Mitteilungen der DRG
Radiologie in Deutschland. Ein WeißbuchWorüber reden wir
eigentlich, wenn wirvon Radiologie in Deutschland sprechen?15
Radiologinnen, Medizinphysiker undMedizinisch-Technische
Radiologie-Assis-tentinnen (MTRA) sind auf Initiative derDeutschen
Röntgengesellschaft (DRG)dieser Frage über einen Zeitraum vonrund
18 Monaten nachgegangen. Ent-standen ist aus einem
gemeinsamenForschungs-, Workshop- und Redaktions-prozess die
Publikation „Radiologie inDeutschland. Ein Weißbuch“.
DRG-Präsi-dent Prof. Dr. Stefan O. Schönberg undDr. Stefan
Lohwasser, DRG-Geschäftsfüh-rer, haben sich im Vorfeld der
Veröffentli-chung zu einem Gespräch über das Weiß-buch in Berlin
getroffen.
Dr. Stefan Lohwasser: Ich bin vor einigenJahren als
Geschäftsführer der DRG in dieWelt der Radiologie eingetreten. Das
war fürmich etwas völlig Neues. Natürlich hatte ichein
vorgefertigtes Bild, aber das war im Grun-de so, als würde man am
Fenster stehen,ohne dass man wirklich den ganzen Raumbetrachten
konnte. Mittlerweile habe ich er-lebt, dass es eine ganz eigene,
vielschichtigeund lebendige radiologische Kultur gibt. Mirwar es
deshalb ein großes Anliegen, dieseradiologische Kultur auch anderen
greifbar,erlebbar, nachvollziehbar zu machen.
Prof. Dr. Stefan O. Schönberg: Zur Kulturgehört für mich auch
ein gesellschaftlicherAnspruch der Radiologie. Dieser Anspruch
istmit Blick auf die Versorgung von Patientinnenund Patienten ein
vierfacher: Radiologie inDeutschland steht erstens für
Interprofessio-nalität, zweitens für die Vermittlung von
me-dizinischem Wissen an Patienten, Angehöri-
ge, Fachkolleginnen und die Wissenschaft,drittens für
medizinische wie technische In-novation und viertens für hohe
Qualitäts-maßstäbe. Diese vier Aspekte finden sich imWeißbuch in
Wort und Bild wieder.
Lohwasser: Vor allem liefern die Texte undBilder Einblicke von
denjenigen, die Radio-logie in Deutschland täglich in ihrer
Arbeitgestalten. Und dafür ist so ein Weißbuchwichtig: dass die
Radiologie einmal ihre Ge-schichte erzählt, aus den
unterschiedlichs-ten Perspektiven und Arbeitskontextenheraus. Diese
radiologische Vielfalt derMenschen, Themen und Positionen
kannGrundlage und Ausgangspunkt sein, umins Gespräch zu kommen –
untereinander,aber vor allen Dingen mit allen anderen.
Schönberg: Das Markenzeichen der Radiolo-gie ist ja ihre
Trilateralität: die Zusammen-arbeit von Radiologinnen,
Medizinisch-Technischen-Radiologie-Assistenten
undMedizinphysikerinnen. Die Radiologie stehtdeshalb nicht nur für
einen medizinischenAnspruch, sondern auch für technische
Ope-rabilität und höchste Umsetzungsqualität –und dafür braucht man
die richtigen Perso-nen bzw. kompetente Teams. Folgerichtighaben
deshalb auch Vertreter aller drei Be-rufsgruppen als Autoren am
Weißbuch mit-gewirkt. Und was ich wirklich bemerkenswertfinde: Die
15 Autorinnen und Autoren habenjenseits von Hierarchien,
Organisationsstruk-turen und Berufsgrenzen ihren Erfahrungs-schatz,
ihre besondere Aus- und Vorbildungeingebracht, geteilt und dazu
genutzt, be-sondere Perspektiven auf die radiologischePraxis
aufzuzeigen. Ich kann mich dafür nichtoft genug bei den Beteiligten
bedanken.
Lohwasser: Ich möchte hier noch etwas zurGenese des Buches
ergänzen. Wie vielleichtbei anderen Organisationen und
Gesell-schaften auch hat sich bei der DRG aus dertäglichen Routine
heraus eine gewisse „dé-formation professionnelle“
eingeschlichen.Der Vorstand der DRG hat deshalb ganz be-wusst auf
irgendwelche Vorgaben verzichtetund stattdessen darauf geachtet,
dass demAutorenteam ein Höchstmaß an Freiheitund Unabhängigkeit
gegeben ist. Im Weiß-buch finden sich kurze Einleitungskapitel,die
rein deskriptiven Charakters sind. Diezentralen Inhalte aber kommen
ausnahms-los von den Autorinnen und Autoren. Auchvon meiner Seite
für diese engagierte Arbeiteinen herzlichen Dank. Wir haben auch
ver-sucht, durch die Auswahl der Autoren dasgesamte Spektrum der
Radiologie von derambulanten bis in die klinische Versorgung,von
Praxen bis zu Universitätskliniken, vonWeiterbildungsassistenten
bis zu Ordinarienabzubilden. Ich denke, das kommt auch inden
Beiträgen sehr gut rüber. Das Weißbuchist wirklich besonders und
macht Lust aufLesen, weil man wie beim Blick durch einKaleidoskop
ganz verschiedene Einblickebekommt. Aber am Ende fügt es sich
zueinem großen Ganzen.
Schönberg: Wennman das Buch aufschlägt,springt einem als erstes
die Gestaltung insAuge. Die Radiologie mit ihren
bildgebendenVerfahren wird hier natürlich auch in
Bildernrepräsentiert – nahezu die Hälfte des Buchesnimmt das ein.
Das zeichnet ja auch die Me-dizin insgesamt aus: der Mensch im
Zentrumund die Orientierung am Bild, an der Topo-grafie, an der
Anatomie.
DRG-Mitteilungen
570 Fortschr Röntgenstr 2019; 191: 570–577
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Lohwasser: In Zeiten des allgegenwärtigenBilderrausches war und
ist das eine wichtigeAussage, den Menschen und seine Abbild-barkeit
in den Fokus zu rücken – einerseits.Andererseits bewegt sich die
Radiologie wieauch die Medizin insgesamt weg vom Bildhin zu den
Daten. Aber die vielen Daten wer-den dann wiederum bildlich
übersetzt. Esführt also kein Weg vorbei am Bild.
Schönberg: Und auch kein Weg vorbei ander Ästhetik dieser
Bilder. Diese Ästhetikhat ja auch eine ambivalente Geschichte.Zum
einen galten manchen Leuten die Ra-diologen als die, die „nur“ die
schönen Bil-der machen. In Zeiten bildgestützter Inter-ventioneller
Radiologie hat sich sicher auchdieses Klischee überholt. Vor allem
stehtaber für mich die Ästhetik und Brillanz derradiologischen
Bilder heute auch für tech-nische Qualität und die Exzellenz
derje-nigen, die sie erstellen, einhergehend mitdem
kontinuierlichen Streben unseresFaches nach Innovation und
Perfektion. Ichfinde die Bilder im positivsten Sinne brisant.
Lohwasser: „Den ganzen Menschen imBlick“ – das ist für mich
schon mehr als nureine Kapitelüberschrift im Weißbuch. Dawürde ich
an Ihren Gedanken eines gesell-schaftlichen Anspruchs der
Radiologie, jaletztlich auch eines Auftrages, anknüpfen.Radiologie
ist eben nicht kalte Medizintech-nik, sondern sie ist von Menschen
für Men-schen gemacht. Das ist für mich eine ganzzentrale
Botschaft, die alle Kapitel durch-zieht. Neben der Anästhesie ist
in einemKrankenhaus die Radiologie die zentraleSchalt- und
Verteilerzentrale. Diese Rolleist gewissermaßen in ihrer DNA
angelegtund ich denke, wir müssen uns überlegen,wie die Radiologie
diese Rolle in Zukunftnoch besser ausfüllen kann, und das nichtnur
in der stationären Versorgung. DieRadiologie muss auch in der
ambulantenVersorgung noch stärker eine Verteiler-oder Lotsenrolle
einnehmen und eine bera-tende Funktion sowohl für Patienten alsauch
für Fachkollegen innehaben.
Schönberg: Wissensvermittlung gehörtfür mich ganz zentral zur
Radiologie. Ausdieser Wissensvermittlung hat sich einganz neuer
Dialog mit anderen Fachgrup-pen, mit Ärztinnen, aber auch mit
Nichtärz-ten, entwickelt. Das ist in den Buchbeiträ-gen ja in der
vollen Breite abgebildet.Letztendlich haben wir diese
Vermittlerrollesehr, sehr früh verstanden und auch umge-setzt. Das
wird auch sicher weitergehen.Unsere Aufgabe als DRG ist es, das
nochmehr nach außen, insbesondere in die Poli-tik, zu tragen. Die
Digitalisierung bringt unsdabei in eine noch stärkere,
integrativereRolle. Das heißt, wir werden jetzt zu
Wis-sensintegratorinnen, die neben den Bildin-formationen noch
andere Informationenund Daten mit hineinnehmen und damitnoch
stärker auf den medizinischen Ge-samtversorgungsprozess eines
Patientenschauen. Das hatten wir früher nicht so imBlick – mit dem
Stellen der Diagnose warder Auftrag erfüllt. Daraus leitet sich
jaauch der Begriff der Auftragsleistung ab.Davon haben wir uns
inzwischen wegent-wickelt hin zu einem umfassenderen An-spruch,
wirklich den ganzen Menschen undsein Wohlergehen zu betrachten.
Auch dablickt das Weißbuch sicherlich weit nachvorn und zeigt die
Radiologie als Innova-tionstreiber. Künstliche Intelligenz,
hybrideVerfahren, Präzisionsmedizin – Innovationgeht mit
Integration Hand in Hand.
Lohwasser: Da ist jetzt vieles in Bewegungund im Gespräch. Für
uns als DRG ist derDreiklang aus Wissensvermittlung, Kommu-nikation
und der Generierung neuen Wis-sens wichtig. Ich möchte da gern das
Ge-burtshaus von Wilhelm Conrad Röntgen inRemscheid-Lennep, das wir
nach Renovie-rung und Umbau als Ort der Begegnung wie-dereröffnet
haben, als Symbol nutzen. Hierfindet sich der Dreiklang wieder: Das
Erdge-schoss mit seiner Publikumsausstellungsteht für das
Vermitteln von Wissen. Im ers-ten Obergeschoss treffen wir uns und
tau-schen uns aus. Das steht für Kommunika-tion, da fallen
Entscheidungen, da wird
nachgedacht. Und im Dachgeschoss findetWissensgenerierung durch
Forscherinnenund Forscher statt, die dort für eine ZeitQuartier
beziehen. Da entsteht Neues, ent-stehen Innovationen, die dann im
erstenObergeschoss auch wieder ausgetauschtund abgeglichen werden.
Es gibt immer wie-der neue Impulse, sodass sich die
Radiologiefortwährend neu erfindet, neu erfindenmuss. Sie bleibt
nie stehen und bindet multi-professionell viele Menschen und
Gruppie-rungen ein. Das ist auch ein Sinnbild für dieRolle
innerhalb der Medizin insgesamt.
Schönberg: Das Weißbuch ist nicht nur einsichtbarer Ausdruck für
diese Multiprofes-sionalität, sondern auch für diesen
fortwäh-renden Veränderungsprozess. Wir sprechenja nicht von einem
Buch im klassischen Sinn,sondern von einem lebendigen Dokument.Das
kann Grundlage und Ausgangspunktsein für eine Begleitung und
Weiterentwick-lung der Themen und für einen gesellschaft-lichen
Dialog. Ich denke da besonders an diePolitik. Gerade mit Blick auf
die Themen unddas gesellschaftliche wie auch wirtschaftli-che
Potenzial, für das die Radiologie ja steht,wüsste ich dieses Buch
zum Beispiel auchgern auf dem Schreibtisch der Gesundheits-wie auch
Wirtschaftsministerinnen und -mi-nister auf Landes- und
Bundesebene.
Lohwasser: Lesenswert ist das Weißbuchauch für junge Menschen,
die vielleichtschon Medizin studieren oder sich geradeerst
beruflich orientieren. Oder Industrie-vertreter und Lobbyisten, die
nach den zu-künftigen Themen in der Medizin Ausschauhalten. Auch
Menschen, die der Radiologiegegenüber kritisch eingestellt sind,
sie viel-leicht nicht als klinisch vollwertiges Fachoder nur
kommerzgetrieben sehen, könnenihr Urteil mit den Inhalten des
Weißbuchsabgleichen.
Schönberg: Ich hoffe, dass wir da vielenoch gar nicht im Blick
haben, die dasWeißbuch auch lesen werden.
571Fortschr Röntgenstr 2019; 191: 570–577
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