Modulatoren epigenetischer Regulationsmechanismen: Medizinische Chemie neuer KDM4-Inhibitoren und Methodenentwicklung zur SFC-MS-Analytik von Ketaminmetaboliten I n a u g u r a l d i s s e r t a t i o n zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Naturwissenschaften (Dr. rer. Nat.) der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Greifswald vorgelegt von Georg Michael Fassauer Greifswald, Juli 2018
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Modulatoren epigenetischer Regulationsmechanismen · Modulatoren epigenetischer Regulationsmechanismen: Medizinische Chemie neuer KDM4-Inhibitoren und Methodenentwicklung zur SFC-MS-Analytik
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RSD Relative Standardabweichung (Relative Standard Deviation)
s Singulett (NMR-Spektroskopie), strong (MIR-Spektroskopie)
SC Säulenchromatographie
sCO2 Überkritisches CO2
SD Standardabweichung (Standard Deviation)
SFC Supercritical Fluid Chromatography
SIM Selected Ion Monitoring
SPE Solid Phase Extraction
SSRI Selective Serotonine Reuptake Inhibitor
TEA Triethylamin
TEA∙HCl Triethylammoniumchlorid
THF Tetrahydrofuran
TOF Time of Flight
TZA Tri- und tetrazyklische Antidepressiva
ULOQ Upper Limit of Quantification
UV/Vis Ultraviolet/Visible
w weak (MIR-Spektroskopie)
WHO World Health Organization
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Einleitung | 1
1 Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
1.1 Einleitung
Bereits im Jahr 1940 wurde der Begriff Epigenetik geprägt, um die Bedeutung der
Entwicklung von verschiedenartigen Zelltypen aus ein und demselben Genom zu
adressieren und die Entstehung des Phänotyps in Korrelation von Genen und Umwelt zu
begründen1. Im modernen Kontext wird Epigenetik als potentiell vererbbare, aber durch
Umwelteinflüsse veränderbare Regulation der genetischen Funktion und Expression,
welche auf nicht DNA-codierten Mechanismen beruht, verstanden2. Heute lassen sich viele
Beispiele von epigenetischen Modifikationen aufführen, so werden unter anderem kausale
Zusammenhänge mit zahlreichen Krankheitsgeschehen angenommen. Besonders
eingängig war die Entdeckung, dass Bienenlarven sich auf Grund von differenzierter
Nutrition entweder zur Arbeiterbiene oder zur Bienenkönigin entwickeln konnten. Das
Genom war jeweils identisch, die unterschiedliche Ernährung führte jedoch zu
andersartigen Methylierungsmustern der DNA und damit zu heterogenen Phänotypen3.
Obwohl schon einige Arzneistoffe, welche in epigenetische Regulationsvorgänge
eingreifen, zur Verfügung stehen, ist das Forschungsfeld nach wie vor attraktiv. Im
Folgenden sollen die verschieden Arten von bekannten Modifikationen aufgezählt und
teilweise erörtert werden. Da oftmals chromatinische Strukturen Angriffspunkt von
epigenetischen Veränderungen sind, sollen auch diese kurz erläutert werden.
1.1.1 Aufbau des Chromatins und epigenetische Modifikationen
Auf Grund der Fülle an Informationen, welche im Erbgut gespeichert ist, müssen die
entsprechend langen, linearen molekularen Informationsträger, die DNA-Helices, „gepackt“
(kondensiert) werden. Dieses geschieht in Form von Chromatin, einer Assoziation von
DNA, Histonen, Nicht-Histon-Proteinen und RNA. Strukturell besteht eine Chromatin-
Einheit (Nucleosom) aus einem Histon-Oktamer, zusammengesetzt aus einem Tetramer
von jeweils zwei Histonen H3/H4, zwei Dimeren bestehend aus Histon H2A/H2B und etwa
147 Basenpaaren DNA in helikaler Form, die um das Oktamer gewunden sind4 (Abb. 1
oben). Mit dem fünften Histon H1 wird ein Linker zu Verfügung gestellt, welcher die weitere
Komprimierung zu Chromatinstrukturen höherer Ordnung ermöglicht. Die Packungsdichte
des Chromatins wird unter anderem durch epigenetische Modulatoren beeinflusst und
damit auch eine Möglichkeit zur Regulation der Transkription eröffnet. Das für die Mitose
essentielle, dichter gepackte Heterochromatin ist für Ableseprozesse weniger gut geeignet,
während das aufgelockerte Euchromatin für Transkriptionsabläufe besser zugänglich ist.
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
2 | Einleitung
Ein ausgeglichenes Verhältnis beider Chromatinarten ist für die störungsfreie
Genexpression von großer Bedeutung5.
Abb. 1: Oben: Aufbau eines Chromosomen-Kern-Komplexes mit umwindender DNA (PDB: 1KX5) (Farben der Histone entsprechen der unteren Abbildung). Unten: Organisation des Chromatins und N-terminale Histonstränge (modifiziert nach Sun et al.6): Grundlage von eukaryotischen Genomen ist die DNA, welche gewunden um Histone vorliegt. Diese Anordnungen können weiter komprimiert werden und formen so höhere Ordnungen wie Solenoide oder Chromosomen aus. Die vom Histon-Oktamer (bestehend aus jeweils zwei Kopien von H2A, H2B, H3, H4) hinausstehenden N-terminalen Enden können Ziel von posttranslationalen Modifikationen wie Acylierungen und Methylierungen sein (Alterationsmöglichkeiten von Lysinen graphisch markiert, die gezeigten Längen der Histone entsprechen nur einem Ausschnitt).
Posttranslationale Modifikationen sind reversible Vorgänge, so steht in der Regel jedem
„Writer“ (Einfügen einer Modifikation) ein „Eraser“ (Entfernen einer Modifikation)
gegenüber. Mit Hilfe von „Readern“ werden die Modifikationen erkannt und
nachgeschaltete Kaskaden gestartet7. Da der Fokus dieser Arbeit auf den Histon-
Demethylasen liegt, sollen andere epigenetische Modifikationen an dieser Stelle nur
umrissen werden.
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Einleitung | 3
Ein nicht direkt Histon-modifizierender epigenetischer Eingriff ist die Methylierung von DNA.
Diese findet hauptsächlich an Position C5 von Cytosin statt und wird von dem Enzym DNA-
Methyltransferase (DNMT), unter Verwendung von S-Adenosylmethionin (SAM) als
Methylgruppendonor, katalysiert. Es sind verschiedene Varianten des Enzyms bekannt
(DNMT1, DNMT3a und DNMT3b8), welche jeweils eigene Erkennungsmuster besitzen9. Die
Entwicklung von Modulatoren der DNA-Methyltransferasen ist fortgeschritten, so dass
bereits Arzneistoffe eine Zulassung erhielten. Mit Decitabin (E1, Abb. 2), einem Cytidin-
Desoxynucleosidanalogon, werden DNMTs gehemmt und so eine Gen-Promoter-
Hypomethylierung provoziert, die in einer Reaktivierung der Tumorsuppressor-Gene und
einer Induktion der Zelldifferenzierung oder der Zellseneszenz, gefolgt von programmiertem
Zelltod, resultieren kann10. Azacitidin (E2) wirkt über einen aktuell weniger gut geklärten
Mechanismus, greift aber ebenfalls mit hemmender Wirkung in die Funktion von DNMT ein,
was eine Hypomethylierung der inadäquat methylierten Gene zu Folge hat und somit in
Krebszellen zur Re-Expression und zur Aktivierung Krebs-unterdrückender Funktionen
führen könnte11. Beide Inhibitoren besitzen eine Zulassung für die Indikation akute
myeloische Leukämie (AML), Azacitidin wird zusätzlich noch angewendet bei
myelodysplastischen Syndromen (MDS) und chronischer myelomonozytärer Leukämie
(CMML). Als „Eraser“ der DNMT können Ten-Eleven-Translocation (TET) Methylcytosin-
Dioxygenasen angesehen werden, welche die neu eingefügte Methylgruppe des
5-Methylcytosins zwar nicht entfernen, 5-Methylcytosin durch Hydroxylierung aber in
5-Hydroxymethylcytosin überführen können12. Interessanterweise ist dieses Enzym
abhängig von 2-Oxoglutarat (2OG) und Fe(II)13. Damit weist es eine gewisse Ähnlichkeit zu
den JmjC-Domänen enthaltenden Histon-Demethylasen auf. Da auch Mutationen der TETs
in Tumoren nachgewiesen werden konnten14, erscheint der Nutzen einer Hemmung oder
Aktivierung von DNMTs beziehungsweise der TETs in hohem Maße individuell zu sein.
Abb. 2: DNA-Methylase-Inhibitoren Decitabin und Azacitidin, Histon-Desacylase-Inhibitoren Vorinostat, Belinostat und Panobinostat.
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
4 | Einleitung
Ein weiteres „Writer-Eraser-Paar“ modifiziert freie Aminogruppen der Aminosäure Lysin von
N-terminalen Enden der Histonproteine mit Acylresten (einige Substrate in Abb. 1 unten).
Histon-Acetyltransferasen (HATs) fügen unter Zuhilfenahme von Acetyl-Coenzym A eine
Acetyl-Gruppe ein. Die basisch reagierende, leicht protonierbare Aminofunktion wird
dadurch in ein nicht mehr basisches Carbonsäureamid umgewandelt, was theoretisch zu
einer Verminderung der elektrostatischen Wechselwirkung zwischen positiv geladenem
Protein und negativ geladener DNA führt. Daraus resultieren eine Auflockerung des
Chromatins und eine erhöhte Transkriptionsbereitschaft. Die Rückreaktion, also das
Entfernen von Acetyl- und auch anderen kleinen Acylgruppen, wird durch Histon-
Desacylasen (HDACs) katalysiert. Diese arbeiten entweder Zink-abhängig (Klasse I, II und
IV) oder mittels NAD+ (Klasse III oder Sirtuine)15,16. Für die Zink-abhängigen HDACs
konnten ebenfalls Inhibitoren für die Arzneimitteltherapie zugelassen werden. So zielen die
drei Hydroxamsäurederivate Vorinostat (E3), Belinostat (E4) und Panobinostat (E5, Abb. 2)
auf eine Komplexierung des zentralen Zn2+-Kations ab17. Bei dem cyclischen Peptid
Romidepsin (nicht abgebildet) können nach reduktiver Spaltung einer Disulfidbrücke in vivo
entstandene Thiolgruppen an das metallische Zentrum koordiniert werden18. Auch hier sind
die Indikationen in der Therapie von Tumorerkrankungen angesiedelt (u. a. T-Zell-
Lymphome und Multiples Myelom). Interessanterweise sind darüber hinaus Nicht-Histon-
Proteine wie das Tumorsuppressor-Gen p53 oder der Transkriptionsfaktor NF-κB mögliche
Substrate der HATs/HDACs19. Weitere Modulationen von den vor allem aus dem
Chromosomeninneren herausragenden Histon-Enden können ferner Phosphorylierungen
(„Writer“: Histon-Kinasen, „Eraser“: Histon-Phosphatasen)20 und ADP-Ribosylierungen
Abb. 7: Vergleich der Aminosäuresequenzen von KDM4A und KDM4D: erste Reihe: Position; zweite Reihe: KDM4A; dritte Reihe: KDM4D; vierte Reihe: bei Übereinstimmung Markierung mit #, usw. Die grün hervorgehobenen Aminosäuren werden zum Komplexieren des Fe2+-Ions benötigt, die rot markierten Stellen repräsentieren relevante Wechselwirkungspartner für die in dieser Arbeit synthetisierten Inhibitoren. Die Zählweise der jeweiligen Positionen der Aminosäuren ist an KDM4D angepasst.
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
12 | Einleitung
bereits erste klinische Studien mit Inhibitoren durchgeführt werden. Das nächste Kapitel soll
eine Übersicht über die aktuelle Entwicklung von KDM- und LSD-Inhibitoren geben.
1.1.2 Literaturübersicht über bisher publizierte Histon-Demethylase-Inhibitoren
Die Aktualität des hier behandelten Themas wird auch dadurch unterstrichen, dass in den
letzten Jahren zahlreiche Übersichtsarbeiten publiziert worden sind. So lassen sich
allgemeine59,60, spezifische61 und drei hochaktuelle Arbeiten, welche im Jahr 2018
erschienen sind62-64, finden.
1.1.2.1 Inhibitoren der Lysin-spezifischen Histon-Demethylase
Da nach der Entdeckung und Aufklärung von LSD1 relativ schnell klar wurde, dass eine
Homologie zur MAO-A und -B bestand, war es nur folgerichtig, bekannte MAO-Inhibitoren
auch auf ihre biologische Aktivität gegen LSD1/2 zu testen. Der irreversible MAO-Hemmer
Tranylcypromin (E5) zeigte in einem orientierenden Versuch einen IC50-Wert von 2 µM und
diente damit als Leitstruktur für weitere Derivatisierungen65 (Abb. 8). Ein durch nucleophilen
Angriff an den Cyclopropylrest erhaltenes FAD-Addukt sorgte bei LSD1/2 ebenfalls für
einen irreversiblen Bindungsmodus. Da E5 bereits ein zugelassener und somit gut
untersuchter Arzneistoff war, konnten mehrere klinische Studien zur Behandlung von akuter
myeloischer Leukämie (AML) vergleichsweise schnell initiiert werden66,67. Auch die Derivate
GSK2879552 (E8) und ORY-1001 (E9) sind beziehungsweise waren ebenfalls Gegenstand
von Phase-I-Studien68,69. Damit stellen die Substanzen auf Tranylcypromin-Basis bisher die
am weitesten fortgeschrittenen Inhibitoren aller Histon-Lysin-Demethylasen in der Klinik
dar. Ferner wurden auch die MAO-Hemmer Phenelzin und Pargylin weiter modifiziert, um
beispielsweise die Potenz oder die Selektivität gegen LSD1 zu steigern. Mit Bizine (E10)
und dem Propargyl-Lysin-derivatisierten Peptid E11 (basierend auf einer modifizierten
H3-Substratpeptidsequenz) wurden zwei Analoga veröffentlicht70,71. Beide Inhibitoren
weisen ebenfalls irreversibles Bindungsverhalten auf, da der „Warhead“ (ein Hydrazin- oder
Propargyl-Rest) eine kovalente Bindung mit dem Enzym ausbildet.
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Einleitung | 13
Abb. 8: Auswahl einiger auf Tranylcypromin, Phenelzin oder Pargylin basierender LSD-Inhibitoren.
Gleichermaßen wurden reversible Inhibitoren der LSD1/2 synthetisiert und publiziert, wobei
die Heterogenität der Substanzen höher ist als bei den irreversiblen Inhibitoren (Abb. 9). So
wies das relativ große und unselektive (Bis)thioharnstoff-Derivat E14 einen IC50-Wert von
4,8 µM gegen LSD1 auf. Das mit einem Benzoesäurehydrazid ausgestatte Molekül E12 war
mit einem IC50-Wert von 0,013 µM deutlich potenter72 und konnte in einer Folgearbeit durch
Modifikationen noch verbessert werden73. Substanz E13 mit 3-(Piperidin-4-yl-
methoxy)pyridin-Struktur besaß wiederum völlig andere Bindungsmotive, konnte die LSD1
aber mit einem IC50-Wert von 0,029 µM potent und reversibel hemmen74.
Abb. 9: Auswahl von reversiblen LSD1-Inhibitoren.
Cl
OH
NNH
O
SN
O
O
O
E12
IC50 = 0,013 µM
N
N
O
E13
IC50 = 0,029 µM
HN
HN
S
HN
HN
HN
S
HN
E14
IC50 = 4,8 µM
NH
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
14 | Einleitung
1.1.2.2 Inhibitoren der JumonjiC-Domäne enthaltenden Histon-Demethylasen
Mittlerweile ist die Anzahl an Inhibitoren der Fe(II)- und 2OG-abhängigen KDMs nicht nur
durch Originalarbeiten, sondern vor allem durch Patentliteratur merklich angestiegen.
Herausfordernd bei der Entwicklung ist zum einen die Selektivität, da die Enzyme mit der
katalytisch wirksamen JmjC-Domäne einen sehr ähnlichen Aufbau besitzen. Zum anderen
kam oftmals hinzu, dass sehr polare oder amphotere Grundkörper als Leitstrukturen genutzt
wurden und deren schlecht zellmembrangängigen Eigenschaften nur mit Mühe beseitigt
werden konnten.
Der theoretische Ansatz für viele Inhibitoren war die physiologische Komplexierung von
Eisen durch 2OG. Durch Verdrängung dieses Cofaktors durch ein ebenfalls Metall-
chelatisierendes Molekül wird die Bindung von 2OG unterbunden, weshalb für die
Demethylierung dann weniger 2OG zur Verfügung steht. Da dieser Vorgang prinzipiell bei
allen Vertretern der Enzymklasse möglich ist, wird diese Gruppe (zumindest die nicht weiter
derivatisierten Vertreter) zu den pan-Inhibitoren gezählt (Abb. 10).
Abb. 10: Auswahl an pan-Inhibitoren der JmjC-Domäne enthaltenden KDMs.
Einen der ersten Inhibitoren stellte N-Oxalylglycin (NOG), das Aza-Analogon von 2OG, dar.
Neben der mangelnden Selektivität innerhalb der KDM-Enzymreihe, wurden auch andere
2OG-abhängige Proteine wie die humane HIF Prolyl-Hydroxylase PHD2 oder die
Asparaginyl-Hydroxylase FIH gehemmt54. In derselben Publikation wurden ebenfalls
Pyridin-2,4-dicarbonsäure (2,4-PDCA) und das Bipyridin E15 vorgestellt. Für 2,4-PDCA
konnte sogar eine Röntgenkristallstruktur gelöst werden, welche zeigte, dass das zentrale
Fe2+-Ion von dem Pyridinstickstoffatom und der Carboxygruppe in Position 2 chelatisiert
wurde. E15 komplexierte das katalytische Metall über seine beiden Pyridinstickstoffatome.
In einer Folgearbeit wurden dann verschiedene Monoamide von E15 hergestellt, wodurch
HO
O
O
OH
O
2-Oxoglutarat (2OG)
HO
O
NH
O
OH
O
N-Oxalylglycin (NOG)
IC50(KDM4E) = 24 µM
N
O
O
OH
OH
Pyridin-2,4-dicarbonsäure (2,4-PDCA)
IC50(KDM4A) = 0,7 µM
IC50(KDM4E) = 1,4 µM
N
O O
N
OH
O
E15
IC50(KDM4E) = 6,6 µM
N
OH
O OH
N
N
HN
N
Cl
JIB-04, E17
IC50(KDM4A) = 0,445 µM
IC50(KDM4E) = 0,34 µM
IC50(KDM5A) = 0,23 µM
IOX1, E16
IC50(KDM4A) = 1,7 µM
IC50(KDM4E) = 2,4 µM
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Einleitung | 15
eine Inhibition im nanomolaren Bereich erreicht werden konnte75. Ein weiterer unselektiver
Inhibitor und Chelator von Eisen, basierend auf dem Zusammenwirken einer
Hydroxyfunktion und einem Chinolinstickstoffatom, wurde als IOX1 (5-Carboxy-8-
hydroxychinolin, E16) veröffentlicht. Die IC50-Werte lagen hierbei im einstelligen
mikromolaren Bereich76. Auch dieses Molekül sollte später, wie fast alle der hier genannten,
als Ausgangsstruktur für weitere Modifikationen genutzt werden. Das Pyridin-Hydrazon-
enthaltende Molekül JIB-04 (E17) kann ebenfalls zu den pan-Inhibitoren gezählt werden.
Die IC50-Werte lagen im submikromolaren Bereich77, erreicht wahrscheinlich durch die
Komplexierung des Eisens durch jeweils ein Stickstoffatom vom Pyridinring und
Hydrazonelement.
Als Weiterentwicklungen mit 8-Hydroxychinolin-Grundkörper (8HQ) wurden unter anderem
die nano/mikromolaren Inhibitoren E18 und E19 publiziert. Durch Derivatisierungen mit
lipophilen Resten an Position 6 oder 7 konnten Selektivität und Potenz gesteigert
werden78,79.
Abb. 11: Leitstrukturanaloga mit 4-Hydroxychinolin und 2,4-PDCA-Grundstuktur (Auswahl).
Die wohl am häufigsten aufgegriffene Struktur stellte die Isonicotinsäure dar. Zwei Beispiele
für direkte Arylverknüpfungen waren die Substanzen E20 und E21 (Abb. 11). Die
Derivatisierung fand jeweils an Position 2 des Pyridinrings statt und resultierte in
N
OH
HN
O
N
OH
Cl
SO
E18
IC50(KDM4B) = 0,01 µM
E19
IC50(KDM4C/E) = 5 µM
N
O OH
HN
O
N
O OH
N
NHN
O
N
O OH
HN
HOO
OH
E22
IC50(KDM4A-E) < 0,1 µM
IC50(KDM5C) = 0,1 µM
E20
IC50(KDM4A) = 0,37 µM
E21
IC50(KDM4C) = 12 µM
N
N
HNO O
N
N
E23
IC50(KDM4C) = 0,5 µM
IC50(KDM5C) = 0,06 µM
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
16 | Einleitung
unterschiedlichen Komplexierungsmustern des Fe2+-Ions. E20 konnte ein zusätzliches
Stickstoffatom des Pyrimidinrings dafür nutzen80, während bei E21 eine phenolische
Gruppe verwendet wurde81. Auch hier lagen die IC50-Werte im nanomolaren Bereich. Eine
Kopplung an Position 3 der Isonicotinsäure mit einem Amin führte gleichermaßen zu einem
potenten Inhibitor (E22) mit nanomolaren IC50-Werten82. Die zwei Stickstoffatome waren
hierbei räumlich nicht mehr in der Lage, eine Komplexierung des Eisens vorzunehmen.
Kristallstrukturanalysen zeigten, dass offenbar eine alleinige Koordinierung des
Pyridinstickstoffatoms ausreichte, um eine potente Inhibition zu garantieren. Der gleichen
Arbeitsgruppe um Westaway gelang es im Anschluss, die für die Zellpermeation hinderliche
Säure-Base-Amphoterie zu unterdrücken, indem sie die Carbonsäure in einen Heterozyklus
(E23) überführten83. Damit wurde gleichzeitig auch klar, dass eine saure Gruppe in
Position 4 des Pyridins nicht unverzichtbar ist.
Daminozid (E23), ein Pflanzenwachstumsregulator, zeigte eine verhältnismäßig hohe
Selektivität und hemmte insbesondere KDM2A und 7A84. Die Struktur ähnelt dem 2OG,
anstatt der Carbonsäurefunktion ist ein dimethyliertes Hydrazid vorhanden. Darauf
aufbauend, konnten Rüger et al. durch einen bioisosteren Austausch der zweiten
Carboxyfunktion mit einem Tetrazol fragmentartige Leitstrukturen entwickeln. E25 zeigte
die stärkste inhibitorische Wirkung gegen KDM4A auf, war gleichzeitig aber deutlich
schwächer wirksam gegen KDM5A und 6B und konnte daher im gewissem Maße als
tendenziell selektiv bezeichnet werden85.
Abb. 12: 2-Oxoglutaratmimetika mit bioisosterem Austausch als Grundlage.
Dem Prinzip der Chelatisierung ließ sich nicht nur mit Pyridinen, Hydraziden und Phenolen
nachgehen, sondern auch mit den von HDAC-Inhibitoren häufig verwendeten
Hydroxamsäuren. E26 war ein Beispiel dafür, dass mit so einem Strukturelement JmjC-
Domäne enthaltende Enzyme ebenfalls gehemmt werden konnten. Als Grundlage diente
wieder 2OG, welches über Seitenketten verschiedener Länge derivatisiert wurde86 (Abb.
13).
Weniger homogen ging es bei der Entdeckung von Motiven natürlichen Ursprungs zu.
Nachdem diskutiert wurde, ob Curcuminioide als Inhibitoren von Histon-Demethylasen
verwendet werden könnten87, ergab ein virtuelles Screening mit anschließender Testung
eines Nitro-Curcumin-Derivats (E27), dass auch diese Substanz inhibitorische
Eigenschaften gegen die KDM4-Enzymreihe aufweist88. Das in zahlreichen Pflanzen als
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Einleitung | 17
Sekundärmetabolit vorkommende Epigallocatechingallat (EGCG, nicht gezeigt) konnte in
biologischen Testungen ebenfalls inhibitorische Eigenschaften (IC50(KDM4E) = 3 µM)
aufzeigen89. Kritisch muss dazu jedoch angemerkt werden, dass beide Stoffklassen
Merkmale von Pan-Assay Interference Compounds (PAINS) in sich tragen (u. a.
Polyphenole und Michael-Systeme).
E28 führte ein neues Strukturmotiv ein: Ein mit einem Styrenrest modifiziertes Pyridinium
konnte trotz fehlender Komplexierung potente Inhibitionen gegen KDM2A und 4A ergeben
und könnte daher noch interessant für zukünftige Untersuchungen werden90. Der Habitus
eines Iridium(III)-Komplexes (E29) unterschied sich von den bisher vorgestellten Inhibitoren
grundsätzlich, daher war es überraschend, dass auch E29 inhibitorische Aktivität
gegenüber verschiedenen Histon-Demethylasen zeigte. Der Wirkungsmechanismus
konnte jedoch noch nicht geklärt werden, ein Austausch des Fe(II) gegen Ir(III) sollte aber
nicht der Grund für dessen biologische Aktivität sein91. Einen nicht Eisen-involvierenden
Mechanismus besaß das in der Alkoholabusus-Therapie eingesetzte Disulfiram (E30). Hier
wurde das Entfernen des Zinkkations aus dem Zinkfinger-Motiv der KDM4 als
Mechanismus postuliert92. Die damit erreichte Inhibition im mikromolaren Bereich ist
beachtlich, wie jedoch die Selektivität gegen andere Zinkfinger-enthaltenden Proteine
aussieht, ist fraglich. Auch zyklische Peptide (nicht gezeigt) konnten bereits mit einer
Hemmung von KDM4 (IC50 = 0,6 µM) in Verbindung gebracht werden93.
Abb. 13: Auswahl an strukturell heterogenen KDM-Inhibitoren.
Die bisher vorgestellten Inhibitoren entstammen der wissenschaftlichen Fachliteratur. Da
aber vor allem in der Patentliteratur in verhältnismäßig kurzer Zeit zahlreiche Modulatoren
NN OH
O
OH
O
E26, n = 8
IC50(KDM4A) = 3,0 µM
IC50(KDM4C) = 1,0 µM Ir
N
N
N
N
O
O
O2N NO2
Cl
Cl
Cl
Cl
N
S
SS
S
N
F
N+
N
I-
E27
IC50(KDM4A) = 6,4 µM
IC50(KDM4B) = 9,3 µM
E28
IC50(KDM4A) = 2,58 µM
E29
IC50(KDM4D) = 15 µM
Disulfiram, E30
IC50(KDM4A) = 3,3 µM
n
+ PF6-
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
18 | Einleitung
von JmjC-Domäne enthaltenden Enzymen vorgestellt wurden, sollen auch diese kurz
präsentiert werden (Abb. 14). Es wurden zwei Übersichtsarbeiten dazu ausgewertet, eine
aus dem Jahr 201394 und eine etwas aktuellere von 201595.
Schofield et al. publizierten ihre zahlreichen Inhibitoren nicht nur in der Fachliteratur,
sondern patentierten auch viele Derivate. So wurde unter anderem der Grundkörper der
2,4-PDCA wieder aufgenommen und mit verschiedenen Aminen in Position 3 modifiziert.
In der Regel erreichten diese Inhibitoren IC50-Werte im dreistelligen nanomolaren Bereich
(E31)96. Labellé et al. von der Firma Epitherapeutics nahmen sich der Struktur der
Isonicotinsäure an und alternierten sie an Position 2 mit einer Methylenbrücke und
verschiedenen Aminen97,98. E32 stellte ein hochpotentes Molekül dar, welches gegen
nahezu alle JmjC-Domäne enthaltenden Enzyme inhibitorisch aktiv war (u. a. KDM2B,
KDM4A/B/C, KDM5A). Die Veresterung der Carboxyfunktion führte in der Regel zu einem
Abfall der Potenz, durch die Seitenketten konnten Selektivitäten gegenüber verschiedenen
Enzym-Klassen erreicht werden.
Abb. 14: Auswahl an Inhibitoren von JmjC-Domäne enthaltenden Enzymen aus der Patentliteratur.
Quanticel Pharmaceuticals war das zweite größere Pharmaunternehmen, welches
reihenweise Derivate von Isonicotinsäure patentierte. Diese trugen in Position 2 einen
Pyrazol- bzw. Imidazolrest, welcher mannigfaltig substituiert wurde99. Auch diese Reihe von
Inhibitoren war hochpotent, wobei sich unter ihnen wenige Tetrazol-Derivate mit geringerer,
aber immer noch beachtlicher Aktivität befanden (E33). Die im Pharmabereich gängigen
Übernahmen betrafen dann wenig später die beiden genannten Unternehmen, so wurde
Quanticel Pharmaceuticals von Celgene und Epitherapeutics von Gilead Sciences für
Millionenbeträge übernommen100,101. Celgene und Gilead beabsichtigten dadurch ihr
Portfolio und Knowhow im Bereich epigenetische Regulationsmechanismen-
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Einleitung | 19
beeinflussender Wirkstoffe zu erweitern und unterstrichen damit zusätzlich, welches
Potential den Inhibitoren der Histon-Demethylasen zugeschrieben wurde.
Eine Variation der bisher genannten Moleküle stellten die Pyrido[3,4-d]pyrimidine dar (E34).
Die IC50-Werte befanden sich hier ebenfalls im nanomolaren Bereich. Durch die nicht mehr
vorhandene Amphoterie konnte Zellgängigkeit erwirkt werden, was durch Angabe von
zellulären IC50-Werten ausgedrückt wurde102. Ferner fand eine massenhafte Patentierung
von an Position 3 derivatisierten Isonicotinsäuren von Chen et al. im Namen der nun
vereinigten Firma Celgene Quanticel Research statt103 (E35). Viele dieser Inhibitoren
zeigten wiederum nanomolare IC50-Werte. Zwar war auch eine Synthesevorschrift für
Tetrazolderivate vorhanden, Ergebnisse aus biologischen Testungen fehlten jedoch. Hier
bieten sich Anhaltspunkte für mögliche Ziele dieser Arbeit, inwiefern Tetrazolderivate von
Isonicotinsäuren auf der Suche nach neuen, innovativen Inhibitoren der KDM4-Enzymreihe
nutzbar sein können.
1.1.3 Konzept der Bioisosterie
Ein häufig genutztes Tool in der Entwicklung und im Design von neuartigen Arzneistoffen
ist die Verwendung von bioisosteren funktionellen Gruppen. Darunter wird häufig
verstanden, dass zwei ähnliche Moleküle eine vergleichbare biologische Wirkung entfalten,
wenn sie jeweils mit einer unterschiedlichen Gruppe analoger räumliche Ausdehnung und
zumeist auch ähnlicher chemischer und physikalischer Eigenschaften verknüpft sind.
Dieses Konzept wird unter vielen Gesichtspunkten eingesetzt, so können Moleküle mit
einem bioisosteren Austausch in Hinsicht auf ihr pharmakologisches Profil verändert und
Einfluss auf physikochemische Eigenschaften wie Acidität/Basizität, Lipophilie,
metabolische Stabilität und nicht zuletzt auch auf den Bindungsmodus am Zielprotein
genommen werden.
Abb. 15: Beispiele für bioiosteren Ersatz von Carbonsäuren (modifiziert nach104,105).
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
20 | Einleitung
Bei der Leitstruktur 2,4-PDCA bot es sich auf Grund der ausgeprägten Hydrophilie an, die
Carboxygruppe an Position 4 des Pyridinrings zu ersetzen. Für Carboxygruppen sind
etliche funktionelle Gruppen publiziert worden, mit denen vergleichbare Eigenschaften
erzeugt werden konnten104,106,107 (Abb. 15). Neben den bekannteren Vertretern wie
beispielsweise Sulfonamide (u. a. in Sulfamethoxazol, Sulfasalazin, Dorzolamid,
Hydrochlorothiazid, etc.), Acylsulfonamide (u. a. in Paritaprevir, Denoprevir),
Sulfonylharnstoffe (u. a. in Glimepirid) und Oxazolidindione (u. a. in Ethadion,
Paramethadion) wurden auch nicht mehr acide Oxetane oder Thietane beziehungsweise
deren Derivate als Substitutionsmöglichkeit vorgestellt105.
Im Arbeitskreis Link konnten bereits zahlreiche Erfahrungen mit der Synthese und den
biologischen Aktivitäten von Tetrazolen gesammelt werden. Die cyclischen Systeme mit
vier Stickstoffatomen besitzen einige Vorteile gegenüber Carbonsäuren. So verfügen sie
bei gesteigerter Lipophilie über eine etwas geringere Acidität, was zumindest theoretisch
zu einer besseren Membranpermeabilität führen könnte107. Daneben spielen metabolische
Parameter eine Rolle, denn Carbonsäuren können über zahlreiche Wege im Organismus
im Rahmen von Phase-II-Reaktionen erst mit Coenzym-A aktiviert und dann zum Beispiel
mit Glycin konjugiert werden. Weiterhin bestehen die Möglichkeiten der Decarboxylierung
und der β-Oxidation108. Tetrazole gehen hauptsächlich N1- oder N2-Glucuronidierungen
(letzteres bevorzugt) ein109, welche durch das Enzym UDP-Glucuronosyltransferase
katalysiert werden, und sind daher als metabolisch stabiler anzusehen.
Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden sauren Gruppen liegt in der effektiven
Länge. Bei röntgenkristallographischen Untersuchungen von Propellan-haltigen
Glutaminsäureanaloga (E37/E38) konnte gezeigt werden, dass Tetrazole etwas
raumeinnehmender waren110 (Abb. 16).
Abb. 16: Pharmazeutisch chemische Entwicklungsstufen von Losartan und Glutaminanaloga als Vermessungsstruktur für Tetrazole (1 am Angiotensin-II-Rezeptor-Subtyp-1).
Ferner existieren rechnerische Modelle für elektrostatische Umgebungspotentiale, welche
vor allem offenbarten, dass die im deprotonierten Zustand generierte Aromatizität für eine
gleichmäßigere Ladungsverteilung sorgte111. Dieser Punkt war letztendlich auch der Grund
für die Erfolgsgeschichte der Entwicklung des Biaryltetrazols und AT1-
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Einleitung | 21
Rezeptorantagonisten Losartan: Im deprotonierten Zustand besaß das Tetrazol gegenüber
der Carbonsäure eine größere Fähigkeit der Ladungsverteilung, die dann zu einer besseren
Wechselwirkung mit positiven Ladungen in der Bindetasche führten112. Daher zeigte das
Tetrazolderivat Losartan eine etwa zehnfach höhere inhibitorische Potenz als das
ursprüngliche Carbonsäure-haltige Molekül E35.
Auf Grund der zahlreichen Heteroatome besitzen Tetrazole mehr
Wasserstoffbrückenakzeptoren und zahlreiche Koordinierungsmöglichkeiten vor allem als
Tetrazolatanion. Im aromatischen Zustand sind zusätzlich noch π-π-Interaktionen mit
arylischen Aminosäuren möglich und können zu „π-π-Sandwich“-Komplexen führen113. Da
Tetrazole nach wie vor zu den unterrepräsentierten Motiven im Arzneistoffdesign gezählt
werden114, ist die Erstellung von Bibliotheken mit diesen Heterozyklen besonders reizvoll.
Eine gesonderte Formulierung der Zielstellung findet an dieser Stelle nicht statt, es wird
daher auf die Eingangsbemerkung bei den jeweiligen Synthesekapiteln verwiesen.
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
22 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
1.2 Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
1.2.1 Synthese von Tetrazol- und Carbonsäurehydrazid-beinhaltenden KDM4-Inhibitoren
Die in Abschnitt 1.1.2.2 beschriebenen, fragmentartigen KDM4-Inhibitoren mit
carbonsäuremimetischem Tetrazol- und chelatisierendem Carbonsäurehydrazid-Anteil
stellten wegen der zwar nur moderaten, im Verhältnis zur Molekülmasse aber beachtlichen
biologischen Aktivität, geeignete Leitstrukturen für weitere Untersuchungen dar85,113.
Aufgrund der flachen Struktur-Aktivitätsbeziehungen bei bisher von Rüger et al.
dargestellten Derivaten, die es nicht ermöglicht hatten, eng verwandte Analoga mit
gesteigerter Aktivität zu erhalten, wurde eine Erhöhung der Diversität im verbindenden
Molekülteil angestrebt. Erhaltene Verbindungen mit Variation der Kettenlänge des
aliphatischen Molekülrückgrats führten zunächst zu Hinweisen, die eine kürzere
Kettenlänge als im Substrat 2OG als optimal suggerierten. Spätere Re-Evaluation erwies
diesen Befund als vorläufig und eine um eine Methylengruppe längere Rückgratstruktur
lieferte bessere Hemmstoffe der KDM4A. Da eine weitere Verlängerung oder Kürzung
dieser 2-Oxoglutarsäureanaloga sich als ungünstig erwiesen hatte, wurde Anstelle des
flexiblen aliphatischen Linkers ein aromatischer Ring als Rückgrat ausgewählt, um weitere
Testsubstanzen bereitzustellen. Hierfür sollte ein Syntheseweg basierend auf
Anthranilsäure im Rahmen der vorliegenden Arbeit neu etabliert werden.
1.2.1.1 Anthranilsäurederivate
Die Zielstruktur der neuen Syntheseroute stellte 5-(1H-Tetrazol-5-yl)anthranilsäurehydrazid
(IX) dar (Abb. 17). Die Aminogruppe der Anthranilsäure verfügt theoretisch über zwei
Neuerungen gegenüber unsubstituierten (1H-Tetrazol-5-yl)benzoesäurehydraziden: Das
freie Elektronenpaar am Stickstoffatom könnte ebenfalls dafür genutzt werden, um an das
katalytisch wirkende Metallion zu koordinieren. Zusammen mit dem Carbonsäurehydrazid
wäre somit ein dreizähniger Chelator möglich. Außerdem sind Aminogruppen wertvolle
Bestandteile einer divergenten Synthesestrategie, d. h. dass erst im letzten oder vorletzten
Schritt der Syntheseroute eine Verzweigung stattfindet und somit der Weg zur zügigen
Erstellung einer Substanzbibliothek geebnet ist. Weiterhin war der Ausgangsstoff
Anthranilsäure preisgünstig kommerziell erhältlich. Die einzelnen Syntheseschritte werden
nachfolgend ausgeführt und erörtert (Abb. 17).
Der wohl wichtigste Schritt der geplanten Synthese war die Einführung einer Cyanogruppe
an Position 5 des aromatischen Systems. Aliphatische Nitrile sind häufig relativ einfach über
eine Kolbe-Nitril-Synthese zugänglich, aromatische Nitrile können unter anderem durch
eine Sandmeyer-Reaktion oder nucleophile aromatische Substitution (SNAr) dargestellt
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 23
werden. Erstere würde sich schwierig gestalten, da dann zwei Aminofunktionen vorhanden
sein müssten und eine selektive Diazotierung nur einer Aminogruppe hohen
experimentellen Aufwand erfordern würde. Für Reaktionen vom Typ der SNAr sollten
Aromaten deaktiviert, also mit stark elektronenziehenden Gruppen substituiert, sein, was
bei der Anthranilsäure nicht zutrifft. Durch die Rosenmund-von-Braun-Reaktion sollte es
allerdings möglich werden, ein Arylbromid in ein Arylnitril zu überführen. Basierend auf
Annahme, dass ein Bromatom relativ einfach an Position 5 der Anthranilsäure einzuführen
Die direkte Bromierung von Anthranilsäure konnte aufgrund der Substituenteneinflüsse zu
zwei an den Positionen 3 beziehungsweise 5 monobromierten Produkten oder auch zu
einer dibromierten Anthranilsäure führen115. Um dies zu vermeiden, wäre eine Kühlung der
Reaktionslösung sinnvoll116,117. Sollten bereits mono- und disubstituierte Produkte
nebeneinander vorliegen, scheint eine Trennung mit Hilfe eines Auszugs mit kochendem
Wasser möglich118. Durch vorherige Acetylierung der Aminofunktion zum entsprechenden
Amid, konnte jedoch eine Regioselektivität für Position 5 erreicht werden119-121. Da dieser
Schritt zügig und quantitativ durch Umsetzung mit Acetanhydrid im Überschuss verlief,
wurde dieser Weg gewählt. Das acetylierte Intermediat II wurde anschließend mit
Bromwasser behandelt. Dabei zeigte eine bleibende Rotbraunfärbung das Ende der
NH2
OH
O NH
OH
O
O
NH
OH
O
O
Br
NH2
OH
O NH2
O
O
Br
NH2
O
O
N
NH2
O
O
N
N N
NHNH2
NH
NH2
NN
NNH
O
i ii
iii
iv v
iv
vivii
N
I II III
IVV VI
VIIVIIIIX
NH2
OH
O
Br
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
24 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
Notwendigkeit der Bromzugabe an. Nach weiterem Rühren und Abdampfen des
überschüssigen Broms im Laborabzug, konnte ein leicht rosafarbener Feststoff abfiltriert
werden. Dieser enthielt wie angenommen ausschließlich das an Position 5 monobromierte
Produkt III. Da die Aminofunktion als erstes ohne Derivatisierung auf Interaktionen mit
KDM4-Enzymen untersucht werden sollte, musste die Acetylgruppe jedoch wieder entfernt
werden. Dies geschah im Sinne einer klassischen Amidspaltung mit einem Überschuss an
Natriumhydroxid in wässriger Lösung unter Rückfluss122.
Es lag nahe, die erhaltene 5-Bromanthranilsäure (IV) direkt zum entsprechenden Nitril
umzusetzen. In der Patentliteratur wurde das Zielmolekül aus eben diesem Edukt mit Hilfe
von Kupfer(I)-cyanid und dem hochsiedenden polaren Lösungsmittel N-Methyl-2-pyrrolidon
(NMP) erhalten123. Diese Bedingungen entsprachen der klassischen Rosenmund-von-
Braun-Reaktion. Der allgemeine Mechanismus ist dabei noch nicht abschließend geklärt.
Es werden eine Bildung von Cu(III)-Spezies und ein Additions-Eliminations-Mechanismus
diskutiert. Die Reaktionskinetik wurde bereits genauer untersucht124. Hohe Temperaturen
sind notwendig für das Gelingen der Synthese, obgleich dadurch ein erhöhtes Maß an
Nebenreaktionen in Kauf genommen werden muss. Lösungsmittelfreie Varianten der
Synthese, welche mit einem Zusammenschmelzen der Edukte arbeiteten, wurden ebenso
beschrieben wie Abwandlungen mit ionischen Flüssigkeiten als Reaktionsmedium125,126.
Die Umsetzung von temperaturempfindlichen Stoffen ist mit dieser Methode limitiert,
weshalb verschiedene Cyanidquellen, Katalysatoren und Liganden untersucht worden sind.
Kaliumhexacyanidoferrat(II) als CN–-Donor hatte den großen Vorteil, dass die Toxizität im
Gegensatz zu Natrium-, Kalium- oder Kupfer(I)-cyanid minimal war. Zur erfolgreichen
Darstellung wurden aber in der Regel Katalysatoren auf Palladium-Basis benötigt127,128.
Spuren von CN– können jedoch durch die freie Carbonsäure protoniert werden, was zur
Bildung von HCN führt. Neben sicherheitsrelevanten Aspekten kann Cyanwasserstoff den
Palladium-Katalysator deaktivieren, da HCN eine besonders hohe Affinität zu Pd(0)-
Spezies aufweist129,130. Als weitere Cyanidquellen kamen Cyanhydrine zum Einsatz,
gegebenenfalls in Kombination mit Kaliumiodid, welches zu einem katalytischen
Halidaustausch führen sollte131. Zinkcyanid und Liganden auf Ethylendiamin-Basis konnten
ebenfalls dazu beitragen, dass die benötigten Reaktionstemperaturen abgesenkt werden
können132,133. Eine im Jahr 2014 erschienene Übersichtsarbeit fasst die zahlreichen
Möglichkeiten der vor allem Kupfer-katalysierten Cyanierungsreaktionen zusammen134.
Von den vorgestellten Möglichkeiten wurden unter anderem die klassische Rosenmund-
von-Braun-Reaktion, im Arbeitskreis auch auf Kaliumhexacyanidoferrat(II)-basierende
Methoden und die Ethylendiamin-gestützte Synthese ausprobiert. In keinem Falle konnte
die gewünschte 5-Cyananthranilsäure (V) erhalten werden. Da sehr wahrscheinlich die freie
Carboxygruppe den Grund für diese Fehlschläge darstellte, musste diese als Ester
geschützt werden, welcher zugleich für die Hydrazinolyse im finalen Schritt eine Aktivierung
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 25
der Carboxygruppe bewirkte. Für die Veresterung wurden zwei Wege untersucht: Die
klassische Fischer-Veresterung mit Methanol und Schwefelsäure als Katalysator und eine
Umsetzung mit Methanol und Thionylchlorid135,136. Die moderate Umsetzung von bis zu
65 % konnte mit sterischer Hinderung der Carbonsäure durch die Aminofunktion (bzw. das
entsprechende Ammoniumsalz mit Gegenion bei saurem Katalysator) begründet werden,
weshalb es in den Experimenten mit Hinblick auf die Ausbeuten auch keine Rolle spielte,
welche der beiden Veresterungsmöglichkeiten genutzt wurde. Der Thionylchlorid-Weg
besaß aber zusätzlich den Vorteil, dass etwas weniger harzige Rückstände entstanden.
Carbonsäure und Ester ließen sich zweckdienlich durch Flüssig-Flüssig-Extraktion mit
Ethylacetat und Natriumhydrogencarbonat-Lösung trennen.
Der so erhaltene 5-Bromanthranilsäuremethylester (VI) konnte dann einer Substitution mit
Cyanid unterzogen werden, wofür ebenfalls die Rosenmund-von-Braun-Reaktion genutzt
wurde137-139. Durch die hohen Temperaturen von über 200 °C kam es zu einer
Schwarzfärbung des Reaktionsansatzes, welche sich auch im weiteren
Aufarbeitungsverlauf als störend erwies. Neben dem eigentlichen Produkt entstanden
relativ große Mengen an Nebenprodukten, die weder in Wasser noch in Ethylacetat löslich
waren. Bei der DC-Verlaufskontrolle zeigten diese Stoffe keinerlei Elution mit
verschiedenen Laufmitteln und verblieben an der Startlinie. Das könnte darauf hinweisen,
dass es zu einer Polymerisation gekommen sein könnte, zumindest wäre es denkbar, dass
aus Ester und Amin eines zweiten Moleküls Polyamid-Strukturen entstanden sind. Diese
konnten zwar einfach durch Filtration aus dem Gemisch entfernt werden, sind aber
wahrscheinlich der Grund, warum die Ausbeuten weder sehr hoch, noch reproduzierbar
waren (19-54 %). Zusätzlich war die Massendifferenz von Bromid und Cyanid
verhältnismäßig hoch, sodass große Einwaagen an Edukt eingesetzt werden mussten, um
anschließend über genügend 5-Cyananthranilsäuremethylester (VII) für weitere Schritte zu
verfügen. Der Anfall von erheblichen Mengen an cyanidhaltigen Schwermetallabfällen war
ein weiterer Nachteil dieser Reaktion.
Auf die Diskussion des Tetrazolringschlusses soll in diesem Kapitel verzichtet werden, da
diese noch ausführlich im Abschnitt 1.2.2.1 durchgeführt wird. Lediglich auf die
Besonderheit, dass die im Arbeitskreis etablierte Methode mit Natriumazid,
Ammoniumchlorid und Dimethylformamid (vgl.85) für die hier gegeben Syntheseroute nicht
übertragbar war, soll an dieser Stelle hingewiesen werden. Diese führte zu einem
Hauptprodukt, dessen 1H-NMR-Spektrum nicht mehr das für einen Methylester typische
3H-Integral bei einer chemischen Verschiebung δ von etwa 3,8 ppm zeigte. Weil dazu noch
ein zusätzliches 1H-Integral bei etwa δ = 13,0 ppm vorhanden war und alle anderen Signale
denen des Edukts ähnelten, ist davon auszugehen, dass eine Esterhydrolyse eintrat. Bevor
die Gründe dafür gefunden wurden, konnte erfolgreich ein Tetrazolringschluss mit
Natriumazid, Triethylammoniumchlorid (TEA∙HCl) und Toluen etabliert werden140. Durch
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
26 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
das Einführen der sauren Tetrazolgruppe änderten sich jedoch auch die
physikochemischen Eigenschaften des Stoffes. So besaß 5-(1H-Tetrazol-5-
yl)anthranilsäuremethylester (VIII) einen zwitterionischen Charakter und ließ sich nicht
mehr ohne weiteres in Ethylacetat lösen. Dafür konnte die Protonierung zum Tetrazol
genutzt werden, um Tetrazolat-beinhaltende Stoffe aus einer basischen Lösung zu fällen,
ein Prozess, der im Laufe dieser Arbeit häufiger genutzt wurde.
Die Hydrazinolyse barg wie die Cyanierung Gefahren, welche hier durch ein mögliches
karzinogenes Potential des Hydrazins begründet war. Es galt daher, alle
arbeitssicherheitstechnischen Gegebenheiten zu beachten und die Belastung für das
Laborpersonal auf dem niedrigsten Level zu halten. In einer alkoholischen Hydrazinlösung
(Methanol oder Ethanol sind unter anderem möglich141,142) konnte der Methylester durch
längeres Erhitzen unter Rückfluss zu dem gewünschten 5-(1H-Tetrazol-5-
yl)anthranilsäurehydrazid (IX) umgesetzt werden. Die Ausbeute des Syntheseschrittes
(15 %) spiegelte jedoch nicht die vollständige Umsetzung wider, sondern war vielmehr ein
Ausdruck der anspruchsvollen Aufarbeitung des Rohproduktes. Durch eine weitere
basische Gruppe im Molekül wurde der amphotere Charakter gestärkt, wodurch auch die
Polarität anstieg. Es war damit nicht mehr ohne weiteres möglich, eine
säulenchromatographische Aufreinigung an unmodifiziertem Kieselgel durchzuführen, da
das Laufmittel hohe Anteile an Methanol benötigte. Es hat sich daher als zweckmäßig
erwiesen, das Endprodukt aus wässriger Methanol-Lösung umzukristallisieren und Verluste
in der Ausbeute dafür in Kauf zu nehmen. Es ist aber dennoch gelungen, den
siebenstufigen Syntheseentwurf umzusetzen und das gewünschte Molekül zu erhalten.
Mit Blick auf die mäßigen Ausbeuten und mangelnde Reproduzierbarkeit der Cyanierung
wurde versucht, diese mit Modifikationen der Syntheseroute zu verbessern. Ein Kellerfund
brachte 5-Iodanthranilsäure (X) hervor. Diese besaß zwar nur eine mäßige Reinheit
(schwarzer Feststoff statt farblose Prismen143), da das 1H-NMR-Spektrum aber eine
saubere Grundlinie zeigte, war wahrscheinlich lediglich überschüssiges Iod der Grund für
die Verfärbung. Es sollte untersucht werden, ob der Iodsubstituent besser gegen Cyanid
austauschbar war als ein Bromsubstituent. Der Ablauf ähnelte dem bisherigen Weg und
verlief über eine Veresterung und die Rosenmund-von-Braun-Reaktion (Abb. 18). Für die
Veresterung wurde diesmal die schwefelsäurekatalysierte Variante verwendet (modifiziert
nach Takalo et al.144), welche vergleichbare Ausbeuten wie bei 5-Bromanthranilsäure (IV)
aufwies. Die anschließende Cyanierung führte dann zu einer Ausbeute von 58 %, was
einen minimal besseren Wert darstellte als beim Bromderivat. Da die Bromierung eines
Aromaten aufgrund der höheren Reaktivität von Br2 in der Regel besser gelingt als die
Iodierung, war es aber fraglich, ob sich die minimal besseren Ausbeuten der Cyanierung
auch im Endergebnis niederschlagen würden.
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 27
Abb. 18: Cyanierung ausgehend von 5-Iodanthranilsäure (X): i) MeOH, H2SO4, Rückfluss, 24 h; ii) CuCN, NMP, Rückfluss, 2 h.
Aufgrund einer Anmerkung von Škoch et al.145, dass freie Amine bei einer
palladiumkatalysierten Cyanierung störende Einflüsse ausüben können, lag es nahe, dass
auch kupferkatalysierte Reaktionen davon negativ beeinflusst werden. Folgerichtig sollte
untersucht werden, ob die Rosenmund-von-Braun-Reaktion mit einer Acetamido-Gruppe
effizienter durchgeführt werden kann (Abb. 19). Hierfür wurde der bereits vorhandene
5-Bromanthranilsäuremethylester (VI) quantitativ mit Acetanhydrid acetyliert. Wider
Erwarten führte die anschließende Umsetzung mit Kupfer(I)-cyanid zu einer
unterdurchschnittlichen Ausbeute von nur 15 %. Auch hierbei sind große Mengen an
Wasser- und Ethylacetat-unlöslichen Feststoffen angefallen. Es gilt also zu resümieren,
dass die Einführung von Cyano-Gruppen in die gegebenen Moleküle prinzipiell möglich war,
die Erwartungen an Effizienz und Umweltverträglichkeit aber nicht vollständig erfüllt werden
konnten.
Abb. 19: Die Syntheseroute für N-Acetyl-5-(1H-tetrazol-5-yl)anthranilsäurehydrazid (XV) führte zu 3-Amino-2-methyl-6-(1H-tetrazol-5-yl)chinazolin-4(3H)-on (XVI): i) Acetanhydrid, Rückfluss, 30 min; ii) CuCN, NMP, Rückfluss, 1 h; iii) NaN3, TEA∙HCl, Toluen/DMF, 105 °C, 24 h; iv) N2H4∙H2O, MeOH, Rückfluss, 8 h.
Als weiterer negativer Punkt stellte sich die Tetrazolbildung aus N-Acetyl-5-
cyananthranilsäuremethylester (XIII) heraus. Das gewünschte Tetrazol XIV konnte nur in
Spuren erhalten werden. Die dafür genutzte Variante mit Toluen als Lösungsmittel hatte
wahrscheinlich dazu geführt, dass die Löslichkeit des Eduktes nicht ausreichte. Es erschien
NH2
O
O
I
i
X XI
NH2
OH
O
I
NH2
O
O
N
ii
VII
NH
O
O
BrVI XII
NH2
O
O
Br
O NH
O
O
XIII
O
N
NH
O
O
XIV
O
N
N N
NH
NH
NH
NH2
NN
NNH
O
O
N
NNH2
NN
NNH
O
XVI
i ii iii
iv iv
XV
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
28 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
daher sinnvoller, die Derivatisierung der Aminofunktion erst nach dem Tetrazolringschluss
vorzunehmen (Abb. 20). Würde die Acylierung im Anschluss an die Hydrazinolyse
stattfinden, bestünde die Gefahr, dass das Carbonsäurehydrazidstrukturelement ebenfalls
modifiziert würde.
Die Hydrazinolyse von N-Acetyl-5-(1H-tetrazol-5-yl)anthranilsäuremethylester (XIV)
brachte ein unvermutetes Molekül hervor: Statt des korrespondierenden
Carbonsäurehydrazids bildete sich der Heterozyklus 3-Amino-2-methyl-6-(1H-tetrazol-5-
yl)chinazolin-4(3H)-on (XVI) aus. Dieser Sachverhalt konnte mit Hilfe der hochauflösenden
Massenspektrometrie (HRMS), 2D-NMR-Spektren und Literaturhinweisen aufgeklärt
werden146. Auffällig war vor allem, dass ein 2H-Integral bei δ = 5,9 ppm im 1H-NMR-
Spektrum sichtbar wurde. Die terminale Aminogruppe von Carbonsäurehydraziden wurde
aber aufgrund ihres protonenaustauschenden Charakters bisher im 1H-NMR-Spektrum
nicht beobachtet. Dennoch stellte das derivatisierte Chinazolin ebenfalls ein interessantes
Molekül dar, das theoretisch im Besitz der notwendigen Eigenschaften zur Bindung an das
katalytische Zentrum der KDM4A war und daher unbedingt einer biologischen Testung
unterzogen werden sollte.
Abb. 20: Acylierungen von Tetrazolen können zu 1,3,4-Oxadiazolen (Umlagerungen nach Huisgen) (XVII) führen: ia) Acetanhydrid, Rückfluss, 1 h; ib) Acetylchlorid, Pyridin, 0 °C bis 40 °C, 2 h.
Da der Tetrazolringschluss des N-Acetyl-5-cyananthranilsäuremethylesters (XIII) fast
ausschließlich zu einem anderen als dem gewünschten Produkt führte, lag es nahe, die
Acetylierung erst nach der Tetrazolbildung durchzuführen. Aber auch bei dieser Route
(Abb. 20) galt es, Fallstricke zu beachten. Huisgen et al. untersuchten im Jahr 1960 unter
anderem die Stabilität von Tetrazolen147. Dabei wurde die Erkenntnis gewonnen, dass sich
Tetrazole mit Carbonsäurechloriden oder -anhydriden an Position 2 acylieren lassen. Diese
Gebilde sind thermolabil und lagern sich verhältnismäßig einfach bei Temperaturen von 60-
130 °C unter Abgabe von molekularem Stickstoff zu 1,3,4-Oxadiazolen um. So ließen sich
mit diesem Syntheseweg z. B. Methyl- oder Phenyl-substituierte 1,3,4-Oxadiazole in guten
Ausbeuten herstellen148,149. Selbiges ließ sich bei der Umsetzung von 5-(1H-Tetrazol-5-
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 29
yl)anthranilsäuremethylester (VIII) mit Acetanhydrid unter Rückfluss beobachten: Das
resultierende Molekül war ein 5-Methyl-1,3,4-oxadiazol (XVII), welches aufgrund des
Überschusses an Acetanhydrid aber wie gewünscht auch an dem primären aromatischen
Amin acetyliert wurde. Diese sauerstoffhaltigen Heterozyklen besitzen zwar nicht die
Acidität eines Tetrazols, könnten aber aufgrund der freien Elektronenpaare von Sauerstoff-
und Stickstoffatomen interessante Wechselwirkungen eingehen und sollten daher auch für
biologische Testungen gegen KDM4A in Betracht gezogen werden. Um synthetisch das
eigentlich gewollte Acetamido-Derivat des Tetrazoles (XIV) zugänglich zu machen, wurde
eine Methode herangezogen, die gewissermaßen für die Herstellung von
Carbonsäureestern gedacht ist. Bei der Einhorn-Variante (auf Grundlage der Schotten-
Baumann-Methode150) zur Herstellung von Estern aus Säurechloriden wurde Pyridin als
Lösungsmittel und Katalysator gleichzeitig genutzt. Weiterhin war es wichtig, dass der
Reaktionsansatz bei Zugabe des Säurechlorides gekühlt und danach nur gelinde erwärmt
wurde. Durch anschließende Zugabe von verdünnter HCl-Lösung wurde das Tetrazolat
wieder protoniert und ausgefällt, während das Pyridin als wasserlösliches Hydrochlorid
ausgewaschen werden konnte. Aufgrund der milden Reaktionsbedingungen blieb das
Tetrazol unverändert, jedoch mussten dafür auch mäßige Ausbeuten von 30-60 % in Kauf
genommen werden. Dennoch zeigte dieses Beispiel, wie wichtig die richtige Auswahl der
Bedingungen für die Selektivität einer Synthese von Tetrazolderivaten sein konnte. Ein
anderes Kriterium stellte die Auswahl des Lösungsmittels dar und soll im Folgenden kurz
erklärt werden.
Die Idee der Benutzung von Anthranilsäure als Grundkörper ging auch darauf zurück, dass
die freie primäre aromatische Aminogruppe genutzt werden sollte, um verschiedenste
Derivate darzustellen. Die Substituenten sollten möglichst universell gewählt werden
können, neben aliphatischen kamen daher ebenfalls aromatische Reste zum Einsatz.
Fluorsubstitutionen sind sinnvoll, um metabolische Stabilität zu gewähren und
physikochemische Eigenschaften aufgrund der starken Elektronegativität des Fluors zu
modifizieren151. Die Umsetzung von 5-(1H-Tetrazol-5-yl)anthranilsäuremethylester (VIII) mit
4-Fluorbenzoylchlorid wird nachfolgend gezeigt (Abb. 21). Neben der bereits
beschriebenen Einhorn-Variante, welche hier zum gewünschten Produkt N-4-Fluorbenzoyl-
5-(1H-tetrazol-5-yl)anthranilsäuremethylester (XIX) führte (modifiziert nach152,153), sollten
zudem die Auswirkungen eines aprotischen Lösungsmittels untersucht werden.
Literaturhinweise gaben Aufschluss über die Durchführbarkeit der Acylierung in
Dichlormethan154, allerdings konnte schon gezeigt werden, dass Benzoyltetrazole durchaus
isolierbar waren, wenn sie im aprotischen Lösungsmittel und unter Eiskühlung hergestellt
wurden155.
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
30 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
Abb. 21: Die Wahl des Lösungsmittels beeinflusst die Selektivität der Acylierungen von Tetrazolen: ia) 4-Fluorbenzoylchlorid, CH2Cl2, TEA, 0 °C bis Raumtemperatur, 18 h; ib) 4-Fluorbenzoylchlorid, Pyridin, 0 °C bis 50 °C, 3 h; ii) N2H4∙H2O, MeOH, Rückfluss, 5 h.
Ein Grundproblem bei der Nutzung von aprotischen Lösungsmitteln war die schlechte
Löslichkeit von (1H-Tetrazol-5-yl)anthranilsäuremethylester (VIII) in diesen Solvenzien.
Durch Zusatz einer Hilfsbase (welche ohnehin zugesetzt werden musste, um beim
Reaktionsverlauf mit einem Carbonsäurechlorid entstehendes HCl abzufangen) wurde die
Löslichkeit nur minimal verbessert. Trotz des Vorliegens einer Suspension aus Edukt in
Dichlormethan war nach Zugabe des 4-Fluorbenzoylchlorids eine Umsetzung detektierbar.
Nach Aufarbeitung des Reaktionsansatzes zeigte das 1H-NMR-Spektrum des Produktes
eine Überraschung: Das Fehlen eines Amid-NH-Signals und das Vorhandensein eines
2H-Integrals der NH2-Gruppe indizierten eine Acylierung des Tetrazols (Abb. 23). Der
zusätzliche Test mit Ehrlich-Sprühreagenz (Dimethylaminobenzaldehyd) war positiv, das
heißt, es hatte sich ein orangebraunes Iminoderivat gebildet. Die primäre aromatische
Aminofunktion wurde also nachweislich zunächst nicht umgesetzt und dann mit dem
Farbreagenz derivatisiert. Dies ist deshalb nicht unbedingt zu erwarten gewesen, weil ein
Tetrazolat über eine Mesomeriestabilisierung verfügt (Abb. 22). In der Regel sind solche
Moleküle dadurch reaktionsträger, weshalb angenommen wurde, dass die NH2-Gruppe als
erstes eine Acylierung unterlaufen würde. Auch dieses Beispiel zeigte, wie wichtig und
zeitaufwendig die Optimierungen der Reaktionsbedingungen in diesem Arbeitsfeld sind,
und dass mit nur wenigen Änderungen bereits völlig andere Moleküle erhalten werden
können.
Abb. 22: Mesomeriestabilisierung des Tetrazolats.
Mit dem Lösungsmittel Pyridin konnte Intermediat XIX zwar erhalten werden, der
anschließende Schritt der Hydrazinolyse gestaltete sich aber erneut schwierig (Abb. 21).
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 31
Die Untersuchungen der Produkte wurden auch von den vorherigen Befunden geleitet, dass
eventuell ein Chinazolin-Grundgerüst entstanden sein könnte. Die Umsetzung war jedoch
marginal und ein sauberer Stoff konnte auch nach intensiver Aufarbeitung nicht erhalten
werden. Gegebenenfalls war der aromatische Rest sterisch zu anspruchsvoll, weshalb ein
Ringschluss nicht gut gelang.
Abb. 23: In Bezug auf NH-Protonen deutlich unterschiedliche 1H-NMR-Spektren aus der Acylierung von (1H-Tetrazol-5-yl)anthranilsäuremethylester (VIII).
Weiterhin wurde versucht, die freie Aminofunktion für eine Alkylierung zu nutzen. Dafür
wurde nach einer Literaturangabe vorgegangen, welche Chloressigsäure im Wässrigen und
Natriumcarbonat als Hilfsbase (Abb. 24) vorschlug156. Die zusätzlich eingeführte
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
32 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
Carbonsäurefunktion sollte internen computergestützten Berechnungen zufolge ein
erhöhtes Interaktionspotential mit KDM4A ermöglichen.
Abb. 24: Fehlgeschlagene Alkylierung des primären aromatischen Amins (XXI): i) Chloressigsäure, Na2CO3, H2O, 90 °C, 3 h.
Die zitierte Literatur setzte aber nicht wie hier vorgestellt den Anthranilsäureester um,
sondern die freie Säure. Aufgrund der hohen Temperaturen und dem basischen pH-Wert
durch das eingesetzte Carbonat-Salz, kam es jedoch fast ausschließlich zur
Esterhydrolyse. Eine Alkylierung konnte nicht nachgewiesen werden. Zukünftige
Alkylierungsversuche sollten also wässrige Systeme meiden. Wegen Bedenken, dass eine
zweite saure Gruppe am Molekül zu einer erheblichen Steigerung der ohnehin schon hohen
Polarität des Moleküls geführt hätte, wurden Alternativen für die misslungene Umsetzung
nicht untersucht.
Für den vorgestellten Anthranilsäureweg ist festzuhalten, dass dieser erfolgreich verfolgt
werden konnte. Es wurden unterschiedliche Aspekte der kritischen Syntheseschritte (unter
anderem Cyanierung und Acylierung) untersucht und von verschiedenen Seiten beleuchtet.
Insgesamt standen mit 5-(1H-Tetrazol-5-yl)anthranilsäurehydrazid (IX) und 3-Amino-2-
methyl-6-(1H-tetrazol-5-yl)chinazolin-4(3H)-on (XVI) zwei vollständig charakterisierte und
aufgereinigte Verbindungen zur Verfügung, welche auf inhibitorische Eigenschaften gegen
KDM4A getestet werden sollen.
1.2.1.2 Essigsäurederivate
In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Makromolekulare Kristallographie um Dr.
Manfred Weiss von der Photonenquelle BESSY II des Helmholtz-Zentrum Berlin für
Materialien und Energie konnten im Rahmen von Diplomarbeiten und Dissertationen im
Arbeitskreis bereits mehrere Kristallstrukturen aufgelöst werden113,157. Die Kristallisation
erfolgte im katalytischen Zentrum der KDM4D, wobei aus Stabilitätsgründen das zentrale
Fe(II)-Kation gegen ein Ni(II)-Kation ausgetauscht wurde. KDM4D besitzt zwar einen sehr
ähnlichen Aufbau wie KDM4A, es konnte allerdings mit der Struktur AA040 gezeigt werden,
dass ein Phenylrest, welcher mit fünf Kohlenstoffkettengliedern aus dem Zentrum
herausragt, eine weitere Interaktion mit dem Aminosäurerest Histidin 90 eingeht (Abb. 25).
Dieses π-π-Stacking könnte einen zusätzlichen Energiegewinn bei der Bindung einbringen
und, noch wichtiger, eine gewisse Selektivität für die sonst sehr homogen aufgebaute
NH2
O
NN
NNH
O
VIII
i
NH
O
NN
NNH
O
XXI
O
OH
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 33
KDM4-Enzymreihe bedeuten, da KDM4A an dieser Position eine andere
Aminosäure(sequenz) aufweist. Daher ließ sich schlussfolgern, dass unbedingt noch ein
Derivat vom 2-Amino-2-(1H-tetrazol-5-yl)essigsäurehydrazid-Typ (vgl.113) mit
π-Elektronenüberschussaromaten bei gleicher Kettenlänge synthetisiert werden sollte.
Einen zweiten Punkt stellte die Untersuchung der Notwendigkeit der Carbonsäurehydrazid-
Gruppe von AA040 dar. Die chelatisierende Wirkung auf das zentrale Eisen-Kation wird
ohne Zweifel eine der gewinnbringendsten Molekül-Liganden-Interaktion repräsentieren.
Da aber bei AA040 offensichtlich noch weitere Interaktionspartner außerhalb des
katalytischen Zentrums der KDM4D vorhanden sind, wird die Frage aufgeworfen, ob ein
Verzicht auf die promiskuitiv bindende Hydrazid-Partialstruktur möglich wäre. Die
Synthesewege für beide Moleküle sollen im Folgenden besprochen werden.
Abb. 25: Kristallstruktur von AA040 (2-(4-Phenylbutylamido)-2-(1H-tetrazol-5-yl)essigsäurehydrazid) in KDM4D: Der Phenylrest zeigt ein zusätzliches π-π-Stacking mit His90.
Die zentrale Frage bei der Synthese von AA040-Analoga ohne Hydrazidfunktion war, ob
der Elektronenzug auf das Nitril ausreichen würde, um eine zufriedenstellende
Tetrazolbildung zu gewährleisten. Auf den genauen Mechanismus dieser Reaktion wird in
Abschnitt 1.2.2.1 eingegangen, es soll aber vorweggenommen werden, dass der
Tetrazolringschluss ohne ausreichende –I- oder –M-Effekte der benachbarten Gruppen
erschwert ist. Im Falle der Synthesestrategie von AA040 wurde der Elektronenzug von
einem angrenzenden Oxim generiert, welcher eine gute Ausbeute ermöglichte. Entfällt
dieser, müssen die Einflüsse des Amids den notwendigen Elektronenzug zu Verfügung
stellen (Abb. 26).
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
34 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
Im ersten Schritt wurde 5-Phenylvaleriansäure (XXII) mit Hilfe von Thionylchlorid in sein
korrespondierendes Carbonsäurechlorid (XXIII) übergeführt157. Ohne Aufarbeitung dieses
Intermediats erfolgte die Umsetzung mit 2-Aminoacetonitril-Hydrochlorid (XXIV) zum
entsprechenden Amid (XXV) (modifiziert nach Palumbo et al.158) mit guten Ausbeuten. Bei
der anschließenden Tetrazolbildung wurde zuerst eine drastischere Variante mit der Lewis-
Säure Aluminiumchlorid untersucht159. Dadurch sollte die Bildung von Aluminiumazid
realisiert werden, welches höhere Ausbeuten bei niedrigerer Reaktionstemperatur in
Aussicht stellte. Angewendet auf die gegebene Struktur fand jedoch keine Umsetzung statt
und das Edukt konnte nahezu verlustfrei wiedergewonnen werden. In der Literatur werden
strukturell verwandte Produkte erzielt, wenn die Umsetzung des Nitrils mit
metallorganischen Aziden wie Trimethylsilylazid oder Tributylzinnazid erfolgte160,161. Diese
Reagenzien besitzen in der Regel eine hohe Toxizität und sollten deshalb nur als Ultima
Ratio zum Einsatz kommen. Eine ältere Publikation zeigte jedoch, dass es eventuell
möglich sein könnte, das Amidonitril mit den „klassischen“ Reaktionsbedingungen
(Natriumazid, Ammoniumchlorid und Dimethylformamid) umzusetzen162.
Überraschenderweise führte dies zu verhältnismäßig guten Ausbeuten von über 50 %,
wobei das nicht abreagierte Edukt ebenfalls wiedergewonnen werden konnte. Der
ausgeübte Elektronenzug des Amids war offenbar ausreichend, um eine erfolgreiche
Tetrazolsynthese zu initiieren.
Abb. 26: Synthesestrategie für N-(1H-Tetrazol-5-yl)methyl-5-phenylvalerianamid (XXVI): i) SOCl2, Raumtemperatur, 24 h; ii) Pyridin, CH2Cl2, Raumtemperatur, 20 h; iii) NaN3, NH4Cl, DMF, 105 °C, 24 h.
Bezüglich der Wahl des π-Elektronenüberschussaromaten gab es Hinweise darauf, dass
die π-π-Wechselwirkung eines Imidazolrings (Histidin) mit einem Indolrest (Tryptophan)
etwa vier Mal größer sein konnte als die Interaktion eines Imidazolrings mit einem
Benzenrest (Phenylalanin)163. Es sollte daher mit hoher Priorität versucht werden, einen
Indolring an Stelle des Phenylrestes zu integrieren. Die Kettenlänge sollte dabei
unverändert bleiben, dies entsprach einer an Position 4 modifizierten Buttersäure, welche
ein Indol-3-yl-Rest trägt (Abb. 27).
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 35
Die Synthese des Grundkörpers 2-Amino-2-(1H-tetrazol-5-yl)essigsäureethylester-
Hydrochlorid (XXIX) erfolgte nach einem zweistufigen Schema und wurde bereits
ausführlich in der Dissertation von N. Rüger besprochen, weshalb hierauf verzichtet werden
soll113. Die Umsetzung mit (1H-Indol-3-yl)buttersäure (XXVII), beziehungsweise seinem
korrespondierenden Säurechlorid (XXVIII), sollte zum gewünschten Amid (XXX) führen. Die
lösungsmittelfreie Reaktion mit SOCl2 führte dabei ebenso wenig zum Erfolg wie die
Variante, in welcher Tetrahydrofuran als Lösungsmittel verwendet wurde164. In beiden
Fällen kam es zur Schwarzfärbung des Edukts, ohne dass das gewollte Säurechlorid
entstand.
Abb. 27: Syntheseschema für 2-[4-(1H-Indol-3-yl)butylamido]-2-(1H-tetrazol-5-yl)essigsäure-hydrazid (XXXI): i) SOCl2, DMF, Raumtemperatur, 24 h; ii) XXVII, DIC, DIPEA, CH2Cl2, 0 °C bis Raumtemperatur, 20 h; iii) N2H4∙H2O, MeOH, Rückfluss, 6 h.
Die Überführung von Carbonsäuren in Säurechloride zur Amidsynthese stellte einen
verhältnismäßig simplen Ansatz dar. Mittlerweile ist die Auswahl an leistungsfähigen
Kupplungsreagenzien zur Knüpfung von Peptidbindungen derart groß, dass hier alternative
Syntheseoptionen zur Verfügung standen. So wurden ähnliche Amide bereits unter der
Verwendung von 1-Ethyl-3-(3-dimethylaminopropyl)carbodiimid-Hydrochlorid (EDCI∙HCl)
(Abb. 28), welches eine Variante des bewährten Dicyclohexylcarbodiimids (DCC) darstellt,
synthetisiert165,166. Unter Zusatz von 1-Hydroxybenzotriazol (HOBt) können sich Aktivester
mit Carbodiimiden formen, welche für bessere Ausbeuten und weniger Nebenreaktionen
sorgen sollen167. Die Kupplung mit EDCI konnte auf das genannte Molekül erfolgreich
übertragen werden, jedoch nur in geringen Ausbeuten (15 %). Wichtig bei diesem
Reaktionstyp ist der konsequente Ausschluss von Wasser. Für die Experimente wurde
EDCI∙HCl verwendet, welches als farbloser Feststoff vorliegen sollte. Das verwendete
Reagenz war aber von wachsartige Konsistenz. Eine partielle Hydrolyse des EDCI∙HCl
konnte deshalb nicht ausgeschlossen werden und war sehr wahrscheinlich der Grund für
die niedrigen Ausbeuten. Unter Zuhilfenahme von Diisopropylcarbodiimid (DIC) und
4-(Dimethylamino)pyridin (4-DMAP) (Abb. 28) gelang es schließlich, 2-[4-(1H-Indol-3-
yl)butylamido]-2-(1H-tetrazol-5-yl)essigsäureethylester (XXX) in guten Ausbeuten (etwa
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
36 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
80 %) zu erhalten. Diese Kombination ist eigentlich für die Veresterung von Alkoholen und
Carbonsäuren entwickelt worden und auch unter der Bezeichnung Steglich-Veresterung
bekannt168. Allen Carbodiimid-gestützten Synthesen sind sehr milde
Reaktionsbedingungen eigen. Größter Nachteil ist in der Regel die zum Teil schwierige
Abtrennung der entstehenden Harnstoffderivate. Der bei der Reaktion mit DIC entstandene
Diisopropylharnstoff konnte aber über eine Flüssig-Flüssig-Extraktion und Fällung des
Produktes mit Salzsäure entfernt werden. Ein weiterer interessanter Ansatz war die
Verwendung von Cyanurchlorid, welches Carbonsäuren ebenfalls in Carbonsäurechloride
überführen kann. Für Indolessigsäure wurde bereits eine Kupplung mit einem Amin unter
Verwendung dieses Reagenzes beschrieben169. Diese Reaktionsbedingungen konnten
ebenfalls auf die hier vorgestellten Edukte übertragen werden, führten aber nur zu mäßigen
Ausbeuten von etwa 20 %. Damit gilt es zusammenzufassen, dass die Kupplung von 2-
Amino-2-(1H-tetrazol-5-yl)essigsäureethylester-Hydrochlorid (XXIX) mit (1H-Indol-
3-yl)buttersäure (XXVII) am besten mit DIC und 4-DMAP gelang und der Syntheseroute
über das in situ erzeugte Carbonsäurechlorid hinsichtlich Ausbeuten und
Reaktionsbedingungen klar überlegen war.
Abb. 28: Hilfsreagenzien für die Amidsynthese (v. l. n. r.): Thionylchlorid und Cyanurchlorid (Trichlortriazin, TCT) dienen der Herstellung von Carbonsäurechloriden; 1-Ethyl-3-(3-dimethylaminopropyl)carbodiimid-Hydrochlorid (EDCI∙HCl) und Diisopropylcarbodiimid (DIC) vermögen Carbonsäuren direkt an Amine zu kuppeln; 4-(Dimethylamino)pyridin (4-DMAP) dient als Katalysator dieser Reaktion.
Die nachfolgende Hydrazinolyse von Estern wie XXX wurde mit N2H4∙H2O in
methanolischer Lösung unter Rückfluss für mehrere Stunden durchgeführt. Die Umsetzung
konnte mit dünnschichtchromatographischer Unterstützung verfolgt werden und gelang in
der Regel quantitativ. Die Aufreinigung des Tetrazolylhydrazids stellte die größte
Herausforderung dar. Aufgrund des amphoteren Charakters war die Polarität von 2-[4-(1H-
Seitenkette relativ hoch, weshalb sich eine säulenchromatographische Aufarbeitung
schwierig gestaltete. Unter Normalphasen-Bedingungen waren die Wechselwirkungen mit
dem Kieselgel stark ausgeprägt, wodurch große Anteile an Methanol im Laufmittel benötigt
wurden. Auf der anderen Seite wurde mit einer RP18-Phase kaum Retention erzielt. In
vorherigen Arbeiten konnte das Aufarbeitungsproblem mit einem zusätzlichen
Derivatisierungsschritt mit Methylethylketon zum Hydrazon und anschließender Spaltung
(mit zum Teil nur mäßigen Ausbeuten) gelöst werden113,157. Im Rahmen dieser Synthese
wurde erst eine Schwerkraftsäulenchromatographie mit 30 % Methanol im Laufmittel
S
O
Cl Cl
N
N
N
Cl
ClClN
N N HClN
N
N
N
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 37
durchgeführt. Die erzielte Reinheit reichte hierbei jedoch noch nicht aus. Erst der Vergleich
mit bisher beschriebenen HPLC-Methoden für das verhältnismäßig ähnlich aufgebaute
Tryptophan (amphoterer Charakter, Indolrest) brachte eine Möglichkeit zu Tage, mit
welcher das synthetisierte Molekül auch auf einer RP18-Phase reterniert werden konnte170.
Die Einstellung des pH-Wertes der wässrigen mobilen Phase auf 2,7 mit Phosphorsäure
führte offensichtlich zu einem günstigen Protonierungsgrad. Dennoch zeigte dieses
Beispiel, wie wichtig ein universelles Portfolio an verschiedenartigen Packmaterialien für
HPLC-Säulen sein kann. Ein HILIC-Trennmaterial wäre bei dieser Fragestellung mit
Sicherheit geeigneter gewesen, die hohen Anschaffungspreise deckeln aber den
weitreichenden Einsatz in der präparativen Anwendung.
In zukünftigen Synthesen sollte darüber nachgedacht werden, die für die Aufreinigung
problematische Amphoterie zumindest partiell einzuschränken, zum Beispiel durch
Umsetzung des Hydrazids mit Phosgen171-173 oder dem weniger toxischen
Carbonyldiimidazol174 (CDI) (Abb. 29). Dadurch verliert das Molekül seinen basischen
Charakter, denn das entstehende 1,3,4-Oxadiazol-2-ol ist eher saurer Natur. Es ist dann
zwar fraglich, in wie weit die komplexierenden Eigenschaften noch gegeben sind, sollte es
aber zu erheblichen Vorteilen in der Produktaufarbeitung kommen, wäre diese Variante in
Erwägung zu ziehen. In Modellreaktionen wurde versucht, 2-(1H-Tetrazol-5-
yl)essigsäurehydrazid (XXXII) sowohl mit Phosgen als auch mit CDI in verschiedenen
Lösungsmitteln umzusetzen. Eine erfolgreiche Isolierung des Oxadiazols gelang jedoch
nicht. Aufgrund der Fokussierung auf eine andere Grundstruktur ohne Hydrazidfunktion
bleibt die Zyklisierung zu Oxadiazolen zukünftigen Arbeiten vorbehalten.
Abb. 29: Nicht gelungene Überführung des Carbonsäurehydrazids in das entsprechende 1,3,4-Oxadiazol-2-ol bzw. das tautomere 1,3,4-Oxadiazol-2(3H)-on: i) CDI, THF/DMF, Rückfluss, 20 h oder Phosgen, Chlorbenzen, Rückfluss, 2 h.
Es konnten somit die beiden vielversprechenden Abwandlungen von AA040 ohne
Carbonsäurehydrazid (N-(1H-Tetrazol-5-yl)methyl-5-phenylvalerianamid (XXVI)) und mit
Als Ausgangstoff für die 4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-amine diente 2-Chlorisonicotinnitril
(XXXIV), welches im ersten Schritt zum korrespondierenden Tetrazol XXXV (Abb. 30) und
anschließend mit verschiedenen Nucleophilen im Sinne einer SNAr umgesetzt werden
sollte. Eine vorangestellte Reaktion des Nitrils war wichtig, da dieses ebenfalls mit
Nucleophilen reagieren kann, wie beispielsweise die Synthese des Biguanids Metformin
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 39
und die Pinner-Reaktion zeigten175,176. Allerdings wurde dadurch ein amphoterer Charakter
generiert, welcher im Folgenden vor allem die Auswahl des Lösungsmittels stark
einschränkte.
Abb. 30: Tetrazolringschluss zum 2-Chlor-4-(1H-tetrazol-5-yl)pyridin (XXXV): i) NaN3, TEA∙HCl, Toluen, 110 °C, 18 h.
Die Formation des Tetrazols XXXV erfolgte bei der Umsetzung des aromatischen Nitrils
XXXIV mit Natriumazid in nahezu quantitativen Ausbeuten. Ein genauerer Blick auf den
Mechanismus gab Erklärungsansätze, warum dieser Syntheseschritt mit aromatischen
Systemen deutlich besser realisierbar war als mit aliphatischen Grundkörpern. Himo et al.
berechneten dafür Energiebarrieren für konzertierte 1,3-dipolare Cycloadditionen (Huisgen-
Cycloaddition177) und Tetrazolbildungen, welche über eine Imido-Azid-Zwischenstufe
abliefen178 (Abb. 31). Letztere wurde dann bevorzugt durchlaufen, wenn die Reaktion
protonenkatalysiert ablief. Das erforderliche Proton wurde unter den hier genannten
Reaktionsbedingungen vom Triethylammoniumchlorid zur Verfügung gestellt. Dabei greift
ein Azid-Stickstoffatom das Kohlenstoffatom des Nitrils nucleophil an. Je positiver das
Kohlenstoffatom polarisiert war, desto besser konnte die Tetrazolformung also gelingen.
Abb. 31: Wahrscheinlicher Mechanismus des Tetrazolringschlusses unter der Verwendung von Brønsted-Säuren (modifiziert nach Himo et al.178): Es wird ein achtgliedriger Übergangszustand und eine Imido-Azid-Zwischenstufe durchlaufen.
Bei aliphatischen Nitrilen erbrachten die benachbarten Alkylreste schwache +I- und
Hyperkonjugations-Effekte, weshalb die Reaktion hier in der Regel träge ablief.
Aromatische Reste können jedoch Elektronen über Mesomerieeffekte delokalisieren, das
heißt, dass das Kohlenstoffatom von aromatischen Nitrilen deutlich stärker positiv polarisiert
sein sollte. Pyridin als Substituent hatte zusätzlich eine elektronenziehende Wirkung, da ein
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
40 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
ausgeprägter –I-Effekt vorhanden war. Dies führte schlussendlich dazu, dass die
Umsetzung zum Tetrazol nahezu quantitativ gelang.
Die in dieser Arbeit hauptsächlich verwendete Kombination aus Toluen, Natriumazid und
Triethylammoniumchlorid (vgl. auch179) hatte aber laut der Originalarbeit von Koguro et al.
einen leicht abweichenden Ablauf140. So bildet sich aus dem Triethylammoniumchlorid ein
Triethylammoniumazid, welches in Toluen eine relevante Löslichkeit zeigte. Dieses wurde
in der Reaktion mit dem Nitril verbraucht, es entsteht das entsprechende
Triethylammoniumtetrazolat. Damit würde die Brønsted-Säure einen äquimolaren
Reaktionspartner darstellen und nicht nur katalytischer Natur sein.
Neben der sehr häufigen Behandlung von Nitrilen mit Natriumazid, Ammoniumchlorid und
Dimethylformamid für den Tetrazolringschluss180, kamen auch Zusätze von Lewis-Säuren
und organometallische Azide zum Einsatz (siehe auch Abschnitt 1.2.1.2). Auf der anderen
Seite muss das Edukt nicht immer ein Nitril sein, beispielsweise sind Tetrazole auch
ausgehend von Carbonsäureamiden zugänglich181, was wegen der großen Vielfalt an
verfügbaren Vertretern ein Vorteil wäre. Andererseits stünde anders als bei den Nitrilen bei
Carbonsäureamiden das Repertoire der Click-Chemie als besonders effizientes Verfahren
nicht zur Verfügung182. Aufgrund der Vielseitigkeit und Möglichkeiten des
Themenkomplexes wird an dieser Stelle auf drei Übersichtsarbeiten verwiesen108,183,184.
Das synthetisierte 2-Chlor-4-(1H-tetrazol-5-yl)pyridin (XXXV) sollte dann mit zahlreichen
Aminen unterschiedlichster Diversität umgesetzt werden (Abb. 32 und Tab. 3). Neben
aliphatischen Resten, kamen auch aromatische Substituenten zum Einsatz. Eine zweite
funktionelle Gruppe konnte durch die Verwendung von Diaminen oder Aminoalkoholen
eingeführt werden. Diese sollten im weiteren Verlauf der Kettenverlängerung dienen.
Erfreulicherweise kam es bei der SNAr mit Diaminen nicht in nennenswertem Umfang zu
befürchteten Dimerisierungen. Wahrscheinlich wurde diese mögliche Folgereaktion durch
einen ausreichend großen Überschuss an Diamin während der Reaktion verhindert. Wäre
eine Dimerisierung so nicht vermeidbar gewesen, hätten Schutzgruppenstrategien für die
Darstellung von Substanzen dieses Typs entwickelt werden müssen.
Abb. 32: Darstellung der 4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-amine: i) Amin, bis zu 220 °C, bis zu 48 h, Mikrowellenreaktor oder Rundkolben.
Die Synthesen der verschiedenen 4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-amine wurden in der Regel
umweltfreundlich ohne Verwendung von Lösungsmitteln im Mikrowellenreaktor und im Falle
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 41
der längeren Diamine/Aminoalkohole im Rundkolben durchgeführt. Durch Fällung aus
zumeist wässriger Lösung mit Salzsäure konnten zahlreiche Produkte isoliert werden. Die
Löslichkeit dieser Produkte war jedoch zum Teil noch schlechter als die des betreffenden
Eduktes. So mussten viele NMR-Spektren von den entsprechenden Natrium-Salzen der
4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-amine in D2O aufgenommen werden, da eine ausreichende
Löslichkeit in DMSO-d6 nicht gegeben war.
Tab. 3: Übersicht der dargestellten 4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-amine mit jeweiligem Rest R.
Alkylamine
XXXVI XXXVII XXXVIII
Benzylamine
XXXIX XL XLI XLII
Diamine185-187 XLIII XLIV XLV
Aminoalkohole188 XLVI XLVII
Piperazine189/ Morpholine
XLVIII XLIX L
Einen Hinweis auf die molekularen und supramolekularen Ursachen für die schlechte
Löslichkeit der 4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-amine lieferte die röntgenkristallographische
Untersuchung von N-[4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]ethan-1,2-diamin-Hydrochlorid (XLIII)
(Abb. 33). Neben der kompletten Planarität und den zwitterionischen Eigenschaften des
Tetrazolylpyridins wurden zahlreiche intra- und intermolekulare
Wasserstoffbrückenbindungen beobachtet, welche zu starken Wechselwirkungen im
Kristallgitter führten und damit wohl ursächlich für Löslichkeitsprobleme waren. Dennoch
konnte mit der Kristallstruktur bewiesen werden, dass der entworfene Syntheseweg mit den
zum Teil harschen Bedingungen (u. a. Mikrowellenreaktor bei Temperaturen bis 220 °C)
bis hierhin umsetzbar war. Zusätzlich zeigten die Derivate XLVIII, XLIX und L mit Piperazin-
oder Morpholin-Partialstrukturen auf Grund des räumlichen und sp³-reichen Charakters der
Heterozyklen an der Seitenkette, dass auch mit dem coplanaren Tetrazolylpyridin-
Grundgerüst eine gute Wasserlöslichkeit erreicht werden konnte.
N
O
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
42 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
Abb. 33: Röntgenkristallographische Untersuchungen von N-[4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]ethan-1,2-diamin-Hydrochlorid (XLIII).
Bei der Einführung eines Schwefelatoms an Position 2 des Pyridinrings wurde ein anderer
Weg eingeschlagen als bei den oben genannten Aminsubstituenten. Da sich Thiole
(beziehungsweise Thiolate) als relativ weiche und gute Nucleophile bequem alkylieren
lassen und im Gegensatz zu Aminen allgemein keine Mehrfachalkylierung befürchtet
werden muss, gestaltete es sich zweckdienlicher, das entsprechende Mercaptoderivat des
Abb. 34: Die Substitution durch ein Schwefelatom an Position 2 des 2-Chlor-4-(1H-tetrazol-5-yl)pyridins (XXXV) schlug fehl, war aber mit 2-Chlorisonicotinnitril (XXXIV) möglich: i) Thioharnstoff, EtOH, 135 °C, 60 min, Mikrowellenreaktor; ii) Benzylbromid, TEA, ACN, Raumtemperatur, 4 h; iii) NaN3, TEA∙HCl, Toluen, 100 °C, 17 h.
Es gelang jedoch nicht, die Substitution mit bereits vorhandenem Tetrazolring
durchzuführen, obwohl die prinzipielle Machbarkeit ähnlicher Umsetzungen mit freier
Carbonsäurefunktion bereits gezeigt wurde190. Daher sollte das Nitrilderivat XXXIV zuerst
mit einem Schwefelatom modifiziert und dann erst nach Alkylierung in das Tetrazolderivat
übergeführt werden. Dies funktionierte mit Hilfe des Mikrowellenreaktors passabel
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 43
(modifiziert nach191,192), die anschließende Alkylierung war ebenfalls gut umsetzbar193.
Damit konnte der Einsatz von oftmals sehr unangenehm riechenden Thiolen umgangen
werden194.
Mit diesem Syntheseweg war es möglich, das schwefelhaltige Benzylderivat LIV mit
Tetrazolylpyridin-Grundkörper darzustellen. Allerdings nahm die hohe Divergenz der
Synthesestrategie, wie es bei den Aminen noch der Fall war, mit einer späten Ausbildung
des Tetrazolrings ab. Es wurde nur eine Thioether-enthaltende Substanz synthetisiert, da
zuerst die biologischen Testungen abgewartet werden sollten, um zu entscheiden, ob
weitere Untersuchungen gerechtfertigt erscheinen.
Als Fehlschlag erwies sich die versuchte Substitution von 2-Chlor-4-(1H-tetrazol-5-
yl)pyridin (XXXV) mit Alkoholen bzw. Alkoholaten (Abb. 35). Es sollte versucht werden,
sowohl eine Umsetzung mit Methanolat als auch mit Phenolat zu erzielen. Für letzteres
wurde eine Vorschrift mit Phenol und tert-Butanolat in DMSO verwendet195. Hierbei konnten
außer unangenehm riechenden Abbauprodukten des DMSO keine weiteren
Umsetzungsprodukte detektiert werden. Bei der Reaktion mit Methanolat in Methanol
konnte ebenfalls keine Bildung des Zielprodukts beobachtet werden. Literaturhinweisen zu
Folge wäre es effektiver gewesen, bereits das Nitril XXXIV mit Methanolat reagieren zu
lassen196.
Abb. 35: Fehlgeschlagene Substitution von 2-Chlor-4-(1H-tetrazol-5-yl)pyridin (XXXV) mit Alkoholaten/Phenolaten: i) Natriummethanolat in Methanol/Phenol mit Kalium-tert-Butanolat, DMSO, bis zu 150 °C, bis zu 2 h, Mikrowellenreaktor.
Die zum Teil sehr niedrigen Ausbeuten bei der Substitution mit einigen Aminen (3-75 %)
deuteten bereits an, dass das 2-Chlorpyridin durch den Tetrazolring für die SNAr offenbar
deaktiviert wurde. Ein Grund dafür könnte sein, dass unter den stets basischen
Reaktionsbedingungen das acide Tetrazol-Proton entfernt wurde. Das resultierende
Tetrazolat erhöhte mit einem +I-Effekt die Elektronendichte im Pyridinring, was für die SNAr
als negativ einzuschätzen war. Dieser Gedankengang ließ folgende Schlüsse zu: Entweder
wird als Edukt das Nitril eingesetzt (siehe 2-(Benzylthio)-4-(1H-tetrazol-5-yl)pyridin (LIV)),
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
44 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
mit Katalysatoren wie Palladium gearbeitet197-199 (Experimente, bei denen BrettPhos-
Katalysatoren verwendet wurden, schlugen aber ebenfalls fehl) oder das acide Tetrazol-
Proton durch eine Schutzgruppe ausgetauscht. Letzteres spielte im weiteren Verlauf dieser
Arbeit eine erhebliche Rolle und soll an späterer Stelle diskutiert werden.
Um die chemische Diversität der Testsubstanzsammlung zu erweitern, sollten die durch
Substitution mit Diaminen und Aminoalkoholen erfolgreich dargestellten Derivate über
deren neu eingeführte Amino- oder Hydroxyfunktionen weiter funktionalisiert werden. Dafür
wurden Carbon-, Sulfon- oder verschiedene Kohlensäurechloride eingesetzt, welche zu
den entsprechenden Amiden beziehungsweise Carbamaten führten (Abb. 36 und Tab. 4).
Abb. 36: Umsetzung von N-[4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]ethan-1,2-diamin-Hydrochlorid (XLIII) zu den entsprechenden Derivaten: i) Carbon-, Sulfon- oder Kohlensäurechlorid, NaOH, Wasser/ACN, 0 °C bis Raumtemperatur, bis zu 24 h.
Tab. 4: Übersicht der auf N-[4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]ethan-1,2-diamin-Hydrochlorid (XLIII) basierenden dargestellten Derivate mit jeweiligem Rest R.
Carbonsäureamide
LVII LVIII
Sulfonsäureamide
LIX
Carbamate
LX
Auf Grund der sehr geringen Löslichkeit des Edukts XLIII gestaltete sich eine Acylierung
schwierig. Der Ausgangstoff war grundsätzlich nur dann in Wasser oder Methanol
solvatisierbar, wenn zusätzlich ein basisches Agens wie Natriumhydroxid oder Ammoniak
dazugegeben wurde. Die protischen Lösungsmittel stellen ebenfalls Reaktionspartner für
Säurechloride dar, selbiges gilt für die basischen Zusätze, die entweder die
Hydrolyse/Alkoholyse unterstützten oder zur Bildung des entsprechenden primären Amids
O
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 45
führten. Trotz Eiskühlung und mehrfacher Nachdosierung der Säurechloridäquivalente
waren deshalb die Ausbeuten sehr gering (ab 6 %).
Bei Substanz LX wurde deshalb eine Weiterentwicklung des präparativen Vorgehens
vorgenommen: Das Edukt XLIII wurde dafür erst in Acetonitril suspendiert und
anschließend mit verdünnter Natronlauge versetzt. Diese löste den Feststoff unter
Ausbildung eines Zweiphasen-Systems. Acetonitril und Wasser sind eigentlich vollständig
miteinander mischbar, da aber durch das hochkonzentrierte Natriumtetrazolat eine hohe
Ionenstärke erreicht wurde, bildete sich eine Grenzschicht aus, welche die Acetonitril- und
die wässrige Phase von einander abtrennte. Die deutlich lipophileren Säurechloride
reicherten sich hingegen in der organischen Phase an. Da Acetonitril zu den nicht
protischen Lösungsmitteln gezählt wird, waren die Säurechloride weitestgehend vor
Hydrolyse/Alkoholyse geschützt. An der Grenzfläche kam es dann zur Reaktion mit dem in
der wässrigen Phase gelösten Edukt XLIII. Wahrscheinlich fand auch eine partielle
Hydrolyse statt, die höhere Ausbeute (56 %) und die Verwendung weniger Äquivalente
Säurechlorid sprachen aber für die Überlegenheit dieser präparativen Variante. Es galt
jedoch zu beachten, dass aus den abreagierten Säurechloriden bei Umsetzung äquimolare
Mengen an HCl freigesetzt wurden. Daher war es unter Umständen nötig, Natronlauge zu
ergänzen, um erneutes Ausfällen der Edukte zu verhindern.
Diese Technik sollte auch für Reaktionen mit dem an der Seitenkette um ein
Kohlenstoffatom verlängerten Edukt XLIV zum Einsatz kommen (Abb. 37 und Tab. 5). Bei
den verhältnismäßig lipophilen Derivaten LXIII und LXIV wiesen die Edukte 4-Methoxy- und
4-Brombenzoylchlorid keine ausreichende Löslichkeit mehr in Acetonitril auf. Durch einen
Austausch mit Tetrahydrofuran konnte auf diesen Befund reagiert und die negativen
Auswirkungen abgewendet werden. Tetrahydrofuran bildete ebenso wie Acetonitril trotz
eigentlicher Mischbarkeit mit Wasser auf Grund der hohen Salzkonzentration ein
Zweiphasen-System aus. Zumindest für das Bromderivat konnte mit dem
Lösungsmittelaustausch eine beachtliche Ausbeutensteigerung auf 82 % erreicht werden.
Abb. 37: Umsetzung von N-[4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]propan-1,3-diamin-Hydrochlorid (XLIV) zu den entsprechenden Derivaten: i) Carbonsäure-, Sulfonsäure oder Kohlensäurechlorid, NaOH, Wasser/ACN/THF, Raumtemperatur, bis zu 24 h.
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
46 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
Tab. 5: Übersicht der dargestellten Derivate basierend auf N-[4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]propan-1,3-diamin-Hydrochlorid (XLIV) mit jeweiligem Rest R.
Carbonsäureamide
LXI LXII LXIII LXIV
Sulfonsäureamide
LXV
Carbamate
LXVI LXVII
Neben der erfolgreichen Umsetzung der Diamin-Seitenketten zu Amiden oder Carbamaten,
sollte ebenfalls die freie Hydroxygruppe der Aminoalkohol-Seitenkette für weitere
Reaktionen adressiert werden. Die Bildung eines Esters fungierte dafür als eine Möglichkeit
(Abb. 38). Der Vorteil lag darin, dass das sehr hydrophile Molekül XLVI durch den unpolaren
Ester eine ausgeglichenere Polarität erhielt. Als nachteilig war die Hydrolyseempfindlichkeit
einzuschätzen. Da zum Zeitpunkt dieser Synthese die oben beschriebene Arbeitstechnik
unter Verwendung eines Zweiphasen-Systems noch nicht etabliert war und deshalb nur auf
eine Kaliumhydroxid-Lösung als Lösungsmittel zurückgegriffen wurde, war die Ausbeute
der Synthese entsprechend niedrig (3 %). Erst nach Vorliegen biologischer Testdaten sollte
entschieden werden, ob die Synthese einer ganzen Reihe von Estern des Typs LXVIII
sinnvoll wäre. Bei positiven Resultaten hätte dann mit der Zweiphasen-Arbeitstechnik ein
Weg zur Verfügung gestanden, mit welchem in kürzester Zeit eine Substanzbibliothek hätte
erstellt werden können.
Abb. 38: Derivatisierung von 2-{[4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]amino}ethan-1-ol-Hydrochlorid (XLVI) zum entsprechenden Benzylester: i) Benzoylchlorid, KOH-Lösung, Raumtemperatur, 18 h.
Neben der Synthese der hydrolyselabilen Ester war auch die Darstellung verschiedener
Ether geplant. Die klassische Ethersynthese mit Natriumhydrid und Alkylbromid (modifiziert
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 47
nach Bream et al.200) im apolaren Lösungsmittel wurde dabei ebenso untersucht wie die
Umsetzung mit Iodmethan katalysiert durch Silber(I)-oxid201,202 (Abb. 39). Beide
Etherbildungen schlugen aber fehl, weshalb weiterhin versucht wurde, zwei Alkohole unter
Sulfonsäurekatalyse in einer Dean-Stark-Apparatur zu einem Ether zu kondensieren203.
Auch diese Synthese gestaltete sich nicht erfolgreich. Ein letzter Versuch wurde deshalb
mit dem Ziel unternommen, den Alkohol mittels Thionylchlorid zunächst in sein Alkylchlorid
umzuwandeln204. Dies gelang jedoch ebenfalls nicht. Allen diesen nicht wie geplant
verlaufenden Synthesen ist die Verwendung eines apolaren, nicht protischen
Lösungsmittels gemein. Das Edukt XLVI ist aber wie die Edukte XLIII und XLIV nahezu
unlöslich in aprotischen Lösungsmitteln und kann wie bereits beschrieben nur in basischem
Methanol oder Wasser gelöst werden. Diese Eigenschaft wurde als Hauptgrund für die
fehlgeschlagenen Etherbildungen in Betracht gezogen. Ein Alkylierungsversuch in
protischen Lösungsmitteln erschien jedoch als keine sinnvolle Alternative, da dort das
Alkylanz vor allem mit dem Lösungsmittel abreagieren würde. Weiterhin bestand die
interessante Fragestellung, ob es bei einer Alkylierung überhaupt zu einer Derivatisierung
des Alkohols oder eventuell doch des Tetrazols gekommen wäre. Dass sich Tetrazole leicht
alkylieren lassen, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit aufgezeigt.
Abb. 39: Fehlgeschlagene Synthese von Ethern und Azomethinen: i) Iodmethan, NaH/Ag2O, aprotisches Lösungsmittel, bis 100 °C, mehrere h; ii) Thionylchlorid, Toluen, Rückfluss, mehrere h; iii) entsprechender Aldehyd bzw. Keton (hier Propionaldehyd), ohne Lösungsmittel/MeOH/ACN/Dioxan, Raumtemperatur bis 120 °C, mehrere Tage, Mikrowellenreaktor.
Ähnliche Beobachtungen konnten bei der Umsetzung von XLIII mit Aldehyden oder
Ketonen gemacht werden (Abb. 39). Der Azomethinbildung, eine sehr pH-empfindliche
Reaktion wie Untersuchungen zeigten205, sollte eine Reduktion mit Natriumboranat
nachgestellt werden, um ein sekundäres Amin zu erhalten. Trotz großer Überschüsse an
Aldehyd/Keton und intensiver Energiezufuhr über den Mikrowellenreaktor gelang es nicht,
die Bildung eines Azomethins nachzuweisen. Es wurde daher auch probiert, methanolische
Suspensionen mit Natronlauge oder Salzsäure gerade so einzustellen, dass sich die Edukte
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lösten, das pH-Optimum der Reaktion aber noch nicht verlassen wurde. Hierbei blieb der
Erfolg jedoch aus.
Daher kann zusammengefasst werden, dass die 4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-amine
und -thiole bzw. -thioether in großer Mannigfaltigkeit synthetisierbar waren. Die über die
Substitution mit Diaminen oder Aminoalkoholen neu eingeführte funktionelle Gruppe konnte
nach Optimierung der Reaktionsbedingungen für zahlreiche Acylierungen genutzt werden.
1.2.2.2 4-(1H-Tetrazol-5-yl)picolinamide
Der amphotere Charakter der Tetrazolylpyridine besaß einen eher negativen Einfluss vor
allem auf die Löslichkeit der Moleküle. Es war daher angebracht, neben den bislang
verwendeten +M-Substituenten auch solche einzubringen, die durch einen Elektronenzug
die basischen Eigenschaften des Pyridinstickstoffatoms abschwächen. Eine in Position 2
befindliche Carbonylkomponente übt einen –M- und –I-Effekt auf das Restmolekül aus und
kann damit einen Beitrag zur Herabsetzung der Basizität leisten.
Als zweckdienlich hatte sich dafür eine radikalische Alkoxycarbonylierung im Zweiphasen-
System erwiesen, welche als Abwandlung der Minisci-Reaktion aufgefasst werden kann206
(Abb. 40). Anders als in den vorherigen Synthesen kam als Edukt hierbei das
unsubstituierte Isonicotinnitril (LXXII) zum Einsatz. Mit Hilfe von Ethylpyruvat und der
Radikalstarterkombination aus Wasserstoffperoxid und Eisen(II)-sulfat wurde ein
Ethoxycarbonylradikal erzeugt, welches hauptsächlich das in Position 2 vorhandene Proton
substituierte. Heinisch und Lötsch gaben zu beachten, dass sowohl die Verhältnisse von
Peroxid zu Substrat, als auch die Volumina von Wasser und Dichlormethan eingehalten
werden müssen207-209. Zwar hätte die Empfehlung ein Verhältnis von 1:10 (Substrat zu
Peroxid) einzuhalten die besten Ausbeuten generieren sollen, auf Grund der
unökonomischen Verhältnisse wurde jedoch eine Substrat-Peroxid-Konstellation von 1:3
gewählt. Die damit erhaltene Ausbeute lag bei etwas mehr als 50 %. Hierbei liefen jedoch
kaum Nebenreaktionen ab, so dass weder Dimere noch doppelt substituierte Produkte
gefunden wurden. Die Aufreinigung beschränkte sich daher auf Basisanwendungen wie
Flüssig-Flüssig-Extraktion und Waschen mit Diethylether. Das so erhaltene in Position 2
modifizierte Derivat LXXIII konnte dann mit der etablierten Synthesemethode in sehr guten
Ausbeuten zum entsprechenden Tetrazol LXXIV umgesetzt werden.
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Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 49
Abb. 40: Syntheseschema für die 4-(1H-Tetrazol-5-yl)picolinamide: i) Ethylpyruvat, FeSO4∙7H2O, H2O2, H2SO4, Dichlormethan, Wasser, –5 °C, 30 min; ii) NaN3, TEA∙HCl, Toluen, 110 °C, 16 h; iii) Amin, Ethanol, 165-185 °C, bis zu 2 h, Mikrowellenreaktor; iv) NaOH, MeOH/Wasser, Rückfluss, 3 h; v) Amin, HATU, DIPEA, DMF, bis zu 50 °C, bis zu 24 h.
Tab. 6: Übersicht der dargestellten 4-(1H-Tetrazol-5-yl)picolinamide mit jeweiligem Rest R.
Carbonsäureamide aus Aminolyse Carbonsäureamide aus HATU-Kupplung
LXXVI
LXXX
LXXVII
LXXXI
LXXVIII
LXXIX
Die eingeführte Esterfunktion bot eine Grundlage für Umsetzungen mit Aminen zu
entsprechenden 4-(1H-Tetrazol-5-yl)picolinamiden (Tab. 6). Die direkte Aminolyse war
jedoch nur mit flüssigen und benzylischen oder aliphatischen Aminen im Überschuss unter
Einsatz des Mikrowellenreaktors möglich. Bereits bei dem Derivat LXXIX, dessen Edukt
4-(Thiophen-2-yl)benzylamin als Feststoff vorlag und nur etwas mehr als äquimolar
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
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zugesetzt wurde, war eine Umsetzung kaum mehr durchführbar. Es konnte zwar das
gewünschte Produkt isoliert werden, allerdings reichte die erhaltene Menge gerade nur für
die Aufnahme eines 1H-NMR-Spektrums zur Überprüfung der Identität des Stoffes aus. Bei
einem eher elektronenarmen primären aromatischen Amin wie 2-Aminobenzimidazol
gelang die Aminolyse dann wie erwartet nicht mehr. Das Derivat LXXX sollte aber
dargestellt werden, da es nach theoretischen Betrachtungen interessante
Wasserstoffbrücken-Donoreigenschaften und -Akzeptoreigenschaften erwarten ließ210. Um
dieses Ziel zu erreichen, musste deshalb eine alternative Syntheseroute gesucht und
beschritten werden.
Diese Herausforderung wurde erneut unter Zuhilfenahme eines Kupplungsreagenzes
angegangen (Abb. 40). Dafür musste als erstes die freie Säure LXXV durch Esterhydrolyse
hergestellt werden. Diese wurde mit methanolischer Natronlauge unter Rückfluss mit
nahezu quantitativen Ausbeuten durchgeführt. Die anschließende Kupplung fand dann mit
41) statt (modifiziert nach Dakin et al.211). Bei dieser Synthese greift das Carboxylat von
LXXV (deprotoniert durch die Hilfsbase DIPEA) den Uronium-Teil von HATU nucleophil an
und bildet dabei ein acyliertes und geladenes Isoharnstoffderivat aus. Dieses wird rasch
von dem entstandenen 7-Azabenzotriazol-1-olat zu einem Aktivester umgesetzt, wobei
Tetramethylharnstoff als Nebenprodukt generiert wird. Der Aktivester steht dann zur
weiteren Umsetzung mit einem Amin oder Alkohol zur Verfügung212,213.
Durch die Verwendung von HATU konnte das Benzimidazolderivat LXXX wie angestrebt
synthetisiert werden. Die Ausbeute von nur 8 % war der aufwendigen Aufreinigung
geschuldet und spiegelte nicht die gute Umsetzung wider. Mit dem Butylderivat LXXXI
konnte noch ein zweites Produkt unter Zuhilfenahme von HATU hergestellt werden.
Abb. 41: O-(7-Azabenzotriazol-1-yl)-N,N,N′,N′-tetramethyluronium-hexafluorphosphat (HATU) (gezeigt ist die Uronium-Form, eine Guanidinium-Form ist ebenfalls beschrieben)
Die dargestellten 4-(1H-Tetrazol-5-yl)picolinamide zeigten wie vermutet eine bessere
Löslichkeit in diversen Lösungsmitteln. So war es möglich, die NMR-Spektren komplett in
DMSO-d6 aufzunehmen, so dass diese nicht wieder umständlich als Na+-Salz in D2O
vermessen werden mussten. Diese Tatsache ist sehr wahrscheinlich der Absenkung der
Basizität des Pyridinstickstoffatoms zu verdanken. Die coplanare Anordnung des
Tetrazolylpyridins ist nach wie vor gegeben und wurde sogar um das sp2-hybridisierte
Kohlenstoffatom des Carbonsäureamids erweitert. Eventuell kann das Sauerstoffatom
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Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 51
dieser Gruppe sogar dafür genutzt werden, um zusammen mit dem Pyridinstickstoffatom
einen Chelatkomplex mit dem katalytischen Eisen-Kation der KDM4-Enzymreihe zu bilden.
Sollte sich dieser Befund in den biologischen Testungen erhärten, stünde mit der Aminolyse
oder der HATU-Kupplung ein etablierter Weg zur Verfügung, um zügig neue Derivate mit
Trotz ähnlicher Synthesewege von 4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-hydroxamsäure und der
4-(1H-Tetrazol-5-yl)picolinamide, muss die Darstellung in einem gesonderten Unterkapitel
behandelt werden, da hinsichtlich Polarität und Komplexierungseigenschaften zum Teil
ausgeprägte Unterschiede existieren.
Als Edukte standen wieder der Ester LXXIV und die Carbonsäure LXXV zur Verfügung
(Abb. 42). In der Patentliteratur war die Synthese einer Pyridin-2-hydroxamsäure
ausgehend von dem entsprechenden Ester beschrieben214. Die Umsetzung mit wässriger
Hydroxylamin-Lösung sollte von katalytischen Mengen Kaliumcyanid profitieren. Bei dem
Versuch, diese Vorschrift auf das hier vorgestellte Molekül zu übertragen, konnten jedoch
lediglich die Ausgangsstoffe zurückgewonnen werden. Aus diesem Grund wurde sich einer
Methode bedient, bei welcher die Carbonsäure mit Hilfe von Oxalylchlorid in das
entsprechende Carbonsäurechlorid übergeführt wurde215. Hierbei kam jedoch
Dichlormethan als Lösungsmittel zum Einsatz, in dem die Pyridincarbonsäure LXXV
erwartungsgemäß als kleines und sehr polares Molekül nahezu keine Löslichkeit zeigte.
Deshalb wurde ein Austausch des Lösungsmittels notwendig. In Dimethylformamid war
LXXV ausreichend gut löslich, da Dimethylformamid aber selber mit Oxalylchlorid reagieren
konnte, stellte diese Wahl nur einen Kompromiss dar. Anhand bläulich-grüner
Verfärbungen während der Synthese ließen sich die Nebenreaktionen optisch verfolgen.
Abb. 42: Die Synthese von 4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-hydroxamsäure gelang nur durch Umsetzung des korrespondierenden Säurechlorids: i) NH2OH-Lsg., KCN, THF/MeOH, bis 40 °C, 28 h; ii) Oxalylchlorid, NH2OH∙HCl, DIPEA, DMF, Raumtemperatur, 18 h.
Die nach Fällung mit Salzsäure notwendige Säulenchromatographie zeigte die wohl
markanteste Eigenschaft der Hydroxamsäuren auf: Es kam zu einer Violettfärbung des
Zielprodukts noch während der chromatographischen Aufarbeitung, womöglich durch
Schwermetallspuren im Kieselgel. Diese für Hydroxamsäuren typische Färbung von deren
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Komplexen mit vielen Metallkationen kann zur Analytik und das Konzept der Chelatisierung
mittlerweile auch zur Therapie genutzt werden. Durch Umkristallisation aus Wasser wurde
dann aus dem gefärbten Rohprodukt ein ausreichend reines Endprodukt erhalten.
Dass es sich bei Hydroxamsäuren oftmals um promiskuitive Liganden vieler
Metalloenzyme, sogenannte „Dirty Drugs“, handelt, ist durchaus verständlich, da prinzipiell
viele unterschiedliche Kationen adressiert werden können. Im Falle der schon
besprochenen Histon-Desacylase-Hemmer scheint es aber durch einen spezifischen
Aufbau möglich zu sein, eine gewisse Selektivität zu erreichen, obgleich mit ähnlichen
Strukturen auch DNA-Methyltransferasen inhibiert werden konnten216,217. In der
Fachinformation zu Panobinostat, einem in Deutschland zugelassenen HDAC-Inhibitor für
Patienten mit rezidiviertem und/oder refraktärem Multiplen Myelom, heißt es218: „Die
Behandlung von Tumorzellen mit Panobinostat führte zu einem dosisabhängigen Anstieg
der Acetylierung der Histone H3 und H4 sowohl in vitro als auch in präklinischen Xenograft-
Tiermodellen, was auf eine zielgerichtete Hemmung hinweist.“ Die allgemeine Aussage,
dass es sich bei Hydroxamsäuren immer um unselektive Inhibitoren handeln muss, scheint
mittlerweile nicht mehr haltbar zu sein.
Ob die hier vorgestellte 4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-hydroxamsäure einen inhibierenden
Einfluss auf die KDM4-Enzymreihe zeigen konnte, sollte durch biologische Tests geklärt
werden. Bei positiven Befunden bleibt die Frage nach der Selektivität aber unausweichlich.
Neben den bisher vorgestellten Tetrazolylpyridinen, welche an Position 2 direkt mit einem
Hetero- oder einem Carbonylkohlenstoffatom verknüpft waren, sollten im Folgenden
Strategien entwickelt werden, um eine Methylengruppe als Spacer zwischen Pyridinring
und einem neu eingeführten Stickstoffatom zu integrieren. Als Grundlage dieser
Betrachtung dienten zahlreiche, bereits eingangs erwähnte Inhibitoren mit Pyridin-4-
carbonsäure-enthaltenden Strukturen vor allem aus der Patentliteratur. Diese wiesen in der
Regel IC50-Werte im einstelligen mikromolaren Bereich gegen verschiedene Vertreter der
KDM4-Enzymreihe auf. Die Methylenbrücke verhindert eine weitere Beteiligung des freien
Elektronenpaares des eingeführten Heteroatoms am mesomeren System des Pyridins. Die
Auswirkungen auf physikochemische Eigenschaften wie Wasserlöslichkeit und
Acidität/Basizität sollten auch deshalb untersucht werden, weil die bisher dargestellten
4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-amine eine generell schlechte Löslichkeit zeigten.
Die Einführung der Methylengruppe wurde über verschiedene Wege realisiert. Für die
Synthese des nicht weiter derivatisierten [4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]methanamins
(LXXXVIII) gelang dies nach zahlreichen Optimierungsversuchen mit einem Austausch
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 53
eines Chlorsubstituenten gegen eine Cyanogruppe mit anschließender Reduktion (Abb.
43).
Abb. 43: Syntheseschema für [4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]methanamin (LXXXVIII): i) u. a. CuCN, NMP, 240 °C, 30 min, Mikrowellenreaktor; ii) Tritylchlorid, TEA, THF, Raumtemperatur, 17 h; iii) Zn(CN)2, Tetrakis(triphenylphosphin)palladium(0), DMF, 160-190 °C, 20-30 min, Mikrowellenreaktor; iv) Benzylbromid, K2CO3, Aceton, 50 °C, 1,5 h; v) H2, Pd/C, MeOH, Raumtemperatur, 24h.
Die Cyanierung eines Bromaromaten wurde bereits in Abschnitt 1.2.1.1 diskutiert und stellte
eine gewisse Herausforderung dar. Bei dem Edukt XXXV handelte es sich aber um einen
elektronenarmen Aromaten, welcher zusätzlich in Position 2 mit einem Chloratom eine
verhältnismäßig gute Abgangsgruppe besaß. Ein Austausch im Sinne einer klassischen
SNAr lag deshalb nahe. Zusätzlich wurden weiterhin die Bedingungen der ebenfalls schon
erwähnten Rosenmund-von-Braun-Reaktion angewendet. Überraschenderweise konnte
damit kein Zielprodukt erhalten werden. Da jedoch CN– ein gutes Nucleophil darstellte,
wurde die Vermutung gestützt, dass 2-Chlor-4-(1H-tetrazol-5-yl)pyridin für die nucleophile
aromatische Substitution nicht mehr zugänglich war. Um die Aktivierungsenergie zu
senken, wurden deshalb unter anderem zwei Katalysatoren eingesetzt:
Tetrakis(triphenylphosphin)palladium(0) mit Kaliumcyanid als Cyanidquelle219 und
BrettPhos Pd G3, welches Palladium in der Oxidationsstufe +2 enthielt, in Kombination mit
Kaliumhexacyanidoferrat(II)220. Weiterhin wurde auch beachtet, dass sich Katalysatoren-
deaktivierender Cyanwasserstoff aus der Reaktion von saurem Tetrazol und der
Cyanidquelle bilden konnte. Deshalb wurden die Experimente auch mit dem
N Cl
N
NN
HN
i
N
N
NN
HN
N
N Cl
N
NN
N
ii
N Cl
N
NN
N
iv
iii
N
N
NN
N
N
iii
N
N
NN
N
NN
N
NN
HN
NH2
v
XXXV
LXXXIV LXXXV
LXXXIII
LXXXVI LXXXVII LXXXVIII
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
54 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
entsprechenden Natriumtetrazolat durchgeführt. Es war jedoch nicht möglich, das cyanierte
Derivat LXXXIII zu synthetisieren. Neben Spuren von Wasser, welche zur Protonierung von
Cyanidionen geführt haben könnten, durfte weiterhin die Cyanidquelle nicht im Überschuss
eingesetzt werden, da sich dies negativ auf die Umsetzung ausübte129. Eine andere
mögliche Ursache für das Scheitern der Reaktion lag in der Koordinierungsbereitschaft des
Tetrazols. Palladium-haltige Tetrazolkomplexe sind bekannt und verhältnismäßig leicht
herzustellen221. Es war daher nicht auszuschließen, dass die eingesetzten Palladium-
Liganden-Kombinationen zu nicht katalytisch wirkenden Palladium-Tetrazol-Komplexen
umgesetzt wurden. Mit einer Alkylierung des Tetrazolrings würde die Fähigkeit zu
Koordinierung an Metalle stark eingeschränkt werden, weshalb die Suche nach einer
passenden Schutzgruppe an dieser Stelle unausweichlich wurde.
Getestet wurden hierzu zum einen die Triphenylmethyl- (Trityl-) und zum anderen die
Benzyl-Gruppe (Bn). Beide Reste konnten durch klassische Alkylierungsreaktionen mit den
jeweiligen Chloriden oder Bromiden und einer Hilfsbase zum Abfangen des substituierten
Protons eingefügt werden. Der Austausch mit der sperrigen Trityl-Gruppe erfolgte mit nur
mäßigen Ausbeuten von etwa 25 % (modifiziert nach Nisnevich et al.222). Ein Grund hierfür
könnte die Durchführung der Umsetzung bei Raumtemperatur gewesen sein, wobei durch
Erhitzen eventuell die Ausbeuten hätten gesteigert werden können. Dieser Punkt erschien
aber unerheblich, da beim Einfügen der Cyanidgruppe eine unerfreuliche Beobachtung
gemacht wurde: Statt des derivatisierten Pyridins wurde Tritylcyanid als Hauptprodukt
erhalten. Dementsprechend ließ sich schlussfolgern, dass die Trityl-Schutzgruppe an
Tetrazolen sehr empfindlich gegenüber nucleophilen Angriff reagierte und somit ungeeignet
für die gegebene Fragestellung war. Dieser Befund wurde auch von bisherigen
Untersuchungen im Arbeitskreis gestützt, da es bereits bei der Umkristallisation aus
Methanol zur Umsetzung des Trityl-geschützten Tetrazols zum Methylether des
Triphenylmethans kam113.
Die Benzyl-Schutzgruppe entwickelte sich klassischerweise aus dem Kontext der
Alkoholfunktionen und schützt diese als benzylischen Ether223. Die Entschützung kann
unter Palladium-katalysierten, reduktiven Bedingungen mit Wasserstoff erfolgen und hat
damit gleichzeitig den Vorteil, dass das Nitril zum entsprechenden Amin umgesetzt werden
kann224. Somit können Abspaltung der Schutzgruppe und der letzte geplante
Reaktionsschritt unter denselben Bedingungen und damit auch in einem Ansatz
abgehandelt werden (Abb. 43).
Da Tetrazole in einem Tautomerengemisch von 1H- und 2H-Isomer vorliegen, sind
folgerichtig auch Alkylierungen an Position 1 und 2 möglich. Moutevelis-Minakakis et al.
publizierten eine Benzylierung eines C-substituierten Tetrazols mit Hilfe von Benzylbromid
und Kaliumcarbonat in Aceton225. Die Autoren gingen in ihrer Arbeit ausschließlich von einer
Alkylierung in Position 1 des Tetrazols aus. Im Gegensatz dazu zeigten Nelson et al., dass
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 55
Alkylierungen in Acetonitril mit Triethylamin zu einem Regioisomerengemisch führte226. Es
sind ferner systematische Untersuchungen vorhanden, die verdeutlichten, dass die
entsprechenden Reste an Position 1 und 5 der Tetrazole ausschlaggebend für die
Verhältnisse der Produkte waren227. Eine Umsetzung mit Benzylalkohol im stark Sauren
sollte ausschließlich zu einer Alkylierung an Position 2 führen228. Um ein isomerenreines,
selektiv an Position 1 alkyliertes Produkt zu erhalten, könnte beispielsweise von einem
N-Benzylamid ausgegangen werden229.
Anmerkung: Aus Gründen der Übersicht werden in dieser Arbeit nur die
Alkylierungsprodukte der 1H-Tetrazoltautomere aufgezeigt. Der Sinn einer
Schutzgruppe besteht darin, Reaktionen zu ermöglichen, die ohne diese nicht oder
nur schlecht durchführbar sind, oder um Nebenreaktionen zu vermeiden. Da es in
der Natur einer Schutzgruppe liegt, in späteren Reaktionsschritten wieder aus dem
Molekül entfernt zu werden, erschien eine röntgenkristallographische Untersuchung
als nicht zwingend notwendig. Aus den NMR-Spektren wird das Alkylierungsmuster
nicht deutlich, es wurde aber stets nur mit einem Regioisomer gearbeitet.
Wie bei der benannten Alkylierung nach Moutevelis-Minakakis et al. konnte nach der
Flüssig-Flüssig-Extraktion mit Ethylacetat und verdünnter Natronlauge nur ein alkyliertes
Produkt durch dünnschichtchromatographische Kontrolle aufgefunden werden. Dieses
wurde zwar noch weiter säulenchromatographisch gereinigt, aber nur um noch
überschüssiges Benzylbromid und farbige Nebenprodukte zu entfernen. Dementsprechend
wurde offenbar kein Regioisomerengemisch erhalten, was für die weiteren
Reaktionsschritte einen positiven Aspekt darstellte.
Die weitere Umsetzung gestaltete sich ebenfalls erfolgreich, wenn gleich nur mit mäßigen
Ausbeuten. Die Substitution des Chloratoms von LXXXVI gegen eine Cyanogruppe
funktionierte mit Kupfer(I)-cyanid bei hohen Temperaturen nur in Spuren. Besser gelang
die Variante mit Zinkcyanid und Tetrakis(triphenylphosphin)palladium(0) im
Mikrowellenreaktor230-232. Limitierend hierbei waren aber zum einen die hohen Kosten des
Katalysators, der zwar nur zu 5 mol%, aber aufgrund der großen molaren Masse bis zu
200 mg je Ansatz zugesetzt wurde. Zum anderen konnte die Ausbeute von knapp 25 %
nicht weiter gesteigert werden, obwohl unter anderem längere Reaktionszeiten bei höheren
Temperaturen und eine Erhöhung der Katalysatormenge ausprobiert wurden.
Die darauffolgende Reduktion des Nitrils und die gleichzeitige Abtrennung der
Schutzgruppe wurden dann mit Wasserstoff und Pd/C in Methanol mit einer Ausbeute von
knapp 50 % realisiert. Bei der Aufreinigung zeigte sich erneut, dass der amphotere
Charakter, welcher bei der benzylierten Vorstufe aufgrund der fehlenden Acidität des
Tetrazols nicht gegeben war, zu negativen Einflüssen auf die chromatographischen
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
56 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
Eigenschaften in Form von starkem Tailing führte. Trotzdem konnte das eigentliche
Zielmolekül [4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]methanamin (LXXXVIII) synthetisiert werden
und stünde theoretisch für weitere Kettenverlängerungen über das mit einer
Methylenbrücke verknüpfte primäre Amin zur Verfügung. Die Gesamtausbeute von etwa
8 % für alle drei Schritte reichte praktisch aber nicht annähernd, um eine genügende Menge
an Ausgangsstoff bereitzustellen, um die geplanten Derivate zu synthetisieren. Aus diesem
Grund wurden drei neue Synthesewege entwickelt, welche im Folgenden vorgestellt
werden sollen (Abb. 44).
Abb. 44: Geplante Syntheserouten für [4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]methanamin-Derivate: i) Reduktion von 4-(1H-Tetrazol-5-yl)picolinamiden; ii) reduktive Aminierung von 4-(1H-Tetrazol-5-yl)picolinaldehyd; iii) nucleophile Substitution von Sulfonaten ausgehend von [4-(1H-Tetrazol-5-yl-pyridin-2-yl)methanol.
Eine alternative Möglichkeit stellte die Reduktion der Carbonsäureamide der zum Teil
bereits vorhandenen Picolinamide dar. Grundlegendes Problem hierbei war die überaus
schlechte Löslichkeit der Stoffe in Lösungsmitteln wie Diethylether oder Tetrahydrofuran.
Carbonsäureamide sind verhältnismäßig stabil gegenüber reduktiven Angriffen und
benötigen daher starke Reduktionsmittel wie beispielsweise Lithiumalanat. Da protische
Lösungsmittel gänzlich ungeeignet für die Reduktion mit Lithiumalanat sind, wird
üblicherweise ein aliphatischer Ether als Lösungsmittel benutzt233-235.
Diese Reaktionsbedingungen kamen bereits bei den Verbindungen LVII und LXI zum
Einsatz, wobei die Amide an den Seitenketten zu den entsprechenden sekundären Aminen
reduziert werden sollten. Wahrscheinlich auf Grund der Löslichkeit schlug dieser Versuch
jedoch fehl. Auch eine fortlaufende Benutzung einer Soxhlet-Apparatur über 96 Stunden,
welche das Lösungsmittel kontinuierlich recyclierte, ermöglichte es nicht, das gewünschte
reduzierte Amid zu erhalten. Bei der Reduktion der Verbindungen LVII und LXI kamen
sowohl Aluminiumchlorid als katalytisch wirkende Lewis-Säure236, als auch der polarere
Bis(2-methoxyethyl)ether (Diglyme) mit komplexierenden Eigenschaften237 erfolglos zum
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 57
Einsatz. Eine Teilumsetzung konnte bei der Verwendung von (Di-)Boran beobachtet
werden, welches zweckdienlich aus Natriumboranat und elementarem Iod in
Tetrahydrofuran in situ hergestellt wurde238. Der resultierende Boran-Tetrahydrofuran-
Komplex ist ein effektives Reduktionsagenz und vermag auch Amide zu reduzieren239.
Jedoch gelang es nicht, die intermediären Boran-Amin-Komplexe so zu spalten, dass das
gewünschte Amin isoliert werden konnte. Stattdessen wurde das ursprüngliche Amid
erhalten. Die Reduktion mit dem BH3-THF-Komplex war also geprägt durch die
Reversibilität der einzelnen Reaktionsschritte240, was die Umsetzung generell schwierig
gestaltete.
Da es immer wieder zu Schwierigkeiten vor allem auf Grund der Löslichkeit (Amphoterie)
kam und Erfahrungen zur Tetrazolalkylierung bereits vorlagen, wurde auch bei dem Edukt
LXXIV das acide Tetrazolproton gegen eine Benzylgruppe substituiert (Abb. 45). Nach
Aufbereitung durch Flüssig-Flüssig-Extraktion mit Ethylacetat und Kaliumcarbonat-Lösung
konnte im Übrigen wieder nur ein Regioisomer mittels Dünnschichtchromatographie
nachgewiesen werden.
Abb. 45: Benzylierung von 4-(1H-Tetrazol-5-yl)picolinsäureethylester (LXXIV): i) Benzylbromid, K2CO3, Aceton, Rückfluss, 2 h.
Das resultierende Benzyltetrazolderivat LXXXIX besaß nun eine ausreichend hohe
Lipophilie, um in vielen aprotischen Lösungsmitteln solvatisierbar zu sein. LXXXIX konnte
anschließend in sehr guten Ausbeuten einer weiteren Aminolyse unterzogen werden, um
die Morpholin-enthaltende Verbindung XC zu generieren (Abb. 46).
Die direkte Überführung in das korrespondierende Amin XCII mit Hilfe von Lithiumalanat
schlug allerdings auch hier fehl. Löslichkeitsprobleme konnten nun nicht mehr die Ursache
für den Misserfolg darstellen, da eine klare Lösung des Edukts XC in Tetrahydrofuran
vorlag. Die Vermutungen gingen eher dahin, dass das verwendende Lithiumalanat trotz
Lagerung im Exsikkator schon partiell hydrolytisch zersetzt worden war. Bei der Reaktion
mit Wasser kam es zwar zur Gasentwicklung, jedoch nicht annähernd in der heftigen Weise,
wie es in den Sicherheitsdatenblättern erwähnt wird. Da die Zielmoleküle jedoch später
über andere Wege erzielt werden konnten, wurden keine weiteren Untersuchungen mit
Lithiumalanat mehr vorgenommen.
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
58 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
Abb. 46: Reduktion eines Amids mit Hilfe von PCl5 und NaBH4: i) 3-Morpholinopropylamin, EtOH, 55 °C, 72 h; ii) LiAlH4, THF, Rückfluss, 24 h; iii) PCl5, DCM, Rückfluss, 5 h; iv) NaBH4, EtOH, 0 °C-Rückfluss, 45 min; v) H2, Pd/C, MeOH, 35 °C, 6 h.
Da sich mittlerweile einige Reduktionsmöglichkeiten verschiedener Amide in dieser Arbeit
als sehr zeitintensiv und erfolglos herausgestellt hatten, sollte eine letzte und eher weniger
bekannte Variante auf ihre Eignung untersucht werden. Carbonsäureamide können auch
mit dem in protischen Lösungsmitteln verhältnismäßig stabilen Reduktionsmittel
Natriumboranat in guten Ausbeuten reduziert werden, wenn sie vorher durch ein
Chlorierungsagenz wie Phosphoroxychlorid241 oder Phosphorpentachlorid242 „aktiviert“
wurden. Diese Chlorierungen fanden überwiegend in Dichlormethan durch Erhitzen unter
Rückfluss statt. Das resultierende Chloriminium-Ion (auch als Vilsmeier-Komplex bekannt)
war ausreichend reaktiv, um in Ethanol mit Natriumboranat oder auch elementarem Zink
reduziert zu werden243. Eine gesonderte Isolierung der Spezies war nicht vorgesehen, es
wurde lediglich das Lösungsmittel im Teilvakuum entfernt. Der Rückstand konnte dann in
Ethanol aufgenommen und anschließend erfolgreich zum sekundären Amin reduziert
werden. Die Rohausbeute von etwa 35 % wäre dann als ausreichend angesehen worden,
wenn die Entschützung des Tetrazols quantitativ verlaufen wäre. Da es hier allerdings zu
einer noch geringeren Ausbeute kam, konnte gerade nur so viel Zielprodukt XCIII isoliert
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 59
werden, dass die Analytik vervollständigt und eine ausreichende Menge für die biologische
Testung zur Verfügung gestellt werden konnte. Damit stellte dieser Weg zwar die erste
erfolgreiche Reduktion einen Amids mit Tetrazolylpyridin-Grundstruktur in dieser Arbeit dar,
gleichermaßen musste aber auch festgestellt werden, dass die Ausbeuten nicht optimal
waren. Ferner ging die Diversität der Syntheseroute dahingehend verloren, dass erst jedes
einzelne Picolinamid hergestellt werden musste. Eine Aufzweigung des Synthesewegs erst
auf letzter oder vorletzter Stufe wäre für die Effizienz in Hinblick auf die Darstellung einer
Substanzbibliothek wünschenswert gewesen. Es wurde daher beschlossen, vergleichbare
Reduktionen anderer Amide nicht weiter zu verfolgen.
Stattdessen erfolgten Experimente, die eine nucleophile Substitution am Aliphaten
vorsahen, um die entsprechenden [4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]methanamin-Derivate
zu erhalten (Abb. 44, Weg iii). Durch das Überführen einer Alkoholfunktion in einen
Sulfonsäureester, sollte letzteres als gutes Nucleofug genutzt werden, um eine Substitution
mit einem Amin zu ermöglichen. Hierbei würde erst im letzten Schritt eine Verzweigung des
Synthesewegs erfolgen, eine hohe Diversität der so darstellbaren Produkte wäre also
gegeben.
Eine Besonderheit von 4-(1H-Tetrazol-5-yl)picolinsäureethylester (LXXIV), welche auch die
Grundlage des hier beschriebenen Wegs der nucleophilen Sulfonatsubstitution
mitbegründete, ist die spezielle Reduktionsanfälligkeit der Esterfunktion. Diese ist an
Position 2 des Pyridinrings lokalisiert und damit einem starken Elektronenzug ausgesetzt.
Dadurch kommt es zu einer Intensivierung der ohnehin vorhandenen positiven
Polarisierung des Carbonylkohlenstoffatoms, welches auf Grund dessen von dem
verhältnismäßig milden Reduktionsmittel Natriumboranat angegriffen werden kann. Der
Vorteil von Natriumboranat wiederum ist seine Stabilität gegenüber protischen
Lösungsmitteln. Es war hierbei also nicht notwendig, den Ester LXXIV mit einer
Schutzgruppe zu derivatisieren. Stattdessen konnte dieser direkt in einem Tetrahydrofuran-
Methanol-System mit Natriumboranat in guten Ausbeuten zum korrespondieren Alkohol
XCIV umgesetzt werden (Abb. 47).
Die Reduktion von an Elektronenmangelaromaten lokalisierten Carbonsäureestern wäre
auch in anderen Medien als in einem Tetrahydofuran-Methanol-Gemisch möglich
gewesen244,245. Es wurde ebenfalls eine Kombination aus Dioxan und Wasser
ausprobiert246. Hierbei kam es allerdings durch den basischen pH-Wert, verursacht durch
die partielle Hydrolyse von Natriumboranat zu Natriumhydroxid im Wässrigen, auch zu einer
Esterhydrolyse. Die freie Säure ließ sich von dem ebenfalls sehr polaren Alkohol nur schwer
abtrennen, weshalb das wasserfreie Medium zu bevorzugen war. Mit Polyethylenglycol 400
stünde dafür ein geeignetes Lösungsmittel zur Verfügung247.
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
60 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
Abb. 47: Syntheseschema für [4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]methanamin-Derivate über eine nucleophile Substitution von Sulfonaten: i) NaBH4, THF/Methanol, Rückfluss, 20 h; ii) Methansulfonylchlorid oder Tosylchlorid, TEA, 4-DMAP, THF/DMF, 0 °C-Raumtemperatur, bis zu 36 h (Intermediate nicht isoliert); iii) entsprechendes Amin, DMF, 60-80 °C, bis zu 72 h.
Die Hydrophilie des Alkohols XCIV erwies sich hingegen bei dem Schritt der Darstellung
des Sulfonsäureesters als hinderlich. In Tetrahydrofuran kam es lediglich zu einer
Suspendierung, erst durch Zugabe von Dimethylformamid wurde eine nahezu feststofffreie
Lösung erhalten. Bedingt durch die Ergänzung von Dimethylformamid kam es aber
wahrscheinlich zu Nebenreaktionen, welche auch durch Zugabe des Katalysators 4-DMAP
nicht verhindert werden konnte.
Es war nicht vorgesehen, die empfindlichen Sulfonate zu isolieren, dennoch wurde ein
Versuch unternommen, diese auf Grund der entstandenen Nebenprodukte mittels
Säulenchromatographie aufzureinigen. Der Beweis, dass es sich um reaktive Intermediate
handelte, wurde auch direkt erbracht, da nach Eluieren über Kieselgel kein
Zwischenprodukt mehr gefunden werden konnte. Es kam wohl zu einer Reaktion bereits
während der Chromatographie, was jedoch als Beweis dafür gesehen wurde, dass das
gewünschte Sulfonat vorlag.
Das ungereinigte Sulfonat konnte alternativ direkt durch Zugabe eines entsprechenden
Amins als Eintopfsynthese zum sekundären Amin umgesetzt werden (modifiziert nach
Chelucci et al.248). Vier Derivate waren in Planung (Tab. 7), wobei die Umsetzung mit
Vertretern von aliphatischen, benzylischen und primären aromatischen Aminen erprobt
wurde. Nur mit den 3-Aminochinolin- und 4-Fluorbenzylamin-Substituenten konnte das
gewünschte Produkt erhalten werden. Allerdings waren die Ausbeuten der Reaktion so
gering, dass die erhaltene Menge nur für eine vollumfängliche Analytik der Stoffe
N
N
NN
HN
O
O
LXXIV
N
N
NN
HN
OH
iii
N
N
NN
HN
OS
O
O
i
N
N
NN
HN
OS
O
O
N
N
NN
HN
HN
R
ii
XCIV
XCV
XCVI
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 61
ausreichte. Über diesen Weg war es jedoch nicht möglich, genügend Substanz für eine
biologische Testung zur Verfügung zu stellen. Bei der Reaktion mit 3-Aminopropan-1-ol und
3-Picolylamin konnte überhaupt kein Zielprodukt isoliert werden.
Tab. 7: Übersicht der Derivate mit [4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]methanamin-Grundstruktur hergestellt über den Sulfonsäureester-Weg mit jeweiligem Rest R.
Einen möglichen Grund für die niedrigen Ausbeuten stellte die aufwendige Aufreinigung
dar. Dadurch, dass sich bereits bei der Veresterung Nebenprodukte bildeten, konnten diese
dann ebenfalls mit dem Amin weiterreagieren. Eine Abtrennung der Zielprodukte war daher
aufwendig und nur mit zwei aufeinanderfolgenden chromatographischen Verfahren
möglich. Der eingangs erwähnte Vorteil der Reduktionsmöglichkeit des Edukts in Methanol
und damit auch die Abwesenheit einer Schutzgruppe am Tetrazolring führte dazu, dass die
Löslichkeit im zweiten Schritt des Sulfonsäureester-Wegs nicht mehr ausreichend war, um
auf Dimethylformamid als Lösungsmittel verzichten zu können. Somit wäre folglich eine
Benzylierung auch hier eventuell sinnvoll gewesen, um nicht nur die Nebenreaktion zu
begrenzen und damit die Ausbeuten zu steigern, sondern auch um eine größere Vielfalt an
Derivaten zu ermöglichen.
An dieser Stelle kann zusammengefasst werden, dass es mit den bisher vorgestellten
Wegen der Amidreduktion und der nucleophilen Substitution von Sulfonsäureestern nicht
möglich war, eine ausreichende Anzahl und Menge an gewünschten [4-(1H-Tetrazol-5-
yl)pyridin-2-yl]methanamin-Derivate zu gewinnen. Diese Struktur ist aber in Hinblick auf die
Inhibition der KDM4-Enzymreihe äußerst vielversprechend und sollte daher nicht verworfen
werden. In der Patentliteratur wird häufig mit einer reduktiven Aminierung gearbeitet (u. a.
in98), um entsprechende methylenverbrückte Amine zu erhalten. Ob diese Methode auch
auf die hier präsentierten Tetrazolylpyridine übertragbar war, soll im Folgenden erläutert
werden (Abb. 44, Weg ii).
Dafür musste im ersten Schritt der entsprechende Ester selektiv zum korrespondieren
Aldehyd reduziert werden. Erfahrungen aus dem Sulfonsäureester-Weg zeigten, dass eine
Reaktion mit Natriumboranat in methanolischer Lösung bereits zur Reduktion bis zum
Alkohol führte. Ein selektiveres Reduktionsmittel stellt hingegen Diisobutylaluminiumhydrid
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
62 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
(DIBAL, Abb. 48) dar. Durch die sperrigen Substituenten soll ein Mehrfach-Angriff auf das
Ester-Carbonylkohlenstoffatom verhindert und damit eine Weiterreduktion zum Alkohol
vermieden werden. Üblicherweise erfolgt die Reaktion bei tiefen Temperaturen (bis –75 °C)
in Toluen249 oder Tetrahydofuran250,251. Die Verwendung dieser Lösungsmittel machte es
erforderlich, dass hier wieder mit der benzylgeschützten Verbindung LXXXIX gestartet
werden musste, um eine ausreichende Löslichkeit zu garantieren und um
Neutralisationsreaktionen mit dem basisch reagierenden DIBAL zu unterbinden. Nach
einigen Versuchen konnten dann die optimalen Bedingungen für die Reduktion zum
Aldehyd CI gefunden werden (Abb. 48). Die Reaktionstemperatur wurde mit einem
Ethylacetatbad kontrolliert, welches mit flüssigem Stickstoff bis kurz über den Schmelzpunkt
(–83 °C) heruntergekühlt wurde. An Stelle der vorgeschlagenen vier Äquivalente DIBAL
(nach Swahn et al.251) wurden nur drei Äquivalente benutzt. Theoretisch konnte dieser
Überschuss bereits ausreichen, um eine Weiterreduktion zu initiieren. Wahrscheinlich auf
Grund der starken Kühlung wurde diese jedoch nicht beobachtet.
Abb. 48: Optimierte reduktive Aminierung als dritter Weg der Herstellung von [4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]methanamin-Derivaten: i) DIBAL, THF, –80 °C, 5 h; ii) entsprechendes Amin, NaBH4, MeOH, 0 °C-Rückfluss, 2-4 h; iii) H2, Pd/C, MeOH, Raumtemperatur, 1,5-4,5 h. Rechts: Strukturformel von DIBAL (Diisobutylaluminiumhydrid).
Durch Zugabe von Wasser und Essigsäure wurde überschüssiges DIBAL nach erfolgter
Reaktion zersetzt. Bei der anschließenden Flüssig-Flüssig-Extraktion gab es zu beachten,
dass die wässrige Phase nicht zu stark alkalisch eingestellt wurde, da es ansonsten zu
einer Gelbildung kam, vermutlich auf Grund von Aluminium- und Aluminiumhydroxid-
haltigen Verbindungen. Die hohe Viskosität machte eine Extraktion mit Ethylacetat
unmöglich, war jedoch durch Zugabe von wenigen Tropfen Essigsäure reversibel. Die
orangene Färbung nach Ansprühen des isolierten Produktes mit 2,4-Dinitrophenylhydrazin-
Reagenz auf der Kieselgelplatte zeigte an, dass der Aldehyd wie erhofft nicht weiter zum
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 63
Alkohol reduziert wurde, da die entsprechenden Alkohole nicht zu orangefarbenen
Hydrazonen reagieren können. Auf Grund von farbigen Verunreinigungen, die vor allem bei
der Hydrolyse des überschüssigen DIBAL entstanden, musste noch eine
Säulenchromatographie zur Aufreinigung durchgeführt werden. Die Gesamtausbeute der
Reduktion ist mit 80 % als gut zu bewerten.
Tab. 8: Übersicht der dargestellten [4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]methanamin-Derivate über den Weg der reduktiven Aminierung mit jeweiligem Rest R.
Der Aldehyd CI konnte dann mit einem primären Amin zum entsprechenden Azomethin
umgesetzt werden. Diese Reaktion wurde in Methanol unter Rückfluss durchgeführt und
war je nach Gegebenheiten des Amins mehr oder weniger vollständig. Auch hier war es
nicht vorgesehen, das Azomethin zu isolieren, sondern den Glasaufbau im Sinne einer
Eintopfreaktion direkt mit Wasserstoff zu fluten, damit sowohl das Azomethin zum
sekundären Amin reduziert als auch die benzylische Schutzgruppe abgespalten werden
konnte. Somit beinhaltete diese Syntheseoperation wiederum gleich zwei sequentielle
Reaktionsschritte, wodurch diese Durchführung gewisse ökonomische Vorteile aufwies. Auf
diese Art konnte das Amin CII mit zwei Methoxysubstituenten in mittelmäßigen Ausbeuten
hergestellt werden (Tab. 8). Das bereits über den Sulfonsäureester-Weg dargestellte
O
O
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
64 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
Derivat XCVIII musste auf Grund der geringen Ausbeuten erneut synthetisiert werden. Mit
dem Weg der reduktiven Aminierung waren die Erträge allerdings nicht wesentlich höher.
Gänzlich unmöglich war es, das Amin C mit einer zweiten Pyridinstruktur herzustellen.
Bei der Darstellung einiger [4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]methanamin-Derivate kam es
während des Syntheseverlaufs zu einer unerwünschten Abspaltung benzylischer
Strukturelemente. Dabei konnte ein Trend beobachtet werden: Je stärker
elektronenziehend der Substituent war (3,4-Dimethoxy < 4-Fluor < Pyridin), desto eher
wurde auch die Amin-verbindende Methylengruppe durch die reduktiven Bedingungen
abgetrennt. Exemplarisch konnte dafür ein Bruchstück aus der Synthese von C isoliert
werden, welches im 1H- und 13C-NMR-Spektrum die gleichen Signale aufzeigte, wie das
bereits zuvor synthetisierte [4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]methanamin (LXXXVIII) (Abb.
49). Als Hauptgrund konnten die zu lang gewählten Reduktionszeiten ausgemacht werden.
Bei den Aminen XCVIII, C und CIII betrug der Kontakt mit Wasserstoffatmosphäre bis zu
24 h. Diese sollten daher im Folgenden gekürzt werden. Da es sich bei der Schutzgruppe
aber ebenfalls um eine benzylische Struktur handelte, waren solche Arten von
Nebenreaktionen nicht gänzlich auszuschließen.
Abb. 49: Bei der Synthese von C und CIII kam es unter den Reaktionsbedingungen von H2 und Pd/C nicht nur zur Abspaltung der Schutzgruppe, sondern auch zur Abtrennung anderer Strukturen (rot).
Auf Grund dieser Befunde wurde dazu übergegangen, einen weiteren Isolierungsschritt zu
integrieren. Hintergrund waren auch die nicht immer vollständig gelungenen
Azomethinbildungen, weshalb jetzt zwei Äquivalente Amin anstelle eines äquimolaren
Verhältnisses eingesetzt wurden. Es wurde ferner davon abgesehen, Reduktion und
Entschützung in einem Schritt durchzuführen. Stattdessen sollte die Doppelbindung des
Azomethins erst selektiv durch Natriumboranat reduziert werden (Abb. 48). Damit das
überschüssige Amin und die anorganischen Salze keine störendenden Einflüsse auf die
Entschützung ausübten, wurde eine Flüssig-Flüssig-Extraktion mit Ethylacetat und
Natriumhydrogencarbonat-Lösung zwischengeschaltet. Das noch geschützte und damit
lipophile Amin reicherte sich in der organischen Phase an, während die polaren Amine und
Salze in der Wasserphase verblieben. Nach Entfernen des Ethylacetats wurde dann die
Schutzgruppe nach bekannter Methode mit Wasserstoff an Pd/C entfernt (eine gesonderte
Analytik der noch benzylgeschützten Amine war nicht vorgesehen). Mit den bereits
gesammelten Erfahrungen der Entschützung wurde in der Folge die Reaktion mit Hilfe der
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 65
Dünnschichtchromatographie detailliert verfolgt. Statt der bisherigen 24 h musste die
Hydrogenolysezeit auf maximal 4,5 h heruntergesetzt werden, wobei auch hier große
individuelle Schwankungen auftraten. So konnte bei dem Cyclopropylderivat CIII bereits
nach 1,5 h ein methylsubstituiertes Tetrazolylpyridin isoliert und analytisch ausgewertet
werden (Abb. 49). Die Ausbeute des Zielprodukts CIII betrug aber trotzdem etwa 34 %,
weshalb sich die aufwendigen Verlaufskontrollen als unabdingbar erwiesen. Die Amine CIV
und CV konnten dann in noch besseren Ausbeuten dargestellt werden (Hydrogenolysezeit
hier bis 4,5 h) (Tab. 8). Mit der Einführung des Tyramin-Restes bei Derivat CV konnte ferner
bewiesen werden, dass dieser Weg auch mit reaktiven Gruppen, wie einem Phenol,
erfolgreich durzuführen war.
Dass die Abspaltung von Benzylgruppen ein kritischer Parameter sein kann, konnte bereits
gezeigt werden252. Die Entschützung ist unter anderem abhängig von der Zeit, Temperatur,
Palladiumbeladung und Größe der Kohlepartikel. Bei sehr ähnlichen Strukturen wie einem
benzylgeschützten Tetrazol und einem benzylischen Amin war es daher schwierig, eine
ausreichende Selektivität zu erreichen. Für zukünftige Versuche wäre es daher eventuell
ertragreicher, wenn nicht mit einem unsubstituierten Schutzgruppenaromaten gearbeitet
würde, sondern dieser mit elektronenziehenden Gruppen verknüpft wäre. Dadurch könnte
das Tetrazol in geringerer Zeit entschützt werden, während das restliche Molekül (noch
nicht) angegriffen würde. In der hiesigen Arbeit konnten aber mit dem Weg der reduktiven
Aminierung fünf Derivate mit einem methylenverbrückten Amin hergestellt werden, welche
auf ihre inhibitorischen Eigenschaften gegenüber der KDM4-Enzymreihe getestet werden
sollten. Damit stellte dieser Weg zugleich den erfolgreichsten dar, da bei den anderen zwei
präsentierten Syntheserouten für die Darstellung von Derivaten mit [4-(1H-Tetrazol-5-
yl)pyridin-2-yl]methanamin-Struktur entweder die Ausbeuten oder die Substanzanzahl stark
eingeschränkt war. Bei erfolgreicher Testung stünde dann mit dem hier präsentierten Weg
eine Möglichkeit zur Verfügung, mit welcher eine große Anzahl an Derivaten in kurzer Zeit
dargestellt werden könnte. Mit einer Optimierung der Schutzgruppe wäre die Erstellung
einer solchen Substanzbibliothek eventuell noch einfacher möglich.
Bei den bisher synthetisierten Substanzen ging es vor allem um die Art der Seitenkette in
Position 2 des Pyridinrings und damit auch um den Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Wahl
der Länge, des Verbrückungstyps oder des Heteroatoms, um an dieser Stelle günstige
Einflüsse auf die inhibitorischen Eigenschaften gegen die KDM4-Enzymreihe erzielen zu
können. Um aber ebenfalls einen direkten Vergleich mit der Leitsubstanz Pyridin-2,4-
dicarbonsäure (Abb. 50) ziehen zu können, mussten entweder beide
Carbonsäurefunktionen oder nur eine durch einen Tetrazolring substituiert werden.
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
66 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
4-(1H-Tetrazol-5-yl)picolinsäure (LXXV) wurde bereits im Rahmen der Untersuchungen zu
Picolinamiden (Abschnitt 1.2.2.2) synthetisiert und stand deshalb in ausreichender Menge
zur Verfügung.
Abb. 50: Bioisosterer Austausch der Carboxygruppen von Pyridin-2,4-dicarbonsäure: i) CuCN, NMP, 240 °C, 30 min; ii) NaN3, TEA∙HCl, Toluen, 105 °C, 24 h.
Für die Darstellung von 2,4-Di(1H-tetrazol-5-yl)pyridin (CVII) musste hingegen erst Pyridin-
2,4-dicarbonitril (CVI) hergestellt werden, um im Anschluss beide Cyanogruppen
gleichzeitig in ein Tetrazol zu überführen (Abb. 50). Zum Zeitpunkt der Synthese lagen
durch die vorherigen Cyanierungsexperimente Erfahrungen über die Gegebenheiten dieser
anspruchsvollen Reaktion vor. In einer weiteren Umsetzung von 2-Chlorisonicotinnitril
(XXXIV) im Sinne einer SNAr mit Kupfer(I)-cyanid in Dimethylformamid (modifiziert nach
Alemparte et al.253) konnte zwar ein Produkt erhalten werden. Dieses zeigte aber im 1H-NMR-Spektrum ein 6H-Integral bei einer chemischen Verschiebung von δ = 3,05 ppm,
was mit den zwei Methylgruppen des Dimethylformamids in Verbindung gebracht werden
könnte. Durch einen Wechsel des Lösungsmittels zu N-Methyl-2-pyrrolidon konnte das
Dicyano-Produkt CVI letztlich erhalten werden. Auf Grund der geringen Ausbeute wurde
noch eine zweite Variante ausprobiert. In der Originalarbeit kamen bei dieser Kaliumcyanid,
Dimethylformamid und [18]Krone-6 als Kalium-Chelatbildner zum Einsatz254. Letzteres
wurde aber durch das ebenfalls chelatisierende Eigenschaften gegenüber kleineren
Kationen besitzende Lösungsmittel Diglyme ersetzt. Die Erträge lagen hierbei mit 10 %
jedoch noch niedriger als bei der Reaktion mit Kupfer(I)-cyanid (25 % Ausbeute). Da
allerdings die gleichzeitige Tetrazolierung beider Cyanogruppen gut von statten ging und
das Molekül ohnehin nicht weiter derivatisiert werden sollte, waren die erhaltenen Mengen
an Dicyano-Produkt CVI aus beiden Reaktionen ausreichend. Eventuell wäre auch ein Weg
über das entsprechende Pyridin-N-oxid des Isonicotinnitrils (LXXII) möglich gewesen255.
Durch die Oxidation wird der elektronenarme Charakter des Pyridinrings an den Positionen
i
N Cl
N
N
ii
N
N
NN
HNN
NN N
N
HN
N N
N
NN
HN
OH
O
O
OH
O
OH
LXXV
XXXIV CVI CVII
2,4-PDCA
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 67
2 und 4 aufgehoben und der Heteroaromat wäre damit an diesen Stellen für eine
elektrophile aromatische Substitution zugänglich.
1.2.3 Synthese von Carbonsäure- und Pyridin-beinhaltenden KDM4-Inhibitoren
Neben dem direkten Vergleich der Pyridin-2,4-dicarbonsäure mit 2,4-Di(1H-tetrazol-5-
yl)pyridin, welcher zur Abschätzung der Auswirkungen der bioisosteren Substitution dienen
sollte, wurde ferner das literaturbekannte Motiv der Pyridin-4-carbonsäure auf zwei der
schon synthetisierten Tetrazolylpyridine übertragen. Dabei sollten die Substanzen 3-{[4-
(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]amino}propan-1-ol-Hydrochlorid (XLVII) und N-⟨2-{[4-(1H-
Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]amino}ethyl⟩methansulfonamid-Hydrochlorid (LIX) so verändert
werden, dass sich statt der Tetrazol- eine Carbonsäurefunktion an Position 4 des
Pyridinrings befindet.
Abb. 51: Darstellung der 4-Pyridincarbonsäurederivate: i) NaOH, EtOH, Wasser, Rückfluss, 3 h; ii) Ethylendiamin, 180 °C, 1 h, Mikrowellenreaktor; iii) Methansulfonylchlorid, ACN, Wasser, 0 °C-Raumtemperatur, 20 h; iv) 3-Aminopropan-1-ol, 120 °C, 22 h.
Für den ersten Schritt des Synthesewegs konnte auf dasselbe Edukt zurückgegriffen
werden, welches auch schon bei den 4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-aminen genutzt wurde
(Abb. 51). Hierbei wurde allerdings nicht mehr mit Natriumazid gearbeitet, statt dessen kam
eine Mischung wässriger Natronlauge mit Ethanol zum Einsatz194,256. Die basenkatalysierte
Hydrolyse führte unter Abgabe von Ammoniak zur Ausbildung einer Carboxygruppe.
Letztgenannte konnte über die Öffnung der Rückflussapparatur gut wahrgenommen
werden, weshalb die Vollständigkeit der Reaktion nicht mittels
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
68 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
Dünnschichtchromatographie detektiert, sondern auf Grund des abklingenden
Ammoniakgeruchs erkannt wurde.
Die anschließende nucleophile Substitution mit dem entsprechenden Amin im
Mikrowellenreaktor oder im Rundkolben brachte interessante Beobachtungen hervor. Zum
einen besaßen alle synthetisierten 2-Aminoisonicotinsäurederivate eine hervorragende
Wasserlöslichkeit. Die dazu äquivalenten Tetrazolylpyridine hingegen waren nahezu
unlöslich in Wasser. Das galt sowohl für Hydrochlorid-Salze als auch für Nicht-
Hydrochloride. Lediglich durch die Zugabe von Ammoniak oder NaOH/KOH konnte das
Tetrazol in das Tetrazolat-Salz überführt und damit wasserlöslich gemacht werden. Da die
4-Pyridincarbonsäuren CIX-CXI aber folglich nicht mehr als Hydrochloride gefällt werden
konnten, erschwerte sich damit zum einen auch die Isolierung dieser Stoffe. Zum anderen
konnten durch massenspektrometrische Untersuchungen Hinweise darauf gefunden
werden, dass Amidbildungen mit der freien Carbonsäurefunktion bei der Synthese von CIX
auftraten (Abb. 51, CXII). Prinzipiell sollte die Formung von Amiden aus der verhältnismäßig
unreaktiven Carbonsäure ohne weitere Zugabe von Katalysatoren erschwert sein. Aufgrund
der harschen Reaktionsbedingungen erschien der massenspektrometrische Nachweis von
Amiden aber plausibel. Dieses Nebenprodukt musste in einem weiteren Schritt hydrolysiert
werden und wurden daher mit Salzsäure im Überschuss unter Rückfluss für mehrere
Stunden erhitzt. Durch anschließendes Einengen des Reaktionsansatzes auf einen
Bruchteil des Ausgangsvolumens und durch Lagerung im Kühlschrank konnte letztendlich
eine Ausfällung des Produkts aus der noch stark sauren Lösung provoziert werden. Die
weitere Derivatisierung des Diamin-Derivates CIX wurde dann mit dem schon
Eine direkte Gegenüberstellung der 3-Aminopropan-1-ol-Derivate zeigte einige
Unterschiede in den physikochemischen Eigenschaften auf (Tab. 9). Neben der
Wasserlöslichkeit wurde nochmals deutlich, dass Tetrazole mehr Wasserstoffbrücken-
Akzeptoren besitzen. Die allgemeine Annahme, dass Tetrazolsysteme gegenüber ihren
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 69
Carbonsäureanaloga lipophiler sind, konnte zumindest mit den drei verwendeten
Kalkulationsprogrammen nicht gestützt werden. Dabei gilt es aber auch zu berücksichtigen,
dass die Algorithmen auf Inkrementrechnungen und Datenbanken beruhen und für
Tetrazole schlichtweg weniger Daten-Input vorhanden ist. Unbestritten blieb aber, dass die
synthetisierten Moleküle zu den polareren Vertretern ihrer Art gehörten.
Mit den zwei hier präsentierten 4-Pyridincarbonsäuren lagen weitere Moleküle vor, welche
in einem Direktvergleich zeigen können, ob die entsprechenden Tetrazolanaloga ebenso
für die Hemmung der KDM4-Enzymreihe geeignet sind. Dadurch sollten Struktur-
Aktivitätsbeziehungen generiert werden, welche in zukünftigen Arbeiten bei der Darstellung
von weiteren KDM4-Inhibitoren benutzt und weiterentwickelt werden können.
1.2.4 Biologische Testung/Analyse der Kristallstrukturen
Für die Evaluation der inhibitorischen Aktivitäten wurden die in dieser Arbeit vorgestellten
Substanzen an die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg versendet. Im Arbeitskreis von Prof.
Dr. Manfred Jung konnte auf zwei verschiedene Testsysteme zurückgegriffen werden. Der
Formaldehyd-Dehydrogenase-Assay (FDH-Assay), welcher auf einer Reduktion von NAD+
zu NADH unter Oxidation des freiwerdenden Formaldehyds zu Ameisensäure beruht,
konnte für die Substanzen zumeist auf Grund von Eigenfluoreszenz nicht verwendet
werden. Stattdessen kam ein Antikörper-basierter Lanthanide-Chelate-Excite-Assay
(LANCE-Assay) zum Einsatz. Die Funktionsweise soll im Folgenden kurz erläutert werden
(Abb. 52).
Das Prinzip basiert auf dem Förster-Resonanzenergietransfer (FRET), bei dem ein Donor
nach entsprechender Anregung seine Energie strahlungslos über Dipol-Dipol-
Wechselwirkungen auf einen Akzeptorfarbstoff überträgt (vgl.257). Dieser wiederum kann
die ihm übertragene Energie in Form von Licht einer bestimmten Wellenlänge abgeben,
welche zur Messung genutzt werden kann. Der Donor ist in diesem Falle Europium. Das
Lanthanoid ist an einen Antikörper gebunden, welcher dimethyliertes Lysin in Position 9 am
humanen Histon H3 (H3K9me2) erkennt. Dieses liegt nur dann vor, wenn das ursprünglich
hinzugegebene Histonfragment (H3K9me3) vorher durch KDM4A im Assay demethyliert
werden konnte. Das Histonfragment besitzt ferner ein Biotin-Label, welches dazu dient, im
zweiten Schritt des Assays von Streptavidin gebunden zu werden. Dieses ist wiederum
Träger des Akzeptorfarbstoffs LANCE Ultra ULight. Sind sowohl Eu-Antikörper als auch
Streptavidin-ULight gebunden und in räumlicher Nähe zueinander (~10 nm), kann nach
entsprechender Anregung der FRET eintreten. Als Positivkontrolle wurde im Assay
2,4-PDCA verwendet, als Negativkontrolle diente DMSO. Zum Teil wurden lediglich
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
70 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
Vortests durchgeführt, das heißt, dass hier nur prozentuale Inhibitionen bei gegebener
Konzentration an Substanz vorlagen.
Abb. 52: Funktionsweise des LANCE-Assays: i) Durch die Zugabe von KDM4A, 2OG, FeSO4 und Ascorbinsäure wird die enzymatische Reaktion gestartet, welche ein H3K9me3-Fragment in ein H3K9me2-Fragment unter Abgabe von Formaldehyd demethyliert; ii) der Europium-markierte Antikörper bindet spezifisch an das H3K9me2-Fragment, während Streptavidin an Biotin bindet; iii) durch Anregung von Europium mit Licht und der räumlichen Nähe zum Ultra-ULight-Farbstoff kann es zu einem FRET kommen, welcher eine Emission von Strahlung auslöst.
Das aromatische Tetrazolhydrazid IX mit einer zusätzlichen primären aromatischen
Aminofunktion zeigte keine wesentlichen inhibitorischen Eigenschaften gegenüber KDM4A
auf (Tab. 10). Dies ist auch deshalb verwunderlich, weil die bereits im Arbeitskreis
synthetisierten Aryltetrazolhydrazide nachweislich im katalytischen Zentrum von KDM4D
binden können113. Diese zeigten im LANCE-Assay jedoch ebenfalls kaum Inhibition. Die
Unterschiede der KDM4A mit der KDM4D sind jedoch nur außerhalb des katalytischen
Zentrums zu finden (Abschnitt 1.1.1.2) und sollten daher nicht Grund für die
gegensätzlichen Beobachtungen sein. Die zusätzliche Aminofunktion ist damit offenbar
nicht in der Lage, das Chelatisierungspotential des Carbonsäurehydrazids mit einem
weiteren freien Elektronenpaar zu unterstützen.
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 71
Tab. 10: Biologische Testung der Aryltetrazolhydrazide, 1 Enzyminhibition bei 250 µmol/L.
Substanz Strukturformel Inhibition gegen KDM4A IX
IC50 = 206,0 ± 42,3 μM
XVI
86 %1
Dazu nicht kongruent war, dass das zweite Aryltetrazolhydrazid XVI basierend auf einem
Chinazolingerüst eine gute, wenn auch nicht komplette Hemmung von KDM4A bei einer
Konzentration von 250 µmol/L zeigte. Damit war diese Substanz deutlich stärker
inhibitorisch wirksam als die Variante mit freier Aminofunktion. Eventuell war die
Erweiterung des planaren Systems ursächlich für den Befund. Es wurde jedoch kein IC50-
Wert bestimmt, was zu Klärung der genauen Aktivität aber unbedingt nachgeholt werden
sollte.
Tab. 11: Ergebnisse der biologischen Testung der 4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-amine.
Substanz Seitenkette Enzyminhibition gegen KDM4A bei 250 µmol/L
XXXVI
22 %
XLV
51 %
XLVII
42 %
LVIII
37 %
LIX
54 %
LXI
25 %
Als nicht inhibitorisch wirksam zeigten sich viele Vertreter der 4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-
2-amine und -2-thioether. Die wenigen schwach aktiven Substanzen tragen aliphatische
Reste unterschiedlicher Kettenlänge (Tab. 11). Diese endeten sowohl mit freien Amino- als
auch Hydroxygruppen, konnten aber auch von amidischer Struktur sein. Am stärksten
inhibitorisch gegen KDM4A zeigte sich die Verbindung LIX mit einer terminalen
Methylsulfonamid-Gruppe. Diese verfügte über einen Wasserstoffbrückendonor und drei
H-Akzeptoren. Stoffe mit aromatischen Seitenketten konnten keine Inhibitionen aufzeigen,
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
72 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
obwohl literaturbekannte Substanzen mit Arylseitenkette durchaus in der Lage waren, eine
starke Hemmung auf die enzymatische Aktivität von KDM4A auszuüben. Auch deshalb liegt
es nahe, dass der Einfluss einer direkten Verknüpfung von Heteroatom und Pyridinring nicht
günstig war. Ob der bioisostere Austausch ebenfalls im kausalen Zusammenhang mit den
mäßigen Ergebnissen stand, wird aus den folgenden Testreihen ersichtlich.
Die 4-(1H-Tetrazol-5-yl)picolinamide LXXVI-LXXXII zeichneten sich durch eine im
Vergleich zu den bisher beschriebenen Tetrazolderivaten bessere Löslichkeit in vielen
Medien aus, wahrscheinlich durch Absenkung der Basizität des Pyridinstickstoffatoms.
Auf die biologischen Daten hatte diese Änderung allerdings wenig Einfluss. Die getesteten
Picolinamide waren ebenfalls nur mäßige Inhibitoren der KDM4A (Tab. 12). Die Substanz
LXXVII mit Morpholinrest zeigte mit einem IC50-Wert von etwa 100 µM noch die beste
Inhibition. Im Vergleich zu den bereits bekannten, auf Pyridin-4-carbonsäure basierenden
Hemmstoffen, ist die inhibitorische Potenz als gering einzustufen.
Tab. 12: Biologische Testung der 4-(1H-Tetrazol-5-yl)picolinamide und -hydroxamsäure. 1 Es konnte keine vollständige Sigmoidfunktion erhalten werden, weshalb die Werte nur als Näherung zu betrachten sind (eventuell kam es bei höheren Konzentration zu Aggregation der Substanzen). 2 Enzyminhibition bei 250 µmol/L.
Substanz Seitenkette Inhibition gegen KDM4A LXXVI
IC50 = 161,3 ± 8,6 µM1
LXXVII
IC50 = 100,0 ± 28,8 µM1
LXXVIII
26 %2
LXXX
43 %2
LXXXI
keine Inhibition
LXXXII
Assay-Interferenz
Gänzlich überraschend neben den bisher eher mäßigen Ergebnissen war, dass bei der
Testung der Hydroxamsäure LXXXII kein auswertbares Ergebnis erhalten werden konnte.
Für diesen Stoff wurde angenommen, dass es durch die zusätzlichen chelatisierenden
Eigenschaften der Hydroxamsäurefunktion in jedem Falle zu einer Inhibition kommen
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 73
würde. Weshalb es zu einer Überlagerung im Assay kam, konnte nicht geklärt werden.
Stünden nur Daten aus dem LANCE-Assay bezüglich der 4-(1H-Tetrazol-5-yl)picolinamide
und 4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-hydroxamsäure zur Verfügung, müsste davon
ausgegangen werden, dass auch diese für weitere Forschungsarbeiten wenig Relevanz
besäßen. Dass dem aber nicht so war, lag vor allem an Ergebnissen, welche durch
isotherme Titrationskalorimetrie und Röntgenkristallstrukturanalyse gewonnen wurden. Die
Resultate werden weiter unten in diesem Kapitel aufgezeigt.
Eine große Erwartungshaltung bestand gegenüber den Strukturen der [4-(1H-Tetrazol-5-
yl)pyridin-2-yl]methanamine, weil die Ergebnisse der Substanz XXXVIII mit freier terminaler
Aminofunktion recht früh vorlagen (Tab. 13). Mit einem IC50-Wert von etwa 21 µM bot das
verhältnismäßig kleine Molekül eine gute Grundlage für weitere Derivatisierungs-
experimente. Aus diesem Grund wurden auch die drei Wege zur Darstellung der
Methanamine eingehend untersucht, da unbedingt ein effizienter Syntheseweg für diese
Testkandidaten gefunden werden sollte. Die Route der reduktiven Aminierung des
Aldehyds wurde allerdings erst als letztes eingeschlagen.
Tab. 13: Biologische Testung der [4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]methanamine. 1 Enzyminhibition bei 125 µmol/L, 2 Enzyminhibition bei 250 µmol/L.
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
74 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
Methanamine mit aromatischen Seitenketten (XCVIII, CIV und CV) zeigten eine moderate
Inhibition, was verdeutlichte, dass bei den 4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-aminen nicht
unbedingt die Seitenkette ursächlich für die schwache Hemmung von KDM4A war. Die
Cyclopropylgruppe von CIII hob offenbar die hemmenden Einflüsse auf, eine
underivatisierte Aminogruppe war damit Bestandteil des potentesten Inhibitors. Eine
Überraschung zeigte sich bei der noch benzylgeschützten Substanz XCII: Trotz der nicht
vorhandenen Acidität des Tetrazolrings konnte eine Inhibition im Vortest beobachtet
werden. Dies widersprach den Erwartungen, denn in vorherigen Befunden im Arbeitskreis
hatte sich gezeigt, dass eine Methylierung des Tetrazols zur Inaktivität des Moleküls in
Hinblick auf hemmende Einflüsse gegenüber KDM4A führte85. Eine Ermittlung des
IC50-Wertes mit Mehrfachbestimmung wäre deshalb wünschenswert gewesen, um etwaige
zufällige Phänomene auszuschließen. Die entschützte Verbindung XCIII führte dann
wiederum zu einer Interferenz im Assay und damit zu einem nicht auswertbaren Ergebnis.
Es gelang also nicht, die Aktivität von [4-(1H-Tetrazol-5-yl)pyridin-2-yl]methanamin
(XXXVIII) durch Derivatisierung der Seitenkette zu steigern. Die bisher erhaltenen
Resultate ließen an der Eignung des bioisosteren Austausches der Carbonsäure durch ein
Tetrazol zweifeln. Aus diesem Grund wurden mehrere Paare von ansonsten gleichen
Molekülen synthetisiert (Tab. 14).
Bei dem Molekülpaar LIX und CX zeigte sich eindeutig, dass das Tetrazolderivat der
Carbonsäure unterlegen war. Hier betrug der Faktor etwa zwei. Noch drastischer fiel der
Vergleich von XLVII und CXI aus, wobei sich das Molekül mit Tetrazolsubstituent etwa
sechsfach weniger inhibitorisch wirksam zeigte. Erschwerend kam hinzu, dass die
Löslichkeiten der Tetrazolylpyridine einer vollständigen Hemmung der KDM4A im Wege
standen.
Der Vergleich der direkten Mimetika von 2,4-PDCA stützte die Theorie, dass 4-(1H-
Tetrazol-5-yl)pyridine deutlich weniger gut als Inhibitoren der KDM4A agierten als
vergleichbare Isonicotinsäuren. Das Monotetrazolderivat LXXV war etwa um den Faktor
200 weniger inhibitorisch wirksam als 2,4-PDCA, das Bistetrazol CVII wiederum zwei Mal
weniger aktiv als LXXV. Da die Inhibition mit 2,4-PDCA im gewählten Assay sehr
ausgeprägt ausfällt (aufgrund der niedrigen Enzymkonzentration im LANCE-Assay werden
im Vergleich zu vielen anderen Assays merklich niedrigere Werte erhalten), weichen die
Werte von literaturüblichen IC50-Werten von 2,4-PDCA (etwa 0,7 µM) deutlich ab. Ein
Vergleich mit Literaturwerten wäre daher weniger ungünstig ausgefallen, es zeigt sich aber
einmal mehr, dass der Vergleich von IC50-Werten schwierig ist und am besten Daten aus
ein und demselben Testsystem in Relation gesetzt werden sollten, um Fehlinterpretationen
zu vermeiden.
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 75
Tab. 14: Direkte Gegenüberstellung der Tetrazolylpyridine mit Isonicotinsäuren, 1 Auf Grund von Sättigung wegen geringer Löslichkeit konnte eine vollständige Hemmung des Enzyms nicht erreicht werden. Die Werte sind daher nur als Näherung anzusehen.
Substanz Seitenkette Inhibition gegen KDM4A LIX
IC50 = 206 ± 5 µM1
CX
IC50 = 90,7 ± 27,1 µM
XLVII
IC50 = 314 ± 124 µM1
CXI
IC50 = 57,5 ± 20,3 µM
2,4-PDCA
IC50 = 0,027 ± 0,012 µM
LXXV
IC50 = 6,44 ± 2,90 µM
CVII
IC50 = 13,6 ± 0,6 µM
Zusammenfassend zeigten die Ergebnisse des LANCE-Assays, dass die Kombination von
Tetrazol und Pyridin offenbar keine gleichwertige Alternative gegenüber der Verknüpfung
aus Carbonsäure und Pyridin war. Der direkte Austausch an Position 4 führte zu einer
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
76 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
deutlichen Aktivitätsminderung gegenüber der Inhibition von KDM4A. Eindeutige Aussagen
zur Beschaffenheit der Seitenkette waren jedoch deutlich schwieriger zu treffen. Die beste
Inhibition konnte mit einer unsubstituierten Aminofunktion mit Methylenbrücke erzielt
werden. Dennoch zeigten auch einige Picolinamide und Pyridine, welche mit einem
Stickstoffatom direkt verknüpft waren und einen aliphatischen Rest trugen, moderate
Aktivitäten. Die biologischen Testungen lieferten also wertvolle Hinweise darauf, dass
einige der synthetisierten Substanzen das Potential besaßen, an das katalytische Zentrum
von KDM4A zu binden. Die aber zum Teil flachen Struktur-Aktivitätsbeziehungen sollten mit
Hilfe der Röntgenstrukturanalyse verifiziert und damit auch ein beträchtlicher Zugewinn an
Informationen über die Bindungsmodi generiert werden.
In der Folge konnten am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie mit Hilfe der
Photonenquelle BESSY II in der Arbeitsgruppe Makromolekulare Kristallographie um
Dr. Manfred Weiss vier Kristallstrukturen von KDM4D (gekürzt auf Aminosäure 1-342) mit
den Isonicotinsäuren CX und CXI sowie mit den Tetrazolen LXXVII und LXXXII
(Picolinamid/Hydroxamsäure) gelöst werden. Zusätzlich wurden in Experimenten mit
isothermer Titrationskalorimetrie (ITC) für drei der vier Stoffe Bindungsaffinitäten bestimmt.
Als Diskussionsgrundlage für die Bindungsmechanismen soll im Folgenden die
Kristallstruktur von Krojer et al. (PDB: 4D6Q) dienen. Diese zeigt den pan-Inhibitor
2,4-PDCA im katalytischen Zentrum von KDM4D. Allgemein werden zur Komplexierung des
zentralen Nickel(II)-Kations (aus Stabilitätsgründen für das physiologische Eisen(II)-Kation
eingesetzt) die Aminosäuren Histidin 192 und 280 (bei KDM4A His 188/276) sowie
Glutaminsäure 194 (bei KDM4A Glu 190) benötigt. Das Pyridin-Stickstoffatom und ein
Sauerstoffatom der Carbonsäure an Position 2 der 2,4-PDCA chelatisieren das Kation, so
dass mit einem zusätzlichen Wassermolekül das Ni2+-Atom von insgesamt sechs Liganden
umschlossen wird. Eine zusätzliche Wechselwirkung der 2,4-PDCA erfolgt über die
Carbonsäure in Position 4 mit Tyrosin 136 und Lysin 210 (bei KDM4A Tyr 132 und Lys 206).
Eine weitere Interaktion kann ferner vom zweiten Sauerstoffatom der ortho-ständigen
Carbonsäure mit Lysin 245 (bei KDM4A Lys 241) erfolgen. Damit besetzt der Ligand
2,4-PDCA die Bindetasche mit zahlreichen Wechselwirkungen und formt dabei starke
Interaktionen wie Chelate und Wasserstoffbrücken aus. Tendenziell ist auch eine
Salzbrücke aus negativ geladenem Carboxylat und positiv geladener Aminogruppe des
Lysins 210 eine Möglichkeit (Gesamtübersicht in Abb. 53 und Tab. 15).
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 77
Abb. 53: Kristallstrukturen der Liganden CX (o. l.), CXI (o. r.), LXXVII (u. l.) und LXXXII (u. r.) im katalytischen Zentrum von KDM4D (Erklärungen siehe Text und Tab. 15).
78 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
Tab. 15: Übersicht der Bindungsmodi der Liganden 2,4-PDCA, CX, CXI, LXXVII und LXXXII in KDM4D. 1 über Wassermoleküle mit Ligand in Wechselwirkung.
Interaktion mit in Position 2,4-PDCA CX CXI LXXVII LXXXII
Ni2+ - Chelat über Pyridin-N-Atom und 2-Carboxygruppe
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion | 79
Bei den Isonicotinsäurederivaten CX und CXI ist das Stickstoffatom der Seitenkette direkt
an den Pyridinring gebunden. Dieser Abstand führte dazu, dass eine Komplexierung über
zwei Heteroatome nicht mehr stattfinden konnte, lediglich das Pyridin-Stickstoffatom
koordinierte an das zentrale Metallkation. Die Carbonsäure in Position 4 interagierte in
gleicher Weise wie es bei 2,4-PDCA vorzufinden ist (Wasserstoff- oder Salzbrücke mit
Tyrosin 136 und Lysin 210). Bei den Seitenketten kam es ebenfalls zur Ausbildung von
Wasserstoffbrücken, wobei beide Stoffe Alanin 190 adressierten. Bei Substanz CX diente
dafür ein Sauerstoffatom des Sulfonamids, bei CXI konnte die Brücke durch die terminale
Hydroxyfunktion ausgebildet werden. Ferner war Verbindung CX in der Lage, mit Hilfe des
anderen Sulfonamid-Sauerstoffatoms mit Histidin 90 in Wechselwirkung zu treten. Die
Fähigkeit zum π-π-Stacking mit Phenylalanin 189 blieb bei beiden Verbindungen, wie auch
bei 2,4-PDCA, wahrscheinlich gegeben. Insgesamt betrachtet entsprachen damit die
Bindungsmodi größtenteils den Erwartungen. Durch den Verlust der Chelatbildung wurde
allerdings ein großer Teil des Bindungspotentials unterbunden, weshalb es spätestens hier
eindeutig wurde, dass eine direkte Verknüpfung der Seitenkette in Position 2 über ein
Stickstoffatom mit dem Pyridinsystem keine optimale Kombination darstellte.
Das Picolinamid LXXVII hingegen war in der Lage, das Ni2+-Kation mit Hilfe des Pyridin-
Stickstoffatoms und des Carbonyl-Sauerstoffatoms zu komplexieren. Allerdings rückte mit
Tyrosin 136 ein wichtiger Interaktionspartner für das Tetrazol aus der Bindetasche heraus.
Somit stand nur Lysin 210 für eine Salz- oder Wasserstoffbrücke zur Verfügung. Es wurde
ferner ersichtlich, dass sich das Tetrazol nicht in die gleiche Ebene wie das Pyridin
orientierte. Die längere Seitenkette fand in der Bindetasche genügend Platz und wurde
terminal durch das Morpholin-Sauerstoffatom am Tyrosin 179 über eine Wasserstoffbrücke
fixiert (nicht gezeigt). Interessant war weiterhin, dass sich die Seitenkette in eine andere
Richtung ausrichtete als es bei jener von Substanz CXI der Fall war. Dies spricht für die
Größe der Bindetasche und damit auch für die mögliche Diversität der dort
akkomodierbaren Seitenketten. Durch die fehlende Wechselwirkung mit Tyrosin 136 wurde
aber klar, dass die Bindetasche durch LXXVII nicht optimal besetzt wurde. Worin die
Ursache des „Herausdrückens“ der Aminosäure aus der Bindetasche zu begründen war,
konnte nur gemutmaßt werden. Eventuell war es bei der Komplexierung durch Pyridin-
Stickstoffatom und Carbonyl-Sauerstoffatom zu einer Verschiebung weg von der optimalen
Position gekommen. Ein Indiz dafür könnte sein, dass die Carbonylfunktion ebenfalls nicht
mit dem Pyridinring in einer Ebene stand. Auch hier lag eine gewisse Torsion vor.
Die wohl interessantesten Befunde kamen durch die Hydroxamsäure LXXXII zu Tage (auch
in Abb. 54 mit Überlagerung von CXI). Nach der ungeklärten Assay-Interferenz war nicht
klar, ob diese Substanz das Potential besitzen würde, um überhaupt im katalytischen
Zentrum von KDM4A zu binden. Die röntgenkristallographischen Untersuchungen konnten
aber zeigen, dass sich LXXXII trotz des Tetrazols in vergleichbarer Art und Weise wie
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
80 | Untersuchungen, Ergebnisse und Diskussion
2,4-PDCA in die Bindetasche der KDM4D einfügen konnte. Die wichtige Chelatisierung des
Ni2+-Kations erfolgte durch die Pyridin- und Hydroxamsäure-Stickstoffatome. Besonders
relevant war dabei, dass die Hydroxamsäure nicht über ihren üblichen Mechanismus (beide
Sauerstoffatome) komplexierte, sondern untypischerweise dazu das Stickstoffatom
benutzte und wahrscheinlich als tautomere Imidsäure vorlag. Dies könnte auch in Hinblick
auf die Selektivität einen wichtigen Aspekt darstellen, da Hydroxamsäuren mitunter zu den
Pan-Assay Interference Compounds (PAINS), welche zu unspezifischen falsch-positiven
Ergebnissen in Screening-Tests führen können, gezählt werden. Erfreulicherweise war nun
sowohl das Lysin 210 als auch das Tyrosin 136 an einer Wasserstoff- oder Salzbrücke mit
dem Tetrazol beteiligt. Damit wurde auch zum ersten Mal der Beweis erbracht, dass die
Tetrazolylpyridinstruktur in Kontrast zu Isonicotinsäureverbindungen einen vergleichbaren
Bindungscharakter aufwies. Ferner konnten über beide Sauerstoffatome der
Hydroxamsäure noch Glutaminsäure 194 und Lysin 245 mit einer Wasserstoff- oder
Salzbrücke adressiert werden. Die erhoffte Bildung eines „π-π-Sandwich“-Komplexes mit
Phenylalanin 189 und Tyrosin 181, wie es bei der ursprünglichen Leitstruktur 2-(1H-
Tetrazol-5-yl)essigsäurehydrazid noch der Fall war, blieb jedoch aus.
Abb. 54: Superimposition der Liganden CXI und LXXXII: Der Tetrazolring nahm mehr Platz als die Carbonsäuregruppe in Anspruch und war minimal verschoben. Die Seitenkette der Hydroxamsäure orientierte sich nach vorn, während der Hydroxypropyl-Rest nach hinten in die Bindetasche gelenkt wurde.
Es war damit unstrittig, dass die vier hier vorgestellten Inhibitoren im katalytischen Zentrum
der KDM4D binden würden. Zusätzlich konnten KD-Werte erhalten werden, welche am Max-
Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin durch Dr. Piotr Małecki in ITC-
Experimenten erhoben wurden. Die Liganden CX und CXI führten jeweils zu mittelmäßigen
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
Zusammenfassung und Ausblick Kapitel 1 | 81
Werten von KD = 35 µM und KD = 37 µM. Auf Grund der nicht vorhandenen Chelatisierung
überraschte dieses Ergebnis allerdings nicht. Ein Wert für LXXVII wurde nicht ermittelt. Die
Hydroxamsäure LXXXII zeigte jedoch mit KD = 0,5 µM eine Bindungsaffinität im
submikromolaren Bereich. Damit bietet LXXXII zugleich eine Grundlage für mögliche
weitere Inhibitoren, welche zum Beispiel von einer längeren Seitenkette profitieren könnten.
Das Tetrazolessigsäurederivat XXVI ohne Hydrazidfunktion verschob bei den Soaking-
Experimenten mit KDM4D das Metallkation im katalytischen Zentrum. Das heißt, dass der
Ligand dort kurzeitig lokalisiert war, jedoch nicht mitkristallisiert werden konnte. Das spricht
dafür, dass das Hydrazid ein obligatorisches Element der Tetrazolhydrazide darstellte und
dass die übrigen Bindungsmechanismen nicht ausreichten, um ein „Festhalten“ im
katalytischen Zentrum zu garantieren. Das Indolderivat XXXI zerstörte bei den Soaking-
Experimenten die Kristalle von KDM4D, weshalb hier keine Röntgenuntersuchungen
stattfinden konnten.
1.3 Zusammenfassung und Ausblick Kapitel 1
Im Rahmen dieser Promotionsarbeit sollten Inhibitoren der KDM4-Enzymreihe mit
unterschiedlichen Kombinationen von funktionellen Gruppen synthetisiert werden.
Basierend auf einer im Arbeitskreis gefundenen fragmentartigen Leitstruktur aus der Klasse
der Tetrazolhydrazide wurden aromatische und aliphatische Motive ausgewählt und
erfolgreich synthetisiert. Neben den aliphatischen Essigsäurederivaten konnte ein komplett
neuer Weg basierend auf Anthranilsäure etabliert werden. Als zweiter Grundkörper,
welcher wiederum auf dem literaturbekannten Inhibitor Pyridin-2,4-dicarbonsäure basierte,
wurde Tetrazolylpyridin gewählt. Es sollte evaluiert werden, welchen Einfluss und welche
synthetischen Herausforderungen der bioisostere Austausch der Carboxygruppe durch
einen Tetrazolring besaß beziehungsweise mit sich brachte. Ferner ging es darum,
systematisch den Einfluss der Seitenkette auf mögliche Bindungsmechanismen zu
ergründen. Neben der direkten Anknüpfung von Heteroatomen an das Tetrazolylpyridin-
Grundgerüst konnten außerdem Syntheserouten etabliert werden, welche Bindungen über
Carbonylgruppen ermöglichten und auch zur Darstellung von methylenverbrückten Aminen
als Seitenkette genutzt werden konnten. Die zahlreichen Verbindungen sollten dann zum
einen an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Arbeitskreis von Prof. Dr. Manfred Jung
in einem biologischen Assay auf ihre inhibitorischen Eigenschaften gegenüber KDM4A
getestet und zum anderen am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie in der
Arbeitsgruppe Makromolekulare Kristallographie um Dr. Manfred Weiss im Rahmen von
Kristallisationsexperimenten begutachtet werden.
Die Ergebnisse der biologischen Testungen fielen insgesamt durchschnittlich aus. Bei den
Tetrazolhydraziden konnte mit 3-Amino-2-methyl-6-(1H-tetrazol-5-yl)chinazolin-4(3H)-on
Synthese und Evaluation neuer möglicher Inhibitoren von Histon-Demethylasen
82 | Zusammenfassung und Ausblick Kapitel 1
(XVI) eine verhältnismäßig aktive Substanz gefunden werden, welche in zukünftigen
Arbeiten noch näher untersucht und gegebenenfalls weiter derivatisiert werden sollte. Für
die Tetrazolylpyridine war festzustellen, dass der bioisostere Austausch zu Änderungen von
physikochemischen Eigenschaften führte, gleichzeitig aber auch die inhibitorische Potenz
gegenüber KDM4A erniedrigte. Bei dem Design der Seitenkette waren Verknüpfungen des
Pyridinrings mit Carbonylgruppen und methylenverbrückten Aminen zu bevorzugen.
Durch die Ergebnisse der Röntgenkristallographie konnte eindeutig gezeigt werden, dass
die direkte Verknüpfung von Pyridin und Stickstoffatom mit einem Verlust der Fähigkeit zur
Chelatisierung einherging. Der Bindungsmodus der Hydroxamsäure LXXXII konnte jedoch
beweisen, dass Tetrazolylpyridine grundsätzlich auch in der Lage waren, wichtige
Interaktionen mit KDM4D auszubilden. Mit einer Dissoziationskonstanten im
submikromolaren Bereich lag sie ferner in vergleichbarer Größenordnung wie die
Leitstruktur Pyridin-2,4-dicarbonsäure.
Daher konnten im Rahmen dieser Arbeit nicht nur weitere Bindungsmodi aufgeklärt,
sondern ein aktives Molekül mit bioisosterem Tetrazolring synthetisiert werden. Auf dessen
Grundlage wäre es unter anderem möglich, die Seitenkette über einen Ester der
Hydroxamsäure zu verlängern. Weiterhin könnte die ausgeprägte Hydrophilie des
Tetrazolylpyridins mit dem Konzept des Prodrug-Designs gesenkt werden, unter anderem
durch die Verwendung eines Doppelester-Konzeptes258. Damit wäre nicht nur die
Wahrscheinlichkeit der Penetration von Zellmembranen erhöht, sondern auch einige
Syntheseschritte, die von der Amphoterie der Tetrazolylpyridine negativ beeinflusst waren,
einfacher durchführbar.
Die Kristallstrukturen konnten inzwischen in der Protein Data Bank hinterlegt werden (6F5T,
6F5R, 6F5S, 6F5Q).
Auswirkungen von epigenetischer (Fehl-)Regulation auf psychische Erkrankungen
Überleitung | 83
2 Auswirkungen von epigenetischer (Fehl-)Regulation auf psychische Erkrankungen
Die bisherigen Betrachtungen von epigenetischer Regulation waren vor allem auf
neoplastische Ereignisse fokussiert. Deshalb überrascht es auch nicht, dass die derzeit
zugelassenen Arzneistoffe (DNMT- und HDAC-Inhibitoren, LSD1-Inhibitoren in klinischer
Prüfung) tumorspezifische Indikationen besitzen. Da das Wissen um das Epigenom in den
letzten Jahren aber rasant zugenommen hat, wurden in jüngster Zeit zahlreiche
experimentelle Befunde erhalten, welche vermuten lassen, dass mit niedermolekularen
Modulatoren von epigenetische Regulationsmechanismen-beeinflussenden Enzymen eine
Vielzahl von Krankheiten behandelt werden könnte.
Ein Schwerpunkt zielt dabei auf die (indirekte) Verstrickung von Histon-Demethylasen und
depressiven Erkrankungen ab. In einer Veröffentlichungen von Ambrosio et al. wurde der
Zusammenhang zwischen LSD1 und Autophagozytose hergestellt259. Die Autoren
beabsichtigten damit zwar auf mögliche Konsequenzen bei der Regulation von
Neuroblastomen hinzuweisen, stellten jedoch einen Signalweg vor, welcher
Überschneidungen mit möglichen Therapieoptionen von depressiven Patienten nahe legt.
Ambrosio et al. fanden heraus, dass LSD1 an die Promoterregion von Sestrin2 (SESN2)
bindet und so dessen Expression unterdrückt. Wurde nun die Funktion von LSD1 mit
Tranylcypromin oder E12 (Abb. 9) unterdrückt, stieg die Expressionsrate von SESN2.
Dieser üblicherweise Stress-induzierte Vertreter der Sestrin-Familie wiederum hemmte
dann als wichtiger Regulator des „mammalian target of rapamycin complex 1“ (mTORC1)
Signalwegs dessen Aktivität. Es wird vermutet, dass die Wirkmechanismen neuartiger
Antidepressiva wie NV-5138 (Struktur noch nicht veröffentlicht) oder Ketamin (Arzneistoff
bisher als Analgetikum/Anästhetikum zugelassen) ebenfalls einen Sestrin/mTORC1-
Mechanismus beinhalten und somit, zumindest theoretisch, Parallelen mit der Regulation
von LSD1 auftreten könnten260,261.
Für die JmjC-enthaltende KDM7B konnte ebenfalls eine Verbindung mit dem mTOR-
Signalweg nachgewiesen werden. Mäuse mit ausgeschalteter KDM7B zeigten ein
gemindertes Lernverhalten und kognitive Defizite, welche sich unter Gabe des mTOR-
Inhibitors Sirolimus merklich besserten262. Walsh et al. führten gleichermaßen Experimente
mit KDM7B-defizienten Mäusen durch, fanden dabei jedoch keine Anhaltspunkte für eine
nachteilige Entwicklung. Dafür entdeckten sie, dass durch den Knockout eine erhöhte
Resilienz gegenüber Stress-induzierten Angst- und Depressions-ähnlichen
Verhaltensmustern erreicht werden konnte. Dadurch, dass sie ebenfalls einen
Zusammenhang zwischen Serotoninrezeptoren und KDM7B sahen, stellten sie für KDM7B
eine Rolle als mögliches neues Target für die weitere Erforschung von depressiven
Erkrankungen in Aussicht263.
Auswirkungen von epigenetischer (Fehl-)Regulation auf psychische Erkrankungen
84 | Überleitung
Auch Auswirkungen der Regulation der KDM4-Enzymreihe auf die Pathologie der
Depression wurden im Mausmodell bereits untersucht und sind im Hinblick auf die in dieser
Arbeit synthetisierten Inhibitoren von besonderem Interesse264. In ersten Versuchsreihen
führten Pathak et al. mit Nagern gängige fünf- oder zehntägige Angst- und Stresstests
durch, wie bespielweise einen Aufenthalt im Labyrinth oder eine erzwungene
Schwimmprüfung. Neben resilienten Mäusen konnten durch die Tests ebenfalls
depressionsähnliche Phänotypen (u. a. Anhedonie und sozialer Rückzug) beobachtet
werden. Diese zeigten im Nucleus accumbens, einer wichtigen Region des
Belohnungszentrums, unterschiedliche Expressionsprofile der mRNA von KDM4A-D auf.
Anschließend sollte die Herunterregulation mancher KDMs durch die Stresstests nur mit
Hilfe der Applikation von den KDM-Inhibitoren Dimethyloxalylglycin (DMOG, Diester von
N-Oxalylglycin um Zellgängigkeit zu erreichen), ML-324 (ein Derivat von E18 mit
8-Hydroxychinolingrundkörper) oder JIB-04 (E17) (Abb. 10) untersucht werden. Unter der
Gabe von DMOG und ML-324 kam es wie in den Stresstests zur Ausbildung von
Depressions-ähnlichen Phänotypen. Die Anwendung von JIB-04 führte jedoch nicht zu
Merkmalen depressiver Erkrankungen, was die Autoren damit begründeten, dass JIB-04
als unselektiver pan-Inhibitor (u. a. gegen KDM5A/6B) galt. Auch wenn die letzte
Begründung durchaus fraglich erscheint (NOG wird ebenfalls als pan-Inhibitor eingeordnet),
so konnte die Arbeitsgruppe um Pathak zeigen, dass die Ausbildung von Depressions-
ähnlichen Phänotypen mit der (Herunter-)Regulation der Aktivitäten von KDM4-Enzymen
zusammenhing und sich durch die Gabe von deren Inhibitoren ebenfalls initiieren ließ.
Trotzdem diese Befunde nur experimenteller Natur waren und im Nagermodell durchgeführt
wurden, so hätten KDM4-Inhibitoren jedoch, wenn sie zur Behandlung von
Tumorerkrankungen eingesetzt würden, ein erhebliches Potential für Nebenwirkungen,
welches beachtet werden müsste.
Dass psychosozialer Stress sogar Auswirkungen auf Folgegenerationen haben könnte,
zeigten Serpeloni et al. mit ihren Forschungsergebnissen265. Sie belegten, dass
Misshandlungen während der Schwangerschaft zu Änderungen im DNA-
Methylierungsmuster führten. Diese Strukturen konnten dann nicht nur bei den Kindern,
sondern auch bei den Kindeskindern nachgewiesen werden. Dabei wurden Genregionen
methyliert, welche mit Symptomen von Depressionen und Posttraumatischen
Belastungsstörungen assoziiert waren. Die Autoren wiesen zwar klar aus, dass damit nicht
automatisch ein kausaler Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Phänotyps der
Enkelkinder und dem großmütterlichen Stress bestand, konnten aber dennoch ihre
Vermutungen untermauern, dass die mit psychischen Erkrankungen assoziierte
Grundlagen (vererbbar) im Epigenom gespeichert wurden.
Auswirkungen von epigenetischer (Fehl-)Regulation auf psychische Erkrankungen
Überleitung | 85
Die genannten Literaturbeispiele stellen sehr wahrscheinlich nur den Anfang des
epigenomischen Verständnisses in Hinblick auf psychische Erkrankungen, speziell der
Depression, dar. Es konnte experimentell gezeigt werden, dass verschiedene Epigenetik-
assoziierte Enzyme an Krankheitsgeschehen und Ausbildung Depressions-ähnlicher
Phänotypen beteiligt waren. Die weitere Erforschung der Depression und deren Therapie
ist angesichts der Anzahl der Betroffenen und des hohen Leidensdrucks von eminenter
Bedeutung. Der zweite Teil dieser Arbeit soll einen Beitrag zur Analyse einer neuen
Therapieoption bei der Behandlung von depressiven Patienten leisten, in dem eine
leistungsfähige Nachweismethode für möglicherweise antidepressiv wirkende Metaboliten
eines bekannten Arzneistoffs zur Verfügung gestellt wird. Trennung, qualitative und
quantitative Erfassung von chiralen Metaboliten des Arzneistoffs Ketamin können zukünftig
zur Aufklärung der molekularen Targets beitragen, die an der ungewöhnlich schnell
eintretenden antidepressiven Wirkung im menschlichen Organismus beteiligt sind.
Analytische Untersuchungen von Ketamin und dessen Metaboliten
86 | Vorbetrachtungen
3 Analytische Untersuchungen von Ketamin und dessen Metaboliten
3.1 Vorbetrachtungen
3.1.1 Depressive Erkrankungen und leitliniengerechte Therapie
Bei der Depression handelt es sich um eine psychische Störung, welche durch einen
Zustand deutlich gedrückter Stimmung, Interessenlosigkeit und Antriebsminderung über
einen längeren Zeitpunkt gekennzeichnet ist266. Die World Health Organization beziffert die
Prävalenz der Depression weltweit auf 322 Millionen Menschen. Davon werden in
Deutschland 4,1 Millionen mit der Diagnose Depression konfrontiert, was etwa 5,2 % der
deutschen Gesamtpopulation ausmacht267. Erkrankte leiden häufig an verringerter
Leistungsfähigkeit268, einem Mangel an gesundheitsbezogener Lebensqualität269 und
gesteigerter Mortalität270. Der von der Erkrankung ausgehende Leidensdruck für die
Patienten ist hoch, da in zentraler Art und Weise das Wohlbefinden und Selbstwertgefühl
beeinträchtigt wird271. Neben den starken persönlichen Einschränkungen entstehen den
Volkwirtschaften durch depressionsassoziierte direkte und indirekte Kosten Schäden in
Milliardenhöhe272.
Die aktuelle S3-Leitline „Unipolare Depression“ der AWMF273 bietet umfassende
Informationen zur Einteilung verschiedener Depressionsarten, Diagnosekriterien und
Therapieoptionen und soll im Folgenden nur partiell besprochen werden. Neben
zahlreichen nicht-medikamentösen Behandlungsoptionen wie Psychotherapie,
somatischer Therapieverfahren und Aufklärungsangebote für Patienten und Angehörige,
stellt die Pharmakotherapie eine existenzielle Säule der Interventionen dar.
Wie häufig in der Entwicklung der Arzneimittel erfolgte auch die Entdeckung der ersten
antidepressiv wirkenden Substanzen nach dem Serendipitätsprinzip. So wurde bei der
Behandlung von Tuberkulosepatienten mit dem aus Isoniazid abgeleiteten Iproniazid die
Beobachtung gemacht, dass sich ein großer Teil des Patientenkollektives einer
gesteigerten Fröhlichkeit erfreute274. Die Bezeichnung des entdeckten APIs als „Psychic
Energizer“ deutet schon an, dass das Wissen um die Depression als komplexes
Krankheitsgeschehen im Jahr 1957 als eher begrenzt einzuschätzen ist. Trotzdem
resultierte daraus der erste zugelassene MAO-Hemmer. Diese Klasse von Arzneistoffen ist
jedoch heute nicht mehr Mittel der ersten Wahl, da sie zu viele Interaktionen mit anderen
Medikamenten verursacht (unter anderem Serotonin-Syndrom) und penibel auf eine
tyraminarme Zusammensetzung der Nahrung geachtet werden muss. An dieser Stelle soll
noch einmal Tranylcypromin hervorgehoben werden, da es eben auch einen potenten
Inhibitor der LSD1 darstellt. Dieser Bestandteil der epigenetischen Regulation wurde schon
im ersten Teil dieser Arbeit ausführlich besprochen. Es soll nur noch darauf hingewiesen
Analytische Untersuchungen von Ketamin und dessen Metaboliten
Vorbetrachtungen | 87
werden, dass sich bei erfolgreichem Abschluss der klinischen Pilotstudien zur Therapie der
akuten myeloischen Leukämie der Indikationsbereich des MAO-Hemmers schlagartig
ändern könnte66,67.
Relativ zeitgleich zur Entdeckung von MAO-Inhibitoren wurde an der Weiterentwicklung von
Antipsychotika mit Phenothiazin-Grundgerüst geforscht. Der erste Vertreter der Tri- und
tetrazyklischen Antidepressiva (TZA) war Imipramin und wurde ursprünglich nicht für die
Indikation Depression sondern Schizophrenie entwickelt. Während erster Studien an
Patienten konnte jedoch beobachtet werden, dass diese sich gegenseitig unterhielten, an
Spielen teilnahmen oder sogar teilweise wieder lachen konnten275. Nach offizieller
Zulassung waren Iproniazid und Imipramin damit die ersten beiden Vertreter von APIs,
welche erfolgreich für die Therapie von depressiven Erkrankungen eingesetzt wurden. Mit
der Aufklärung ihrer Mechanismen trugen sie ferner zur Erkenntnis bei, dass das
Krankheitsgeschehen an einen Mangel von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin im
zentralen Nervensystem geknüpft sein muss (Monoamin-Hypothese)276. Auf dieser
Hypothese aufbauend, konnten mittlerweile mehrere Klassen von Antidepressiva entwickelt
werden.
Heute kommen neben den MAO-Hemmern und TZA weitere Gruppen von Antidepressiva
zum Einsatz: Selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI), Selektive Serotonin-
Leberfunktionsstörungen oder mögliche Induktion von Agranulozytose273.
Neben den zahlreichen UAWs spielt die „Lag-Time“, also die Zeit, welche benötigt wird
damit das Antidepressivum seine gewünschte Wirkung entfaltet, eine große Rolle.
Allgemein wird mindestens eine Woche, eher jedoch zwei bis vier Wochen, therapiert, bevor
mit den beabsichtigten Therapieeffekten zu rechnen ist279,280. Diese Zeitspanne kann vor
allem für Patienten mit ausgeprägten Suizidgedanken bereits zu lang sein.
Einen letzten herausgenommenen Punkt stellen die therapieresistenten Depressionen dar.
Nach vier- bis sechswöchiger Therapiedauer nach Neueinstellung eines Patienten, soll die
Wirksamkeit systematisch überprüft werden281. Bei Nichteintreten der gewünschten Effekte
stehen zum Teil evidente Behandlungsoptionen zur Verfügung: Durch ein therapeutisches
Drug Monitoring (TDM) können Non-Adhärenz oder Resorptionsstörungen bei Patienten
aufgedeckt, der Wechsel zu einem anderen Antidepressivum bzw. eine Dosiseskalation
kann erwogen werden. Die Augmentation mit Lithium bzw. Antipsychotika der 2. Generation
nimmt neben der Kombination zweier Antidepressiva einen hohen Stellenwert ein281.
Dennoch gelingt es mit den vorhandenen Medikationsschemata nicht immer eine
Chronifizierung der Erkrankung zu verhindern.
Damit gilt zwar zusammenfassend, dass die bisher in der Therapie eingesetzten
Antidepressiva wirksam sind, wenngleich auch nicht immer optimal. Daher ist es sinnvoll
weitere Substanzen in klinischen Studien zu testen, die auf den ersten Blick eventuell nicht
direkt in das nach bisherigem Kenntnisstand gelehrte Krankheitsgeschehen involviert sind,
wodurch sich neue molekulare Mechanismen eröffnen können. Das Beispiel des NMDA-
Rezeptorantagonisten Ketamin zeigt auf, dass es sich dabei nicht immer um neue APIs
handeln muss, sondern dass das Prinzip des „Repurposing“ ein weiterer Weg sein kann,
Arzneistoffe für eine neue Indikation zu entdecken.
Analytische Untersuchungen von Ketamin und dessen Metaboliten
Vorbetrachtungen | 89
3.1.2 Ketamin als neue Therapiestrategie zur Behandlung (therapieresistenter) depressiver Erkrankungen
Ketamin (rac-2-(2-Chlorphenyl)-2-(methylamino)cyclohexan-1-on, KET) (Abb. 58) wurde in
den 1960er Jahren das erste Mal beschrieben282 und ging chemisch aus dem Anästhetikum
Phenylcyclohexylpiperidin (Phenylcyclidin, PCP) (Abb. 57) hervor. Dieses zeigte ein
ungünstiges Risiko-Nutzen-Verhältnis, weshalb eine nebenwirkungsärmere und weniger
missbrauchsanfälligere Variante gesucht wurde283. Die WHO führt KET als Anästhetikum in
der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel auf284. Des Weiteren ist es für verschiedene Arten
der Analgesie zugelassen285.
Abb. 55: Aufbau des heterotetrameren NMDA-Rezeptor-Komplexes286: GluN1- (blau) und GluN2-Untereinheit (orange) unterteilt in aminoterminale Domäne (ATD), Ligandenbindungsdomäne (LBD) und transmembranäre Domäne (TDM).
Seine therapeutische Wirkung entfaltet KET hauptsächlich über einen Antagonismus an
Glutamat-Rezeptoren. Diese können in G-Protein-gekoppelte und ionotrope Rezeptoren
unterteilt werden. Letztere stellen die wichtigere Untergruppe für den molekularen
Mechanismus von KET dar. Hier kann weiter in N-Methyl-D-aspartat- (NMDA, Abb. 55),
α-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolepropionsäure- (AMPA) und Kainat-Rezeptoren
unterteilt werden. Die Namen rühren daher, dass die entsprechende Substanz unter
experimentellen Bedingungen als Agonist am jeweiligen Rezeptor wirkt. Glutamat als
wichtigster exzitatorischer Neurotransmitter ist unter anderem essentiell für Lern- und
Gedächtnisvorgänge287.
Analytische Untersuchungen von Ketamin und dessen Metaboliten
90 | Vorbetrachtungen
Abb. 56: Schematische Darstellung der Funktionsweise des NMDA-Rezeptors: Im offenem Zustand (u. a. durch Bindung von L-Glutamat und Glycin in den jeweiligen Bindetaschen der LBD) wird die Rezeptorpore von einem Mg(II)-Kation blockiert, durch Depolarisation der Zelle wird das blockierende Mg(II)-Kation kurzzeitig ausgetauscht und ermöglicht den Wechsel von Na+ und Ca2+ in und K+ aus der Zelle, „Porenblocker“ (nicht-kompetitive Antagonisten) wie Ketamin und MK-801 binden an der PCP-Bindestelle und beeinflussen somit das Öffnungsverhalten und die Signalweiterleitung (Polyamin- und Zn2+-Bindetasche nicht gezeigt).
KET blockiert den geöffneten NMDA-Rezeptor nicht-kompetitiv nahe der Position, an der
unter physiologischen Bedingungen ein Magnesium(II)-Kation die Ein- bzw. Auslasspore
besetzt (Abb. 56). Es verhindert damit den Austausch von Ca2+, Na+ und K+-Ionen und
beeinflusst auch die nachgeschaltete Bindung von Ca2+ an Calmodulin, welche in noch
weiteren Schritten unter anderem zu einer Aktivierung verschiedener Kinasen und zur
Freisetzung von Stickstoffmonoxid führt283. Es konnte gezeigt werden, dass das S-Isomer
von KET gegenüber dem R-Enantiomer eine drei bis vier Mal höhere Affinität zum NMDA-
Rezeptor besitzt288. Andere Wirkungen von KET wie z. B. an Opioid- und Sigmarezeptoren
oder dopaminerge Effekte werden ebenfalls beschrieben289.
Erste Untersuchungen aus dem Jahr 1990 zeigen eventuelle Zusammenhänge zwischen
antidepressiven Verhaltensmustern und NMDAR-Antagonismus290. Mäuse, mit denen ein
erzwungener Schwimmtest durchgeführt wurde, zeigten bei Gabe eines kompetitiven
(AP-7) und eines nicht-kompetitiven (MK-801, Abb. 57) NMDAR-Antagonisten
dosisabhängig eine Linderung der Symptome, die durch den Stresstest provoziert wurden.
Abb. 57: Strukturformeln von ausgewählten NMDAR-Antagonisten.
Die Hinweise, dass NMDA-Rezeptoren im Krankheitsgeschehen der Depression mitwirken,
verdichteten sich weiter in Untersuchungen, bei denen Imipramin über zwei Wochen
appliziert wurde291. Dabei kam es zu Modulationen des NMDAR-Komplexes, woraus die
Autoren schlossen, dass auch glutamaterge Signalwege von Antidepressiva betroffen sein
Analytische Untersuchungen von Ketamin und dessen Metaboliten
Vorbetrachtungen | 91
müssen. Im Jahr 2000 konnten die Folgerungen aus Grundlagenforschung und
Tierversuchen dann in einer kleinen klinischen Studie bewiesen werden292: Einem
Patientenkollektiv von neun depressiven Freiwilligen wurde eine subanästhetische Dosis
Ketamin i. v. verabreicht. Innerhalb von drei Tagen zeigten sich robuste Verbesserungen
der durch die Depression verursachten Symptome. Damit wurde der Weg für einen
regelrechten „Ketaminboom“ geebnet, welcher bis heute anhält und mittlerweile auch in der
Populärpresse angekommen ist293.
KET wird im ersten Schritt des Metabolismus (Abb. 58) überwiegend durch Cytochrom
P450 3A4 zu Norketamin (NK) demethyliert. NK besitzt noch etwa ein Fünftel der Potenz
von KET. Ausgehend von NK ist ferner eine Dehydrierung sowohl zu Dehydronorketamin
(DNK), als auch eine Hydroxylierung an den Positionen 4, 5 und 6, möglich. Jede
eingeführte OH-Funktion resultiert in einem zweiten Chiralitätszentrum, welches in der
Summe eine Bildung von zwölf verschiedenartigen Hydroxynorketaminen (HNK)
ermöglicht. Theoretisch ist ebenfalls die direkte Hydroxylierung von KET denkbar und
würde zu zwölf Hydroxyketaminen (HK) führen. Über die Alkoholfunktionen lässt sich
außerdem eine glykosidische Bindung mit Glucuronsäure ausbilden (vgl.294-296).
Mittlerweile existieren Übersichtsarbeiten und Reviews, welche bisherige
Probandenstudien zusammenfassen und analysieren297-299. Danach ist mit einem Eintritt
der antidepressiven Wirkung nach einmaliger intravenöser Gabe nach zwei bis vier Stunden
zu rechnen und hält bis zu sieben Tage an. Bei therapieresistenter Depression scheint sich
KET zu einer substanziellen Alternative zu entwickeln, was sich auch in der Anzahl und
nebenwirkungsfrei ist KET dabei jedoch nicht: Trotz guter Verträglichkeit wurden
psychotomimetische Effekte (u. a. Agitation, Paranoia und Psychosen, jedoch viel seltener
als unter anästhetischer Dosierung), Schläfrigkeit/Sedierung, erhöhter Blutdruck und
dissoziative Zustände während und bis zu einer Stunde nach der Infusion registriert.
Letzteres erklärt auch das erhöhte Missbrauchspotential des Wirkstoffes (u. a.
Halluzinationen und Out-of-Body-Phänomene). Eventuell steht die Inzidenz der
Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Art und Häufigkeit der Applikation. So musste
eine Studie mit mehrfacher intranasaler Gabe von KET auf Grund von schwerwiegenden
Nebenwirkungen abgebrochen werden303, bei den bisher häufiger durchgeführten Studien
mit einmaliger i. v. Dosierung war das Nebenwirkungsprofil deutlich günstiger.
92 | Vorbetrachtungen
Abb. 58: In vivo Metabolismus von Ketamin (mod. nach294,296,304,305): i) Demethylierung von Ketamin führt zu Norketamin, ii) durch anschließende Dehydrierung wird Dehydronorketamin erhalten, iii) die Hydroxylierung von Norketamin kann an insgesamt drei Positionen erfolgen und führt somit zu 12 Hydroxynorketamin-Metaboliten, iv) auch eine vorangestellte Hydroxylierung ist möglich, welche 12 Hydroxyketamin-Derivate zur Folge hat, v) eine anschließende Demethylierung führt wiederum zu den 12 Hydroxynorketaminen. Die neu eingeführte Alkoholfunktion kann für eine Kupplung mit Glucuronsäure genutzt werden. Racemisches Norketamin-d4 wurde als interner Standard benutzt. Nur die hervorgehobenen Metaboliten waren für die SFC-MS-Methode relevant, weshalb auch auf die explizite Darstellung aller möglichen Enantiomere bzw. Diastereomere verzichtet wurde.
Analytische Untersuchungen von Ketamin und dessen Metaboliten
104 | Methodenentwicklung und Validierung
Abb. 62: Untersuchungen des Einflusses von verschiedenen Modifiern auf die Trennleistung des Systems in Bezug auf die Trennung von racemischem Ketamin.
Die Auflösung war zweifelsohne bei der Verwendung von Isopropanol als organischen
Modifier am besten. Sie überschritt auch den kritischen Wert von 1,5, welcher eine
Basislinientrennung indiziert. Acetonitril als Modifier führte zu einer geringfügig besseren
Trennung als bei Verwendung von Methanol, allerdings zu Lasten der Peakform.
Interessant war ebenfalls der Vergleich der Retentionszeiten: Mit Methanol als Modifier
eluierten die Peaks im Mittel schon nach 2,4 min, mit Isopropanol nach 3,4 min und mit
Acetonitril nach 3,5 min. Das würde auch der Reihenfolge der Elutionskraft an einer
Normalphase entsprechen. Wird sCO2 simplifiziert als Hexan angenommen, erscheint
diese Betrachtungsweise nicht allzu abwegig. Weiterhin wird diese Theorie von dem Fakt
unterstützt, dass die erhaltene Reihenfolge der Retentionszeiten (erst KET, dann NK und
deutlich später HNK) einem Abfall der clogP-Werte (kalkuliert mit ChemBioDraw,
Version 13) entsprach (Abb. 61). Ketamin (clogP=2,93) eluierte als erstes, während das
weniger lipophile demethylierte NK (clogP=2,41) eine in diesem Dreierfeld mittlere
Retentionszeit aufwies. Das deutlich polarere HNK (clogP=1,58) wurde folglich mit
größerem Abstand eluiert. Es scheint also durchaus Parallelen zwischen den Mechanismen
von Normalphasen-Chromatographie und SFC zu geben. Dies sollte aber keinesfalls
verallgemeinert werden, da sich die Befunde ausschließlich auf die Lux Amylose-2 als
stationäre Phase beziehen.
Neben dem Modifier selber spielt auch das Additiv, welches dem Modifier zugegeben wird,
eine beachtliche Rolle für die Selektivität und Auflösung. So wurde z. B. bei einer chiralen
Trennung von rac-Phenylalaninmethylester auf einer Chiralpak AD Säule mit 20 % Ethanol
0,0 1,0 2,0 3,0 4,0 5,0 min-0,25
0,00
0,25
0,50
0,75
1,00
1,25
1,50
1,75
2,00
2,25
2,50
2,75
3,00
3,25
3,50
3,75
4,00
4,25
4,50
4,75
5,00
5,25
5,50
5,75
(x1,000,000)
ACN: RS=0,99
MeOH: RS=0,87
IPA: RS=1,54
cps
Analytische Untersuchungen von Ketamin und dessen Metaboliten
Methodenentwicklung und Validierung | 105
als Modifier nur ein Peak erhalten. Unter Zusatz von 0,1 % Cyclohexylamin zum Modifier
erfolgte schon eine teilweise Trennung der Enantiomere und bei einer Additivkonzentration
von 1,0 % Cyclohexylamin wurde das Racemat basisliniengetrennt352. Somit könnte der
Effekt eines Additivs eventuell den des Modifiers noch übersteigen, ist aber in jedem Falle
eine Untersuchung wert. Aufgrund der direkten Kopplung mit dem Massenspektrometer
sollten allzu schwer verdampfbare Amine vermieden werden, weshalb sich die Auswahl des
Additivs auf wässrige Ammoniaklösung beschränkte.
Die Auswirkungen auf die Auflösung von den KET-Enantiomeren bei unterschiedlichen
Konzentration von NH3 im Modifier waren deutlich (Abb. 63). Als organische Komponente
wurde hier aufgrund der erfolgreichen Vortests Isopropanol gewählt. Die NH3-Beigaben
betrugen 0,02, 0,05 und 0,075 %, die Flussrate 3 mL/min bei 8 % organischem Modifier.
Bei der niedrigsten Konzentration an NH3-Zusatz erfolgte keine Trennung zwischen den
KET-Enantiomeren. Bei 0,05 % kam es immerhin zu einer teilweisen Trennung, welche bei
0,075 % noch einmal zunahm. Die erhaltene Basislinientrennung wurde offensichtlich nur
ab einer Additivkonzentration von über 0,1 % NH3 erreicht (Abb. 62). Damit können die
Befunde aus der eingangs erwähnten Literatur, dass das Additiv einen ausgeprägten
Einfluss auf das Trennergebnis hat, bestätigt werden.
Abb. 63: Verbesserung der Auflösung bei der Trennung von racemischen Ketamin durch unterschiedliche NH3-Konzentrationen.
Folglich wäre es sinnvoll gewesen, mit einer NH3-Konzentration von 0,1 % weiter zu
arbeiten. Allerdings wurde dies erschwert durch drastisch ansteigende Rückdrücke, die
nach etwa fünf bis zehn Injektionen auftraten. Ein anschließender Spülgang mit über 50 %
Methanol vermochte das Problem nur kurzzeitig zu lösen. Laut Hersteller soll die Säule mit
0,0 1,0 2,0 3,0 4,0 5,0 6,0 7,0 min
0,00
0,25
0,50
0,75
1,00
1,25
1,50
1,75
2,00
2,25
2,50
2,75
3,00
3,25
3,50
3,75
4,00
4,25
4,50
4,75
5,00
5,25
5,50
5,75
6,00
6,25
6,50
6,75
(x100,000)cps
RS=0 bei 0,02 % NH3
RS=0,47 bei 0,05 % NH3
RS=0,87 bei 0,075 % NH3
Analytische Untersuchungen von Ketamin und dessen Metaboliten
106 | Methodenentwicklung und Validierung
basischen Zusätzen bis zu einer Konzentration von 0,5 % im organischen Laufmittel
kompatibel sein353. Da es auch nach vielen Injektionen nicht zu einer Änderung des
Trennungsbildes kam, war die chemische Degradation des chiralen Rückgrats der
stationären Phase oder der Kieselgelbasis auszuschließen. Um dennoch den steigenden
Rückdrücken entgegenzuwirken, wurde ein Gradient implementiert und ein Spülmethode
alle 10-15 Injektionen mit 25 % Methanol ohne Zusätze mit anschließender 20-minütiger
Einspülphase zwischengeschaltet (Tab. 19). Ferner wurde die Startkonzentration des
Modifiers auf 8 % festgelegt, da damit die besten Peakformen aller Analyten erzielt wurden.
Tab. 19: Integration des finalen Gradienten für die SFC-Methode.
Aufgrund der besonderen Anfälligkeit von Massendetektoren gegenüber komplexen
Matrices, gilt die Verwendung von internen Standards bei der Quantifizierung von Analyten
als notwendig. In dieser Arbeit wurde vierfach deuteriertes Norketamin (Austausch aller
vorhandenen Aromatenprotonen) als IS verwendet. Dieser Massenunterschied von 4 u ist
positiv zu bewerten, da bereits gezeigt werden konnte, dass bei einem Massenunterschied
von nur 2 u Interferenzen auftreten können357. Ferner wurde im Absatz 3.1.4
herausgearbeitet, dass keine weiteren isobaren Überschneidungen mit anderen Analyten
auftreten. Strenggenommen handelte es sich beim IS um zwei Substanzen, da auch dieser
nur als Racemat erhältlich war. Die Trennung beider Enantiomere gelang aber
reproduzierbar, weshalb entschieden wurde, das früher eluierende Enantiomer des IS auf
das zuerst eluierende Enantiomer eines chiralen Analytenpaares zu beziehen. Die zweite
eluierende Substanz des IS wurden dann auch auf den zweiten Stoff des jeweiligen
Enantiomerenpaares bezogen (vgl. Tab. 20, z. B. R-KET/NK-d4 En1 und S-KET/NK-d4
En2).
Analytische Untersuchungen von Ketamin und dessen Metaboliten
Methodenentwicklung und Validierung | 111
Abb. 67: Vergleich der quadratischen (links) gegenüber der linearen (rechts) Kalibrierfunktion für 2S,6S-Hydroxynorketamin, 2R,6R-Hydroxynorketamin und S-Ketamin.
Zur Ermittlung des mathematischen Zusammenhangs zwischen Analytenkonzentration und
Messsignal wurde das Verhältnis aus den Peakflächen des Analyten zum
korrespondierenden IS gegen den Quotienten aus Konzentration des Analyten und
Konzentration des IS aufgetragen und im ersten Schritt subjektiv beurteilt. Anhand der drei
repräsentativen Beispiele 2S,6S-Hydroxynorketamin, 2R,6R-Hydroxynorketamin und
S-Ketamin eines Validierungstages wurde deutlich, dass die Zuhilfenahme einer
quadratischen Regression eventuell favorisiert werden sollte. Es konnte gezeigt werden,
dass bei einer Kurve die Messpunkte häufiger Überschneidungen mit dieser zeigten, als es
bei einer Geraden der Fall war (Abb. 67). Die Analyse der Regressionsvariablen und des
Bestimmtheitsmaßes (fett hervorgehoben in Tab. 21) ließ ferner vermuten, dass die lineare
Regression der quadratischen im gegebenen Zusammenhang unterlegen war. Es sollte ein
Wert für R² von über 0,995 angestrebt werden. Die erhaltenen Bestimmheitsmaße für die
Analytische Untersuchungen von Ketamin und dessen Metaboliten
112 | Methodenentwicklung und Validierung
linearen Regressionen der Beispiele erreichten diesen Wert nicht und waren somit auch
denen der quadratischen unterlegen.
Tab. 21: Variablen und Bestimmtheitsmaß bei quadratischer und linearer Kalibrierfunktion für 2S,6S-Hydroxynorketamin, 2R,6R-Hydroxynorketamin und S-Ketamin.
2R,6R-Hydroxynorketamin a −2,6715e−5 0,0130 b 0,0183 - c −0,0517 0,0408 R² 0,9996 0,9879
S-Ketamin a −8,1469e−5 0,0546 b 0,0701 - c −0,0870 0,2322 R² 0,9997 0,9932
Eine weitere graphische Aufarbeitung der Daten war mit Hilfe eines Residuenplots möglich.
Dieser zeigte anschaulich, wie ausgeprägt die einzelnen Messpunkte von den berechneten
Werten der Kalibrationskurve/-gerade abwichen (Abb. 68). Je dichter die Residuen um die
Abszissenachse streuten, desto eher konnte davon ausgegangen werden, dass das
mathematische Modell den Sachverhalt zufriedenstellend widerspiegelte. Bei allen drei
Graphen wurde deutlich, dass die quadratische Regression (rote Vierecke) vor allem im
oberen Kalibrierbereich besser beschreibend war als die lineare (blaue Rauten).
Die mathematische Signifikanz der Regression kann nach Mandel berechnet werden
(Abschnitt 4.4.5). Sie ist ein letzter Indikator dafür, welches Modell benutzt werden sollte.
Der Vergleich der Reststandardabweichungen (Tab. 22) der drei Beispiele zeigte bereits
an, dass eine Regression weniger Streuung besaß, wenn sie nach 2. Ordnung erfolgte.
Somit war es dann auch nicht mehr verwunderlich, dass die Prüfwerte in allen Fällen größer
waren als die Vergleichsgröße der F-Tabelle. Daher war die quadratische Regression als
signifikant besser anzusehen als die lineare.
Analytische Untersuchungen von Ketamin und dessen Metaboliten
Methodenentwicklung und Validierung | 113
Abb. 68: Residuenplots für die entsprechenden linearen und quadratischen Kalibrationen aus Abb. 67 für 2S,6S-Hydroxynorketamin, 2R,6R-Hydroxynorketamin und S-Ketamin.
Es wurde also visuell und mathematisch deutlich, dass es zu einer Art Sättigung kam.
Häufig wird an dieser Stelle der Kalibrierbereich verkleinert, um den Zusammenhang zu
linearisieren. Da die Richtlinien eine andersartige Regression als die lineare aber nicht
kategorisch ausschließen, sondern verständlicherweise nur eine robuste Methode und
konstante experimentelle Bedingungen fordern, wurde die Regression 2. Ordnung für die
Validierung gewählt.
Tab. 22: Reststandardabweichung sy² und Mandel-Linearitätstest für die Kalibration aus Abb. 67 (6-Hydroxynorketamin 7-Punkt-Kalibration, S-Ketamin 6-Punkt-Kalibration) (1 � = 99%, �� = 1, �� =� − 3).
Autosampler Temperatur 6 °C Injektionsvolumen 5 µL Säulenofen Temperatur 30 °C Rückdruckregulator A Temperatur 50 °C Druck 150 bar Rückdruckregulator B Temperatur 50 °C Druck 400 bar
4.4.4 MS-Parameter
Parameter Wert ESI Positiver Modus, SIM [M + H]+ 222, 224, 228, 238, 240 Event Time 0,05 sec Interface Voltage 4,5 kV Nebulizing-Gas 1,5 L/min Drying-Gas 12 L/min Interface-Temperatur 350 °C Heat-Block-Temperatur 300 °C Desolvation-Line-Temperatur 250 °C
4.4.5 Mathematische Prüfung auf Linearität358
Nach dem optischen Abgleich der linearen und quadratischen Regression gegeneinander und
dem Vergleich des Bestimmheitsmaßes R² für beide Arten der Kalibration, dient der
Linearitätstest nach Mandel der Abschätzung des richtigeren mathematischen Modells. Es wird
geprüft, ob die Regression 2. Ordnung (quadratisch) signifikant besser zutrifft als die Regression
1. Ordnung (linear). Zur Prüfung werden die jeweiligen Quadrate der Reststandardabweichung
aus linearer und quadratischer Regression hinzugezogen.
Im ersten Schritt werden dafür alle erforderlichen Variablen für den Regressionstyp 1. Ordnung � = � ∗ � + � und 2. Ordnung � = � ∗ �� + ∗ � + � bestimmt. Mit Hilfe dieser Regressionen
können dann die Residuen (entspricht dem vertikalen Abstand eines gemessenen Punktes von
der errechneten Geraden bzw. Kurve) wie folgt berechnet werden:
Experimenteller Teil
Beschreibung der validierten SFC-MS-Methode | 197
�� = �� − ��� �� = Residuen �� = Messsignal an i-ter Stelle ��� = der zu �� passende berechnete Wert aus der Regressionsfunktion
Die Standardabweichung der Residuen für eine Regression wird als Reststandardabweichung
sy bezeichnet. Diese Reststandardabweichungen können an dieser Stelle (für Funktion 1. und
2. Ordnung) bereits miteinander verglichen werden. Kleinere Werte geben an, dass die
Streuung der Messwerte um die Regressionsgerade bzw. um die Kurve kleiner und damit auch
geeigneter zur Beschreibung des Verhältnisses von Messsignal zur Analytenkonzentration ist.
Die Reststandardabweichungen werden wie folgt berechnet:
��� = 1� − 2"(��$���)²'�(�
für lineare Regressionen oder
���) = 1� − 3"(��$���)²'�(�
für quadratische Regressionen.
Wird hierbei herausgefunden, dass die Reststandardabweichung der linearen Regression
größer ist als die der quadratischen Regression, so sollte eine Funktion 2. Ordnung gewählt
werden.
Um eine mathematische Signifikanz nachzuweisen, kann der Prüfwert PW ermittelt werden.
Vorher ist jedoch die Differenz der Abweichungsvarianzen DS² zu ermitteln:
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