32 32 Medical Tribune · Nr. 3 · März 2018 · Onkologie · Hämatologie MEDIZIN Impressum | Idee und Konzeption: Inter Medical Sonderpublikationen · Redaktion: Christine Vetter · Leitung Corporate Publishing: Hannelore Schell · Mit freundlicher Unterstützung der Roche Pharma AG · Medical Tribune Onkologie 3/2018 – 28452 Der Verlag ist für die Richtigkeit der Beiträge nicht verantwortlich. Die presserechtliche Haftung liegt bei den jeweiligen Unternehmen. EXPERTEN-ROUNDTABLE vante Situation sowie vollständige „Post-Marketing“-Untersuchungen zur Sicherheit und eine präzise Zu- ordnung zum jeweiligen Präparat in zentralen Registern. Außerdem müsse die Entschei- dung zum Austausch des Origina- tors durch einen biosimilaren An- tikörper stets in Therapeutenhand liegen. Ferner dürfe es zum jetzigen Zeitpunkt ohne das Vorliegen von Langzeitdaten zur Sicherheit und Ef- fektivität keinesfalls vorgeschriebene Verordnungsquoten geben. Besondere Herausforderung in der Onkologie „Ansonsten wird die Evidenz ausge- hebelt“, so der Kommentar von Biosimilare Antikörper – ähnlich, aber keineswegs identisch Es gibt noch einige offene Fragen zum Einsatz von biosimilaren Antikörpern in der Onkologie FRANKFURT. Antikörper haben einen Siegeszug in der Me- dizin angetreten, ein Trend, der sich insbesondere in der On- kologie fortsetzt. Zunehmend drängen nunmehr biosimilare Antikörper auf den Markt und es steigt der ökonomische Druck, die preiswerteren Präparate zu verordnen. Doch sind biosimilare Antikörper ebenso wirksam und sicher wie die Originale, denen sie nur ähnlich, mit denen sie aber nicht identisch sind? Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Prinzip der Extrapolation? Und ist ein Switch – allein be- gründet durch geringere Therapiekosten – medizinisch und ethisch vertretbar? Welche Regularien sind bei der Verord- nung der biosimilaren Antikörper zu beachten? Die relevan- ten Fachgesellschaften haben inzwischen Positionspapiere zu dieser Thematik veröffentlicht, die von Experten bei einem Roundtable-Gespräch in Frankfurt diskutiert und eingeordnet wurden. M edizinische Behandlungen müssen stets entsprechend dem „Stand des medizini- schen Wissens“ erfolgen. Was dies je- doch bedeutet, ist nach Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), Berlin, oft- mals nicht genau definiert. „Der Stand des medizinischen Wissens ist nicht konkret verankert und es gibt keinen Bundesausschuss oder Einrichtungen, die entsprechende Vorgaben machen.“ Zu berücksichtigen sind laut Dr. Bruns insbesondere klinische Stu- dien, da sie die Evidenz für thera- peutische Maßnahmen bieten. Aus den Ergebnissen lässt sich aber nicht immer das im individuellen Fall op- timale Vorgehen ablesen. Therapeu- tische Entscheidungen sind erheblich komplexer zu treffen: „Die Patienten und ihre Lebensqualität müssen un- bedingt in die Entscheidung einbezo- gen werden“, forderten der Mediziner und Doris Christiane Schmitt, Kom- munikationstrainerin und Vorstand der Stiftung PATH (Patients’ Tumor Bank of Hope) aus Konstanz, beim Experten-Roundtable zum Thema „Therapeutische Antikörper in der Onkologie: Originale und Nachah- merpräparate“ in Frankfurt. Zudem sei zu bedenken, dass oftmals Inte- ressen aus unterschiedlichen in der Medizin und im Gesundheitswesen beteiligten Bereichen Einfluss auf me- dizinische Entscheidungen nehmen. Diskussionen tun sich, so Dr. Bruns, v.a. bei neuen diagnostischen und therapeutischen Optionen auf, für die eine klinische Evidenz nicht gegeben und deren Validität somit zu hinter- fragen ist, die in ihren Konsequenzen den Patienten schwer vermittelt wer- den können und die eindeutig von speziellen und primär ökonomischen Interessen gesteuert werden. Ein Beispiel für eine solche Situa- tion ist die Verordnung von bio- similaren Antikörpern, wie Dr. Bruns in Frankfurt darlegte. Nach- dem bei einigen Antikörpern der Patentschutz abgelaufen ist, sind die wirtschaftlichen Anreize groß, Nachahmerprodukte auf den Markt zu bringen. Immerhin bieten die biosimiliaren Antikörper ein Ein- sparpotenzial von 20 bis 30 % der Tagestherapiekosten, berichtete Pro- fessor Dr. Irene Krämer, Direktorin der Apotheke der Universitätsmedi- zin Mainz. Biosimilare Antikörper sind keine Generika Anders als bei den Generika handelt es sich bei den Nachahmerproduk- ten aber nicht um klar definierte Moleküle, die vergleichsweise ein- fach mittels einer chemischen Syn- these herzustellen und mit dem Ori- ginalpräparat damit identisch sind. Antikörper sind vielmehr komplexe biologische Wirkstoffe, deren kli- nische Wirksamkeit und Sicherheit nicht allein auf der Molekülzusam- mensetzung beruhen, sondern auch durch die räumliche Anordnung und Faltung des Moleküls bestimmt werden. Nachahmerprodukte wer- den zudem mittels eines biologi- schen Systems aus unterschiedlichen Zelllinien und mit unterschiedlichen Herstellungsverfahren produziert. Das bedingt eine gewisse Variabilität und erklärt nach Dr. Bruns, warum biosimilare Antikörper den Origi- nalantikörpern ähnlich, jedoch nicht mit ihnen identisch sind. Biosimilare Antikörper: Positionierung ist gefragt Vor diesem Hintergrund ist laut Dr. Bruns eine konkrete Positionierung zwischen ökonomischen Zwängen, krankenversicherungsrelevanten In- teressen und dem medizinischen Stand der Therapie vonnöten. Inzwi- schen liegen dazu Positionspapiere verschiedener Fachgesellschaften vor, allerdings mit unterschied- lichem Tenor und Empfehlungen. „Die Stellungnahmen aus den Po- sitionspapieren sind unterschiedlich differenziert gegenüber biosimilaren Antikörpern“, sagte der DKG-Gene- ralsekretär. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass es noch viele offene Fragen gibt. So ist der Prozess der Extrapolation von Studiendaten über verschiedene Indikationen hinweg bislang unüblich und bei Originalpräparaten nicht zulässig. Kontrovers diskutiert wird vor al- lem die Option eines Switchs vom Original zu einem biosimilaren An- tikörper bei bis dato gut eingestell- ten Patienten. Zu hinterfragen ist aus Sicht der Experten ferner, inwieweit durch den ökonomischen Druck, biosi- milare Antikörper zu verordnen, die Therapiefreiheit und die Thera- piekompetenz des Arztes gefährdet werden. Zu klären ist auch, inwie- weit der Patient über das Prozedere aufzuklären und seine Zustimmung einzuholen ist. Last, but not least müssen schon aus rechtlichen und medizinischen Gründen die Nach- vollziehbarkeit und „Rückverfolg- barkeit“ der Verordnung gegeben sein, was besondere Anforderungen an die Dokumentation der Verord- nung von therapeutischen Antikör- pern bedingt. Similaritäts-Prüfung lässt Ober- und Untergrenzen zu Bei einem Biosimilar handelt es sich nach der Definition der EMA um „eine Kopie eines in der EU zu- gelassenen biologischen Produkts mit nachgewiesener Ähnlichkeit in physikalisch-chemischen Eigen- schaften, Wirksamkeit und Sicher- heit basierend auf einer umfassen- den vergleichenden Untersuchung“. Das impliziert nach Professor Dr. Michael Lux, stellvertretender Di- rektor der Frauenklinik am Univer- sitätsklinikum Erlangen, „eine nied- rige Wahrscheinlichkeit signifikanter klinischer Unterschiede. Allerdings erwarte ich bei dem Begriff der Ko- pie eigentlich ein identisches Pro- dukt, nicht aber ein nur ähnliches.“ Für biosimilare Antikörper und Originalpräparate gelten unter- schiedliche Rahmenbedingungen: Während für die Zulassung von Ori- ginalantikörpern für jede Indikati- on neben den präklinischen Daten mindestens eine Phase-III-Studie ge- fordert wird und der Nachweis von „Patientennutzen“ erbracht werden muss, durchlaufen biosimilare Anti- körper laut Prof. Lux einen verkürz- ten Zulassungsweg: „Es muss der Nachweis der ‚Similarität‘ in einem Direktvergleich zum Originalanti- körper erbracht werden.“ Dazu sind pharmakokinetische Daten und eine Phase-III-Studie in einer sensitiven Population erforderlich. 1 Hierbei werden außerdem eine Obergrenze für einen potenziellen „akzeptablen Vorteil“ und auch eine Untergrenze für einen potenziellen „akzeptablen Nachteil“ definiert. Es wird damit, so Prof. Lux, in Kauf ge- nommen, dass biosimilare Antikör- per in gewissen Grenzen besser als das Originalpräparat abschneiden, aber ebenso, dass sie innerhalb die- ser vordefinierten Grenzen schlech- ter hinsichtlich der Wirksamkeit sein können. „Der Nachweis von Patien- tennutzen wird nicht gefordert“, so Prof. Lux. Die Deutsche Gesellschaft für Hä- matologie und Onkologie (DGHO) nimmt hierzu wie folgt Stellung: „Aus pharmazeutischer Sicht sind Biosimilars gleichwertige Alterna- tiven zu Originalprodukten. Sie bewegen sich in einem molekula- ren Variationskorridor, der von den Originalprodukten vorgegeben ist und der auch von den Originalpro- dukten genutzt wird. Aus klinischer Sicht ist Obacht angebracht. Die unterschiedliche Glykosylierung von Biologicals kann die Rezeptor- bindung beeinflussen, z.B. auch bei dualer Blockade, die Wirkung verän- dern und zu verstärkter Immunoge- nität mit dem Risiko einer erhöhten Rate neutralisierender Antikörper führen“, heißt es in der Stellung- nahme. 2 Auch die Arzneimittelkom- mission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und die EMA fordern nach der Zulassung von Biosimilars ob- ligatorische Sicherheitsstudien, die Aussagen zur Langzeitanwendung erlauben. 1,3 Folgen der Extrapolation Ist der Nachweis der Similarität im Rahmen einer klinischen Phase-III- Studie in einer Indikation erbracht, können die Daten auf andere, nicht klinisch geprüfte Indikationen extrapoliert werden. So können biosimilare Antikörper zu Infli- ximab in allen Indikationen, in denen sich der Originator in klini- schen Studien als effektiv und sicher erwiesen hat – von der Rheumato- iden Arthritis (RA) über die Spon- dylitis ankylosans, den Morbus Crohn und die Colitis ulcerosa bis hin zur Psoriasis und zur Psoriasis- Arthritis –, eingesetzt werden, ob- wohl sie lediglich bei der Rheuma- toiden Arthritis im Rahmen einer Zulassungsstudie geprüft wurden. Der Mediziner forderte vor die- sem Hintergrund insbesondere für die Anwendung biosimilarer Antikörper in der Onkologie eine zurückhaltende Extrapolation von Daten aus der metastasierten Situation mit einem heterogenen Patientenkollektiv auf die adju- Dr. Johannes Bruns Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), Berlin Foto: MT-Archiv D K Professor Dr. Irene Krämer Direktorin der Apotheke, Universitätsmedizin Mainz Foto: Peter Pulkowski D Professor Dr. Michael Lux Stellvertretender Direktor der Frauenklinik am Universitätsklinikum Erlangen Foto: Privat St a Dr. jur. Ulrich Grau Fachanwalt für Medizinrecht, Berlin Foto: Privat D Professor Dr. Stephan Schmitz Vorsitzender des Berufsver- bandes der Niedergelas- senen Hämatologen und Onkologen in Deutsch- land e.V. (BNHO), Köln Foto: MT-Archiv S Vo b se O Professor Dr. Giovanni Maio Institut für Ethik und Ge- schichte der Medizin an der Universität Freiburg Foto: Oliver Lieber/ Trias Verlag In sc d Doris Christiane Schmitt Kommunikationstrainerin und Vorstand der Stiftung PATH , Konstanz Foto: Privat Ko un Der „Stand des medizinischen Wissens“ ist nicht festgeschrieben Klinische Studien sind Basis der Evidenz Impressum | Idee und Konzeption: Inter Medical Sonderpublikationen Redaktion: Christine Vetter Leitung Corporate Publishing: Hannelore Schell · Mit freundlicher Unterstützung der Roche Pharma AG · Medical Tribune Onkologie 3/2018 28452