[email protected] Gender Mainstreaming Gender Mainstreaming Beachtung unterschiedlicher Lebenswelten und Herstellung von gleichen Chancen auch für Männer Michael Kasten Stuttgart, Juni 2009
Apr 05, 2015
Gender MainstreamingGender MainstreamingBeachtung unterschiedlicher Lebenswelten und Herstellung
von gleichen Chancen auch für Männer
Michael Kasten
Stuttgart, Juni 2009
Rechtslage
Grundgesetz Artikel 3, Abs.2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz AGG Gleichstellungsgesetze der Länder SGB III, §§ 1, 8 und 8b, 11, 20 Beschäftigungspolitische Leitlinien der EU Hochschulrechtsänderungsgesetz §§ 4,5
Herstellung von Männlichkeit durch mangelnden Väterzugang
Einzige Bezugsperson ist die Mutter, Erweiterung des Bezugsfeldes um weitere Frauen
(Großmütter, Erzieherinnen; Lehrerinnen...), Realisierung des eigenen Geschlechts, Entwicklung einer Vorstellung von Männlichkeit,
Wenn ein differenzierter Zugang zu Männern fehlt: Unterdrückung des Weiblichen bzw. der für weiblich
gehaltenen Tugenden, Rückgriff auf Männlichkeitsklischees,
Medien (Kino, Video, Printmedien), Peer groups, Phantasien...
Herstellung von Männlichkeit durch Erziehung
Körperkontakt in Richtung Zärtlichkeit wird frühzeitig abtrainiert.
Gefühle von Schwäche, Traurigkeit, Nachgiebigkeit und Schmerz müssen früh kontrolliert oder unterdrückt werden.
Männlichkeit wird früh erkauft durch Verzicht auf Eigenschaften, die für weiblich gehalten werden.
Autarke Problemlösungen werden frühzeitig erwartet.
Das Ergebnis herkömmlicher Männlichkeit
Tradierte Männer getrauen sich nicht oder nur sehr zögerlich, aufgrund der Verhaltenserwartung an ihre männliche Rolle, ein Problem einzugestehen und um Hilfe zu bitten.
Manifeste Schwierigkeiten werden von tradierten Männern nicht eingeräumt, um nicht für schwach gehalten zu werden.
Tradierte Männer projizieren ihre Probleme auf andere, um die eigene Schwäche zu negieren.
Differenz zwischen rechtlicher und faktischer Gleichstellung
z.B.:
Bei Männern und Frauen mit Kindern zwischen 0-5 Jahren liegt die Beschäftigtenquote der Männer bei 90%, die der Frauen bei 49%.
Die Gesundheit von Frauen und Männern ist unterschiedlich verteilt.
Gewalterfahrungen bei Jungen werden bagatellisiert oder ganz verschwiegen, obwohl sie ebenso häufig davon betroffen sind wie Mädchen.
Computer“sucht“
Fixierung einer Mehrheit der Jungen zwischen 10 und 18 Jahren auf Computerspiele: Soziale Herausforderungen sind minimiert Männliche Attribute lassen sich unhinterfragt
ausleben Übernahme einer „ersehnten“ Rolle bei Online-
Spielen Möglichkeit starker Entscheidungen, Machtzuwachs,
Wehrhaftigkeit, Siegererfahrung.
Auffälligkeiten
Amok- und Exzesstaten ausschließlich oder fast ausschließlich männliche TäterKörperverletzungen 83% der Tatverdächtigen unter 21 Jahren sind Jungen 14 % weiblich unter 21 Jahre Koma- oder „Flatratesaufen“ überwiegend männliche JugendlicheAuffälligkeiten nach Elterneinschätzung 7,2 % männlich 5,4 % weiblichQuelle: Pierre van Wissen; Pubertät, eine „steinreiche“ Lebensphase; in:Soziale Arbeit 1/2009; S.16ff
Differenzen im Arbeitsleben
52,7 % der berufstätigen Frauen arbeiten bis zu 20 Wochenstunden (abhängig beschäftigt)
12,5 % der F. arbeiten Vollzeit 59,1 % der Männer arbeiten Vollzeit 14,0 % der M. arbeiten bis zu 20 Stunden 2/3tel der Teilzeitfrauen verdienen 700,00 €
weniger als TZ Männer.
Z.B.: Bildung und Arbeitsmarkt
2/3tel der Jugendlichen ohne Schulabschluss sind Jungen,
44% mit Abitur sind Jungen.
Die Schulnoten der Jungen sind insgesamt deutlich schlechter als die der Mädchen.
Die Arbeitsmarkt-chancen von Mädchen sind schlechter als die von Jungen.
80% mit Niedriglöhnen in Deutschland sind Frauen (EU=75%).
Arbeitsleben und tradierte Männlichkeit
Insbesondere patriachal geführte Betriebe erwarten von ihren Beschäftigten eine Form der Übererfüllung
Für Übererfüllung stellen die Betriebe imaterielle und materielle Gratifikationen bereit
Die Gratifikationen werden als Versprechen für eine erfolgreiche berufliche Biographie genommen
Tradierte Männlichkeit findet ihre Entsprechung in beruflicher Übererfüllung und dem weitgehenden Verzicht auf außerberufliche Interessen und Bedürfnisse
Tradierte Männlichkeit und Gesundheitskompetenzen
Die Verengung sozialer Kompetenzen durch Erziehung schmälert den Zugang zur eigenen Gesundheit, beschränkt den Aufbau sozialer Netze, die für den
Erhalt von Gesundheit unerlässlich sind. Die Suggestion eigener Stärke
verhindert die Wahrnehmung von Hilfebedarf, und macht doppelt hilflos, wenn der Hilfebedarf
unabdingbar ist.
Lebenserwartung und Befindlichkeit
2003 betrug die Lebenserwartung 81,6 Jahre für Frauen und 76 Jahre für Männer Die Geschlechterdifferenz hat sich in 13 Jahren
um 9 Monate verringert In den Entwicklungsländern beträgt die Differenz
etwa 4 Jahre bei insgesamt niedrigerer Lebenserwartung
Disposition
Offen ist die Erklärung der unterschiedlichen Lebenserwartung durch Abweichungen in der DNA-Sequenz
Ergiebiger sind derzeit Erklärungen bezüglich der hormonellen Differenzen Die Testosteronsteuerung bei Jungen/Männern Die Östrogen und Gestagensteuerung bei
Mädchen/Frauen Und der Differenzen durch eine
geschlechtsspezifische Sozialisation
Risikoverhalten und Sterblichkeit
Bei einigen Krankheitsgruppen kommen auf eine verstorbene Frau mehr als zwei Männer Verletzungen und Vergiftungen (2,5) Psychische Verhaltensstörungen, Gebrauch
psychtropischer Substanzen (2,3) Krankheiten des Atmungssystems (2,1) Erkrankungen des Verdauungssystems (1,7)
Gesundheitsbericht 2006
Suizidverhalten
2004 nahmen sich 7.939 Männer das Leben und 2794 Frauen Bei Männern ab 65 Jahren schnellt die Kurve
nach oben 2/3tel aller Suizidversuche entfallen auf
Frauen besonders die Altersgruppe der 15 – 24
jährigen Frauen ist offenbar davon betroffen Gesundheitsbericht 2006
Früherkennung bei Kleinkindern
Auswahl diagnostizierter Fälle im Rahmen derKrankheitsfrüherkennung
U3 bis U9 (4. - 6. Lebenswoche bis 60. Bis 64. Lebensmonat)
Krankheitsbilder und Störungen ♂ . ♀
Blutkrankheit 1,7 : 1Cerebrale Bewegungsstörungen 1,4 : 1Erkrankungen der Atmungsorgane 1,9 : 1Fehlbildungen/Erkrankungen der Nieren und Harnwege 2,1 : 1Fehlbildungen/Erkrankungen der Geschlechtsorgane 10,8 : 1Hüftgelenksanomalien 1: 2,4Intellektueller Minderentwicklung 1,6 : 1Störungen der emotionalen und sozialen Entwicklung 1,6 : 1Sprach- und Sprechstörungen 1,7 : 1motorische Entwicklungsstörungen 2,5 : 1
Die Verhältniszahlen ergeben sich aus dem Durchschnittswert der diagnostizierten Fälle pro 10.000 untersuchte Kinder aller angegebenen Untersuchungsstufen
Quelle: Kassenärztliche Bundesvereinigung Und Spitzenverbände der Krankenkassen (Hg); Gesetzliche Krankheitsfrüherkennungsmaßnahmen; Dokumentation der Ergebnisse; D`dorf 1999
Bewegungsradius von Jungen und Mädchen
Die Lebenssituation von Kindern hat sich erheblich geändert: Vor 20 Jahren hatten Kinder einen Spielradius von 20 Kilometern Inzwischen beschränkt sich der Entdeckungsraum auf 4
Kilometer, wesentlich in „pädagogischen Käfigen“ unter Aufsicht: Spielplätze, Kita`s, Hort, Schule, Sportplätze, Musikschule, Tanzschule etc. mit DIN-gemäßen Gerätschaften
Welche Folgen hat das für Jungen, wenn an sie tradierte Erwartungen gerichtet werden in Bezug auf Stärke, Souveränität und körperliche Fitness.
Welche Folgen hat das für Mädchen?
Normierter Alltag und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität)
1990 wurden 300.000 Tagesdosen des ADHS-Mittels Ritalin in Deutschland verschrieben
2007 waren es 45 Millionen tägliche Dosierungen! Offenbar sind Jungen besonders stark betroffen Kinder aus sozial schwachen Milieus und von
Alleinerziehenden sind überproportional betroffen In Migrantenfamilien ist der Anteil unterproportional
Süddeutsche Zeitung, 13./14.12.2008
Gesundheitsförderung und Prävention
Sucht
Ernährung
Bewegung
Stressbewältigung
Alkohol und Tabletten
Männeressen / Frauenessen
Muskelaufbau für Männer / Figurtraining für Frauen (Men´s Health: Starke Schultern in 60 Minuten, so gehen Sie an der richtigen Stelle in die Breite)
Der Übererfüller als besonders guter Mann / die stets verfügbare mehrfach belastete Frau.
Gesundheitsförderung und Erreichbarkeit
Frauen sind eher erreichbar für Maßnahmen der Gesundheitsförderung,
Männer verweigern sich eher. Je niedriger der soziale Status ist, desto
schwerer sind die Menschen erreichbar. Die Angebote zur Gesundheitsförderung
erreichen Männer mit niedrigem sozialen Status praktisch nicht.
Inanspruchnahme Allgemeinmedizin
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
00 - 9 10 - 19 20 - 29 30 - 39 40 - 49 50 - 59 60 - 69 70 - 79 80 - 89 90 ≤
Alltersgruppe
männlich
weiblich
Quelle: Rieder; Lohff; Gender Medizin; Wien 2008
Gesundheitliche Probleme und Arztkontakt
Männer suchen im Schnitt nach 14 Tagen ärztliche Hilfe, wenn sie gesundheitliche Probleme haben
Frauen suchen nach 3 Tagen ärztliche Hilfe auf
Quelle: M. Despeghel; Männer entdecken ihre Gesundheit; in Die BKK; 04, 2009
Beispiel unipolare Depression Frauen scheinen offenbar doppelt so häufig betroffen wie
Männer. Bei Männern gibt es allerdings eine zwei- bis dreifach erhöhte
Sterberate durch Suizid, Alkohol und Unfälle. Vermutlich erfasst das Diagnosesystem depressive
Erkrankungen bei Männern nur unzureichend. Häufiger als unter einer gedrückten Stimmung leiden Männer
unter Ärgerattacken, Reizbarkeit und Agressivität. Im angloamerikanischen Raum wird daher auch eine
männertypische Depression diskutiert. Eine wahrscheinliche Konsequenz ist ein reduziertes
psychotherapeutisches und psychiatrisches Hilfeangebot für Männer
Groß; Ch.; Gender Medizin – Medizin für Männer, Medizin für Frauen; www.aekno.de
Krankenbegleitung und Pflege
Zu beachten sind Unterschiedliche Symptomatiken, Unterschiedlicher Informationsbedarf, Unterschiede im Schmerzerleben, Unterschiedliches Verhältnis zu pflegerischen
Interventionen, z.B.: Körperpflege, Dauerkatheter, Mobilisationsbereitschaft.
Das Recht auf geschlechtsspezifische Pflege
Ein Gutachten im Auftrag des BM für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Igl), stellt klar, dass Pflegebedürftige ein Recht auf eine geschlechtersensible Pflege haben. Auslöser waren die Beschwerden behinderter
Frauen auf fehlende Sensibilität bei der Pflege, insbesondere bei der Intimpflege.
Heute sind die Frauen in der pflegerischen Versorgung, die z.B. als junge Menschen häufig Gewalterfahrungen im Krieg oder zum Kriegsende hinnehmen mussten.
Aktivierungs- u. Freizeitangebote in der Altenpflege
In der Regel an weiblichen Interessen und Erfahrungen orientiert: Basteln, Tanzen, Seidenmalerei, Zubereitung von Mahlzeiten, Backen, Bestimmte Filmangebote.
Gleichstellung bedeutet für Frauen
Eine verbesserte Balance zwischen Erwerbsarbeit und Familienarbeit und oder andere Interessen.
Verbesserte Chancen auf Führungspositionen.
Ungleichheiten bei Status, Einkommen und Altersbezügen auszugleichen.
Die vielfältigen Neigungen und Fähigkeiten besser kennen zu lernen und ausleben zu können.
Männer Intensivere Kontakte zu
Familie und Kindern. In Führungspositionen, zu
ihrem Anspruch als Übererfüller (Einsatz von Zeit, Emotion und Kraft) Distanz zu gewinnen und damit ihre Gesundheit zu stärken.
Ihre übrigen Interessen ausleben zu können.
Einen harmonischeren Übergang in den Ruhestand zu organisieren.
Gleichstellung bedeutet für Töchter
Ein differenziertes Vaterbild zu bekommen und sich nicht immer um einen abwesenden oder erschöpften Vater bemühen zu müssen
Zu Männern auf Augenhöhe Beziehungen eingehen zu können
Ein realitätsgerechtes Bild der Mutter zu bekommen und Kompetenzen als weiblich wahrzunehmen, die überwiegend männlich konnotiert sind
Ein befreites Bild von Weiblichkeit entwickeln zu können
Söhne Distanz zum tradierten
Männerbild zu bekommen, weil sie jetzt ihren Vater differenzierter und vielfältiger wahrnehmen, mal schwach, mal stark, fröhlich, traurig, souverän usw.
Eine realitätstaugliche Idee von Männlichkeit zu entwickeln
Frauen als kompetent über Familie und Haushalt hinaus wahrzunehmen, nicht nur als Mutterfiguren
Frauen als Partnerinnen und nicht als Objekte wahrnehmen zu können
Und zum Schluss:
G.B. Shaw: „Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt ist meine Schneiderin, die nimmt jedes mal neu Maß, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen, in der Meinung, sie passten heute noch.