Seite 1 von 45 Wahlthema: Das Ende der Metropole? Forschungsfrage: Wie ist es möglich, dass der Begriff der Metropole scheinbar seinen Stellenwert für die stadt-soziologische Theoriearbeit verliert? Abstract: Ein Vorschlag den Metropolenbegriff gesellschaftstheoretisch wiederzubeleben und seine soziologische Erklärungsleistung zu verbessern Autor: Lutz Ebeling Prüfungsrelevante S3-Reader: 1) „Stadtsoziologie. Eine Einführung“ (Häußermann/Siebel 2014) 2) „Metropolen im Vergleich“ (Häußermann 2014) Ausarbeitung 1 und Exposé zur mündlichen Prüfung Stand: 24.09.2014 zur mündlichen Prüfung am Mi. 24.09.2014 Note: 1,3 (mündliche Prüfung gesamt 1,7) 2 FernUniversität in Hagen Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften (KSW) Studiengang "B.A. Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaft, Soziologie" Modul S3 Stadtsoziologie Prüfer: apl. Prof. Dr. Dr. h.c. Lothar Bertels Kopie des Exposés an: Johannes Krahforst 1 Die hier vorliegende Ausarbeitung wurde vom Autor persönlich an Professor Bertels nach der Prüfung ausgehändigt. Das Exposé – welches hier integriert wurde (siehe Einleitung) – wurde bereits im Juni 2014 verschickt. (Bemerkung ist nicht autorisiert). 2 Die hier vorliegende Arbeit wurde besser bewertet als der abschließende mündliche Fragenteil, der hier nicht Bestandteil der Arbeit ist. Die Gesamtnote von 1,7 setzt sich zusammen aus beiden Teilen. Deswe- gen wurde für die Arbeit 1,3 angenommen. (Bemerkung ist nicht autorisiert).
45
Embed
Metropole und ihre gesellschaftstheoretische Wiederbelebung mit Luhmann (2014)
This document is posted to help you gain knowledge. Please leave a comment to let me know what you think about it! Share it to your friends and learn new things together.
Transcript
Seite 1 von 45
Wahlthema: Das Ende der Metropole?
Forschungsfrage: Wie ist es möglich, dass der Begriff der
Metropole scheinbar seinen Stellenwert für
die stadt-soziologische Theoriearbeit verliert?
Abstract: Ein Vorschlag den Metropolenbegriff
gesellschaftstheoretisch wiederzubeleben und seine
soziologische Erklärungsleistung zu verbessern
Autor: Lutz Ebeling
Prüfungsrelevante S3-Reader:
1) „Stadtsoziologie. Eine Einführung“ (Häußermann/Siebel 2014)
2) „Metropolen im Vergleich“ (Häußermann 2014)
Ausarbeitung1 und Exposé zur mündlichen Prüfung
Stand: 24.09.2014
zur mündlichen Prüfung am Mi. 24.09.2014
Note: 1,3 (mündliche Prüfung gesamt 1,7)2
FernUniversität in Hagen
Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften (KSW)
Studiengang "B.A. Politikwissenschaft,
Verwaltungswissenschaft, Soziologie"
Modul S3 Stadtsoziologie
Prüfer: apl. Prof. Dr. Dr. h.c. Lothar Bertels
Kopie des Exposés an: Johannes Krahforst
1Die hier vorliegende Ausarbeitung wurde vom Autor persönlich an Professor Bertels nach der Prüfung
ausgehändigt. Das Exposé – welches hier integriert wurde (siehe Einleitung) – wurde bereits im Juni 2014
verschickt. (Bemerkung ist nicht autorisiert). 2Die hier vorliegende Arbeit wurde besser bewertet als der abschließende mündliche Fragenteil, der hier
nicht Bestandteil der Arbeit ist. Die Gesamtnote von 1,7 setzt sich zusammen aus beiden Teilen. Deswe-
gen wurde für die Arbeit 1,3 angenommen. (Bemerkung ist nicht autorisiert).
(Sassen 2001: Buchtitel). Beispielsweise verwendet Weltstadt bei der Charak-
terisierung von London nahezu synonym zu Metropole im gleichen Absatz:
„London als Metropole […]“ und „der Weltstadt London“ (Heineberg 2006:
29). Auch hier scheint Welt in dem Begriff der Weltstadt als mythologische
Zuschreibung zu einer globalisierten „Weltgesellschaft“ (Luhmann 1997: 145)
ähnlich gebraucht zu werden, wie bereits der o.g. Mythos bei dem Begriff der
3 So an der A3 von Düsseldorf in Richtung Duisburg, aber auch in der Nähe von Dortmund aus Richtung
Hannover: „Metropole Ruhr: Kultur, Industrie, Landschaft“ (Metropoleruhr 2014b). Man beachte die
mythologische Zuschreibung Landschaft, was immer diese mit einer sehr großen Stadt oder dem Städte-
netz zu tun hat. Vermutlich geht es um Suburbanismus (vgl. Häußermann/Siebel 2014: 72 ff.), was wiede-
rum die These der funktionalen Differenzierung von Metropolen erhärten würde, sofern man Familie als
Funktionssystem annimmt, und somit den Wunsch der Familien als „Traum von der Idylle im Grünen“
(Häußermann/Siebel 2014: 72) nachvollzieht. 4Stichweh diskutiert die Verwandtschaft des Begriffs der Region mit der Unterscheidung Zent-
rum/Peripherie (vgl. Stichweh 2000: 198 ff.); siehe auch „Regionalisierung“ (Luhmann 1997: 806). 5Die spezielle Anwendung des Begriffs Region auf Metropole soll in der vorliegenden Arbeit nicht weiter
untersucht werden, gleichwohl Erkenntnisse daraus als argumentative Stütze in der vorliegenden Arbeiten
einflossen, siehe beispielsweise: „Metropolregionen statt Metropolen – Der Zugang zur Raumordnung“
(Aring 2009: 14). 6Gleichwohl wird Metropole im Text verwendet, beispielsweise vgl. Häußermann 2000: 14, 50, 67, 89. 7Auch wurde in der dritten Auflage 2006 gegenüber der zweiten Auflage 1989 das Kapitel „Metropolen
im Globalisierungsprozess“ (Heineberg 2006 [1989]: 337) neu aufgenommen.
Seite 8 von 45
Metropole8. Dies geschieht jedoch offenbar ohne zu fragen, warum eigentlich
diese Ersatzformulierungen statt des Metropolenbegriffs genutzt werden? Die-
se Varianten scheinen aus soziologischer Perspektive insofern unbefriedigend,
dass man vielleicht den Metropolenbegriff leichtfertigt aufgibt? Betrachtet man
eine Städte-Agglomeration in Form von Städtenetzen, bei denen man von einer
Metropolregion spricht, so scheint der Begriff der Metropole soziologisch nicht
mehr herzugeben als die bereits o.g. Beschreibung eines Mythos oder der kul-
turellen Aufladung einer sehr großen Stadt. D.h. ihr wird zwar von außen in
einer Art hierarchischen Unterscheidung von Zentrum und Peripherie (Luh-
mann 1997: 156 f.) eine überhöhte Bedeutung (als Zentrum) gegenüber einer
Peripherie zugeschrieben. Jedoch soziologisch scheint der Begriff der Metro-
pole dadurch kaum mehr soziale Phänomene beschreiben zu können, als wenn
man von einer sehr großen Stadt spricht. Denn auch Mythen haben ihre Gren-
zen (vgl. Fuchs/Moltmann 1995: 15), was die soziologische Erklärungsleistung
angeht.
Insofern ist zu konzedieren, dass es sich hier um einen schwierigen Begriff
handelt (vgl. Häußermann 2014: 7). Aber warum ist er schwierig? Was beo-
bachtet der Begriff eines Städtenetzes oder Weltstadt mehr als eine Metropole?
Ist dies das Ende der Metropole? Somit scheint der Metropolenbegriff offenbar
seinen Stellenwert für die stadt-soziologische Theoriearbeit zu verlieren. Es
sollte somit gefragt werden: Wie ist es möglich, dass der Begriff der Metropole
scheinbar seinen Stellenwert für die stadt-soziologische Theoriearbeit verliert?
2.2 Was steckt dahinter? Forschungsfrage, Antwort/These
2.2.1 Überblick
Offenbar weiß man nicht, was man mit dem Begriff der Metropole in der so-
ziologischen Theoriebildung weiter anfangen soll, wenn man diesen Bedeu-
tungsverlust des Metropolenbegriffs beobachtet oder Alternativen genutzt wer-
den? Was steckt dahinter? Ist es die angedeutete „Funktion von Metropolen-
Vorstellungen“ (Häußermann 2014: 105) - was immer eine Funktion ist? Oder
verbirgt sich soziologisch vielleicht mehr in der Semantik der Metropole? (Ge-
nauere Definitionen relevanter Begriffe folgen in Kapitel zwei). Wie ist es
8Auch Globalisierung als Teil der Global City könnte als Zuschreibung zu Welt näher untersucht werden.
Wegen der hinter Global City steckenden problematischen These (vgl. Häußermann 2000: 88 f., Häußer-
mann 2014: 83 f.) soll dies hier nicht erfolgen. Siehe auch „Globalisierung und Regionalisierung“ (Luh-
mann 1997: 806).
Seite 9 von 45
möglich, dass doch offenbar ein relativ eindeutiger Begriff wie Metropole bei
der Charakterisierung sehr großer Städte mit internationaler Aufmerksamkeit
(vgl. Häußermann 2014: 104) oder dem Mythos einer Weltstadt wie New
York9 an Bedeutung für die soziologische Begriffsarbeit verliert? Kann es sein,
dass neben der angedeuteten Funktion oder der regionalen Betrachtung ein
theoretisches Defizit dahinter steckt? Wer mag leugnen, dass Bombay,
Kapstadt oder Rio de Janeiro eine Metropole ist (ohne darüber nachzudenken,
wieviel Einwohner diese Städte haben), wenn man an die größte Demokratie
der Welt mit vielen Indern, dem Freiheitskampf von Nelson Mandela bzw. an
die Fußballweltmeisterschaft von 2014 in Brasilien denkt? Anders gefragt: Wie
ist es möglich, dass der Begriff der Metropole trotzdem seinen Stellenwert für
die soziologische Theoriearbeit verliert?
In der vorliegenden Arbeit wird die These aufgestellt, dass die Autoren zu
wenig den Zusammenhang von „Stadt und Gesellschaft“ (Schmals 1983: Buch-
titel) oder die gesellschaftliche Bedingtheit stadtsoziologischer Erscheinungs-
formen in Metropolen im Rahmen neuerer Gesellschaftstheorien thematisie-
ren10
. Einerseits sind in der Stadtsoziologie Ansätze zu finden: Simmels „Funk-
tionalisierung des Soziallebens“ (Häußermann/Siebel 2014: 35), Tönnies Diffe-
renz von „Gemeinschaft und Gesellschaft“ (Bertels 1990a: 19, Tönnies 1983,
Untersuchungen der urbanen Gesellschaft (vgl. Schmid 2005: 113 ff.), eine
„gesellschaftliche Konstruktion der Postmoderne als metropolitane Gesell-
schaft“ (Bukow 2001: 25), dem Konzept der urbanen Regime (vgl. Rudolph et
al. 2005: 17) oder die Einordnung in die marxistische Gesellschaftstheorie (vgl.
Schmals 1983: passim, Häußermann/Siebels 2014: 90 ff.), beispielsweise unter
dem Namen „New Urban Sociology“ (Häußermann/Siebel 2014: 122). Auch
zielt Bahrdt (1983) in die Richtung der „Vergesellschaftung“ (Bahrdt 1983: 58)
9Der Autor selbst erlag diesem Mythos, da er sich beim dritten Besuch frug, was denn die Stadt New
York nun wirklich gegenüber einer Stadt wie Frankfurt hergibt, außer der schieren Größe? Ist es in New
York vielleicht schlicht der Mythos der Freiheit symbolisiert durch die fackeltragende Freiheitsstatue, die
nicht nur den nahrungssuchenden Irländern den Weg leuchtet(e)? Weiter beobachtete der Autor bei Besu-
chen von Metropolen: Hat nicht die Deutsche Bank in Frankfurt abends beeindruckend erleuchtet (im
Jahre 2013) einen ähnlichen Mythos wie der Pycadilly Circus in London, der im Jahr 2014 zudem nichts-
sagend eingepackt daherkam? Mag in Berlin der Alex nicht frustrierend leer aussehend, wenn man abends
glaubt dort sei ‚viel los‘ (so im Sommer 2013)? Was ist der Mythos der Champs-Elysée, wenn man
schweißtreibend 1-2 km dort entlang geht oder vor dem schlicht aussehenden Moulin Rouge steht (2010)?
‚Tanzt der (Berliner?) Bär‘ nicht genauso abends in Hamburg an der Reeper Bahn wie in Düsseldorf in
der Altstadt (zuletzt erstaunlich zu beobachten mitten in der Woche am Mittwoch 04-Jun-2014])? 10Eine vollständige Literaturrecherche alle stadtsoziologischen Literatur inclusive nicht-
deutschsprachlicher Literatur zum Thema Gesellschaft und ihr Einfluss auf die Stadt(soziologie) konnte
aufgrund des vorgegebenen Rahmens für eine mündliche Prüfung nicht vorgenommen werden.
Seite 10 von 45
u.a. durch die Simmel-Unterscheidung Privat/Öffentlich und einer Orientierung
an der ökonomischen Theorie wie dem „Markt“ (Bahrdt 1983: 58) – weniger
an einer expliziten Gesellschaftstheorie. Andererseits, wenn es konkret um den
Metropolenbegriff geht, scheint diese gesellschaftstheoretische Einordnung
weniger erörtert zu werden. Oder es wird nur die „Einbettung in umfassende
gesellschaftliche und ökonomische Verhältnisse […] eines internationalen Ka-
pitalismus“ (Korff 1991: 359) diskutiert, aber Kapitalismus als eine ökonomi-
sche Form kann nicht als umfassende Gesellschaftstheorie begriffen werden.
Auch Metropole als modernen Begriff mit der Postmoderne zu assoziieren
(vgl. Petz/Schmals 1992: 3) kann nicht als theoretische Fundierung interpretiert
werden, sondern als Zeitdiagnose „allenfalls mit Bezug auf die Selbstbeschrei-
bung des Gesellschaftssystems“ (Luhmann 1997: 1143).
Im Folgenden wird deswegen vorgeschlagen, dass neben den u.a. o.g. auf
Städte bezogenen Gesellschaftstheorien/-konzepten von Simmel, Tönnies, Eli-
as (vgl. Bertels 1997: 11), Weber oder Marx/Engels die neuere Theorie der
Differenzierung der Gesellschaft einzubeziehen (vgl. Schimank 2009, Luh-
mann 1997) um damit den Metropolenbegriff mehr Erklärungspotential zur
Verfügung zu stellen und dadurch dem diagnostizierten Bedeutungsverlust
entgegenzuwirken. Es wird sich auf zwei Differenzierungsformen beschränkt:
(1) Der Zentrum/Peripherie-Differenzierung (vgl. Luhmann 1997: 663 ff.) wie
beispielsweise Stadt/Land und (2) insbesondere der funktionalen Differenzie-
rung (vgl. Luhmann 1997: 743 ff.), welche Gesellschaft in verschiedene Funk-
tionen wie Ökonomie, Politik, Kunst, Sport, Massenmedien oder Gesundheit
differenziert11
. (Eine genauere Erläuterung dieser Theorie erfolgt in Kapitel
zwei). Grund sich auf diese beiden der vier Formen der Differenzierung zu
beschränken ist, dass die (3) stratifizierte, also auf Schichten basierende Diffe-
renzierung bereits bei Marx/Engels Berücksichtigung findet und die (4) seg-
mentäre Differenzierung zwar im Bereich des Suburbanismus oder Ghettoisie-
rung nutzbar sein könnte, jedoch nicht Thema der vorliegenden Arbeit darstellt.
Bei Schimank (vgl. 2009) und Luhmann (vgl. 1997: 595 ff.) lässt sich wie be-
reits bei Durkheim (vgl. 1992 [1930]) eine (funktionale) Differenzierung und
Arbeitsteilung der Gesellschaft nachlesen. D.h. diese Theorie hat theorie-
historisch weit zurückliegende Wurzeln, was die Überlegung stärkt diesen As-
11Für einen Überblick siehe „Formen der Systemdifferenzierung“ (Luhmann 1997: 609).
Seite 11 von 45
pekt mit in den Metropolenbegriff aufzunehmen, da auch der Metropolenbe-
griff eine lange Historie hat, beispielsweise als ‚Mutterstadt“ im alten Grie-
chenland. Zudem wird Differenzierung in stadtsoziologischen Veröffentli-
chungen bereits thematisiert: Beispielsweise ob „Stadt [eine] Verdichtung
funktionaler Differenzierung“ (Löw 2002a: 9) sei; ob „das Terrain der Zentrali-
tät in sich differenziert ist“ (Sassen 1995: 176). Oder man fragt nach den „Mü-
hen der Differenzierung“ (Häußermann/Siebel 2002: 29) im Rahmen
„[r]esidentieller Segregation“ (Löw 2002b: 28).
2.2.2 Abgrenzung, Zusammenfassung
Die gesellschaftstheoretische Dimension des Metropolenbegriffs zu stärken,
schließt nicht aus, sondern ergänzt die stadtsoziologische Dimension des
„räumlich-sozialen Nahbereich[s]“ oder „daß Lebensgeschichte der Bewohner
und Ortsentwicklung auf eine besondere Weise miteinander verbunden sind“
(Bertels 1990a: 112 f.), da „soziale Kontakte über den Raum […] gesteuert
werden, in dem Interaktions- und Kommunikationschancen eröffnet oder ver-
schlossen, gefördert oder behindert werden“ (Bertels 1990a: 111). Auch „Le-
benslaufspezifische Aspekte“ in einer „räumlich […] vorstrukturierte[n] Um-
welt“ (Bertels 1990b: 204) sollen dadurch nicht ausgeschlossen werden. Des-
gleichen Themen wie Migration, Vernetzung eines individuellen Lebensweges
oder eines familialen Lebenszusammenhanges lassen sich möglichweise mit
der Pluralität der Funktionskontexte über Inklusion/Exklusion in Verbindung
binden (vgl. Stichweh 2002: 9)12
. Vielleicht lässt sich so der „Welt-Raum[…]
des konkret von den Subjekten […] erfahrenen Raumes […] [in] Bezug zur
alltäglichen Erfahrung der Globalisierung“ vollziehen (Noller 1999: 179). Man
denke an die lebensweltliche Aspekte des Familienlebens und die Möglichkei-
ten der Erholung in Parks wie den Tiergarten in Berlin oder den Central Park in
New York als räumliche Bedingungen aber auch als funktionale Erfordernisse.
Dagegen ließen sich Kommunikationschancen im Nahbereich möglicherweise
über Interaktionssysteme der Luhmann‘schen Theorie genauer untersuchen
(vgl. Luhmann 1997: 813 ff.). Dies ist jedoch nicht Thema der vorliegenden
Arbeit. Dagegen geht es in der hier betrachteten Gesellschafts-Dimension abs-
trakter um die „Bedeutung […][der] Symbolisierung von gesellschaftlichen
12Held analysiert dabei: „Der Ausschlußmechanismus mußte sich vom Einschlußmechanismus der räum-
lichen Verdichtung trennen“ (Held 2005: 367).
Seite 12 von 45
Prozessen durch das materielle Substrat Raum“ (Herlyn et al. 1982: 21 f., zit.
in Bertels 1990a: 111). „Diese ‚präsentative Symbolbildung‘ besagt, daß sie
und weniger die räumliche Nachbarschaft eine Integrationsleistung darstellt“
(Bertels 1990a: 111), was dem oben genannten Mythos im Rahmen der Zent-
rum/Peripherie-Differenzierung entspricht.
2.2.3 Zusammenfassung, Kapitelüberblick
Zusammengefasst: Die Forschungsfrage des Bedeutungsverlustes des
Metropolenbegriffs soll mittels der These der mangelnden
gesellschaftstheoretischen Betrachtung beantwortet werden. Nimmt man diese
These ernst und wendet Gesellschaftstheorie auf Metropole an, ergibt sich
neben der Stärkung des Metropolenbegriffs eine verbesserte soziologische
Erklärungsleistung. Dies wird im folgenden Kapitel genauer erläutert werden,
wobei zuerst die dafür notwendigen zugrundeliegenden Begriffe
(Differenzierungstheorie, Metropole) ausgearbeitet werden müssen, um die
Plausibilisierung und Begründung der Hypothese verständlicher herausarbeiten
zu können. In Abschusskapitel drei wird ein Fazit gezogen.
en/Selbstbeschreibung (vgl. Roth 2013: 17), ergänzt eventuell um Familie-
Intimsystem/Reproduktion (vgl. Roth 2013: 9) und Tourismus/Erholung (vgl.
Roth 2013: 5) , welcher für den hier vorliegenden Kontext als „Städtetouris-
mus“ (Pott 2007: 13) interessant sein könnte, auch wenn Familie und Touris-
mus vielleicht keine Funktionssysteme im strengen analytischen Sinne sind
(vgl. Roth 2013, Pott 2007). Zumindest deuten sie auch auf die Ausdifferenzie-
rung der Gesellschaft hin. Auch "Soziale Arbeit als Funktionssystem der Ge-
sellschaft" (Mass 1974) ist ein möglicher Kandidat der Liste.
Mit funktionaler Differenzierung lassen sich somit auch Aussagen wie die
folgende erklären: „Mehrere Großstädte in Deutschland haben inzwischen so
etwas wie ein ‚Charta der Vielfalt‘ verabschiedet, in der urbane Diversitätspoli-
tik […] gefeiert wird“ (Häußermann 2014: 121). Die „Diversitäts-Semantik“
(Häußermann 2014: 121) ist nicht weit von funktionaler Ausdifferenzierung
oder Spezialisierung weg.
3.1.1.2 Zum Erklärungspotential funktionaler Differenzierung
Betrachtet man die obige Liste der Funktionssysteme und vergleicht diese mit
Definitionen von Metropolen, dass sie z.B. „Mittelpunkt des politischen, öko-
nomischen und kulturellen Lebens eines Lande sein [muss]“ (Häußermann
2014. 11), dann zeigt sich, dass die Kategorisierung poli-
tisch/ökonomisch/kulturell nur einen begrenzten Ausschnitt in den Blick
nimmt. „Kulturell“ erscheint hier so in etwas wie eine Rest oder Residualkate-
gorie, da doch mehr Dimensionen wie beispielsweise Kunst, Religion oder
Sport gemäß der funktionalen Differenzierung betrachtet werden müssten
(mehr dazu folgt in Kapitel 2.2.2.5). Betrachtet man diese Menge an Differen-
zierungen lässt sich „Stadt als Differenzmaschine“ (Stichweh 2012: 22) oder
„Raum als Modus von Differenz“ (Held 2005: 366) bezeichnen. Denn „[a]lle
Unterschiede, die es […] in der Weltgesellschaft überhaupt gibt, können in der
Stadt wieder vorkommen“ (Stichweh 2012: 22). Daraus ließe sich thesenhaft
ein Definitionsmerkmal von Metropole formulieren: Kommen alle funktiona-
len Differenzierung in einer großen Stadt in einem besonders hohen Grad an
Seite 15 von 45
Spezialisierung und zugleich weltweiter Verbundenheit vor, könnte man dies
zusätzlich als Eigenschaft von Metropolen definieren. Zusätzlich heißt, dass
der Mythos einer Metropole über eine Zentrum/Peripherie-Differenzierung
erklärt wird, wie im folgenden Kapitel dargestellt wird.
3.1.2 Zentrum/Peripherie-Differenzierung
3.1.2.1 Zur Definition
Bei der „Differenzierung nach Zentrum und Peripherie […] wird ein Fall von
Ungleichheit zugelassen“ (Luhmann 1997: 613, Hervorh. i. Ori.). Es existiert
nicht nur eine Differenz zwischen zwei ungleichen Einheiten, sondern es ist
auch eine Orientierung an der Differenz erforderlich (vgl. König 2012: 66),
oder wenn „strukturelle Eigentümlichkeiten in Zentren bedingt sind durch die
Aufrechterhaltung einer Differenz von Zentrum und Peripherie“ (Luhmann
1997: 664). Im Zentrum läuft die Kommunikation verdichtet ab. Dadurch wird
die Differenz sichtbar und restabilisiert sie in Form eines zirkulären Prozess;
verstärkt somit den Unterschied (vgl. König 2012: 66 f.). Eine Zent-
rum/Peripherie-Differenzierung wird klassisch als "Stadt/Land-Unterschied"
(Luhmann 1997: 165) genutzt. Da dies für jede Stadt gilt und somit auch für
die Metropole, wird diese konkrete empirische Unterscheidung Stadt/Land im
Rahmen der vorliegenden Arbeit des Metropolenbegriffs nicht weiter unter-
sucht.
Seite 16 von 45
3.1.2.2 Zum Erklärungspotential zirkulärer, mythologischer Strukturen
Das zirkuläre, restabilisierende Erklärungspotential zeigt sich, wenn der My-
thos einer Metropole immer wieder thematisiert wird, wie beispielsweise bei
„Berlin“ in wissenschaftlichen Abhandlungen (Krätke/Borst 2000: Buchtitel,
Häußermann 2014: 86) oder in journalistischen Artikeln: „Berlin. Das Ge-
heimnis der coolen Metropole“ (Weber 2014: Titelseite). D.h. um „[sich] von
den vielen anderen […] [zu] unterscheiden, […] muss [man] sich also ständig
etwas Neues ausdenken“ (Häußermann 2014: 119); so geschehen mittels Wer-
beschilder: Zunächst „Ruhrgebiet“ (Metropoleruhr 2014a), dann „Metropole
Ruhr“ (Metropoleruhr 2014b) als „Marketing-Konzept“ (Zohlen 1995: 31).
Region wird um den Begriff der Metropole ergänzt, um der Region eine my-
thologische Zuschreibung zu geben, selbst wenn die Region im europäischen
Maßstab bei den Firmensitzen der 500 größten Produktionsunternehmen direkt
hinter London und Paris rangiert (vgl. Blotevogel 1998: 77).
3.2 Der Begriff der Metropole und Differenzierung, Beispiele
3.2.1 Vorüberlegung
Wenn in Folgenden der Begriff der Metropole genauer untersucht wird, ist es
hilfreich zwei Aspekte als Kontrastfolie zu nutzen: Ersten die hier forschungs-
leitende These, dass eben nicht von einem Ende der Metropole gesprochen
werden braucht, wenn Differenzierung hinzugenommen wird. Zweitens stellt
sich implizit die Frage, inwieweit von funktionaler Differenzierung gegenüber
einer Differenzierung nach „Zentrum und Peripherie“ (Luhmann 1997: 663)
für die Metropole gesprochen werden kann. Oder genauer: Was erklären diese
beiden Differenzierungsformen soziologisch und in welchem Verhältnis stehen
sie dabei zueinander, wenn man die Dimensionen der Metropole analysiert?
Des Weiteren sollen im Folgenden Metropolen in modernen industrialisier-
ten Ländern betrachtet werden: „London, Paris, Tokio, New York Berlin“
(Häußermann 2014: Untertitel), da man zum einen davon ausgehen kann, dass
dort die funktionale Differenzierung am Weitesten fortgeschritten ist, vergli-
chen beispielweise mit der klassischen Zentrum-Peripherie einer „Mutterstadt“
(Heineberg 2006: 28) bei den Griechen oder in Schwellenländern. Zum ande-
ren handelt es bei den genannten Metropolen um diejenigen, die in einem der
beiden gewählten Reader des stadtsoziologischen Moduls S3 vorkommen -
dem Kontext der vorliegenden Arbeit.
Seite 17 von 45
3.2.2 Die Dimensionen des Begriffs Metropole mit Differenzierung
Bei der analytischen Betrachtung von Metropolen lassen sich verschiedene
Dimensionen oder „Mehrfachkodierungen“ unterscheiden, deren Ursache als
eine „[Überlagerung] von historisch gewordenen Bedeutungen“ (Häußermann
2014: 6) identifiziert werden. Im Folgenden soll verschiedene Dimensionen
genauer betrachtet und mit der funktionalen und Zentrum/Peripherie-
Differenzierung verglichen werden, um so das Erklärungspotential herauszuar-
beiten.
3.2.2.1 Mythos, Reproduktion der Differenz Zentrum/Peripherie
Durch die Verwendung des Begriffs Metropole für eine Stadt soll ihr ein My-
thos zuwachsen (vgl. Häußermann 2014: 6), wie bereits in Kapitel eins der
vorliegenden Arbeit angedeutet wurde. Mythos wird hier verstanden als „trans-
formierte Erscheinungsform“ (Fuchs-Heinritz et al. 1994: 457), aber auch im
Hinblick die Zentrum/Peripherie-Differenzierung "als Zentralität, Vorreiter-
schaft und Kosmopolität" (Aring 2009: 13). Wobei es in der vorliegenden Ar-
beit keine Rolle spielen soll, ob der Mythos durch die schiere Größe13
wie
„Tokio [als] größte Stadt der Welt“ (Häußermann 2014: 60)14
messbar ist oder
sich „Selbstinszenierung niederschlagen kann“ (Aring 2009: 13). „[W]enn von
Metropole die Rede ist, [ist] etwas Höheres, etwas Größeres, etwas Bedeuten-
deres gemeint – ein Ort, von dem eine nicht genau bestimmbare Wirkung auf
andere Orte ausgeht“ (Häußermann 2014: 6). „Der Mythos der Metropole ist
ein Gemenge-Mythos, wie den des Dandys, des Flaneurs […], des Caféhauses,
in dem sich die intellektuelle Elite […] trifft“ (Kiecol 1999: 6 f.). Das ent-
spricht weitgehende der Definition der Zentrum-/Peripherie-Differenzierung
bei Luhmann, einem „Fall von Ungleichheit“ (Luhmann 1997: 613, kursiv i.
Ori.), „hierarchisch und […] eine Rangordnung“ (Luhmann 1997: 156 f.), d.h.
„wenn strukturelle Eigentümlichkeiten in Zentren bedingt sind durch die Auf-
rechterhaltung einer Differenz von Zentrum und Peripherie“ (Luhmann 1997:
665). „Typisch kommt es zu eine[m] zentralen Bereich, in dem die Kommuni-
kation verdichtet abläuft“ und dadurch dieses Zentrum „von einem peripheren
13Mehr zur soziologischen Bedeutung von Größe siehe Kapitel 2.5. 14Man beachte, dass bis auf Berlin die größten Städte der Welt als Metropole bezeichnet werden (vgl.
Häußermann <todo wo ist die Größentabelle?>). Wie später soziologisch erläutert werden soll, ist auch
Größe nicht nur ein Zuschreibung für sich, sondern hängt vermutlich auch mit der Anzahl der Menschnen
zusammen, die durch die Menge an Kommunikationen den Namne der Metorpole immer wieder nicht nur
in die Massenmedien einbringen.
Seite 18 von 45
Bereich trennt“ (König 2012: 66 f.). „Es handelt sich um einen zirkulären Pro-
zess: Anfangs eher geringe Unterschiede […] in der Art der Kontakte ergeben
im Zentrum einen größeren Spielraum für Auswahl […] und Zuschnitt der
Kommunikation, und dies wirkt seinerseits auf die Verstärkung des Unter-
schieds […] hin“ (König 2012: 66 f.)15
. Man könnte die These formulieren,
dass es genau dieser Mythos einer Stadt ist, der in dieser Art der Kontakte und
dem Zuschnitt der Kommunikation zu finden ist. Kiecol beobachtet das gleiche
zirkuläre Phänomen aus einer eher empirischen Ebene, dass „[d]iese kleineren
Mythen immer eine doppelte Funktion [erfüllen]: zum einen sind sie geboren
aus dem großen Mythos Metropole, zum andern konstituierten sie ihn erst, be-
lebten ihn und hielten ihn bis heute am Leben“ (Kiecol 1999: 7). Man kann
zusammenfassend festhalten, dass die Zentrum-/Peripherie-Differenzierung der
Gesellschaftstheorie Luhmanns dieses soziale Zuschreibungsphänomens des
Mythos einer Metropole erklärt. Das schließt die zirkulären selbstreferentiellen
Grundlagen der Theorie ein; wohlgemerkt immer unter der Voraussetzung,
dass man diese Gesellschaftstheorie als Teil des Explanans akzeptiert. Die
oben genannte Reproduktion und Restabilisierung der Differenz von Zentrum
in Form eines zirkulären Prozess ist hierbei wichtig um den Mythos der Metro-
pole zu erhalten oder zu stärken wie in der bereits genannten Formulierungen
„Berlin. Das Geheimnis der coolen Metropole“ (Weber 2014) oder in der
2009: 13) oder kurz dem Mythos des Zentrum gegenüber der Peripherie. D.h.
innerhalb eines gegebenen Kontextes oder Systemreferenz (es muss keine sehr
große Stadt sein), kann weiterhin von Metropole gesprochen werden.
3.2.3.4 Diskussion der Anwendungsbeispiele
Die Idee ist eine Erweiterung der Analyse der mythologischen Beschreibung
um die Analyse aller Funktionssysteme wie am Beispiel Sport gesehen (End-
spiel DFB in Berlin, Tennisturniere mit den meisten Weltranglistenpunkten
finden in Paris, London oder New York statt). Für jedes Funktionssystem kön-
nen möglicherweise weltweit relevante Spezialisierungen gefunden werden, die
die mythologische Beschreibung ergänzen. Dazu gehört auch die Analyse, ob
es sich eventuell um Hauptstädte des politischen Systems, also von Nationen
handelt (Tokio/Japan, London/England oder Berlin/Deutschland nicht jedoch
bei New York in den USA). Monofunktionale Zuschreibungen, wie Hand-
ball/Gummersbach oder Tauberbischofsheim/Fechten stärken zwar das Argu-
ment funktionale Differenzierung als analytisches Hilfsmittel zur Stützung der
mythologischen Zuschreibung zu nutzen, sind selbst jedoch keine Beispiele für
Metropolen, sondern ‚nur‘ Beispiele für mythologische Zuschreibungen von
Städten wie dies in den Massenmedien durch das coole Berlin erfolgt.
Problematische Beispiele werden weiter unten angesprochen. Zunächst soll
die Hypothese als eine Art Zusammenfassung rekapituliert werden.
3.3 Detaillierung der Hypothese
Es soll somit behauptet werden, dass das soziale Phänomen der funktionalen
Differenzierung der modernen industrialisierten Weltgesellschaft mit seiner
Einbettung in die Gesellschaftstheorie der Differenzierung Luhmanns zu einer
Widerbelebung des Begriffs der Metropole und ihrer soziologischen Erklä-
rungsleistung führt18
. D.h. durch eine konsequent
(welt)gesellschaftstheoretische Blickrichtung lässt sich das stadt-soziologische
18Der Kommilitone Elmar Engelmeyer bestätigte die o.g. „kulturelle Aufladung“ (Häußermann 2014: 6),
indem er diesen „Kultur“-Aspekt stärkte - was immer Kultur genau ist (vgl. Baecker 2003), sodass es als
Einwand gegen diese These (oder der Frage „das Ende der Metropole?“) steht. Diese berechtigte Kritik
wird im Folgenden berücksichtigt.
Seite 30 von 45
Phänomen der funktionalen Differenzierung zugleich mit der Differenzierung
in Zentrum-Peripherie (Stadt/Land) mittels des Metropolenbegriffs erblicken,
was den Stellenwert der Metropole als Begriff gegenüber Megastadt, Weltstadt
oder Städtenetz für die Theoriearbeit aufwertet. Es soll somit gleichzeitig vor-
geschlagen werden, Megastadt oder Weltstadt als Begrifflichkeit der Theorie-
bildung nicht weiter zu benutzen, da „Mega“ primär die zahlenmäßig große
Einwohnerzahl impliziert, andererseits „Welt“ Bestandteil einer Gesellschafts-
theorie sein müsste. Von „Weltstädten als räumlichen Ausdruck des Weltsys-
tems“ zu sprechen (Friedmann 1986 zit. in Petz/Schmals 1992: 5), deutet im-
merhin darauf hin, dass „Weltstädte im Modell einer ‚Weltgesellschaft‘ eine
zentrale Rolle [spielen]“ (Petz/Schmals 1992: 6), was wieder ein Argument für
Luhmanns Gesellschaftstheorie darstellt, da diese weltgesellschaftlichen An-
spruch besitzt (vgl. Luhmann 1997: 145 ff.). Inwieweit Weltstädte eine Zent-
rum/Peripherie-Differenzierung für eine mythologische Zuschreibung anbietet,
bleibt offen. Zentrum/Peripherie lässt sich bei Weltstadt höchsten als klassische
Stadt/Land-Differenz nutzen. Eine „World City Hierachy“ (Heineberg 2006:
343) ist damit schwer zu vergleichen, wohl aber der „funktionale Charakter
von Weltstädten“ (Heineberg 2006: 342), was weiter unten in Kapitel 2.4.4
genauer untersucht wird.
Im Falle von Städtenetzen ließen sich Theorieansätze in der Netzwerkfor-
schung finden wie beispielsweise bei Holzer (2006), was hier nicht weiter be-
rücksichtigt werden soll, auch wenn die Affinität zu Luhmanns Sys-
tem/Umwelt-Theorie und somit zu Luhmanns Theorie der funktionalen Diffe-
renzierung (vgl. Luhmann 1997: 60, 595) vorhanden ist, siehe „Netzwerke und
Systeme“ (Holzer 2006: 93). Es wird zudem bewusst der Begriff der „Weltge-
sellschaft“ (Luhmann 1997: 145 ff.) statt einem Begriff wie „Globalisierung
[…]“ (Noller 1999: Buchtitel) verwendet, um den theoretischen Aspekt als Teil
einer Gesellschaftstheorie hervorzuheben.
Anders formuliert: Gesetzt der Annahme, dass durch Aussagen wie das
„Metropole ist überall“ gegenüber einer sehr großen Stadt der Metropolenbe-
griff an Stellenwert in der soziologischen Theoriearbeit verlöre (siehe Argu-
mentation zu Beginn von Kapitel 1) wird die These aufgestellt, dass die ge-
nannten Autoren und Beispiele die gesellschaftstheoretische Blickrichtung ver-
nachlässigen und dadurch der Metropolenbegriff nicht den Stellenwert behält,
der ihm stadtsoziologisch gebühren sollte. Ergänzt man die Metropolen-
Seite 31 von 45
Semantik durch die Gesellschaftstheorie der Differenzierung, lässt sich bei-
spielsweise das angedeutete stadt-soziologische Phänomen der funktionalen
Differenzierung wie in einem Laboratorium der Moderne (vgl. Matejovski
2000: Untertitel) oder der „Stadt als soziale Laboratorium“ (Häußer-
mann/Siebel: 2014: 5) besser beobachten und erklären. Das soll im Folgenden
genauer begründet werden. Wobei zunächst auf die Differenzierungen der
Weltgesellschaft eingegangen wird, um dann mittels des Metropolenbegriffs
(nicht nur als mythologische Beschreibung einwohnerzahlenmäßig sehr großer
Städte) die stadt-soziologische funktionale Differenzierung gegenüber einer
Zentrum-Peripherie-Differenzierung in den Blick zu nehmen.
Diese Berücksichtigung der Differenzierungstheorie der Gesellschaft stärkt
zugleich die Differenzierung nach Zentrum und Peripherie (vgl. Luhmann
1997: 663 ff.). Denn Differenzierungsformen haben kein Ausschließungsprin-
zip, d.h. verschiedene Differenzierungsformen können nebeneinander existie-
ren, wie segmentär differenzierte Nationen (beispielsweise Deutschland, USA)
des politischen Systems in einer funktional differenzierten Weltgesellschaft
existieren können. D.h. „[b]ei funktionaler Differenzierung findet man heute
noch […] Zentrum/Peripherie-Unterschiede“ (Luhmann 1997: 612). Somit
wird der These, dass „Unterschiede zwischen den Weltstädten in der Peripherie
und im Zentrum [verwischen]“ oder dass „Zentrum und Peripherie […] in den
Metropolen direkt aufeinander [treffen]“ (Korff 1991: 363) das Argument der
funktionalen Differenzierung entgegengesetzt oder ergänzt. D.h. nicht die Peri-
pherie triff direkt auf das Zentrum, sondern an diesen Orten des Aufeinander-
treffens kann man das soziale Phänomen der funktionale Differenzierung er-
kennen: Immigranten aus der Peripherie, die als billige Arbeitskräfte im Zent-
rum eingesetzt werden (vgl. Korff 1991: 363) sind weniger ein Aufeinander-
treffen von Zentrum und Peripherie, sondern ebenfalls in rein peripheren In-
dustriestandorten von Metropolen beobachtet werden kann, wie beispielsweise
die "Industrial Buildings On The Outskirts Of London" (Shutterstock 2014),
ähnlich dem Funktionssystem der Kunst (vgl. Luhmann 1995, 1997: 43), wel-
ches sich in der Peripherie einer Metropole wie Paris aber auch einer größeren
Stadt wie Wien ansiedelt (vgl. Rohn 201319
und 2014).
19Dass der Begriff der Kultur hier die funktionale Differenzierung der Kunst invisibilisiert wird weiter
unten auch an anderen Beispielen wie Sport oder Tourismus ausgeführt <todo Referenz Literatur>
Seite 32 von 45
Erneut anders formuliert: Der mythologische Bias des Metropolenbegriffs
lässt sich einer Zentrum-Peripherie-Differenzierung zuordnen, da die Periphe-
rie dem Zentrum mythologische Eigenschaften zuschreibt, wogegen die funkti-
onale Differenzierung stadt-soziologische Phänomene beschreiben lässt wie
„der duale Charakter der Metropole“ (Häußermann 2014: 66) von Tokio, d.h.
die paradox anmutende Bauweise sehr kleiner Häuser in direkter Nachbar-
schaft zu Wolkenkratzern oder „Bleistift-Häuser[n]“ (Häußermann 2014: 66),
hervorgerufen durch die schwache strukturelle Kopplung von Eigentum zwi-
schen politischen und ökonomischen Funktionssystemen, was oben weiter aus-
geführt wurde. An diesem Beispiel der Bleistifthäuser erkennt man die verbes-
serte soziologische Erklärungsleistung, d.h. diese Art der Architektur und ihrer
Wohnformen lassen sich durch die Gesellschaftstheorie (Eigentumskopplung
zwischen Funktionssystemen) erklären. Ein anderes Beispiel wäre Berlin. Es
stellt sich im Rahmen des Funktionssystems Sport – konkret beim Fußball - die
Frage warum "das Endspiel um den DFB-Pokal im Olympiastadion Berlin aus-
getragen" (Olympiastadion 2014: 1) wird? Erklärt werden kann das über die
Zentrum-/Peripherie-Differenzierung des Mythos Berlin, bei dem der Flair als
Olympiastadt und die funktionale Differenzierung in Sport gegenüber anderen
Städten von Deutschland höhere Bedeutung eingeräumt wird. Mit 74.649 Zu-
schauern gehört es zudem zu den größten Fußballstadien Deutschlands, .d.h.
Größe als Kategorie der Metropole ist ebenfalls berücksichtigt, obwohl mit
Hertha BSC wie in ähnlich großen Stadien in München oder Dortmund eben-
falls ein Bundesligaverein beheimatet ist (vgl. WikipediaFußballstadien 2014).
Im Folgenden wird die Erklärungsleistung durch kritische Hinterfragung
von Texten verdeutlich. Beispielsweise wird behauptet, dass „[d]ie heutige
Situation (der Städte, L.E.) das Zentrum und die Peripherie gleich [macht]“
(Virilio 1995: 92). Dieser These kann entgegengehalten werden, dass es die
funktionale Differenzierung ist, die scheinbar Zentrum und Peripherie gleich
macht, da diese funktionale Differenzierung sowohl im Zentrum als auch in der
Peripherie vorkommt. Die „Ausbildung einer öffentlich und einer privaten
Sphäre als Kriterium der Stadtbildung“ (Bahrdt193: 609) weicht dem moder-
nen „Begriff der öffentlichen Meinung, […] ohne daß der Ort des Zutritts noch
räumlich spezifiziert werden müßte“ (Stichweh 2000: 190 f.). Diese „struktu-
relle Unbestimmtheit der räumlichen Integration“ (Luhmann 1997: 314) der
„Öffentlichkeit“ (Luhmann 2004: 183) und der öffentlichen Meinung ist im
Seite 33 von 45
Rahmen der funktionalen Differenzierung Bestandteil des Funktionssystems
der „Massenmedien“ (Luhmann 1997: 12, 1096).
3.4 Vergleich mit Argumenten in weiteren Texten
Im Folgenden sollen die Argumentationen an weiteren Texten kritisch mit Hil-
fe der Differenzierungen (funktional, Zentrum/Peripherie) als analytisches In-
strumentarium hinterfragt werden und eventuell alternative Erklärungsvor-
schläge unterbreitet werden.
3.4.1 Neufokussierung der Beobachtung (Bukow)
In der vorliegenden Arbeit wird nicht nur behauptet, dass es gesellschaftlichen
Einfluss auf die Metropole gibt, sondern dass dies auch mit Großtheorien mög-
lich ist, wie die von Luhmann, aber auch von Tönnies (vgl. Bartels 1990: 19
ff.) oder Marx (vgl. Schmals 1983: passim). Dies wird durch die Argumentati-
onen hier in Kapitel zwei versucht zu zeigen. Erstaunlich ist dagegen, dass
"kritische Sozialforscher(innen) von den sogenannten 'Großen Theorien' Ab-
schied genommen haben" (Bukow 2001: 28), ohne dass Bukow das näher be-
gründet. Dagegen stellt die hier durchgeführte Analyse des Metropolenbegriffs
mit Luhmanns Gesellschaftstheorie ein Gegenbeispiel zu dieser Aussage dar.
Die von Bukow geforderte „Neufokussierungen der wissenschaftlichen Be-
obachtungen und Beschreibungen“ (Bukow 2001: 27, kursiv i. Ori.) ist durch
Luhmanns Gesellschaftstheorie doch gerade gegeben. Es mag „wichtig [sein],
von der den Metropolen innewohnenden inneren Logik auszugehen“ (Bukow
2001: 37), jedoch müsste vorher versucht werden diese Logik beispielsweise
mit gesellschaftstheoretischen Mitteln zu bestimmen. Dass „Stadt [als] Proto-
typ einer ‚metropolitanen Gesellschaft‘ bezeichne[t]“ werden kann und dass
„Stadtregion identisch mit der modernen Gesellschaft“ sei (Bukow 2002: 25)
könnte durch die funktionale Differenzierung als Bestandteil der Luh-
mann‘schen Gesellschaftstheorie erklärt werden.
3.4.2 Theorie der Gemeinschaft/Gesellschaft (Tönnies)
Eine gesellschaftstheoretische Alternative zum hier vorliegenden Luhmann-
Vorschlag ist die Theorie von Tönnies durch die Leitunterscheidung „Gemein-
schaft und Gesellschaft“ (Bertels 1990a: 19, Tönnies 1983, 1963 [1887]. Dies
wird bei der Untersuchung von „Gemeinschaftsformen in der modernen Stadt“
(Bertels 1990a: Buchtitel) genutzt. „Obwohl sich das Tönnies’sche Theorie-
konstrukt […] als brüchig erwiesen hat, [scheint] [d]ie aktuelle soziologische
Seite 34 von 45
Diskussion […] eher auf eine Renaissance seiner Grundauffassungen hinzu-
deuten“ (Bertels 1990a: 8). Tönnies‘ „Theorie der Gesellschaft konstruiert ei-
nen Kreis von Menschen, […] die in ihrer Tätigkeit mit Schärfe gegeneinander
abgegrenzt“ sind (Tönnies 1963: 40, zit. in Bertels 1990a: 20). Dies entspricht
der Arbeitsteilung in der Gesellschaftstheorie Durkheims (vgl. Durkheim
1992)20
. Bei Luhmann wird dies erweitert und auf Kommunikation bezogen:
D.h. "[w]ie bei jeder Form der Differenzierung wird die Regelung der Inklusi-
on den Teilsystemen überlassen. Das heißt aber jetzt, daß die konkreten Indivi-
duen nicht mehr konkret placiert werden können. Sie müssen an allen Funkti-
onssystemen teilnehmen können je nach dem, in welchen Funktionsbereich und
unter welchem Code ihre Kommunikation eingebracht wird" (Luhmann 1997:
624 f.). Es sind die Kommunikationen die voneinander abgegrenzt sind, d.h.
eine politische Kommunikation findet in einem anderen Funktionssystem statt
als die Kommunikation der Ökonomie. Zumindest in diesem Punkt zeigt sich
eine gewisse Nähe der Theorie von Tönnies hin über Durkheim zu Luhmann21
.
Dagegen ist der „systemische Ort für Gemeinschaft bei Luhmann nicht leicht
auszumachen“ (Opielka 2006: 356). Aber „Moral [scheint] bei Luhmann
scheint anschlussfähig“ zu sein (Opielka 2006: 356). Alternativ könnte es eine
„[g]emeinschaftsstiftende Funktion von Sinn“ sein (Opielka 2006: 376). Es ist
vermutlich eher so, dass die Frage nach der Gemeinschaft in Luhmanns Theo-
rie nicht beantwortet werden kann, da dies der Architektur der Luhmann’schen
Theorie widerspricht. Denn Gemeinschaft als vertraute Kommunikation in der
face-to-face-Interaktion, ist überall in Gesellschaft möglich, genauso wie es in
der Gemeinschaft äußerliche bedingte Beziehungen gibt wie Gewohnheit oder
Tradition (vgl. König 1967: 95, zit. in Bertels 1990a: 24). Von Gemeinschaft
kann auch sozialer Zwang einer totalitären Struktur ausgehen, wie beispiels-
weise bei realisierten Sozialutopien (vgl. Bertels 1990a: 45). Der Gegensatz
Gemeinschaft und Gesellschaft ist somit nur ein scheinbar (vgl. König 1955:
410, zit. in Bertels 1990a: 5). Jedoch hat sich „Tönnies gegen die dichotomi-
sche Ausrichtung seiner Grundbegriffe gewendet“ (Bertels 1990a: 26). Kon-
krete Formen von Gemeinschaft wie Nachbarschaft sind zudem nach Weber
20Zur Rolle der Stadt in Durkheims Soziologie siehe „Emile Durkheim: die Stadt, die Arbeitssteilung und
die moralische Grundlage der Gemeinschaft“ (Saunders 1987: 43). 21Eine ausbaufähige Analogie zu Tönnies Gemeinschaft und Gesellschaft findet man trotzdem vielleicht
zu in Luhmanns Differenz vertraut/unvertraut, persönlich/unpersönlich oder der Habermas Unterschei-
dung in System/Lebenswelt.
Seite 35 von 45
Zweckgemeinschaften (vgl. Bertels 1990a: 59). Dies spricht für die Luh-
mann’schen Theorie. Denn in einer funktional differenzierten Gesellschaft hilft
im Krankheitsfall eher der Krankenwagen als Teil des Funktionssystems Ge-
sundheit statt des Nachbarn. Dass „[d]er Großstädter auf Nachbarschaft weit-
gehend verzichten [kann]“ lässt sich damit ebenfalls erklären, da in einer Stadt
– und insbesondere in einer Metropole – vermutlich alle äquivalente Funktio-
nen vorhanden sind: Notfalls bekommt man noch die Butter nachts an der
Tankstelle und braucht den Nachbar somit nicht.
Im Rahmen von Gemeinschaft ist eine weitere Überlegung interessant: Es
stellt sich die Frage, ob sich durch Städteplanung Gemeinschaft (künstlich)
herbeiführen lässt (vgl. Bertels 1997: 8)? Das scheint nur begrenzt möglich zu
sein, denn „[v]ieles deutet darauf hin, dass sich menschliches Zusammenleben
heutzutage und hierzulande relativ raumunabhängig vollzieht“ (Bertels
1990a:8). Dieses Resümee scheint für die funktionale Differenzierung zu spre-
chen, da diese im Rahmen der zugrundeliegenden Systemtheorie weniger in
einer Raumdimension betrachtet wird (vgl. Luhmann 1997: 30, Fn. 24; 76).
Das Verhältnis von „Stadt und Gesellschaft“ (Schmals 1983: Buchtitel) wird
nicht nur im Rahmen der Gesellschaftstheorie von Marx intensiv in Schmals
(1983) diskutiert, weswegen es hier nicht weiter vertieft werden soll.
3.4.3 Begründung mit einer komplexen Gesellschaft (Rudolph)
Gesellschaftstheorie wird als Begründung für die Wahl eines theoretischen
Konzeptes genutzt. Beispielsweise wird die Nutzung des Urban-Regime-
Ansatzes durch das Vorhandensein „[i]n einer differenzierten und komplexen
Gesellschaft“ begründet (Rudolph 2005: 18), ohne jedoch auf die Differenzie-
rung oder Komplexität näher einzugehen, was die Gesellschaftstheorie von
Luhmann leisten könnte. Neben den genannten Differenzierungsarten wäre die
Reduktion von Komplexität als sozialer Mechanismus in der Gesellschaftstheo-
rie Luhmanns zu finden (vgl. Luhmann 1997: 383, 508).
3.4.4 Metropolfunktionen und Funktionssysteme
An anderer Stelle wird bei Metropolen argumentiert, dass „[i]m Zusammen-
hang mit der internationalen Verflechtung […] die vier Funktionsbereiche Ent-
scheidungs- und Kontrollfunktion, Innovations- und Wettbewerbsfunktion,
Gatewayfunktion und Symbolfunktion Schlüsselbereiche zur Erhaltung und
Entwicklung der Leistungsfähigkeit von Metropolregionen“ sind
(Knieling/Matern 2009: 340). Dieser „funktionale Charakter von Weltstädten
Seite 36 von 45
ist relativ früh von dem Geographen Peter Hall (1966) anhand von London,
Paris, New York, Tokyo, Moskau, der Randstad Holland und der Metropolre-
gion Rhein-Ruhr herausgestellt worden“ (Heineberg 2006: 342; vgl. Hall
1966). Hall ermittelte den funktionalen Charakter induktiv anhand einer Ver-
gleichsstudie der genannten Städte (vgl. Hall 1966). Es wird zwar gesagt, wa-
rum es gerade diese vier Funktionen sein sollen. Aber in welche Theorie lassen
sich diese verorten? Können sie sich ändern? Es geht offenbar bei Städten um
die „globale Reichweite ihres Einflusses in Wirtschaft, Finanzwesen, Kommu-
nikation, Politik und Kultur als Spitzengruppe der weltweiten Städtehierarchie
betrachtet“ (vgl. Hall 1966, zit. i. Heineberg 2006: 342). [N]achfolgende Un-
tersuchen [haben] eher die ökonomisch-funktionale Hierarchie des internatio-
nalen Städtesystems in den Mittelpunkt ihrer Analyse gestellt“ (Krätke 2002:
46, zit. i. Heineberg 2006: 342) – eine „„World City Hierarchy“ nach J. Fried-
mann“ (Heineberg 2006: 343).
Dies ist bei den Funktionssystemen von Luhmann anders. Die Funktionssys-
teme sind nicht nur eingebettet in eine Gesellschaftstheorie sondern ihre An-
zahl kann sich ändern, wenn sich die Funktionserfordernisse der
(Welt)Gesellschaft ändern. Im Gegensatz zu Halls Metropolfunktionen sind bei
Luhmann Bezugsprobleme in der Gesellschaft gegeben, welches die Notwen-
digkeit der jeweiligen Funktionssysteme erklären kann (vgl. Luhmann 1997:
746).
Unabhängig von der kritischen Einschätzung scheint eine vergleichende
Analyse möglicherweise fruchtbar wie beispielsweise in: „The Functions of
Cities“ (Hosken 1973: Buchtitel); auch mit Diskussionen zum Gesundheitssys-
tem: „Health Care an the City“ (Hosken 1973: 123); zum Rechtssystem: Crime,
Law, and Order“ (Hosken 1973: 137) oder dem Erziehungssystem: „The Uni-
versity and the City“ (Hosken 1973: 189). Ein anderes Beispiel wäre „[d]ie
funktionale Struktur der Berliner Wirtschaft im Städtevergleich“ (Krätke/Borst
2000: 54).
3.5 Falsifizierungsversuch: eine nicht funktionale Metropole?
Wie ließe sich die These des Endes der Metropole falsifizieren? Man müsste
mindestens eine Metropole in der modernen Gesellschaft finden, die eben nicht
alle Funktionssysteme in der Ausprägung bedienen kann, wie beispielsweise
eine Metropole in der kein Sport stattfindet oder keine politischen Verwaltun-
gen zu finden sind. Gibt es Metropolen, die nicht vollständig funktional und
Seite 37 von 45
nach Zentrum/Peripherie differenziert sind? Letztgültig muss das empirisch
untersucht werden, was den Rahmen der Arbeit sprengt. Aber: „[i]nnerhalb der
Metropolregionen lässt sich eine deutliche Konzentration der Standorte zu-
gunsten der Ballungsrandkreise beobachten […]. Erklärlich dieser Trend aus
[…] Standortbedingungen“ (Blotevogel 1998: 44). Dies würde eher gegen eine
Differenzierungszunahme der Metropole sprechen. Vermutlich liegt dies an der
rein räumlichen Betrachtungsweise. Zieht man die kommunikationstheoreti-
sche Grundlage von Luhmanns Theorie heran, sind räumliche Bedingtheiten
weniger relevant, es geht um verdichtete Kommunikation mit entsprechender
Auswirkungen von damit zusammenhängenden Entscheidungen oder Entschei-
dungsprämissen. Hier mag der Bertelsmann-Konzern mit Sitz im periphereren
Gütersloh ein instruktives Beispiel sein, denn er schuf in der Metropole Berlin
mit seiner Repräsentanz "Unter den Linden 1" einen Ort, „der für den politi-
schen, wirtschaftlichen und kulturellen Austausch einen passenden Rahmen
bieten könnte [...]. Die Bertelsmann Repräsentanz "Unter den Linden 1" in Ber-
lin ist ein Ort der Kommunikation, des Kulturaustausches, der Musik, der Lite-
ratur und zugleich ein architektonisches Schmuckstück mit historischer Kulis-
se“ (BertelsmannSE 2014: 1). D.h. trotz Sitz in der Peripherie ist ein Konzern
bewusst als ‚Repräsentanz‘ in einer Metropole mit verdichteter Kommunikati-
on vertreten, denn wer mag bestreiten, dass bei diesem ‚Ort der Kommunikati-
on‘ weltweite Entscheidungen an einem Ort der Kommunikation vorbereitet
werden. „Nicht die Produktion ist […] entscheidend, sondern die Kontrolle der
Produktion und der Märkte in einem weltweiten Netz“ (Korff 1991: 360).
Eine weitere Schwierigkeit findet in der Korrelation von funktionaler Diffe-
renzierung. Kann eine ausgeprägte Spezialisierung mit dem Mythos einer Met-
ropole korrelieren. Nehmen wir das Beispiele des Gesundheitssystem in den
USA, beispielsweise die dortige Größe der Medical Center. Zwar bezeichnet
sich das Medical Center in Los Angeles als eines der größten mit 600 Betten
„in the country“ – was immer man mit country als Raumgrenzen meint - (vgl.
LAC 2014), dagegen ist New York mit 1469 Betten wesentlich größer (vgl.
Montefiore 2014). Die Frage ist, ob dies nicht zwangsläufig „nur“ mit der Ein-
wohnerzahl korreliert, denn in Ney York leben "heute mehr als 8 Millionen
Menschen, fast doppelt so viele wie in der zweitgrößten Stadt der USA Los
Angeles, in der 'nur 3,7 Millionen Menschen leben" (Häußermann 2014: 74).
D.h. das Verhältnis der Einwohner der beiden Städte ist in etwas ähnlich wie
Seite 38 von 45
das Verhältnis der Bettenzahl beider Medical Center. Dagegen kann eingewen-
det werden, dass die funktionale Differenzierung nicht nur mit dem Mythos der
Zentrum/Peripherie korreliert, sondern dass allein die schiere Größe einer Stadt
sich als Besonderheit gegenüber einer Peripherie darstellt. Aus soziologischer
Sicht lässt sich das im Kontext des Funktionssystem Massenmedien und dem
Grund seiner Wirksamkeit wie folgt formulieren: „In der Sachdimension ge-
winnen quantitative Angaben eine hervorragende Bedeutung, ohne daß deren
Berechnungsweise mitreflektiert werden könnte. Katastrophen werden bevor-
zugt berichtet, wenn ungewöhnliche Quantitäten (Massenkarambolage, Tau-
sende von toten Robben, Millionenschäden etc.) im Spiel sind“ (Luhmann
1997: 1099). Insofern ist Größe auch soziologisch an die mythologische Be-
schreibung einer Metropole gebunden.
Bemerkenswert im Vergleich des Kultur- und Mediensektor ist z.B. dass die
prozentuale Anzahl der Beschäftigten von Berlin geringer ist als in Hamburg,
mit 9,8 bzw. 12,6 Prozent (vgl. Krätke/Borst 2000: 54). Ist somit Berlin mög-
licherweise keine Metropole gegenüber München, wenn man für eine Metropo-
le verlangt, dass die Funktionssysteme dieses Metropolenzentrums gegenüber
peripheren Städten stärker ausdifferenziert sein muss. Schwierig ist vermutlich
die gleichzeitige Betrachtung von Ökonomie und Kunst bei der Anzahl Be-
schäftigen bzw. im Kultur- und Mediensektor.
Ein analytisches Konzept stellt die Einteilung der „Großstadt in drei räum-
lich strukturierten, jeweils analytisch zu verstehenden Lebenswelten [dar]:
ganzheitlich, verinselt und als Cyberspace“ (Bertels 1997: 10, 73 ff.). ‚Ganz-
heitlich‘ entspricht vielleicht dem Familiensystem oder der persönlichen, ver-
trauten face-to-face-Kommunikation bei Luhmann. Das ‚verinselt‘ ist die funk-
tionale Differenzierung: „Der verinselte Raum […] Funktionstrennungen und
Spezialisierungen [basiert]“ (Bertels 1997: 75) und Cypberspace mag mit welt-
gesellschaftlichen Aspekten bei Luhmann verglichen werden. Auch hier wären
Grundsätzlich konnte die Erklärungsleistung der Luhmannschen Theorie als
erweitertes Fundament des Metropolenbegriffs – insbesondere seiner mytholo-
gischen Zuschreibung (Zentrum/Peripherie) und der funktionalen Differenzie-
rung – plausibilisiert werden. Schwierigkeiten machen noch empirische Aus-
reißer wie eine Weltmeisterschaft in Stuttgart. Hier müsste der weltgesell-
schaftstheoretische Standpunkt genauer untersucht werden.
Desweiteren sollten sämtliche Funktionssysteme für die Metropolen em-
pirisch genauer betrachtet werden, desgleichen sollte mehr nicht-deutsche Lite-
ratur hinzugezogen werden.
Eine weitere Überprüfung ist im Bereich der Falsifizierung der These er-
forderlich: Warum gibt es in Stuttgart Leichtathletikweltmeisterschaften? Wa-
rum gibt es in Melbourne – als einziger empirischer Ausreißer – ein Grand
Slam Tournier. Gibt es nicht funktionale Metropolen? Warum ist Berlin keine
Metropole (vgl. Häußermann)23
? Was tun mit der Innovations- und Moderni-
sierungsfunktion von Metropolen? Inwieweit sind Lebenswelten – also der
soziale Nahraum – auch bei Metropolen zu berücksichtigen?
Eine interessante Überlegung seitens Professor Bertels an den Autor war,
ob Florida’s Kreativitäts-These in die Luhmann-Theorie und hier in den Ansatz
integriert werden könne. Nach Meinung des Autors scheint dies in der Tat
schwierig zu sein und eine Herausforderung an die Theorie darzustellen. Evtl.
müsste man zunächst den Kreativitätsbegriff auf funktionale Erfordernisse oder
in Richtung Funktionssysteme abklopfen.
22Das Fazit wurde nach der mündlichen Prüfung ein wenig erweitert, insbesondere um die guten Hinweise
von Prof. Beretels. (Bemerkung ist nicht autorisiert). 23Dankenswerter Hinweis von Prof. Bertels in der mündlichen Prüfung. (Bemerkung ist nicht autorisiert).
Seite 40 von 45
5 Literatur
Alter, Peter (1993): Im Banne der Metropolen. Berlin und London in den