergrund der reichhaltigen Erfah-
rungen, die Lehrer zum Thema Aufgaben besitzen, die Aufmerksamkeit auf einige wichtige,
mit der Entwicklung von prozessbezogenen Kompetenzen verknüpften Aspekte beim Um-
gang mit Aufgaben zu lenken.
Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Thematik Aufgaben und prozessbezogene
Kompetenzen mit dem Ziel, Ihren eigenen Mathematikunterricht davon profitieren zu lassen,
ist es unerlässlich, selbst aktiv zu werden. Als Anregung hierzu sind die in den Text einge-
streuten Aktivitäten, also Aufgaben für Sie, gedacht. Diese Aktivitäten sollen überdies als An-
lässe für Diskussion, Ideen- und Materialentwicklung mit Kollegen dienen.
3 Prozessbezogene Kompetenzen als Perspektive von Qualitäts-
entwicklung
Richten wir zur Einordnung dieses Gedankens zunächst den Blick zurück. Mit seinem grund-
legenden Aufsatz zu einem Sammelband „Beiträge zum Lernzielproblem“ hat Heinrich Win-
ter vor gut 30 Jahren den entscheidenden Impuls für eine zeitgemäße, breite und nachhaltige
Diskussion über Allgemeine Ziele des Mathematikunterrichts gegeben7. Obwohl sich Winters
damalige Überlegungen auf die Sekundarstufe I beziehen, hat sich sehr schnell ihre Frucht-
barkeit auch für die anderen Schulstufen, insbesondere die Grundschule, erwiesen. Unter „all-
gemeinen Lernzielen“ versteht Winter „Lernziele mittlerer Hierarchie, nämlich solche, die
zwar spezifisch sind (...) für den Mathematikunterricht als Ganzes, die aber andererseits nicht
6 Vgl. das anregende Buch von Ruwisch, S. und Peter-Koop, A.: Gute Aufgaben im Mathematikunterricht der Grundschule. Mildenberger Verlag, Offenburg 2003. 7 Winter, H.: Vorstellungen zur Entwicklung von Curricula für den Mathematikunterricht in der Gesamtschule. In: Beiträge zum Lernzielproblem. Eine Schriftenreihe des Kultusministers NRW, Henn Verlag, Ratingen 1972, S. 67 – 95.
7
an Einzelinhalte gebunden sind ...“. Das Ziel, dass „Der Schüler soll natürliche Zahlen mit der
Rundungsregel runden können“ ist ein Beispiel für ein an Einzelinhalte gebundenes Ziel.
Winter schlägt in diesem Beitrag die folgenden grundlegenden allgemeinen Ziele, als bei
Schülern „anzustrebende Verhaltensweisen“ vor:
Fähigkeit zum Mathematisieren, d.h. die Fähigkeit, eine inner- oder außermathemati-
sche Situation mit mathematischen Mitteln zu ordnen,
Kreativität, sowie
Argumentationsfähigkeit.
Statt von „anzustrebenden Haltungen“ bei den allgemeinen Lernzielen oder, diese in spezifi-
scher Weise ergänzend, von „anzustrebenden intellektuellen Grundfertigkeiten“ (z.B. Klassi-
fizieren, Ordnen, Formalisieren) zu sprechen, verwenden verschiedene Autoren heute Be-
zeichnungen, die deutlicher die Lernerseite betonen: kognitive Strategien8 bzw. prozessbezo-
gene Kompetenzen9 (in Anhang 1 sind aus den Bildungsstandards für die Grundschule der
dort benutzte Katalog prozessbezogener Kompetenzen wiedergegeben). Auch die Bezeich-
nung Allgemeine Lernziele ist noch in Gebrauch10.
Gewiss wird eine Reihe von Lesern bereits über mehr oder weniger differenzierte Vorstellun-
gen zu den drei genannten prozessbezogenen Kompetenzen verfügen. Um aber eine gemein-
same, inhaltlich ausdifferenzierte Verständigungs- und Arbeitsgrundlage herzustellen, gebe
ich im Folgenden (leicht verändert) die von Wittmann (vgl. Fußnote 8) vorgenommene Auf-
schlüsselung der oben genannten drei grundlegenden Kompetenzen (bzw. Kompetenzfelder)
in prozessbezogene (Teil-) Kompetenzen wieder. Diese Aufgliederung zeigt zudem, dass die
drei Kompetenzfelder Überschneidungen aufweisen.
Kompetenzen beschreiben das, was ein Lernender schließlich kann oder können sollte. Die
Entwicklung und Festigung von Kompetenzen erfolgt über bestimmte Aktivitäten/Tätigkeiten
des Lernenden. Die aufgeführten Unterpunkte können in diesem Sinne auch als Beschreibung
8 Wittmann, E. Ch.: Grundfragen des Mathematikunterrichts. Vieweg Verlag, Braunschweig 1981. In diesem Buch werden neben anderen Systemen von allgemeinen Lernzielen auch die Winterschen Vorschläge zu allge-meinen Lernzielen ausführlich erörtert. 9 Vgl. die Bildungsstandards im Fach Mathematik (Jahrgangsstufe 4). 10 Krauthausen, G.: Allgemeine Lernziele im Mathematikunterricht der Grundschule. In: Die Grundschulzeit-schrift 119/1998, S. 54 – 61.
8
von sog. prozessbezogenen Aktivitäten aufgefasst werden, welche die Entwicklung und Festi-
gung entsprechender Kompetenzen unterstützen.
I. Mathematisieren Der Schüler soll lernen, Situationen (mathematischer und besonders auch real-umweltlicher
Art) zu mathematisieren, das bedeutet:
1 Situation mit mathematischen Mitteln erfassen und darstellen
2 Daten gewinnen (Experimentieren, Zählen, Messen, Schätzen)
3 Strukturelle Zusammenhänge aufdecken und formulieren (m.a.W. Bildung einer
mathematischen Struktur bzw. – im Fall einer Realsituation – eines mathematischen
Modells
4 Sachrelevante Problemstellungen aufgreifen bzw. selbst finden
5 Daten im Hinblick auf Lösung der Probleme verarbeiten
6 Lösungen und Lösungswege situationsadäquat interpretieren, diskutieren und dar-
stellen
II. Kreativität Der Schüler soll lernen, sich forschend-entdeckend und konstruktiv zu betätigen, also:
1 Vermutungen (z.B. über Beziehungen, Muster, Strukturen, ... ) aufstellen
2 Lösungs- und Begründungsideen entwickeln, Lösungswege planen
3 Komplexe Handlungsabläufe sachadäquat in Teilschritte gliedern
4 Über die gegebene Information hinausgehen
5 Eine Situation bzw. Aufgabenstellung variieren, fortsetzen, übertragen
6 Verallgemeinerungen erkennen und formulieren
7 Probleme konstruieren
III. Argumentieren
Der Schüler soll lernen zu argumentieren, nämlich:
1 Sich an Vereinbarungen (Regeln, Definitionen) halten
2 Allgemeine Aussagen an Spezialfällen testen (Beispiele – Gegenbeispiele)
3 Begründen, Folgern, Beweisen
4 Begründungen auf Stichhaltigkeit prüfen, Scheinargumente aufdecken
5 Mathematische Überlegungen bezüglich ihrer Verständlichkeit, Prägnanz, Bedeu-
tung diskutieren und bewerten
9
Mathematikunterricht, der in Verbindung mit der Entwicklung und Festigung von inhaltlichen
Kompetenzen auch die Entwicklung und Festigung von prozessbezogenen Kompetenzen an-
strebt, vermittelt ein an der Wissenschaft Mathematik orientiertes Bild von Mathematik, das
gleichermaßen Mathematik als fertigen, abrufbaren und anwendbaren Bestand an begriffli-
chem Wissen und Verfahrenswissen, aber auch als ein durch Tätigkeit im Werden Befindli-
ches einschließt. Mit dieser Zielsetzung harmoniert sehr gut eine Auffassung von Mathematik
als Wissenschaft von den Mustern11. Wie Winter dargelegt hat, korrespondieren diese pro-
zessbezogenen Kompetenzen zudem mit grundlegenden Wesenszügen des Menschen (anthro-
pologischer Bezug) und Zielsetzungen der allgemeinbildenden Schule12, woraus sie u.a. ihre
Rechtfertigung13 erfahren.
Inzwischen liegen in neueren Rahmenplänen für die Grundschule, in den „Bildungsstandards
für die Grundschule“ und in anderen Veröffentlichungen14 unterschiedlich detaillierte und
differenzierte Kataloge prozessbezogener Kompetenzen vor, deren Kern unverkennbar von
den Winterschen Zielvorstellungen geprägt ist.
Wie oben bereits erwähnt, können prozessbezogene Kompetenzen nur in Verbindung mit ma-
thematischen Inhalten entwickelt werden. Winter bringt dies in seinem Beitrag von 1972 so
auf den Punkt: Es gibt kein Stricken ohne Wolle. Auch über die in der Grundschule zu vermit-
telnden grundlegenden mathematischen Begriffe und Verfahren, also die inhaltsbezogenen
Kompetenzen, wie z.B. zu Zahlen, Zahlenmustern, Zahloperationen, Größen, geometrischen
Figuren und Mustern besteht in Rahmenplänen und in den Bildungsstandards15 für die Grund-
schule trotz mancher terminologischer Unterschiede breite Übereinstimmung.
Es liegt im übrigen auf der Hand, dass das Ziel der Entwicklung prozessbezogener Kompe-
tenzen in einem sehr engen Zusammenhang mit der Thematik der beiden anderen Basismodu-
le16 steht. Kreativität, Ideenreichtum, Ideenflüssigkeit und die Fähigkeit Situationen „mathe-
matisch“ zu sehen, sind wichtige Bedingungen für entdeckendes, erforschendes Lernen im 11 Dieser Aspekt wird ausführlich erläutert in Steinweg, A. S.: Zur Entwicklung des Zahlenmusterverständnisses bei Kindern. LIT, Münster 2001. 12 Winter, H.: Allgemeine Lernziele für den Mathematikunterricht? In: Zentralblatt für Didaktik der Mathematik 7 (1975), S. 106 – 116. 13 Vgl. hierzu auch Wittmann, E. Ch.: Grundfragendes des Mathematikunterrichts. Vieweg Verlag, Braun-schweig 1981, S. 54f . 14 Z.B. in dem vom Grundschulverband vertretenen „Leitkonzept zeitgemäßer Grundschularbeit“, insbesondere in den Ausführungen zum Fach Mathematik. 15 Vgl. die inhaltlichen mathematischen Kompetenzen in den Bildungsstandards.
10
Mathematikunterricht (vgl. Modul 2). Vorgehensweisen bei der inhaltlichen oder prozessbe-
zogenen Öffnung von Mathematikunterricht (vgl. Modul 3) vermögen ein förderliches Klima
für die Bearbeitung guter Aufgaben zu schaffen.
Aktivität 2. Vergleichen Sie die ausdifferenzierten Winterschen Lernziele mit den allgemei-
nen mathematische Kompetenzen der Bildungsstandards (Anhang 1)
4 Qualität von Aufgaben
Kommen wir zur Frage der Qualität von Aufgaben zurück. Vor dem skizzierten Hintergrund
zu prozessbezogenen Kompetenzen legen wir fest:
Mit dieser zunächst etwas formal wirkenden Festsetzung soll deutlich gemacht werden, dass
die Bewertung von Aufgaben mit dem Prädikat gut immer nur auf der Folie eines explizierten
Qualitätsrahmens sinnvoll ist. Dadurch wird
der Qualitätsrahmen transparent, diskutierbar und kritisierbar,
und es kann zudem die Qualitätsbewertung von Aufgaben argumentativ vertreten wer-
den.
Vor diesem Hintergrund vermeiden wir es auch von schlechten Aufgaben zu sprechen. Auf-
gaben, die im obigen Sinne nicht das Prädikat gut erhalten, können durchaus andere wichtige
Ziele, wie z.B. die Routinisierung des Kleinen Einmaleins oder das gezielte Üben anderer
Kenntnisse und Fertigkeiten verfolgen. Zur Abgrenzung von guten Aufgaben sprechen wir in
diesen Fällen von anderen Aufgaben. Damit wird also zum Ausdruck gebracht, dass solche
Aufgaben primär nicht die Entwicklung prozessbezogener Kompetenzen, sondern andere
Zielsetzungen verfolgen.
16 Modul 2: Mehr als Kenntnisse und Fertigkeiten. Entdecken, erforschen und erklären im Mathematikunterricht der Grundschule. Modul 3: Mathematikunterricht zwischen Offenheit und Zielorientierung.
Gute Aufgaben sind Aufgaben, welche bei Schülern in Verbindung mit grundlegenden mathematischen Begriffen und Verfahren die Entwicklung prozessbezogener Kompeten-zen unterstützen.
11
5 Beispiele für gute und andere Aufgaben: Aufgabenanalyse
In diesem Abschnitt stellen wir einige Aufgabenbeispiele17 vor, von denen wir zeigen werden,
dass es sich dabei im Sinne des obigen Kriteriums um gute Aufgaben handelt. Das grundle-
gende Instrument das dazu eingesetzt wird ist die Aufgabenanalyse. Wir führen an Hand der
drei Aufgabenbeispiele exemplarisch das Instrument der Aufgabenanalyse ein. Die Analyse
von Aufgaben hat insbesondere in den USA eine lange Tradition und kann unter den ver-
schiedensten Zielsetzungen durchgeführt werden18. In diesem Kapitel soll Aufgabenanalyse
dem folgenden Ziel dienen:
Zwei der Beispiele stammen aus Schulbüchern, das dritte wurde im Rahmen einer Unter-
richtsstunde „geboren“. In den drei Beispielen aus der Arithmetik geht es um grundlegende
Inhalte, nämlich die vier Grundrechenarten. Damit ist eine der oben genannten Bedingungen
für gute Aufgaben erfüllt.
Aktivität 3. Analysieren Sie bitte alle im Text vorgestellten Aufgaben bezüglich ihrer spezifi-
schen mathematischen Anforderungen an die Schüler. Dazu können Sie etwa den für Sie „zu-
ständigen“ Grundschul-Rahmenplan oder die in den Bildungsstandards ausgewiesenen inhalt-
lichen mathematischen Kompetenzen heranziehen.
Zur zweiten Bedingung. Welche prozessbezogenen Kompetenzen können durch die Aufgaben
unterstützt werden?
Zur exemplarischen Illustration der Aufgabenanalyse beziehen wir uns auf die o.g. prozessbe-
zogenen Kompetenzen Mathematisieren, Kreativität und Argumentationsfähigkeit und deren
Ausdifferenzierung in der Tabelle in Abschnitt 3. Wir werden bei den Beispielen zur Aufga-
benanalyse die in der Tabelle genannten Punkte nicht „bürokratisch“ abarbeiten, sondern ver- 17 Gerne greifen wir bei den Aufgabenbeispielen in diesem und den folgenden Abschnitten auf Schulbücher zurück um zu zeigen, dass sich die vorgeschlagenen Ideen im alltäglichen Mathematikunterricht realisieren las-sen.
Mit der Analyse von Aufgaben soll ihr Potential ausgelotet werden, die Ent-wicklung bzw. Festigung von prozessbezogenen Kompetenzen zu unterstüt-zen.
12
suchen, an einigen Punkten das Wesentliche der Aufgabenanalyse zu illustrieren, um ein „Ge-
fühl“ für dieses Instrument zu vermitteln. Selbstverständlich sind Sie gern eingeladen, die hier
vorgestellten Aufgabenanalysen noch weiter zu detaillieren, oder zur Aufgabenanalyse auch
andere Kataloge von prozessbezogenen Kompetenzen, etwa aus den Bildungsstandards, he-
ranzuziehen.
Die Beispiele, an denen wir im Folgenden das Instrument der Aufgabenanalyse illustrieren,
sind dem Bereich Arithmetik entnommen. Aufgaben aus der Geometrie, die Sie selbstständig
analysieren können, finden Sie in Abschnitt 6 und in Anhang 2. Bei diesen Beispielen bezieht
sich die prozessbezogene Kompetenz des Mathematisierens schwerpunktmäßig auf innerma-
thematische Situationen. Das Mathematisieren außermathematischer Situationen, traditionelle
Domäne des Sachrechnens, bleibt zunächst ausgeklammert. Auf diesen wichtigen Bereich
gehen wir im Rahmen eines etwas umfangreicheren Beispiels am Ende von Abschnitt 6 ein.
Beispiel 1: Aus einem Schulbuch für die 2. Klasse
Analyse zu Beispiel 1
Mathematisieren. In den Teilen a) bis d) müssen die Schüler in den gegebenen Aufgaben-
päckchen mit mathematischen Mitteln eine Regelmäßigkeit, ein Muster bzw. strukturelle Be-
ziehungen zwischen den Aufgaben jedes Päckchens herausfinden19. Bei a) kann die zweite
Aufgabe als Tauschaufgabe der ersten, aber auch anders gedeutet werden (s.u.). Die dritte
Aufgabe hängt mit der ersten bzw. der zweiten zusammen. Der erste Summand der dritten
Aufgabe ist um 4 kleiner als der erste Summand der ersten Aufgabe; der zweite Summand der
dritten Aufgabe ist um 4 größer als der zweite Summand der ersten Aufgabe usw. Bei den
Päckchen c) und d) wächst der erste Summand von Aufgabe zu Aufgabe um 1 bzw. 10, der
zweite Summand nimmt jeweils um die gleiche Zahl gegensinnig ab. In jedem Fall soll also
18 Z.B. Welche Wissensvoraussetzungen oder Grundvorstellungen sind für eine Aufgabenbearbeitung erforder-lich? Wie lösen Schüler tatsächlich eine Aufgabe (Empirische Aufgabenanalyse)? 19 Vgl. in Modul 2 den Abschnitt „Schöne Päckchen“.
13
eine innermathematische Situation, nämlich jeweils ein Päckchen mit drei Aufgaben mit ma-
thematischen Mitteln geordnet werden.
Kreativität. Wenn sich die Schüler mit den Teilen a) bis d) beschäftigen, werden sie zunächst
Vermutungen über ein Muster, eine Regelmäßigkeit in den Aufgaben, oder Beziehungen zwi-
schen den Aufgaben aufstellen. Auf der Grundlage der entdeckten Regelmäßigkeiten in den
Aufgaben sollen die Schüler durch Verallgemeinerung selbstständig Aufgaben entwickeln,
die zu dem jeweiligen Muster passen. Nun müssen die Schüler Lösungswege planen, welches
der Muster den Ausgangspunkt für die Verallgemeinerung(en) abgeben soll.
Der Spielraum für die weitere Arbeit der Schüler ist beträchtlich: sie können in den einzelnen
Aufgabenpäckchen, im Set der Päckchen, oder in beiden verallgemeinern und weitere Aufga-
ben mit gleichem Ergebnis konstruieren. Zudem können die Schüler in den beiden ersten
Päckchen für ihre weiteren Konstruktionen (zumindest punktuell) den Aspekt Aufgabe –
Tauschaufgabe berücksichtigen, oder als die dominierende Beziehung zwischen den Aufga-
ben das „Gesetz von der Konstanz der Summe bei gegensinniger Veränderung der Summan-
den um den gleichen Betrag“ nutzen.
Natürlich könnten die Schüler auch nach eigenen Regeln Aufgaben mit gleichem Ergebnis
konstruieren.
Beispiele für Verallgemeinerungen von Päckchen a); der Summenwert 51 wurde weggelas-
sen:
25 + 26 25 + 26 25 + 26
26 + 25 26 + 25 26 + 25
21 + 30 21 + 30 21 + 30
30 + 21 22 + 29 35 + 16
17 + 34 17 + 34 18 + 33
34 + 17 18 + 33
14
Argumentationsfähigkeit. In Teil e) von Beispiel 1 sollen die Schüler begründen, warum die
Ergebnisse in einem Päckchen immer gleich sind. Solche Begründungen müssen sich selbst-
verständlich auf die Regeln stützen, die dem Muster der Aufgaben zugrunde liegen, sowie auf
einschlägige arithmetische Regeln (z.B. Vertauschungsgesetz oder das Gesetz von der Kon-
stanz der Summe bei gegensinniger Veränderung der Summanden um den gleichen Betrag).
Aus Berichten von Lehrern ist bekannt, dass von manchen Schülern in einer Situation, in der
die Ergebnisse in einem Päckchen vorgegeben gleich sind oder in den selbst konstruierten
Aufgaben gleich sind, keine Begründungsnotwendigkeit gesehen wird: „Die Ergebnisse sind
doch gleich“. Hier könnte man z.B. ein „neues“ Päckchen nehmen, das noch nicht ausgerech-
net wurde und dann die entsprechenden Schüler nach einer Begründung suchen lassen. An-
sonsten werden sich die Argumente für die Gleichheit der Ergebnisse im Wesentlichen auf die
oben herausgefundenen Regelmäßigkeiten stützen.
Wir halten außerdem fest, dass dieses Aufgabenbeispiel im Text explizite Aufforderungen
enthält, die „in die Richtung“ von prozessbezogenen Kompetenzen gehen.
Wie aber die Aufgabe letztlich im Unterricht bearbeitet wird, ob also die Anregungen in Rich-
tung prozessbezogener Kompetenzen im Unterricht umgesetzt werden, ist durch die äußeren
Aufgabenmerkmale, z.B. den Aufgabentext oder zugehörige Bilder, selbstverständlich noch
nicht bestimmt.
Man stelle sich folgendes Szenario vor: Ein Lehrer begnügt sich damit, dass die Schüler etwa
zwei weitere Aufgaben mit dem gleichen Ergebnis angeben; der Zusammenhang mit den an-
deren Aufgaben, der Aspekt des Musters, der Struktur in den Aufgaben, also das, worauf es
bei dem von uns eingenommenen Standpunkt schließlich ankommt, wird jedoch nicht weiter
thematisiert. Damit würde das in der Aufgabe steckende Potential zur Entwicklung prozess-
bezogener Kompetenzen nicht genutzt werden.
Beispiel 2: Aus einem Schulbuch für die 4. Klasse
Analyse zu Beispiel 2 Hier gibt der Aufgabentext keinen Hinweis auf prozessbezogene Kompetenzen. Nachdem die Schüler jeweils die Ergebnisse für ein Aufgaben-paar ausgerechnet und addiert, und bei den vier Paaren jeweils 900 erhalten haben, ist die explizi-te Aufgabenstellung bearbeitet.
15
Jetzt liegt es wesentlich am Lehrer, ob er das in der Aufgabe steckende Potenzial zur Förde-
rung prozessbezogener Kompetenzen erkennt und im Unterricht nutzt, um aus der Aufgabe
eine gute Aufgaben entstehen zu lassen. Bildlich kann man in diesem Zusammenhang durch-
aus von einem Öffnen20 von Aufgaben sprechen, um dieses Potenzial für die Schüler fruchtbar
werden zu lassen.
Ein Ansatzpunkt ist doch die erstaunliche Tatsache, dass sich bei der Addition der
Ergebnisse in jedem Paar stets die gleiche Zahl ergibt, nämlich 900.
Wieder stellt sich bei der mathematischen Betrachtung, also beim Mathematisieren, die Frage
nach dem strukturell Gemeinsamen, dem Muster, das die Aufgaben verbindet. In jeder Auf-
gabe kommt die Zahl 450 vor. In jedem Paar wird zu 450 die gleiche Zahl addiert bzw. von
450 subtrahiert. Wie hängt die Zahl 900 mit Zahlen zusammen, die in den Aufgaben vor-
kommen?
Die Kreativität der Schüler kann gefordert werden, wenn eigene Aufgabenpaare konstruiert
werden sollen. Dabei wird zunächst wohl die Zahl 450 die Hauptrolle spielen. Vielleicht ver-
allgemeinern Schüler aber schon, indem sie statt 450 andere Zahlen wählen und dabei entde-
cken, dass sie nach Addition ebenfalls das Doppelte der jeweiligen Zahl als Ergebnis erhalten.
Ein neues Problem wir konstruiert, wenn in einer Variante der ursprünglichen Aufgabe Auf-
gabenpaare gefunden werden sollen, deren Ergebnissumme gegeben ist, z.B. 420. Grenzen
der bisherigen Betrachtung können die Schüler erfahren, wenn eine ungerade Ergebnissum-
me, z.B. 421 vorgeschlagen wird.
20 Vgl. Modul 3: Mathematikunterricht zwischen Offenheit und Zielorientierung.
16
Auf der Grundlage der gegebenen Aufgabenpaare und den Erkenntnissen aus ihrer bisherigen
Arbeit haben die Schüler bereits eine Reihe von Argumenten um zu begründen, dass sich stets
die Zahl 900 ergibt.
Formal: 450 + 80 + 450 – 80 = 900, etc.,
oder mit dem Rechenstrich
Beispiel 3: Variation einer „anderen“ Aufgabe
Im Rahmen eines Praktikums in einer vierten Klasse wurde die Addition mit mehr als zwei
Summanden geübt. Die Praktikantin hatte unter anderem folgende Aufgaben gestellt
3
3 3
+ 3 3 3
Es fällt auf, dass die Summanden jeder Teilaufgabe jeweils nur eine Ziffer enthalten. Am
nächsten Tag fiel mir folgende Variante der Aufgabe ein, die ich dann der Lehrerin übermit-
telte21.
21 Man könnte auch bei den ausgerechneten Summen dieser Aufgaben ansetzen und in diesem Kontext Potenzial für prozessbezogene Kompetenzen entdecken, vgl. Aktivität 4.
7 7 7 7 + 7 7
888 + 88 + 8 =
17
Weil die Lehrerin diese Aufgabe als recht schwer einschätzte, arbeitete sie einen Tag später
nur mit einer Gruppe von 6 Schülern aus der Klasse an der Aufgabe. Obwohl dies nicht die
normale Situation des Mathematikunterrichts in der Klasse ist, wird das Ringen der Lehrkraft
deutlich, zusammen mit den Schülern aus einer Aufgabe eine gute Aufgabe entstehen zu las-
sen. Um eine kurze Sprechweise zur Verfügung zu haben, führte die Lehrerin für Zahlen, die
nur die Ziffer 3 bzw. die Ziffer 7 enthalten, die Bezeichnung Dreierzahlen, Siebenerzahlen,
usw. ein.
Die folgende Darstellung gibt verkürzt den Gang der Untersuchung in dieser Stunde wieder.
Obwohl auch die übrigen Kinder der Gruppe mitgearbeitet haben, konzentriere ich mich auf
Hanna und Malte, die gewissermaßen die „Wortführerschaft“ übernommen hatten. (Die vor-
angestellten Zahlen bei Personen geben die zeitliche Abfolge an. Um Platz zu sparen, werden
für die Darstellung zwei Spalten benutzt.)
Kann man 100 als Summe von Zahlen schreiben, die nur die Ziffer 2 oder nur eine andere Ziffer enthalten?
18
1 Hanna: Nur die Zahlen 2 und 22 kommen in Frage 2 Hanna: Und dann geht es so: 3 Lehrerin: Schön Hanna, das geht also.
4 Lehrerin: Geht es auch mit Fünferzahlen? (Hanna schreibt)
5 Hanna: Ja. 6 Lehrerin: Sehr schön. Wer hat auch etwas herausgefunden? (Schaut sich Lösungen ande-rer Kinder an) 7 Lehrerin: So, und jetzt mit Siebenerzahlen. (Hanna schreibt) 8 Hanna: Nein, das geht nicht
Fortsetzung nächste Seite
19
9 Lehrerin: Wieso nicht? 10 Hanna: Die 23 ist zu viel. 11 Lehrerin: Was meinst du? 12 Hanna: Aber mit 21 und mit 28 würde es gehen. 13 Lehrerin: (Nach einiger Überlegung) Gut, oder geht es vielleicht doch? 14 Hanna: 15 Hanna: Nein, doch nicht. 16 Lehrerin: Hättet ihr das mit der Sieben eigentlich überprüfen müssen? 17 Aus der Gruppe: Ja, doch, weil mit Sieben könnte es vielleicht gehen.
18 Lehrerin: Gut. Wir haben jetzt aber he-rausgefunden, dass es mit Sieben nicht geht. 19 Lehrerin: Ihr dürft jetzt selbst solche Auf-gaben stellen. 20 Malte: Geht es wohl mit Vieren? 21 Lehrerin: Du meinst, ob es mit Viererzah-len geht. Ja, das ist eine neue Aufgabe (Hanna schreibt)
22 Malte: (Guckt auf Hannas Blatt) Toll 23 Lehrerin: Prima Hanna 24 Malte: Dann geht es wohl auch mit Ach-ten: (Hanna schreibt) 25 Malte: Schade An dieser Stelle stiegen die Schüler erschöpft aus der Untersuchung aus. Hannas Meinung:
20
Analyse zu Beispiel 3
Bei der anfangs vorgestellten „anderen“ Aufgabe verfügen die Schüler über ein
Lösungsverfahren. Für die Bearbeitung der Aufgaben ist das sorgfältige, stellengerechte
Aufschreiben der Zahlen, das mit dieser Aufgabe u.a. auch geübt werden soll, wichtig. Das
besondere „Aussehen“ der Summanden spielt bei der Arbeit im Unterricht keine Rolle. Der
Schwerpunkt der Stunde liegt bei der Festigung inhaltsbezogener Kompetenzen, was nach
unseren eingangs gemachten Ausführungen selbstverständlich völlig legitim ist: Mit der
Aufgabe wird eben eine andere Zielsetzung verfolgt.
Bei der variierten Aufgabe liegt der Schwerpunkt bei prozessbezogenen Kompetenzen und
zwar in den Bereichen Kreativität und Argumentation. Beachten Sie aber bitte, dass auch bei
der Variante gerechnet, also inhaltlich gearbeitet wird. Nur das Rechnen dient jetzt anderen,
allgemeineren Zielsetzungen.
Kreativität. Da die Schüler zunächst nicht auf ein abrufbares Verfahren zurückgreifen können,
müssen sie selbstständig Lösungsansätze generieren. Dabei eröffnet die Aufgabe die Mög-
lichkeit, durch Probierstrategien zur Lösung zu kommen. Offensichtlich hätte man auf vieler-
lei Wegen die Startaufgabe „Schreibe 100 als Summe von Zahlen, die nur die Ziffer 2 enthal-
ten“ lösen können. Wenn mehrere Lösungsvorschläge vorliegen, so können die Schüler diese
vergleichen (was in der oben berichteten Unterrichtsstunde nicht bzw. nur zufällig geschehen
ist).
In ganz natürlicher Weise bietet sich bei der weiteren Erzeugung von Aufgaben aus der
Startaufgabe die Strategie der Verallgemeinerung an. So könnte man unmittelbar im An-
schluss an die Startaufgabe (oder später, wie im Beispiel) die Schüler bitten, ähnliche Aufga-
ben zu entwickeln. Dabei kann die Erfahrung gemacht werden, dass man bei diesem Vorge-
hen auch auf – im mathematischen Sinne – unlösbare Aufgaben stoßen kann (z.B. Malte mit
den Achterzahlen).
Argumentation. Die in der Startaufgabe gestellte Frage ist zu bejahen. Die Begründung be-
steht hier darin, eine passende Summe anzugeben. Um auf eine solche Summe zu kommen,
kann man eine (additive) Probierstrategie verfolgen (vermutlich macht das Hanna). Man
könnte auch Teilbarkeitsüberlegungen anstellen.
21
Diese Idee könnte zunächst bei Hannas Überlegungen (14) eine Rolle gespielt haben. Sie ver-
sucht 100 schriftlich durch 7 zu teilen, macht dabei aber einen Fehler, indem sie nicht ein
Vielfaches von 7, sondern den durch Kopfrechnung bestimmten Rest 3 im ersten Divisions-
schritt subtrahiert. Der errechnete Quotient 101 kommt ihr offenbar nicht geheuer vor, und sie
versucht es daneben durch wiederholte Addition „zu Fuß“. Offenbar erkennen die Schüler
nicht, dass der Fall „nur die Zahl 7“ bereits durch den Fall „77 und 7“ entschieden ist. An
dieser Stelle hätte man noch nachhaken sollen.
Dass 100 nicht durch mehrfache Addition der Zahl 7 geschrieben werden kann, wird danach
ebenfalls durch die additive Probierstrategie begründet: 98 ist zu klein, 98 + 7 zu groß.
Interessant ist nach Maltes Erfolg bei der Aufgabengenerierung „mit Vieren“ seine Vermu-
tung (24), dass es auch „mit Achten“ gehen müsse. Dieser Schluss funktioniert aber nicht, wie
Hanna demonstriert.
Bei einer rückschauenden Betrachtung der Arbeit mit dieser Aufgabe in der Gruppe fällt vor
allem auf, dass einige Gelegenheiten nicht genutzt worden sind, noch stärker prozessbezogene
Kompetenzen herauszufordern:
Darstellung, Diskussion (Vergleich) von Lösungswegen auch anderer Schüler (Ma-
thematisieren, Argumentieren),
Argumente herausfordern, die auch das Verständnis bei anderen Kindern, z.B. von Lö-
sungswegen, unterstützen, und sie an den Überlegungen Anderer teilhaben lassen
könnten (Punkte 10 bis 13),
Teilergebnisse miteinander argumentativ vernetzen (z.B.: Klärung, weshalb der Fall
„nur die Zahl 7“ bereits im Punkt 8 „Siebenerzahlen“ mit erfasst ist, oder: Hanna hat
herausgefunden, dass es mit Viererzahlen geht; muss es dann auch mit Zweierzahlen
gehen?),
Aufgreifen der Teilbarkeitsidee (14) zu einer Mathematisierung der Situation aus einer
anderen (nicht auf Addition gründenden) Perspektive.
Aktivität 4. Wie bereitet die Lehrerin oben die Öffnung der Aufgabenstellung in Punkt 19
vor: „Ihr dürft jetzt selbst solche Aufgaben stellen“? Hätte diese Öffnung schon früher, z.B. in
Punkt 4 erfolgen können, und mit welchen Konsequenzen?
22
Aktivität 5. Untersuchen und analysieren Sie: Lässt sich die Zahl 1000 als Summe von
höchstens zehn Viererzahlen schreiben. Variieren Sie die Aufgabe (zur Aufgabenvariation s.
unten).
Aktivität 6. Bei den ursprünglichen Additionsaufgaben von Beispiel 3 mit Dreier- bzw. Sie-
benerzahlen achten Sie nun bitte auf die Summen. Was fällt auf? Welche Ansatzpunkte für
prozessbezogene Kompetenzen enthält die Aufgabe? Variieren Sie die Aufgabe (zur Aufga-
benvariation s. unten).
Und noch eine Anregung: Was ergibt sich, wenn man die Summe aus Dreierzahlen durch
drei, die der Siebenerzahlen durch sieben, usw. teilt? Variieren Sie die Aufgabe (s. unten).
6 Rückblick und Agenda: Etwas aus Aufgaben machen, gute Aufga-
ben als variable Objekte des Unterrichts
6.1 Rückblick
Bei den folgenden Aufgaben aus dem vierten Schuljahr – aus der Sicht des Verfassers Bei-
spiele für „andere“ Aufgaben – geht es um das Üben von Grundrechenarten im vierten Schul-
jahr, und es kommt allein auf die korrekte Berechnung der Ergebnisse an. Im Vordergrund
stehen inhaltsbezogene Kompetenzen. Jede dieser Aufgaben steht für sich, es ist kein struktu-
reller Zusammenhang zwischen den Aufgaben zu erkennen22. Nahe liegende Ansatzpunkte für
die Entwicklung prozessbezogener Kompetenzen kann der Verfasser bei diesen Aufgaben
nicht entdecken. Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass sich etwa aus der Besprechung
von Schülerlösungen „auf eigenen Wegen“ oder von fehlerhaften Lösungen doch solche An-
satzpunkte z.B. zum Argumentieren ergeben könnten.
22 Zum Begriff des strukturierten Übens auf der Grundlage „Strukturierter Aufgaben“ vgl. Müller, G. N. und Wittmann, E. Ch.: Handbuch produktiver Rechenübungen (2 Bände). Klett, Schulbuchverlag, Stuttgart 1990.
23
Aus einem Rechenbuch Ende der 1970er Jahre
Aus einem aktuellen Rechenbuch der 4. Klasse
Aktivität 7. Überlegen Sie bitte in einem „didaktischen Gedankenexperiment“, wie sich aus
der Besprechung von Schülerlösungen „auf eigenen Wegen“ oder von fehlerhaften Lösungen
zu diesen/solchen Aufgaben doch Ansatzpunkte für die Entwicklung prozessbezogener Kom-
petenzen ergeben könnten.
Ein deutlich anderes Bild zeigt sich bei unseren Beispielen für gute Aufgaben.
Beim ersten Aufgabenbeispiel enthält die Aufgabenstellung explizite Ansatzpunkte für die
Entwicklung prozessbezogener Kompetenzen. Bei den beiden anderen Beispielen ist das nicht
der Fall.
Bei der zweiten Aufgabe müssen entsprechende Anregungen wohl zunächst von der Lehrkraft
ausgehen. Außerdem wurden weitere Ansatzpunkte für die Entwicklung prozessbezogener
Kompetenzen durch eine kleine Variation der ursprünglichen Aufgabe gewonnen.
Das dritte Beispiel geht aus einer starken Variation einer „anderen“ Aufgabe hervor. Zu den
Anregungen der Lehrkraft für die Entwicklung prozessbezogener Kompetenzen ergeben sich
auch Anregungen – zumindest potentiell – aus Bearbeitungsschritten oder Vorschlägen der
Schüler. Hierdurch wird noch einmal deutlich, dass es für die unterrichtliche Umsetzung des
Ziels der Entwicklung prozessbezogener Kompetenzen durch Aufgaben wesentlich ist, wie im
24
Unterricht mit Blick auf solche Kompetenzen mit Aufgaben umgegangen wird, was aus Auf-
gaben „gemacht“ wird.
Dieser eigentümliche Sachverhalt, dass eine Aufgabe von der Lehrkraft und/oder den Schü-
lern unter der Perspektive prozessbezogener Kompetenzen häufig erst zu einer guten Aufgabe
entwickelt wird, macht deutlich, dass Aufgaben wie in den drei zuletzt aufgeführten Beispie-
len dieses Abschnitts nicht mehr nur ein zu bearbeitendes festes Gegebenes sind, sondern im
beschriebenen Sinne zu variablen Objekten des Unterrichts werden23.
Diese Variabilität wird „beobachtbar“, wenn sich verschiedene Lehrkräfte und Schülergrup-
pen in der Regel auf unterschiedliche Weisen und mit unterschiedlichen Ergebnissen bemü-
hen, die gleiche Aufgabe (als Text) zu einer guten Aufgabe zu machen.
6.2 Agenda
Wie schon mehrfach hervorgehoben, kommt es dabei auf der Seite des Lehrers wesentlich
darauf an, auf der Folie seiner professionellen Kompetenzen das in einer Aufgabe oder in ent-
sprechenden Schülerbeiträgen steckende Potential für die Entwicklung prozessbezogener
Kompetenzen zu erkennen und für den Unterricht fruchtbar zu machen.
Hier nun liegt die große Herausforderung für Lehrer, die mit diesem besonderen Umgang mit
Aufgaben bisher nicht oder nur sehr wenig in Berührung gekommen sind. Es ist mit eines der
zentralen Ziele dieses Moduls hierfür einen Einstieg zu eröffnen. Dies bezieht sich auf:
1. Die Methode der Aufgabenanalyse (im oben beschriebenen Sinn) und der Aufgaben-
variation (s. unten),
2. Unterrichtsplanung und Umsetzung im Unterricht,
3. die Reflexion.
Die im ersten Punkt genannte Aufgabenanalyse ist eine notwendige theoretische Voraus-
setzung für die beiden anderen, auf die Unterrichtspraxis bezogenen Aktivitäten.
23 Dieser Aspekt wird eingehend beleuchtet in Christiansen, B. und Walther, G.: Task and activity. In: Christiansen, B. et al.: Pespectives in Mathematics Teacher Education. D. Reidel Publishing Company, 1986, 243 – 307. Ferner in Walther, G.: Zur Rolle von Aufgaben im Mathematikunterricht. In: Beiträge zum Mathema-tikunterricht. Franzbecker Verlag 1985, 28 – 42.
25
Die obigen Beispiele haben gezeigt, dass man in der Regel die Analyse von Aufgaben unter
dem Aspekt prozessbezogener Kompetenzen nicht aus dem Ärmel schütteln wird. Da es sich
bei der Bearbeitung von Aufgaben im Unterricht, die die Entwicklung prozessbezogener
Kompetenzen unterstützen sollen, in der Regel um eine komplexe Tätigkeit handelt, empfiehlt
sich eine sorgfältige Planung, die auch die Bedingungen der konkreten Klasse berücksichtigt.
Außerdem muss überlegt werden, in welcher Weise man den Schülern in altersgemäßer Form
(meta-) sprachlich die „neuen“ Kompetenzen und deren Sinn deutlich werden lässt24 (vgl.
Aktivität 8).
Darüber, wie Sie Ihre Planung schließlich im Unterricht umsetzen, kann sicher im Vorwege
nichts gesagt werden. Gleichwohl hat die Forschung einige Merkmale und Tendenzen von
Unterricht identifiziert, die sich auf die Entwicklung prozessbezogener Kompetenzen hinder-
lich auswirken können.
Gute Aufgaben stellen durch ihre erhöhten kognitiven Anforderungen und durch den
Aspekt der Offenheit für Schüler und Lehrer eine besondere Herausforderung dar. We-
gen der Risiken beim Verlassen „eingespielter“ Aufgabenbearbeitungsprozeduren be-
steht im Unterricht eine Tendenz, solche Aufgaben in ihrer Komplexität zu reduzieren.
Schüler drängen vielfach die Lehrkraft, Lösungshinweise zu geben. Seitens der Lehr-
kraft besteht dann häufig die Neigung, mit Hilfen gerade prozessbezogene Aspekte zu
Gunsten von inhaltlichen Aspekten zu reduzieren und damit die Aufgabe in eine Routi-
neaufgabe zu überführen. Wenn Hilfen nötig sind, sollten sie so sparsam wie möglich
gegeben werden. Wenn möglich, sollten Hilfen den Schülern nur Orientierungen geben
(Hilfen zur Selbsthilfe), aber keine Teillösungen verraten.
Schüler brauchen zur Bearbeitung von guten Aufgaben genügend Zeit. Sie brauchen
Zeit zum Nachdenken, zum Untersuchen einzelner Beispiele, zum Gedankenaustausch
mit anderen Schülern, zur Darstellung ihres Lösungsweges, usw. In einer Unterrichts-
stunde kommt es nicht auf die Anzahl der „durchgenommenen“ Aufgaben an, sondern
auf die Qualität des Umgangs mit guten Aufgaben.
Wichtig ist es, sicher zu stellen, dass die Schüler die Aufgabe verstanden haben, dass
also z.B. das erforderliche Vorwissen verfügbar ist.
24 Ein Studienanfänger berichtete einmal, er habe im 11. Schuljahr „Induktionsrechnung“ gehabt. Worum es dabei „eigentlich“ geht, wusste er nicht. Es wäre fatal, wenn sich bei Grundschülern z.B. so etwas wie „Begrün-dungsrechnen“ festsetzen würde.
26
Wichtig ist auch, dass Materialien, die zur Aufgabenbearbeitung nötig sind, bereitge-
stellt sind.
Spontan im Unterricht, insbesondere im Unterrichtsgespräch, auftretende Aufgabensituatio-
nen entziehen sich einer vorbereitenden Planung. Um hier neben der Ebene der inhaltlichen
Kompetenzen spontan auch die Ebene der prozessbezogenen Kompetenzen zu berücksichti-
gen ist, in besonderem Maße die Erfahrung der Lehrkraft im Umgang mit prozessbezogenen
Kompetenzen gefragt.
Im dritten Punkt geht es zunächst darum, die eigene Erfahrung im Unterricht im Hinblick auf
die gesteckten Ziele zu reflektieren und ggf. Alternativen zu entwickeln. In einem weiteren
Schritt könnte man auch an wechselseitige Hospitation mit Kollegen denken und sich mit die-
sen dann über die Umsetzung im Unterricht austauschen. Der weitest greifende Schritt wäre
schließlich die Videoanalyse des eigenen Unterrichts.
Aktivität 8. Sammeln und entwickeln Sie bitte altersgemäße Sprechweisen (im Sinne von
Arbeitsanregungen), die in Verbindung mit Aufgaben zu Kreativität, zum Argumentieren zum
Mathematisieren anregen.
Beispiele: Wie könnte es weitergehen? Weshalb gilt das? Was fällt auf?
In diesen Erläuterungen zu Modul 1 beschränke ich mich zunächst auf den ersten Punkt. Die
beiden anderen Punkte sind gewissermaßen eine auf die Zukunft gerichtete Gemeinschafts-
aufgabe, deren Bearbeitung stark vom Austausch zwischen und der Zusammenarbeit mit den
an SINUS beteiligten Grundschullehrkräften abhängt.
Zum ersten Punkt „Methode der Aufgabenanalyse und Aufgabenvariation“ möchte ich skiz-
zenhaft folgende Vorgehensweise vorschlagen:
In einer ersten Phase werden möglichst in Zusammenarbeit mit anderen Kollegen in unserem
Sinne gute Aufgabenbeispiele, bei denen die Aufgabenstellung explizite Ansatzpunkte für die
Entwicklung prozessbezogener Kompetenzen enthält (vgl. Beispiel 1), aus Schulbüchern,
(leicht) zugänglichen Grundschulzeitschriften, Büchern, Materialsammlungen, oder Internet
27
zusammengetragen25. Während oder nach der Aufgabenbearbeitung tauschen sich die Kolle-
gen darüber aus, welche prozessbezogenen Kompetenzen in welcher Weise gefördert werden
können. Zudem wird erörtert, ob in der Aufgabe noch weiteres Potenzial für die Entwicklung
prozessbezogener Kompetenzen steckt.
Zweite Phase. Nachdem in der ersten Phase jede der beteiligten Lehrkräfte eine gewisse Basis
und einen „Blick“ für die Aufgabenanalyse entwickelt hat, werden mit diesem Instrumentari-
um nun auch Aufgaben auf ihr Potenzial für die Entwicklung prozessbezogener Kompetenzen
untersucht, bei denen die Aufgabenstellung dazu keine expliziten Ansatzpunkte enthält (vgl.
Beispiel 2), aber kleine Variationen der Aufgabe weiterhelfen.
Da generell die Aufgabenvariation26 unter der Perspektive des Mathematisierens sowohl für
Schüler als zumeist auch für Lehrer eine kreative Handlung ist, soll dieser Aspekt des Um-
gangs mit Aufgaben ebenfalls in dieser Phase bearbeitet werden. Um bei diesen Aktivitäten
nicht „im eigenen Saft zu schmoren“ und stattdessen zu einem konstruktiven Ideenaustausch
zu kommen, ist auch hier die Kooperation mit Kollegen dringend zu empfehlen.
Um von der „Materialseite“ her den Einstieg in die Aufgabenanalyse zu erleichtern, ha-
ben wir im Anhang 2 einige Aufgaben aus Schulbüchern und dem eigenen Aufgabenbe-
stand zusammengestellt.
Die Ergebnisse aus der Arbeit in beiden Phasen können Sie in einem Aufgabenportfolio sam-
meln. Laut Brockhaus (1996) versteht man unter einem Portfolio „...eine Kapitalanlage in
langfristigen Wertpapieren (...), die von der erwarteten Rendite und/oder der Aussicht auf
Kursgewinne bestimmt wird“. Auf die vorliegende Situation übertragen, bedeutet dies in
(sehr) freier Interpretation: Das Einlassen auf den hier oder von anderen Autoren vorgeschla-
genen analytischen und konstruktiven Umgang mit Aufgaben ist eine Investition in die eigene
Professionalität als Lehrer; den Ertrag erhofft man sich in einer Qualitätsverbesserung des
Unterrichts.
25 Unterstützung kann hier auch durch Koordinatoren, das SINUS-Team oder durch andere Personen gegeben werden. 26 Vgl. hierzu auch das hauptsächlich auf die Sekundarstufen bezogene Buch von Schupp, H.: Thema mit Varia-tionen oder Aufgabenvariation im Mathematikunterricht. Franzbecker Verlag 2002.
28
6.3 Fragmente zum Schwerpunkt Aufgabenvariation, Aufgabenweiterentwicklung
So wie wir oben die Methode der Aufgabenanalyse an Beispielen erläutert haben, werden wir
nun auch exemplarisch in die Methode der Aufgabenvariation einführen.
Was hat die Aufgabenvariation mit unserem Thema „Gute Aufgaben“ zu tun? Wir haben oben
festgestellt, dass Aufgaben unter der Perspektive prozessbezogener Kompetenzen in der Regel
durch den besonderen Umgang mit ihnen zu variablen Objekten des Unterrichts werden. Pro-
zessbezogene Aktivitäten ergeben sich vielfach in Verbindung mit der Variation von Aufga-
ben (s. oben Beispiel 2, Beispiel 3). Das (systematische) Instrument der Aufgabenvariation
kann Lehrkräften helfen, Aufgaben zu erzeugen oder die Erzeugung von Aufgaben anzusto-
ßen, mit denen bei den Schülern prozessbezogene Aktivitäten angeregt werden können.
Wenn Schüler (ohne systematischen Hintergrund, also spontan) im Unterricht eigene Aufga-
benvarianten27 entwickeln, so ist das z.B. in der Regel eine kreative Tätigkeit.
Bei den folgenden Aufgabenvorschlägen handelt es sich um Fragmente, insofern als jeweils
ein Aufgabenkern vorgestellt wird, der durch die Methode der Aufgabenvariation erst weiter
entwickelt werden soll.
Aktivität 9. Führen Sie bei den Aufgabenkernen dieses Abschnitts eine Aufgabenanalyse
durch mit dem Ziel, das Potenzial für die Entwicklung prozessbezogener Kompetenzen zu
identifizieren.
Überlegen Sie sich dann (weitere) Varianten zu diesen Aufgaben.
Auch diese Varianten sollten dann unter dem Ziel der Entwicklung prozessbezogener Kompe-
tenzen analysiert werden.
27 Im englischen Sprachraum ist dies in Ergänzung zum Problemlösen, problem solving, seit langem unter dem Stichwort problem posing bekannt. Das Entwickeln eigener Aufgabenstellungen im Unterricht ist hierzulande insbesondere aus dem Sachrechnen bekannt.
29
Beispiel 4
Wähle eine zweistellige Zahl, z.B. 24. Füge zwischen den Ziffern 2 und 4 eine Null ein; du
erhältst die Zahl 204.
Subtrahiere die kleinere von der größeren Zahl! Nimm jetzt die Zahl 27 als Ausgangszahl
und gehe wie eben vor.
Auch diesmal ergibt sich als Differenz die Zahl 180. Das ist auffällig!
Der wichtigste Schritt bei der Aufgabenvariation ist die Identifizierung variierbarer Bestim-
mungselemente (Parameter) der Aufgabe.
In unserem Beispiel etwa:
1. die Ausgangszahl,
2. die Anzahl der Stellen der Ausgangszahl,
3. die Anzahl der eingefügten Nullen,
4. die Differenz.
Zu 1.: Man stellt fest, dass sich nicht bei jeder zweistelligen Ausgangszahl auf diese Weise
die Differenz 180 ergibt. Wovon hängt das ab?
Zu 2.: Verallgemeinert man die ursprüngliche Aufgabenstellung und geht von einer dreistelli-
gen Ausgangszahl, z.B. 124 aus, so gibt es zwei Möglichkeiten, die Null einzufügen (die drit-
te Möglichkeit wäre die Null anzuhängen): 1024 und 1204. Nun kann man wieder untersu-
chen, unter welchen Bedingungen sich die gleiche Differenz ergibt.
Zu 3.: Geht man von einer zweistelligen Ausgangszahl, z.B. 24 aus und fügt zwei Nullen ein,
so ergibt sich 2004.
Zu 4.: Welche Differenzen kommen bei zweistelliger Ausgangszahl und einer eingefügten
Null vor, usw.
2 0 7 - 2 7
2 0 4 - 2 4 1 8 0
30
An diesem Beispiel wird auch deutlich, dass die Aufgabenparameter in der Regel nicht unab-
hängig voneinander variiert werden können, sondern direkt oder vermittelt über andere Para-
meter zusammenhängen. Die Identifizierung von Aufgabenparametern gibt also nur eine gro-
be Richtung für die Variation von Aufgaben.
Beispiel 5
Trage die Zahlen von 1 bis 4 in die vier Kreisfelder ein.
Zahlen, die durch eine Linie verbunden sind, müssen sich um mindestens 2 unterscheiden.
Als nahe liegende Parameter der Aufgabe erkennt man:
1. die auf die Kreisfelder zu verteilenden Zahlen,
2. die Anzahl der Kreisfelder,
3. die Anordnung der Kreisfelder,
4. die Bedingung für Zahlen auf benachbarten Kreisfeldern.
Zu 1.: Man könnte auch andere Zahlen wählen. Für Zahlen, bei denen sich je zwei um min-
destens 2 unterscheiden ist die Aufgabenlösung besonders leicht.
Zu 2.: Die Schüler sollen versuchen 5 aufeinander folgende Zahlen auf 5 Felder zu verteilen
usw.
Zu 3.: Man könnte z.B. eine ringförmige Anordnung der Kreisfelder mit 4, 5 usw. Feldern
wählen.
31
Mit 4 Feldern ist die Bedingung: Unterschied von Zahlen auf benachbarten Kreisfeldern ist
mindestens 2, nicht zu erfüllen. Bei 5 Feldern klappt es.
Bezüglich der gegenseitigen Lage der Kreisfelder kann man auch an ganz andere Anordnun-
gen denken:
Trage die Zahlen von 1 bis 6 in die sechs Kreisfelder ein.
Zahlen auf Feldern, die durch eine Linie verbunden sind, müssen sich um mindestens 2 unter-
scheiden.
Zu 4.: Zahlen auf Feldern, die durch eine Linie verbunden sind, müssen sich um genau 2,
mindestens 3, usw. unterscheiden.
Beispiel 6
Das Aufgabenformat Zahlenmauer mit seinen vielfältigen Möglichkeiten zur Entwicklung
prozessbezogener Kompetenzen dürfte bekannt sein:
Ab der zweiten Schicht ist die Zahl auf jedem Stein gleich der Summe (in einer Variante:
gleich dem Produkt) der Zahlen auf den beiden darunter liegenden Steinen. Die Zahlen für die
Steine der untersten Reihe sind vorgegeben oder werden aus den Zahlen anderer Steine be-
rechnet (vgl. Zahlenmauer links).
8 6 12
7 9
8
8 6 12
8+6 6+12
32
7 9 11
8 10
9
32
Von den vielfältigen Variationsmöglichkeiten greifen wir eine „radikale“ heraus, nämlich die
Veränderung der Verknüpfung der Zahlen in der Zahlenmauer. Ab der zweiten Schicht soll
die Zahl auf jedem Stein gleich der Hälfte der Summe der Zahlen auf den beiden darunter
liegenden Steinen sein (mit anderen Worten: das arithmetische Mittel der Zahlen auf den bei-
den darunter liegenden Steinen). Die Zahlen für die Steine der untersten Reihe sind wieder
vorgegeben oder werden aus den Zahlen anderer Steine berechnet.
Als weitere Bedingung kann man (zunächst) fordern: Auf den Steinen der neuen Zahlenmau-
ern sollen nur natürliche Zahlen vorkommen.
Mit der neuen Verknüpfung können nun die Schüler vom Lehrer vorgegebene oder von „nor-
malen“ Zahlenmauern übernommene Aufgabenstellungen bearbeiten, die prozessbezogene
Aktivitäten anregen.
Bei den folgenden Beispielen und Anregungen zur Aufgabenvariation geht es inhaltlich um
die für die Orientierung im Raum grundlegenden geometrischen Richtungs-Konzepte links
und rechts.
Beispiel 7
„Dynamische“ Geometrie
Legt man zwei kreisrunde „Räder“, z.B. aus Pappe mit rauem Rand (kreisförmige Bierdeckel)
aneinander und dreht das eine Rad (1) etwa nach rechts, so wird das zweite Rad in entgegen-
gesetzter Richtung mitgenommen und dreht sich nach links.
1
2
33
Das ist eine Kette aus Rädern. Rad 1 wird nach rechts gedreht. In welche Richtung dreht sich
das letzte Rad der Kette?
Folgende Parameter der Aufgabe erkennt man auf Anhieb:
1. die Anzahl der Räder,
2. den Drehsinn von bestimmten Rädern,
3. die Anordnung der Räder.
Zu 1.: In der Einstiegssituation sind zwei Räder gegeben, in der daran anschließenden Aufga-
be sechs Räder. Man könnte nun die Anzahl der Räder variieren und untersuchen, in welche
Richtung sich das letzte Rad dreht.
Zu 2.: Hier liegt zunächst nahe, den Drehsinn des „Antriebsrades“ zu verändern und die Aus-
wirkung auf den Drehsinn des letzten Rades zu untersuchen. Selbstverständlich könnte auch
der Drehsinn von anderen Rädern in der Kette studiert werden. Eine Verbindung zu geraden
und ungeraden Zahlen wird hergestellt, wenn man fragt, welche Räder sich in einer Kette
nach rechts bzw. nach links drehen.
Zu 3.: Oben sind die Räder in einer Kette angeordnet. Eine interessante Variation ergibt sich,
wenn man die Räder ringförmig anordnet. In dieser neuen Situation können nun wieder die
unter den beiden ersten Punkten vorgenommenen Variationen untersucht werden.
1
34
Beispiel 8
Rechtskurven und Linkskurven, Roboter Karl auf eigenen Wegen
Karl, der Roboter startet auf dem schwarzen Feld und bewegt sich in Richtung des Pfeils. Du
siehst den Weg, den Karl zurücklegt bis er wieder auf dem schwarzen Feld ankommt.
Wie oft musste sich Karl auf seinem Weg nach rechts und nach links drehen?
Diese Aufgabe fordert geradezu dazu auf, dass die Schüler die Richtungswechsel geeignet
protokollieren, um sie sicher zählen zu können.
Es fallen folgende Parameter auf:
1. die Startrichtung und der Startpunkt des Roboters,
2. die Anzahl der Richtungswechsel auf dem Weg des Roboters,
3. das rechtwinklige Aneinanderstoßen der Wegstücke.
Zu 1.: Man kann den Roboter auch in der entgegengesetzten Richtung und/oder von einem
anderen Punkt starten lassen und die Zahl der Links-/Rechtsdrehungen vergleichen.
Zu 2.: Hier geht es darum, Wege mit wenigen bzw. vielen Richtungswechseln zu entwerfen.
Zu 3.: Bei dieser Variante bewegt sich der Roboter auf einem Zickzack-Weg.
START
35
Eine weitere Variationsmöglichkeit für Aufgaben: Umkehrung der Aufgabenstellung
In der vorigen Aufgabe war der Weg des Roboters durch eine Zeichnung gegeben. Für die
Beantwortung der Aufgabe war die Anfertigung eines „Bewegungsprotokolls“ hilfreich. Bei
der folgenden Aufgabe wird die Situation der vorhergehenden Aufgaben umgekehrt. Den
Schülern wird nun eine „Bewegungsvorschrift“ für den Roboter gegeben. Es enthält die An-
gaben zu den Marschrichtungen: geradeaus, sowie Rechts-/Linksdrehung.
Der Roboter bewegt sich auf Karopapier. Jeder Bewegungsschritt entspricht z.B. 2 Kästchen.
Der Roboter startet aus einer gegebenen Anfangsrichtung, markiert durch einen in diese Rich-
tung weisenden Pfeil mit der Länge zweier Kästchen (im Bild dicker gezeichnet). Die Rechts-
/Linksdrehungen sind Vierteldrehungen nach links bzw. rechts.
Die Aufgabe kann weiter variiert werden, indem man von den lokalen Richtungen „gerade-
aus“, „links“, „rechts“ zu den globalen Richtungen „Nord“, „Süd“, „Ost“, „West“ übergeht.
Nimmt man als Anfangspunkt des Weges die Spitze des dicken Pfeils, so lautet das Bewe-
gungsprotokoll nun: Süd, West, West, Nord, Ost, Nord, Ost, Ost.
START
Bewegungsprotokoll: Rechts, geradeaus, rechts, rechts, links, rechts, geradeaus.
36
Diese Variation eröffnet ein weites Feld für interessante Aufgabenstellungen.
Beispiel 9
Eines der zentralen Ziele des Sachrechnens ist es, Schülern die Anwendungsfähigkeit von
Mathematik zur Klärung von Fragestellungen in Sachsituationen ihres außerschulischen All-
tags erfahren zu lassen28. Sachrechnen in seiner Funktion Umwelt zu erschließen, muss so-
wohl die Sache als auch das Mathematische ernst nehmen. H. Winter fordert in diesem Zu-
sammenhang29: „Sachsituationen sind hier nicht nur Mittel zur Anregung, Verkörperung oder
Übung, sondern selbst der Stoff, den es zu bearbeiten gilt. Sachrechnen ist damit ein Stück
Sachkunde. Die Schüler sollen befähigt werden, umweltliche Situationen durch mathemati-
sches Modellieren klarer, bewusster und auch kritischer zu sehen.“
Wir gehen von folgender Aufgabe30 aus
und variieren sie (vgl. Fußnote 30)
Beide Aufgaben scheinen sich auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden. Bei näherer Be-
trachtung wird man jedoch einen gravierenden Unterschied feststellen.
In der ersten Aufgabe ist eine durchaus realitätsnahe Situation beschrieben, so etwas könnte
es tatsächlich geben. Die angegebenen Daten sind so gewählt - man könnte auch sagen „zu-
28 Eine umfassende und aktuelle Darstellung des Themas Sachrechnen enthält das Buch von Franke, M.: Didak-tik des Sachrechnens in der Grundschule. Spektrum Verlag, Heidelberg 2003. 29 Winter, H.: Sachrechnen in der Grundschule, Cornelsen 1992. 30 Leicht veränderte und übersetzte Aufgaben aus: Verschaffel, L., Greer, B., De Corte, E.: Making Sense of Word Problems. Sweets & Zeitlinger, 2000.
1. Tim hat 5 Bretter gekauft. Jedes Brett ist 2 m lang. Zu Hause stellt Tim fest, dass er nur noch 1 m lange Bretter braucht. Wie viele 1-Meter-Bretter kann sich Tim zu-rechtsägen?
2. Tim hat 4 Bretter gekauft. Jedes Brett ist 2,5 m lang. Zu Hause stellt Tim fest, dass er nur noch 1m lange Bretter braucht. Wie viele 1-Meter-Bretter kann sich Tim zu-rechtsägen?
37
rechtgemacht“ -, dass die Schüler mit den ihnen aus dem Unterricht bekannten Begriffen des
Messens und den Grundrechenarten31 die Aufgabe in einem oder mehreren Schritten lösen
können.
Verschiedene Untersuchungen zeigen jedoch, dass nur ein kleiner Anteil von Kindern am
Ende der Grundschule (etwa 20 Prozent) und in fünften Klassen (etwa 16 Prozent) ihr All-
tagswissen aktivieren, um die zweite Aufgabe korrekt zu lösen. Die übrigen Kinder rechnen
so, wie bei der ersten Aufgabe32.
Worin unterscheidet sich nun die zweite Aufgabe von der ersten?
Die der ersten Aufgabe zugrunde liegende Situation und ihre Daten sind in dem Sinne „glatt“,
als unmittelbares/direktes Anwenden des Standardschemas Aufteilen bzw. Messen mit der
Einheit 1 m auf eine durch einfaches Vervielfachen gewonnene Gesamtlänge zum Ziel führt.
Bei der zweiten, variierten Aufgabe müssen – bevor „losgerechnet“ werden kann – zusätzli-
che inhaltliche, auf die Sache bezogene Überlegungen angestellt werden, um herauszufinden,
wie die durch die Realität gewissermaßen diktierten Bedingungen erfüllt werden können. Sol-
che Überlegungen könnten sicher auch in einem zweiten Durchlauf (des Mathematisierungs-
zyklus) in Gang gesetzt werden, wenn sich die Schüler die praktischen Konsequenzen ihrer
Rechnung klar machen. Der Prüfstein Realität würde z. B. in dem Augenblick sehr deutlich
spürbar werden, wenn Tim tatsächlich zehn 1-Meter-Bretter benötigen würde.
Für die oben skizzierten Befunde zu den Lösungen der Schüler bei der zweiten Aufgabe wer-
den in der Literatur zahlreiche Erklärungen vorgeschlagen33. Wichtig ist in diesem Zusam-
menhang die Vermutung, dass Sachrechenaufgaben des zweiten Typs im Mathematikunter-
richt allenfalls sporadisch vorkommen. Schüler haben es also nicht gelernt, solche Aufgaben
zu bearbeiten. Auch in Schulbüchern sind sie wohl eher selten vertreten.
Andererseits ist deutlich geworden, dass bereits eine kleine Variation der Daten in der ur-
sprünglichen Aufgabe zu mehr Realitätsnähe und zu einer stärkeren Herausforderung der Ak-
tivität des sachbezogenen, nicht schematischen Mathematisierens geführt hat.
31 Zu den Grundrechenarten zähle ich auch die Vergleichsoperationen von Zahlen und Größen. 32 Vgl. Verschaffel, L., Greer, B., De Corte, E.: Making Sense of Word Problems. Sweets & Zeitlinger, 2000. 33 Vgl. Verschaffel, L., Greer, B., De Corte, E.: Making Sense of Word Problems. Sweets & Zeitlinger, 2000.
38
Zurück zu unserer Frage. Aufgaben des zweiten Typs sind schlichtweg ein wenig näher am
„Ernstfall“ Realität. Schüler können an solchen Beispielen die Notwendigkeit erkennen, die
„Logik der Sache“ zu berücksichtigen. Um dies aber zu tun, ist eine tiefere kognitive Ausei-
nandersetzung erforderlich als das Abarbeiten des für die Lösung erforderlichen Rechenver-
fahrens. Dass es nun tatsächlich auch um die Sache geht und diese nicht nur eine Alibifunk-
tion hat, könnte zudem die Motivation der Schüler für die Bearbeitung solcher Aufgaben ver-
stärken. In der Regel muss dann nämlich auch die Sache erörtert werden, woraus sich für die
Schüler Anlässe ergeben, hierzu eigene Erfahrungen mit einzubringen.
Untersuchungen haben gezeigt, dass dem Ziel der Entwicklung und Festigung der prozessbe-
zogenen Kompetenz Mathematisieren außermathematischer Situationen im Rahmen des Sach-
rechnens eine Reihe von Barrieren im Wege stehen.
Sachrechnen im Kontext von Schule ist durch eine Vielzahl von „stillschweigend“ wirkenden
Bedingungen, Annahmen und „Spielregeln“ geprägt34. Es ist zu vermuten, dass zwischen die-
sen Spielregeln und den Aufgaben des ersten Typs eine enge Beziehung besteht. Einerseits
favorisieren diese Regeln Aufgaben des ersten Typs, andererseits sind solche Regeln Konse-
quenz des Vorherrschens von solchen Aufgaben.
Eine dieser Spielregeln wurde oben bereits erwähnt:
Sachrechenaufgaben können durch unmittelbares (ggf. wiederholtes) Anwenden von
Grundrechenarten auf die gegebenen Daten gelöst werden. Die in der Aufgabe präsen-
tierte Sachsituation braucht nicht weiter überdacht zu werden. Worauf es ankommt, ist
korrektes Rechnen. Die Sachsituation dient in den meisten Fällen nur als „Einkleidung“
für eine Rechnung.
Darüber hinaus gilt:
Vom Lehrer formulierte oder im Schulbuch enthaltene Sachrechenaufgaben sind per se
sinnvoll und mit den gerade zur Verfügung stehenden mathematischen Mitteln eindeutig
lösbar.
34 Vgl. Verschaffel, L., Greer, B., De Corte, E.: Making Sense of Word Problems. Sweets & Zeitlinger, 2000.
39
Die in einem Schulbuchabschnitt auftretenden Sachrechenaufgaben beziehen sich in der
Regel hauptsächlich auf den mathematischen „Stoff“ dieses Kapitels.
Die in einer Sachrechenaufgabe enthaltenen Informationen reichen zur Lösung der Auf-
gabe aus. Weil es in erster Linie um das Mathematische geht, braucht die Sachsituation
nicht weiter analysiert, hinterfragt, durchdacht oder gar verändert zu werden. Auch die
Veränderung bzw. zeitgemäße Anpassung von Daten insbesondere in Sachrechenaufga-
ben aus älteren Schulbüchern ist nicht zulässig.
Sachrechenaufgaben, die sich in den Rahmen dieser traditionellen Spielregeln einfügen, sind
in der Regel „kurztaktik“, d.h. jede einzelne Aufgabe mit „klein proportionierten Sachverhal-
ten“35 ist in verhältnismäßig kurzer, dem 45-Minuten-Rhythmus der Unterrichtsstunde ange-
passten Zeit zu bearbeiten, und der Sachkontext wechselt vielfach von Aufgabe zu Aufgabe.
Allein diese Kurztaktigkeit schränkt die Schüleraktivität im Wesentlichen auf das Aus- rech-
nen ein.
Ein Beispiel hierzu aus einem Mathematikbuch für das 4. Schuljahr: Ein Tag hat 1440 Minu-
ten. Prüfe nach. Wie viele Minuten hat eine Woche? Bei dieser Sachaufgabe geht es wohl
weniger um die Sache, denn es ist kein Kontext vorhanden, in dem die gegebenen oder noch
zu berechnenden Daten von Bedeutung wären, als um das Einüben des Rechnens mit Zeitein-
heiten und der schriftlichen Multiplikation.
Bender kritisiert an solchen Aufgaben, dass dabei das Sachrechnen zur „Dienstmagd des
Arithmetikunterrichts“ degeneriere (vgl. auch Winter 1997).
Wenn diese Spielregeln, die sich mit zunehmender Beschulungsdauer bei Schülern zu verfes-
tigen scheinen, den Umgang mit Sachrechenaufgaben im Unterricht steuern, dann wundert es
eigentlich nicht,
wenn Schüler im Kontext Schule auch sinnlose, sog. Kapitänsaufgaben36 „lösen“,
wenn bei Schülern, die im Unterricht Sachrechenaufgaben auf eigenen Wegen, außer-
halb der o.g. Spielregeln lösen, der defizitorientierte Blick mancher Lehrkräfte eher das
35 Bender, P.: Der Primat der „Sache“ im Sachrechnen (der Primarstufe). In: Beitr. z. Mathematikunterricht 1984, 75 – 78. 36 Baruk, S.: Wie alt ist der Kapitän? Birkhäuser Verlag, Basel 1989. Selter, Ch., Spiegel, H.: Wie Kinder rech-nen. Klett Grundschulverlag, Leipzig 1997.
40
Abweichen vom „rechten Weg“ registriert als die Kompetenz zur eigenständigen, mit
eigenen Mitteln erreichten Lösung der Aufgabe,
wenn Schüler außerhalb von Schule bei der rechnerischen Bewältigung von Sachsituati-
onen des „wirklichen Lebens“ auf eigenen, ganz anderen als den in der Schule vermit-
telten Wegen erfolgreich sind.
Aktivität 10
1. Wie ist Ihre Meinung zu den beiden Aufgabentypen, was spricht für/gegen den jewei-
ligen Aufgabentyp?
2. Suchen Sie in Schulbüchern Sachrechenaufgaben zu den beiden Typen.
3. Wir haben gesehen, wie aus der ersten Aufgabe dieses Beispiels eine „realistischere,
das Mathematisieren stärker herausfordernde“ Variante gewonnen werden konnte.
Versuchen Sie, aus geeigneten Aufgaben solche Varianten zu konstruieren.
4. Nehmen Sie sich bitte in Schulbüchern für verschiedene Klassenstufen die Sachre-
chenaufgaben zu einzelnen Kapiteln vor und schätzen Sie ein ob und in welchem
Ausmaß die Wintersche Forderung erfüllt wird:
„Sachsituationen sind hier nicht nur Mittel zur Anregung, Verkörperung oder Übung,
sondern selbst der Stoff, den es zu bearbeiten gilt. Sachrechnen ist damit ein Stück
Sachkunde. Die Schüler sollen befähigt werden, umweltliche Situationen durch ma-
thematisches Modellieren klarer, bewusster und auch kritischer zu sehen.“
Weiteres Material für die Aufgabenvariation finden Sie unter den Aufgaben in
Anhang 2.
7 Statt einer Zusammenfassung: Vorschlag für ein Unterrichtsbei-
spiel
Sie haben in diesem Modul zwei grundlegende Instrumente für die Unterrichtsplanung kennen
gelernt, nämlich Aufgabenanalyse und Aufgabenvariation, um bei Ihren Schülern die Ent-
wicklung und Festigung wichtiger prozessbezogener Kompetenzen (und deren Ausdifferen-
zierung), wie Mathematisieren, Kreativität und Argumentieren, anzuregen.
41
Im Folgenden möchte ich Ihnen zum themenbezogenen Sachrechnen aus dem Umweltbereich
Zeit/Kalender einen Vorschlag für ein Unterrichtsbeispiel machen, zu dessen detaillierter
Ausarbeitung das oben genannte Instrumentarium eingesetzt werden soll. Ziel ist es also, mit
der Bearbeitung im Unterricht bei den Schülern prozessbezogene Aktivitäten zu initiieren.
Startpunkte zu einem Unterrichtsbeispiel: Freitag, der 13.
Hintergrund
Raum und Zeit sind die zentralen Grundkategorien unserer Welterfahrung. Deshalb kommt
diesen Konzepten bereits in der Grundschule eine fundamentale Bedeutung zu. Eines der
grundlegenden Orientierungsinstrumente in der Zeit ist neben der Uhr der Kalender.
Um was geht es?
Das Datum Freitag, der 13. scheint tief im „Volksglauben“ verankert zu sein. Wen man auch
mit dem Stichwort „Freitag, der dreizehnte“ konfrontiert: Stets erfährt man etwas über Mei-
nungen, Gefühle, Erfahrungen zu diesem „besonderen“ Datum. Häufig sind die Äußerungen
kontrovers: Freitag, der dreizehnte als Pech- bzw. als Glückstag, als häufiger bzw. als seltener
und manchmal überhaupt nicht im Jahr auftretender Tag. Freitag, der dreizehnte als Tag wie
jeder andere, als Aberglaube.
In natürlicher Weise bietet das Thema Ansätze zu fächerübergreifendem Arbeiten mit den
Schülern. Kontroverse Schüler- und Erwachsenenmeinungen über die Häufigkeit von Freita-
gen, die in einem Jahr auf den Monatsdreizehnten fallen, führen zu dem Sachproblem:
Kommt in jedem Jahr mindestens einmal Freitag, der 13. vor?
Es wird sich zeigen, dass es sich bei diesem Beispiel um ein komplexes, auf unsere Umwelt
bezogenes Problem handelt. Der Problemcharakter der Fragestellung ergibt sich für die Schü-
ler wohl hauptsächlich daraus, dass ihnen nach einer Phase der Klärung zwar das anzustre-
bende Ziel vor Augen stehen dürfte, sie aber auf kein unmittelbar abrufbares Lösungsverfah-
ren zurückgreifen können37. Der Realitätsbezug ist offensichtlich: Unterschiedliche Vermu-
37 Zur begrifflichen Unterscheidung von Sachaufgabe, Sachproblem, Sachkontext vgl. Winter, H.: Aufgaben, Probleme, Kontexte – zur grundsätzlichen Problematik des Sachrechnens in der Grundschule. In: Sachunterricht u. Mathematik in der Primarstufe 8 (1992), S. 350, S. 363-369.
42
tungen von konkreten Schülern bzw. Erwachsenen sowie die Anbindung des Sachproblems an
den realen Kalender sorgen sogar für dessen Authentizität. Die Komplexität dieses Sachprob-
lems beruht vor allem auf der Vielzahl und Vielfalt der zu seiner Bearbeitung erforderlichen
Aktivitäten.
Bei unserem Sachproblem wird die Sache nicht zum Vehikel instrumentalisiert, um Mathema-
tik schmackhaft zu machen, vielmehr sind Sache und Mathematik grundlegend aufeinander
bezogen. Mathematik dient hier in substantieller Weise dazu, eine Fragestellung aus unserer
Umwelt zugänglich zu machen, zu bearbeiten und aufzuklären.
Dabei können die Schüler den Nutzen von Mathematik aber auch deren Grenzen, etwa bei
nicht durch Mathematik aufzulösenden abergläubischen Einstellungen, erfahren. Die bei der
Bearbeitung des Problems auch wirksam werdenden Übungseffekte für mathematische (und
sachkundliche) Begriffe und Verfahren werden gern „mitgenommen“, stehen aber nicht im
Zentrum.
Einstiege
1. Mit Material aus den Medien. Wenn der Freitag tatsächlich auf den 13. eines Monats
fällt, so ist das immer wieder Anlass für einige Zeitungen, sich zu diesem „besonderen“ Da-
tum zu äußern. Solche Zeitungsnotizen müssen nicht unbedingt ganz aktuell sein. Die Tatsa-
che, dass sich – vielleicht vor ein paar Jahren – Zeitungen dieses Themas angenommen haben,
belegt die Authentizität des Themas.
Am Freitag, dem 13. September 1996 etwa, erschien passend zum Datum im Magazin der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Artikel von François
Fricker mit der Überschrift „Die kleine Mathematik des Teu-
fels oder gute Gründe für den Aberglauben“ (vgl. den abge-
bildeten Zeitungsausriss). Der Autor des Beitrages setzt sich
mit Zahlenmystik auseinander, insbesondere mit dem Aber-
glauben und der Angst, die sich um die Zahl 13 und das Da-
tum Freitag, den 13., ranken. Wie sieht es mit Meinungen,
Erfahrungen der Schüler zu diesem Datum aus?
Und was heißt das nun, diese „unwillkommene Paarung von Zahl und Tag“ werde nur „alle
paar Schaltjahre“ vollzogen?
43
Wenn man in der Presse nicht fündig wird, so kann man sich mit Suchmaschinen im Internet
viele authentische Einstiege in das Thema verschaffen38.
2. Mit Schüleräußerungen. Schüler verschiedener Klassenstufen haben die Frage „Was fällt
dir zu Freitag, dem 13., ein?“ so beantwortet:
38 Auch am Freitag, dem 13. August 2004, erschienen in der Presse (Übersicht im Internet) zahlreiche Artikel zu diesem Datum.
44
Man könnte einen dieser Texte nehmen und die Schüler fragen, was sie zu „Freitag, dem 13.“
meinen.
Bei näherer Beschäftigung mit dem Thema wird auch sein fächerübergreifendes Potenzial
deutlich. Der sprachliche Bereich ist gefordert, wenn Schüler ihre eigene Meinung zu diesem
„besonderen“ Datum artikulieren, fixieren und z.B. Erkundigungen dazu bei anderen Men-
schen einholen, die Ergebnisse der Erkundigungen fixieren, usw. Aus der Sicht des Faches
Religion könnten Begriffe wie Schicksal, Glaube, Aberglaube, Volksglaube erörtert und prä-
zisiert werden.
45
Literatur
Baruk, S.: Wie alt ist der Kapitän? Birkhäuser Verlag, Basel 1989.
Bender, P.: Der Primat der „Sache“ im Sachrechnen (der Primarstufe). In: Beiträge zum Ma-
thematikunterricht. Franzbecker Verlag, Hildesheim 1984, S. 75 - 78.
Christiansen, B. und Walther, G.: Task and activity. In: Christiansen, B. et al.: Pespectives in
Mathematics Teacher Education. D. Reidel Publishing Company, 1986, p. 243 – 307.
Franke, M.: Didaktik des Sachrechnens in der Grundschule. Spektrum Verlag, Heidelberg
2003.
Fricker, F.: Die kleine Mathematik des Teufels oder gute Gründe für den Aberglauben. In:
FAZ Magazin vom 13. 9. 1996.
KMK. Beschlüsse der Kultusministerkonferenz. Bildungsstandards im Fach Mathematik
(Jahrgangsstufe 4). Entwurf (Stand: 23.04.04).
Krauthausen, G.: Allgemeine Lernziele im Mathematikunterricht der Grundschule. In: Die
Grundschulzeitschrift 119/1998, S. 54 – 61.
Leuders, T.: Qualität im Mathematikunterricht der Sekundarstufe I und II. Cornelsen Verlag,
Berlin 2001.
Müller, G. N. und Wittmann, E. Ch.: Handbuch produktiver Rechenübungen (2 Bände). Klett,
Schulbuchverlag, Stuttgart 1990.
Radatz, H., Schipper, W., Dröge, R., Ebeling, A.: Handbuch für den Mathematikunterricht –
1. Schuljahr. Schroedel, Hannover 1996.
Radatz, H., Schipper, W., Dröge, R., Ebeling, A.: Handbuch für den Mathematikunterricht –
2. Schuljahr. Schroedel, Hannover 1998.
46
Radatz, H., Schipper, W., Dröge, R., Ebeling, A.: Handbuch für den Mathematikunterricht –
3. Schuljahr. Schroedel, Hannover 1999.
Schipper, W., Dröge, R., Ebeling, A.: Handbuch für den Mathematikunterricht – 4. Schuljahr.
Schroedel, Hannover 2000.
Ruwisch, S. und Peter – Koop, A.: Gute Aufgaben im Mathematikunterricht der Grundschule.
Mildenberger Verlag, Offenburg 2003.
Schupp, H.: Thema mit Variationen oder Aufgabenvariation im Mathematikunterricht. Franz-
becker Verlag, Hildesheim 2002.
Selter, Ch., Spiegel, H.: Wie Kinder rechnen. Klett Grundschulverlag, Leipzig 1997.
Steinweg, A. S.: Zur Entwicklung des Zahlenmusterverständnisses bei Kindern. LIT, Münster
2001.
Verschaffel, L., Greer, B., De Corte, E.: Making Sense of Word Problems. Sweets & Zeitlin-
ger, 2000.
Walther, G.: Zur Rolle von Aufgaben im Mathematikunterricht. In: Beiträge zum Mathema-
tikunterricht. Franzbecker Verlag, Hildesheim 1985, S. 28 – 42.
Walther, G.: Mathematik rund um den Kalender, ein integrierendes Thema für den Mathema-
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Walther, G.: Mathematik themenorientiert. In: Grundschule 7/8 (1998), S. 15 –17.
Winter, H.: Vorstellungen zur Entwicklung von Curricula für den Mathematikunterricht in der
Gesamtschule. In: Beiträge zum Lernzielproblem. Eine Schriftenreihe des Kultusministers
NRW, Henn Verlag, Ratingen 1972, S. 67 – 95.
Winter, H.: Allgemeine Lernziele für den Mathematikunterricht? In: Zentralblatt für Didaktik
der Mathematik 7 (1975), S. 106 – 116.
47
Winter, H.: Mathematik entdecken – neue Ansätze für den Unterricht in der Grundschule.
Scriptor, Frankfurt 1987.
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nens in der Grundschule. In: Sachunterricht u. Mathematik in der Primarstufe 8 (1992), S.
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Winter, H.: Problemorientierung des Sachrechnens in der Primarstufe als Möglichkeit, entde-
ckendes Lernen zu fördern. In: Bardy, B. (Hrsg.): Mathematische und mathematikdidaktische
Ausbildung von Grundschullehrerinnen/-lehrern ...Beltz Verlag, Weinheim 1997.
Winter, H.: Sachrechnen in der Grundschule, Cornelsen 1992.
Wittmann, E. Ch.: Grundfragen des Mathematikunterrichts. Vieweg Verlag, Braunschweig
1981.
Weitere Literaturhinweise zum Mathematikmodul G1
„Gute Aufgaben“
• Erichson, CH. (2004). Simulation und Authentizität – Wie viel Realität braucht
das Sachrechnen? In M. Baum & H. Wielpütz, Mathematik in der Grundschu-
le. Ein Arbeitsbuch (S.185-194). Seelze: Kallmeyer.
• Schipper, W. (1998). Prozessorientierte Leistungsbewertung im Mathematik-
unterricht. In Grundschulunterricht 11, S.21-24.
• Walther, G. (1998). Mathematik: themenorientiert. In Grundschule 7-8, S.15-
17.
• Winter, H. (1994). Modelle als Konstrukte zwischen lebensweltlichen Situatio-
nen und arithmetischen Begriffen. In Grundschule 3, S.10-13.
• Winter, H. (2004). „Gute Aufgaben“ für das Sachrechnen. In M. Baum & H.
Wielpütz, Mathematik in der Grundschule. Ein Arbeitsbuch (S.177-183). Seel-
ze: Kallmeyer.
1
Modul 1: Gute Aufgaben. Anhang 1 2 Allgemeine mathematische Kompetenzen im Fach Mathematik (nach den Bildungsstandards im Fach Mathematik, Jahrgangsstufe 4, S. 9-10) Allgemeine mathematische Kompetenzen zeigen sich in der lebendigen Auseinandersetzung mit Mathematik und auf die gleiche Weise, in der tätigen Auseinandersetzung, werden sie erworben. Die angestrebten Formen der Nutzung von Mathematik müssen daher auch regelmäßig genutzte Formen des Mathematiklernens sein. Von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Nutzung und Aneignung von Mathematik sind vor allem die folgenden sechs allgemeinen mathematischen Kompetenzen:
Mathematikunterricht in der Grundschule
Allgemeine mathematische Kompetenzen: Probleme mathematisch
lösen Kommunizieren
Mathematisch
argumentieren Mathematisch
modellieren Mathematische
Darstellungen verwenden
Nutzung
mathematischer Hilfsmittel und Arbeitsweisen
Inhaltsbezogene mathematische Kompetenzen
2
Diese lassen sich für Schülerinnen und Schüler am Ende der 4. Jahrgangsstufe wie folgt konkretisieren: Probleme mathematisch lösen
• mathematische Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten anwenden und beim Lösen mathematischer Probleme nutzen • inner- und außermathematische Probleme lösen • für die Lösung von Problemen geeignete Strategien finden und nutzen • den Prozess der Lösung mathematischer Probleme sprachlich und mit anderen Mitteln darstellen, reflektieren und kontrollieren
Kommunizieren
• Sachtexten und anderen Darstellungen die relevanten Informationen entnehmen und mit anderen darüber kommunizieren • die Vorgehensweisen von Mitschülern beim Lösen von Aufgaben nachvollziehen und einschätzen • mit Mitschülern und Lehrkräften Ideen für die Lösung von Problemen entwickeln und Vor- und Nachteile verschiedener Vorgehensweisen einschätzen • mathematische Fachbegriffe verwenden
Mathematisch argumentieren
• mathematische Aussagen neugierig und kritisch hinterfragen • Argumente nachvollziehen und reproduzieren • mathematische Zusammenhänge beschreiben • mathematische Begründungen entwickeln und verstehen
Mathematisch modellieren
• Mathematik in Sachkontexten erkennen und anwenden • Sachprobleme in die Sprache der Mathematik übersetzen, innermathematisch lösen und diese Lösungen in der Lebenswirklichkeit prüfen ("Anwendungsorientierung") • zu Termen, Gleichungen und bildlichen Darstellungen Sachaufgaben formulieren
Mathematische Darstellungen verwenden
• mathematische Sachverhalte auf verschiedene Weise darstellen • eine Darstellung in eine andere übertragen • für das Lösen mathematischer Probleme geeignete Darstellungen auswählen und nutzen
Nutzung mathematischer Hilfsmittel und Arbeitsweisen
• fachspezifische Zeichen und Sprechweisen verwenden • geeignete Kontrollverfahren ausführen • mit Gleichungen, Termen, Platzhaltern, Diagrammen und Tabellen arbeiten • Hilfsmittel verwenden
1
Modul 1: Gute Aufgaben. Anhang 2 Aktivitäten. Anregungen zur Aufgabenanalyse (Schwerpunkt: prozessbezogene Kompetenzen) Beispiel 1 Beispiel 2
Beispiel 3
4
Beispiel 8 Beispiel 9 Beispiel 10 Die übliche Hundertertafel ist bekannt. Die unten abgebildete Hundertertafel ist eine Variante der üblichen Hundertertafel (zur Variation von Aufgaben vgl. 6.3) Die Zahlen 0, 1, 2, ..., 100 sind nach einer bestimmten Regel in einer Zahlentafel aufgeschrieben. Ergänze in den abgebildeten Ausschnitten aus der Zahlentafel die fehlenden Zahlen.
a) Denke dir eine Zahl zwischen 100 und 200. Multipliziere die Zahl mit 75, anschließend das Ergebnis mit 64. Dividiere dann erst durch 80 und dann noch durch 60. (In diesem Beispiel wurde aus Platzgründen gegenüber dem Original nur die Positionierung zwischen Bild und Text geändert).
0 2 4 6 8
1 3 5 7 9
10 12 14 16 18
11 13 15 17 19
20 22 24 26 28
... ... ...
53
56
69
83
61
5
Fortsetzung Dies ist ein quadratischer Ausschnitt aus der Zahlentafel (oben) Vergleiche die Produkte der Zahlen die direkt untereinander (nebeneinander) stehen: 12 * 13 = 156, 14 * 15 = 210. Vergleiche die Produkte der Zahlen die quer gegenüber stehen: 12 * 15 = 180, 14 * 13 = 182. Stelle diese Vergleiche für einen anderen quadratischen Ausschnitt der Zahlentafel an. Die Summe aller Zahlen in dem oben gezeigten quadratischen Ausschnitt ist 12 + 14 + 13 + 15 = 54 Vergleiche mit der Summe eines anderen quadratischen Ausschnitts. Wie hängen die errechneten Summen zusammen?
12 14
13 15
2
3
12
Vergleiche die Summen der Zahlen die direkt untereinander (nebeneinander) stehen: 12 + 13 = 25, 14 + 15 = 29 Vergleiche die Summen der Zahlen die quer gegenüber stehen: 12 + 15 27, 14 + 13 = 27.
Die Summe der Zahle in dieser Dreierstange ist 2 + 3 + 12 = 17 Vergleiche mit den Summen von anderen Dreierstangen.
12
13 15
14
15 17
15
24 26
13
22 24
Dies sind L-förmige Ausschnitte aus dem Zahlenfeld. Sie liegen im Zahlenfeld nebeneinander. Die Summe der Zahlen im linken L ist 12 + 13 + 15 = 40 Die Summe der Zahlen im L daneben ist 14 + 15 + 17 = 46
Diese L-förmigen Ausschnitte aus dem Zahlenfeld liegen unmittelbar unter den beidenLs (oben). Die Summe der Zahlen im linken L ist 13 + 22 + 24 = 59 Die Summe der Zahlen im L daneben ist 15 + 24 + 26 = 65
6
Beispiel 12 Rechendreieck Auf den drei Feldern des ersten Dreiecks stehen die Zahlen 3, 4, 9. Trage die fehlenden Zahlen in die nächsten Dreiecke ein. Beispiel 13 In dem Quadrat mit Seitenlänge 7 sind die kleinen Quadrate auf den beiden Diagonalen grau gefärbt. Wie viele kleine weiße Quadrate enthält das Siebenerquadrat?
Die Zahlen des zweiten Dreiecks werden so gebildet: Jeweils zwei Zahlen im vorherigen Dreieck werden addiert und die Summe in das gegenüber liegende Feld des zweiten Dreiecks geschrieben. 7
13
12 9
3
4
19
7
Beispiel 14 Vergilbte Zeichnungen Links in Bild 1 ist die Originalfigur zu sehen. In den Bildern 2, 3, 4 ist jeweils ein Teil der gedrehten Originalfigur gezeichnet. Ergänze die fehlenden Linien oder begründe, wenn es nicht geht. Analoge Aufgabe für die Originalfigur in Bild 5 Beispiel 15 Jana baut aus schwarzen und weißen Würfeln folgende Figuren
Bild 1 Bild 2 Bild 3 Bild 4
Bild 5 Bild 6 Bild 7 Bild 8
8
Anschließend hat Jana von einer der Figuren gezeichnet, was man sieht, wenn man von darauf guckt. Welche Figur ist es? Beispiel 16 Dies ist ein Wegegitter (Bild 1), auf dem sich Karl, der Roboter auf den gezeichneten Linien von einem schwarzen Feld zum andern bewegen kann. Karl startet z.B. auf dem Feld S, muss dann auf seinem Weg alle schwarzen Felder besuchen und auf das Feld S zurückkehren. Dabei darf er, mit Ausnahme von S jedes Feld nur einmal besuchen. Nur auf S kommt Karl zweimal: beim Start und bei der Rückkehr. Wie ein solcher Rundweg aussehen kann zeigt Bild 2 (dick gezeichnet). Es fällt in Bild 2 auf, dass Karl nicht alle zur Verfügung stehenden Wege benutzt (dünne Linien). Wie viele Wege benutzt Karl auf seinem Rundweg nicht? Bearbeite die gleiche Frage für das Wegegitter mit 20 schwarzen Feldern (Bild 3).
oben links rechts vorn
Bild 1 Bild 2
S S
Bild 3
SINUS-Transfer Grundschule
Partner des Programm
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S-Transfer Grundschule
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SINUS-Transfer GrundschuleProjektkoordination am IPN: Dr. Claudia FischerTel. +49(0)431/[email protected]
Programmkoordination für die Länder durch dasMinisterium für Bildung und Frauen des Landes Schles-wig-Holstein (MBF)MR Werner Klein (SINUS-Transfer Grundschule)http://landesregierung.schleswig-holstein.de
Landeskoordinatorenausbildung durch dasStaatsinstitut für Schulqualität und BildungsforschungStD Christoph Hammer; gemeinsam mit dem IPNwww.isb.bayern.de
Serverbetreuung: Zentrum zur Förderung des mathema-tisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts der Universität Bayreuth (Z-MNU)Leitung: Prof. Dr. Peter Baptisthttp://zmnu.uni-bayreuth.de
Hinweis: Die Modulbeschreibungen sind während der Laufzeit des Programms SINUS-Transfer Grundschule (2004-2009) entstanden. Die Liste der Kooperationspartner galt für diesen Zeit-raum. Im Nachfolgeprogramm SINUS an Grundschulen sind die Kooperationen anders strukturiert.
ISBN für diese Modulbeschreibung (Mathematik G1)978-3-89088-180-5