MAX WEBERS LIBERALISMUS Magisterarbeit zur Erlangung des Grades eines Magister Artium M.A. vorgelegt der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn von Sebastian Jarzebski aus Düsseldorf
MAX WEBERS LIBERALISMUS
Magisterarbeit
zur Erlangung des Grades eines
Magister Artium M.A.
vorgelegt
der
Philosophischen Fakultät
der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität
zu Bonn
von
Sebastian Jarzebski
aus
Düsseldorf
II
An Eides statt versichere ich, dass die Arbeit
Max Webers Liberalismus
von mir selbst und ohne jede unerlaubte Hilfe angefertigt wurde, dass sie noch keiner
Stelle zur Prüfung vorgelegen hat und dass sie weder ganz, noch im Auszug
veröffentlicht worden ist. Die Stellen der Arbeit – einschließlich Tabellen, Karten,
Abbildungen usw. –, die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach
entnommen sind, habe ich in jedem einzelnen Fall als Entlehnung kenntlich gemacht.
Sebastian Jarzebski
III
„In dem dumpfen, halbbewußten Drang in die Ferne liegt ein Moment
eines primitiven Idealismus verborgen. Wer es nicht zu entziffern
vermag, der kennt den Zauber der Freiheit nicht.
In der Tat: selten berührt uns heute ihr Geist in der Stille der
Bücherstube. Verblichen sind die naiv freiheitlichen Ideale unserer
frühen Jugend, und manche von uns sind vorzeitig alt und allzu klug
geworden und glauben, einer der urwüchsigsten Triebe der
Menschenbrust sei mit den Schlagworten einer niedergehenden
politischen und wirtschaftspolitischen Anschauung zu Grabe getragen
worden.“
(Max Weber, Akademische Antrittsvorlesung, Freiburg 1895)
IV
Vorwort
Das Schreiben einer Abschlussarbeit stellt in den meisten Fällen das wissenschaftliche
Erstlingswerk des jeweiligen Autors dar. So verhält es sich auch bei der vorliegenden
Magisterarbeit. Dem Prozess des Schreibens wohnt die ebenso hilfreiche, wie
gleichermaßen schwierige Eigenschaft inne, die Gedanken, die sich um das gewählte
Thema drehen, fokussieren zu müssen.
Hilfreich ist diese Eigenschaft, da es sich zu zwingen gilt, Entscheidungen bezüglich
bestimmter Fragestellungen zu treffen. Es hilft nicht weiter, sich in endlosen
Abwägungen zu verlieren und ein Grau in Grau zu präsentieren, welches eine bloße
Aufzählung verschiedener Meinungen darstellt. Die eigene Meinung wird geschärft
durch die Notwendigkeit der endgültigen Präsentation zu einem gegebenen Zeitpunkt.
Doch es verbirgt sich hinter dieser Zuspitzung der eigenen Meinung eben auch eine
Schwierigkeit. In den meisten Fällen steht die wissenschaftliche Abschlussarbeit am
Anfang des wissenschaftlichen Treibens des Autors, sofern dieser sich denn für den
Weg in die Wissenschaft entscheiden möge. Er ist also gefordert eine Arbeit zu liefern,
die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt und im Idealfall gleichzeitig ein realistisches
Bild der Meinungen des Autors, zu einem bestimmten Thema liefert. Diese Meinungen,
und hier setzt das Problem ein, können aber lediglich einen begrenzten Horizont
abbilden.
Vor allem, wenn man sich Max Weber zum Thema erwählt, kann eine solche Arbeit
nicht alle Aspekte beachtet haben. Der Prozess des Schreibens einer Abschlussarbeit
eröffnete im vorliegenden Fall eher die Vielseitigkeit des Weberschen Werkes und vor
allem des Weberschen Denkens. Je länger die Arbeit mit den Texten Webers und seiner
Interpreten andauerte, desto verschwommener wurde die zu Beginn des
Schreibprozesses so feste Meinung zu Max Webers Liberalismus.
Notwendigerweise musste hier allerdings eine Meinung vertreten werden, die aus dem
heutigen Standpunkt heraus teilweise verkürzt wirkt. Dieser Umstand ist notwendiger
Weise ein Bestandteil der wissenschaftlichen Abschlussarbeit. Sie stellt zwar in
gewisser Weise einen Endpunkt dar, kann für eine ernsthafte wissenschaftliche
Auseinandersetzung aber nur den Anfang markieren.
V
Nicht, dass die in dieser Arbeit zusammengetragenen Ergebnisse nicht die Meinungen
des Autors widerspiegelten, dies ist durchaus der Fall. Max Weber bietet aber mit
seinem fragmentarischen, teilweise widersprüchlichen und vor allem zum Nachdenken
über das politische Handeln anregenden Werk, eine Reibungsfläche für die eigenen
Einstellungen, die somit immer wieder aufs Neue auf die Probe gestellt werden.
Der Titel der vorliegenden Arbeit ist bewusst sehr weit gefasst. „Max Webers
Liberalismus“ ist somit gleichsam eine These, die es auf den kommenden 90 Seiten
nicht abschließend zu erläutern gilt. Vielmehr wird hier ein kleiner Spalt geöffnet um
einen Blick auf die politische Philosophie hinter Max Webers Werk zu werfen.
Hoffentlich kann die vorliegende Arbeit diesem Anspruch gerecht werden.
Haan, Oktober 2008
VI
Inhalt
VORWORT ........................................................................................................................ IV
I. EINLEITUNG ................................................................................................................ 10
1. Zur Motivation 13
2. Die zentrale Fragestellung 13
3. Zum Aufbau 13
4. Das politische Werk Max Webers – Eingrenzung der betrachteten Schriften 16
II. DEFINITORISCHE ANNÄHERUNG AN DEN LIBERALISMUSBEGRIFF ..... 19
1. Drei Sphären der Betrachtung ................................................................................................................. 19
1.1 Die praktisch-theoretische Sphäre 19
1.2 Die personalisiert-allgemeine Sphäre 20
1.3 Die politisch-ökonomische Sphäre 20
2. Der Liberalismus nach Lothar Gall ......................................................................................................... 22
3. Der politische Liberalismus nach John Rawls ........................................................................................ 27
4. Liberale Kernelemente .............................................................................................................................. 32
4.1Freiheit 32
4.2 Isonomie 32
4.3 Individualismus 33
4.4 Vernunft 33
4.5 Verantwortung 33
III. MAX WEBER UND DIE POLITISCHE WISSENSCHAFT ................................. 34
1. Die Probleme zwischen Max Weber und der normativen Politischen Wissenschaft ........................... 34
2. Die Werturteilsfreiheit .............................................................................................................................. 40
2.1 Unterschiedliche Dimensionen des Werturteilstreits 40
2.2 Kernaussagen der Werturteilsfreiheit 43
2.3 Die zwei Seiten des Weberschen Werkes 45
3. Über die Notwendigkeit der normativen Politischen Wissenschaft ...................................................... 48
VII
IV. MAX WEBERS LIBERALISMUS IN DER REZEPTION SEINER
INTERPRETEN ................................................................................................................ 50
1. Karl Jaspers – Philosophie und Bewunderung ....................................................................................... 50
1.1 Max Weber der Politiker 51
1.2 Max Weber der Philosoph 54
1.2.1 Vernunft und Freiheit 54
1.2.2 Das fragmentarische Werk 55
1.2.3 Überzeitliche Werte 56
1.3 Der Wert der Jasperschen Betrachtungen 57
2. Wolfgang Mommsen – Liberalismus und Nationalismus ...................................................................... 59
2.1 Liberale Kernelemente in historischer Perspektive 59
2.2 Politisches jenseits des Liberalismus: Webers Nationalismus 62
2.3 Mommsen Beitrag 64
3. Wilhelm Hennis – Kritische Distanz und Liberalismus ......................................................................... 65
3.1 Hennis Methode 65
3.2 Webers Liberalismus bei Wilhelm Hennis 67
3.3 Kritik an Hennis Ausführungen 69
V. MAX WEBERS POLITISCHE SCHRIFTEN .......................................................... 71
1. Die akademische Antrittsrede als Initialzündung des politischen Denkens Max Webers................... 71
1.1 Die Nation als oberster Wert 72
1.2 Nationalismus und Sozialdarwinismus 75
1.3 Glaube an die Zeit und Eudämonismus 77
2. Max Weber über das Bürgertum und die Arbeiterschaft ...................................................................... 79
2.1 Max Weber und das Bürgertum 79
2.2 Weber über die Unfähigkeit des deutschen Bürgertums 80
2.3 Weber über die Arbeiterschaft 82
3. Max Weber und die Demokratie als Technik ......................................................................................... 84
3.1 Demokratie als Technik 85
3.2 Die plebiszitäre Führerdemokratie 86
3.3 Liberale Demokratie oder autoritäre Führerherrschaft? 88
VIII
VI. WEITERE ASPEKTE DES WEBERSCHEN LIBERALISMUS .......................... 90
1. Die Verantwortungsethik .......................................................................................................................... 90
2. Naturrecht und Menschenrechte ............................................................................................................. 91
3. Charisma und Bürokratie ......................................................................................................................... 92
VII. SCHLUSSBETRACHTUNG .................................................................................... 93
1. Max Webers Werte.................................................................................................................................... 93
2. Webers „liberaler Antidogmatismus“ ..................................................................................................... 94
3. Max Weber und die Herrschaft ............................................................................................................... 95
4. Max Webers Aktualität ............................................................................................................................. 96
LITERATURVERZEICHNIS ......................................................................................... 98
10
I. Einleitung
Bei der Betrachtung der beiden zentralen Gegenstände dieser Arbeit, Max Weber auf
der einen und dem Liberalismus auf der anderen Seite, drängt sich die Frage auf, ob im
21. Jahrhundert noch immer nicht alle Fragen zu diesen Themen beantwortet sind.
Lohnt sich eine Beschäftigung mit einem vor beinahe neunzig Jahren verstorbenen
Soziologen und einer durch die Verfassungsrealität der westlichen Welt zur Praxis
gewordenen politischen Philosophie überhaupt noch? Ja, sie lohnt sich, denn die
Kulturprobleme, die Webers Denken durchziehen, haben sich heute noch nicht erledigt
und eine genaue Betrachtung des Liberalismus hat einen deutlichen Mehrwert für
unsere heutige Sichtweise auf die gesellschaftlichen Strukturen, die uns umgeben, zu
bieten.1
Dieser Mehrwert besteht in erster Linie in der Unterstützung der Reflexion unserer
Lebenswirklichkeit. Sowohl Max Weber, als auch der Liberalismus, können uns Ideen
und Konzepte vermitteln, die ein wohlgeordnetes Zusammenleben in einer
freiheitlichen Gesellschaft begünstigen. In einer Zeit, in der große philosophische
Entwürfe Mangelware sind und das geistige Leben sich in immer detaillierteren
Spezialisierungen zu verlieren scheint, kommt das Hinterfragen unseres
Gesellschaftsentwurfes oftmals zu kurz. Unter welchen Bedingungen kann unsere
liberale, demokratische Ordnung dauerhaft bestehen und welche Mechanismen wirken
diesem Bestehen entgegen? In diesen Kernfragen verbindet sich das politische Denken
Max Webers mit dem Liberalismus und bildet somit den Rahmen für diese Arbeit.
Betrachtet man die Fülle an Texten, die Max Weber verfasst hat und stellt man die
Bandbreite an politischen Ideen, welche der Begriff Liberalismus evoziert, daneben, so
wird unmittelbar deutlich, dass die vorliegende Arbeit nur ausschnitthaften Charakter
haben kann. Sowohl der Liberalismusbegriff als auch die hier untersuchten Teile des
Weberschen Werkes sind also genauestens zu benennen, um einer Beliebigkeit der
Betrachtung vorzubeugen.
Mit Max Weber und dem Liberalismus liegen dieser Arbeit zwei sehr unterschiedlich
rezipierte Topoi zugrunde. So weicht die Intensität mit der sich an deutschen
1 Vgl. Weiß, Johannes: „Zur Einführung“, in: Weiß, Johannes (Hrsg.): „Max Weber heute – Erträge und
Probleme der Forschung“, Frankfurt am Main 1989 (im Folgenden zitiert als Weiß: „Max Weber“), S. 9.
11
Universitäten, Stiftungen und sonstigen Einrichtungen der Wissenschaft mit diesen
beiden Themen auseinandergesetzt wird, sehr deutlich voneinander ab.
Auf der einen Seite steht Max Weber, dessen Denken beinahe neunzig Jahre nach
seinem Tod noch immer einen sozialwissenschaftlichen Diskurs befeuert, welcher in der
Quantität seines wissenschaftlichen Outputs seinesgleichen sucht. Wenn allein die
englischsprachigen Weber-Publikationen die Zahl von fast 5000 erreicht,2 muss man
sich der Aussage: „Niemand ist mehr in der Lage, die Weber-Literatur zu überblicken“3
anschließen.
Die Gründe für diese wahre Weber-Industrie sind vielschichtig.4 Sicherlich kann man
„die generelle Interdisziplinarität seines [Webers] Ansatzes“5 hervorheben oder darauf
verweisen, dass die Auseinandersetzung mit Weber der Soziologie über die
Ländergrenzen hinweg eine gemeinsame Identität verschafft.6 Ein weiterer Grund kann
sich auch in dem von Karl Jaspers betonten Fragmentcharakter7 verbergen, der Webers
Werk seiner Meinung nach kennzeichnet und der den Interpretationsspielraum erheblich
vergrößert. Ebenso ist mit Friedrich Tenbruck zu vermerken, dass kein anderer
Soziologe einer so umfassenden Biographisierung ausgesetzt war und ist.8
Auffallend ist, dass ein Großteil der Literatur über Max Weber einen soziologischen
oder historischen Hintergrund hat, während sich die Politische Wissenschaft in der
Rezeption des Weberschen Denkens zurückzuhalten scheint.9 Ausdrücklich wird diese
Arbeit einen politikwissenschaftlichen Blick auf den Liberalismus Webers werfen und
2 Vgl. Borchardt, Knut: „Einleitung“, in: Ay, Borchardt (Hrsg.): „Das Faszinosum Max Weber – Die
Geschichte seiner Geltung“, Konstanz 2006, S. 7.
3 Vahland, Joachim: „Max Webers entzauberte Welt“, Würzburg 2001 (im Folgenden zitiert als Vahland:
„Max Weber“), S. 12.
4 Vgl. Käsler, Dirk: „Max Weber – Eine Einführung in Leben, Werk und Wirkung“, Frankfurt am Main,
2003 (im Folgenden zitiert als Käsler: „Max Weber“), S. 9.
5 Albert, Bienfait, Sigmund, Wendt: „Das Weber-Paradigma. Eine Einleitung“, in: Albert, Bienfait,
Sigmund, Wendt (Hrsg.): „Das Weber-Paradigma – Studien zur Weiterentwicklung von Max Webers
Forschungsprogramm“, Tübingen 2003, S. 1.
6 Vgl. Käsler, „Max Weber“, S. 7.
7 Vgl. Abschnitt IV, Kapitel 1.
8 Vgl. Tenbruck, Friedrich: „Das Werk Max Webers“, in: Tenbruck, Friedrich: „Das Werk Max Webers –
Gesammelte Aufsätze zu Max Weber“, hrsg. von Harald Homann, Tübingen 1999, S. 59-98, S.62.
9 Vgl. Hübinger, Osterhammel, Welz: „Max Weber und die wissenschaftliche Politik nach 1945. Aspekte
einer theoriegeschichtlichen Nicht-Rezeption“, in: Zeitschrift für Politik Nr. 37, München 1990 (im
Folgenden zitiert als Hübinger (u. a.): „Weber und wissenschaftliche Politik“), S. 181-204, S.181.
12
versuchen, die Beweggründe und Probleme, die sich aus dieser Stellungnahme ergeben,
zu erläutern.
Zu diesem Zweck sei hier vermerkt, dass für diese Arbeit jegliche Psychologisierung
des Weberschen Werkes abgelehnt wird. Eine nachträgliche Rekonstruktion des
Menschen Max Weber ist weder Ziel dieser Arbeit, noch sollte sie Ziel einer
politikwissenschaftlichen Arbeit im Allgemeinen sein. Alle Zuweisungen, Urteile und
Meinungen in dieser Arbeit beziehen sich lediglich auf das überlieferte Denken Webers;
die „Person“ Max Weber ist somit nicht Gegenstand dieser Arbeit. Dennoch sollen
persönliche Urteile Webers untersucht werden, um seinen Liberalismus
herauszuarbeiten. Hierbei handelt es sich jedoch um politische Urteile, die zwar
persönlicher Natur sind und von Weber auch als dezidiert subjektive Wertvorstellungen
charakterisiert werden; die persönlichen, psychologischen Motivationen für diese Werte
sollen aber außen vor gelassen werden. Die Psyche und die Biographie eines Autors
sind für politisch-philosophische Erörterungen nur von untergeordneter Wichtigkeit.
Deutungen, welche in diese Richtung zielen, haben ihren Mehrwert vor allem für die
Geschichts- und Literaturwissenschaften, denn an den zentralen politischen Aussagen
der Texte Webers ändert ein Verständnis seiner Motivationen und Befindlichkeiten
wenig bis nichts. Der Terminus Max Weber steht hier also für ein abstrakt gedachtes
System politischen Denkens.
Dem gegenüber steht mit dem Liberalismus eine politische Denkrichtung, die zwar
zum theoretischen Allgemeingut zählt, welche allerdings seltener Gegenstand einer
umfassenden wissenschaftlichen Betrachtung ist. So ist die Deutung des
Liberalismusbegriffs heute einigermaßen diffus.10
Die Interpretation dieses politischen
Grundbegriffs beschränkt sich oft auf eine Darstellung der historischen Entwicklungen
der modernen Staats- und Demokratietheorien des 19. Jahrhunderts.
Diese Arbeit haben zu einem großen Teil Historiker, allen voran der Frankfurter
Emeritus Lothar Gall übernommen.11
Gall ist es auch, der folgerichtig feststellt, dass
Versuche den Liberalismus als „Gesamtphänomen“ zu beschreiben und theoretisch
10
Vgl. Schiller, Theo „Liberalismus”, in: Nohlen, Dieter (Hrsg.): „Kleines Lexikon der Politik”,
München 2002, (im Folgenden Schiller: „Liberalismus“). S.277-282.
11 Vgl. Gall, Lothar (Hrsg.): „Liberalismus“, Königstein 1985 (im Folgenden Gall: „Liberalismus“).
Dieser grundlegende Sammelband ist als Standardwerk zum Liberalismus anerkannt und wird im Verlauf
dieser Arbeit noch eine gewichtige Rolle spielen. Zur vertiefenden Beschäftigung mit dem Liberalismus
siehe: Gall, Koch (Hrsg.): „Der europäische Liberalismus im 19. Jahrhundert. Texte zu seiner
Entwicklung“, 4 Bände, Frankfurt am Main 1981.
13
aufzuarbeiten „bisher kaum unternommen und jedenfalls nicht hinreichend breit
diskutiert worden sind.“12
Will man sich aber mit dem Liberalismus als politischer
Philosophie befassen, so kommt man nicht umhin eine zumindest rudimentäre
Definition der liberalen Leitmotive zu liefern.
1. Zur Motivation
Anstoß für die Beschäftigung mit den beiden Leitthemen dieser Arbeit gab ein Text,
der in der politikwissenschaftlichen Weber-Forschung zu den Zentralen zu zählen ist:
„Max Webers Fragestellung“13
. Wilhelm Hennis untersucht hier Max Webers
Liberalismus, indem er liberale Kriterien aufstellt und anhand dieser Webers Werk auf
seinen „eigentümlichen Liberalismus“14
hin untersucht. Dieser Methode wird sich auch
die vorliegende Arbeit, in leicht veränderter Weise annehmen. Hennis folgend soll die
Zuordnung Webers zum Liberalismus vorausgesetzt und unbestritten bleiben.15
Im
Gegensatz zu Hennis soll der definitorischen Eingrenzung sowohl des Liberalismus als
auch der betrachteten Teile von Webers Werk mehr Raum geboten werden. Die drei
liberalen Kerngedanken, welche Hennis aufstellt,16
weichen, wie die nächsten Kapitel
zeigen werden, von den hier zugrunde gelegten liberalen Leitmotiven ab.
2. Die zentrale Fragestellung
Ziel der vorliegenden Arbeit mit dem Titel „Max Webers Liberalismus“ soll es sein,
die Verbindungen zwischen Max Webers Werk und dem Liberalismus, als politischer
Philosophie unter normativ-ontologischen Gesichtspunkten aufzuzeigen und so einen
klassischen, politisch-philosophischen Blickwinkel zu eröffnen. Die Zugehörigkeit
Webers zum Liberalismus voraussetzend, soll über diesen Weg ein Beitrag zum tieferen
Verständnis unserer liberalen Gesellschaftsordnung und der politischen Philosophie
hinter Max Webers Werk geleistet werden.
3. Zum Aufbau
In einem ersten Teil der Arbeit werden die der Betrachtung zugrunde liegenden
Begriffe definiert. Vor allem soll der Bestimmung des Liberalismusbegriffs einiger
Raum geboten werden. Gerade bei der Beschäftigung mit dem Liberalismus ist es von
12
Gall: „Liberalismus“, S. 9.
13 Hennis, Wilhelm: „Max Webers Fragestellung“, Tübingen 1987 (im Folgenden zitiert als Hennis:
„Fragestellung“).
14 Hennis: „Fragestellung“, S. 231.
15 Hennis: „Fragestellung“, S. 197.
16 Hennis: „Fragestellung“, S. 198f.
14
Nöten, die um diesen schillernden Terminus entstandenen Begriffsverwirrungen
aufzulösen. Auch wenn Lothar Gall der Ansicht ist, der Begriff Liberalismus sei rein
deskriptiv-phänomenologisch nicht mehr zu fassen,17
so wird hier dennoch der Versuch
unternommen, sich dem Wesen dieser politischen Philosophie anzunähern. Die
Annäherung geschieht in drei Schritten:
In einem ersten Schritt wird versucht die unterschiedlichen Sichtweisen auf den
Liberalismus anhand dreier Sphären der Betrachtung darzustellen. Bei einem so
umfangreichen Gedankengebäude, das der Liberalismus darstellt, muss man sich über
den eigenen Blickwinkel im Klaren sein; diese Problematik wird hier kurz thematisiert
werden.
Anschließend werden mit Lothar Gall18
und John Rawls zwei vollkommen
unterschiedliche Auslegungen des Liberalismus, gewissermaßen zwei Liberalismen,
vorgestellt. Mit Gall wird ein Blick auf die Ursprünge des Liberalismus im 18. und 19.
Jahrhundert geworfen. Welche politischen Elemente sind zentral und untrennbar mit
dem Liberalismus verbunden? Und gibt es unterschiedliche Vorstellungen von dem,
was als liberal zu gelten hat? Geleitet von diesen Fragen soll ein Blick auf die von
Lothar Gall zusammengestellten Texte geworfen werden.
Auch für die Beschäftigung mit dem politischen Liberalismus nach John Rawls sind
diese Fragen wichtig. Wie antwortet das 20. Jahrhundert in Gestalt des
Philosophieprofessors aus Harvard auf die Probleme der modernen liberalen
Gesellschaft? Die Wahl gerade dieser beiden Liberalismusdefinitionen ist sicher sehr
selektiv und man könnte sich auch auf andere Weise dem Phänomen nähern. So wäre
beispielsweise auch eine Betrachtung der für den Liberalismus essentiellen Schriften
der Philosophen der Aufklärung, ebenso lohnend wie eine Auseinandersetzung mit den
Kritikern liberalen Denkens. In Bezugnahme auf Max Weber wäre es auch interessant,
sich die zu seinen Lebzeiten vorherrschende Anschauung des Liberalismus,
beispielsweise in Form von August Mieses oder Friedrich August von Hayek zu
besehen. Dieser Schritt wird jedoch im Hinblick auf die Aktualität nicht unternommen.
Die Selektivität der Betrachtung liegt hier im Rahmen dieser Arbeit begründet. Die
Definitionen des Liberalismusbegriffs nach Lothar Gall und John Rawls bilden also im
Großen und Ganzen die Grundlage für die in einem vierten Schritt aufgestellten
Kernthesen des Liberalismus. Diese Kernthesen sollen dann für die weitere Betrachtung
den der Arbeit zugrunde liegenden Liberalismusbegriff definieren.
17
Vgl. Gall: „Liberalismus“, S.9.
15
Im Anschluss daran wird ein weiterer Komplex eröffnet, welcher teilweise der
Definition von Grundbegriffen dient, darüber hinaus jedoch der zentralen Fragestellung
bereits inhaltlich begegnet: Max Weber und die Politische Wissenschaft. Dieses Kapitel
widmet sich dem Spannungsverhältnis zwischen Weber und der Politischen
Wissenschaft in Deutschland. Die Gründe für die komplizierte Beziehung zwischen
Weber und der Politischen Wissenschaft sind wissenschaftstheoretischer Natur und
sollen in diesem Kapitel Gegenstand der Betrachtung sein. Hier wird es um die Frage
des vermeintlichen Widerspruchs zwischen dem Postulat der Wertfreiheit, welches Max
Weber für die Sozialwissenschaft fordert, und einer normativ verstandenen Politischen
Wissenschaft gehen. Inwieweit kann man mit Weber dieser wertebezogenen
Interpretation der Politischen Wissenschaft entgegentreten und inwieweit ist dies eines
der populärwissenschaftlichen Missverständnisse, die Webers Werk begleiten.
Der dritte inhaltliche Teil stellt exemplarisch drei Weberinterpreten, die sich mit Max
Webers Liberalismus befasst haben, in den Mittelpunkt. Karl Jaspers, Wolfgang
Mommsen und Wilhelm Hennis gehören zu den zentralen Interpreten, die vor allem für
die politische Wissenschaft wichtige Erkenntnisse gewonnen haben. Auch hier könnte
man die Reihe problemlos um weitere wichtige Wissenschaftler, so etwa Friedrich
Tenbruck, Wolfgang Schluchter oder Dirk Käsler und ihre Auslegungen erweitern.
Dennoch haben diese alle einen explizit soziologischen Hintergrund, der bei der Suche
nach der politischen Philosophie des Weberschen Liberalismus zwar detaillierte
Hinweise geben kann, im Ganzen betrachtet aber ein anderes wissenschaftliches Ziel
hat.
Diese Suche nach Max Webers Liberalismus wird im Folgenden in seinen politischen
Schriften fortgesetzt. Hier tritt Webers politische Einstellung teilweise sehr offen zu
Tage, so dass die politischen Schriften ein lohnender Ort für die Suche nach Webers
Liberalismus sein könnte. Max Webers Gedanken werden hier unter den
Gesichtspunkten der Akademischen Antrittsrede, seiner Beziehung zum Bürgertum und
seiner Einstellung zur Demokratie, mit den vorab definierten liberalen Kernelementen
in Verbindung gebracht und auf ihre Liberalität hin untersucht. Es ist offensichtlich,
dass hier nicht schablonenhaft vorgegangen werden kann und die Ergebnisse kein
schwarz-weißes Bild ergeben werden.
18
Bzw. mit den Autoren, die in Lothar Galls Sammelband „Liberalismus“ zu Wort kommen.
16
In einer notwendig verkürzten Darstellung, werden in einem allerletzten Schritt
weitere Aspekte des Weberschen Liberalismus angeschnitten, die hier nicht mehr
tiefgehend behandelt werden können.
4. Das politische Werk Max Webers – Eingrenzung der betrachteten Schriften
Das Werk Max Webers gehört in seiner Fülle und seiner Bandbreite zu den
herausragenden Hinterlassenschaften der Sozialwissenschaften. Für die vorliegende
Arbeit ist es deshalb strengstens geboten eine Auswahl zu treffen und die betrachteten
Teile des Werkes zu benennen. Dies ist dringend von Nöten, da sonst eine Fokussierung
auf den Liberalismus Webers nicht möglich ist.
Wie Wilhelm Hennis ganz richtig bemerkt, hat das Werk Max Webers einen höchst
seltsamen Charakter.19
Seltsam deshalb, da Weber, für einen Akademiker eher
untypisch, Zeit seines Lebens lediglich zwei abgeschlossene Schriften als Bücher
veröffentlicht hat, nämlich seine Dissertation und seine Habilitationsschrift. Die
weiteren Texte Webers, die uns heute in der Edition der Max-Weber-Gesamtausgabe
zur Verfügung stehen, wurden erst posthum in einen Zusammenhang gesetzt und so
erneut publiziert.
Als Hauptwerk Webers gilt bis heute „Wirtschaft und Gesellschaft“, auch wenn
Friedrich Tenbruck bereits 1977 berechtigte Zweifel an der Einheit dieses nach Webers
Tod nur als Fragment vorhandenen und erst von Marianne Weber, dann von Johannes
Winckelmann veröffentlichten, opus summum hegte.20
Das Mammutprojekt der Max-
Weber-Gesamtausgabe, welches sich seit über 30 Jahren der Edition des Weberschen
Werkes, samt seiner Briefe und Vorlesungen, widmet hat sich dieser Kritik
angenommen und publiziert „Wirtschaft und Gesellschaft“ nunmehr nicht als ein
abgeschlossenes Werk, sondern unterteilt es in fünf Teilbände. Somit wird der
19
Vgl. Hennis: „Fragestellung“, S. 8.
20 Ursprünglich als „Grundriss der Sozialökonomik. III. Abteilung. Wirtschaft und Gesellschaft“,
bearbeitet von Max Weber. Tübingen 1921/22; 2. Aufl. 1925 (mit Anhang „Die rationalen und
soziologischen Grundlagen der Musik“), hrsg. von Marianne Weber; 3. Aufl. 1947 (unveränderter
Nachdruck der 2. Aufl.); 4. Aufl. 1956, neu hrsg. und erweitert von J. Winckelmann; 5. Aufl. 1972, hrsg.
und revidiert von Winckelmann als „Wirtschaft und Gesellschaft - Grundriss der verstehenden
Soziologie“; Vgl. Friedrich Tenbruck: „Abschied von Wirtschaft und Gesellschaft“, in: Tenbruck,
Friedrich: „Das Werk Max Webers – Gesammelte Aufsätze zu Max Weber“, Herausgegeben von Harald
Homann, Tübingen 1999, S.123-156. Tenbruck kritisiert in diesem Text die Umstände der Edition des
Weberschen Nachlasses; Vgl. auch: Winckelmann, Johannes: „Max Webers hinterlassenes Hauptwerk –
Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Entstehung und gedanklicher Aufbau“,
Tübingen 1986.
17
textlichen Fiktion ein Ende gesetzt.21
Diese Unterteilung in die fünf Teilbände:
„Gemeinschaften“, „religiöse Gemeinschaften“, „Recht“, „Herrschaft“ und „Die Stadt“,
erleichtert die Fokussierung auf Teilbereiche des Weberschen Denkens.
Um Webers Liberalismus aufzudecken muss man in seinem Werk nach
Anhaltspunkten forschen, die Aussagen zu den in dieser Arbeit aufgestellten liberalen
Kernelementen enthalten. Hier bieten sich zunächst die Teilbände „Recht“ und
„Herrschaft“ an, die in einem engeren Sinne als die politischen Teile des Fragments
„Wirtschaft und Gesellschaft“ zu bezeichnen sind.
Des Weiteren wird sich diese Arbeit an den politischen Schriften und Reden Webers
orientieren, die in der Potsdamer Internet Ausgabe unter dem Titel „Gesammelte
Politische Schriften“ zusammengetragen wurden. Diese Zusammenstellung beinhaltet
eine Reihe von Texten, die Webers politisches Denken anhand von tagespolitischen
aber auch teils programmatischen Aufsätzen widerspiegeln. Sie orientiert sich an der so
genannten Marianne-Ausgabe der 1920er Jahre, in welcher Marianne Weber die
Schriften ihres Mannes posthum gesammelt publizierte.22
Bei der Betrachtung von Webers Liberalismus ausgespart bleiben sämtlich seine
Schriften zur Religionssoziologie, sowie Webers Soziologische Kategorienlehre. Zwar
ist es gerade die Kategorienlehre, die einen so immens wichtigen Beitrag für die
Soziologie geliefert hat, für ein tieferes Verständnis des Weberschen Liberalismus steht
sie aber nicht im Vordergrund. Wichtig für die Beziehung zwischen Weber und der
Politischen Wissenschaft sind des Weiteren seine wissenschaftstheoretischen Schriften,
die unter dem Titel „Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre“ erschienen sind.
Auch die „Gesammelten Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik“ beinhalten
teilweise Hilfreiches, um den Weberschen Liberalismus zu charakterisieren.
Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen aber definitiv die politischen Schriften Webers, da
hier die politischen Wertvorstellungen Max Webers am unverblümtesten zum
Vorschein kommen. Sie sind die erste Quelle für Webers politische Ansichten und
letztlich auch für seine Ideale. Nach Karl Jaspers ist der Inhalt dieser, meist auf die
21
Käsler, Dirk: „Eine Konstruktion wird dekonstruiert – Max Webers ‚Wirtschaft und Gesellschaft’
zerfällt in Einzelteile“, zitiert nach:
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=9356&ausgabe=200604 (Stand 14.07.2008).
22 Die „Gesammelten Politischen Schriften“, im Folgenden GPS, die „Gesammelten Aufsätze zur
Wissenschaftslehre“, im Folgenden GAWL, sowie die „Gesammelten Aufsätze zur Soziologie und
Sozialpolitik“, im Folgenden GASS, sind sämtlich der Potsdamer Internet Ausgabe (PIA) entnommen.
Vgl.: http://www.uni-potsdam.de/u/paed/pia/index.htm (Stand 09.10.2008).
18
Tagespolitik bezogenen Schriften, dass „was ihm [Max Weber] zwar ganz auf den
Augenblick gerichtet ist, aber Lehre für immer bleibt.“23
23
Jasper: „Max Weber“, S. 59.
19
II. Definitorische Annäherung an den Liberalismusbegriff
Wie in der vorangegangenen Einführung in die Fragestellung bereits kurz
beschrieben, ist die Definition des Liberalismusbegriffs mit einigen Schwierigkeiten
verbunden. Diese Schwierigkeiten gründen vor allem in der Vielschichtigkeit der
Konnotationen des Ausdrucks Liberalismus. Beinahe jeder, der diesen politischen
Ausdruck hört, sieht eine andere Kette von Bedeutungen vor seinem geistigen Auge
vorbeiziehen. In einem ersten Schritt muss also diese Vielschichtigkeit aufgeschlüsselt
werden, um sich dem Liberalismusbegriff zu nähern.
Grundsätzlich kann man die Erforschung des Liberalismusbegriffs in drei Sphären24
der Betrachtung unterteilen, die immer wieder auftauchen und deren Vermischung zu
einem großen Teil die Konfusion um den Liberalismus anheizt.
1. Drei Sphären der Betrachtung
1.1 Die praktisch-theoretische Sphäre
Diese erste Sphäre ist vielleicht die wichtigste in der Beurteilung des Liberalismus. Es
gilt nämlich zu unterscheiden zwischen der politischen Realität, vor allem des 18. und
19. Jahrhunderts25
, deren politische Ereignisse oftmals mit dem Terminus Liberalismus
umschrieben werden und der theoretischen, politisch-philosophischen Dimension des
24
Unter Sphären verstehe ich hier Bedeutungszusammenhänge, die als ein abgeschlossener Rahmen für
eine jeweilige Betrachtung des Liberalismus als Begriff zu gelten haben. Sicherlich sind die hier
genannten drei Sphären keine absolut abgeschlossene Aufzählung der Liberalismusdimensionen.
Dennoch können sie die wissenschaftliche Auseinandersetzung deutlicher eingrenzen und somit einer
Beliebigkeit der Betrachtung vorbeugen.
25 So auch Lothar Gall, der seine Definition des Liberalismusbegriffs beginnt mit: „Unter Liberalismus
verstehe ich in diesem Sinne hier in erster Linie, bezogen auf die westlichen und mittleren Teile
Kontinentaleuropas, jene politische Richtung, die sich aus der sogenannten Verfassungsbewegung des
späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts entwickelte.“ Gall, Lothar: „Liberalismus und ‚bürgerliche
Gesellschaft’ – Zu Charakter und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland“, in: Gall:
„Liberalismus“, S. 162.
20
Liberalismus. Erstere, die praktische Betrachtung, hat eindeutig einen deskriptiven
Charakter.
Auch wenn Lothar Gall anmerkt, dass sich die modernen „Ismen“ einer reinen
Deskription entzögen, weil diese immer auch eine theoretische Definition impliziere,26
so ist es dennoch evident, dass hier unterschieden werden muss. Dieser Unterschied
liegt in der Intention. Im praktischen Ansatz wird versucht ideengeschichtlich die
historischen Umstände und Gegebenheiten einer politischen Denkrichtung darzulegen.
Vielfach wird sich dabei auf einen bestimmten Liberalismus in einer umgrenzten
Zeitspanne an einem begrenzten Ort beschränkt. Im theoretischen Ansatz hingegen wird
versucht, allgemeine, philosophische Grundgedanken des Liberalismus abstrakt zu
charakterisieren.
Dieser Vorgehensweise folgt John Rawls, indem er in seiner Arbeit den Liberalismus
versucht politisch-philosophisch und somit losgelöst von historischen Ereignissen zu
denken. Die Interdependenz beider Sphären ist nicht von der Hand zu weisen, auf die
Unterschiede sei jedoch verwiesen. Diese Sphäre erstreckt sich also zwischen Theorie
und Praxis.
1.2 Die personalisiert-allgemeine Sphäre
Die Grundlage des Liberalismus bildet eine Reihe von Schriften politischer und
philosophischer Denker, die lang genug ist, um den Rahmen dieser Arbeit zu
sprengen.27
Nennt man diese Namen, beziehungsweise die maßgeblichen Texte, und
verweist auf sie, im Zuge einer Definition des Liberalismusbegriffs, so personalisiert
man diesen.28
Der Bezugsrahmen verengt sich folglich und spitzt sich auf eine ganz
bestimmte und spezielle Form des Liberalismus zu. Der Gegensatz hierzu kann nur eine
allgemeine Betrachtung sein, welche zwar die von bestimmten Denkern aufgestellten
Kriterien einbezieht, diese jedoch nicht an den Personen festmacht, sondern sie
abstrahiert und theoretisch zum Allgemeingut erhebt.
1.3 Die politisch-ökonomische Sphäre
26
Gall: „Liberalismus“, S. 9.
27 Ich verweise hier wiederum auf die von Gall und Koch zusammengestellte Textsammlung (Fn. 11),
welche die bedeutendsten Texte, die zur Konstituierung des Liberalismus als Denkrichtung beigetragen
haben, zusammenstellt.
28 Vgl. Knoll, Joachim H.: „Liberalismus“, in: Schoeps, Knoll, Bärsch (Hrsg.): „Konservatismus,
Liberalismus, Sozialismus – Einführung/Texte/Bibliographien“, München 1981 (im Folgenden zitiert als
Knoll (u. a.): „Liberalismus, Konservatismus, Sozialismus“), S. 88.
21
Die Idee des Liberalismus ist beinahe nicht ohne den Kapitalismus als vorherrschende
Wirtschaftsform zu denken. Heute wird der Begriff des Liberalismus in erster Linie mit
neo- und marktliberalen Gedanken in Verbindung gebracht.29
Die politische Dimension
des Liberalismus mit den politisch-philosophischen Kernelementen, die das
gesellschaftliche Zusammenleben thematisieren, tritt häufig in den Hintergrund.
Natürlich lassen die Kernelemente des politischen Liberalismus eine konsequent nicht-
kapitalistische Wirtschaft beinahe nicht zu, dennoch kann und muss man sich die
politische Dimension beizeiten isoliert von ökonomischen Gegebenheiten besehen
können. Ebenso ist der ökonomische Liberalismus als eigenständiges System
anzusehen, welches freilich nicht ohne den politischen Liberalismus existieren kann.
Die Nennung dieser drei Sphären soll deutlich machen, wie unterschiedlich die
Herangehensweise an den Liberalismusbegriff vonstatten gehen kann. Auch wenn
beinahe alle Autoren, die in dieser Arbeit zur Definition des Begriffs Liberalismus
herangezogen wurden, darauf verweisen, dass diese definitorische Arbeit noch nicht
geleistet wurde,30
nur schwer zu leisten31
oder gar, dass die Relevanz des Liberalismus
für das 21. Jahrhundert diffus und umstritten ist,32
so ist es dennoch einen Versuch wert,
in Fortführung der soeben genannten Sphären, eine theoretisch-politisch-allgemeine
Definition des Liberalismus aufzustellen.
Betrachtet werden aber nun zunächst zwei vollkommen unterschiedliche
Begriffsbestimmungen des Liberalismus: Der praktische, gewissermaßen real
existierende Liberalismus nach Lothar Gall33
und die abstrakte, persönliche Konzeption
29
Schon bei dieser Aussage wird wieder die Ortsbezogenheit des Begriffes Liberalismus deutlich. Diese
Aussage ist nur aus einem europäischen Kontext heraus zu bejahen. In den USA beispielsweise stehen die
Gedanken der „liberals“ für eine links-liberale Politik. Dieses Beispiel zeigt die Verwirrungen, die eine
Beschäftigung mit dem Liberalismus mit sich bringt. In dieser Arbeit wird der Fokus, um dies erneut
deutlich zu machen, auf die Kernelemente liberalen Denkens gelegt, die alle unterschiedlichen
Liberalismen verbinden. Der Liberalismus taucht hier also immer als abstrakte politische Philosophie auf.
30 Vgl. Gall, „Liberalismus“, S. 9, S. 162.
31 Vgl. Knoll (u.a.), „Liberalismus, Konservatismus, Sozialismus“, S. 87ff.
32 Vgl. Schiller: „Liberalismus” S.278.
33 Auch wenn Lothar Gall hier „nur“ als Herausgeber fungiert, so werde ich im Folgenden von dem
Liberalismus nach Lothar Gall sprechen. Ich beziehe mich vor allem auf folgende Texte des Bandes:
Schapiro: „Was ist Liberalismus“, S. 20-36; Leontovitsch: „Das Wesen des Liberalismus“, S. 37-53;
Watkins: „Theorie und Praxis des modernen Liberalismus“, S. 54-76; Ashcraft: „Marx und Weber über
den Liberalismus als bürgerliche Ideologie“, S. 77-121; Cesaire: „Der Liberalismus und die Liberalismen.
Versuch einer Synthese“, S. 134-146; Gall: „Liberalismus und ‚bürgerliche Gesellschaft’. Zu Charakter
22
des politischen Liberalismus nach John Rawls. Die Entscheidung für diese beiden
Varianten einer Definition des Liberalismus ist sicherlich sehr selektiv. Dennoch lässt
sich gerade anhand dieser beiden Autoren die Bandbreite des Liberalismusbegriffs
verdeutlichen.
Dies liegt an der herausgehobenen Stellung beider Definitionen. Lothar Galls
Textsammlungen gelten in der Auseinandersetzung mit dem Liberalismus als
Standardwerke und eine ernsthafte Beschäftigung ist ohne das Studium dieser Texte
kaum denkbar. Ein weiterer Grund für die Auswahl Lothar Galls ist bereits in dem
Abschnitt über die Motivation zu dieser Arbeit kurz angerissen worden. Auch Wilhelm
Hennis bedient sich an Galls Textsammlung, kommt allerdings in der Aufstellung seiner
liberalen Kernthesen zu einem völlig anderen Ergebnis. Somit ist eine Einbeziehung
Lothar Galls unumgänglich.
John Rawls Konzeption des politischen Liberalismus bildet gewissermaßen einen
Gegenpol zu der von Gall gelieferten Definition. Seine an den frühen
Vertragstheoretikern angelehnte Definition ist persönlich. John Rawls unterbreitet seine
eigene Konzeption des politischen Liberalismus ohne sich der Deskription
verschiedener Liberalismen zu bedienen. Vielmehr versucht er einen Liberalismus
philosophisch neu zu begründen. Zudem spielt seine Aktualität eine Rolle, denn er
bildet als Exponent des späten 20. Jahrhunderts ein Gegengewicht zu den klassisch-
liberalen Gedanken die Lothar Gall zusammengetragen hat.
Die Auswahl der betrachteten Liberalismusdefinitionen hätte beliebig erweitert
werden können. Dennoch können die hier vorgestellten Autoren einen mehr als
vorläufigen Blick auf den Liberalismus liefern.
2. Der Liberalismus nach Lothar Gall
Folgt man dem soeben aufgestellten Modell der unterschiedlichen Sphären der
Betrachtung, so wird man die Liberalismusdefinition, welche sich in dem von Lothar
Gall herausgegebenen Band „Liberalismus“ verbergen, als praktisch und teilweise
personalisiert klassifizieren können. Deutlich wird dies bei Watkins, der feststellt: „Zu
Anfang war der moderne Liberalismus nicht ein Produkt theoretischer Betrachtungen,
und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland“, S. 162-186. Bei folgenden Zitaten unter
Angabe des jeweiligen Autors.
23
sondern praktischer Erfahrungen“34
. Ebenso weist Gall in seiner Einleitung darauf hin,
dass der „diffuse Charakter“ des Liberalismus individualistische Interpretationen
hervorruft, welche wiederum eine „starke Einbindung [des Liberalismus] in den
jeweiligen historischen Kontext bedingt.“35
Dies zeigt die geschichtswissenschaftliche
Ausrichtung dieses Deutungsmusters. Doch Gall geht noch weiter. Er erteilt allen
Versuchen einer generellen Definition des Liberalismus eine Absage, indem er sie als
bloße Additionen der einzelnen Liberalismen36
diskreditiert.37
Diese Ansicht kann aus einem politikwissenschaftlichen Blickwinkel nur schwer
akzeptiert werden. Sicherlich gehört die Benennung dessen, was der Liberalismus als
politische Philosophie zu bedeuten hat, zu den schwierigen Aufgaben der Politischen
Wissenschaft und kaum ein Autor, der sich um eine Definition, bemüht kommt ohne
einen Verweis auf diese Schwierigkeiten aus. Doch die Politische Philosophie wäre zu
einem Ende gekommen, könnte sie nicht die Wurzeln unserer demokratischen
Gesellschaft ergründen.
Die Individualität der verschiedenen Liberalismusinterpretationen zeigt sich bereits
bei den unterschiedlichen Wendungen, die für diesen Ismus gewählt werden. Die
Weiteste bietet sicherlich Watkins an, der vom Liberalismus als der „moderne[n]
Verkörperung aller charakteristischen Traditionen der westlichen Politik“38
spricht.
Bezogen auf diese Charakterisierung wird deutlich, was Gall mit der bloßen Addition
der Liberalismen meint. Die von Watkins gewählte Formulierung ist nicht viel mehr als
ein Allgemeinplatz, der uns nicht zu einem tieferen Verständnis des
Liberalismusbegriffs führt. Dennoch bleibt festzuhalten, dass der Liberalismus als
westliches Phänomen zu bezeichnen ist.39
Als eine weitere Gemeinsamkeit der subjektiven Liberalismusdefinitionen müssen
das Freiheitsideal und der Individualismus gesehen werden. Ohne diese beiden
34
Watkins in: „Liberalismus“, S. 57.
35 Gall: „Liberalismus“, S. 9f.
36 Cesaire benutzt diesen Begriff um die unterschiedlichen Ausformungen des Liberalismus zu
charakterisieren. Vgl. Cesaire in: „Liberalismus“, S. 134.
37 Gall: „Liberalismus“, S. 10.
38 Watkins in: „Liberalismus“, S. 54. Zu vermerken ist hier, dass Watkins Text bereits aus dem Jahr 1948
stammt und von einer tiefen Sorge um das Überleben des Liberalismus im Kampf der Systeme nach dem
2. Weltkrieg geprägt ist. Der Liberalismus tritt in Form der konstitutionellen Demokratie, deren einzige
Alternative der Totalitarismus ist, auf. Noch weiter geht Hobhouse, der vom Liberalismus als „ein alles
durchdringendes Element der Lebenstruktur der modernen Welt“ spricht. Zitiert nach Schapiro: S. 20.
39 Vgl. auch Leontovitsch in: „Liberalismus“, S. 37.
24
Grundbegriffe kommt keiner der Verfasser aus. Die Verwirklichung größtmöglicher
Freiheit sehen alle Autoren als das verbindende Element aller Liberalismen an. Sie
bildet den roten Faden „durch das Dickicht von Meinungen, Kontroversen und
leidenschaftlichen Aufwallungen“40
, die die Beschäftigung mit dem Liberalismus mit
sich bringt. Leontovitsch formuliert die Verbindung beider Kernelemente sehr klar:
„Die Grundidee des Liberalismus ist die Verwirklichung der Freiheit, der Freiheit des
Individuums.“41
Das Individuum wurde von den Philosophen der Aufklärung ins Zentrum des
Interesses gerückt und ist als Träger der Freiheit der Ausgangspunkt liberaler
Gesellschaftsmodelle. Dabei steht das Individuum stets in Opposition zum Staat. Diese
gegenpolige Struktur führt zwangsläufig zu einer Konzeption von Abwehrrechten, um
die liberale Prämisse des Freiheitsideals zu verwirklichen. Watkins formuliert diesen
Sachverhalt wie folgt:
„Das Ziel der meisten westlichen Denker, war es immer eine Gesellschaft zu
errichten, in der jedes Individuum mit einer auf ein Minimum begrenzten
Abhängigkeit von der willkürlichen Autorität seiner Herrscher […] seinen
eigenen Weg innerhalb eines vorherdefinierten Rahmens legaler Rechte und
Pflichten zu bestimmen.“42
Die „willkürliche Autorität der Herrscher“ ist gewissermaßen ein vorliberales
Moment, dem die moderne Staatskonzeption entgegentritt. So nennt Schapiro den
Liberalismus den „Schöpfer des modernen Staates“, der die „Herrschaft von Menschen“
durch die „Herrschaft von Gesetzen“ 43
austausche. Die Geschichte des Liberalismus ist
also eng mit der Geschichte des modernen Staates verknüpft und die wechselseitigen
Beziehungen sind nicht immer leicht zu entschlüsseln.
Mit der Gleichheit gesellt sich ein weiterer politischer Terminus zu den bereits
genannten Kernelementen. Dieser ist allerdings nicht mit solcher Klarheit, wie die
vorangegangenen, als liberal zu kennzeichnen. In erster Linie ist die Gleichheit, als
Gleichheit vor dem Gesetz, konstitutiver Bestandteil des Liberalismus. Alle
weitergehenden Ansätze, vor allem solche, die ökonomische Gleichheit anstreben, sind
Ausformungen des Liberalismus.44
Jeder Gleichheitsbegriff, der über die Gleichheit vor
40
Cesaire in: „Liberalismus“, S. 140.
41 Leontovitsch, in: „Liberalismus“, S. 37.
42 Watkins in: „Liberalismus“, S. 55.
43 Vgl. Schapiro in: „Liberalismus“, S. 30f.
44 Vgl. Schapiro in: „Liberalismus“, S. 26f. Schapiro weist darauf hin, dass die Sozialisten die liberale
Vorstellung der Gleichheit vor dem Gesetz auf die ökonomische Gleichheit erweiterten. Diese ist
25
dem Gesetz hinausgeht, ist also keine notwendige Bedingung für das Vorliegen einer
liberalen Gesellschaft. Allerdings vergrößert sich in der Vorstellung des Liberalismus
die Freiheit eines jeden Gesellschaftsmitglieds mit wachsender Gleichheit.45
Mit den politischen Begriffen der Freiheit, des Individuums, der Abwehrrechte gegen
den Staat und der Gleichheit vor dem Gesetz enden auch schon die Gemeinsamkeiten
der Liberalismusdefinitionen in Galls Sammelband. Jeder Autor reiht noch einige
weitere Elemente hinzu, die jeweils nicht zum allgemeinen Konsens fähig scheinen.
Einige interessante Aspekte seien hier noch genannt:
So stellt Schapiro die antidogmatische Komponente des Liberalismus heraus.46
Wahrheit ist demzufolge immer relativ und nie absolut. Fraglich ist hierbei sicherlich,
ob nicht die liberalen Kernelemente, wie beispielsweise das Freiheitsideal, als Dogma
zu gelten haben. Auch John Rawls macht die antidogmatische, tolerante Komponente
später zu einem zentralen Punkt seiner Liberalismuskonzeption, wie das nächste Kapitel
zeigen wird. Zusätzlich fügt Schapiro den Begriff der Verantwortung in seine Definition
des Liberalismus ein. Durch das allgemeine Wahlrecht des modernen liberalen Staates,
sahen sich die Mandatsträger dem Wähler gegenüber als verantwortlich an.47
Somit war
die Macht an Verantwortung gekoppelt und büßte ihre willkürliche Komponente ein.
Eine weitere Facette bringt Leontovitsch in die definitorische Arbeit ein, indem er das
Abschaffen dessen, was die individuelle Freiheit bedroht, als Methode des Liberalismus
charakterisiert.48
Diesen Punkt greift Wilhelm Hennis in seiner Bewertung von Max
Webers Liberalismus49
auf und macht ihn zu einem liberalen Kernelement. In einer
historischen Perspektive ist diese negativ formulierte Definition sicherlich vertretbar, da
sich die Idee des Liberalismus durch das Abschaffen von Standesprivilegien den
Zugang zu politischer Gestaltungsfähigkeit sichern musste. Betrachtet man aber den
Liberalismus als politische Philosophie, so ließe sich ebenso die Ansicht vertreten, der
Liberalismus setze auf das Schaffen als Methode, und zwar auf das Schaffen von
allerdings kein primäres Ziel des Liberalismus, verwirklicht sich aber dennoch in der Idealvorstellung der
liberalen Gesellschaft.
45 Vgl. Schapiro in: „Liberalismus“, S. 27. Die Beziehung des Liberalismus zum Gleichheitsbegriff war
oft Anlass zur Kritik, vor allem von Links. Die freie Gesellschaft ist in den Augen der Kritiker
unvollendet, solange die ihr angehörigen Individuen nicht auch gleich sind.
46 Vgl. Schapiro in: „Liberalismus“, S. 24.
47 Vgl. Schapiro in: „Liberalismus“, S. .31.
48 Vgl. Leontovitsch in: „Liberalismus“, S.37.
49 Vgl. Hennis, „Fragestellung”, S. 196f.
26
Voraussetzungen, die das Leben in einer freiheitlichen Gesellschaft begünstigen.
Demzufolge kann das Abschaffen an sich kein Kernelement des Liberalismus sein.
Die unterschiedlichen Interpretationsansätze in Galls Sammelband bergen aber neben
Gemeinsamkeiten auch offene Widersprüche:
Ein erster verbirgt sich hinter der Einstellung des Liberalismus zu utilitaristischen
Gedanken. Während beispielsweise Leontovitsch das Glück des Individuums als Ziel
des Liberalismus benennt,50
erteilt Watkins diesem Ansatz eine klare Absage. Dieser
stellt der Vorstellung des orthodoxen Utilitarismus Kants ethische Theorie entgegen,
nach der „die moralische und intellektuelle Entfaltung des individuellen Menschen“51
den Sinn des Lebens ausmacht. Zwar muss man den Utilitarismus als eine genuin
liberale Spielart betrachten und sicherlich gehören die beiden herausragenden Denker
dieser Schule, nämlich Jeremy Bentham und John Stuart Mill zu den tragenden Säulen
des liberalen Gedankengebäudes; ein Kernelement des Liberalismus ist der Glaube an
das größte Glück der größten Zahl jedoch nicht.
Der augenscheinlichste Widerspruch in Galls Sammelband betrifft allerdings die
angenommene Anthropologie hinter dem Liberalismus. Während Schapiro behauptet
der Liberalismus sähe den Menschen in Abkehr der christlichen Sünderlehre als dem
Wesen nach gut an52
, relativiert Leontovitsch diese Anthropologie, indem er dem
Liberalismus unterstellt anzunehmen, der Mensch sei eben nicht immer nur gut und sein
Wille auf das Gute gerichtet.53
Hier stehen sich also zwei konträre Meinungen
gegenüber, deren Gegensätzlichkeit nicht aufzulösen ist. Festzuhalten ist in jedem Fall,
dass der Liberalismus dem Menschen die grundsätzliche Vernunftfähigkeit zuspricht
und diese als Voraussetzung des Funktionierens der liberalen Gesellschaft betrachtet.54
Zusammenfassend lässt sich der Liberalismus nach Lothar Gall also in erster Linie als
politische Philosophie kennzeichnen, die in Fortführung der Ideen der Aufklärung die
Freiheit des Individuums zum obersten Gut einer Gesellschaft erhebt. Ausgehend von
dieser Prämisse ist der moderne Rechtsstaat mit seinen individuellen Abwehrrechten
das Mittel, um eine Gesellschaft formal gleicher Individuen zu errichten. Die
Darstellung Galls bezieht sich hierbei vor allem auf die politische Realität des 19.
Jahrhunderts, als dem Ursprung des Liberalismus, und trifft wenig Aussagen über die
50
Vgl. Leontovitsch in: „Liberalismus“, S. 39.
51 Vgl. Watkins in: „Liberalismus“, S. 63.
52 Vgl. Schapiro in: „Liberalismus“, S. 22.
53 Vgl. Leontovitsch in: „Liberalismus“, S. 38.
54 Vgl. Watkins in: „Liberalismus“, S. 76.
27
Probleme unserer heutigen liberalen Gesellschaft. Diesen Problemen nimmt sich im
Gegensatz hierzu John Rawls an, indem er die von Gall gelieferten Definitionen des
Liberalismus nicht problematisiert, sondern sich gewissermaßen um eine Optimierung
unserer liberalen Gesellschaft bemüht.
3. Der politische Liberalismus nach John Rawls
Mit dem politischen Liberalismus John Rawls rückt nun eine Definition des
Liberalismus ins Zentrum des Interesses, die von der praktischen und vor allem
deskriptiven Herangehensweise, die im vorangegangenen Kapitel vorgestellt wurde,
völlig verschieden ist: War der Blickwinkel bei Lothar Gall noch vor allem ein
historischer, so versucht John Rawls systematisch sein eigenes Verständnis des
Begriffes politischer Liberalismus zu entwickeln.
Seine Konzeption des politischen Liberalismus basiert vor allem auf drei Schriften
und dabei in erster Linie auf dem Text „Politischer Liberalismus“. Diese
Veröffentlichung basiert auf einer Reihe von Vorlesungen Rawls und stellt eine
Ausformulierung der politischen Konsequenz seiner beiden vorangegangen Werke,
„Eine Theorie der Gerechtigkeit“ und „Gerechtigkeit als Fairneß“ dar. Hier wird sich in
gebotener Kürze auf die Darstellung der Konzeption des politischen Liberalismus,
welche in der gleichnamigen Abhandlung charakterisiert wird, beschränkt.
Rawls nähert sich dem Liberalismusbegriff von der politischen Philosophie her, indem
er die grundlegenden Begriffe, die seinen Liberalismus kennzeichnen definiert und
somit eine abgeschlossene Konzeption aufstellt. Sein politischer Liberalismus ist trotz
(oder wegen) seiner theoretisch-allgemein-politschen Herangehensweise wesentlich
konkreter formuliert als die von Lothar Gall gesammelten Definitionen. Rawls
politischer Liberalismus ist weniger diffus und in seiner Fragestellung, wie seiner
Formulierung zielgerichteter. Dieser Umstand ist der sehr klaren Fragestellung
geschuldet, welche Rawls zu Beginn formuliert und die den Blick auf das Problem des
Liberalismus schärft. Ich möchte diese zentrale Fragestellung des Liberalismus nach
Rawls als längere Passage zitieren, um den Horizont der Betrachtung nicht zu
verkürzen:
„Wie kann eine stabile und gerechte Gesellschaft freier und gleicher Bürger, die
durch vernünftige und gleichwohl einander ausschließende religiöse,
philosophische und moralische Lehren einschneidend voneinander getrennt sind,
dauerhaft bestehen? Oder anders ausgedrückt: Wie können einander zutiefst
28
entgegengesetzte, aber vernünftige umfassende Lehren zusammen bestehen und
alle dieselbe politische Konzeption einer konstitutionellen Ordnung bejahen? Wie
müssen Struktur und Inhalt einer politischen Konzeption beschaffen sein, damit
diese die Unterstützung eines übergreifenden Konsenses für sich gewinnen
kann?“55
Auf den ersten Blick wird die Zielrichtung in Rawls Liberalismuskonzeption deutlich:
Ihm geht es in erster Linie um Toleranz. Seiner Grundannahme zufolge muss man von
einer Vielzahl nebeneinander existierender „vernünftiger“56
Lehren ausgehen, die sich
zwar in Konkurrenz zueinander befinden, deren Konkurrenz jedoch durch einen
allgemeinen Konsens in Schach gehalten wird. Es wird auch klar, dass Rawls sich
gewissermaßen systemimmanent mit dem Liberalismus befasst. So zielt die eingangs
gestellte Kernfrage auch nicht auf das Entstehen, sondern auf das Bestehen einer
Gesellschaft freier und gleicher Bürger ab. Die Existenz einer solchen Gesellschaft wird
von ihm vorausgesetzt.
Zur zentralen Aufgabe des politischen Liberalismus wird die Ausarbeitung einer
„politischen Gerechtigkeitskonzeption“57
erhoben und damit die Freiheit, welche
eigentlich im Zentrum jeder liberalen Idee steht, mit der Gleichheit auf eine Stufe
gestellt. Zwar sind beide Begriffe stets zentrale Momente liberaler Ideen gewesen, die
Freiheit genoss allerdings immer den Vorrang, wie auch die Liberalismusdefinitionen
des vorangegangenen Kapitels belegt haben.58
Rawls hingegen kennzeichnet bloße
Freiheitsgarantien, wie sie andere liberale Konzeptionen als wichtigstes Kriterium einer
Gesellschaft ansehen, als „verarmte Form des Liberalismus“ und nennt sie „libertär“59
.
Dies hängt eng mit Rawls Vorstellung von Reziprozität60
zusammen, die in seiner
55
Vgl. Rawls, John: „Politischer Liberalismus“, Frankfurt am Main 2003 (im Folgenden zitiert als Rawls:
„Liberalismus“), S. 14.
56 Vgl. Rawls: „Liberalismus“, 2. Vorlesung § 3, S. 132ff.
57 Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 37.
58 Die überaus komplexe Beziehung zwischen den beiden für heutige liberale Gesellschaften so zentralen
Begriffen Freiheit und Gleichheit kann hier nicht näher ausgeführt werden. Es ist allerdings festzuhalten,
dass beide sich nahezu unversöhnlich gegenüberzustehen scheinen. Durch alle Bereiche der
wissenschaftlichen Arbeit zieht sich diese Problematik: Nicht nur die Philosophie und die Politische
Wissenschaft befassen sich mit der Auflösung des Problems, sondern auch die Rechtswissenschaften
kennen beispielhaft den grundsätzlichen Konflikt zwischen Gleichheits- und Freiheitsrechten. Rawls
verweist auf das Problem „als einen Konflikt innerhalb der Tradition demokratischen Denkens selbst“
(Rawls: „Liberalismus“, S. 68).
59 Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 59.
60 Reziprozität beschreibt in der Soziologie die gegenseitige Abhängigkeit der Individuen innerhalb der
Gesellschaft. Vielfach wird die These vertreten die Reziprozität sei eine Bedingung für die
29
Konzeption eine wichtige Rolle spielt (im Gegensatz zu den von Gall
zusammengestellten Liberalismen).61
Die Personen62
einer Gesellschaft sind demnach
frei und gleich durch ihr moralisches sowie ihr Vernunftvermögen. Diese Ansicht deckt
sich mit den herkömmlichen liberalen Ideen.
Die Vernunft ist insofern von einer weitergehenden Bedeutung, da Rawls den
„öffentlichen Vernunftgebrauch“63
als Notwendigkeit zum Bestehen einer liberalen
Gesellschaft erachtet. Unter öffentlichem Vernunftgebrauch versteht Rawls, dass sich
die Bürger einer Gesellschaft auf eine „Konzeption politischer Gerechtigkeit“ einigen,
indem sie sich über „wesentliche Verfassungsinhalte und grundlegende Fragen der
Gerechtigkeit“64
verständigen. Die Frage nach der Gerechtigkeit ist also stets der
Bezugspunkt in Rawls Ausführungen. Seiner Meinung nach ist es die Aufgabe des
politischen Liberalismus die Gerechtigkeit in einer Gesellschaft dauerhaft zu sichern.65
Zu diesem Streben nach Gerechtigkeit in einer wohlgeordneten Gesellschaft gesellt
sich mit der Idee des „übergreifenden Konsenses“66
ein weiteres grundlegendes
Moment des politischen Liberalismus nach John Rawls. Demzufolge gilt es, die
Pluralität der verschiedenen philosophischen, religiösen, ökonomischen und
moralischen Vorstellungen zuzulassen, solange jede Sichtweise die grundlegende
Gerechtigkeitskonzeption anerkennt.67
Rawls betont stets, dass in seinem Verständnis
des politischen Liberalismus die politischen Konzeptionen den Vorrang vor den
umfassenden Lehren haben. Der Liberalismus muss sich den unterschiedlichen
Menschwerdung. Vgl. Stegbauer, Christian: „Reziprozität – Einführung in soziale Formen der
Gerechtigkeit“, Wiesbaden 2002.
61 Zur Reziprozität bei Rawls, siehe Rawls: „Liberalismus“, S. 83f.
62 Rawls versteht unter Person einen Bürger im klassischen, aus der Antike hergeleiteten Sinne. Vgl.
Rawls: „Liberalismus“, S. 84f.
63 Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 74f.
64 Rawls: „Liberalismus“, S. 74.
65 Das Prinzip der Gerechtigkeit, welches im Zentrum von John Rawls politischem Liberalismus steht,
kann hier nicht weitergehend erläutert werden, da es für Max Weber eben keine zentrale Kategorie war.
Somit würde eine nähere Untersuchung der Rawlschen Gerechtigkeitskonzeption zu weit von der
Kernfrage fortführen. Es ist allerdings festzuhalten, dass Rawls durch die Aufwertung der
Gerechtigkeitsfrage dem Liberalismus eine neue Wendung verliehen hat. Nicht mehr allein die Freiheit
und die (wie beschrieben oftmals nachrangige) Gleichheit sind somit abschließende Kriterien des
Liberalen. Zur Vertiefung: Rawls, John: „Eine Theorie der Gerechtigkeit“, Frankfurt am Main 2006. Und
Rawls, John: „Gerechtigkeit als Fairneß“, Frankfurt 2006.
66 Rawls: „Liberalismus“, S. 219.
67 Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 219ff.
30
Ansichten gegenüber unparteilich zeigen und keinen Anspruch auf Wahrheit erheben.68
Diese strikte Anerkennung einer Pluralität verschiedener vernünftiger Lehren bedingt
die Komplexität des Liberalismusbegriffs69
, ist aber Grundvoraussetzung aller
wohlgeordneten Gesellschaften.
John Rawls bringt eine sehr starke antidogmatische Komponente in seine Definition
des Liberalismus mit ein. Dieser von der Toleranz getragene Antidogmatismus geht
weiter, als die Liberalismuskonzeptionen, die Lothar Gall zusammengetragen hat. Dies
liegt in der systematischen Vorgehensweise Rawls begründet, der den Liberalismus
gewissermaßen von Grund auf definieren und nicht nur seine bisherigen
Erscheinungsformen beschreiben will. Zunächst lässt sich festhalten, dass Begriffe wie
Freiheit und Gleichheit, aber auch Vernunft und Menschenrechte, die nach Lothar Gall
noch zu den zentralen Merkmalen des Liberalismus zu zählen schienen, bei Rawls erst
in einem zweiten Schritt bedeutsam werden. In erster Linie stellt er die theoretische
Form bereit, in welcher sich so abstrakte Begriffe wie Freiheit und Gleichheit
verwirklichen lassen. Diese Form besteht zu größten Teilen aus den eben genannten
Komponenten Toleranz und antidogmatischem, sprich pluralistischem Denken.
Dennoch macht sich auch Rawls Gedanken, wie diese Form zu füllen ist. So stellt er
drei Merkmale auf, die für das Vorliegen einer liberalen Gerechtigkeitskonzeption
essentiell sind:
1. Die Festlegung von Grundrechten, Freiheiten und Chancen;
2. Der Vorrang dieser vor den Forderungen nach allgemeinem Wohl;
3. Die Zusicherung eines angemessenen Anteils an Mitteln zur Nutzung der
Freiheiten.70
Auch diese drei Merkmale mag man noch der Form zurechnen, da sie als inhaltlich
offen gelassene Rahmenbedingungen verstanden werden können. Diese Ansicht lässt
sich aber nur vertreten, wenn man einer politisch-philosophischen Konzeption des
Liberalismus ob ihrer abstrakten Gedankengänge generell abgeneigt ist. Rawls stellt in
diesen drei Merkmalen die Freiheit wieder ins Zentrum des Liberalismus. Zwar ergänzt
er sie um weitere Komponenten, sie verbleibt aber das zentrale Moment. Sicherlich sind
diese Ideen Rawls keine realpolitischen Handlungsempfehlungen und somit mag der
68
Rawls: „Liberalismus“, S.16.
69 Diese Feststellung kann auch die Probleme anderer Autoren erklären helfen, die sich, wie das
vorangegangene Kapitel gezeigt hat, bisweilen mit einer Definition des Liberalismus schwer tun. Vgl.
Rawls: „Liberalismus“, S. 15.
70 Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 70.
31
Eindruck entstehen, politische Inhalte fernab von leeren, abstrakten Idealen werden hier
nicht transportiert; das Gegenteil ist der Fall. Rawls beschäftigt sich mit den
Grundlegungen einer freien Gesellschaft. Diese Gedankengänge, man mag ihnen
zustimmen oder nicht, fehlen heutzutage bei den alltäglichen Fragen, die die Politik zu
lösen hat.
Rawls wird im weiteren Verlauf des Textes noch inhaltlicher. So stellt er weitere
Kriterien auf, die nunmehr nicht mehr für das Vorliegen, sondern für die Stabilität einer
liberalen Gesellschaft vonnöten sind. Er nennt hier unter anderem die Öffentlichkeit der
Wahlkampffinanzierung, die Chancengleichheit bezogen auf den Bildungssektor als
Voraussetzung für gesellschaftliche Partizipation, eine sittliche Vermögensverteilung
über die Grundversorgung hinaus, die Sicherung der Nützlichkeit jedes Bürgers, sowie
eine medizinische Grundversorgung. Dies sei jedoch kein abschließender Katalog an
inhaltlichen Prinzipien, vielmehr handele es sich bei diesen Punkten um die
wesentlichen Anforderungen an die Grundstruktur der Gesellschaft, so Rawls.71
Es ist
bei diesen Kriterien allerdings zu überlegen, ob sie nicht schon zu sehr in die eigentliche
Ausgestaltung der Tagespolitik hineingreifen und somit zu voraussetzungsvoll sind.
Rawls hätte sich unter Umständen auf das Vorliegen der liberalen Gesellschaft
konzentrieren sollen und diese tagespolitische Komponente durchaus vernachlässigen
können.
Aus John Rawls Konzeption des politischen Liberalismus leiten sich trotz des viel
beschworenen Pluralismus und des öffentlichen Vernunftgebrauchs Konflikte ab, die
nicht aufzulösen sind: „Die Konflikte, die sich aus den Bürden des Urteilens ergeben“72
.
Diesem Problem ist jedoch noch keine politische Philosophie begegnet und es wird als
zutiefst menschliches Konfliktpotenzial stets bestehen bleiben.
John Rawls hat mit seiner Konzeption des politischen Liberalismus einen großen
Beitrag zur politischen Philosophie geleistet, indem er die Vertragstheorien, welche für
die politische Philosophie im Allgemeinen und für den Liberalismus im Besonderen von
so eminenter Wichtigkeit waren (und sind), in eine aktuelle, moderne Form übersetzt
hat. Er begnügte sich nicht mit der Deskription vergangener Liberalismen, sondern
widmete sich philosophisch den Problemen, die sich aus der Freiheit einer liberalen
Gesellschaft ergeben. Sicher kann ein solches Kapitel nicht genügen alle Facetten des
Werkes von John Rawls darzulegen, ein Einblick kann jedoch gewonnen werden. Es
71
Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 59f.
72 Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 61.
32
wird zu zeigen sein, in welcher Verbindung diese Konzeption des politischen
Liberalismus zu den Ideen und Konzepten Max Webers stehen.
4. Liberale Kernelemente
Nachdem nun also zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen an eine Definition
des Liberalismusbegriffs vorgestellt worden sind, sollen in einem letzten Schritt liberale
Kernelemente benannt werden, die für die weitere Beschäftigung mit Max Weber den
gedanklichen Überbau bilden sollen. Max Webers Werk wird im Folgenden nicht auf
die einzelnen Kernelemente hin untersucht. Vielmehr dient die Aufstellung der
Kernelemente hier einer, für diese Arbeit, abschließenden Definition des
Liberalismusbegriffs. Sie bilden die Basis, auf welcher sich die unterschiedlichen
Liberalismen entwickeln können. Ist im Folgenden also vom Liberalismus in Bezug auf
Max Weber die Rede, so sollten stets die hier benannten Kernelemente mit bedacht
werden.
4.1Freiheit73
Im Zentrum des Liberalismus als politischer Philosophie steht das namensgebende
Moment der Freiheit. Auf ihr bauen alle weiteren Kernelemente auf und sie ist die
unumstößliche Grundlage dieser politischen Idee. Das Problem der Verwirklichung
größtmöglicher Freiheit bildet den Ursprung aller weiteren Überlegungen, die sich unter
dem Schlagwort Liberalismus subsumieren lassen. Das Freiheitsideal ist der rote Faden
aller Liberalismen,74
dass heißt aller Ausformungen dieser politischen Philosophie.
Stellen wir also das Freiheitsideal als erstes und wichtigstes liberales Kernelement fest.
4.2 Isonomie
73
Zu einer differenzierten Betrachtung des Freiheitsbegriffs bietet diese Arbeit leider keinen Raum. Es ist
jedoch auf die grundsätzliche theoretische Unterscheidung zwischen der negativen Freiheit eines Thomas
Hobbes und der positiven eines Jean-Jacques Rousseaus zu verweisen. Eine umfassende Darstellung
dieser Unterscheidung in Hinblick auf den Liberalismus bietet Agathe Bienfait: „Freiheit, Verantwortung,
Solidarität – Zur Rekonstruktion des politischen Liberalismus“, Frankfurt am Main 1999 (im Folgenden
zitiert als Bienfait: „Freiheit“).
74 Vgl. Cesaire in: „Liberalismus“, S. 140.
33
Die Gleichheit vor dem Gesetz war bereits in der attischen Demokratie politische
Realität.75
Die Denker der Aufklärung erinnerten sich dieser Rechtskonzeption und
erhoben sie zu einem zentralen Moment liberalen Denkens. Wichtig ist hier die
Abgrenzung zu einem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, dessen unterschiedlichste
Ausgestaltung unter anderem für die verschiedenen Liberalismen verantwortlich zu
machen ist.76
Gleich sollten im Liberalismus aber stets nicht nur die Rechte und
Pflichten, sondern unbedingt auch die Chancen sein; vor allem die Chancen Zugang zu
Ämtern, Gütern und Bildung zu erlangen.
4.3 Individualismus
Das Individuum steht im Zentrum jedes liberalen Gesellschaftsentwurfes. Es ist der
Ausgangspunkt, von welchem aus die Gesellschaft gedacht wird. Die Erhebung des
Individuums zum Bezugspunkt politischen Denkens durch die Aufklärung, war die
Initialzündung für die Moderne. Ohne die zentrale Stellung des Individuums sind Ideen
wie Freiheit und Gleichheit nicht realisierbar.
4.4 Vernunft
Das Individuum ist im Liberalismus grundsätzlich vernunftbegabt und in der
Gesellschaft verpflichtet, öffentlich von der Vernunft Gebrauch zu machen.77
Der
Vernunftbegriff ist für den Liberalismus insofern essentiell, als er dessen
aufklärerisches Erbe widerspiegelt. Der Liberalismus stützt sich auf rationale Lehren in
Abkehr von religiösen Vorstellungen und kann ohne den Vernunftbegriff nicht gedacht
werden.
4.5 Verantwortung
Die beiden vorangegangenen Kernelemente sind konsequent zu Ende gedacht nicht
ohne die Verantwortung denkbar. Nur wenn jeder Einzelne für sein Handeln die
Verantwortung übernimmt, kann er als vernunftbegabtes Individuum anerkannt werden.
Dies gilt nicht nur für den Politiker als solchen, der qua Amt die Verantwortung vor
dem Wähler innehat, sondern auch für jeden Bürger einer liberalen Gesellschaft.
Konstruktives Mitwirken in einer Gesellschaft liberalen Zuschnitts kann nicht durch die
Gesinnung allein verwirklicht werden.
75
Auch wenn sie nur für Vollbürger, d.h. besitzende Männer, galt, so ist die Idee von ihrer Anlage her
bereits vorhanden. Vgl. hierzu Jochen Bleiken: „Die athenische Demokratie“, Paderborn 1995.
76 Siehe Fn. 36.
77 Analog zu Rawls „öffentlichem Vernunftgebrauch“.
34
III. Max Weber und die Politische Wissenschaft
Um sich Max Webers Liberalismus zu nähern, gilt es nun nach den definitorischen
Annäherungen an den Liberalismus den Blickwinkel zu erläutern. Im Folgenden soll
dargelegt werden, in welcher Beziehung Max Weber zur Politischen Wissenschaft steht
und welche Probleme sich aus seiner Konzeption der Werturteilsfreiheit für eine
praktisch-philosophische Sichtweise ergeben.
1. Die Probleme zwischen Max Weber und der normativen Politischen
Wissenschaft
Die Politische Wissenschaft ist die jüngste der akademischen Disziplinen, die sich um
eine Interpretation des Werkes Max Webers bemüht. Erst nach 1945 erschien sie in
Deutschlands wissenschaftlicher Landschaft und trat in Hinblick auf die Deutungshoheit
über Max Webers Denken in Konkurrenz zu bereits bestehenden Fachbereichen wie der
Soziologie, welche sich vor allem in methodologischer Hinsicht als legitime
Nachfolgedisziplin des Weberschen Denkens sah und der Geschichtswissenschaft, die
Weber vor allem dank seiner Zeitdiagnosen und seiner kulturvergleichenden Studien als
„Universalhistoriker“78
zu vereinnahmen suchte.79
Die Konkurrenz zu den anderen
(geistes-)wissenschaftlichen Disziplinen war für die Politische Wissenschaft nie eine
einfache Situation, denn sie stand jederzeit in dem Zwang, den Mehrwert ihrer eigenen
Betrachtungsweisen und im Speziellen der Betrachtungsweisen des Werkes Max
Webers aufzuzeigen. Weber wird dementsprechend, je nach Standpunkt des
Betrachters, als Soziologe oder Historiker, auf Grund seines Studienfachs und seiner
Dissertationsschrift auch als Jurist oder Nationalökonom, nie jedoch als
Politikwissenschaftler bezeichnet. Hübinger, Osterhammel und Welz sind sogar der
78
Jaspers: „Max Weber“, S. 81f.
79 Vgl. Hübinger (u. a.): „Weber und wissenschaftliche Politik“, S.181.
35
Meinung, dass sich in der Rezeption Webers die Ansicht durchsetzte, „Weber habe die
spezifische Fragestellung der politischen Wissenschaft verfehlt.“80
Die Fülle seines Werkes ist der Grund für die Schwierigkeit bei der Zuordnung
Webers zu einer wissenschaftlichen Disziplin. Einige Weber-Interpreten behelfen sich
aus dieser definitorischen Klemme, indem sie ihn, wie Sukale, ganz allgemein einen
„Gesellschaftstheoretiker“81
oder „Polywissenschaftler“82
nennen oder ihn noch
allgemeiner, wie Käsler, zu den „wirkungsvollsten Denkern unserer Zeit“83
zählen.
Diese allgemeinen Beschreibungen werden Max Weber am ehesten gerecht, denn jede
speziellere Kategorisierung dieses Denkers würde zu kurz greifen und elementare Teile
seines Werkes ausblenden.
Um eine Zuordnung Webers zur Politischen Wissenschaft soll es hier allerdings nicht
gehen, da sie ihn ohnehin nur in eine viel zu klein geratene Schublade verfrachten
würde. Vielmehr gilt es die spezielle Beziehung zwischen Weber und eben dieser
schwer zu verordnenden Wissenschaft auf einer wissenschaftstheoretischen Ebene
genauer zu beleuchten:
Der Fachbereich der Politischen Wissenschaft ist eine akademische Disziplin, „die
schon in ihrer Entstehung eklektisch war“84
. Dieser Eklektizismus prägt das Fach bis
heute. Es ist darauf zu verweisen, dass es unterschiedlichste Auffassungen über die
wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Gegenstand der Politik an Universitäten gibt.
So tendiert die Mehrheit der Politikwissenschaftler zu einem naturwissenschaftlichen
Verständnis des Faches und siedelt es in der Nähe der Soziologie an, andere bedienen
sich der Methoden der Philosophie und rücken die Politische Wissenschaft in die Nähe
der Geisteswissenschaften.85
Auf Basis dieser Bandbreite an verschiedenen
80
Hübinger (u. a.): „Weber und wissenschaftliche Politik“, S. 181. Dieser These muss hier sogleich
widersprochen werden. Die folgenden Seiten werden zu zeigen versuchen, warum eine solche
Einschätzung dem Weberschen Werk nicht gerecht wird.
81 Sukale, Michael: „Max Weber – Leidenschaft und Disziplin“, Tübingen 2002 (im Folgenden zitiert als
Sukale: „Max Weber“), S. 1.
82 Sukale: „Max Weber“, S. XVI.
83 Käsler: „Max Weber “, S. 7.
84 Beyme, Klaus von: „Politische Theorie“, in: Nohlen, Dieter (Hrsg.): „Kleines Lexikon der Politik“,
München 2002 (im Folgenden zitiert als Beyme: „Politische Theorie“), S. 400.
85 Vgl. Nohlen, Dieter: „Politikwissenschaft“, in: Nohlen, Dieter (Hrsg.): „Kleines Lexikon der Politik“,
München 2002, S. 384f; vgl. Mols, Manfred: „Politik als Wissenschaft: Zur Definition, Entwicklung und
Standortbestimmung einer Disziplin“, in: Mols, Lauth, Wagner (Hrsg.): „Politikwissenschaft: Eine
Einführung“, Paderborn 2001 (im Folgenden zitiert als Mols (u. a.): „Politikwissenschaft“), S. 25ff.
36
Herangehensweisen hat sich in Deutschland eine Dreiteilung „besonders
charakteristischer Denkrichtungen“86
ergeben. So unterscheidet man in der Regel
zwischen der normativ-ontologischen, der empirisch-analytischen und der kritisch-
dialektischen Politikwissenschaft.87
Viele Autoren der Metatheorie betonen allerdings,
dass es sich bei dieser Dreiteilung nicht um eine „eherne Trinität“88
, sondern vielmehr
um die konventionellste aller Einteilungen handelt.
Die als normativ-ontologisch bezeichnete erstgenannte Strömung der Politischen
Wissenschaft ist als die Älteste zu bezeichnen und beruft sich auf die Politik als
praktische Wissenschaft vom Seinsollen. Ihre Traditionslinien lassen sich bis zu
Aristoteles und Platon zurückverfolgen. Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatte diese
normativ geprägte Politische Wissenschaft, eigene Lehrstühle an deutschen
Universitäten inne.89
Erst die weitere Ausdifferenzierung der Wissenschaften gegen
86
Mols (u. a.): „Politikwissenschaft“, S. 49.
87 Vgl. Alemann, Ulrich von, Methodik der Politikwissenschaft: eine Einführung in Arbeitstechniken und
Forschungspraxis, 6.Auflage, Stuttgart 1994 (im Folgenden zitiert als Alemann: „Methodik“), S. 46ff;
Vgl. Mols (u. a.): „Politikwissenschaft“, S. 48f. Die normativ-ontologische Politikrichtung geht auf die
griechische Philosophie eines Platon und Aristoteles zurück und ist als die Älteste der drei Strömungen zu
bezeichnen. Sie wird auch als essentialistisch bezeichnet und geht von der Existenz einer objektiven
Wahrheit, eines Seins aus. Im Rückbezug auf die politische Ideengeschichte stehen die Fragen nach der
‚Guten Ordnung’ und des ‚Guten Regierens’ im Mittelpunkt. Als bedeutende Vertreter dieser
Politikrichtung in Deutschland sind exemplarisch Eric Voegelin, Dieter Oberndörfer, Wilhelm Hennis,
Hans Maier und Arnold Bergstraesser zu nennen. Der empirisch-analytische Ansatz, auch kritischer
Rationalismus genannt, setzt bei seiner Analyse der politischen Wirklichkeit auf die strikte Trennung von
Sein und Sollen und geriert sich somit als Gegenrichtung zur normativ-ontologischen Schule. Mit
naturwissenschaftlichen Methoden soll hier die Politikwissenschaft als Erfahrungswissenschaft begriffen
und logisch erarbeitete, empirisch richtige Aussagen getroffen werden. Als Wegbereiter des kritischen
Rationalismus gilt Karl Popper; fortgeführt wurde dessen Arbeit u. a. durch Hans Albert. Diese beiden
erstgenannten Schulen seien ideologisch verschleiert, so der Grundton der kritisch-dialektischen
Politischen Wissenschaft. Die nach ihren Protagonisten, den Frankfurter Soziologen Max Horkheimer
und Theodor Adorno, auch Frankfurter Schule genannte neomarxistisch geprägte Politikwissenschaft hat
die Veränderung bestehender Ordnungsprinzipien zum Ziel. Sie ist gewissermaßen Theorie gewordene
Gesellschaftskritik. Die Gräben zwischen diesen drei exemplarischen Schulen sind bei weitem nicht so
tief wie es zunächst klingen mag. Heute verwischen die Grenzen zwischen den unterschiedlichen
Politikrichtungen zusehends und die Politische Wissenschaft als Ganzes kann nur durch die ihr inhärenten
unterschiedlichen Blickrichtungen die Pluralität einer demokratischen Gesellschaft vorleben.
88 Alemann: „Methodik“, S. 51.
89 Maier, Hans: „Max Weber und die deutsche politische Wissenschaft“, in: Maier, Hans: „Politische
Wissenschaft in Deutschland – Aufsätze zur Lehrtradition und Bildungspraxis“, München 1969 (im
Folgenden zitiert als Maier: „Politische Wissenschaft“), S. 69-87, S. 71f.
37
Ende des 19. Jahrhunderts bewirkte, dass die praktisch-philosophische
Politikwissenschaft „in ein weit verzweigtes Delta spezialisierter historischer,
juristischer, ökonomischer Einzelwissenschaften auseinander[rann]“90
und somit ihre
zentrale Stellung in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Analyse der
Organisation der Gesellschaft verlor. Die über Jahrhunderte gelehrte Einheit von Ethik
und Politik verlor sich zunehmend in der durch die Aufklärung initiierten
Verwissenschaftlichung.91
Die Empirie rückte in der Politischen Wissenschaft ins
Zentrum und verdrängte mit sozialwissenschaftlicher Theoriebildung die normative,
praktisch-philosophische Suche nach der Guten Ordnung in die Philosophie.92
Genau in diese Phase der Ausdifferenzierung93
fällt das Wirken Webers.94
Dieser
hegte gleich zu Beginn seiner akademischen Karriere „eine instinktive, freilich erst
allmählich theoretisch reflektierte Abwehrstellung“95
gegen die ältere, heißt praktisch-
philosophische Politikwissenschaft. Diese Opposition lag vor allem in Webers
Ablehnung normativ aufgeladener Begriffe begründet und äußerte sich am deutlichsten
im Werturteilsstreit des Vereins für Sozialpolitik.96
Gerade die hier geäußerten Ansichten Webers boten immer eine Angriffsfläche für
eine Reihe von Kritikern. Diese Kritiker waren nach 1945 vor allem
Politikwissenschaftler, welche sich der klassischen, praktisch-philosophischen
Politikwissenschaft verpflichtet fühlten. Sie sahen in Weber eine negative
Projektionsfläche, die geeignet war die Abgrenzung der Politikwissenschaft als
90
Maier: „Politische Wissenschaft“, S. 71.
91 Vgl. Maier: „Politische Wissenschaft“ S. 72.
92 Vgl. Hartmann, Jürgen: „Wozu politische Theorie – Eine kritische Einführung für Studierende und
Lehrende der Politikwissenschaft“, Opladen 1997 (im Folgenden zitiert als Hartmann: „Politische
Theorie“), S.21ff. Hartmann spricht hier von politischer Philosophie und grenzt diese klar von der
politischen Theorie ab. Seiner These nach driftete die normative Theorie in die Philosophie ab und verließ
den Boden der politischen Wissenschaft (vgl. S. 30). Diese klare Trennung halte ich für verfehlt. Die
Verortung der politischen Philosophie ist ein Problem der Fragestellung. In dem Zusammenhang dieser
Arbeit sehe ich die politische Philosophie ebenso gut in der Politischen Wissenschaft, wie in der
Philosophie aufgehoben. Auch widerspricht Hartmann mit seiner These dem normativ-ontologischen
Politikansatz an Sich, was angesichts der Leistungen dieser politikwissenschaftlichen Schule zumindest
fraglich erscheint.
93 sofern man nicht die Geschichte der Wissenschaft als stetigen Prozess der Ausdifferenzierung an sich
begreift und darin deren Wesen erkenne will.
94 Vgl. Hartmann: „Politische Theorie“, S. 70.
95 Hartmann: „Politische Theorie“ S. 72
96 Zum Werturteilsstreit: siehe unten, Abschnitt II, Kapitel 2.
38
praktische Wissenschaft von der rein empirischen Sozialwissenschaft vorzunehmen.97
Zu nennen sind vor allem Eric Voegelin und Leo Strauss, die sich durch Webers
Politikbegriff, seine Vorstellung von der Werturteilsfreiheit und von seinem
Wertepluralismus in ihrer politisch-philosophischen Position bedroht sahen und Weber
zum „geistigen Antipode[n] der älteren Politikwissenschaft“98
erhoben. Hübinger,
Osterhammel und Welz formulieren dieses Verhältnis wie folgt:
„Die Auseinandersetzung mit Weber hatte hier vielmehr die Funktion, die eigene
wissenschaftliche Position zu legitimieren bzw. besonders zu verdeutlichen.
Diesem Erkenntnisinteresse entsprach auch die Art der Rezeption. Webers
Schriften wurden unter dem Blickwinkel des eigenen theoretischen Ansatzes
zumeist als ‚Steinbruch’ benutzt […].“99
Die Auseinandersetzung mit Max Weber aus der Perspektive der praktisch-
philosophischen Politikwissenschaft diente zu dieser Zeit also weniger einer
Erschließung des Werkes als vielmehr einer Verortung der eigenen Positionen innerhalb
der wissenschaftstheoretischen Dispute.100
Vor dem Hintergrund dieser konfrontativen
Situation, ist es als Treppenwitz der Wissenschaftsgeschichte zu bezeichnen, dass Eric
Voegelin 1958 als Erster auf den neu geschaffenen Lehrstuhl des Max Weber Instituts
für Politische Wissenschaft der Universität München berufen wurde.101
Es gab also im Entstehen der Politischen Wissenschaft eine Strömung um Eric
Voegelin und Leo Strauss, die in ihrer Abgrenzung zu Weber eine neue praktisch-
philosophisch orientierte Politische Wissenschaft etablieren wollten; diese konnte sich
97
Vgl. Borchardt, Knut: „Rezeption und Wirkung Max Webers in Deutschland (nach 1945):
Wirtschaftswissenschaft und Politikwissenschaft“, in: Ay, Borchardt (Hrsg.): „Das Faszinosum Max
Weber – Die Geschichte seiner Geltung“, Konstanz 2006 (im Folgenden zitiert als Borchardt:
„Rezeption“), S. 197-207, S. 199f.
98 Hübinger (u. a.): „Weber und wissenschaftliche Politik“, S. 184.
99 Hübinger (u. a.): „Weber und wissenschaftliche Politik“, S. 185. Diesen Vorwurf kann man sicherlich
auch der in dieser Arbeit vorgenommenen Herangehensweise an das Werk Webers machen. Auch hier
werden nur Teile des Werkes beleuchtet und unter einem bestimmten Blickwinkel analysiert. Doch ist
diese Vorgehensweise praktisch überall zu finden. Auch unter Soziologen sucht man eine umfassende
Werkschau Webers vergeblich und wird bei einer Fülle von Detailuntersuchungen fündig. Des Weiteren
ist der Liberalismus Webers nicht in jeder Zeile seines Werkes zu suchen. Vielmehr halte ich aus
genannten Gründen die Eingrenzung des betrachteten Werkes für notwendig um den Fokus auf die
politisch-philosophischen Essenzen bei Weber zu legen. Man kann also sagen, dass ich mich hier der
Methode Voegelins bediene, jedoch unterscheiden sich die Motive.
100 Vgl. Hübinger (u. a.): „Weber und wissenschaftliche Politik“, S. 186.
101 Vgl. Borchardt: „Rezeption“, S.197.
39
jedoch nie durchsetzen und fristet heute eher ein Schattendasein, auch wenn von Beyme
schreibt:
„Nachdem die empirisch-analytische Wissenschaftstheorie jahrzehntelang die
These ausgegeben hatte, die polit. Philosophie sei tot, entdeckte sie die immer
auffälligere Kurzlebigkeit der empirischen Forschung.“.102
Von Beyme möchte ich mich hier anschließen und hinzufügen, dass bei der
Beschäftigung mit dem Liberalismus als politischer Philosophie eine praktisch-
philosophische Herangehensweise unumgänglich ist. Zwar ist es, wie wir bei Rawls
gesehen haben, als Wesenszug einer liberalen Gesellschaft zu bezeichnen, dass
unterschiedliche Wertvorstellungen nebeneinander wohlgeordnet existieren können,
allerdings sind für derartige Situationen gewisse Grundwerte zu akzeptieren. Diese
Werte habe ich als liberale Kernelemente bezeichnet. Sie bilden das Fundament für die
Akzeptanz einer Vielzahl „vernünftiger, umfassender Lehren“103
.
Webers empirisch verstandene Wirklichkeitswissenschaft der Soziologie steht diesem
Ansatz mitnichten entgegen. Denn sicherlich bleibt es unbestritten, dass man durch
wissenschaftliche Methoden die unterschiedlichen Lehren (Werte, Wahrheiten,
Ideologien) nicht abschließend bewerten kann. Sie beruhen, wie es auch Weber sieht,
letzten Endes auf persönlichen Empfindungen, die nicht wissenschaftlich erfasst werden
können.104
Der Widerstreit zwischen diesen unterschiedlichen Wertvorstellungen findet also
außerhalb der Universitäten, nämlich in der Politik selbst statt. Hier sieht Weber den
richtigen Ort für seine praktisch-philosophischen Ansichten der politischen Realität.
Diese äußerte er somit in seinen publizistischen und weniger in seinen genuin
wissenschaftlichen Arbeiten. Wir können den Wissenschaftler Weber also gut als
Konterpart eines praktisch-philosophischen Politikverständnisses heranziehen, so wie es
Voegelin und Strauss taten; genauso gut kann man jedoch den politischen Publizisten
Weber auf seinen spezifischen Liberalismus hin untersuchen und zwar unter klar
praktisch-philosophischen Gesichtspunkten.
Ausgangspunkt für diesen zweigeteilten Weber war die Diskussion um die
Wertfreiheit, welche Weber mit seinem Postulat der Wertfreiheit der Wissenschaften
geprägt hat.
102
Beyme: „Politische Theorie“, S. 401.
103 Im Sinne John Rawls.
104 Vgl. Weber: GAWL, S. 160ff.
40
2. Die Werturteilsfreiheit
Die Spannung, die zwischen Max Webers wissenschaftlicher Arbeit und der
Politischen Wissenschaft existiert, liegt zu großen Teilen in Webers Postulat von der
Wertfreiheit der Wissenschaften begründet. Der in ihrem Ursprung normativen
Politischen Wissenschaft wurde von Weber ein wertfreier, deskriptiver Konterpart
gegenübergestellt. Der Heidelberger Soziologe Gregor Fitzi beschreibt die daraus
resultierende Spaltung der Politischen Wissenschaft sehr treffend, weshalb hier sein
Urteil zitiert wird:
„Am Postulat sozialwissenschaftlicher Wertfreiheit scheiden sich deshalb die
Geister, dahingehend ob sie es akzeptieren oder ablehnen bzw. ob sie eine
normative Diskussion gesellschaftlicher und politischer Fragen als Bestandteil der
Sozialwissenschaft ansehen oder nicht.“105
Worum handelt es sich aber bei dem Streit um die Wertfreiheit der Wissenschaften,
der immer mit dem Namen Max Weber verbunden sein wird?
2.1 Unterschiedliche Dimensionen des Werturteilstreits
Auffällig in der Literatur zu Webers Postulat von der Werturteilsfreiheit ist die
Herangehensweise der Interpreten. Kaum einer kommt ohne den Hinweis auf die
Tradition der Fehlinterpretationen durch seine Kollegen aus. So beginnen viele ihre
Kapitel über die Werte bei Weber mit einem Hinweis, der in ungefähr so klingt: „In der
leider oft verkürzten Darstellung des Werturteilspostulats Webers heißt es, Weber
erteile jeglicher Form der (Be)Wertung politischer Gegebenheiten unter
wissenschaftlichen Gesichtspunkten eine Absage. Diese Aussage stellt allerdings eine
stark reduzierte Analyse von Webers Lehrsatz dar.“ Beispielhaft hierfür Kaesler: „[…]
so erfuhr die Webersche Konzeption der ‚Wert(urteils)freiheit’ wohl die
wirkungsvollste Verzerrung durch Mißverständnisse und Trivialisierungen.“106
Oder
auch Schluchter: „Denn allzu häufig tat man seine [Webers] Position als die eines
Werterelativisten, ja schlimmer noch, als die eines Werteagnostikers ab.“107
105
Fitzi, Gregor: „Max Webers politisches Denken“, Konstanz 2004 (im Folgenden zitiert als Fitzi: „Max
Weber“), S. 16.
106 Käsler: „Max Weber “, S. 235.
107 Schluchter, Wolfgang: „Werturteilsfreiheit und Wertdiskussion – Max Weber zwischen Immanuel
Kant und Heinrich Rickert“, in: Schluchter, Wolfgang: „Handlung, Ordnung und Kultur“, Tübingen 2005
(im Folgenden zitiert als Schluchter: „Handlung“), S. 86-107, S. 86.
41
In der hier betrachteten Literatur zu Max Weber war allerdings nirgends eine
verkürzte oder fehlinterpretierte Deutung des Gegenstandes zu finden. Dieser Umstand
zeugt erneut von der unglaublichen Vereinnahmung, die Webers Denken immer wieder
erfährt. Fast scheint es, als gehöre es zum guten Ton der Weberrezeption zunächst auf
die Undurchsichtigkeit seines Werkes im Allgemeinen und der Werturteilsproblematik
im Speziellen zu verweisen, um dann die originäre, wahre Interpretation zu liefern.
Da es sich bei der Werturteilsdiskussion durchaus um ein Gewirr aus philosophischen
und methodischen Zusammenhängen handelt, ist es wichtig auf verschiedene
Dimensionen dieses wissenschaftstheoretischen Problems hinzuweisen. Um einer
vermeintlichen Trivialisierung vorzubeugen, unterscheidet Dirk Käsler bei diesem
komplexen und vielschichtigen Thema vier Dimensionen: die philosophische, die
theoretische, die organisatorische und die spezielle Lage der deutschen Wissenschaften
um 1900.108
Auch der Berliner Soziologe Hans-Peter Müller versucht die Komplexität
des Werturteilsstreits durch eine Aufteilung in verschiedene Ebenen aufzubrechen. Er
unterschiedet in fünf Dimensionen: eine institutionelle, eine methodologische, eine
philosophische, eine politische und eine existentielle.109
Die philosophische Dimension, deren Thematik bei Käsler und Müller nicht
deckungsgleich ist, ist durch ihre Komplexität hier nur anzuschneiden:
Die auch als „Krise des Historismus“ bezeichnete wissenschaftstheoretische
Kontroverse, deren Anfänge bis zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts weist und sich
am Zweifel an der wissenschaftlichen Erfassbarkeit der Geschichte entzündete, ist eine
spannende Epoche der Wissenschaftsgeschichte. Während dieser Zeit „wurde die Kluft
zwischen der Welt des Seienden und der Welt der Sinngebung zunehmend als
unüberbrückbar betrachtet.“110
Laut Käsler fand Weber seine Position im
Spannungsfeld der Theorien des Neukantianismus eines Wilhelm Windelband und der
Weltanschauungslehre Wilhelm Diltheys.111
108
Vgl. Käsler: „Max Weber “, S. 235f.
109 Vgl. Müller, Hans-Peter: „Max Weber – Eine Einführung in sein Werk“, Köln 2007 (im Folgenden
zitiert als Müller: „Max Weber“), S. 191ff.
110 Käsler: „Max Weber “, S. 236.
111 Vgl. Käsler: „Max Weber “, S. 236f. Wilhelm Windelband (1848-1915) gilt neben Heinrich Rickert
(1863-1936) als der Begründer der südwestdeutschen Schule des Neukantianismus. In Rückbezug auf
Immanuel Kant plädierten diese Philosophen für die Rückkehr der Werte in die politische Philosophie.
Eben diese Werteorientierte politische Philosophie war es, die für Weber den Ausgangspunkt seiner
wertfreien Sozialwissenschaftslehre bildet. Zum Neukantianismus vgl. Hans-Jörg Sandkühler:
„„Interaktionen zwischen Philosophie und empirischen Wissenschaften – Philosophie und
42
Näher an dieser Fragestellung liegt da Hans-Peter Müller, der unter der
philosophischen Dimension die „Gretchenfrage“112
versteht, ob die Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften nicht Werte und Normen bereitstellen sollten. Eben an jener
Gretchenfrage entzündet sich auch die Problematik zwischen Weber und einer
praktisch-philosophischen Politischen Wissenschaft, die im vorangegangenen Kapitel
thematisiert wurden.
Die Trennungen zwischen den unterschiedlichen Dimensionen des Streits sind
natürlich nicht klar zu ziehen. Käslers theoretische Dimension bewegt sich im
Methodenstreit innerhalb der Nationalökonomie, in welchem Weber eine vermittelnde
Position einnahm113
. Eben diesen Zusammenhang bezeichnet Müller als
methodologisch-institutionell. Dieser fügt mit der existentiellen Dimension noch die
Stellung der Wissenschaften zu den Fragen „Wie soll ich leben? Was kann ich tun?“ in
den Bedeutungszusammenhang des Werturteilsproblems ein.114
Hier scheint sich wieder
das alte Problem der Weber-Rezeption zu zeigen: Jeder Autor versucht ihn für sich zu
vereinnahmen und legt in die ohnehin schon komplexen Weberschen Gedanken
zusätzliche Bedeutungsschwere durch existenzielle Fragen, die Weber so nie gestellt
hat. Aus diesem Grund ist der existenziellen Dimension Müllers hier eine Absage zu
erteilen.
Eine weitere Aufteilung der Werturteilsproblematik liefert Wolfgang Schluchter. Er
sieht zunächst die Trennung zwischen dem Methodenstreit innerhalb der
nationalökonomisch-soziologischen Disziplin und dem philosophisch ausgetragenen
Werturteilsstreit, die allerdings bei Weber selbst zusammengehören, so Schluchter.115
Auf der einen Seite steht hier die Opposition Webers gegen Gustav Schmollers116
Wissenschaftsgeschichte zwischen Francis Bacon und Ernst Cassirer“, Frankfurt am Main 1995. Wilhelm
Diltheys (1833-1911) Beitrag zur Wissenschaftslehre bestand in der Herausstellung der Eigenständigkeit
der Geistes- gegenüber den Naturwissenschaften. Zu Dilthey vgl. Hellmut Diwald: „Willhelm Dilthey –
Erkenntnistheorie und Philosophie der Geschichte“, Göttingen 1963.
112 Müller: „Max Weber“, S. 192.
113 Käsler: „Max Weber“, S. 237 ff.
114 Vgl. Müller: „Max Weber“, S. 192.
115 Vgl. Schluchter: „Handlung“, S. 90.
116 Gustav Friedrich von Schmoller (1838-1917), gilt als der Hauptvertreter der historischen Schule der
deutschen Nationalökonomie um die Jahrhundertwende. Vgl. Jürgen Backhaus (Hrsg.): „Gustav von
Schmoller und die Probleme von heute“, Berlin 1993.
43
Konzeption der ethischen Nationalökonomie, auf der anderen eine „normative Ethik im
Rahmen einer Werttheorie“117
.
Die Verwirrungen dieses Streites sind somit angedeutet und sollen hier nicht weiter
vertieft werden. Nur so viel sei gesagt, dass eine jede Dimension des Werturteilsstreits,
wie man sie auch immer untereinander abgrenzen will, Stoff für eine Arbeit dieses
Umfanges bieten würde. Die Komplexität dieser wissenschaftsgeschichtlichen und
wissenschaftsphilosophischen Thematik berührt bis heute eine jede Wissenschaft.
Diesen grundlegenden Fragen wird sich allerdings nur noch am Rande gewidmet.
Vielleicht sind die mit der Werturteilsfreiheit der Wissenschaften verknüpften Problem
heute abschließend geklärt und die Beschäftigung somit nur noch ein Rekurs auf
vermeintlich verstaubte Themen; vielleicht ist man sich heutzutage aber auch der
Tragweite der Kernfrage: Inwieweit können oder müssen, dürfen oder sollen die
Wissenschaften Normen und Werte bereitstellen, nicht bewusst. Egal wie die Antwort
auf diese Frage lautet, sie wird heute in der Wissenschaft zu selten gestellt.
2.2 Kernaussagen der Werturteilsfreiheit
Max Weber trat vehement für die Ausklammerung jeglicher subjektiver
Wertvorstellungen aus der Wissenschaft ein „und sah im Hineinmengen eines
Seinsollens in wissenschaftliche Fragen […] eine Sache des Teufels, die der Verein für
Sozialpolitik allerdings recht oft in ausgiebiger Weise besorgt hat.“118
Weber geht es in
seinen Ojektivitätsaufsätzen119
in erster Linie um die Arbeit des Vereins für
Sozialpolitik und um seine Sichtweise auf die noch junge akademische Disziplin der
Soziologie als empirische Wissenschaft. So schreibt Weber:
„Unsere Zeitschrift als Vertreterin einer empirischen Fachdisziplin muß, wie wir
gleich vorweg feststellen wollen, diese Ansicht grundsätzlich ablehnen, denn wir
sind der Meinung, daß es niemals Aufgabe einer Erfahrungswissenschaft sein
kann, bindende Normen und Ideale zu ermitteln, um daraus für die Praxis Rezepte
ableiten zu können.“120
117
Schluchter: „Handlung“, S .95.
118 Käsler: „Max Weber“, S. 241.
119 Die Werturteilsproblematik wird in erster Linie in den Aufsätzen: „Die Objektivität
sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ von 1904, „Der Sinn der Wertfreiheit der
soziologischen und ökonomischen Wissenschaften“ von 1917 und „Wissenschaft als Beruf“ von 1919
behandelt. Beide sind in GAWL enthalten.
120 Weber: GAWL, S.159.
44
Es wird klar, dass Weber sich hier sehr deutlich positioniert und sein
wissenschaftliches Wirken als empirisch beschreibt. Dies ist zunächst ein sehr starkes
Kriterium, um von einer grundsätzlichen Gegnerschaft Webers und der praktisch-
philosophischen, also werteorientierten Politikwissenschaft zu sprechen. Vor allem Leo
Strauss sah sich und die praktische Politikwissenschaft hier in fundamentaler
Opposition zu Webers vermeintlichem Werterelativismus.121
Doch vertritt Weber diesen Relativismus ob einer gleichgültigen Einstellung
gegenüber Werten und Idealen? Nichts weniger als das! Max Weber sieht in den
andauernden Konflikten, die sich unter den Anhängern verschiedener Werteordnungen
entzünden, eine Grundproblematik für eine erfolgreiche Erkenntnis innerhalb der
Erfahrungs-Wissenschaften, als welche er die Soziologie begreift.122
Wertebeladene
Konflikte sind laut Weber mit den Mitteln der Vernunft nicht aufzulösen, da sie eine
Sache des Glaubens und des Wollens sind. Somit sei es niemals Aufgabe und Ziel der
Nationalökonomie und der Soziologie gewesen empirische Aussagen über die
Richtigkeit von Normen und Werturteilen zu treffen. Doch dies bedeute, so Weber
weiter:
„Keineswegs, daß Werturteile deshalb, weil sie in letzter Instanz auf bestimmten
Idealen fußen und daher »subjektiven« Ursprungs sind, der wissenschaftlichen
Diskussion überhaupt entzogen seien.“123
Weber plädiert sogar für eine Diskussion über Zwecke und Folgen des Handelns nach
bestimmten Wertvorstellungen. Diese Konsequenzen der Verschreibung bestimmter
Werte kann die Wissenschaft aufzeigen. Die Entscheidung für die Werte auf dem
Hintergrund dieser Konsequenzen ist allerdings jedem Individuum selbst überlassen und
kann nicht durch die Wissenschaft gelöst werden.124
Zusammenfassend ist Weber sich also der Wirkmächtigkeit der Werte bewusst. Die
Wissenschaft, und hier ist es in einer Fortführung der Weberschen Gedanken
unerheblich um welche es sich handelt, kann über eine Richtigkeit dieser Werte nicht
bestimmen. Diese Ansicht kollidiert vom Prinzip her mit der Grundannahme der
normativ-ontologischen Politischen Wissenschaft, da diese von dem Vorhandensein
eines objektiv richtigen Seins ausgeht und die Politische Wissenschaft in der Pflicht
121
Vgl. Schluchter: „Handlung“, S. 86f.
122 Vgl. Schluchter, Wolfgang: „Wertfreiheit und Verantwortungsethik – zum Verhältnis von
Wissenschaft und Politik bei Max Weber“, Tübingen 1971 . S. 19ff.
123 Weber: GAWL, S. 149
124 Vgl. Weber: GAWL, S. 149.
45
sieht sich auf die Suche nach einer sich diesem Sein annähernden Guten Ordnung zu
machen. Webers Soziologie als empirische Wissenschaft steht diesem Ansatz folglich in
einer unauflöslichen Situation gegenüber. Die normative Suche nach dem Sein ist keine
empirische und die Empirie Webers sucht nicht nach einem objektiv richtigen Sein.
Doch hat Weber neben seiner empirischen Soziologie auch noch seine politischen
Schriften zu bieten, in denen er der Äußerung von Wertvorstellungen aufgeschlossener
gegenübersteht.
2.3 Die zwei Seiten des Weberschen Werkes
Kann man vor dem Hintergrund des Gesagten von einer Opposition Max Webers im
Verbund mit seinem vermeintlichen Werterelativismus auf der einen Seite und der
praktischen-philosophischen wertebeladenen Politischen Wissenschaft eines Leo
Strauss auf der anderen Seite sprechen?
Bezogen auf die wissenschaftliche Tätigkeit Webers als Soziologe hat diese scharfe
Abgrenzung ihre Berechtigung; bei einer genaueren Betrachtung seiner Schriften und
seines politisch-philosophischen Denkens allerdings ist sie nicht hinreichend; denn auch
wenn man Webers politische Schriften nicht zu seinem wissenschaftlichen Werk im
engeren Sinne zählen möchte, so sind sie uns dennoch überliefert. Weber selbst wusste
sehr wohl um die Maßstäbe, die er mit seiner Forderung nach Wertfreiheit aufgestellt
hatte. Sie bildet die klare Trennlinie in seinem Werk. So merkt er an:
„Die Fähigkeit der Unterscheidung zwischen Erkennen und Beurteilen und die
Erfüllung sowohl der wissenschaftlichen Pflicht, die Wahrheit der Tatsachen zu
sehen, als der praktischen, für die eigenen Ideale einzutreten, ist das, woran wir
uns wieder stärker gewöhnen wollen.“125
Weber sieht in dem praktischen Eintreten für seine Ideale (Werte) eine persönliche,
nicht-wissenschaftliche Pflicht. Diese erfüllte er in seinen politischen Schriften, welche
folglich die Hauptquelle für Webers Liberalismus darstellen. Denn nur hier kann man
die liberalen Kernelemente mit Webers politischen Idealen abgleichen. In seinem
wissenschaftlichen, in erster Linie soziologischen Werk, welches sich nach Weber
selbst mit der empirischen Deskription begnügt, kann man unter praktisch-
philosophischen Gesichtspunkten nur begrenzt fündig werden. Voegelin beschreibt
diese Zweiteilung Webers Werks wie folgt:
125
Weber: GAWL, S. 155.
46
„Auf der einen Seite standen also die ‚Werte’ politischer Ordnung, jenseits
kritischer Wertung; auf der anderen Seite eine Wissenschaft von der Struktur der
sozialen Wirklichkeit“126
.
Jaspers formuliert diesen Umstand analog hierzu folgendermaßen:
„Die wissenschaftliche Pflicht, die Wahrheit der Tatsachen zu sehen, und die
praktische, für die eigenen Ideale einzutreten, sind zweierlei Pflichten.“127
Diese strenge Trennung wird nicht von allen Weberinterpreten geteilt. Einer der
wenigen, der einen politikwissenschaftlichen Blickwinkel einnimmt ist Gregor Fitzi. Er
ist es auch, der bemerkt:
„Die Strenge der Trennung zwischen ‚deskriptiv-wissenschaftlichem’ und
‚normativ-ethischem’ Denken in politischen Fragen stößt hingegen mancherorts
auf Widerspruch. Gerade die Vehemenz solcher Ablehnung zeugt jedoch davon,
dass Weber nicht als Vertreter eines fremden Faches wahrgenommen wurde,
sondern in erster Linie als politischer Denker.“128
In erster Linie wird Weber sicherlich immer noch als Soziologe wahrgenommen und
der Wissenschaftsbegriff Webers ist, wie gesehen, tatsächlich sehr eng an die Empirie
gekoppelt. Neben dem wissenschaftlichen existiert aber auch ein politischer Weber, der
mit Vehemenz seine politischen Überzeugungen, mithin Werte, verteidigt und sich ganz
und gar nicht wertfrei über tagespolitische Ereignisse äußert. Es bleibt allerdings die
Meinung des Wissenschaftlers, nach der alles Wollen subjektiv und somit jeglicher
objektiver Deskription entzogen sei.129
Das bedeutet, dass man sich wissenschaftlich
nur mit dem Sein, nicht aber mit dem Seinsollen auseinandersetzten kann. Mit dieser
Auffassung nimmt Weber die heute vorherrschende Meinung in der Politischen
Wissenschaft vorweg.
In Anlehnung an eine normativ verstandene Politische Wissenschaft in der Tradition
der politischen Philosophie muss, Weber widersprochen werden.130
Der
Wissenschaftsbegriff Webers greift in seiner Dichotomie zu kurz, wie Fitzi ganz richtig
126
Voegelin, Eric: „Die Neue Wissenschaft der Politik“, München 2004, S. 30f.
127 Jaspers: „Max Weber“, S. 86.
128 Fitzi: „Max Weber“, S.19.
129 Vgl. Weber: GAWL, S. 158.
130 Auch wenn Wolfgang Schluchter Max Weber sehr wohl in der Tradition eines normativen
Politikverständnisses sieht. Hierzu trennt Schluchter die in dieser Arbeit bislang als Einheit auftretende
normative Politische Wissenschaft auf in eine Strebensethik nach Aristoteles und eine Pflichtenethik nach
Immanuel Kant, in dessen Tradition Weber zu sehen sei. Schluchter nennt Weber „nicht mehr kantisch,
wohl aber kantianisierend“. Die nähere Beschäftigung mit dieser philosophischen Problematik würde hier
eindeutig die zentrale Fragestellung verlassen. Vgl. Schluchter: „Handlung“., S. 95ff.
47
bemerkt. Wissenschaft, vor allem die Wissenschaft von der Politik kann sich nicht in
reiner empirischer Deskription erschöpfen. Sicherlich hat Weber Recht, wenn er die
Beurteilung und wissenschaftliche Begründung von Werten und Idealen als äußerst
schwierig, wenn nicht gar unmöglich bezeichnet. Die Politische Wissenschaft muss sich
aber dennoch den Fragen nach der Guten Ordnung annehmen und versuchen, sie stets
aufs Neue zu beantworten.
Webers Position ist verständlich, wenn man sich die wissenschaftstheoretische
Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts besieht. Hier ist das Aufkommen der
naturwissenschaftlichen Methoden innerhalb der Geisteswissenschaften zu nennen. Die
damit in Zusammenhang stehende, strikte Absage an die Gültigkeit von Normen durch
Erfahrung beschreibt Weber wie folgt:
„Das Schicksal einer Kulturepoche, die vom Baum der Erkenntnis gegessen hat,
ist es, wissen zu müssen, daß wir den Sinn des Weltgeschehens nicht aus dem
noch so sehr vervollkommneten Ergebnis seiner Durchforschung ablesen können,
sondern ihn selbst zu schaffen imstande sein müssen, daß »Weltanschauungen«
niemals Produkt fortschreitenden Erfahrungswissens sein können, und daß also
die höchsten Ideale, die uns am mächtigsten bewegen, für alle Zeit nur im Kampf
mit anderen Idealen sich auswirken, die anderen ebenso heilig sind, wie uns die
unseren.“131
In der Analyse von diesem „Kampf der Ideale“ kann man eine zentrale Aufgabe der
Politischen Wissenschaft, speziell der politischen Philosophie sehen. Vielleicht ist aber
die politische Philosophie an sich eben dieser Kampf der Ideale. Webers Credo, dass
aus keiner empirischen Wissenschaft zu begründen sei, „was ich tun soll“132
, zeigt den
Mangel der wertfreien, deskriptiven Wissenschaft auf. Woher soll der Mensch die
Anregungen für sein praktisches Handeln in der Gesellschaft nehmen, wenn nicht die
Wissenschaft hierfür Hinweise geben kann? Die politische Philosophie sehe ich hier in
der Pflicht, diese nach Weber entstandene Lücke zu schließen. Johannes Weiß fasst dies
sehr treffend zusammen:
„Richtig verstanden stellt es [das Prinzip der Wertfreiheit] sogar eine notwendige
Voraussetzung jeder wirklich aufklärerischen, nicht-ideologischen Form politisch-
praktischer Wirksamkeit dar. An Webers Reflexionen über Wertfreiheit und
Wertbeziehung läßt sich lernen, daß man sich viel zu lange und immer wieder
über falsche Alternativen gestritten hat.“133
131
Weber: GAWL, S. 164.
132 Vgl. Jaspers: „Max Weber“, S. 86.
133 Weiß: „Max Weber“, S.14f.
48
3. Über die Notwendigkeit der normativen Politischen Wissenschaft
Betreibt man politische Philosophie und stellt sie ins Zentrum seiner
politikwissenschaftlichen Anstrengungen, so ist die Frage nach der guten Ordnung, also
nach dem Seinsollen politischer Realität von entscheidender Bedeutung. Weder die
empirische Deskription unserer Lebensumstände, noch der kritische Rekurs auf die
Totalität der Gesellschaft, können ein freiheitliches Nachdenken über aktuelle politisch-
philosophische Fragen sicherstellen. Gewiss sind die Methoden der empirischen
Sozialforschung von Bedeutung, wenn es um die rationale Erfassung konkreter
Probleme geht; ebenso darf man sich in Hinblick auf die Gesellschaft als Ganzes nicht
kritiklos mit der bürgerlichen Gesellschaft auseinandersetzen. Allerdings steht über
allem die Frage, wie wir unsere Gesellschaft gestalten sollen. Dies setzt ein normatives
Politikverständnis voraus, da nur durch die Setzung überzeitlicher Werte als Maßstab,
das Fortschreiten des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses garantiert werden kann.
Problematisch wird diese wertebezogene Politische Wissenschaft allerdings, wenn hier
die Werte zu ausdifferenzierten Systemen werden, die dann als einzig richtige
Werteordnungen vertreten werden. Begrenzt man die als richtig anerkannten Werte
jedoch auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner, der nur einige abstrakte
Ordnungsprinzipien einschließt, so kann aus der Bejahung dieser Werte eine Gute
Ordnung im klassischen Sinne erwachsen.
In dieser Einstellung zur Politischen Wissenschaft spiegeln sich urliberale Ideen
wider. Der Liberalismus selbst kann als eine normativ-ontologische politische
Philosophie gesehen werden, da er nach der Guten Ordnung und nach den hierzu
notwendigen Mitteln fragt. Bejaht man also zumindest die liberalen Kernelemente als
unumstößliche gesellschaftliche Säulen und als gesellschaftliches Konzept, so kommt
man nicht umhin einen normativ-ontologischen Politikbegriff zu akzeptieren, der sich
auf die praktisch-philosophische Tradition beruft.134
Ebenso gilt der Umkehrschluss;
demjenigen, der diesen Blickwinkel akzeptierend einnimmt wird es schwer fallen, auf
den liberalen Kernelementen aufbauende Gesellschaftsmodelle sinnvoll begründet
abzulehnen.
134
Zur Vertiefung in den praktisch-politischen Ansatz: Hennis, Wilhelm: „Politik und praktische
Philosophie – Eine Studie zur Rekonstruktion der politischen Wissenschaft“, Neuwied 1963. Hennis,
Wilhelm: „Politik als praktische Wissenschaft – Aufsätze zur politischen Theorie und Regierungslehre“,
München 1968. Voegelin, Eric: „Die Neue Wissenschaft der Politik“, München 2004.
49
Nach dem Gesagten dürfte offensichtlich sein, dass auch Max Weber seinen Beitrag
zu einem normativen Politikverständnis geliefert hat. Weber erinnert immer wieder an
die letztlich nicht zu bewertende Subjektivität der Wertvorstellungen und Ideale. Die
Erkenntnis objektiv richtiger, guter oder wahrer Werteordnungen ist auf dem
wissenschaftlichen Weg nicht zu erreichen und jeder, der diesen Versuch unternehme,
sei mit Vorsicht zu beäugen:
„Der subjektiv gemeinte Sinn, der sich auch zu überindividuellen
Sinnzusammenhängen fügt, lässt sich empirisch erforschen, der objektiv richtige
oder metaphysisch wahre aber nur insoweit, als er sich im Streben nach Gütern
oder an verwirklichten Gütern ablesen lässt.“135
135
Schluchter: „Handlung“, S. 96.
50
IV. Max Webers Liberalismus in der Rezeption seiner
Interpreten
Nachdem nun also liberale Kernthesen benannt und die Schwierigkeiten in der
Beziehung Webers zur Politischen Wissenschaft aufgezeigt wurden, gilt es, sich dem
eigentlichen Liberalismus Webers, unter den genannten Zielsetzungen zu nähern. Als
erstes wird ein Blick auf drei Interpreten Webers geworfen, die in der Erforschung
seines Liberalismus unterschiedliche Methoden anwenden und dementsprechend auch
zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Einig sind sich alle drei in der
Zuordnung Max Webers zum Liberalismus, auch wenn nach dem ersten Kapitel klar
sein sollte, dass jeder dieser drei ein anderes Bild dieses Ideengebäudes vor Augen
gehabt haben muss. So wird in den hier betrachteten Interpretationen Webers politisches
Denken nicht auf liberale Kernelemente hin untersucht, sondern vielmehr die, dem
jeweiligen Interpreten eigentümliche, Definition dessen, was der bleibende Anspruch
Webers Denkens in einer politischen Dimension zu bedeuten hat, herausgestellt. Aus
diesem politischen Kern des Werkes leiten alle drei, namentlich Karl Jaspers, Wolfgang
Mommsen und Wilhelm Hennis eine liberale Grundeinstellung Webers ab.
1. Karl Jaspers – Philosophie und Bewunderung
„Max Weber war der größte Deutsche unseres Zeitalters.“136
Dieser einleitende Satz Karl Jaspers137
in seinem Vorwort zur Neuauflage des 1932
veröffentlichten Textes „Max Weber – Politiker, Forscher, Philosoph“, zeigt bereits die
136
Jaspers: „Max Weber“, S. 7.
137 Karl Jaspers (1883-1969) war Psychiater, der sich, für die Nachwelt sicherlich bedeutender, um die
Philosophie verdient gemacht hat. Er war Anhänger der Existenzphilosophie, die einen Weg zwischen
dem absoluten Denken des Idealismus, sowie des ebenso absoluten, szientistischen Positivismus, suchte.
Jaspers vertrat die Ansicht, dass Wahrheit nicht in der Wissenschaft verborgen liegt. Er setzte sich mit
ähnlichen wissenschaftstheoretischen Problemen wie Weber auseinander. So trat beispielsweise auch
Jaspers in Opposition zu Heinrich Rickerts Neukantianismus. Vgl. Schüßler, Werner: „Jaspers zur
Einführung“, Hamburg 1995.
51
unumwundene Bewunderung, welche er für Max Weber empfand. Jaspers war in
Heidelberg Webers Schüler gewesen und von ihm stets tief beeindruckt.138
Ab 1910
verkehrte Jaspers zudem mit anderen wichtigen und einflussreichen Persönlichkeiten
des geistigen Deutschlands, darunter unter anderen Simmel, Tönnies, Lukacs, Naumann
und dem späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss, im Hause Weber.139
Ist vor dem
Hintergrund dieser persönlichen Beziehung und der offen zur Schau gestellten
Bewunderung eine objektive Beurteilung des wissenschaftlichen Gegenstandes, als
welcher das politische Denken Webers hier zu sehen ist, möglich? Die Antwort lautet:
Nein. Unter den genannten Gesichtspunkten steht diese normative Sichtweise Jaspers
der Suche nach Webers Liberalismus nicht im Wege, sondern begünstigt sie im besten
Falle.
Jaspers nimmt in seiner bewundernden Schrift über Weber eine überaus interessante
und wichtige Trennung vor: Er unterscheidet dreierlei Weber, den Politiker, den
Forscher und den Philosophen. Für die Erforschung des Weberschen Liberalismus
erscheinen sowohl die erste, als auch die letzte Kategorie als die fruchtbareren, da
bereits herausgearbeitet wurde, dass Webers empirisches, wissenschaftliches Arbeiten
der zugrunde liegenden Liberalismusdefinition keine Entsprechung liefert.
1.1 Max Weber der Politiker
Karl Jaspers sieht in Weber einen gewissermaßen unvollendeten Politiker, der nie in
ein politisches Amt gewählt und somit nie zur Entfaltung gekommen ist. Die bereits
erwähnte Bewunderung, die Jaspers Weber entgegenbringt, lässt ihn zu dem Urteil
kommen, dass dieser die Geschicke Deutschlands zu Beginn des 20. Jahrhunderts in
bessere Bahnen gelenkt hätte. Betrachten wir, wie Jaspers auf die von ihm selbst
gestellte Frage nach dem bleibenden Anspruch des politischen Denkens des politischen
Schriftstellers Weber antwortet. 140
Karl Jaspers lässt in einer Anekdote, die er in seinem Vorwort, welches er 1958 dem
hier zugrunde liegenden Text beifügt, erwähnt, eine Webersche Sichtweise offenbar
werden, die auf den ersten Blick als liberal zu bezeichnen ist: „Einem bedeutenden
138
Sukale, Michael, „Max Weber – Leidenschaft und Disziplin“, Tübingen, 2002 (im Folgenden zitiert
als Sukale: „Max Weber“), S. 19.
139 Sukale: „Max Weber“, S. 265.
140 Vgl. Jaspers: „Max Weber“, S. 54.
52
Schweizer, der im Gespräch sagte: Man muß den Staat lieben, antwortete er [Weber]:
Was, lieben soll man das Ungeheuer auch noch!“141
Auch wenn diese Staatsskepsis nicht unbedingt zu den liberalen Kernelementen zu
zählen ist, so verbirgt sich hier doch ein Gedanke, der mit der Freiheit und der
Verantwortung in Verbindung steht. Verständlicherweise mag man Vorbehalte gegen
eine Interpretation solcher, aus Tischgesprächen überlieferten Ansichten haben,
allerdings sind dies die Quellen, die den politischen Schriftsteller einzuordnen helfen.
Festzuhalten ist zunächst, dass Weber eine gewisse Skepsis gegenüber dem Staat
hegte. Fraglich ist allerdings, ob hier der Staat im Allgemeinen, oder der deutsche Staat
im Speziellen gemeint ist. Erstere Interpretation würde Webers Abneigung gegen die
Überhand nehmende Bürokratie widerspiegeln, welche indirekt gegen die Freiheit der
Bürger arbeite. Richtet sich Webers Aussage aber gegen den deutschen Staat, so
plädiert Weber hier für mehr Verantwortung in den Händen der demokratisch
legitimierten Herrscher.
Letztere Annahme ließe sich nach Jaspers belegen mit der Aussage, Weber habe
gegen das System des „Scheinkonstitutionalismus“ gekämpft, da er es für die
„Unfähigkeit der führenden Männer“142
verantwortlich machte. Jaspers erklärt hierzu
Webers Wertvorstellung: Diesem ging es um das nationale Machtinteresse und die
nationale Ehre, nicht um naturrechtliche oder doktrinäre Gründe.143
Folglich lassen sich
anhand dieser Aussagen keine liberalen Werte Webers ableiten. Jaspers stellt mit dem
Machtinteresse und der nationalen Ehre zwei Werte in den Vordergrund, die man mit
dem Liberalismus nicht in erster Linie in Verbindung bringen kann.
Aus Webers Opposition gegen den Bismarckschen Staat lässt sich zunächst kein
Liberalismus nach den aufgestellten Kernelementen, herausfiltern. Für Weber ist
darüber hinaus „die Frage nach der politischen Verfassung lediglich eine Frage der
Technik, nicht der Weltanschauung.“144
Und eben diese Technik galt es für Weber
optimal zu nutzen und die „unausweichliche Demokratie mit der autoritativen
Führerschaft der wirklich sachverständigen und verantwortlichen Staatsmänner“145
in
Einklang zu bringen.
141
Jaspers: „Max Weber“, S. 50.
142 Jaspers: „Max Weber“, S. 56.
143 Jaspers: „Max Weber“, S. 56.
144 Jaspers: „Max Weber“, S. 59.
145 Jaspers: „Max Weber“, S. 59.
53
Die Demokratie scheint Weber also nur widerwillig, als unausweichlich, zu bejahen.
Dennoch akzeptiert er diese Staatsform als technisches Mittel zur Führerauswahl,
obwohl er sich der Gefahren der Demokratie bewusst gewesen sei, so Jaspers.146
Die Demokratie wird hier anfangs in den liberalen Kernelementen des Liberalismus
nicht erwähnt. Dennoch ist sie die vermeintlich gerechteste Form der politischen
Entscheidungsfindung. Der Liberalismus hat sie stets als Technik akzeptiert, ohne sie
per Definition vereinnahmt zu haben. Bei Weber scheint dies ebenso der Fall. Auch er
akzeptiert die Demokratie in Ermangelung einer besseren, ihm bekannten Technik.
Jaspers beschreibt in den folgenden Passagen seines Textes, Webers Einstellung zu
System und herrschender Klasse in Deutschland. Aus diesem Blickwinkel lässt sich
erneut kein Bild des Liberalismus Webers zeichnen. Dafür sind die von Jaspers
herangezogenen Weberschen Aussagen zu konkret auf die Situation der damaligen Zeit
bezogen. Hier ließe sich ein praktisch-personalisierter147
Liberalismus erforschen,
jedoch bleiben theoretisch-allgemeine Kriterien hinter den konkreten tagespolitischen
Problemen verborgen. Keine der aufgestellten liberalen Kernelemente finden sich
zunächst wieder; bis Jaspers auf den bleibenden Anspruch Webers kommt.
Hier wird von Jaspers mit der Verantwortung ein liberales Kernelement in das
Zentrum des politischen Denkens Max Webers gestellt. Der Führer148
, welcher in
Webers Sichtweise unausweichlich demokratisch legitimiert zu sein hat, handelt in
vollem Bewusstsein der Verantwortung für sein Handeln. Dieser Umstand sei der Kern
des Weberschen Politikverständnisses oder wie Jaspers es formuliert: „Webers Sinn für
das dem Politischen Eigentümliche“149
. Die Verantwortung kann der Politiker im
Gegensatz zum ausführenden Beamten nicht delegieren und muss sich somit der
Konsequenzen seines Handelns, im letzten Schritt der Ausübung von Gewalt als letztem
Mittel, im Klaren sein. Diese Verantwortungsethik ist liberal, da sie nicht die Motive in
den Vordergrund spielt.
Karl Jaspers war Psychiater und dieser wissenschaftliche Hintergrund spielt natürlich
auch in seiner Weberinterpretation eine gewichtige Rolle. Jaspers teilweise
psychologisierende Herangehensweise kann nicht nur auf politische Kernprobleme
abzielen. Abstrakte politische Begriffe wie die Freiheit und die Gleichheit sind keine
146
Jaspers: „Max Weber“, S. 50.
147 Vgl. die 3 Sphären der Betrachtung aus Abschnitt II, Kap. 1.
148 Hier wird trotz der historischen Belastung der Begriff Führer verwendet, da auch Max Weber stets
diesen Begriff gebraucht.
149 Jaspers: „Max Weber“, S. 72.
54
Dimensionen, die Jaspers in diesem Zusammenhang interessieren. Vielmehr sind es
intersubjektive Problematiken, wie die Macht über Personen und die Macht zu
entscheiden, die ihn an Webers Werk reizen.
Einen erklärten Liberalismus Webers findet man in Jaspers Abschnitt über den
Politiker Max Weber nicht; dieser zeichnet sich hier nicht durch ein dezidiert liberales
Programm aus. Vielmehr ist es seine Verantwortungsethik, die man am ehesten unter
den Terminus Liberalismus subsumieren kann. Ebenso kann eine, wenn auch scheinbar
widerwillige, Zustimmung zur Demokratie als Technik der politischen Verfassung als
liberal bezeichnen.150
1.2 Max Weber der Philosoph
„Max Weber hat kein philosophisches System entworfen. […] er war eine
Philosophie.“151
Diese These zeigt deutlich, dass Jaspers nicht die Einordnung Webers
in das politische Spektrum, sondern vielmehr die Herausstellung der Einzigartigkeit des
Weberschen Denkens verfolgt. Ziel Jaspers war es stets, die in dieser Einzigartigkeit
vermeintlich verborgene Philosophie Webers herauszustellen. So sah jener diesen
immer als Philosophen und hob sich damit von den vorherrschenden Sichtweisen auf
den nüchternen Sozialwissenschaftler ab. Die Charakterisierung Webers als
Philosophen erleichtert sicherlich seine Zuordnung zum Liberalismus unter praktisch-
philosophischen Gesichtspunkten. Weber als Philosophen zu sehen und seine
sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse dieser Auffassung unterzuordnen, unterstützt also
die Wichtigkeit des „anderen“, nicht wertfrei agierenden Webers. Karl Jaspers vermerkt
aber zugleich, dass es unmöglich sei, Webers Philosophie als Lehre herauszustellen, da
Webers Philosophie sich vielmehr in ihm selbst verwirkliche.152
1.2.1 Vernunft und Freiheit
Weber ging den „Weg der Vernünftigkeit“153
, so Jaspers. Diesen Weg beschreibt
Jaspers in, aus heutiger Sicht, pathetisch klingenden Worten, in denen sich sein
philosophischer Hintergrund zeigt. So lobt er Webers Offenheit für das, was den
„Menschen als Menschen angeht“154
und seine innere Freiheit.155
In diesen Passagen
150
Zu Webers Einstellung zur Demokratie vgl. unten Abschnitt V, Kap. 3.
151 Jaspers: „Max Weber“, S. 65.
152 Vgl. Jaspers: „Max Weber“, S. 94. Diese These bleibt durchaus fraglich, da hier kein bleibender
Anspruch zu abstrahieren ist.
153 Jaspers: „Max Weber“, S. 101.
154 Jaspers: „Max Weber“, S. 102.
55
sind also zwei liberale Kernelemente zentral: Freiheit und Verantwortung.
Problematisch ist diese Übereinstimmung aber dennoch, denn Jaspers zieht sie aus der
persönlichen Einstellung des Menschen Max Weber. Dies ist zum einen aus heutiger
Sicht nicht mehr zu überprüfen und zum anderen wurde zu Beginn dieser Arbeit eine
psychologisierende Interpretation Webers abgelehnt. Dennoch werden Jaspers Thesen
über Webers Philosophie hier besprochen, da sie eine eindeutige Übereinstimmung mit
den liberalen Kernelementen liefern.
Laut Jaspers sind in dieser persönlichen Philosophie Webers die Vernunft, wie auch
die Freiheit zentral angelegt. Diese ließen sich, so Jaspers, auf die unantastbare Stellung
des Individuums zurückführen. Die innere Freiheit Webers sei Resultat seiner
Vernunft.156
Jaspers formuliert hier eine geistige Nähe zwischen Max Webers
Wertvorstellungen und den Idealen der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Diese Ideen
seien liberal, so Jaspers weiter.157
Man kann also, will man den Ausführungen Karl Jaspers folgen, einen persönlichen
Liberalismus feststellen. Dieser ist allerdings zunächst nur in der Ansicht Jaspers
existent. Er zeichnet sich durch die Bejahung der sich stets hinterfragenden Vernunft
und der daraus resultierenden inneren Freiheit aus. Diese innere Freiheit ist nicht
identisch mit der Freiheit des Liberalismus, auch wenn sie einen wichtigen Bestandteil
von ihr darstellt. Die Freiheit Webers, so wie Jaspers sie hier schildert, zielt auf eine
geistige Ungebundenheit ab, die sich ohne Zwang „auch für das Unvernünftige“158
offen zeigt.
Freiheit und Vernunft sind Weber also sehr wichtige, zentrale Kategorien, an denen er
sein Denken orientiert. Sie sind ihm Werte, die er vertrat, jedoch nicht in seinem
wissenschaftlichen Werk zur Diskussion stellte. Dies macht es so schwierig Belege für
die Jaspersschen Thesen zu finden. Glaubt man ihm, so waren die liberalen
Kernelemente Freiheit und Vernunft auch für Max Weber zentral; stellt man Jaspers
Einschätzung allerdings begründet in Frage, so bleibt von Webers Liberalismus in
diesem Punkt nicht viel übrig.
1.2.2 Das fragmentarische Werk
Jaspers hatte stets das Sein als Ganzes im Blick, wie es für die Existenzphilosophen
seiner Zeit Usus war. Es ging ihm bei der Betrachtung Webers um das Wesen seines
155
Vgl. Jaspers: „Max Weber“, S. 102ff.
156 Vgl. Jaspers: „Max Weber“, S. 102.
157 Vgl. Jasper: „Max Weber“, S. 103.
158 Jasper: „Max Weber“, S. 102.
56
Werkes und die sich daraus ableitende Strahlkraft. Betrachtet man nun Jaspers
Einschätzung dieses Wesens, so nennt er als ein Charakteristikum das Fragmentarische
des Werkes. Dieser Fragmentcharakter stehe der durchweg positiven Beurteilung
Webers als „geistigen Gipfel der Zeit“159
im Weg, wie Michael Sukale Karl Jaspers
interpretiert. Dieser hilft sich hier jedoch geschickt, indem er den Weberinterpreten eine
Hintertür offen lässt: Würde man im „fragmentarischen Wesen selbst einen positiven
Sinn“160
sehen und sogar, einen Schritt weiter gedacht, glauben, „dass das Größte,
sofern es sich verwirklicht, notwendig Fragmentcharakter hat“161
, so wäre dieser auf
den ersten Blick hinderliche Punkt bei der Beurteilung in einen durchweg positiven
verwandelt. Beim Anblick dieser Aussagen wird deutlich, dass Jaspers Weber nicht aus
einem politischen Blickwinkel betrachtet hat. Jaspers war Philosoph und begab sich auf
die Suche nach Webers Philosophie. Dies schließt jedoch nicht aus, dass Webers
Philosophie auf liberalen Kernelementen, genauer gesagt (und um das Gesagte
einzubeziehen) auf einem einzigartigen, fragmentarischen Liberalismus beruht.
Dennoch erscheint die Überhöhung der Unvollständigkeit des Weberschen Werkes ein
wenig konstruiert. Sicherlich war es nicht Webers Absicht gewesen sein Werk
unvollendet zu überlassen. Einen positiven Sinn des fragmentarischen Charakters kann
man allerdings ableiten: Wie Hübinger, Osterhammel und Welz bereits herausgearbeitet
haben, wurde Webers Werk oftmals als „Steinbruch“ verwendet.162
Der Charakter des
Werkes ließ und lässt viel Spielraum für Interpretationen, an denen sich eine Vielzahl
von Wissenschaftlern der unterschiedlichsten Fachrichtungen eigene Positionen
erarbeiten konnte. Weber bildet mit seinen überlieferten Schriften also den
Ausgangspunkt für ein lohnendes Nachdenken über politische Fragen und solche, die
das Handeln der Menschen betreffen. Die Überhöhung zum „Größten“ durch das
Fragmentarische, welche Jaspers hier vornimmt, ist allerdings verfehlte Bewunderung.
1.2.3 Überzeitliche Werte
Bei Jaspers Überlegungen zu Webers Philosophie sind die überzeitlichen Werte
zentral. Fest steht, dass Weber seine Ideale nicht wissenschaftlich begründet. Sie sind
ihm subjektive Kategorien. Für die Identifizierung Webers Liberalismus wären sie
jedoch von gesteigertem Interesse. Finden sich also abseits der Fragment-Diagnose zum
159
Sukale: „Max Weber“, S. 19.
160 Jaspers, „Max Weber“, zitiert nach: Sukale: „Max Weber“, S.19.
161 Sukale: „Max Weber“, S. 19.
162 Vgl. Fn. 99.
57
Gesamtwerk Punkte in Jaspers Ausführungen, an welchen man Webers liberale
Geisteshaltung festmachen könnte?
Oftmals wird mit Weber auch aufgrund des Werturteilspostulates ein gewisser
Relativismus der Werte verbunden. Diesen könnte man auf den ersten Blick als nicht
liberal bezeichnen. Nimmt man allerdings den Liberalismus John Rawls als Grundlage,
so wird offensichtlich, dass ein gewisses Maß an relativer Werteordnung geradezu die
Voraussetzung einer liberalen Gesellschaft ist. Über allem müssen natürlich die
Kernelemente stehen, die durch die Freiheit und Gleichheit der Bürger diesen
Relativismus ermöglichen. Letztlich basieren die unterschiedlichen Wertvorstellungen
in einer liberalen Gesellschaft auf einer sehr begrenzten Zahl von Idealen, die als
kleinster gemeinsamer Nenner die Existenz unterschiedlicher Wertvorstellungen
ermöglicht. Die Konflikte, die sich zwischen diesen Wertvorstellungen ergeben, müssen
mit den Mitteln der Demokratie beigelegt werden. Diese Notwendigkeit hat Weber
erkannt, indem er die Demokratie als notwendige Technik benennt. Den überzeitlichen
Idealen, die auch auf politischer Ebene oft religiösen Charakter haben können, steht
Weber skeptisch gegenüber. Er teilt den Glauben an letzte Ideale nicht. Jaspers erläutert
Webers Sicht der Dinge wie folgt:
„Wenn man daher schließen würde, man könne durch Nachdenken über die
letzten Standpunkte das Schema einer nennbaren endgültigen Zahl von
Werteordnungen entwickeln, die mir, wenn ich zwischen ihnen entscheide,
zeigen, wo ich philosophisch stehe, so ist das nicht die Meinung Webers.“163
Webers Philosophie bleibt stets am Alltag orientiert. Sie kümmert sich weniger um
höhere Ideale, als um konkrete Situationen und Problematiken; die Philosophie wird
hier „ins Leben eingesenkt.“164
Auf der Suche nach Webers Philosophie wird also auch
Jaspers nur leidlich fündig. Er benennt eine am Alltag orientierte Geisteshaltung, die
sich weniger um überzeitliche Ideale oder letztinstanzliche Werteordnungen, als um
konkrete Probleme und die effektive Art ihrer Beilegung sorgt.
1.3 Der Wert der Jasperschen Betrachtungen
Nach dem Beschriebenen fragt man nun zu Recht, was Jaspers Text zur Beantwortung
der Frage nach Webers Liberalismus beitragen kann. Sicherlich bietet er nicht die
gewünschte klare Beschreibung des Weberschen Liberalismus und, wie beschrieben,
war dies nie Jaspers Ansinnen. Dennoch ist die Feststellung des fragmentarischen
163
Jaspers, „Max Weber“, S. 68.
164 Jaspers, „Max Weber“, S. 69.
58
Charakters des Weberschen Werkes für die folgenden Betrachtungen von großem
Nutzen. Auch die Absage an konstruierte Oberwerte fern des konkreten Lebensalltags
sollten festgehalten und für die weitere Bearbeitung herangezogen werden: „Alle
Konstruktionen sind ihm relative Orientierungen, Schritte nach denen der weitere Weg
zur Klärung offen bleibt.“165
Die Untersuchung Karl Jaspers wurde hier herangezogen, um einen vom Politischen
verschiedenen Blickwinkel darzustellen. Jaspers steht mit seiner These vom
Philosophen Weber relativ alleine da. Da hier die Auffassung vertreten wird, der
Liberalismus sei eine politische Philosophie, lag eine Betrachtung der Weberschen
Philosophie nahe. Diese ist, so wie Jaspers sie charakterisiert, kaum für eine
Auseinandersetzung mit dem Liberalismus geeignet. Außerdem hat Jaspers, ob seiner
persönlichen Nähe und seinem in der Psychologie wurzelnden wissenschaftlichen
Hintergrund einen psychologisierenden Ansatz, der hier zu Beginn abgelehnt wurde.
Nun wird offensichtlich warum diese Abgrenzung erfolgen musste. Jaspers stand unter
dem unmittelbaren Eindruck der, vermutlich sehr imposanten, Persönlichkeit Webers.
Dies versucht er in seinem Text zu vermitteln. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse
stehen hinter diesen biographisierenden Passagen leider zurück.
Die sich überschneidenden Biographien beider Männer trüben Jaspers Beurteilung
Max Webers. Stets hat man beim Lesen des Textes das Gefühl Karl Jaspers möchte
seinen Lehrer auf den philosophischen Sockel heben und sich nicht über die Maßen
kritisch mit ihm auseinandersetzen. Zwar sind seine Schlüsse nicht inhaltlich zu
kritisieren, jedoch macht Jaspers es dem Leser ob seiner unverblümten Bewunderung
schwer, persönliche von wissenschaftlicher Charakterisierung zu unterscheiden.
Für die vorliegende Arbeit bleibt dennoch Erhellendes: Man kann Webers
Liberalismus nicht über ein bloßes Abarbeiten liberaler Grundprinzipien erfassen.
Vielmehr scheint es, als müsse man Webers politische Werte stets an konkreten
Situationen überprüfen, um so wiederum seinen Liberalismus zu abstrahieren.
165
Jaspers, „Max Weber“, S. 69.
59
2. Wolfgang Mommsen – Liberalismus und Nationalismus
Nachdem Karl Jaspers einen philosophischen Blick auf das Werk Max Webers
geworfen hat, ist mit Wolfgang Mommsen166
ein Historiker am Zug. Zeit seines Lebens
beschäftigte sich Wolfgang Mommsen mit Max Weber; er war einer der Herausgeber
der Max Weber Gesamtausgabe. Seine als Monographie veröffentlichte
Promotionsschrift „Max Weber und die deutsche Politik 1890-1920“ aus dem Jahr 1959
zählt zu den wichtigsten und meist zitierten Schriften über das politische Schaffen
Webers. In Mommsens Urteil über Max Webers politisches Denken findet sich eine
eindeutige Zuordnung zum Liberalismus wieder.
2.1 Liberale Kernelemente in historischer Perspektive
Schon in der Überschrift des hier behandelten Kapitels aus „Max Weber. Gesellschaft,
Politik und Geschichte“167
wird eine enge Verbindung Max Webers mit dem
Liberalismus angenommen; sie lautet: „Ein Liberaler in der Grenzsituation“. Auch der
einleitende Satz setzt diese Eindeutigkeit fort: „Max Weber darf als einer der
bedeutendsten Repräsentanten des europäischen Liberalismus an der Schwelle seines
Niedergangs gelten.“168
Will man Mommsens Arbeit nutzen, um Webers Liberalismus herauszustellen, so
wäre es zunächst von Bedeutung den von Mommsen eingeführten Begriff des
„europäischen Liberalismus“ zu klären. Hier zeigt sich allerdings die Problematik,
welche sich bei allzu voraussetzungsvollem Interpretieren ergibt. Der
Liberalismusbegriff ist bei einer jeden Beschäftigung aufs Neue klar abzugrenzen, um
definitorischen Unklarheiten vorzubeugen. Mommsen tut dies nicht. Er setzt eine
allgemeingültige Bedeutung des Terminus „europäischer Liberalismus“ voraus. Diese
allgemeingültige Bedeutung gibt es jedoch nur in sehr begrenztem Maße. Die
Bezeichnung „einer der bedeutendsten Repräsentanten des europäischen Liberalismus“
ist ohne eine exakte Definition nicht genauer, als würde man Max Weber als Politiker
166
Wolfgang Mommsen (1930-2004) entstammt aus der wohl bekanntesten deutschen Historikerfamilie,
zu der auch sein Vater Wilhelm, sein Bruder Hans und vor allem sein Urgroßvater Theodor zählen. Max
Weber und seine Zeit waren die zentralen Forschungsgegenstände Mommsens. Wolfgang Mommsen war
Mitinitiator der Max Weber-Gesamtausgabe. Es besteht auch bei Mommsen eine persönliche Beziehung
zu Max Weber. Dieser war in Berlin Schüler von Theodor Mommsen gewesen.
167 Mommsen, Wolfgang: „Max Weber – Gesellschaft, Politik und Geschichte.“ Suhrkamp, Frankfurt a.
M. 1974 (im Folgenden zitiert als Mommsen: „Max Weber“).
168 Mommsen: „Max Weber“, S. 21.
60
bezeichnen. Es gibt dem Rezipienten zwar eine Richtung vor, inhaltlich gefüllt ist die
von Mommsen vorgenommene Einordnung allerdings nur in einem geringen Maße.
Mommsen besieht sich Webers Liberalismus aus einer geschichtswissenschaftlichen
Sicht heraus: Webers politisches Denken wird in den Kontext seiner Zeit eingebunden.
Hier wird die Bedeutung der unterschiedlichen Sphären der Betrachtung des
Liberalismus deutlich. Mommsen setzt Weber in Verbindung mit einem praktischen,
heißt real existierten Liberalismus, der zudem noch ortsgebunden ist. Eine Aussage über
den Kern liberaler Gedanken wird nicht gemacht. Fraglich bleibt demnach, was unter
diesem „europäischen Liberalismus“ zu verstehen ist. Im Folgenden wird diese
Zuordnung Webers zum Liberalismus dennoch übernommen und Mommsens Text auf
Aussagen hin untersucht, die den europäischen Liberalismus genauer definieren oder
aber die liberalen Kernelemente thematisieren.
Gleich zu Beginn seines Textes sieht Wolfgang Mommsen zwei dieser Kernelemente
von Weber akzeptiert und mehr noch bejaht. Er beschreibt Webers Einstellung zum
industriellen Kapitalismus, welchen dieser als das unausweichliche Schicksal der
westlichen Gesellschaft beschrieb, als positiv in der Hinsicht, dass hier „ein Optimum
individueller Aktivität und persönlicher Freiheit möglich sei.“169
Freiheit und
Individualismus sind bei Weber also von zentraler Bedeutung, wenn er über die
Wirtschaftsordnung spricht. Seine Sorge vor dem „stahlharten Gehäuse der
Hörigkeit“170
, welches am Ende des Kapitalismus stehen könne, sieht in erster Linie die
„individuelle Initiative“ und durch den engsten Verbündeten des Kapitalismus, die rein
formale, zweckrationale Bürokratie, die Freiheit des Menschentums bedroht.171
Weber
stimmt diesen liberalen Kernelementen durch seine Sorge vor ihrer Absenz zu. Die
Sicherung von Individualität und Freiheit sind Ziele, die die Politik zu verwirklichen hat
Es wäre zu einfach, mit der Feststellung dieser Übereinstimmung des Weberschen
Denkens mit liberalen Leitideen, die Zugehörigkeit Webers zur liberalen Familie der
politischen Denker abzuschließen. Zwar liegt hier ein sehr starkes Kriterium vor, doch
Mommsen behauptet, Weber sei „keiner politischen Richtung ganz zuzuordnen, [und]
blieb […] zeitlebens ein »politischer Einspänner«.“172
Diese Einschätzung erinnert stark
an Karl Jaspers These von der Einzigartigkeit der Weberschen Philosophie.
169
Mommsen: „Max Weber“, S. 21.
170 Weber, hier zitiert nach Mommsen: „Max Weber“, S. 31.
171 Mommsen: „Max Weber“, S. 31.
172 Mommsen: „Max Weber“, S. 21.
61
Wolfgang Mommsen vertritt die Auffassung, dass sich Webers Denken, vor allem in
Hinblick auf seine politischen Leitmotive, nicht in herkömmlichen Kategorien erfassen
lässt. Der „politische Einspänner“ Weber ist vielleicht auch deshalb eine so singuläre
Erscheinung, weil er in sich die wertfreie, empirische Wissenschaft und persönliche,
politische Ideale in der Tradition einer normativen Denkschule vereint. Dieser Umstand
spiegelt sich in Webers Handeln wider. So beschreibt Mommsen Webers Wertehorizont
als „äußerste Hingabe an bestimmte letzte Ideale, verbunden mit einem streng
rationalen, die Konsequenzen des eigenen Tuns stets kritisch reflektierenden Sich-
Verhalten“173
.
In dieser Aussage verbergen sich zwei weitere Kernelemente liberalen Denkens.
Erstens die Vernunft, die sich in dem „streng rationalen“ Handeln verbirgt und zweitens
die Verantwortung, die die Konsequenzen des eigenen Handelns bedenkende
Komponente dieses Weberschen Lebensideals darstellt. Jeder ist für die Konsequenzen
seines Handelns verantwortlich und ist deshalb in der Pflicht, sie rational zu
überdenken. Genau hierin wird die persönliche Komponente des Liberalismus sichtbar.
Während Freiheit und Gleichheit intersubjektive Elemente des Liberalismus sind, so ist
die Vernunft, wie auch die Verantwortung jedem Individuum selbst auferlegt. Hierfür
plädiert Max Weber und Wolfgang Mommsen stellt diese Komponente des liberalen
„Sich-Verhaltens“ heraus. Webers Liberalismus zeigt sich nicht nur in den letzten
Idealen, über die er vorwiegend schweigt und die auch Mommsen nicht aufzudecken
vermochte, sondern vor allem in dem Handeln des Einzelnen.
Mommsen versucht im Folgenden Webers Kontakt zum Liberalismus aus historischer
Perspektive genauer zu charakterisieren. Dieser Kontakt gestaltet sich ambivalent. Zwar
fühlte sich Weber als „Mitglied der bürgerlichen Klassen“174
, welche stets die
Trägerschicht des Liberalismus stellte; jedoch waren ihm die politische Unreife, sowie
der „selbstzufriedene Honoratiorenliberalismus“175
dieser Klasse zuwider. Dies zeigt
erneut die Ambivalenz im Denken und Handeln Webers. Einerseits ist ihm seine
bürgerliche Herkunft bewusst, er fühlt sich als Mitglied dieser Klasse, andererseits sieht
er seine Standesgenossen verweichlicht und zur Politik nicht mehr fähig. Mommsen
liefert weitere Anzeichen für diese innere Disharmonie: „Er [Max Weber] persönlich
betrachtete Kompromisse als einen inferioren Weg, obwohl er anerkannte, dass alle
173
Mommsen: „Max Weber“, S. 30.
174 Mommsen: „Max Weber“, S. 21.
175 Mommsen: „Max Weber“, S. 23.
62
Politik damit arbeiten müsse.“176
Mommsen arbeitete an diesen Beispielen deutlich
heraus, dass Max Weber seine Wertvorstellungen einem vernünftigen Urteil
unterwerfen konnte. In dem hier beschriebenen Beispiel der Kompromisse wird dies
deutlich: Weber wusste sehr wohl, zu was eine Politik ohne Kompromisse führen
könnte, auch wenn Mittelwege seinen Wertvorstellungen zutiefst widersprachen.
Doch eben diese Vielschichtigkeit zeigt, wie sehr Jaspers Recht behalten hat, wenn er
Max Webers Philosophie als in das Leben eingesenkt beschreibt. Mommsen beschreibt
dies, in Hinblick auf Webers Wissenschaftskonzeption, als
„nominalistischen Dezisionismus, der die Relativität aller Werte als unabänderlich
hinnahm, jedoch zugleich ein Höchstmaß an rationaler Erfassung aller
gesellschaftlichen Phänomene, einschließlich aller subjektiven Wertehaltungen,
anstrebte.“177
Dieser Relativismus der Werte ähnelt der toleranten liberalen Konzeption John Rawls,
die die gleichzeitige Existenz verschiedener umfassender Lehren akzeptiert. Es handelt
sich also mitnichten um einen nihilistischen Relativismus, der als Vorbote eines
unethischen Positivismus fungiert, sondern eher um das tiefe Verständnis der
Problematik, die sich aus der Beurteilung widerstrebender Ideale ergibt. Weber selbst
stand, wie im Zusammenhang der Werturteilsfreiheit bereits gesehen, für die
wissenschaftliche Nicht-Beurteilung der subjektiven Wertvorstellungen. Persönlich trat
er in seinen politischen Schriften allerdings für diese ein, ohne von ihrer absoluten
Wahrhaftigkeit überzeugt gewesen zu sein.
2.2 Politisches jenseits des Liberalismus: Webers Nationalismus
Ein weiterer Ideenkreis, welcher seit Mommsen mit Weber in Verbindung gebracht
wird, ist der Nationalismus. Insbesondere Webers akademische Antrittsrede aus dem
Jahr 1895 an der Universität zu Freiburg, ist ein viel beschworenes Beispiel für die
nationalistischen und sozialdarwinistischen Anwandlungen Webers. Im folgenden
Kapitel wird sie Gegenstand der Diskussion sein. Was sagt also Wolfgang Mommsen zu
Webers Nationalismus?
Vorab ist festzuhalten, dass Sukale bemerkt, Mommsen hätte als erster „den Mut
[gehabt], einen ganz anderen Weber neu aufzurollen und dem erstaunten Publikum
vorzuführen: Max Weber, den Nationalisten und Imperialisten.“178
Dieser Blickwinkel
176
Mommsen: „Max Weber“, S. 22.
177 Mommsen: „Max Weber“, S. 29.
178 Sukale: „Max Weber“, S. 32.
63
auf „die bis dahin als heilig geltende Kuh“179
stieß zunächst auf Widerstand und
Mommsen hatte seine Ansichten gegen die Vorbehalte der Historikerzunft zu
verteidigen. Die Aufregung über eine solche Einordnung erscheint nicht verwunderlich,
da Mommsen sie bereits 1959 in seiner Promotionsschrift äußerte und die gegebene
zeitliche Nähe zur nationalsozialistischen Herrschaft den Anschein erweckte, Mommsen
wolle Weber diskreditieren. Zu dieser Zeit mutete es in den Augen der Mehrheit der
Wissenschaftler mehr als despektierlich an, einen „Säulenheiligen“ mit einem Etikett
der gerade überstandenen Diktatur zu belegen. Dies war jedoch nie Mommsens
Anliegen. Im Gegenteil: Mommsen versteht es, den Nationalismus Webers darzulegen,
ohne ihn gleichzeitig zum Vorläufer des Nationalsozialismus zu machen.
Webers Nationalismus entwickelte sich zunächst entlang der Beschäftigung mit der
Nationalökonomie, welcher er die Fähigkeit absprach ihre „Wertmaßstäbe und
Urteilskriterien allein aus sich selbst heraus“180
zu entwickeln. Demnach gäbe es nur
einen einzigen Wertmaßstab, an welchem sich die Nationalökonomie zu orientieren
habe, den „deutschen Nationalstaat“181
.
Neben dieser Unterordnung der Nationalökonomie unter den Nationalstaat als
beherrschendes Prinzip, schlägt Weber auch außenpolitisch nationalistische Töne an;
Mommsen hierzu: „Außenpolitisch war Weber ein entschiedener Verfechter deutscher
Weltmachtpolitik“182
. Diese Aussagen beziehen sich vor allem auf den frühen Weber
(vor seiner Erkrankung 1898). Aber auch zu Beginn der Weimarer Republik unterstellte
er seine politischen Ansichten dem Primat des Nationalen. Mommsen folgt hier Lukacs,
wenn er sagt, „dass Weber die Demokratisierung vor allem um eines effizienteren
deutschen Imperialismus willen verfochten hat.“183
Hier zeigt sich wieder das
vermeintlich antiliberale Gesicht Webers. Mommsen geht sogar soweit zu sagen: „Der
naturrechtliche Begriff der Demokratie bedeutete ihm wenig oder nichts“184
. Dies war
aber keine absolute Absage an eben diese Staatsform, denn Weber erkannte sehr wohl
die Notwendigkeit des Parlamentarismus zur Führerauswahl. Dennoch wird diese
widerwillige Akzeptanz der Demokratie sowohl bei Mommsen als auch bei Jaspers
179
Sukale: „Max Weber“, S. 32.
180 Mommsen: „Max Weber“, S. 25.
181 Mommsen: „Max Weber“, S. 26.
182 Mommsen: „Max Weber“, S. 26.
183 Mommsen: „Max Weber“, S. 38.
184 Mommsen: „Max Weber“, S. 38.
64
thematisiert. Die Demokratie war für Weber keine naturrechtliche Notwendigkeit,
sondern lediglich die bestbekannte Technik für eine Verfassung.
Im Übrigen hat sich auch Karl Jaspers zu Webers Nationalismus geäußert: „Max
Weber war »Nationalist« niemals in der blinden Bejahung des Volkes, so wie es ist,
sondern im Anspruch an sich und das Volk, zu werden, was es sein könne.“185
Folgt
man diesem Statement, so wohnt Webers Nationalismus eine Zukunftshoffnung inne,
welche wiederum Wilhelm Hennis als liberal bezeichnen würde.186
2.3 Mommsen Beitrag
Wolfgang Mommsens Verdienst ist es, dass Max Webers politisches Denken abseits
seines soziologischen Werkes in den Blickpunkt gerückt wurde. Außerdem verschloss
sich Mommsen nicht der Tatsache, dass Weber, zumindest in seinen frühen Schriften
als Nationalist zu gelten hat. Diese Feststellung des Nationalismus Webers erforderte
eine dezidierte Beurteilung Webers in seiner Zeit, die ebenfalls von Mommsen geleistet
wurde. Er schaffte es, durch diese historische Betrachtungsweise Webers gleichsam
nationalistische, wie auch liberale Gedanken offen zu legen. Nach Mommsen kommt
man an der Tatsache, dass Weber ein Verfechter des deutschen Nationalstaates war
schlussendlich nicht mehr vorbei.
Das Verhältnis der Weberinterpreten zu ihrem Forschungssubjekt war mit Mommsen
von der Ehrfurcht befreit, welche vielen Vorangegangenen, die Weber oftmals noch in
persona kannten, eine nüchterne Analyse merklich erschwerte. Natürlich war für diese
Arbeit ausschlaggebend, dass Wolfgang Mommsen vor allem dafür plädierte, Weber als
großen Liberalen im Gedächtnis zu behalten. Trotz all der angeführten Relativierungen,
steht Webers liberale Grundhaltung nach Mommsen unumstößlich fest. Nach
Mommsen war Webers Liberalismus stets eine warnende Komponente inhärent, die sich
gegen die zunehmende Bürokratisierung richtete und sich nicht mit dem Rekurs auf
althergebrachte liberale Lehrmeinungen zufrieden gab.187
Problematisch bei Mommsen ist, dass er den Begriff Liberalismus nie inhaltlich füllt.
Zwar schwingen im Subtext stets die allgemein bekannten Konnotationen mit, eine
Definition dessen, was Wolfgang Mommsen unter Liberalismus versteht fehlt dennoch.
185
Jaspers: „Max Weber“, S. 118.
186 Die Verbindungen Webers zum Nationalismus werden in Kapitel V.1. näher behandelt.
187 Mommsen, Wolfgang: „Politik und politische Theorie bei Max Weber“, in: Weiß, Johannes (Hrsg.):
„Max Weber heute – Erträge und Probleme der Forschung“, Frankfurt am Main, 1989 (im Folgenden
zitiert als Mommsen: „Politik und politische Theorie“), S. 515-542, S. 541.
65
Somit ist die Suche nach einem abstrakt gedachten Liberalismus Webers auch in
Mommsens Schriften nicht einfach. Gerade weil er Max Webers Liberalismus als von
althergebrachten Lehrmeinungen verschieden charakterisiert, wäre es wünschenswert,
wenn er genauer auf diese Differenzen eingehen würde.
3. Wilhelm Hennis – Kritische Distanz und Liberalismus
Den Abschluss dieser kurzen Skizze des Weberschen Liberalismus im Spiegel seiner
Interpreten bildet nun Wilhelm Hennis188
, welcher auch chronologisch auf Jaspers und
Mommsen folgt. Hennis hat es sich zum Ziel gemacht „den ganzen Weber in ein
einheitliches Interpretationsschema zu zwingen“189
. Das leitende Thema, welches sich
durch Webers Werk ziehe, sei demnach kein soziologisches, sondern vielmehr ein
anthropologisches: Die Entwicklung des Menschentums. Hennis widmete sich in seiner
1996 erschienenen Publikation „Max Webers Wissenschaft vom Menschen“ dieser
Thematik. Eben dieser Text soll hier aber nicht im Mittelpunkt stehen. Vielmehr soll es
um „Max Webers Fragestellung“ aus dem Jahr 1987 gehen. Hennis hat hier erstmals
versucht, Webers Liberalismus anhand eines Schemas zu erarbeiten.
3.1 Hennis Methode
Seiner Beschäftigung mit Webers Liberalismus stellt er eine Reihe von Zitaten voran,
welche Weber eben diesem Ismus zuordnen. Hennis beruft sich vor allem auf Wolfgang
Mommsen, dessen Forschungsarbeit und die daraus resultierende Zuordnung Webers
zum Liberalismus im vorangegangenen Kapitel bereits skizziert wurden. Hennis folgert:
„Daß Max Weber ein »Liberaler« war, scheint gesichertes Ergebnis heutiger Erkenntnis
zu sein.“190
Die von Wilhelm Hennis angewandte Methode war vorbildlich für die vorliegende
Arbeit: Zunächst beschränkt er seine Betrachtung des Weberschen Liberalismus auf
dessen wissenschaftliches Werk und klammert die politischen Aktivitäten Webers, sei
es bei den Alldeutschen, als auch in Begleitung Friedrich Naumanns, aus.191
Daraufhin
weist auch er auf die fast unendlichen Variationen des Liberalismusbegriffs hin und
188
Wilhelm Hennis (*1923) gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der normativen Politikwissenschaft.
189 Sukale: „Max Weber“, S. 36.
190 Hennis: „Fragestellung“, S. 196.
191 Hennis: „Fragestellung“, S. 198.
66
bedient sich definitorischer Hilfe. Da er zunächst vor der schwer zu fassenden
Spannbreite des Liberalismusbegriffs steht, verweist er auf Lothar Gall, der feststellt,
„dass selbst eine auch nur als Arbeitshypothese akzeptierte Definition der historischen
Erscheinung, die der Begriff Liberalismus evoziert, noch aussteht.“192
Auch Hennis ist
sich durchaus bewusst, dass man den Liberalismus als politische Philosophie nicht
einfach und kurz abgrenzen kann. So stellt er drei „liberale Kerngedanken“193
auf, die
seiner Meinung nach den Begriff des Liberalismus hinreichend umschreiben. Diese
Kerngedanken, wie sie Wilhelm Hennis erarbeitet, lauten:
1. „Das Abschaffen, Entgrenzen, Freisetzen, verbunden mit einer Hoffnung“,
2. der „Glauben an die Zeit“ und
3. der „Universalismus der Werte – naturrechtliches Erbe – zumindest der von Freiheit
und Gleichheit.“194
Die ersten beiden Kerngedanken leitet Hennis von Texten aus Lothar Galls
„Liberalismus“-Band ab, der auch für die hier zu Grunde gelegten, liberalen
Kernelemente Pate stand. Hennis hält sich aber nicht an die von Lothar Gall
zusammengetragenen Ergebnisse und versucht nicht, aus den doch sehr
unterschiedlichen Texten eine Essenz herauszufiltern, sondern geht bei der Auswahl
seiner Kerngedanken sehr selektiv vor. Da Hennis seine Auswahl nicht begründet,
erscheinen die liberalen Kerngedanken wie eine persönliche Auswahl, die auf seine
Untersuchung Webers hin zugeschnitten sind.
So modifiziert Hennis bereits den ersten Kerngedanken, indem er Leontovitschs These
des Abschaffens die Hoffnung beimischt. Diese Hoffnung beinhaltet die Annahme, alle
Menschen seien zu einem besseren Leben fähig und vor allem bereit, dieses zu
erreichen. Auch der an Schapiro angelehnte zweite Punkt wird leicht verändert, bzw.
geringfügig aus dem Zusammenhang des Ursprungstextes gerissen. Schapiro sah den
Glauben an die Zeit im Liberalismus des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts als
Reaktion auf die sich rapide ändernden gesellschaftlichen Verhältnisse.195
Der Glaube
an die Zeit unterscheidet sich von der Hoffnung des ersten Kerngedankens. Dieser
Glaube richtet sich auf die Zeit als Heilmittel, welches fortwährend größeres Glück für
eine größere Zahl bereithält.
192
Gall: „Liberalismus“, S. 9.
193 Hennis: „Fragestellung“, S. 199.
194 Hennis: „Fragestellung“, S. 199.
195 Schapiro in: „Liberalismus“, S. 30.
67
Allein der dritte Kerngedanke enthält liberale Kerngedanken, auf die sich alle Autoren
einigen könnten. Das naturrechtliche Erbe mit den zentralen Momenten Freiheit und
Gleichheit ist definitiv an erster Stelle liberaler Kernelemente zu nennen und nicht, wie
bei Hennis, als ein Punkt unter vielen.
Augenscheinlich wird auch, dass die von Wilhelm Hennis bereitgestellten
„Kerngedanken“ ebenso gut als sozialistisch beschrieben werden können. Auch der
Sozialismus ließe sich mit diesen drei Kerngedanken umschreiben. Man kann sogar die
Ansicht vertreten, dass sowohl das „Abschaffen verbunden mit einer Hoffnung“, als
auch der „Glaube an die Zeit“ eher dem Sozialismus als dem Liberalismus
zugeschrieben werden können.
In Bezug auf Lothar Galls Textsammlung greifen Hennis liberale Kerngedanken zu
kurz. Sie sind in einem gesteigerten Maße selektiv und bilden nicht die von Gall
zusammengetragenen Erkenntnisse über den Liberalismus ab. Dies ist an sich nicht
problematisch, da auch die vorliegende Arbeit keinen Anspruch auf Vollständigkeit
erheben kann. Dennoch wäre es bei Hennis geboten gewesen, sich intensiver mit dem
Liberalismus auseinanderzusetzen oder zumindest die Selektion nachvollziehbar zu
begründen. Die Untersuchung von Max Webers Liberalismus setzt neben einem
intensiven Weberstudium, welches Wilhelm Hennis fordert, auch eine gründliche
Beschäftigung mit dem Liberalismus als politischer Philosophie voraus.
Besehen wir uns nun also, wie Hennis Max Webers Denken an diesen
Liberalismusdefinitionen entlang charakterisiert.
3.2 Webers Liberalismus bei Wilhelm Hennis
Obwohl Hennis, wie eingangs erwähnt, die Zuordnung Webers zum Liberalismus
akzeptiert, so scheint es doch, als würde er dem Stand der Weberforschung skeptisch
gegenüber stehen. Weber als Liberalen zu deuten, hat nach Hennis oftmals den
Hintergrund, ihn als „guten Deutschen“ darzustellen. Zwar bringt Hennis eine ganze
Reihe Argumente, welche Webers politisches Denken als liberal kennzeichnen, jedoch
versucht er immerzu, diese zu relativieren:
So sei „Weber ein leidenschaftlicher Kämpfer für die Freiheit der Wissenschaft“196
gewesen und ein Teilaspekt Hennis erster liberaler Grundkategorie (das Abschaffen,
Entgrenzen, Freisetzen) somit erfüllt. Dennoch fügt er gleich Webers Skepsis ob des
Fortschritts der Wissenschaft an. Der Glaube an den Fortschritt sei ihm fremd und führe
196
Hennis: „Fragestellung“, S. 200.
68
darüber hinaus nicht zum „tieferen Erfassen der Wahrheit“197
. Ähnlich verhält es sich
laut Hennis mit dem liberalen Moment der Pressefreiheit. Diese sei für Weber zwar
„eine liberale Selbstverständlichkeit“198
, sie diene aber nicht der „Vermehrung von
Urteilskraft“199
. Dieses Muster setzt sich fort, wenn Hennis auf die Freiheit des
Glaubens zu sprechen kommt. Zwar erkennt Hennis den liberalen Grundton Webers,
spricht ihm jedoch die Überzeugung ab, für eben diese einzutreten. Hennis stößt sich an
der Tatsache, dass Webers politische Ideale nicht eine überzeitliche und universelle
Gültigkeit besitzen, sondern sich vielmehr, wie es bereits bei Jaspers angeklungen ist,
am Leben selbst orientieren und damit vom Abstrakten in das Konkrete überführt
werden.
Dies wird augenscheinlich, wenn man sich Webers Aussagen zum Kapitalismus, als
genuin liberale Wirtschaftsordnung besieht. Für Weber ist der Kapitalismus „ein nicht
mehr aus der Welt zu schaffendes, also schlechthin hinzunehmendes Ergebnis der
geschichtlichen Entwicklung"200
. Hennis sieht in diesem Punkt keine Übereinstimmung
mit dem Liberalismus; er merkt an: „Nie aber hat Weber die spezifisch liberale
Wirtschaftsform zur Glaubenssache gemacht.“201
Außen vor lässt Hennis allerdings,
dass Weber politische Ideale selten zur „Glaubenssache“ machte und dem Liberalismus
die Begrifflichkeit des Glaubens geradezu diametral entgegensteht. Folgt man Hennis,
so steht der Mensch Max Weber gewissermaßen dem liberalen, politischen Denker im
Weg. Webers Dezisionismus will bei Hennis einfach nicht in ein liberales Weltbild
voller abstrakter Werteordnungen passen.
Beispielhaft wird dies in Hennis Ausführungen, wenn es um die urliberale
Wertvorstellung der Freiheit geht. Die Freiheit sei Weber ein relatives und historisches
Konstrukt, stets geknüpft an einzigartige Konstellationen in der Geschichte.202
Sie sei
für Weber kein universelles Gut, sondern immer nur in Zeitfenstern vorhanden, die der
einzelne Mensch ergreifen müsse. Diese Vorstellung kollidiert natürlich mit der von
Hennis aufgestellten liberalen Kernthese des Glaubens an die Zeit. Nach Hennis
Meinung ist dem Liberalismus dieser Glaube inhärent und die Webersche Ansicht, die
Chance zur Freiheit durch den Willen des Einzelnen zu ergreifen, hat mit diesem
197
Hennis: „Fragestellung“, S. 200.
198 Hennis: „Fragestellung“, S. 201.
199 Hennis: „Fragestellung“, S. 201.
200 Hennis: „Fragestellung“, S. 199f.
201 Hennis: „Fragestellung“, S. 200.
202 Vgl. Hennis: „Fragestellung“, S. 221.
69
Glauben wenig zu tun.203
Will man die optimistische Zukunftshoffnung als liberales
Kernelement akzeptieren, so muss man in diesem Fall Weber die Nähe zum
Liberalismus absprechen. Doch kann es nicht auch pessimistische Liberale geben? Ist
eine so persönliche Einstellung, wie der Optimismus eine Voraussetzung für die
Bejahung liberaler Ideen?
Hennis hat eine Antwort auf diese Fragen parat, indem er Webers Liberalismus als
einen „seltsamen“ bezeichnet, sofern man denn Weber unbedingt zu etikettieren
wünscht.204
3.3 Kritik an Hennis Ausführungen
Leider hält sich Hennis bei der Frage nach Webers Liberalismus nicht an das von ihm
selbst aufgestellte Schema. Er prüft nicht seine drei Kerngedanken auf Entsprechungen
in Webers Werk, sondern nimmt sie vielmehr zum Anhaltspunkt für politische
Statements, welche er bei Weber vermisst.
Auch ist eine gewisse Unschlüssigkeit in Hennis Argumentation nicht zu verleugnen.
So scheint es, als suche er geradezu Webers Liberalismus zu verneinen: Hennis stellt
die Frage nach Webers Individualismus (welcher in liberaler Tradition in erster Linie
der Freiheit gewidmet ist, aus der sich in einem nächsten Schritt die Gleichheit ableitet)
und antwortet mit Webers Absage an die Gleichheit der Menschen: Mit dem „egalitären
Individualismus des Liberalismus hat sein Denken nichts zu tun.“205
In dieser Aussage
widerspricht Hennis seinen zu Beginn aufgestellten Kategorien des Liberalismus.
Diesen zufolge wäre der liberale Individualismus der ersten Kategorie, nämlich dem
Abschaffen (von Hörigkeitsverhältnissen) verpflichtet. Von Gleichheit hier zunächst
kein Wort.
Hennis Ausführungen sind richtig, nur wird seine Stoßrichtung allzu schnell deutlich.
Man kann sein Urteil bereits aus den ersten Zeilen erraten und für die Herausarbeitung
von Webers Urteilskraft und seiner Absage an Werturteile, muss nicht der Versuch
unternommen werden seinen Liberalismus zu diskreditieren. Hennis kommt ja zu dem
Schluss, dass Weber einen seltsamen Liberalismus verfolgt. Problematisch ist aber die
gleichzeitige Verneinung fast sämtlicher liberaler Gedanken in Webers Werk.
Die Unstimmigkeiten in Hennis Text liegen vor allem in der Unschärfe des
Liberalismusbegriffs begründet. Er verpasst es, zu Beginn des Textes den Liberalismus
203
Vgl. Hennis: „Fragestellung“, S. 220f.
204 Vgl. Hennis: „Fragestellung“, S. 222.
70
enger zu fassen, beziehungsweise genauer zu definieren. Dadurch kommt er im weiteren
Verlauf immer wieder in die Situation, Aspekte liberalen Denkens, die er nicht als
Kerngedanken charakterisiert hat, zu besprechen. Sicher liegt die Problematik in den
unterschiedlichen politisch-philosophischen Bildern, die jeder Interpret bei dem Begriff
Liberalismus vor Augen hat, begründet.
Schließlich lässt sich sagen, dass Wilhelm Hennis mit seinen Arbeiten zu Max Weber
einen, für die Politische Wissenschaft, fundamentalen Beitrag geleistet hat. Seine
Ausführungen über Max Webers Fragestellung sind zentral für eine
politikwissenschaftliche Betrachtung im Allgemeinen und eine Betrachtung von Webers
Liberalismus im Speziellen. Die von Hennis abweichenden Urteile, die hier vertreten
werden, sind zum einen der Unvollständigkeit des Weberschen Werkes und dem daraus
resultierenden Interpretationsspielraum, sowie der unterschiedlichen Schwerpunkt-
setzung geschuldet.
Will man ein Fazit aus Wilhelm Hennis Text ziehen, so lässt sich festhalten, dass Max
Weber einen eigentümlichen Liberalismus vertreten hat, der zutiefst der Freiheit
verbunden und mit voluntaristischen Zügen versehen, stets die Handlungsfähigkeit des
Individuums, welches als Herr über sein Schicksal fungiert, forderte.
205
Hennis: „Fragestellung“, S. 212.
71
V. Max Webers politische Schriften
Die politische Schriften Max Webers, welche Johannes Winckelmann unter dem Titel
„Gesammelte Politische Schriften von Max Weber“ veröffentlicht hat, bilden für die
Suche nach Max Webers Liberalismus den größten Fundus. Wie bereits erläutert hält
sich Weber hier nicht an das von ihm selbst auferlegte Postulat der Werturteilfreiheit,
sondern lässt einige seiner moralischen Urteile und Wertvorstellungen zum Vorschein
kommen. Hier sieht er sich nicht auf dem Katheder stehend und somit der falschen
Prophetie verdächtigt. Wolfgang Mommsen vertritt die These, „dass von der
Tagespolitik starke Ausstrahlungen auf Max Webers wissenschaftliches Werk
ausgegangen sind“206
. Dieser Aussage folgend, würde also auch das wissenschaftliche
Werk, also die Soziologie Webers, weitere Erkenntnisse über seine Moral- und
Wertvorstellungen enthalten. Hier wird der Blick aber zunächst auf die politischen
Schriften konzentriert, die in ihrer Kommentierung der politischen Verhältnisse der
Weberschen Zeit die ihm sehr eigene Ansicht politischer Mechanismen zeigen.
Exemplarisch werden hier Max Webers Antrittsrede, seine Einstellung zum
Bürgertum als liberaler Trägerschicht und zur Demokratie, als natürlicher, liberaler
Form politischer Organisation, behandelt.
1. Die akademische Antrittsrede als Initialzündung des politischen Denkens
Max Webers
Die vor allem von Wolfgang Mommsen artikulierte Beziehung Webers zum
Nationalismus findet ihre vielleicht größte Entsprechung in der akademischen
Antrittsrede Max Webers: „Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik“207
ist das
früheste Zeugnis für Webers politisches Denken. Zwar hat die Vielzahl der
206
Mommsen: „Politik und politische Theorie“ S. 525.
207 Die akademische Antrittsrede findet sich in den Gesammelten politischen Schriften unter dem Titel:
„Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik“, S. 7-30.
72
Weberinterpreten es verstanden, zwischen einem frühen Weber und einem Spätwerk zu
unterscheiden, dennoch sind die 1895 geäußerten Ansichten nicht außer Acht zu lassen.
Die soeben beschriebenen Weberinterpreten taten sich offensichtlich schwer, den
Liberalismus Webers zu belegen, was auch der geringen Anzahl an
Selbstbeschreibungen und mit dem Liberalismus direkt in Verbindung stehenden
Zitaten Webers geschuldet sein kann. Dennoch soll nun in dieser „Politischen Schrift“
nach Zeugnissen Webers politisch-philosophischer Grundhaltung gesucht werden. Zu
diesem Zweck soll Max Weber selbst großer Raum gelassen und entscheidende Stellen
der Rede umfassend zitiert werden.
Die Rede an der Freiburger Universität bildet den Anfang der akademischen Karriere
Webers und ist ein, von Weberkritikern, ob der stark sozialdarwinistischen und
nationalistischen und somit höchst kontroversen Töne, gerne zitiertes Manuskript. Ernst
Nolte formuliert provokant, „daß kaum ein Abschnitt der deutschen politischen
Literatur eine so frappierende Ähnlichkeit mit einigen Teilen von Hitlers »Mein
Kampf« aufweist wie Max Webers Freiburger Antrittsrede von 1895.“208
Können sich
in einem solchen Dokument dennoch liberale Momente finden, die über den
Nationalismus hinaus weisen?
Dieser Abschnitt wirft einen Blick auf die akademische Antrittsrede Max Webers und
die darin enthaltenen politisch-philosophischen, spezifisch liberalen und, sofern diese zu
finden sind, auch dezidiert antiliberale Grundaussagen.
1.1 Die Nation als oberster Wert
In der akademischen Antrittsrede finden sich Anhaltspunkte, welche sowohl Jaspers,
als auch Mommsen und Hennis mit ihren Einschätzungen Recht geben. Beispielsweise
ist hier Webers Orientierung an konkreten Lebenssituationen dokumentiert: „Nicht wie
die Menschen in Zukunft sich befinden, sondern wie sie sein werden, ist die Frage, die
uns beim Denken über das Grab der eigenen Generation hinaus bewegt“209
. Das
Befinden stellt Weber also hinten an. Das Sein steht im Mittelpunkt seiner
philosophischen Ausrichtung. Weber scheint hier gedanklich nah bei den
Existenzphilosophen des frühen 20. Jahrhunderts, zu denen auch Karl Jaspers zu zählen
ist.
208
Nolte, Ernst: „Max Weber vor dem Faschismus“, in: „Der Staat“, Bd.1, Göttingen 1963, S. 1-24, S. 3.
209 Weber: GPS, S. 18.
73
Auf dieser Basis sind auch Aussagen wie „auch unsere höchsten und letzten irdischen
Ideale sind wandelbar und vergänglich“210
zu sehen. Diese Absage an die überzeitliche
Gültigkeit menschlicher Ideale kann als Relativismus der Werte verstanden werden.
Doch verbindet man diese zutiefst Webersche Ansicht von einer nicht abschließend zu
treffenden Beurteilung der Werte und Ideale eines Menschen mit der Konzeption des
politischen Liberalismus John Rawls, so wird deutlich, dass es nicht die Ideale sind, die
einer liberalen Gesellschaft ihr Gesicht geben. Vielmehr ist das Anerkennen
verschiedener, nebeneinander existierender Ideale, Rawls nennt sie „umfassende,
vernünftige Lehren“211
, ein für das Fortbestehen einer liberalen Gesellschaft
unumgänglicher Bestandteil. Weber mischt sich, wie sich in diesem Punkt zeigt, nicht in
den Widerstreit der unterschiedlichen Wertauffassungen ein. Er akzeptiert die Pluralität
der Wertvorstellungen und denkt in diesem Punkt somit liberal.
Webers Pluralismus ist, wie bereits, gesehen seiner Vorstellung von der Wertfreiheit
der Wissenschaften geschuldet. Diese klingt bereits in der Antrittsrede an, wie
Mommsen formuliert:
„Bereits hier [in der Antrittsrede] machte Weber in schärfster Weise Front
gegenüber solchen historischen Positionen, die die eigenen durchaus subjektiv
begründeten Werthaltungen als durch den angeblich objektiven Geschichtsprozeß
selbst konstituiert präsentierten.“212
Dennoch gibt es nach Weber Werte, an denen man sich orientieren und an denen man
die Volkswirtschaftspolitik ausrichten muss. Der letzte und oberste Wert dieser Art
könne in einer Welt der Nationalstaaten nur die Staatsraison und damit der deutsche
Nationalstaat sein, da „sobald sie [die Volkswirtschaftslehre] Werturteile fällt, ist sie
gebunden an diejenige Ausprägung des Menschentums, die wie in unserem eigenen
Wesen finden“.213
Er fährt fort: „Die Volkswirtschaftspolitik eines deutschen
Staatswesens, ebenso wie der Wertmaßstab des deutschen volkswirtschaftlichen
Theoretikers können deshalb nur deutsche sein.“214
Will man nach diesen Aussagen Webers Wertehorizont charakterisieren, so ist ihm der
Nationalismus als oberste Kategorie des volkswirtschaftlichen Denkens nicht
abzusprechen. Doch steckt nicht in der Begrifflichkeit der Volkswirtschaft bereits ein
gewisser Nationalegoismus, der anderes Denken qua Definition nicht zulässt? Analog
210
Weber, Max: GPS, S. 19.
211 Vgl. Abschnitt II, Kap. 3.
212 Mommsen: „Politik und politische Theorie“, S. 521.
213 Weber: GPS, S. 19f.
214 Weber: GPS, S. 19.
74
hierzu ist die Betriebswirtschaftslehre zu sehen, die immer den Betrieb im Zentrum des
Interesses behält.
Dies scheint der Horizont der Nationalökonomie des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu
sein, will man Weber in diesem Punkt folgen.215
Die Mehrung des nationalen
Wohlstandes war folglich das oberste Kriterium und einzige Handlungsebene. Innerhalb
dieses Kosmoses erscheint Webers Denken zunächst folgerichtig.
Es gab aber bereits zu seiner Zeit Theorien, die die Ökonomie ohne diesen
ausgeprägten Nationalegoismus definierten.216
Webers Nationalismus ist in diesem
Punkt folglich nicht zu entschuldigen oder in Schutz zu nehmen. Seine Auffassung von
der Nationalökonomie ist aus heutiger Sicht nicht mehr zu vertreten.
Eine Verbindung zwischen dem Nationalismus und dem Liberalismus Webers sieht
allerdings Alan Ryan, wenn er über Weber und J.S. Mill schreibt. Er merkt an, dass die
deutsche „nationale Identität so instabil war, dass sich der Liberalismus mit dem
Nationalismus verbünden musste.“217
Dies scheint Webers Nationalismus treffend zu
charakterisieren. Dieser erscheint eben nicht als blinde Unterordnung der politischen
Ideen unter das Dogma der Nation, sondern eher in der Tradition des aufgeklärten
Nationalismus des 18. und 19. Jahrhunderts: der Bewegung zur Bewusstwerdung und
zur Organisation der nationalen Einigung bzw. Integration.218
215
Die internationale Verflechtung der Wirtschaft hatte sich noch nicht wie heute institutionell
manifestiert, obwohl sie im Geld- und Warenverkehr bereits existierte. Einrichtungen wie die Bretton-
Woods-Institutionen wurden erst während des Zweiten Weltkrieges ins Leben gerufen um den
Welthandel zu unterstützen.
216 So beispielsweise David Ricardos (1772-1823) Theorie des komparativen Kostenvorteils. Ricardo war
der Ansicht, dass sich der Außenhandel prinzipiell für alle Volkswirtschaften lohne. Somit waren also
schon ca. 100 Jahre vor Webers Antrittsrede die Vorzüge einer nicht auf die Nation bezogenen Ökonomie
bekannt. Vgl. David Ricaro: „Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung“, hrsg. von
Fritz Neumark, Frankfurt am Main 1972.
217 Ryan, Alan: „John Stuart Mill und Max Weber über Geschichte, Freiheit und Vernunft“, in:
Mommsen, Wolfgang, Schwentker, Wolfgang (Hrsg.): „Max Weber und seine Zeitgenossen“, Göttingen,
1988. S. 259.
218 Die Einigung der Nation war in Deutschland bereits über 20 Jahre Realität, als Weber seine
Antrittsrede hielt. Somit ist fraglich, ob Weber diese Verbindung zuzuschreiben ist. Doch kann man aus
seiner Ablehnung des Bismarckschen Staates auch eine Ablehnung der damaligen Reichsgründung
ableiten. Die Liberalen gaben ihre demokratischen Grundwerte zu Gunsten der Reichseinigung zwar auf,
Weber sah hierin allerdings eine Schwäche. Für ihn waren Nationalismus und Liberalismus in dieser
Sichtweise also keine Widersprüche.
75
Zwar impliziert dieser Vergleich des Weberschen Liberalismus mit dem
Nationalismus des 19. Jahrhunderts wiederum einen historischen und nicht einen
zeitlos-theoretischen Liberalismus, die Erkenntnisse dieser Sphäre zur Gänze außen vor
zu lassen, hieße gerade in Bezug auf den Nationalismus Webers, wichtige Erkenntnisse
zu vernachlässigen. Die Nation war Weber stets der oberste Orientierungswert, dem er
sein politisches Streben unterordnete und dieser Oberwert ist nicht liberal.
1.2 Nationalismus und Sozialdarwinismus
In der Akademischen Anntrittsrede als erstem Zeugnis des politischen Denkens Max
Webers fallen zunächst die scharfen sozialdarwinistischen Töne auf, die dem Leser von
heute ein mulmiges Gefühl vermitteln. Wo von „physischen und psychischen
Rassenqualitäten“219
die Rede ist, wenn es um den Konkurrenzkampf der katholischen
Polen und der mehrheitlich protestantischen Bauern im ostelbischen Preußen geht, da
scheinen rassistische Motive nicht fern.
Weber geht sogar noch einen Schritt weiter und behauptet, wenn er zu erklären
versucht, warum die Polen besser mit den agrarischen Gegebenheiten der Region
zurechtkommen: „Der polnische Kleinbauer gewinnt an Boden, weil er gewissermaßen
das Gras vom Boden frißt, nicht trotz, sondern wegen seiner tiefstehenden physischen
und geistigen Lebensgewohnheiten.“220
Weber fährt in dieser Manier fort und stellt
„den Sieg niedriger entwickelter Typen der Menschlichkeit und das Absterben hoher
Blüten des Geistes- und Gemütslebens“221
fest.
Diese beispielhaften Ausführungen könnten aus ihrer Entstehungszeit heraus
interpretiert werden. So wie Gregor Fitzi, laut dem Weber hier „den Rassenbegriff ganz
unbekümmert [verwendet], wie es in der Soziologie zur Zeit der Wende vom 19. zum
20. Jahrhundert auch üblich war, um die Abstammungsgemeinsamkeit innerhalb einer
Menschengruppe zu bezeichnen.“222
Dieser Rassenbegriff sei bei Weber stets ein
soziales Konstrukt, welches subjektiv empfunden bestimmte wahrnehmbare Merkmale
zur Grundlage einer politischen Gemeinschaft erhebt.223
Will man Webers Einstellung
zum Rassebegriff allerdings zeitlos bewerten, so muss man ihn hier ablehnen.
219
Weber: GPS, S. 10.
220 Weber: GPS, S. 14.
221 Weber: GPS, S. 14.
222 Fitzi: „Max Weber“, S. 203.
223 Fitzi: „Max Weber“, S. 203.
76
Max Weber scheint sich der Probleme, die sich aus Begriffen wie Rasse, aber auch
Züchtung und Auslese ergeben, bewusst gewesen zu sein. Beim Begriff der Züchtung
scheint er zu wissen, dass er ein Minenfeld betritt. Er verweist in einer Fußnote auf die
ins Allgemeingut übergegangene Begrifflichkeit der Auslese und ist sich der
Verfehlungen bewusst, die einige Anthropologen in Fortführung Darwins mit dem
Konzept der Auslese trieben.224
Dennoch lässt sich aus heutiger Sicht nicht verhehlen, dass der kalte und nüchterne
Umgang mit dem Rassebegriff nach 1945 nicht mehr tragbar ist. Diese Vorgehensweise
ist Weber zwar nicht direkt zum Vorwurf zu machen, doch darf man seine Ansichten
auch nicht, wie Gregor Fitzi, mit dem Verweis auf den Usus in Webers Zeit kleinreden.
Dies hieße sich, salopp gesagt, die Rosinen aus Webers Werk herauszupicken. So findet
sich in den in der Antrittsrede geäußerten Gedanken Webers vielleicht auch der größte
Widerspruch zu den liberalen Kernelementen. Vor allem die Idee der Gleichheit der
Individuen kollidiert hier aufs Heftigste mit den Ausführungen über die
unterschiedlichen Rassenqualitäten der Nationalitäten. Der Liberalismus existiert eben
nicht nur in einem abgeschlossenen System, wie dem Nationalstaat zu Webers Zeit; er
kann nur von politischer Gültigkeit sein, wenn er grenzübergreifende Wirksamkeit
besitzt. Eben das zeichnet den Liberalismus als theoretisch-allgemeine politische
Philosophie aus. Dies impliziert die Idee der Gleichheit der Menschen. An dieser Idee
richtet sich Weber hier nicht aus.
224
Weber: GPS, S. 15.
77
1.3 Glaube an die Zeit und Eudämonismus
Webers Glaube an die Zukunft, als Heilsbringer für ein größeres Glück einer größeren
Zahl ist in dem Abschnitt über Wilhelm Hennis bereits kurz thematisiert worden. Laut
Hennis ist Weber dieser Glaube fremd und in der Antrittsrede finden sich einige, diese
These belegende Passagen225
:
„Es gibt sicherlich keine volkswirtschaftspolitische Arbeit auf anderer als
altruistischer Grundlage. Die Früchte alles wirtschafts- und sozialpolitischen
Strebens der Gegenwart kommen in ihrer gewaltigen Überzahl nicht der lebenden
Generation, sondern der künftigen zugute. Unsere Arbeit ist und kann, wenn sie
einen Sinn behalten soll, nur sein wollen: Fürsorge für die Zukunft, für unsere
Nachfahren. Aber es gibt auch keine volkswirtschaftspolitische Arbeit auf der
Grundlage optimistischer Glückshoffnungen. Für den Traum von Frieden und
Menschenglück steht über der Pforte der unbekannten Zukunft der
Menschengeschichte: lasciate ogni speranza.“226
Alle Zukunftshoffnungen begräbt Weber mit einem Zitat Dante Alighieris. Zwar
glaubt Weber an eine Einflussnahme auf die Zukunft, jedoch geschieht diese immer aus
dem Jetzt heraus. Die Zeit wird nicht als Heilmittel eingesetzt, welches automatisch
positive Effekte auf die Menschheit hat. Vielmehr bedarf es tagtäglicher Anstrengungen
um „Frieden und Menschenglück“ zu verwirklichen.
Dieser tiefe Pessimismus kann jedoch auch als Vorahnung begriffen werden, welche
Weber befallen haben mögen. Vielleicht sah er bereits das Unheil am politischen
Horizont heraufziehen, welches mit dem Kriegsausbruch 1914 seinen Anfang nahm.
Eine weitere Passage belegt, dass Weber das Glück der Menschheit beschäftigte und
er es darüber hinaus auch als erstrebenswert ansah; die Probleme des Zusammenlebens
und die kämpferische Natur des Menschen selbst stünden der Verwirklichung dieses
Zieles allerdings im Wege:
„die Besserung der »Lustbilanz« des Menschendaseins ist für sie [die
Volkswirtschaftspolitik] das einzig verständliche Ziel unserer Arbeit. Allein:
schon der Ernst des Bevölkerungsproblems hindert uns, Eudämonisten zu sein,
Frieden und Menschenglück im Schoße der Zukunft verborgen zu wähnen
[…].“227
225
Hier sei angemerkt, dass Webers akademische Antrittsrede aus der Sicht der Nationalökonomie
gehalten wurde und somit nicht von vornherein eine politische Zielsetzung hatte. Allerdings war die
Disziplin der Poltischen Wissenschaft an der Schwelle zum 20. Jahrhundert noch fest in der Hand der
Ökonomen, Staatsrechtler und Philosophen und Weber selbst sagt: „die Wissenschaft von der
Volkswirtschaftspolitik ist eine politische Wissenschaft.“ (Weber: GPS, S. 20).
226 Weber: GPS, S. 18.
227 Weber: GPS, S. 18.
78
Weber erteilt also in aller Deutlichkeit jeglichem Eudämonismus eine Absage.
Sicherlich bezieht sich dieses Zitat auf eine konkrete Problematik, aber die Art der
Argumentation ließe sich auch auf weitere politische Dimensionen übertragen. Eine
Reihe von Fragen schließt sich hier an. Ist beispielsweise Webers von Macht, Kampf
und Herrschaft geprägte Sprache und somit auch seine Philosophie gar nicht fähig, eine
auf das Glück gerichtete Zielsetzung zu implementieren?
Es lässt sich aber festhalten, dass Webers politisches Denken stets einen klaren
Realitätsbezug behält. Er entwirft, um hier Karl Jaspers zu widersprechen, keine
Philosophie, die sich umfassend um die Lustbilanz der Menschheit sorgt. Weber
akzeptiert diese Mehrung des Glücks als legitimes Ziel, glaubt aber durch seine
pragmatische Herangehensweise an politische Fragen nicht an eine politische Welt
fernab vom Kampf. Seine Gedanken an das „Zukunftsgeschlecht“ als Nachfahren seiner
Generation warnen vor einem Optimismus, der den Frieden herbeisehnt: „Es gibt keinen
Frieden auch im wirtschaftlichen Kampf ums Dasein“228
.
Welche Aussagen über Webers Liberalismus lassen sich vor dem Hintergrund dieser
Gedanken über das Glück des Zukunftsgeschlechts machen? Am ehesten die, dass die
Verantwortung für politische Entscheidungen an der Realität zu messen sind. Die
Mehrung des Glücks der Menschen kann ein Ziel sein, sollte aber nicht den Blick auf
die konkreten Probleme, die politische Entscheidungsprozesse mit sich bringen,
verschleiern. Zudem wohnt den politischen Statements Webers auch eine
Verantwortung für zukünftige Generationen inne, welche einen maßvollen Umgang mit
Ressourcen und vor allem mit politischen Entscheidungen, die die Zukunft tangieren
propagiert. Die Vernunft siegt somit über den Glauben, da die Hoffnung auf eine
Besserung in der Zukunft nicht die Zustimmung Webers erfährt.
Max Webers Antrittsrede ist kein Dokument, anhand dessen sich ein dezidierter
Liberalismus ablesen ließe. Vielmehr ist der hier beschworene Nationalismus auf den
ersten Blick ein Hindernis beim Abgleich mit den liberalen Kernelementen. Webers
Werk wird von seinen Interpreten oft in vor und nach seiner Erkrankung 1898
geschieden. Dieser Einteilung sich anzuschließen vereinfacht den Umgang mit der
Antrittsrede von 1895. Sie verschwindet somit aus dem Werk des „eigentlichen“ Weber
und somit ist der hier proklamierte Nationalismus nicht mehr von solcher Bedeutung.
228
Weber: GPS, S. 18.
79
Will man aber Webers Liberalismus herausarbeite, so kann man vor dieser Rede nicht
die Augen verschließen. Sie ist Teil der politischen Schriften Webers und zeigt sein
unliberales Gesicht.
2. Max Weber über das Bürgertum und die Arbeiterschaft
In den politischen Schriften Max Webers gibt es einige Passagen, die das Bürgertum
und die Arbeiterschaft zum Gegenstand haben. Im Folgenden soll beleuchtet werden,
wie Weber zu diesen politischen Klassen stand und ob sich aus seiner Einstellung
liberale Gedanken ableiten lassen.
2.1 Max Weber und das Bürgertum
Das Bürgertum wird zumeist als die tragende Klasse des Liberalismus im
Allgemeinen und demokratischer Gesellschaften im Speziellen bezeichnet. Schapiro
bezeichnet es als „Vorkämpfer dieser neuen Lebensform [des Liberalismus]“229
. Ohne
den Begriff der Bürgerlichkeit und des Bürgers kommt der Liberalismus in seinen
konkreten Ausformungen selten aus. Hier ist zunächst rudimentär zu unterscheiden
zwischen dem (Staats-)Bürger als gleichberechtigtem, freien Individuum innerhalb der
Gesellschaft und dem Bürgerlichen, dem Bourgeois, der als Mitglied der vermeintlich
tragenden Klasse des Liberalismus eine herausgehobene Stellung innehat. Letzterer ist
über seinen formal gleichberechtigten Stand in der Gesellschaft hinaus einem materiell
besser gestellten Teil der Gesellschaft zuzuordnen. Die Bourgeoisie230
ist eine politische
Klasse, die vielfach als Initiator und Träger liberaler Ideen agierte:
„Seine [der Liberalismus] Ausformung ist mit dem Aufstieg des Bürgertums
verknüpft. […] Der Banker, der Kaufmann, der Handwerker, begannen den
Landbesitzer, den Geistlichen und den Krieger als die Typen des beherrschenden
sozialen Einflusses zu ersetzen. [Übersetzung: Jarzebski].“231
229
Schapiro in: „Liberalismus“, S. 22.
230 Eine ausführliche, kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff des Bourgeoise und der Bourgeoisie
kann hier nicht geleistet werden. Die herausgehobene Stellung der Bürgerlichen in der Gesellschaft und
der so oft zu Recht kritisierte Standesdünkel, der dieser politischen Klasse anhängt, birgt Probleme, auf
die nicht näher eingegangen werden kann. Die Kritik am Bürgertum, welche Max Weber leiste, hat zwar
eine andere Stoßrichtung als die Kritik von „Links“, die Ansichten Webers sind aber als
systemimmanente Kritik beinahe von größerer Bedeutung.
231 Müller, Johann Baptist: „Liberalismus und Demokratie“, Stuttgart 1978, S. 7.
80
Welche Aussagen Max Webers lassen sich aus seinen politischen Schriften, in Bezug
auf das Bürgertum als genuin liberale Klasse, ziehen. Welche Einstellung hatte er zu
den Bürgerlichen seiner Zeit?
Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts war es das Bürgertum, als politische Klasse,
welches die Wege der Politik maßgeblich prägte. Wie Max Weber zu diesen
Klassenverhältnissen stand lässt sich an einer Passage aus seiner Antrittsrede
beispielhaft demonstrieren:
„Ich bin ein Mitglied der bürgerlichen Klassen, fühle mich als solches und bin
erzogen in ihren Anschauungen und Idealen. Allein es ist der Beruf gerade
unserer Wissenschaft zu sagen, was ungern gehört wird, - und wenn ich mich
frage, ob das Bürgertum Deutschlands heute reif ist, die politisch leitende Klasse
der Nation zu sein, so vermag ich heute nicht diese Frage zu bejahen.“232
Max Weber empfand sich als Bürgerlicher und er stand den Idealen dieser Klasse
zumindest nicht abneigend gegenüber. Ideale waren ihm persönliche Motive, die er
nicht gerne zur Disposition stellte. Dieses Zitat zeigt, dass ihn nicht die Werte des
Bürgertums interessierten, sondern die Frage der Macht. Wer ist aufgrund seiner
politischen Reife fähig, die Geschicke des Staates zu leiten – dies war die Frage, die
Weber nicht los ließ.
2.2 Weber über die Unfähigkeit des deutschen Bürgertums
Das Bürgertum war von dieser Reife nach Webers Meinung weit entfernt. Die Gründe
sah er in der Struktur des politischen Deutschlands unter Bismarck begründet. Das
Bürgertum müsse endlich aus dem Schatten der „Cäsarengestalt“233
treten und
selbstbewusst Politik treiben. Nach Webers Einschätzung ist das Bürgertum in
Deutschland nie zu politischer Macht gelangt. Es waren die alten Eliten, die Junker vor
allem Ost-Preußens, Militärs und Adlige, welche mit ihrem post-feudalen Wesen das
deutsche Reich prägten. Die Bürger hingegen hätten sich nie politisch gebildet und
sonnten sich im Ruhm Bismarcks oder erstarrten vor den am Horizont aufziehenden
gesellschaftlichen Veränderungen, die in Gestalt der Arbeiterschaft auf sie zukamen.234
Webers Urteil über die politische Unreife der Bürger änderte sich auch nach dem
Ersten Weltkrieg nicht. Die Bürgerlichen hatten keine Lehren aus der Bismarckzeit
gezogen und nun rächte sich diese Unmündigkeit. Nach Webers Einschätzung war
Handlungsunfähigkeit die Folge der politischen Unselbstständigkeit und der Furcht vor
232
Weber: GPS, S. 26.
233 Weber: GPS, S. 26.
234 Weber: GPS, S. 28f.
81
sozialer Veränderung. Das Großbürgertum fürchte sich vor der Demokratie als neuer
Form politischer Machtverteilung, da somit die alten, plutokratischen Strukturen
Preußens vor dem Ende standen; das Kleinbürgertum hingegen sei nie aus der
politischen Spießbürgerei erwacht, so Weber. 235
Der Spießbürger ist eine Figur, die Weber ob ihres „philiströsen Moralismus“236
verachtete: Es seien die „literarischen Spießbürger“, die durch einen vorgeschobenen
Altruismus ihre egoistischen Motive, das Streben nach Ämtern im Beamtentum, zu
verdecken suchen. Ihnen sei der Wille zur Macht ein unehrenhaftes Begehren.
237
Dieser fehlende Wille zur Macht ist laut Max Weber der von Beamten verwalteten,
obrigkeitsstaatlichen Struktur Deutschlands geschuldet. Diese behördliche,
administrative Klasse von Bürokraten, die im Dienste der mächtigen Großbürger und
Adligen deren Herrschaft verwalteten, wurde an der politischen Macht nicht beteiligt.
Der „Wille zur Ohnmacht“ im Parlament sei das fatalste Erbe der „negativen Politik“,
welche diese Beamtenschaft unter Bismarck zu leisten hatte, so Weber weiter.238
Er sah
die Beamtenschaft beteiligungslos am Rande stehen, als das Land neue Führer erwählte.
Die Bürger versagten sich der Verantwortung, indem sie lieber verwalteten als
herrschten. Diese Feigheit des Bürgertums wurde zur Erhaltung der Bürokraten-
Herrschaft ausgenutzt, so Weber. Für Weber war die entscheidende Frage, wie sich die
Bürgerlichen in Zukunft verhalten würden. Würden sie in der Angst vor dem Drängen
der Arbeiterschaft nach mehr politischer Mitsprache verharren oder ihre unmündige
soziale Sicherheit aufgeben, um der Herrschaft der Mächtigen ein Ende zu bereiten.239
Bislang sind in diesen Aussagen nicht viele Übereinstimmungen mit dem
Liberalismus zu Tage getreten. Weber scheint es bei seiner Sicht auf die Bürgerlichen
eher um deren politische Handlungsfähigkeit, als um die höheren, vermeintlich liberalen
Ideale zu gehen. Man kann aus der Auflehnung gegen die bürgerliche Feigheit, welche
Weber feststellte, aber einen Appell ablesen, der sich an die Verantwortung und auch an
die Vernunft des Bürgertums richtet. Weber will die Bürgerlichen aufrütteln, ihre
politischen Rechte und auch ihre Pflichten, als welche er das Streben nach Macht
ansieht, wahrzunehmen.
Ein Problem bei der Beurteilung seiner eigenen Klasse spricht Richard Ashcroft an:
235
Vgl. Weber: GPS, S. 126ff. Siehe unten Abschnitt V, Kap.3.
236 Weber: GPS, S. 168.
237 Vgl. Weber: GPS, S. 168.
238 Weber: GPS, S. 179.
239 Weber: GPS, S. 346.
82
„Weber befand sich in einer schlechten Position, wenn er die Rolle und das
Wesen des Liberalismus als einer bürgerlichen Ideologie erklären wollte, weil
sich dessen zentrale Dogmen so vollkommen in seinem eigenen sozialen Denken
widerspiegeln. Außerdem musste die Auffassung vom ‚Idealtypus’ einen
‚desillusionierten’ Liberalen wie Weber besonders ansprechen.“240
Die Bezeichnung Webers als „desillusionierten Liberalen“ erscheint in diesem
Zusammenhang sehr treffend. Diese Einschätzung teilen auch einige andere Autoren.241
Weber setzt in seinem Urteil über die politische Handlungsfähigkeit der Bürgerlichen
sehr hohe Maßstäbe an. Wie Ashcroft richtig bemerkt, hat Weber auch in Bezug auf den
Willen zur politischen Mitsprache und damit zur Macht, eine idealtypische Vorstellung
vor Augen, der das Bürgertum, in seinen Augen, nicht gerecht wird.242
2.3 Weber über die Arbeiterschaft
Wie oben beschrieben sorgt sich Weber allein um die politische Qualifikation, nicht
um soziale Probleme, in denen er die Vorbehalte des Bürgertums gegenüber der
Arbeiterschaft vermutet.243
Die oben beschriebenen Aussagen, von tiefer Skepsis bis hin
zum Bemitleiden des Bürgertums, ob dessen politischer Feigheit, prägten Max Webers
Bild von den Bürgerlichen in Deutschland an der Schwelle des 20. Jahrhunderts.
Max Weber hegte jedoch nicht allzu große Hoffnungen in das politische Vermögen
der Arbeiterschaft. So seien noch keine Anzeichen dafür vorhanden, dass diese reif
wären für Machtpositionen.244
Das „moderne Proletariat“245
steht bei Weber in einer
direkten Verbindung zu den Bürgern und ist prädestiniert, das Erbe der bürgerlichen
Ideale anzunehmen. Zu diesem Zweck müsste sich aber, so Weber weiter, eine
„Arbeiteraristokratie“246
konstituieren, die noch nicht in Sicht sei. Die ökonomische
240
Ashcraft in: „Liberalismus“, S. 98.
241 So etwa Wolfgang Mommsen in seiner Promotionsschrift: Vgl. Mommsen, Wolfgang: „Max Weber
und die deutsche Politik 1890-1920“, Köln 1959 (Im Folgenden zitiert als Mommsen: „Max Weber 1890-
1920“), S. 387ff. Auch Wilhelm Hennis Ausführungen haben einen ähnlichen Tenor: Vgl. Hennis:
„Fragestellung“, S. 223ff.
242 Fraglich ist in wie weit die Ansprüche Webers als realistische Einschätzung der politischen Natur des
Menschen zu sehen sind, oder in wie weit seine Ansprüche nur an wenige, der politischen Macht
gegenüber Aufgeschlossenen, gestellt werden können. Weber problematisiert diesen Sacherhalt in seiner
Herrschaftslehre, wenn er über die Auswahl der geeigneten Führer schreibt.
243 Vgl. Weber: GPS, S. 168.
244 Vgl. Weber: GPS, S. 29.
245 Weber: GPS, S. 28.
246 Weber: GPS, S. 29.
83
Reife der Arbeiterschaft sei zwar wesentlich größer, als der Klassenegoismus der
Bürgerlichen es ihnen zugestehen möchte, die politische Unreife dieser aufstrebenden
Kleinbürger sei allerdings immer noch hinderlich für den Weg zur Macht.247
Wo Weber über die Arbeiterschaft schreibt, präsentiert er sich als Verfechter der
Freiheit, indem er dieser Klasse das freie Recht der Interessenvertretung zugesteht.
Weber zeigt sich als Liberaler, da er als Mitglied der Bürgerlichen Klassen das
Aufkommen der Arbeiterschaft nicht als Bedrohung, sondern viel eher als Chance
begreift. Vor aller Beurteilung dieses gesellschaftlichen Prozesses steht allerdings, wie
so oft bei Weber, zuerst die Feststellung der Tatsachen. Die Arbeiter begehren nach
mehr politischer Mitsprache, also sollen diese, im liberalen Sinne, danach Streben.
Weber sieht keine Gründe diesen Willen zur Mitsprache aus politischen Gründen zu
verwehren. Der Zugang zur Macht steht jedem offen, der in Webers Augen dazu
befähigt ist:
„Ökonomisch sind die höchsten Schichten der deutschen Arbeiterklasse weit
reifer, als der Egoismus der besitzenden Klassen zugeben möchte, und mit Recht
fordert sie die Freiheit, auch in der Form des offenen organisierten ökonomischen
Machtkampfes ihre Interessen zu vertreten.“248
In der Ansicht der Arbeiterschaft spiegelt sich Webers Offenheit wider. Obwohl er
sich als Bürgerlicher sah, verfiel er nicht in die Angststarre seiner Klasse und versuchte
stets die Arbeiterschaft mit dem Bürgertum zu verbünden. Seine Stoßrichtung war
gegen den preußischen Konservatismus gerichtet, der ihm als das Übel des Staates
galt.249
Der Arbeiterschaft machte Weber ihr Streben nach politischer Macht nicht zum
Vorwurf, sondern begrüßte es vielmehr. Eben diese Einstellung war es, die er beim
Bürgertum vermisste.
Sicher ist, dass im politischen Liberalismus immer der Wille zur Macht vorhanden
sein muss. Wie oben bereits kurz erwähnt, sind zum heutigen Zeitpunkt demokratische
Organisationsformen der Herrschaft die einzig bekannten politischen Systeme, die in
einer liberalen, pluralistischen Gesellschaft die Grundwerte der individuellen Freiheit
und der formalen Gleichheit sichern helfen. Der Wille zur Macht, den Weber vor allem
in Bezug auf die politischen Klassen beschwört, bleibt in der Demokratie als wichtige
Konstante erhalten. Dies ist der Tenor der Weberschen Thesen. Seiner Einschätzung
247
Vgl. Weber: GPS, S. 28.
248 Weber: GPS, S. 28.
249 Vgl. Mommsen: „Max Weber 1890-1920“, S. 388ff.
84
nach sind es also Bürgertum und Arbeiterschaft, die beide ihre politischen Ziele zu
erreichen suchen und hierfür die Ebene der reinen Dienerschaft im bürokratischen Staat
verlassen müssen.
Weber proklamiert hier gewissermaßen einen Liberalismus der Chance, welcher
immer das Streben in politische Machtpositionen impliziert. Hierzu Müller:
„Nur so bleibt eine Gesellschaft offen und dynamisch, statt in zufriedener
Selbstgefälligkeit zu erstarren, und ermöglicht es neuen Akteuren und Klassen,
neue Ideen und Impulse dem sozialen Leben zu verleihen.“250
3. Max Weber und die Demokratie als Technik
Max Weber hat in seinem Werk keine Staatstheorie hinterlassen. Zwar plante er, so
der gesicherte Stand der Forschung, eine ausführliche Staatssoziologie251
, vollendete
diese allerdings nie. So gelten bis heute die beiden Texte „Politik als Beruf“ und
„Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“252
als die explizitesten
Schriften Webers über die Demokratie; wenn auch hier die Unterscheidung zwischen
Webers Zeitdiagnose und staatstheoretischen Untersuchungen teilweise schwer fällt.253
Festzuhalten ist mit Andreas Anter folglich, dass „Webers Staatstheorie kein kohärentes
oder in sich geschlossenes Ganzes und […] erst recht kein System“254
ist.255
In den vorangegangenen Kapiteln wurde bereits in Seitenblicken dargestellt, dass
Weber zur Demokratie keine leidenschaftliche Einstellung hatte. Sie war ihm vielmehr
250
Müller: „Max Weber“, S. 146.
251 Vgl. hierzu Anter, Andreas: „Max Webers Theorie des modernen Staates – Herkunft, Theorie und
Bedeutung“, Berlin 1996 (im Folgenden zitiert als Anter: „Theorie des modernen Staates“); Vgl. Müller:
„Max Weber“; Vgl. Mommsen: „Max Weber 1890-1920“.
252 Beide Texte sind in GPS enthalten.
253 Vgl. Fitzi: „Max Weber“, S. 253f.
254 Anter: „Theorie des modernen Staates“, S. 231.
255 Diese Einschätzung zieht sich durch Webers gesamtes Werk. Er hat zu keinem Themenkomplex ein
abgeschlossenes System entwickelt. Karl Jaspers hat mit seiner These vom Fragmentcharakter des
Weberschen Werkes als erstes auf die Unvollständigkeit als Tugend hingewiesen. Ähnlich auch Anter,
der in der Unvollständigkeit ein positives Moment sieht, da man sich so keiner Interpretationslinie in
Webers Werk zu verpflichten hat.. Anter sieht allerdings in der Staatstheorie Webers einen roten Faden
durch dessen Werk. Alle Bereiche des Weberschen Denkens würden durch seine staatstheoretischen
Überlegungen tangiert. Vgl. Anter: „Theorie des modernen Staates“, S. 232f.
85
die bestgeeignete Technik zur Führerauswahl. Wie gestaltet sich diese Ansicht im
Einzelnen und wie lässt sie sich zum Liberalismus in Verbindung setzen?
3.1 Demokratie als Technik
Die Staatsverfassung war für Weber keine Frage von Idealen, sondern vielmehr eine
Frage der Technik. Die Demokratie und auch der Parlamentarismus waren Weber die
beste aller bekannten Techniken zur Organisation der Herrschaft im Staat. Diese
Technik konnte bei ihm allerdings keine leidenschaftliche Begeisterung hervorrufen, da
er sie als unverzichtbare, institutionelle Errungenschaft des Liberalismus erachtete, über
die die Staatstheorie bereits hinaus sei, wie Wilhelm Hennis behauptet.256
Auch Wolfgang Mommsen interpretiert Webers Bejahung der Demokratie ähnlich. Er
sieht die Forderungen Webers nach Demokratisierung als Angriff auf die Herrschaft der
Konservativen in Deutschland.257
Somit ist diese Einstellung in einer Reihe mit dem
Weckruf an das deutsche Bürgertum zu sehen.258
Doch ist diese Zustimmung Webers zur Demokratie, auch wenn diese als Technik
angesehen wird, wertebeladen? Gibt es für Weber eine naturrechtliche Begründung,
eine ideelle Rechtfertigung für die Demokratie?
Hans-Peter Müller antwortet auf diese Fragen wie folgt:
„Max Weber befürwortete die Einführung von Parlamentarismus und Demokratie
nicht etwa aus naturrechtlich-ethischen Erwägungen – er ist kein Anhänger einer
materialen oder normativen Demokratietheorie.“259
Diese Interpretation korreliert auf den ersten Blick mit dem Weberschen
Werturteilspostulat. Weber vertrat, nach dieser Auslegung, die Demokratie aus rein
vernünftigen, sachlichen, folglich wissenschaftlichen Gründen. So auch Karl
Loewenstein:
„Auch die Demokratie als solche galt ihm [Weber] ausschließlich als ein Postulat
der praktischen Vernunft, ohne daß er es durch eine Idealisierung oder gar
Ideologisierung verbrämt hätte.“260
256
Vgl. Hennis: „Fragestellung“, S. 216f.
257 Vgl. Mommsen: Max Weber 1890-1920“, S. 389f.
258 sieh oben, Abschnitt IV, Kapitel 2.
259 Müller: „Max Weber“, S. 148.
260 Loewenstein, Karl: „Max Webers Beitrag zur Staatslehre in der Sicht unserer Zeit“, in: Käsler, Dirk:
„Max Weber – Sein Werk und seine Wirkung“, München 1972 (im Folgenden zitiert als Loewenstein:
„Max Webers Staatslehre“), S. 229-245, S.232.
86
Entgegen dieser wertfreien Auslegung der Weberschen Demokratie schreibt Andreas
Anter, dass die Demokratie trotz der technischen Interpretation Webers zu seinen
politischen Werten zu zählen sei.261
Folgt man Mommsens These von der Stoßrichtung
der konservativen Herrschaft, gegen welche die Demokratie in Webers Augen gerichtet
sein sollte, so kann man Weber hier gewisse Ziele und Absichten unterstellen, die über
ein technisches Verständnis hinausgehen. Hatte Weber eine Veränderung der
gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse zum Ziel, so war ihm die Demokratie ein
Wert an sich, von dem Gutes für die Zukunft ausgehen kann. Weber hätte sie in diesem
Fall mit der Frage nach der Guten Ordnung verbunden und somit eine klassische
normative Politiksicht bewiesen, die als liberal zu bezeichnen wäre. Auch der
Orientierung an der praktischen Vernunft, wie Loewenstein sie vornimmt, kann man
eine liberale Grundhaltung unterstellen, da hier zu Beginn die Vernunft als liberales
Kernelement benannt wurde.
Gilt hingegen Webers Zustimmung zur Demokratie einzig der Frage nach der
Führerauswahl und der in diesem Punkt bestehenden Überlegenheit gegenüber anderen
Herrschaftsformen, so stellt sich Webers Vorstellung vom Staat doch als sehr technisch
dar.
Diese Frage lässt sich nicht abschließend klären, da gesicherte Erkenntnisse hierfür
nur aus dem Munde Webers zu erlangen wären. Klar wird allerdings, dass Weber die
Demokratie als Technik zur Führerauslese begreift.
3.2 Die plebiszitäre Führerdemokratie
Max Webers Kritik an den Bürgerlichen, die oben beschrieben wurde, richtete sich
auch gegen deren Abneigung demokratischer Ideen:
„Es gehört zu jenem Kapital politischer Unreife, […] daß der deutsche
Spießbürger [auf] politische Gebilde wie das englische Parlament […] gewohnt ist
[…] von der Höhe seiner eigenen politischen Ohnmacht selbstgefällig
herabblicken zu können […].“262
Der britische Parlamentarismus war Weber immer Vorbild gewesen für die
Neukonstituierung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg. England galt ihm als das
„Maß der politischen Dinge“263
. Vor allem die cäsaristischen Züge des
Parlamentarismus in England, in dem die Bürgerschaft einen Vertrauensmann mit der
261
Vgl. Anter, ebd. S. 367.
262 Weber: GPS S. 173.
263 Loewenstein: „Max Webers Staatslehre“, S.230.
87
Macht ausstattet sich einen eigenen Verwaltungsapparat zu beschaffen, fanden Webers
Zustimmung.264
Als Alternative sah er nur den Obrigkeitsstaat und statt der Führer
vorgesetzte Beamte, die politisch mitnichten zu einer verantwortlicheren Herrschaft
fähig seien.
Weber sah die Notwendigkeit einer repräsentativen demokratischen Herrschaft. So
beschränkte er in seinen staatstheoretischen Überlegungen das konstitutive,
demokratische Element der Volkssouveränität, auf den Moment der Führerauswahl:
„Das Postulat der freien Selbstbestimmung des Volkes, […] wurde ersetzt durch das
Prinzip der formal freien Führerauswahl.“265
Aus einem starken Parlament sollten in
Webers Vorstellungen der Demokratie ein cäsaristischer Herrscher hervorgehen, der
dem Parlament, und somit indirekt dem Volk, gegenüber verantwortlich ist. Somit ist
die Idee des Individualismus, die im Liberalismus angelegt ist, von Weber abgewandelt:
„Nicht ein mit dem Gleichheitsgedanken verbundener Individualismus bestimmt
sein Denken, sondern ein Interesse am repräsentativen Individuum, am
verantwortungsbeladenen herausragenden Typ, der sich vom »Jedermann«
absetzt“.266
Hennis beschreibt hier die Gleichheit im Liberalismus nicht ganz korrekt. Weber
erteilte niemals dem formal gleichen Wahlrecht, oder den formal gleichen Chancen in
das Amt eines Führers gewählt zu werden, eine Absage. Hennis meint hier einen
absoluten Gleichheitsgedanken, der so nicht ins liberale Spektrum gehört. Die liberale,
formale Gleichheit, bleibt bei Weber bestehen.
Der Idee einer direkten Demokratie erteilte Weber aber eine Absage:
“Das System der sogenannten unmittelbaren Demokratie ist technisch nur in
einem Kleinstaat (Kanton) möglich. In jedem Massenstaat führt Demokratie zur
bureaukratischen Verwaltung, und, ohne Parlamentarisierung, zur reinen
Beamtenherrschaft.“267
Mommsen sah in der Reduzierung des Bürgers auf die Führerauswahl eine
Beschneidung des Individualismus.268
Somit wäre in dieser Frage ein nichtliberaler Zug
in Webers Denken identifiziert. Auch in diesem Fall handelt es sich aber um eine Frage
der Exegese: Weber hatte die Handlungsfähigkeit des Staates immer im Blick. Sie war
ihm das oberste Prinzip, unter welches sich andere Werte unterordnen mussten. Diese
Sichtweise offenbart erneut die Webersche Konsequenz. Wenn Max Weber eine
264
Weber: GPS, S. 168.
265 Mommsen: „Max Weber 1890-1920“, S. 393.
266 Hennis: „Fragestellung“, S. 212.
267 GPS, S. 319.
88
Staatstheorie entwickelt, so unterstellt er alle seine Überlegungen der Frage nach einem
effektiven Staat. Fragen der Menschenrechte, oder der Volkssouveränität sind dann nur
noch von nachrangiger Natur.
Hierzu muss man eine Webersche Prämisse erwähnen, die seine Staatsauffassungen
maßgeblich geprägt haben:
„Jeder Gedanke…durch noch so ausgetüftelte Formen der »Demokratie« die
Herrschaft des Menschen über den Menschen zu beseitigen, ist eine
Utopie…Begriffe wie »Wille des Volkes«, wahrer Wille des Volkes, existieren
für mich schon lange nicht mehr, sie sind Fiktionen.“269
Unter diesem Gesichtspunkt erscheint Webers Fokussierung auf die Frage der
geeigneten Führerschaft folgerichtig. Seine Gedanken werden dadurch nicht unliberal,
da er, wie Mommsen erklärt, weiterhin an den Freiheitsrechten, der Verantwortlichkeit
der Führer gegenüber ihren Wählern und der Idee des demokratischen Konsenses
festhielt.270
3.3 Liberale Demokratie oder autoritäre Führerherrschaft?
Betrachtet man die in diesem kurzen Abriss zusammengetragenen Ansichten Max
Webers zur Demokratie, so fügen sie sich nahtlos in die bisher, in dieser Arbeit,
vorgelegten Ergebnisse ein. Wieder erscheint Weber hier formal als Anhänger liberaler
Ideen, indem er die Demokratie als bestmögliche Herrschaftsform charakterisiert. Und
wiederum versucht die Mehrzahl der Weberinterpreten die Motive hinter diesen
Ansichten als unliberal, oder zumindest mit dem Liberalismus nicht vereinbar,
hinzustellen.
Es bleibt erneut ein indifferentes Bild von Webers Demokratie zurück. Methodisch
ergibt sich hier ein Bild, welches grob skizziert, der Betrachtung von Gesinnungs- und
Verantwortungsethik, die hier leider nicht behandelt werden konnten, ähnelt: Blickt
man in erster Linie auf die Motive oder besieht man sich das Ergebnis.
Diese Unterscheidung schwingt bei der Beurteilung des Weberschen Denkens immer
mit. Max Weber blickte vermehrt auf das Ergebnis und ließ sich von vermeintlich
moralischer Kritik nicht an seiner Meinungsfreudigkeit hindern. Problematisch erklingt
seine Konzeption einer Führerdemokratie vor dem Hintergrund der
268
Vgl. Mommsen: „Politik und politische Theorie“, S. 526f.
269 Max Weber zitiert nach: Mommsen: „Politik und politische Theorie“, S. 531. Ursprünglich in einem
Brief an Robert Michels vom 04.08.1904, in: MWG II/5 „Weber, Briefe 1906-1908“, hrsg. von Lepsius,
Rainer, Mommsen, Wolfgang Tübingen 1990.
270 Vgl. Mommsen, ebd., S. 526.
89
nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland. Zu diesem Kritikpunkt ist jedoch
anzumerken, dass Weber seine cäsaristischen Führer immer in die Verantwortung vor
dem Wähler stellte. Bei einem Versagen seitens des Herrschers, war stets die
Möglichkeit eines Sturzes durch die Wähler, als Sicherung, mit bedacht.271
Die Verbindung der Demokratie nach Max Weber, welche sich als parlamentarische
Technik zur Führerauswahl geriert, zu den liberalen Kernelementen ist nicht leicht zu
finden. Weder stellt Weber die Freiheit, noch die formale Gleichheit ins Zentrum seines
Staatskonzepts. Eher schon ist es die Vernunft, die hier über ideologische Tendenzen in
der Begründung der Demokratie zu siegen scheint. Der Individualismus der Bürger
verschwindet auf der einen Seite hinter der Akklamation des Führers; auf der anderen
Seite wird eben die Befähigung des Herrschers und somit die eines Individuums, in den
Vordergrund gerückt. Es lassen sich also Argumente finden um Webers Liberalismus
gleichermaßen zu be- und zu widerlegen.
Hier wird sich ersterer These angeschlossen, da ein weiterer Aspekt in den
Vordergrund gerückt werden kann: Die Ähnlichkeit des politischen Liberalismus John
Rawls mit den inhaltlich offen gelassenen politischen Gedanken Webers. Vor allem bei
der Betrachtung der Demokratie wird dies augenscheinlich. Rawls sah im Liberalismus
eine Konzeption der Gerechtigkeit, die eine Vielzahl unterschiedlicher umfassender
Lehren akzeptieren kann. Eben diese Bedingungen werden auch durch Weber
geschaffen. Er kümmert sich nur um die Lenkung des Staates, der einen formalen
Rahmen bildet. Die inhaltlichen, gesellschaftspolitischen Themen tangiert Weber
hingegen nicht. Somit erscheint er hier als liberal, da er die Freiheit des Denkens nicht
beschneidet.
Versucht man sich nun an einer abschließenden Aussage über Webers
Demokratieverständnis, so bleibt als einzige Sicherheit die Einschätzung Anters:
„Weber selbst gehört zu den Wegbereitern der Demokratie in Deutschland.“272
271
Vgl. Nolte, Ernst: „Max Weber vor dem Faschismus“, in: „Der Staat“, Bd.1, Göttingen 1963. S. 1-24,
S. 11.
272 Anter, Andreas: „Max Weber und die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik Deutschland“,
in: Ay, Borchardt: „Das Faszinosum Max Weber– Die Geschichte seiner Geltung“, Konstanz 2006 (im
Folgenden zitiert als Anter: „Parlamentarische Demokratie“). S. 353- 372, S. 353.
90
VI. Weitere Aspekte des Weberschen Liberalismus
Leider reicht der formale Rahmen nicht aus, um hier ein umfassendes Bild von
Webers Liberalismus zu zeichnen. So wäre eine ausführlichere Untersuchung seines
Werkes auf weitere liberale Momente hin wichtig, um alle Facetten des Weberschen
Liberalismus darzustellen. Hier sollen skizzenhaft noch einige dieser Punkte zur
Sprache kommen und einen Ausblick für die weitere Beschäftigung mit dem
Liberalismus Max Webers bieten.
1. Die Verantwortungsethik
Nicht zur Sprache kam in dieser Arbeit beispielsweise Webers Konzeption der
Verantwortungsethik, welche durchaus liberale Bestandteile enthält, die seinen
Liberalismus akzentuieren könnten. Insbesondere ist hier auf die Heidelberger
Soziologin Agathe Bienfait zu verweisen. Sie hat sich vor allem in ihrem Text „Freiheit,
Verantwortung, Solidarität“273
, der sich vorrangig mit dem politischen Liberalismus
befasst, mit der Verantwortungsethik Weber sauseinandergesetzt. Diese sieht sie in
Fortführung des Kantischen Autonomiegedankens, welcher wiederum als zentrale
philosophische Konzeption des Liberalismus zu bezeichnen ist. Bienfait hat es sich hier
zum Ziel gemacht Webers Verantwortungsethik als Alternative zur Moralsoziologie
Emile Durkheims zu interpretieren und somit Weber in der Tradition der Kantischen
Freiheitslehre zu begreifen.274
Zudem plädiert Bienfait für eine präzise Trennung
zwischen moralischer und politischer Verantwortung.275
Auch Wolfgang Schluchter hat sich eingehend mit Webers Verantwortungsethik
beschäftigt. Er sieht in dem „Dennoch“ als politische Maxime des
273
Vgl. Fn. 73.
274 Vgl. Bienfait: „Freiheit“, S. 130.
275 Vgl. Bienfait: „Freiheit“, S. 171.
91
Verantwortungsethikers eine große Ähnlichkeit zum kritischen Rationalismus Karl
Poppers.276
2. Naturrecht und Menschenrechte
Ein weiterer Aspekt des Weberschen Liberalismus, welcher oben in dem Kapitel über
Webers Einstellung zur Demokratie bereits zur Sprache kam, ist seine Einstellung zu
den Menschenrechten und ihrer naturrechtlichen Begründung.
Wolfgang Mommsen kommt bereits in seiner Promotionsschrift zu dem Ergebnis,
dass naturrechtliche Axiome aus Max Webers Sicht nicht mehr zeitgemäß seien. Weber
lehne diese Begründung des Rechtsbegriffs ab und ersetzte ihn durch einen Begriff der
formalen Legalität.277
Eine ähnliche Stoßrichtung wählt Winfried Brugger, der sich bei gleichzeitiger
Berücksichtigung der Verantwortungsethik mit Webers „Beitrag zur Analyse und
Begründung der Menschenrechte“, so der Untertitel seiner Abhandlung,278
befasst.
Brugger sieht bei Weber, ebenso wie Mommsen, ein „an materialen Gehalten
orientiertes Naturrechtsdenken“279
. Max Weber vertrat also nach Auffassung dieser
beiden Autoren einen Rechtsbegriff, der sich über formale Kriterien hinaus an
materialen Fragen orientierte. Diese Einstellung war von den Ideen des Sozialismus
beeinflusst und nach Mommsen direkt gegen den bürgerlichen Rechtsbegriff gerichtet.
Diesem unterstellte Weber den „jeweils ökonomisch Mächtigen“ zu dienen und die
eigenen „inhaltlichen Gerechtigkeitsideale“ zu verletzen.280
In diesen Analysen wird deutlich, dass sich Weber, bezogen auf das Naturrecht, in
bewusste Opposition zu liberalen Ideen stellte.
276
Vgl. Schluchter, Wolfgang: „Wertfreiheit und Verantwortungsethik – Zum Verhältnis von
Wissenschaft und Politik bei Max Weber“, Tübingen 1971, S. 31.
277 Vgl. Mommsen: „Max Weber 1890-1920“, S. 387ff.
278 Brugger, Winfried: „Menschenrechtsethos und Verantwortungsethik – Max Webers Beitrag zur
Analyse und Begründung der Menschenrechte“, Freiburg/München 1980 (im Folgenden zitiert als
Brugger: „Menschenrechtsethos“).
279 Vgl. Brugger: „Menschenrechtsethos“, S. 175.
280 Vgl. Mommsen: „Max Weber 1890-1920“, S. 391.
92
3. Charisma und Bürokratie
Die von Max Weber entworfene charismatische Herrschaft ist für sein Werk ebenso
programmatisch, wie die Furcht vor der Einengung des Individuums durch eine
ausufernde bürokratische Herrschaft. Beide Themengebiete hängen bei Weber eng
zusammen und bilden einen zentralen Punkt seines Werkes.
Natürlich lassen sich auch diese beiden politischen Problematiken auf den
Liberalismus beziehen. So wäre beispielsweise die Frage von Interesse in wie weit ein
charismatischer Führer nicht die Frage nach der formalen Gleichheit des Liberalismus
tangiert. Ebenso könnte man fragen, ob diese mit der Vernunft nur schwer zu erfassende
Eigenschaft in ein liberales Raster passt und wie in diesem Zusammenhang das
„Charisma der Vernunft“ wirkt.
Mit beiden Themenfeldern hat sich Stefan Breuer befasst. Er vertritt die These, dass
Weber den Modernisierungsprozess als ständigen Wechsel zwischen Rationalität und
Charisma begriffen hat.281
Natürlich könnte man zu diesen, für die Weberrezeption zentralen, Themen noch
unzählige weitere Autoren aufzählen. Vor allem in Bezug auf die Bürokratisierung ist
die Fragestellung allerdings häufig eine soziologische und somit der Bezug zum
Liberalismus nicht immer einfach herzustellen.
Alles in allem verbergen sich in Webers Werk viele Aspekte, die zu einer normativen-
politischen Perspektive mit dem Liberalismus in Verbindung gesetzt werden können.
Abschließend lassen diese sich hier nicht behandeln. Ein Einblick in den
Facettenreichtum des Weberschen Werkes konnte aber hoffentlich geleistet werden.
281
Vgl. Breuer, Stefan: „Bürokratie und Charisma – zur politischen Soziologie Max Webers“, Darmstadt
1994.
93
VII. Schlussbetrachtung
Max Webers Liberalismus bleibt, den in dieser Arbeit behandelten Aspekten folgend,
ein undurchsichtiges und vielschichtiges Gedankengebäude. Abschließend konnte er
nicht dargestellt werden. Fraglich bleibt, ob eine abschließende Betrachtung von Max
Webers Werk überhaupt erstrebenswert ist, oder ob man sich durch eine solche Finalität
nicht den vielseitigen Gedanken, die in diesem Werk vorhanden sind, verschließt. Wie
lässt sich also Webers Liberalismus vorläufig charakterisieren?
1. Max Webers Werte
Es ist gezeigt worden, dass trotz des antinomischen Gegensatzes, der zwischen Max
Webers Wissenschaftslehre und der normativ orientierten Politischen Wissenschaft
besteht, eine Verbindung zwischen beiden Dimensionen hergestellt werden kann. Diese
Verbindung besteht, ganz konkret, in Webers Wertvorstellungen, denen er, entgegen der
weit verbreiteten Meinung, nicht ablehnend gegenüber stand. Vielmehr bejahte er die
Existenz von subjektiven Idealen und setzte sich darüber hinaus für seine persönlichen
Wertvorstellungen ein.
Eine Absage erteilte Max Weber hingegen der Möglichkeit zur wissenschaftlichen
Beurteilung dieser persönlichen Ideale. Sie müssten vielmehr im Kampf untereinander,
durch Überzeugung des Gegenübers, eine Rechtfertigung entwickeln. Hier kann man
Weber einen Relativismus unterstellen, der mit den liberalen Idealen nichts zu tun hat.
Doch ist dies ein verkürztes Verständnis. Weber proklamierte keine Beliebigkeit der
Werte, vielmehr sah er in naturrechtlichen und auch in philosophischen Begründungen
keine Notwendigkeit, das eine Ideal über das Andere zu stellen. Diese Einstellung ist
liberal und kennzeichnet gleichzeitig den Kern des Weberschen Liberalismus. Auf
metatheoretischer Ebene lässt sich sagen, dass Webers Politikverständnis nicht
ontologisch, wohl aber normativ ist.
Hier ist eine deutliche Nähe zu der Konzeption des Politischen Liberalismus von John
Rawls erkennen. Auch dieser stellt keine Wertvorstellungen zur Disposition, sondern
94
sieht in seinem Liberalismus einen formalistischen Rahmen, der die Freiheit der
Gesellschaft sichert. Gleiches ließe sich auch über Webers Arbeiten sagen.
Obwohl also eine Übereinstimmung zwischen Rawls und Weber festgestellt werden
kann, liegt hier gleichzeitig der größte Widerspruch zwischen Webers politischer
Philosophie und dem Liberalismus. Der Liberalismus geht immer von einer objektiven,
essentialistischen Freiheit, die dem vernunftbegabten Individuum in politischer
Dimension zusteht und in persönlicher Hinsicht inhärent ist, aus. Weber erkennt hier
keine rationale Notwendigkeit. Zwar akzeptiert er die Freiheit als einen der höchsten
politischen und persönlichen Werte, logisch begründen kann er diese hingegen nicht.
Weber stellt folglich die Vernunft noch über die liberalen Kernelemente der Freiheit
und der Gleichheit. Alle Weberschen Überlegungen sind von der Vernunft aus gedacht.
Dies ist zwar als liberale Denkweise zu bezeichnen, die Bejahung der Freiheit als
Oberwert, geht dem Denken Webers aber ab. Die Freiheit ist für Weber ein Gut, hinter
das die politische Realität nicht mehr zurück kann; sie ist für ihn eine politische
Selbstverständlichkeit. Deswegen gibt es für Weber keinen Grund sie irrational zu
überhöhen. Hier zeigt sich die antidogmatische Seite des Weberschen Denkens.
2. Webers „liberaler Antidogmatismus“
Genau diese antidogmatische Komponente wiederum ist urliberal. Auch wenn Weber
die Freiheit nicht zum obersten Prinzip erhebt, bleibt er dem Liberalismus somit
verpflichtet. Selbst die liberale Freiheitslehre wird von ihm hinterfragt.282
Die Leistung,
die dieser Antidogmatismus bedeutet, fasst Karl Loewenstein wie folgt zusammen:
„Alle Ideologien, ob Konservativismus oder Liberalismus, Kapitalismus oder
Sozialismus, waren ihm geschichts- und millieubedingte Infrastrukturen
bestimmter Interessenlagen, nicht aber Absolutismen. […] Er ist damit im
eigentlichen Sinn zum Überwinder ideologischer Gegensätze geworden.“283
Loewenstein nennt hier den Liberalismus in einer Reihe mit den anderen großen
Ismen. Folgt man der Konzeption John Rawls, so passt der Liberalismus hier allerdings
nicht hinein und stellt viel eher eine Überwindung ideologischer Gegensätze dar.
282
Ebenso bei John Rawls. Dieser sieht einen Liberalismus, der einzig der Freiheit verpflichtet ist, als
libertär an. Siehe oben, S. 20.
283 Loewenstein: „Max Webers Staatslehre“, S. 233.
95
Gerade weil sich Weber nicht um ideologische Rechtfertigungen seiner politischen
Meinung sorgt, ist er liberal in der Anerkennung anderer Ansichten.
Die Nähe von John Rawls Interpretation des politischen Liberalismus als toleranter
Konzeption politischer Gerechtigkeit stellt eine verblüffende Nähe zu Weber
Überwindung der Ideologien dar. Will man Webers Liberalismus also über Wilhelm
Hennis hinaus, nicht nur als „eigentümlich“ etikettieren, so wäre die Bezeichnung
„liberaler Antidogmatismus“ vielleicht die treffendste. Auf den ersten Blick
tautologisch, kann diese Begrifflichkeit doch die Zielrichtung Webers klar
herausstellen. Nicht die liberalen Kernelemente stehen im Zentrum des Weberschen
Denkens, sondern seine kritische Einstellung gegenüber der Irrationalität von Idealen.
3. Max Weber und die Herrschaft
Max Weber entwickelte seine Theorie der plebiszitären Führerdemokratie einzig mit
dem Ziel, eine freie Gesellschaft unter einer effektiven Herrschaftsform sicherzustellen.
Die Führer sind in Webers Konzeption mitnichten Tyrannen, denen umfassende, von
der Verantwortung losgelöste, Macht in die Hand gegeben wird. Dieser Vorwurf wurde
oft an Webers Werk herangetragen. Doch Weber wünscht sich politisch fähige und
weitsichtige Charaktere in der Position des politischen Führers. Diese sind zu jeder Zeit
ihren Wählern gegenüber, verantwortlich.
Weber befürwortet also eine cäsaristische Herrschaft, wenn diese durch das Volk
bestellt wird. Eine cäsaristische Gestalt wie Bismarck, die sich auf einen
Beamtenapparat stützte, der wiederum dem Volk gegenüber keine Rechenschaft
abzulegen hatte, war Weber hingegen ein Graus. Weber wollte verantwortungsvolle, zur
Entscheidung fähige Politiker an der Macht sehen. Diese könnten ohne Kompromisse
regieren, welche Weber als ein großes Übel der Demokratie erachtete. Die
Langwierigkeit heutiger politischer Entscheidungsfindungen, wäre somit ad acta gelegt.
Darüber hinaus ist festzuhalten, dass Weber mit dem Herrscher, immer auch einen
Beherrschten beschreibt. In Webers politischer Philosophie gibt es keine illegitime
Herrschaft, wie Mommsen behauptet. Dies sei dem Umstand geschuldet, dass politische
Herrschaft bei Weber nicht auf normativen oder ethischen Kriterien beruht.284
Hier zeigt
sich, dass Weber die letztendlich nicht zu bewertenden Ideale, auf alle Aspekte seines
284
Vgl. Mommsen: „Politik und politische Theorie“, S. 537.
96
Denkens anwendet. Da es in seinen Augen keine objektiv richtigen, politischen Systeme
geben kann, versucht er zumindest, diese mit einer politischen Effektivität auszustatten.
Für Weber steht fest: „Gewiß ist Politik kein ethisches Geschäft.“285
4. Max Webers Aktualität
Heutiger Politik würde das antidogmatische Denken Webers bisweilen gut zu Gesicht
stehen. Ideologische Grabenkämpfe, fernab von der politischen Realität, haben noch
selten zu der Erreichung eines Ziels geführt. Weber kann in dieser Hinsicht ein Vorbild
sein. Zwar sind an die Stelle politischer Dogmen, heutzutage moralische Dogmen
getreten, die allerdings ebenso rigoros verteidigt werden. Ein Hinterfragen fällt,
aufgrund der installierten Empörungsmechanismen in Politik und Medienlandschaft,
zunehmend schwer.
Viele Politiker zitieren noch heute gerne einige Passagen aus „Politik als Beruf“ und
schmücken sich mit der Autorität, die Weber bis heute zu vermitteln scheint.286
Doch
leider schauen sie in der Regel nicht genau nach und verlieren sich in Plattitüden, die
Weber mit Sicherheit aufs Schärfste kritisiert hätte.
Webers innere Freiheit, die Karl Jaspers beschrieben hat, wäre vor diesem Moralismus
gefeit gewesen und hätte sich sicherlich nicht bremsen lassen. Weber war ein Kämpfer
gegen Moralismus und moralisierendes Denken. Die „literarischen Spießbürger“, die
sich aufgrund gefühlter, moralischer Überlegenheit zu herablassenden Aussagen
hinreißen ließen, konnten sich Webers Abneigung sicher sein: „Max Weber war ein
leidenschaftlicher Hasser und konnte aus vollem Herzen verachten.“287
Die Figur des
literarischen Spießbürgers, existiert auch heute noch in der politischen Landschaft.
Natürlich sind dies alles Vermutungen, die auf dem Hintergrund der politischen
Schriften Webers und den Auslegungen der Weberinterpreten getroffen wurden. Ein
Stück weit wird hier also gegen das eingangs aufgestellte Credo der unpersönlichen
Darstellung des Weberschen Denkens verstoßen. Dies erscheint aber der einzige Weg,
sein Denken zu ergründen. Seine politischen Wertvorstellungen liegen oftmals im
285
Weber: GPS, S. 298.
286 So kürzlich Kurt Beck in seinem Brief an die SPD im Fall der Positionierung Wolfgang Clements
gegen Andrea Ypsilanti. Vgl.: „Die Partei braucht Augenmaß“,
http://www.sueddeutsche.de/politik/972/304944/text/ (Stand: 03.11.2008).
287 Hennis: „Fragestellung“, S. 211f.
97
Verborgenen und können nur zwischen den Zeilen gelesen werden. Dennoch ist hier
versucht worden einer überhand nehmenden Psychologisierung aus dem Weg zu gehen.
Das politische Urteil hat heute an Bedeutung verloren. Dies ist der zunehmenden
Moralisierung des politischen Kommentars geschuldet. Hier wünscht man sich
bisweilen ein wenig mehr Webersche Sachlichkeit, die immer wieder dazu anhält das
eigene Gewissen zu hinterfragen.
Die Urteilskraft Webers wird von allen seinen Interpreten gelobt. Sie gilt vielen als
das große Beispiel, welches das Webersche Schaffen hinterlassen hat. John Rawls
bezeichnet die Bürden des Urteils als den letzten, in der Konzeption des Liberalismus
verbleibenden Konflikt.288
Doch diesem Konflikt sollten in der Regel alle beteiligten
Parteien mit einer gewissen Gelassenheit begegnen.
Abschließend lässt sich sagen, dass der bleibende Anspruch des Denkens Max
Webers, in der immerwährenden Skepsis gegenüber Idealen und Werten, liegt.
Politische Urteile sind zu fällen, auch auf die Gefahr hin, die persönlichen Werte des
Gegenübers zu tangieren. Rücksicht darf auf dieser, letztlich verbalen Ebene des
Austausches von Meinungen, nicht genommen werden, wenn es um das Fällen von
Entscheidungen geht. Niemals darf man sich, in verantwortlicher Position, zum Anwalt
von Partikularinteressen machen.
Letztlich entfaltet sich der größte Nutzen des politischen Denkens Max Webers, im
Studium seiner Schriften. Auch wenn Webers Werk nur fragmentarisch vorliegt, so
beinhaltet es dennoch eine kraftvolle, politische Philosophie. Diese entwickelt sich in
vollem Umfang erst in der Gegenüberstellung der eigenen Gedankengänge, mit Webers
scharfem, politischen Urteil und seiner Skepsis gegenüber überhöhten Idealen.
Ganz im Sinne Webers wird jeder Interpret seiner Arbeiten angehalten, die bisher
hervorgebrachten Auslegungen zu hinterfragen und seinen eigenen, wenn auch nur
geringfügig verschiedenen Interpretationsansatz zu liefern.
288
Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 61.
98
Literaturverzeichnis
Quellen:
Weber, Max: „Gesammelte Politische Schriften“, hrsg. von Johannes Winckelmann,
Tübingen 1958, hier zitiert nach der Potsdamer Internet Ausgabe (PIA):
http://www.uni-potsdam.de/u/paed/pia/index.htm (Stand: 15.09.2008). Winckelmann
folgt der so genannten Marianne-Ausgabe von 1920: Weber, Max: „Gesammelte
Politische Schriften“, hrsg. von Marianne Weber, München 1921.
Weber, Max: „Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik“, hrsg. von
Marianne Weber, Tübingen 1924, hier zitiert nach der Potsdamer Internet Ausgabe
(PIA): http://www.uni-potsdam.de/u/paed/pia/index.htm (Stand: 15.09.2008).
Weber, Max: „Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre“, hrsg. von Johannes
Winckelmann, Tübingen 1968, hier zitiert nach der Potsdamer Internet Ausgabe (PIA):
http://www.uni-potsdam.de/u/paed/pia/index.htm (Stand: 15.09.2008).
Weber, Max: „Wirtschaft und Gesellschaft“, zweitausendeins, Frankfurt am Main
2005.
Weber, Max: „Religion und Gesellschaft“, zweitausendeins, Frankfurt am Main 2006.
99
Literatur289
:
Albert, Gert, Bienfait, Agathe, u.a. (Hrsg.): „Das Weber-Paradigma – Studien zur
Weiterentwicklung von Max Webers Forschungsprogramm“, Tübingen 2003.
Anter, Andreas: Max Webers Theorie des modernen Staates – Herkunft, Struktur und
Bedeutung“, Berlin 1996.
Ay, Karl-Ludwig, Borchardt, Knut (Hrsg.): „Das Faszinosum Max Weber – Die
Geschichte seiner Geltung“, Konstanz 2006.
Backhaus, Jürgen (Hrsg.): „Gustav von Schmoller und die Probleme von heute“, Berlin
1993.
Baumgarten, Eduard: „Max Weber – Werk und Person“, Tübingen 1964.
Beck, Kurt: „Die Politik braucht Augenmaß”, dokumentiert von sueddeutsche.de,
http://www.sueddeutsche.de/politik/972/304944/text/, (Stand 03.11.2008).
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Die Literatur ist zur besseren Orientierung in alphabetischer Reihenfolge sortiert. Monographien und
unselbstständige Literatur finden sich hier in einer Reihe. So lassen sich die verschiedenen Beiträge eines
Autors besser überblicken.
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