International 13 sonntagszeitung.ch | 18. Mai 2014 Padma Rao Delhi Glühende Hitze, Staubwol- ken von den Hubschraubern der Spitzenpolitiker, auf die Massen von Menschen geduldig warteten, feurige Wahlrhetorik: Über vier Wochen dauerten die Kampag- nen, Tag für Tag kämpften 8251 politische Konkurrenten um 543 Parlamentssitze. Am letzten Frei- tag begrüssten Millionen Inder das Ergebnis mit Feuerwerk, Trommelschlag und Süssigkeiten: Die hindunationalistische Bhara- tiya Janata Party (BJP) wird die nächste Regierung bilden. Am 21. Mai wird ihr Spitzenkandidat, Narendra Modi, der erfolgreiche viermalige Ministerpräsident des westindischen Bundesstaates Gu- jarat, als der 16. Premierminister Indiens vereidigt. Es ist der grösste Sieg einer Partei in der Geschichte Indiens – mehr als 280 Sitze gewann die BJP und somit die überwältigen- de Mehrheit. Dagegen erlebte die Kongresspartei des bisherigen Pre- mierministers Manmohan Singh ihre grösste Demütigung. Mit we- niger als 50 Sitzen wird die von Parteipräsidentin Sonia Gandhi geführte Partei nicht einmal die Opposition anführen. Die Lebensgeschichte Modis fand bei Millionen von armen In- dern grossen Anklang, mehr als jene der Elitepolitiker der Kon- gresspartei. Narendra Damo- dardas Modi wurde in eine bitter- arme Familie geboren und arbei- tete als Kind als Teeverkäufer auf einem kleinen Bahnhof. Als Ju- gendlicher wurde er Mitglied des Freiwilligenkorps der Hindu- nationalisten, des Rashtriya Swayamsevak Sangh – ein kon- servativer und einflussreicher Hindu-Arm der BJP, über die er seinen steilen politischen Aufstieg begann. Nach dem Blutbad an Muslimen war Modi verfemt Doch ab 2002 geriet Modi in die Kritik. Bei blutigen Krawallen wurden fast 1000 Muslime von hinduistischen Randalierern in dem von ihm regierten Bundes- staat brutal abgeschlachtet. Menschenrechtsgruppen klag- ten ihn an, die Ermittlungen gin- gen erst diesen April zu Ende. Staatspolitiker und Polizisten des Bundesstaats Gujarat wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Die höchste Instanz, das oberste Ge- richt Indiens, erklärte Modi für unschuldig. Trotzdem hörte die – inzwi- schen weltweite – Verachtung ge- genüber Modi nicht auf: Kongres- sparteipräsidentin Sonia Gandhi beschimpfte ihn als «Todeshänd- ler», einen mit «Blut an den Hän- den». Dabei waren Gandhis eige- ne Parteimitglieder für ein Mas- saker von mehr als 2000 Angehö- rigen der Sikh-Minderheit 1984 verantwortlich. Auch internatio- nale Menschenrechtsgruppen setzten ihre Regierungen unter Druck, damit sie nicht im von Modi regierten Bundesstaat Gu- jarat investierten. Die Wahlkampagne des 60-jährigen Politikers verblüffte seine Kritiker. Statt mit hitziger Rhetorik gegen Muslime und an- dere religiöse Minderheiten zu hetzen, stellte Modi Wirtschafts- wachstum und «Entwicklung für alle» ins Zentrum seiner Kampa- gne. Das Wahlergebnis zeigt, dass diese Strategie ein Volltreffer war. In den letzten vier Jahren, während der zweiten Amtszeit der Kongresspartei, ist die Wirt- schaft Indiens ins Stocken gera- ten. Das Wachstum des Brutto- sozialprodukts halbierte sich auf 4,5 Prozent. Arbeitslosigkeit und Inflation stiegen drastisch, und die indische Rupie verlor laufend an Wert. Der Traum der «werden- den Supermacht» war so gut wie zu Ende. Laut Wirtschaftsexper- ten wurde die Krise nur teilweise durch die globale Rezession be- einflusst. Es waren vielmehr die mangelnde Investitionspolitik so- wie Korruption, die viele Investo- ren zwangen, sich aus dringend benötigten Infrastruktur-Projek- ten zurückzuziehen. Sein Werdegang weckt die Hoffnungen der Ärmsten «Indien befand sich bisher im Rückwärtsgang», donnerte Modi vor jubelnden Menschenmengen. «Wir brauchen weniger Regieren- de und mehr Regierung!» Er ver- sprach den Abbau von Korrupti- on und Massnahmen gegen die explodierenden Preise. Modi kün- digte zudem an, das Schwarzgeld von reichen Indern auf Schweizer Konten ins Land zurückzuholen. Geschickt deutete Modi immer wieder auf seinen eigenen Werde- gang und weckte damit Hoffnung unter den ärmsten Wählern. In- dustrielles Wachstum – und nicht die von der Kongresspartei bevor- zugten Wohlfahrtsinitiativen – würde Jobs schaffen und die Ar- mut beseitigen. «Ja, ich war Teeverkäufer», sag- te er in seinen öffentlichen Reden, die durch 3-D-Technologie die Überwältigende Mehrheit für den «Todeshändler» Vom Wahlsieg des Hindu-Nationalisten Narendra Modi, dem einst ein Massaker zur Last gelegt wurde, versprechen sich sogar Muslime eine bessere Zukunft für Indien Narendra Modi, Spitzenkandidat der Bharatiya Janata Party, und einige seiner Unterstützer feiern den Sieg. Bei den Kleinhändlern Suresh Kumar (unten links) und Harun Mohammed (unten rechts) paaren sich Angst und Hoffnung Foto: AFP, Reuters, Padma Rao (2) entlegensten Dörfer des Landes erreichten. «Aber niemals habe ich die Hoffnung aufgegeben.» Der sofortige und steile An- stieg der indischen Börse Sensex vergangene Woche war ein klares Zeichen dafür, dass vor allem In- vestoren über den Wahlsieg von Modi entzückt sind. Denn trotz der landesweiten Wirtschaftskri- se hatte sich Gujarat unter seiner Führung zum investitionsfreund- lichsten Bundesstaat Indiens ent- wickelt. «Keine Korruption, besseres Recht und Ordnung für Indiens Frauen – das hat Modi verspro- chen», jubelt Tarun Puri, ein 46-jähriger Bauunternehmer in Delhi. «Endlich werden wir wie- der stolz auf Indien sein.» Sogar viele Muslime in Gujarat wollen die Vergangenheit vergessen und ihr Vertrauen in Modi setzen. Obama und Cameron huldigten dem Neuen bereits im Voraus «Seit 2002 und zum ersten Mal in der Geschichte Gujarats hat es keinerlei Krawalle zwischen Reli- gionsgruppen gegeben,» sagt Za- far Sareshwalla, Geschäftsmann in Gujarat. «Modi wird zweifellos der beste Premierminister Indiens sein.» Auch das Ausland zeigt Inter- esse. Bereits seit Jahren investie- ren Privatfirmen aus vielen Län- dern, etwa Kanada, in Gujarat. Anfang Jahr hatte Deutschlands Botschafter in Indien ein «gehei- mes» Frühstück für EU-Botschaf- ter durchgeführt. Ehrengast und der einzige eingeladene Inder war Narendra Modi. Vergangene Woche gratulier- te US-Präsident Barack Obama dem künftigen Premier Indiens. Bereits eine Woche zuvor hatte der britische Premierminister David Cameron bekannt gege- ben, dass er sich auf die «Zusam- menarbeit mit der neuen Regie- rung in Delhi» freut. Bisher hat- ten diese Länder gezögert, Modi auch nur ein Einreisevisum aus- zustellen. In den engen Gassen des Stadt- teils Kotla Mubarakpur in Delhi erzählt der 21-jährige muslimi- scher Melonenverkäufer Harun Mohammed, dass er Angst habe vor erneuten Anschlägen auf Muslime. Dennoch sei er glück- lich über den Sieg Modis, solange dieser zusichere, dass Frieden herrsche und ausländische Super- märkte, die sein Geschäft ruinie- ren würden, nicht in Indien inves- tieren dürften. Holzhändler Praveen Saini da- gegen hält Mohammeds Angst für unsinnig. «Sogar meine muslimi- schen Kollegen in Gujarat, die mir Holz liefern, schwärmen für Modi.» Während der 50-jährige Blu- menhändler Suresh Kumar hofft, dass Modi gegen bestechliche Kleinbeamte vorgeht, die häufig durch Kotla Mubarakpur ziehen und von illegalen Strassenhänd- lern wie ihm Bestechungsgelder verlangen, hofft seine Cousine Bajrang Devi, die nebenbei Ton- töpfe verkauft, auf faire Behand- lung von allen Händlern, ob reich oder arm. «Modi soll uns Arme ja nicht im Stich lassen», sagt die 60-jährige Devi: «Sonst werden wir auch ihn verfluchen und nie wieder wählen.»