Top Banner
MAX WEBERS LIBERALISMUS Magisterarbeit zur Erlangung des Grades eines Magister Artium M.A. vorgelegt der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn von Sebastian Jarzebski aus Düsseldorf
103

Max Webers Liberalismus

Dec 28, 2022

Download

Documents

Welcome message from author
This document is posted to help you gain knowledge. Please leave a comment to let me know what you think about it! Share it to your friends and learn new things together.
Transcript
Page 1: Max Webers Liberalismus

MAX WEBERS LIBERALISMUS

Magisterarbeit

zur Erlangung des Grades eines

Magister Artium M.A.

vorgelegt

der

Philosophischen Fakultät

der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität

zu Bonn

von

Sebastian Jarzebski

aus

Düsseldorf

Page 2: Max Webers Liberalismus

II

An Eides statt versichere ich, dass die Arbeit

Max Webers Liberalismus

von mir selbst und ohne jede unerlaubte Hilfe angefertigt wurde, dass sie noch keiner

Stelle zur Prüfung vorgelegen hat und dass sie weder ganz, noch im Auszug

veröffentlicht worden ist. Die Stellen der Arbeit – einschließlich Tabellen, Karten,

Abbildungen usw. –, die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach

entnommen sind, habe ich in jedem einzelnen Fall als Entlehnung kenntlich gemacht.

Sebastian Jarzebski

Page 3: Max Webers Liberalismus

III

„In dem dumpfen, halbbewußten Drang in die Ferne liegt ein Moment

eines primitiven Idealismus verborgen. Wer es nicht zu entziffern

vermag, der kennt den Zauber der Freiheit nicht.

In der Tat: selten berührt uns heute ihr Geist in der Stille der

Bücherstube. Verblichen sind die naiv freiheitlichen Ideale unserer

frühen Jugend, und manche von uns sind vorzeitig alt und allzu klug

geworden und glauben, einer der urwüchsigsten Triebe der

Menschenbrust sei mit den Schlagworten einer niedergehenden

politischen und wirtschaftspolitischen Anschauung zu Grabe getragen

worden.“

(Max Weber, Akademische Antrittsvorlesung, Freiburg 1895)

Page 4: Max Webers Liberalismus

IV

Vorwort

Das Schreiben einer Abschlussarbeit stellt in den meisten Fällen das wissenschaftliche

Erstlingswerk des jeweiligen Autors dar. So verhält es sich auch bei der vorliegenden

Magisterarbeit. Dem Prozess des Schreibens wohnt die ebenso hilfreiche, wie

gleichermaßen schwierige Eigenschaft inne, die Gedanken, die sich um das gewählte

Thema drehen, fokussieren zu müssen.

Hilfreich ist diese Eigenschaft, da es sich zu zwingen gilt, Entscheidungen bezüglich

bestimmter Fragestellungen zu treffen. Es hilft nicht weiter, sich in endlosen

Abwägungen zu verlieren und ein Grau in Grau zu präsentieren, welches eine bloße

Aufzählung verschiedener Meinungen darstellt. Die eigene Meinung wird geschärft

durch die Notwendigkeit der endgültigen Präsentation zu einem gegebenen Zeitpunkt.

Doch es verbirgt sich hinter dieser Zuspitzung der eigenen Meinung eben auch eine

Schwierigkeit. In den meisten Fällen steht die wissenschaftliche Abschlussarbeit am

Anfang des wissenschaftlichen Treibens des Autors, sofern dieser sich denn für den

Weg in die Wissenschaft entscheiden möge. Er ist also gefordert eine Arbeit zu liefern,

die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt und im Idealfall gleichzeitig ein realistisches

Bild der Meinungen des Autors, zu einem bestimmten Thema liefert. Diese Meinungen,

und hier setzt das Problem ein, können aber lediglich einen begrenzten Horizont

abbilden.

Vor allem, wenn man sich Max Weber zum Thema erwählt, kann eine solche Arbeit

nicht alle Aspekte beachtet haben. Der Prozess des Schreibens einer Abschlussarbeit

eröffnete im vorliegenden Fall eher die Vielseitigkeit des Weberschen Werkes und vor

allem des Weberschen Denkens. Je länger die Arbeit mit den Texten Webers und seiner

Interpreten andauerte, desto verschwommener wurde die zu Beginn des

Schreibprozesses so feste Meinung zu Max Webers Liberalismus.

Notwendigerweise musste hier allerdings eine Meinung vertreten werden, die aus dem

heutigen Standpunkt heraus teilweise verkürzt wirkt. Dieser Umstand ist notwendiger

Weise ein Bestandteil der wissenschaftlichen Abschlussarbeit. Sie stellt zwar in

gewisser Weise einen Endpunkt dar, kann für eine ernsthafte wissenschaftliche

Auseinandersetzung aber nur den Anfang markieren.

Page 5: Max Webers Liberalismus

V

Nicht, dass die in dieser Arbeit zusammengetragenen Ergebnisse nicht die Meinungen

des Autors widerspiegelten, dies ist durchaus der Fall. Max Weber bietet aber mit

seinem fragmentarischen, teilweise widersprüchlichen und vor allem zum Nachdenken

über das politische Handeln anregenden Werk, eine Reibungsfläche für die eigenen

Einstellungen, die somit immer wieder aufs Neue auf die Probe gestellt werden.

Der Titel der vorliegenden Arbeit ist bewusst sehr weit gefasst. „Max Webers

Liberalismus“ ist somit gleichsam eine These, die es auf den kommenden 90 Seiten

nicht abschließend zu erläutern gilt. Vielmehr wird hier ein kleiner Spalt geöffnet um

einen Blick auf die politische Philosophie hinter Max Webers Werk zu werfen.

Hoffentlich kann die vorliegende Arbeit diesem Anspruch gerecht werden.

Haan, Oktober 2008

Page 6: Max Webers Liberalismus

VI

Inhalt

VORWORT ........................................................................................................................ IV

I. EINLEITUNG ................................................................................................................ 10

1. Zur Motivation 13

2. Die zentrale Fragestellung 13

3. Zum Aufbau 13

4. Das politische Werk Max Webers – Eingrenzung der betrachteten Schriften 16

II. DEFINITORISCHE ANNÄHERUNG AN DEN LIBERALISMUSBEGRIFF ..... 19

1. Drei Sphären der Betrachtung ................................................................................................................. 19

1.1 Die praktisch-theoretische Sphäre 19

1.2 Die personalisiert-allgemeine Sphäre 20

1.3 Die politisch-ökonomische Sphäre 20

2. Der Liberalismus nach Lothar Gall ......................................................................................................... 22

3. Der politische Liberalismus nach John Rawls ........................................................................................ 27

4. Liberale Kernelemente .............................................................................................................................. 32

4.1Freiheit 32

4.2 Isonomie 32

4.3 Individualismus 33

4.4 Vernunft 33

4.5 Verantwortung 33

III. MAX WEBER UND DIE POLITISCHE WISSENSCHAFT ................................. 34

1. Die Probleme zwischen Max Weber und der normativen Politischen Wissenschaft ........................... 34

2. Die Werturteilsfreiheit .............................................................................................................................. 40

2.1 Unterschiedliche Dimensionen des Werturteilstreits 40

2.2 Kernaussagen der Werturteilsfreiheit 43

2.3 Die zwei Seiten des Weberschen Werkes 45

3. Über die Notwendigkeit der normativen Politischen Wissenschaft ...................................................... 48

Page 7: Max Webers Liberalismus

VII

IV. MAX WEBERS LIBERALISMUS IN DER REZEPTION SEINER

INTERPRETEN ................................................................................................................ 50

1. Karl Jaspers – Philosophie und Bewunderung ....................................................................................... 50

1.1 Max Weber der Politiker 51

1.2 Max Weber der Philosoph 54

1.2.1 Vernunft und Freiheit 54

1.2.2 Das fragmentarische Werk 55

1.2.3 Überzeitliche Werte 56

1.3 Der Wert der Jasperschen Betrachtungen 57

2. Wolfgang Mommsen – Liberalismus und Nationalismus ...................................................................... 59

2.1 Liberale Kernelemente in historischer Perspektive 59

2.2 Politisches jenseits des Liberalismus: Webers Nationalismus 62

2.3 Mommsen Beitrag 64

3. Wilhelm Hennis – Kritische Distanz und Liberalismus ......................................................................... 65

3.1 Hennis Methode 65

3.2 Webers Liberalismus bei Wilhelm Hennis 67

3.3 Kritik an Hennis Ausführungen 69

V. MAX WEBERS POLITISCHE SCHRIFTEN .......................................................... 71

1. Die akademische Antrittsrede als Initialzündung des politischen Denkens Max Webers................... 71

1.1 Die Nation als oberster Wert 72

1.2 Nationalismus und Sozialdarwinismus 75

1.3 Glaube an die Zeit und Eudämonismus 77

2. Max Weber über das Bürgertum und die Arbeiterschaft ...................................................................... 79

2.1 Max Weber und das Bürgertum 79

2.2 Weber über die Unfähigkeit des deutschen Bürgertums 80

2.3 Weber über die Arbeiterschaft 82

3. Max Weber und die Demokratie als Technik ......................................................................................... 84

3.1 Demokratie als Technik 85

3.2 Die plebiszitäre Führerdemokratie 86

3.3 Liberale Demokratie oder autoritäre Führerherrschaft? 88

Page 8: Max Webers Liberalismus

VIII

VI. WEITERE ASPEKTE DES WEBERSCHEN LIBERALISMUS .......................... 90

1. Die Verantwortungsethik .......................................................................................................................... 90

2. Naturrecht und Menschenrechte ............................................................................................................. 91

3. Charisma und Bürokratie ......................................................................................................................... 92

VII. SCHLUSSBETRACHTUNG .................................................................................... 93

1. Max Webers Werte.................................................................................................................................... 93

2. Webers „liberaler Antidogmatismus“ ..................................................................................................... 94

3. Max Weber und die Herrschaft ............................................................................................................... 95

4. Max Webers Aktualität ............................................................................................................................. 96

LITERATURVERZEICHNIS ......................................................................................... 98

Page 9: Max Webers Liberalismus

9

Page 10: Max Webers Liberalismus

10

I. Einleitung

Bei der Betrachtung der beiden zentralen Gegenstände dieser Arbeit, Max Weber auf

der einen und dem Liberalismus auf der anderen Seite, drängt sich die Frage auf, ob im

21. Jahrhundert noch immer nicht alle Fragen zu diesen Themen beantwortet sind.

Lohnt sich eine Beschäftigung mit einem vor beinahe neunzig Jahren verstorbenen

Soziologen und einer durch die Verfassungsrealität der westlichen Welt zur Praxis

gewordenen politischen Philosophie überhaupt noch? Ja, sie lohnt sich, denn die

Kulturprobleme, die Webers Denken durchziehen, haben sich heute noch nicht erledigt

und eine genaue Betrachtung des Liberalismus hat einen deutlichen Mehrwert für

unsere heutige Sichtweise auf die gesellschaftlichen Strukturen, die uns umgeben, zu

bieten.1

Dieser Mehrwert besteht in erster Linie in der Unterstützung der Reflexion unserer

Lebenswirklichkeit. Sowohl Max Weber, als auch der Liberalismus, können uns Ideen

und Konzepte vermitteln, die ein wohlgeordnetes Zusammenleben in einer

freiheitlichen Gesellschaft begünstigen. In einer Zeit, in der große philosophische

Entwürfe Mangelware sind und das geistige Leben sich in immer detaillierteren

Spezialisierungen zu verlieren scheint, kommt das Hinterfragen unseres

Gesellschaftsentwurfes oftmals zu kurz. Unter welchen Bedingungen kann unsere

liberale, demokratische Ordnung dauerhaft bestehen und welche Mechanismen wirken

diesem Bestehen entgegen? In diesen Kernfragen verbindet sich das politische Denken

Max Webers mit dem Liberalismus und bildet somit den Rahmen für diese Arbeit.

Betrachtet man die Fülle an Texten, die Max Weber verfasst hat und stellt man die

Bandbreite an politischen Ideen, welche der Begriff Liberalismus evoziert, daneben, so

wird unmittelbar deutlich, dass die vorliegende Arbeit nur ausschnitthaften Charakter

haben kann. Sowohl der Liberalismusbegriff als auch die hier untersuchten Teile des

Weberschen Werkes sind also genauestens zu benennen, um einer Beliebigkeit der

Betrachtung vorzubeugen.

Mit Max Weber und dem Liberalismus liegen dieser Arbeit zwei sehr unterschiedlich

rezipierte Topoi zugrunde. So weicht die Intensität mit der sich an deutschen

1 Vgl. Weiß, Johannes: „Zur Einführung“, in: Weiß, Johannes (Hrsg.): „Max Weber heute – Erträge und

Probleme der Forschung“, Frankfurt am Main 1989 (im Folgenden zitiert als Weiß: „Max Weber“), S. 9.

Page 11: Max Webers Liberalismus

11

Universitäten, Stiftungen und sonstigen Einrichtungen der Wissenschaft mit diesen

beiden Themen auseinandergesetzt wird, sehr deutlich voneinander ab.

Auf der einen Seite steht Max Weber, dessen Denken beinahe neunzig Jahre nach

seinem Tod noch immer einen sozialwissenschaftlichen Diskurs befeuert, welcher in der

Quantität seines wissenschaftlichen Outputs seinesgleichen sucht. Wenn allein die

englischsprachigen Weber-Publikationen die Zahl von fast 5000 erreicht,2 muss man

sich der Aussage: „Niemand ist mehr in der Lage, die Weber-Literatur zu überblicken“3

anschließen.

Die Gründe für diese wahre Weber-Industrie sind vielschichtig.4 Sicherlich kann man

„die generelle Interdisziplinarität seines [Webers] Ansatzes“5 hervorheben oder darauf

verweisen, dass die Auseinandersetzung mit Weber der Soziologie über die

Ländergrenzen hinweg eine gemeinsame Identität verschafft.6 Ein weiterer Grund kann

sich auch in dem von Karl Jaspers betonten Fragmentcharakter7 verbergen, der Webers

Werk seiner Meinung nach kennzeichnet und der den Interpretationsspielraum erheblich

vergrößert. Ebenso ist mit Friedrich Tenbruck zu vermerken, dass kein anderer

Soziologe einer so umfassenden Biographisierung ausgesetzt war und ist.8

Auffallend ist, dass ein Großteil der Literatur über Max Weber einen soziologischen

oder historischen Hintergrund hat, während sich die Politische Wissenschaft in der

Rezeption des Weberschen Denkens zurückzuhalten scheint.9 Ausdrücklich wird diese

Arbeit einen politikwissenschaftlichen Blick auf den Liberalismus Webers werfen und

2 Vgl. Borchardt, Knut: „Einleitung“, in: Ay, Borchardt (Hrsg.): „Das Faszinosum Max Weber – Die

Geschichte seiner Geltung“, Konstanz 2006, S. 7.

3 Vahland, Joachim: „Max Webers entzauberte Welt“, Würzburg 2001 (im Folgenden zitiert als Vahland:

„Max Weber“), S. 12.

4 Vgl. Käsler, Dirk: „Max Weber – Eine Einführung in Leben, Werk und Wirkung“, Frankfurt am Main,

2003 (im Folgenden zitiert als Käsler: „Max Weber“), S. 9.

5 Albert, Bienfait, Sigmund, Wendt: „Das Weber-Paradigma. Eine Einleitung“, in: Albert, Bienfait,

Sigmund, Wendt (Hrsg.): „Das Weber-Paradigma – Studien zur Weiterentwicklung von Max Webers

Forschungsprogramm“, Tübingen 2003, S. 1.

6 Vgl. Käsler, „Max Weber“, S. 7.

7 Vgl. Abschnitt IV, Kapitel 1.

8 Vgl. Tenbruck, Friedrich: „Das Werk Max Webers“, in: Tenbruck, Friedrich: „Das Werk Max Webers –

Gesammelte Aufsätze zu Max Weber“, hrsg. von Harald Homann, Tübingen 1999, S. 59-98, S.62.

9 Vgl. Hübinger, Osterhammel, Welz: „Max Weber und die wissenschaftliche Politik nach 1945. Aspekte

einer theoriegeschichtlichen Nicht-Rezeption“, in: Zeitschrift für Politik Nr. 37, München 1990 (im

Folgenden zitiert als Hübinger (u. a.): „Weber und wissenschaftliche Politik“), S. 181-204, S.181.

Page 12: Max Webers Liberalismus

12

versuchen, die Beweggründe und Probleme, die sich aus dieser Stellungnahme ergeben,

zu erläutern.

Zu diesem Zweck sei hier vermerkt, dass für diese Arbeit jegliche Psychologisierung

des Weberschen Werkes abgelehnt wird. Eine nachträgliche Rekonstruktion des

Menschen Max Weber ist weder Ziel dieser Arbeit, noch sollte sie Ziel einer

politikwissenschaftlichen Arbeit im Allgemeinen sein. Alle Zuweisungen, Urteile und

Meinungen in dieser Arbeit beziehen sich lediglich auf das überlieferte Denken Webers;

die „Person“ Max Weber ist somit nicht Gegenstand dieser Arbeit. Dennoch sollen

persönliche Urteile Webers untersucht werden, um seinen Liberalismus

herauszuarbeiten. Hierbei handelt es sich jedoch um politische Urteile, die zwar

persönlicher Natur sind und von Weber auch als dezidiert subjektive Wertvorstellungen

charakterisiert werden; die persönlichen, psychologischen Motivationen für diese Werte

sollen aber außen vor gelassen werden. Die Psyche und die Biographie eines Autors

sind für politisch-philosophische Erörterungen nur von untergeordneter Wichtigkeit.

Deutungen, welche in diese Richtung zielen, haben ihren Mehrwert vor allem für die

Geschichts- und Literaturwissenschaften, denn an den zentralen politischen Aussagen

der Texte Webers ändert ein Verständnis seiner Motivationen und Befindlichkeiten

wenig bis nichts. Der Terminus Max Weber steht hier also für ein abstrakt gedachtes

System politischen Denkens.

Dem gegenüber steht mit dem Liberalismus eine politische Denkrichtung, die zwar

zum theoretischen Allgemeingut zählt, welche allerdings seltener Gegenstand einer

umfassenden wissenschaftlichen Betrachtung ist. So ist die Deutung des

Liberalismusbegriffs heute einigermaßen diffus.10

Die Interpretation dieses politischen

Grundbegriffs beschränkt sich oft auf eine Darstellung der historischen Entwicklungen

der modernen Staats- und Demokratietheorien des 19. Jahrhunderts.

Diese Arbeit haben zu einem großen Teil Historiker, allen voran der Frankfurter

Emeritus Lothar Gall übernommen.11

Gall ist es auch, der folgerichtig feststellt, dass

Versuche den Liberalismus als „Gesamtphänomen“ zu beschreiben und theoretisch

10

Vgl. Schiller, Theo „Liberalismus”, in: Nohlen, Dieter (Hrsg.): „Kleines Lexikon der Politik”,

München 2002, (im Folgenden Schiller: „Liberalismus“). S.277-282.

11 Vgl. Gall, Lothar (Hrsg.): „Liberalismus“, Königstein 1985 (im Folgenden Gall: „Liberalismus“).

Dieser grundlegende Sammelband ist als Standardwerk zum Liberalismus anerkannt und wird im Verlauf

dieser Arbeit noch eine gewichtige Rolle spielen. Zur vertiefenden Beschäftigung mit dem Liberalismus

siehe: Gall, Koch (Hrsg.): „Der europäische Liberalismus im 19. Jahrhundert. Texte zu seiner

Entwicklung“, 4 Bände, Frankfurt am Main 1981.

Page 13: Max Webers Liberalismus

13

aufzuarbeiten „bisher kaum unternommen und jedenfalls nicht hinreichend breit

diskutiert worden sind.“12

Will man sich aber mit dem Liberalismus als politischer

Philosophie befassen, so kommt man nicht umhin eine zumindest rudimentäre

Definition der liberalen Leitmotive zu liefern.

1. Zur Motivation

Anstoß für die Beschäftigung mit den beiden Leitthemen dieser Arbeit gab ein Text,

der in der politikwissenschaftlichen Weber-Forschung zu den Zentralen zu zählen ist:

„Max Webers Fragestellung“13

. Wilhelm Hennis untersucht hier Max Webers

Liberalismus, indem er liberale Kriterien aufstellt und anhand dieser Webers Werk auf

seinen „eigentümlichen Liberalismus“14

hin untersucht. Dieser Methode wird sich auch

die vorliegende Arbeit, in leicht veränderter Weise annehmen. Hennis folgend soll die

Zuordnung Webers zum Liberalismus vorausgesetzt und unbestritten bleiben.15

Im

Gegensatz zu Hennis soll der definitorischen Eingrenzung sowohl des Liberalismus als

auch der betrachteten Teile von Webers Werk mehr Raum geboten werden. Die drei

liberalen Kerngedanken, welche Hennis aufstellt,16

weichen, wie die nächsten Kapitel

zeigen werden, von den hier zugrunde gelegten liberalen Leitmotiven ab.

2. Die zentrale Fragestellung

Ziel der vorliegenden Arbeit mit dem Titel „Max Webers Liberalismus“ soll es sein,

die Verbindungen zwischen Max Webers Werk und dem Liberalismus, als politischer

Philosophie unter normativ-ontologischen Gesichtspunkten aufzuzeigen und so einen

klassischen, politisch-philosophischen Blickwinkel zu eröffnen. Die Zugehörigkeit

Webers zum Liberalismus voraussetzend, soll über diesen Weg ein Beitrag zum tieferen

Verständnis unserer liberalen Gesellschaftsordnung und der politischen Philosophie

hinter Max Webers Werk geleistet werden.

3. Zum Aufbau

In einem ersten Teil der Arbeit werden die der Betrachtung zugrunde liegenden

Begriffe definiert. Vor allem soll der Bestimmung des Liberalismusbegriffs einiger

Raum geboten werden. Gerade bei der Beschäftigung mit dem Liberalismus ist es von

12

Gall: „Liberalismus“, S. 9.

13 Hennis, Wilhelm: „Max Webers Fragestellung“, Tübingen 1987 (im Folgenden zitiert als Hennis:

„Fragestellung“).

14 Hennis: „Fragestellung“, S. 231.

15 Hennis: „Fragestellung“, S. 197.

16 Hennis: „Fragestellung“, S. 198f.

Page 14: Max Webers Liberalismus

14

Nöten, die um diesen schillernden Terminus entstandenen Begriffsverwirrungen

aufzulösen. Auch wenn Lothar Gall der Ansicht ist, der Begriff Liberalismus sei rein

deskriptiv-phänomenologisch nicht mehr zu fassen,17

so wird hier dennoch der Versuch

unternommen, sich dem Wesen dieser politischen Philosophie anzunähern. Die

Annäherung geschieht in drei Schritten:

In einem ersten Schritt wird versucht die unterschiedlichen Sichtweisen auf den

Liberalismus anhand dreier Sphären der Betrachtung darzustellen. Bei einem so

umfangreichen Gedankengebäude, das der Liberalismus darstellt, muss man sich über

den eigenen Blickwinkel im Klaren sein; diese Problematik wird hier kurz thematisiert

werden.

Anschließend werden mit Lothar Gall18

und John Rawls zwei vollkommen

unterschiedliche Auslegungen des Liberalismus, gewissermaßen zwei Liberalismen,

vorgestellt. Mit Gall wird ein Blick auf die Ursprünge des Liberalismus im 18. und 19.

Jahrhundert geworfen. Welche politischen Elemente sind zentral und untrennbar mit

dem Liberalismus verbunden? Und gibt es unterschiedliche Vorstellungen von dem,

was als liberal zu gelten hat? Geleitet von diesen Fragen soll ein Blick auf die von

Lothar Gall zusammengestellten Texte geworfen werden.

Auch für die Beschäftigung mit dem politischen Liberalismus nach John Rawls sind

diese Fragen wichtig. Wie antwortet das 20. Jahrhundert in Gestalt des

Philosophieprofessors aus Harvard auf die Probleme der modernen liberalen

Gesellschaft? Die Wahl gerade dieser beiden Liberalismusdefinitionen ist sicher sehr

selektiv und man könnte sich auch auf andere Weise dem Phänomen nähern. So wäre

beispielsweise auch eine Betrachtung der für den Liberalismus essentiellen Schriften

der Philosophen der Aufklärung, ebenso lohnend wie eine Auseinandersetzung mit den

Kritikern liberalen Denkens. In Bezugnahme auf Max Weber wäre es auch interessant,

sich die zu seinen Lebzeiten vorherrschende Anschauung des Liberalismus,

beispielsweise in Form von August Mieses oder Friedrich August von Hayek zu

besehen. Dieser Schritt wird jedoch im Hinblick auf die Aktualität nicht unternommen.

Die Selektivität der Betrachtung liegt hier im Rahmen dieser Arbeit begründet. Die

Definitionen des Liberalismusbegriffs nach Lothar Gall und John Rawls bilden also im

Großen und Ganzen die Grundlage für die in einem vierten Schritt aufgestellten

Kernthesen des Liberalismus. Diese Kernthesen sollen dann für die weitere Betrachtung

den der Arbeit zugrunde liegenden Liberalismusbegriff definieren.

17

Vgl. Gall: „Liberalismus“, S.9.

Page 15: Max Webers Liberalismus

15

Im Anschluss daran wird ein weiterer Komplex eröffnet, welcher teilweise der

Definition von Grundbegriffen dient, darüber hinaus jedoch der zentralen Fragestellung

bereits inhaltlich begegnet: Max Weber und die Politische Wissenschaft. Dieses Kapitel

widmet sich dem Spannungsverhältnis zwischen Weber und der Politischen

Wissenschaft in Deutschland. Die Gründe für die komplizierte Beziehung zwischen

Weber und der Politischen Wissenschaft sind wissenschaftstheoretischer Natur und

sollen in diesem Kapitel Gegenstand der Betrachtung sein. Hier wird es um die Frage

des vermeintlichen Widerspruchs zwischen dem Postulat der Wertfreiheit, welches Max

Weber für die Sozialwissenschaft fordert, und einer normativ verstandenen Politischen

Wissenschaft gehen. Inwieweit kann man mit Weber dieser wertebezogenen

Interpretation der Politischen Wissenschaft entgegentreten und inwieweit ist dies eines

der populärwissenschaftlichen Missverständnisse, die Webers Werk begleiten.

Der dritte inhaltliche Teil stellt exemplarisch drei Weberinterpreten, die sich mit Max

Webers Liberalismus befasst haben, in den Mittelpunkt. Karl Jaspers, Wolfgang

Mommsen und Wilhelm Hennis gehören zu den zentralen Interpreten, die vor allem für

die politische Wissenschaft wichtige Erkenntnisse gewonnen haben. Auch hier könnte

man die Reihe problemlos um weitere wichtige Wissenschaftler, so etwa Friedrich

Tenbruck, Wolfgang Schluchter oder Dirk Käsler und ihre Auslegungen erweitern.

Dennoch haben diese alle einen explizit soziologischen Hintergrund, der bei der Suche

nach der politischen Philosophie des Weberschen Liberalismus zwar detaillierte

Hinweise geben kann, im Ganzen betrachtet aber ein anderes wissenschaftliches Ziel

hat.

Diese Suche nach Max Webers Liberalismus wird im Folgenden in seinen politischen

Schriften fortgesetzt. Hier tritt Webers politische Einstellung teilweise sehr offen zu

Tage, so dass die politischen Schriften ein lohnender Ort für die Suche nach Webers

Liberalismus sein könnte. Max Webers Gedanken werden hier unter den

Gesichtspunkten der Akademischen Antrittsrede, seiner Beziehung zum Bürgertum und

seiner Einstellung zur Demokratie, mit den vorab definierten liberalen Kernelementen

in Verbindung gebracht und auf ihre Liberalität hin untersucht. Es ist offensichtlich,

dass hier nicht schablonenhaft vorgegangen werden kann und die Ergebnisse kein

schwarz-weißes Bild ergeben werden.

18

Bzw. mit den Autoren, die in Lothar Galls Sammelband „Liberalismus“ zu Wort kommen.

Page 16: Max Webers Liberalismus

16

In einer notwendig verkürzten Darstellung, werden in einem allerletzten Schritt

weitere Aspekte des Weberschen Liberalismus angeschnitten, die hier nicht mehr

tiefgehend behandelt werden können.

4. Das politische Werk Max Webers – Eingrenzung der betrachteten Schriften

Das Werk Max Webers gehört in seiner Fülle und seiner Bandbreite zu den

herausragenden Hinterlassenschaften der Sozialwissenschaften. Für die vorliegende

Arbeit ist es deshalb strengstens geboten eine Auswahl zu treffen und die betrachteten

Teile des Werkes zu benennen. Dies ist dringend von Nöten, da sonst eine Fokussierung

auf den Liberalismus Webers nicht möglich ist.

Wie Wilhelm Hennis ganz richtig bemerkt, hat das Werk Max Webers einen höchst

seltsamen Charakter.19

Seltsam deshalb, da Weber, für einen Akademiker eher

untypisch, Zeit seines Lebens lediglich zwei abgeschlossene Schriften als Bücher

veröffentlicht hat, nämlich seine Dissertation und seine Habilitationsschrift. Die

weiteren Texte Webers, die uns heute in der Edition der Max-Weber-Gesamtausgabe

zur Verfügung stehen, wurden erst posthum in einen Zusammenhang gesetzt und so

erneut publiziert.

Als Hauptwerk Webers gilt bis heute „Wirtschaft und Gesellschaft“, auch wenn

Friedrich Tenbruck bereits 1977 berechtigte Zweifel an der Einheit dieses nach Webers

Tod nur als Fragment vorhandenen und erst von Marianne Weber, dann von Johannes

Winckelmann veröffentlichten, opus summum hegte.20

Das Mammutprojekt der Max-

Weber-Gesamtausgabe, welches sich seit über 30 Jahren der Edition des Weberschen

Werkes, samt seiner Briefe und Vorlesungen, widmet hat sich dieser Kritik

angenommen und publiziert „Wirtschaft und Gesellschaft“ nunmehr nicht als ein

abgeschlossenes Werk, sondern unterteilt es in fünf Teilbände. Somit wird der

19

Vgl. Hennis: „Fragestellung“, S. 8.

20 Ursprünglich als „Grundriss der Sozialökonomik. III. Abteilung. Wirtschaft und Gesellschaft“,

bearbeitet von Max Weber. Tübingen 1921/22; 2. Aufl. 1925 (mit Anhang „Die rationalen und

soziologischen Grundlagen der Musik“), hrsg. von Marianne Weber; 3. Aufl. 1947 (unveränderter

Nachdruck der 2. Aufl.); 4. Aufl. 1956, neu hrsg. und erweitert von J. Winckelmann; 5. Aufl. 1972, hrsg.

und revidiert von Winckelmann als „Wirtschaft und Gesellschaft - Grundriss der verstehenden

Soziologie“; Vgl. Friedrich Tenbruck: „Abschied von Wirtschaft und Gesellschaft“, in: Tenbruck,

Friedrich: „Das Werk Max Webers – Gesammelte Aufsätze zu Max Weber“, Herausgegeben von Harald

Homann, Tübingen 1999, S.123-156. Tenbruck kritisiert in diesem Text die Umstände der Edition des

Weberschen Nachlasses; Vgl. auch: Winckelmann, Johannes: „Max Webers hinterlassenes Hauptwerk –

Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Entstehung und gedanklicher Aufbau“,

Tübingen 1986.

Page 17: Max Webers Liberalismus

17

textlichen Fiktion ein Ende gesetzt.21

Diese Unterteilung in die fünf Teilbände:

„Gemeinschaften“, „religiöse Gemeinschaften“, „Recht“, „Herrschaft“ und „Die Stadt“,

erleichtert die Fokussierung auf Teilbereiche des Weberschen Denkens.

Um Webers Liberalismus aufzudecken muss man in seinem Werk nach

Anhaltspunkten forschen, die Aussagen zu den in dieser Arbeit aufgestellten liberalen

Kernelementen enthalten. Hier bieten sich zunächst die Teilbände „Recht“ und

„Herrschaft“ an, die in einem engeren Sinne als die politischen Teile des Fragments

„Wirtschaft und Gesellschaft“ zu bezeichnen sind.

Des Weiteren wird sich diese Arbeit an den politischen Schriften und Reden Webers

orientieren, die in der Potsdamer Internet Ausgabe unter dem Titel „Gesammelte

Politische Schriften“ zusammengetragen wurden. Diese Zusammenstellung beinhaltet

eine Reihe von Texten, die Webers politisches Denken anhand von tagespolitischen

aber auch teils programmatischen Aufsätzen widerspiegeln. Sie orientiert sich an der so

genannten Marianne-Ausgabe der 1920er Jahre, in welcher Marianne Weber die

Schriften ihres Mannes posthum gesammelt publizierte.22

Bei der Betrachtung von Webers Liberalismus ausgespart bleiben sämtlich seine

Schriften zur Religionssoziologie, sowie Webers Soziologische Kategorienlehre. Zwar

ist es gerade die Kategorienlehre, die einen so immens wichtigen Beitrag für die

Soziologie geliefert hat, für ein tieferes Verständnis des Weberschen Liberalismus steht

sie aber nicht im Vordergrund. Wichtig für die Beziehung zwischen Weber und der

Politischen Wissenschaft sind des Weiteren seine wissenschaftstheoretischen Schriften,

die unter dem Titel „Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre“ erschienen sind.

Auch die „Gesammelten Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik“ beinhalten

teilweise Hilfreiches, um den Weberschen Liberalismus zu charakterisieren.

Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen aber definitiv die politischen Schriften Webers, da

hier die politischen Wertvorstellungen Max Webers am unverblümtesten zum

Vorschein kommen. Sie sind die erste Quelle für Webers politische Ansichten und

letztlich auch für seine Ideale. Nach Karl Jaspers ist der Inhalt dieser, meist auf die

21

Käsler, Dirk: „Eine Konstruktion wird dekonstruiert – Max Webers ‚Wirtschaft und Gesellschaft’

zerfällt in Einzelteile“, zitiert nach:

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=9356&ausgabe=200604 (Stand 14.07.2008).

22 Die „Gesammelten Politischen Schriften“, im Folgenden GPS, die „Gesammelten Aufsätze zur

Wissenschaftslehre“, im Folgenden GAWL, sowie die „Gesammelten Aufsätze zur Soziologie und

Sozialpolitik“, im Folgenden GASS, sind sämtlich der Potsdamer Internet Ausgabe (PIA) entnommen.

Vgl.: http://www.uni-potsdam.de/u/paed/pia/index.htm (Stand 09.10.2008).

Page 18: Max Webers Liberalismus

18

Tagespolitik bezogenen Schriften, dass „was ihm [Max Weber] zwar ganz auf den

Augenblick gerichtet ist, aber Lehre für immer bleibt.“23

23

Jasper: „Max Weber“, S. 59.

Page 19: Max Webers Liberalismus

19

II. Definitorische Annäherung an den Liberalismusbegriff

Wie in der vorangegangenen Einführung in die Fragestellung bereits kurz

beschrieben, ist die Definition des Liberalismusbegriffs mit einigen Schwierigkeiten

verbunden. Diese Schwierigkeiten gründen vor allem in der Vielschichtigkeit der

Konnotationen des Ausdrucks Liberalismus. Beinahe jeder, der diesen politischen

Ausdruck hört, sieht eine andere Kette von Bedeutungen vor seinem geistigen Auge

vorbeiziehen. In einem ersten Schritt muss also diese Vielschichtigkeit aufgeschlüsselt

werden, um sich dem Liberalismusbegriff zu nähern.

Grundsätzlich kann man die Erforschung des Liberalismusbegriffs in drei Sphären24

der Betrachtung unterteilen, die immer wieder auftauchen und deren Vermischung zu

einem großen Teil die Konfusion um den Liberalismus anheizt.

1. Drei Sphären der Betrachtung

1.1 Die praktisch-theoretische Sphäre

Diese erste Sphäre ist vielleicht die wichtigste in der Beurteilung des Liberalismus. Es

gilt nämlich zu unterscheiden zwischen der politischen Realität, vor allem des 18. und

19. Jahrhunderts25

, deren politische Ereignisse oftmals mit dem Terminus Liberalismus

umschrieben werden und der theoretischen, politisch-philosophischen Dimension des

24

Unter Sphären verstehe ich hier Bedeutungszusammenhänge, die als ein abgeschlossener Rahmen für

eine jeweilige Betrachtung des Liberalismus als Begriff zu gelten haben. Sicherlich sind die hier

genannten drei Sphären keine absolut abgeschlossene Aufzählung der Liberalismusdimensionen.

Dennoch können sie die wissenschaftliche Auseinandersetzung deutlicher eingrenzen und somit einer

Beliebigkeit der Betrachtung vorbeugen.

25 So auch Lothar Gall, der seine Definition des Liberalismusbegriffs beginnt mit: „Unter Liberalismus

verstehe ich in diesem Sinne hier in erster Linie, bezogen auf die westlichen und mittleren Teile

Kontinentaleuropas, jene politische Richtung, die sich aus der sogenannten Verfassungsbewegung des

späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts entwickelte.“ Gall, Lothar: „Liberalismus und ‚bürgerliche

Gesellschaft’ – Zu Charakter und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland“, in: Gall:

„Liberalismus“, S. 162.

Page 20: Max Webers Liberalismus

20

Liberalismus. Erstere, die praktische Betrachtung, hat eindeutig einen deskriptiven

Charakter.

Auch wenn Lothar Gall anmerkt, dass sich die modernen „Ismen“ einer reinen

Deskription entzögen, weil diese immer auch eine theoretische Definition impliziere,26

so ist es dennoch evident, dass hier unterschieden werden muss. Dieser Unterschied

liegt in der Intention. Im praktischen Ansatz wird versucht ideengeschichtlich die

historischen Umstände und Gegebenheiten einer politischen Denkrichtung darzulegen.

Vielfach wird sich dabei auf einen bestimmten Liberalismus in einer umgrenzten

Zeitspanne an einem begrenzten Ort beschränkt. Im theoretischen Ansatz hingegen wird

versucht, allgemeine, philosophische Grundgedanken des Liberalismus abstrakt zu

charakterisieren.

Dieser Vorgehensweise folgt John Rawls, indem er in seiner Arbeit den Liberalismus

versucht politisch-philosophisch und somit losgelöst von historischen Ereignissen zu

denken. Die Interdependenz beider Sphären ist nicht von der Hand zu weisen, auf die

Unterschiede sei jedoch verwiesen. Diese Sphäre erstreckt sich also zwischen Theorie

und Praxis.

1.2 Die personalisiert-allgemeine Sphäre

Die Grundlage des Liberalismus bildet eine Reihe von Schriften politischer und

philosophischer Denker, die lang genug ist, um den Rahmen dieser Arbeit zu

sprengen.27

Nennt man diese Namen, beziehungsweise die maßgeblichen Texte, und

verweist auf sie, im Zuge einer Definition des Liberalismusbegriffs, so personalisiert

man diesen.28

Der Bezugsrahmen verengt sich folglich und spitzt sich auf eine ganz

bestimmte und spezielle Form des Liberalismus zu. Der Gegensatz hierzu kann nur eine

allgemeine Betrachtung sein, welche zwar die von bestimmten Denkern aufgestellten

Kriterien einbezieht, diese jedoch nicht an den Personen festmacht, sondern sie

abstrahiert und theoretisch zum Allgemeingut erhebt.

1.3 Die politisch-ökonomische Sphäre

26

Gall: „Liberalismus“, S. 9.

27 Ich verweise hier wiederum auf die von Gall und Koch zusammengestellte Textsammlung (Fn. 11),

welche die bedeutendsten Texte, die zur Konstituierung des Liberalismus als Denkrichtung beigetragen

haben, zusammenstellt.

28 Vgl. Knoll, Joachim H.: „Liberalismus“, in: Schoeps, Knoll, Bärsch (Hrsg.): „Konservatismus,

Liberalismus, Sozialismus – Einführung/Texte/Bibliographien“, München 1981 (im Folgenden zitiert als

Knoll (u. a.): „Liberalismus, Konservatismus, Sozialismus“), S. 88.

Page 21: Max Webers Liberalismus

21

Die Idee des Liberalismus ist beinahe nicht ohne den Kapitalismus als vorherrschende

Wirtschaftsform zu denken. Heute wird der Begriff des Liberalismus in erster Linie mit

neo- und marktliberalen Gedanken in Verbindung gebracht.29

Die politische Dimension

des Liberalismus mit den politisch-philosophischen Kernelementen, die das

gesellschaftliche Zusammenleben thematisieren, tritt häufig in den Hintergrund.

Natürlich lassen die Kernelemente des politischen Liberalismus eine konsequent nicht-

kapitalistische Wirtschaft beinahe nicht zu, dennoch kann und muss man sich die

politische Dimension beizeiten isoliert von ökonomischen Gegebenheiten besehen

können. Ebenso ist der ökonomische Liberalismus als eigenständiges System

anzusehen, welches freilich nicht ohne den politischen Liberalismus existieren kann.

Die Nennung dieser drei Sphären soll deutlich machen, wie unterschiedlich die

Herangehensweise an den Liberalismusbegriff vonstatten gehen kann. Auch wenn

beinahe alle Autoren, die in dieser Arbeit zur Definition des Begriffs Liberalismus

herangezogen wurden, darauf verweisen, dass diese definitorische Arbeit noch nicht

geleistet wurde,30

nur schwer zu leisten31

oder gar, dass die Relevanz des Liberalismus

für das 21. Jahrhundert diffus und umstritten ist,32

so ist es dennoch einen Versuch wert,

in Fortführung der soeben genannten Sphären, eine theoretisch-politisch-allgemeine

Definition des Liberalismus aufzustellen.

Betrachtet werden aber nun zunächst zwei vollkommen unterschiedliche

Begriffsbestimmungen des Liberalismus: Der praktische, gewissermaßen real

existierende Liberalismus nach Lothar Gall33

und die abstrakte, persönliche Konzeption

29

Schon bei dieser Aussage wird wieder die Ortsbezogenheit des Begriffes Liberalismus deutlich. Diese

Aussage ist nur aus einem europäischen Kontext heraus zu bejahen. In den USA beispielsweise stehen die

Gedanken der „liberals“ für eine links-liberale Politik. Dieses Beispiel zeigt die Verwirrungen, die eine

Beschäftigung mit dem Liberalismus mit sich bringt. In dieser Arbeit wird der Fokus, um dies erneut

deutlich zu machen, auf die Kernelemente liberalen Denkens gelegt, die alle unterschiedlichen

Liberalismen verbinden. Der Liberalismus taucht hier also immer als abstrakte politische Philosophie auf.

30 Vgl. Gall, „Liberalismus“, S. 9, S. 162.

31 Vgl. Knoll (u.a.), „Liberalismus, Konservatismus, Sozialismus“, S. 87ff.

32 Vgl. Schiller: „Liberalismus” S.278.

33 Auch wenn Lothar Gall hier „nur“ als Herausgeber fungiert, so werde ich im Folgenden von dem

Liberalismus nach Lothar Gall sprechen. Ich beziehe mich vor allem auf folgende Texte des Bandes:

Schapiro: „Was ist Liberalismus“, S. 20-36; Leontovitsch: „Das Wesen des Liberalismus“, S. 37-53;

Watkins: „Theorie und Praxis des modernen Liberalismus“, S. 54-76; Ashcraft: „Marx und Weber über

den Liberalismus als bürgerliche Ideologie“, S. 77-121; Cesaire: „Der Liberalismus und die Liberalismen.

Versuch einer Synthese“, S. 134-146; Gall: „Liberalismus und ‚bürgerliche Gesellschaft’. Zu Charakter

Page 22: Max Webers Liberalismus

22

des politischen Liberalismus nach John Rawls. Die Entscheidung für diese beiden

Varianten einer Definition des Liberalismus ist sicherlich sehr selektiv. Dennoch lässt

sich gerade anhand dieser beiden Autoren die Bandbreite des Liberalismusbegriffs

verdeutlichen.

Dies liegt an der herausgehobenen Stellung beider Definitionen. Lothar Galls

Textsammlungen gelten in der Auseinandersetzung mit dem Liberalismus als

Standardwerke und eine ernsthafte Beschäftigung ist ohne das Studium dieser Texte

kaum denkbar. Ein weiterer Grund für die Auswahl Lothar Galls ist bereits in dem

Abschnitt über die Motivation zu dieser Arbeit kurz angerissen worden. Auch Wilhelm

Hennis bedient sich an Galls Textsammlung, kommt allerdings in der Aufstellung seiner

liberalen Kernthesen zu einem völlig anderen Ergebnis. Somit ist eine Einbeziehung

Lothar Galls unumgänglich.

John Rawls Konzeption des politischen Liberalismus bildet gewissermaßen einen

Gegenpol zu der von Gall gelieferten Definition. Seine an den frühen

Vertragstheoretikern angelehnte Definition ist persönlich. John Rawls unterbreitet seine

eigene Konzeption des politischen Liberalismus ohne sich der Deskription

verschiedener Liberalismen zu bedienen. Vielmehr versucht er einen Liberalismus

philosophisch neu zu begründen. Zudem spielt seine Aktualität eine Rolle, denn er

bildet als Exponent des späten 20. Jahrhunderts ein Gegengewicht zu den klassisch-

liberalen Gedanken die Lothar Gall zusammengetragen hat.

Die Auswahl der betrachteten Liberalismusdefinitionen hätte beliebig erweitert

werden können. Dennoch können die hier vorgestellten Autoren einen mehr als

vorläufigen Blick auf den Liberalismus liefern.

2. Der Liberalismus nach Lothar Gall

Folgt man dem soeben aufgestellten Modell der unterschiedlichen Sphären der

Betrachtung, so wird man die Liberalismusdefinition, welche sich in dem von Lothar

Gall herausgegebenen Band „Liberalismus“ verbergen, als praktisch und teilweise

personalisiert klassifizieren können. Deutlich wird dies bei Watkins, der feststellt: „Zu

Anfang war der moderne Liberalismus nicht ein Produkt theoretischer Betrachtungen,

und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland“, S. 162-186. Bei folgenden Zitaten unter

Angabe des jeweiligen Autors.

Page 23: Max Webers Liberalismus

23

sondern praktischer Erfahrungen“34

. Ebenso weist Gall in seiner Einleitung darauf hin,

dass der „diffuse Charakter“ des Liberalismus individualistische Interpretationen

hervorruft, welche wiederum eine „starke Einbindung [des Liberalismus] in den

jeweiligen historischen Kontext bedingt.“35

Dies zeigt die geschichtswissenschaftliche

Ausrichtung dieses Deutungsmusters. Doch Gall geht noch weiter. Er erteilt allen

Versuchen einer generellen Definition des Liberalismus eine Absage, indem er sie als

bloße Additionen der einzelnen Liberalismen36

diskreditiert.37

Diese Ansicht kann aus einem politikwissenschaftlichen Blickwinkel nur schwer

akzeptiert werden. Sicherlich gehört die Benennung dessen, was der Liberalismus als

politische Philosophie zu bedeuten hat, zu den schwierigen Aufgaben der Politischen

Wissenschaft und kaum ein Autor, der sich um eine Definition, bemüht kommt ohne

einen Verweis auf diese Schwierigkeiten aus. Doch die Politische Philosophie wäre zu

einem Ende gekommen, könnte sie nicht die Wurzeln unserer demokratischen

Gesellschaft ergründen.

Die Individualität der verschiedenen Liberalismusinterpretationen zeigt sich bereits

bei den unterschiedlichen Wendungen, die für diesen Ismus gewählt werden. Die

Weiteste bietet sicherlich Watkins an, der vom Liberalismus als der „moderne[n]

Verkörperung aller charakteristischen Traditionen der westlichen Politik“38

spricht.

Bezogen auf diese Charakterisierung wird deutlich, was Gall mit der bloßen Addition

der Liberalismen meint. Die von Watkins gewählte Formulierung ist nicht viel mehr als

ein Allgemeinplatz, der uns nicht zu einem tieferen Verständnis des

Liberalismusbegriffs führt. Dennoch bleibt festzuhalten, dass der Liberalismus als

westliches Phänomen zu bezeichnen ist.39

Als eine weitere Gemeinsamkeit der subjektiven Liberalismusdefinitionen müssen

das Freiheitsideal und der Individualismus gesehen werden. Ohne diese beiden

34

Watkins in: „Liberalismus“, S. 57.

35 Gall: „Liberalismus“, S. 9f.

36 Cesaire benutzt diesen Begriff um die unterschiedlichen Ausformungen des Liberalismus zu

charakterisieren. Vgl. Cesaire in: „Liberalismus“, S. 134.

37 Gall: „Liberalismus“, S. 10.

38 Watkins in: „Liberalismus“, S. 54. Zu vermerken ist hier, dass Watkins Text bereits aus dem Jahr 1948

stammt und von einer tiefen Sorge um das Überleben des Liberalismus im Kampf der Systeme nach dem

2. Weltkrieg geprägt ist. Der Liberalismus tritt in Form der konstitutionellen Demokratie, deren einzige

Alternative der Totalitarismus ist, auf. Noch weiter geht Hobhouse, der vom Liberalismus als „ein alles

durchdringendes Element der Lebenstruktur der modernen Welt“ spricht. Zitiert nach Schapiro: S. 20.

39 Vgl. auch Leontovitsch in: „Liberalismus“, S. 37.

Page 24: Max Webers Liberalismus

24

Grundbegriffe kommt keiner der Verfasser aus. Die Verwirklichung größtmöglicher

Freiheit sehen alle Autoren als das verbindende Element aller Liberalismen an. Sie

bildet den roten Faden „durch das Dickicht von Meinungen, Kontroversen und

leidenschaftlichen Aufwallungen“40

, die die Beschäftigung mit dem Liberalismus mit

sich bringt. Leontovitsch formuliert die Verbindung beider Kernelemente sehr klar:

„Die Grundidee des Liberalismus ist die Verwirklichung der Freiheit, der Freiheit des

Individuums.“41

Das Individuum wurde von den Philosophen der Aufklärung ins Zentrum des

Interesses gerückt und ist als Träger der Freiheit der Ausgangspunkt liberaler

Gesellschaftsmodelle. Dabei steht das Individuum stets in Opposition zum Staat. Diese

gegenpolige Struktur führt zwangsläufig zu einer Konzeption von Abwehrrechten, um

die liberale Prämisse des Freiheitsideals zu verwirklichen. Watkins formuliert diesen

Sachverhalt wie folgt:

„Das Ziel der meisten westlichen Denker, war es immer eine Gesellschaft zu

errichten, in der jedes Individuum mit einer auf ein Minimum begrenzten

Abhängigkeit von der willkürlichen Autorität seiner Herrscher […] seinen

eigenen Weg innerhalb eines vorherdefinierten Rahmens legaler Rechte und

Pflichten zu bestimmen.“42

Die „willkürliche Autorität der Herrscher“ ist gewissermaßen ein vorliberales

Moment, dem die moderne Staatskonzeption entgegentritt. So nennt Schapiro den

Liberalismus den „Schöpfer des modernen Staates“, der die „Herrschaft von Menschen“

durch die „Herrschaft von Gesetzen“ 43

austausche. Die Geschichte des Liberalismus ist

also eng mit der Geschichte des modernen Staates verknüpft und die wechselseitigen

Beziehungen sind nicht immer leicht zu entschlüsseln.

Mit der Gleichheit gesellt sich ein weiterer politischer Terminus zu den bereits

genannten Kernelementen. Dieser ist allerdings nicht mit solcher Klarheit, wie die

vorangegangenen, als liberal zu kennzeichnen. In erster Linie ist die Gleichheit, als

Gleichheit vor dem Gesetz, konstitutiver Bestandteil des Liberalismus. Alle

weitergehenden Ansätze, vor allem solche, die ökonomische Gleichheit anstreben, sind

Ausformungen des Liberalismus.44

Jeder Gleichheitsbegriff, der über die Gleichheit vor

40

Cesaire in: „Liberalismus“, S. 140.

41 Leontovitsch, in: „Liberalismus“, S. 37.

42 Watkins in: „Liberalismus“, S. 55.

43 Vgl. Schapiro in: „Liberalismus“, S. 30f.

44 Vgl. Schapiro in: „Liberalismus“, S. 26f. Schapiro weist darauf hin, dass die Sozialisten die liberale

Vorstellung der Gleichheit vor dem Gesetz auf die ökonomische Gleichheit erweiterten. Diese ist

Page 25: Max Webers Liberalismus

25

dem Gesetz hinausgeht, ist also keine notwendige Bedingung für das Vorliegen einer

liberalen Gesellschaft. Allerdings vergrößert sich in der Vorstellung des Liberalismus

die Freiheit eines jeden Gesellschaftsmitglieds mit wachsender Gleichheit.45

Mit den politischen Begriffen der Freiheit, des Individuums, der Abwehrrechte gegen

den Staat und der Gleichheit vor dem Gesetz enden auch schon die Gemeinsamkeiten

der Liberalismusdefinitionen in Galls Sammelband. Jeder Autor reiht noch einige

weitere Elemente hinzu, die jeweils nicht zum allgemeinen Konsens fähig scheinen.

Einige interessante Aspekte seien hier noch genannt:

So stellt Schapiro die antidogmatische Komponente des Liberalismus heraus.46

Wahrheit ist demzufolge immer relativ und nie absolut. Fraglich ist hierbei sicherlich,

ob nicht die liberalen Kernelemente, wie beispielsweise das Freiheitsideal, als Dogma

zu gelten haben. Auch John Rawls macht die antidogmatische, tolerante Komponente

später zu einem zentralen Punkt seiner Liberalismuskonzeption, wie das nächste Kapitel

zeigen wird. Zusätzlich fügt Schapiro den Begriff der Verantwortung in seine Definition

des Liberalismus ein. Durch das allgemeine Wahlrecht des modernen liberalen Staates,

sahen sich die Mandatsträger dem Wähler gegenüber als verantwortlich an.47

Somit war

die Macht an Verantwortung gekoppelt und büßte ihre willkürliche Komponente ein.

Eine weitere Facette bringt Leontovitsch in die definitorische Arbeit ein, indem er das

Abschaffen dessen, was die individuelle Freiheit bedroht, als Methode des Liberalismus

charakterisiert.48

Diesen Punkt greift Wilhelm Hennis in seiner Bewertung von Max

Webers Liberalismus49

auf und macht ihn zu einem liberalen Kernelement. In einer

historischen Perspektive ist diese negativ formulierte Definition sicherlich vertretbar, da

sich die Idee des Liberalismus durch das Abschaffen von Standesprivilegien den

Zugang zu politischer Gestaltungsfähigkeit sichern musste. Betrachtet man aber den

Liberalismus als politische Philosophie, so ließe sich ebenso die Ansicht vertreten, der

Liberalismus setze auf das Schaffen als Methode, und zwar auf das Schaffen von

allerdings kein primäres Ziel des Liberalismus, verwirklicht sich aber dennoch in der Idealvorstellung der

liberalen Gesellschaft.

45 Vgl. Schapiro in: „Liberalismus“, S. 27. Die Beziehung des Liberalismus zum Gleichheitsbegriff war

oft Anlass zur Kritik, vor allem von Links. Die freie Gesellschaft ist in den Augen der Kritiker

unvollendet, solange die ihr angehörigen Individuen nicht auch gleich sind.

46 Vgl. Schapiro in: „Liberalismus“, S. 24.

47 Vgl. Schapiro in: „Liberalismus“, S. .31.

48 Vgl. Leontovitsch in: „Liberalismus“, S.37.

49 Vgl. Hennis, „Fragestellung”, S. 196f.

Page 26: Max Webers Liberalismus

26

Voraussetzungen, die das Leben in einer freiheitlichen Gesellschaft begünstigen.

Demzufolge kann das Abschaffen an sich kein Kernelement des Liberalismus sein.

Die unterschiedlichen Interpretationsansätze in Galls Sammelband bergen aber neben

Gemeinsamkeiten auch offene Widersprüche:

Ein erster verbirgt sich hinter der Einstellung des Liberalismus zu utilitaristischen

Gedanken. Während beispielsweise Leontovitsch das Glück des Individuums als Ziel

des Liberalismus benennt,50

erteilt Watkins diesem Ansatz eine klare Absage. Dieser

stellt der Vorstellung des orthodoxen Utilitarismus Kants ethische Theorie entgegen,

nach der „die moralische und intellektuelle Entfaltung des individuellen Menschen“51

den Sinn des Lebens ausmacht. Zwar muss man den Utilitarismus als eine genuin

liberale Spielart betrachten und sicherlich gehören die beiden herausragenden Denker

dieser Schule, nämlich Jeremy Bentham und John Stuart Mill zu den tragenden Säulen

des liberalen Gedankengebäudes; ein Kernelement des Liberalismus ist der Glaube an

das größte Glück der größten Zahl jedoch nicht.

Der augenscheinlichste Widerspruch in Galls Sammelband betrifft allerdings die

angenommene Anthropologie hinter dem Liberalismus. Während Schapiro behauptet

der Liberalismus sähe den Menschen in Abkehr der christlichen Sünderlehre als dem

Wesen nach gut an52

, relativiert Leontovitsch diese Anthropologie, indem er dem

Liberalismus unterstellt anzunehmen, der Mensch sei eben nicht immer nur gut und sein

Wille auf das Gute gerichtet.53

Hier stehen sich also zwei konträre Meinungen

gegenüber, deren Gegensätzlichkeit nicht aufzulösen ist. Festzuhalten ist in jedem Fall,

dass der Liberalismus dem Menschen die grundsätzliche Vernunftfähigkeit zuspricht

und diese als Voraussetzung des Funktionierens der liberalen Gesellschaft betrachtet.54

Zusammenfassend lässt sich der Liberalismus nach Lothar Gall also in erster Linie als

politische Philosophie kennzeichnen, die in Fortführung der Ideen der Aufklärung die

Freiheit des Individuums zum obersten Gut einer Gesellschaft erhebt. Ausgehend von

dieser Prämisse ist der moderne Rechtsstaat mit seinen individuellen Abwehrrechten

das Mittel, um eine Gesellschaft formal gleicher Individuen zu errichten. Die

Darstellung Galls bezieht sich hierbei vor allem auf die politische Realität des 19.

Jahrhunderts, als dem Ursprung des Liberalismus, und trifft wenig Aussagen über die

50

Vgl. Leontovitsch in: „Liberalismus“, S. 39.

51 Vgl. Watkins in: „Liberalismus“, S. 63.

52 Vgl. Schapiro in: „Liberalismus“, S. 22.

53 Vgl. Leontovitsch in: „Liberalismus“, S. 38.

54 Vgl. Watkins in: „Liberalismus“, S. 76.

Page 27: Max Webers Liberalismus

27

Probleme unserer heutigen liberalen Gesellschaft. Diesen Problemen nimmt sich im

Gegensatz hierzu John Rawls an, indem er die von Gall gelieferten Definitionen des

Liberalismus nicht problematisiert, sondern sich gewissermaßen um eine Optimierung

unserer liberalen Gesellschaft bemüht.

3. Der politische Liberalismus nach John Rawls

Mit dem politischen Liberalismus John Rawls rückt nun eine Definition des

Liberalismus ins Zentrum des Interesses, die von der praktischen und vor allem

deskriptiven Herangehensweise, die im vorangegangenen Kapitel vorgestellt wurde,

völlig verschieden ist: War der Blickwinkel bei Lothar Gall noch vor allem ein

historischer, so versucht John Rawls systematisch sein eigenes Verständnis des

Begriffes politischer Liberalismus zu entwickeln.

Seine Konzeption des politischen Liberalismus basiert vor allem auf drei Schriften

und dabei in erster Linie auf dem Text „Politischer Liberalismus“. Diese

Veröffentlichung basiert auf einer Reihe von Vorlesungen Rawls und stellt eine

Ausformulierung der politischen Konsequenz seiner beiden vorangegangen Werke,

„Eine Theorie der Gerechtigkeit“ und „Gerechtigkeit als Fairneß“ dar. Hier wird sich in

gebotener Kürze auf die Darstellung der Konzeption des politischen Liberalismus,

welche in der gleichnamigen Abhandlung charakterisiert wird, beschränkt.

Rawls nähert sich dem Liberalismusbegriff von der politischen Philosophie her, indem

er die grundlegenden Begriffe, die seinen Liberalismus kennzeichnen definiert und

somit eine abgeschlossene Konzeption aufstellt. Sein politischer Liberalismus ist trotz

(oder wegen) seiner theoretisch-allgemein-politschen Herangehensweise wesentlich

konkreter formuliert als die von Lothar Gall gesammelten Definitionen. Rawls

politischer Liberalismus ist weniger diffus und in seiner Fragestellung, wie seiner

Formulierung zielgerichteter. Dieser Umstand ist der sehr klaren Fragestellung

geschuldet, welche Rawls zu Beginn formuliert und die den Blick auf das Problem des

Liberalismus schärft. Ich möchte diese zentrale Fragestellung des Liberalismus nach

Rawls als längere Passage zitieren, um den Horizont der Betrachtung nicht zu

verkürzen:

„Wie kann eine stabile und gerechte Gesellschaft freier und gleicher Bürger, die

durch vernünftige und gleichwohl einander ausschließende religiöse,

philosophische und moralische Lehren einschneidend voneinander getrennt sind,

dauerhaft bestehen? Oder anders ausgedrückt: Wie können einander zutiefst

Page 28: Max Webers Liberalismus

28

entgegengesetzte, aber vernünftige umfassende Lehren zusammen bestehen und

alle dieselbe politische Konzeption einer konstitutionellen Ordnung bejahen? Wie

müssen Struktur und Inhalt einer politischen Konzeption beschaffen sein, damit

diese die Unterstützung eines übergreifenden Konsenses für sich gewinnen

kann?“55

Auf den ersten Blick wird die Zielrichtung in Rawls Liberalismuskonzeption deutlich:

Ihm geht es in erster Linie um Toleranz. Seiner Grundannahme zufolge muss man von

einer Vielzahl nebeneinander existierender „vernünftiger“56

Lehren ausgehen, die sich

zwar in Konkurrenz zueinander befinden, deren Konkurrenz jedoch durch einen

allgemeinen Konsens in Schach gehalten wird. Es wird auch klar, dass Rawls sich

gewissermaßen systemimmanent mit dem Liberalismus befasst. So zielt die eingangs

gestellte Kernfrage auch nicht auf das Entstehen, sondern auf das Bestehen einer

Gesellschaft freier und gleicher Bürger ab. Die Existenz einer solchen Gesellschaft wird

von ihm vorausgesetzt.

Zur zentralen Aufgabe des politischen Liberalismus wird die Ausarbeitung einer

„politischen Gerechtigkeitskonzeption“57

erhoben und damit die Freiheit, welche

eigentlich im Zentrum jeder liberalen Idee steht, mit der Gleichheit auf eine Stufe

gestellt. Zwar sind beide Begriffe stets zentrale Momente liberaler Ideen gewesen, die

Freiheit genoss allerdings immer den Vorrang, wie auch die Liberalismusdefinitionen

des vorangegangenen Kapitels belegt haben.58

Rawls hingegen kennzeichnet bloße

Freiheitsgarantien, wie sie andere liberale Konzeptionen als wichtigstes Kriterium einer

Gesellschaft ansehen, als „verarmte Form des Liberalismus“ und nennt sie „libertär“59

.

Dies hängt eng mit Rawls Vorstellung von Reziprozität60

zusammen, die in seiner

55

Vgl. Rawls, John: „Politischer Liberalismus“, Frankfurt am Main 2003 (im Folgenden zitiert als Rawls:

„Liberalismus“), S. 14.

56 Vgl. Rawls: „Liberalismus“, 2. Vorlesung § 3, S. 132ff.

57 Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 37.

58 Die überaus komplexe Beziehung zwischen den beiden für heutige liberale Gesellschaften so zentralen

Begriffen Freiheit und Gleichheit kann hier nicht näher ausgeführt werden. Es ist allerdings festzuhalten,

dass beide sich nahezu unversöhnlich gegenüberzustehen scheinen. Durch alle Bereiche der

wissenschaftlichen Arbeit zieht sich diese Problematik: Nicht nur die Philosophie und die Politische

Wissenschaft befassen sich mit der Auflösung des Problems, sondern auch die Rechtswissenschaften

kennen beispielhaft den grundsätzlichen Konflikt zwischen Gleichheits- und Freiheitsrechten. Rawls

verweist auf das Problem „als einen Konflikt innerhalb der Tradition demokratischen Denkens selbst“

(Rawls: „Liberalismus“, S. 68).

59 Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 59.

60 Reziprozität beschreibt in der Soziologie die gegenseitige Abhängigkeit der Individuen innerhalb der

Gesellschaft. Vielfach wird die These vertreten die Reziprozität sei eine Bedingung für die

Page 29: Max Webers Liberalismus

29

Konzeption eine wichtige Rolle spielt (im Gegensatz zu den von Gall

zusammengestellten Liberalismen).61

Die Personen62

einer Gesellschaft sind demnach

frei und gleich durch ihr moralisches sowie ihr Vernunftvermögen. Diese Ansicht deckt

sich mit den herkömmlichen liberalen Ideen.

Die Vernunft ist insofern von einer weitergehenden Bedeutung, da Rawls den

„öffentlichen Vernunftgebrauch“63

als Notwendigkeit zum Bestehen einer liberalen

Gesellschaft erachtet. Unter öffentlichem Vernunftgebrauch versteht Rawls, dass sich

die Bürger einer Gesellschaft auf eine „Konzeption politischer Gerechtigkeit“ einigen,

indem sie sich über „wesentliche Verfassungsinhalte und grundlegende Fragen der

Gerechtigkeit“64

verständigen. Die Frage nach der Gerechtigkeit ist also stets der

Bezugspunkt in Rawls Ausführungen. Seiner Meinung nach ist es die Aufgabe des

politischen Liberalismus die Gerechtigkeit in einer Gesellschaft dauerhaft zu sichern.65

Zu diesem Streben nach Gerechtigkeit in einer wohlgeordneten Gesellschaft gesellt

sich mit der Idee des „übergreifenden Konsenses“66

ein weiteres grundlegendes

Moment des politischen Liberalismus nach John Rawls. Demzufolge gilt es, die

Pluralität der verschiedenen philosophischen, religiösen, ökonomischen und

moralischen Vorstellungen zuzulassen, solange jede Sichtweise die grundlegende

Gerechtigkeitskonzeption anerkennt.67

Rawls betont stets, dass in seinem Verständnis

des politischen Liberalismus die politischen Konzeptionen den Vorrang vor den

umfassenden Lehren haben. Der Liberalismus muss sich den unterschiedlichen

Menschwerdung. Vgl. Stegbauer, Christian: „Reziprozität – Einführung in soziale Formen der

Gerechtigkeit“, Wiesbaden 2002.

61 Zur Reziprozität bei Rawls, siehe Rawls: „Liberalismus“, S. 83f.

62 Rawls versteht unter Person einen Bürger im klassischen, aus der Antike hergeleiteten Sinne. Vgl.

Rawls: „Liberalismus“, S. 84f.

63 Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 74f.

64 Rawls: „Liberalismus“, S. 74.

65 Das Prinzip der Gerechtigkeit, welches im Zentrum von John Rawls politischem Liberalismus steht,

kann hier nicht weitergehend erläutert werden, da es für Max Weber eben keine zentrale Kategorie war.

Somit würde eine nähere Untersuchung der Rawlschen Gerechtigkeitskonzeption zu weit von der

Kernfrage fortführen. Es ist allerdings festzuhalten, dass Rawls durch die Aufwertung der

Gerechtigkeitsfrage dem Liberalismus eine neue Wendung verliehen hat. Nicht mehr allein die Freiheit

und die (wie beschrieben oftmals nachrangige) Gleichheit sind somit abschließende Kriterien des

Liberalen. Zur Vertiefung: Rawls, John: „Eine Theorie der Gerechtigkeit“, Frankfurt am Main 2006. Und

Rawls, John: „Gerechtigkeit als Fairneß“, Frankfurt 2006.

66 Rawls: „Liberalismus“, S. 219.

67 Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 219ff.

Page 30: Max Webers Liberalismus

30

Ansichten gegenüber unparteilich zeigen und keinen Anspruch auf Wahrheit erheben.68

Diese strikte Anerkennung einer Pluralität verschiedener vernünftiger Lehren bedingt

die Komplexität des Liberalismusbegriffs69

, ist aber Grundvoraussetzung aller

wohlgeordneten Gesellschaften.

John Rawls bringt eine sehr starke antidogmatische Komponente in seine Definition

des Liberalismus mit ein. Dieser von der Toleranz getragene Antidogmatismus geht

weiter, als die Liberalismuskonzeptionen, die Lothar Gall zusammengetragen hat. Dies

liegt in der systematischen Vorgehensweise Rawls begründet, der den Liberalismus

gewissermaßen von Grund auf definieren und nicht nur seine bisherigen

Erscheinungsformen beschreiben will. Zunächst lässt sich festhalten, dass Begriffe wie

Freiheit und Gleichheit, aber auch Vernunft und Menschenrechte, die nach Lothar Gall

noch zu den zentralen Merkmalen des Liberalismus zu zählen schienen, bei Rawls erst

in einem zweiten Schritt bedeutsam werden. In erster Linie stellt er die theoretische

Form bereit, in welcher sich so abstrakte Begriffe wie Freiheit und Gleichheit

verwirklichen lassen. Diese Form besteht zu größten Teilen aus den eben genannten

Komponenten Toleranz und antidogmatischem, sprich pluralistischem Denken.

Dennoch macht sich auch Rawls Gedanken, wie diese Form zu füllen ist. So stellt er

drei Merkmale auf, die für das Vorliegen einer liberalen Gerechtigkeitskonzeption

essentiell sind:

1. Die Festlegung von Grundrechten, Freiheiten und Chancen;

2. Der Vorrang dieser vor den Forderungen nach allgemeinem Wohl;

3. Die Zusicherung eines angemessenen Anteils an Mitteln zur Nutzung der

Freiheiten.70

Auch diese drei Merkmale mag man noch der Form zurechnen, da sie als inhaltlich

offen gelassene Rahmenbedingungen verstanden werden können. Diese Ansicht lässt

sich aber nur vertreten, wenn man einer politisch-philosophischen Konzeption des

Liberalismus ob ihrer abstrakten Gedankengänge generell abgeneigt ist. Rawls stellt in

diesen drei Merkmalen die Freiheit wieder ins Zentrum des Liberalismus. Zwar ergänzt

er sie um weitere Komponenten, sie verbleibt aber das zentrale Moment. Sicherlich sind

diese Ideen Rawls keine realpolitischen Handlungsempfehlungen und somit mag der

68

Rawls: „Liberalismus“, S.16.

69 Diese Feststellung kann auch die Probleme anderer Autoren erklären helfen, die sich, wie das

vorangegangene Kapitel gezeigt hat, bisweilen mit einer Definition des Liberalismus schwer tun. Vgl.

Rawls: „Liberalismus“, S. 15.

70 Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 70.

Page 31: Max Webers Liberalismus

31

Eindruck entstehen, politische Inhalte fernab von leeren, abstrakten Idealen werden hier

nicht transportiert; das Gegenteil ist der Fall. Rawls beschäftigt sich mit den

Grundlegungen einer freien Gesellschaft. Diese Gedankengänge, man mag ihnen

zustimmen oder nicht, fehlen heutzutage bei den alltäglichen Fragen, die die Politik zu

lösen hat.

Rawls wird im weiteren Verlauf des Textes noch inhaltlicher. So stellt er weitere

Kriterien auf, die nunmehr nicht mehr für das Vorliegen, sondern für die Stabilität einer

liberalen Gesellschaft vonnöten sind. Er nennt hier unter anderem die Öffentlichkeit der

Wahlkampffinanzierung, die Chancengleichheit bezogen auf den Bildungssektor als

Voraussetzung für gesellschaftliche Partizipation, eine sittliche Vermögensverteilung

über die Grundversorgung hinaus, die Sicherung der Nützlichkeit jedes Bürgers, sowie

eine medizinische Grundversorgung. Dies sei jedoch kein abschließender Katalog an

inhaltlichen Prinzipien, vielmehr handele es sich bei diesen Punkten um die

wesentlichen Anforderungen an die Grundstruktur der Gesellschaft, so Rawls.71

Es ist

bei diesen Kriterien allerdings zu überlegen, ob sie nicht schon zu sehr in die eigentliche

Ausgestaltung der Tagespolitik hineingreifen und somit zu voraussetzungsvoll sind.

Rawls hätte sich unter Umständen auf das Vorliegen der liberalen Gesellschaft

konzentrieren sollen und diese tagespolitische Komponente durchaus vernachlässigen

können.

Aus John Rawls Konzeption des politischen Liberalismus leiten sich trotz des viel

beschworenen Pluralismus und des öffentlichen Vernunftgebrauchs Konflikte ab, die

nicht aufzulösen sind: „Die Konflikte, die sich aus den Bürden des Urteilens ergeben“72

.

Diesem Problem ist jedoch noch keine politische Philosophie begegnet und es wird als

zutiefst menschliches Konfliktpotenzial stets bestehen bleiben.

John Rawls hat mit seiner Konzeption des politischen Liberalismus einen großen

Beitrag zur politischen Philosophie geleistet, indem er die Vertragstheorien, welche für

die politische Philosophie im Allgemeinen und für den Liberalismus im Besonderen von

so eminenter Wichtigkeit waren (und sind), in eine aktuelle, moderne Form übersetzt

hat. Er begnügte sich nicht mit der Deskription vergangener Liberalismen, sondern

widmete sich philosophisch den Problemen, die sich aus der Freiheit einer liberalen

Gesellschaft ergeben. Sicher kann ein solches Kapitel nicht genügen alle Facetten des

Werkes von John Rawls darzulegen, ein Einblick kann jedoch gewonnen werden. Es

71

Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 59f.

72 Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 61.

Page 32: Max Webers Liberalismus

32

wird zu zeigen sein, in welcher Verbindung diese Konzeption des politischen

Liberalismus zu den Ideen und Konzepten Max Webers stehen.

4. Liberale Kernelemente

Nachdem nun also zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen an eine Definition

des Liberalismusbegriffs vorgestellt worden sind, sollen in einem letzten Schritt liberale

Kernelemente benannt werden, die für die weitere Beschäftigung mit Max Weber den

gedanklichen Überbau bilden sollen. Max Webers Werk wird im Folgenden nicht auf

die einzelnen Kernelemente hin untersucht. Vielmehr dient die Aufstellung der

Kernelemente hier einer, für diese Arbeit, abschließenden Definition des

Liberalismusbegriffs. Sie bilden die Basis, auf welcher sich die unterschiedlichen

Liberalismen entwickeln können. Ist im Folgenden also vom Liberalismus in Bezug auf

Max Weber die Rede, so sollten stets die hier benannten Kernelemente mit bedacht

werden.

4.1Freiheit73

Im Zentrum des Liberalismus als politischer Philosophie steht das namensgebende

Moment der Freiheit. Auf ihr bauen alle weiteren Kernelemente auf und sie ist die

unumstößliche Grundlage dieser politischen Idee. Das Problem der Verwirklichung

größtmöglicher Freiheit bildet den Ursprung aller weiteren Überlegungen, die sich unter

dem Schlagwort Liberalismus subsumieren lassen. Das Freiheitsideal ist der rote Faden

aller Liberalismen,74

dass heißt aller Ausformungen dieser politischen Philosophie.

Stellen wir also das Freiheitsideal als erstes und wichtigstes liberales Kernelement fest.

4.2 Isonomie

73

Zu einer differenzierten Betrachtung des Freiheitsbegriffs bietet diese Arbeit leider keinen Raum. Es ist

jedoch auf die grundsätzliche theoretische Unterscheidung zwischen der negativen Freiheit eines Thomas

Hobbes und der positiven eines Jean-Jacques Rousseaus zu verweisen. Eine umfassende Darstellung

dieser Unterscheidung in Hinblick auf den Liberalismus bietet Agathe Bienfait: „Freiheit, Verantwortung,

Solidarität – Zur Rekonstruktion des politischen Liberalismus“, Frankfurt am Main 1999 (im Folgenden

zitiert als Bienfait: „Freiheit“).

74 Vgl. Cesaire in: „Liberalismus“, S. 140.

Page 33: Max Webers Liberalismus

33

Die Gleichheit vor dem Gesetz war bereits in der attischen Demokratie politische

Realität.75

Die Denker der Aufklärung erinnerten sich dieser Rechtskonzeption und

erhoben sie zu einem zentralen Moment liberalen Denkens. Wichtig ist hier die

Abgrenzung zu einem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, dessen unterschiedlichste

Ausgestaltung unter anderem für die verschiedenen Liberalismen verantwortlich zu

machen ist.76

Gleich sollten im Liberalismus aber stets nicht nur die Rechte und

Pflichten, sondern unbedingt auch die Chancen sein; vor allem die Chancen Zugang zu

Ämtern, Gütern und Bildung zu erlangen.

4.3 Individualismus

Das Individuum steht im Zentrum jedes liberalen Gesellschaftsentwurfes. Es ist der

Ausgangspunkt, von welchem aus die Gesellschaft gedacht wird. Die Erhebung des

Individuums zum Bezugspunkt politischen Denkens durch die Aufklärung, war die

Initialzündung für die Moderne. Ohne die zentrale Stellung des Individuums sind Ideen

wie Freiheit und Gleichheit nicht realisierbar.

4.4 Vernunft

Das Individuum ist im Liberalismus grundsätzlich vernunftbegabt und in der

Gesellschaft verpflichtet, öffentlich von der Vernunft Gebrauch zu machen.77

Der

Vernunftbegriff ist für den Liberalismus insofern essentiell, als er dessen

aufklärerisches Erbe widerspiegelt. Der Liberalismus stützt sich auf rationale Lehren in

Abkehr von religiösen Vorstellungen und kann ohne den Vernunftbegriff nicht gedacht

werden.

4.5 Verantwortung

Die beiden vorangegangenen Kernelemente sind konsequent zu Ende gedacht nicht

ohne die Verantwortung denkbar. Nur wenn jeder Einzelne für sein Handeln die

Verantwortung übernimmt, kann er als vernunftbegabtes Individuum anerkannt werden.

Dies gilt nicht nur für den Politiker als solchen, der qua Amt die Verantwortung vor

dem Wähler innehat, sondern auch für jeden Bürger einer liberalen Gesellschaft.

Konstruktives Mitwirken in einer Gesellschaft liberalen Zuschnitts kann nicht durch die

Gesinnung allein verwirklicht werden.

75

Auch wenn sie nur für Vollbürger, d.h. besitzende Männer, galt, so ist die Idee von ihrer Anlage her

bereits vorhanden. Vgl. hierzu Jochen Bleiken: „Die athenische Demokratie“, Paderborn 1995.

76 Siehe Fn. 36.

77 Analog zu Rawls „öffentlichem Vernunftgebrauch“.

Page 34: Max Webers Liberalismus

34

III. Max Weber und die Politische Wissenschaft

Um sich Max Webers Liberalismus zu nähern, gilt es nun nach den definitorischen

Annäherungen an den Liberalismus den Blickwinkel zu erläutern. Im Folgenden soll

dargelegt werden, in welcher Beziehung Max Weber zur Politischen Wissenschaft steht

und welche Probleme sich aus seiner Konzeption der Werturteilsfreiheit für eine

praktisch-philosophische Sichtweise ergeben.

1. Die Probleme zwischen Max Weber und der normativen Politischen

Wissenschaft

Die Politische Wissenschaft ist die jüngste der akademischen Disziplinen, die sich um

eine Interpretation des Werkes Max Webers bemüht. Erst nach 1945 erschien sie in

Deutschlands wissenschaftlicher Landschaft und trat in Hinblick auf die Deutungshoheit

über Max Webers Denken in Konkurrenz zu bereits bestehenden Fachbereichen wie der

Soziologie, welche sich vor allem in methodologischer Hinsicht als legitime

Nachfolgedisziplin des Weberschen Denkens sah und der Geschichtswissenschaft, die

Weber vor allem dank seiner Zeitdiagnosen und seiner kulturvergleichenden Studien als

„Universalhistoriker“78

zu vereinnahmen suchte.79

Die Konkurrenz zu den anderen

(geistes-)wissenschaftlichen Disziplinen war für die Politische Wissenschaft nie eine

einfache Situation, denn sie stand jederzeit in dem Zwang, den Mehrwert ihrer eigenen

Betrachtungsweisen und im Speziellen der Betrachtungsweisen des Werkes Max

Webers aufzuzeigen. Weber wird dementsprechend, je nach Standpunkt des

Betrachters, als Soziologe oder Historiker, auf Grund seines Studienfachs und seiner

Dissertationsschrift auch als Jurist oder Nationalökonom, nie jedoch als

Politikwissenschaftler bezeichnet. Hübinger, Osterhammel und Welz sind sogar der

78

Jaspers: „Max Weber“, S. 81f.

79 Vgl. Hübinger (u. a.): „Weber und wissenschaftliche Politik“, S.181.

Page 35: Max Webers Liberalismus

35

Meinung, dass sich in der Rezeption Webers die Ansicht durchsetzte, „Weber habe die

spezifische Fragestellung der politischen Wissenschaft verfehlt.“80

Die Fülle seines Werkes ist der Grund für die Schwierigkeit bei der Zuordnung

Webers zu einer wissenschaftlichen Disziplin. Einige Weber-Interpreten behelfen sich

aus dieser definitorischen Klemme, indem sie ihn, wie Sukale, ganz allgemein einen

„Gesellschaftstheoretiker“81

oder „Polywissenschaftler“82

nennen oder ihn noch

allgemeiner, wie Käsler, zu den „wirkungsvollsten Denkern unserer Zeit“83

zählen.

Diese allgemeinen Beschreibungen werden Max Weber am ehesten gerecht, denn jede

speziellere Kategorisierung dieses Denkers würde zu kurz greifen und elementare Teile

seines Werkes ausblenden.

Um eine Zuordnung Webers zur Politischen Wissenschaft soll es hier allerdings nicht

gehen, da sie ihn ohnehin nur in eine viel zu klein geratene Schublade verfrachten

würde. Vielmehr gilt es die spezielle Beziehung zwischen Weber und eben dieser

schwer zu verordnenden Wissenschaft auf einer wissenschaftstheoretischen Ebene

genauer zu beleuchten:

Der Fachbereich der Politischen Wissenschaft ist eine akademische Disziplin, „die

schon in ihrer Entstehung eklektisch war“84

. Dieser Eklektizismus prägt das Fach bis

heute. Es ist darauf zu verweisen, dass es unterschiedlichste Auffassungen über die

wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Gegenstand der Politik an Universitäten gibt.

So tendiert die Mehrheit der Politikwissenschaftler zu einem naturwissenschaftlichen

Verständnis des Faches und siedelt es in der Nähe der Soziologie an, andere bedienen

sich der Methoden der Philosophie und rücken die Politische Wissenschaft in die Nähe

der Geisteswissenschaften.85

Auf Basis dieser Bandbreite an verschiedenen

80

Hübinger (u. a.): „Weber und wissenschaftliche Politik“, S. 181. Dieser These muss hier sogleich

widersprochen werden. Die folgenden Seiten werden zu zeigen versuchen, warum eine solche

Einschätzung dem Weberschen Werk nicht gerecht wird.

81 Sukale, Michael: „Max Weber – Leidenschaft und Disziplin“, Tübingen 2002 (im Folgenden zitiert als

Sukale: „Max Weber“), S. 1.

82 Sukale: „Max Weber“, S. XVI.

83 Käsler: „Max Weber “, S. 7.

84 Beyme, Klaus von: „Politische Theorie“, in: Nohlen, Dieter (Hrsg.): „Kleines Lexikon der Politik“,

München 2002 (im Folgenden zitiert als Beyme: „Politische Theorie“), S. 400.

85 Vgl. Nohlen, Dieter: „Politikwissenschaft“, in: Nohlen, Dieter (Hrsg.): „Kleines Lexikon der Politik“,

München 2002, S. 384f; vgl. Mols, Manfred: „Politik als Wissenschaft: Zur Definition, Entwicklung und

Standortbestimmung einer Disziplin“, in: Mols, Lauth, Wagner (Hrsg.): „Politikwissenschaft: Eine

Einführung“, Paderborn 2001 (im Folgenden zitiert als Mols (u. a.): „Politikwissenschaft“), S. 25ff.

Page 36: Max Webers Liberalismus

36

Herangehensweisen hat sich in Deutschland eine Dreiteilung „besonders

charakteristischer Denkrichtungen“86

ergeben. So unterscheidet man in der Regel

zwischen der normativ-ontologischen, der empirisch-analytischen und der kritisch-

dialektischen Politikwissenschaft.87

Viele Autoren der Metatheorie betonen allerdings,

dass es sich bei dieser Dreiteilung nicht um eine „eherne Trinität“88

, sondern vielmehr

um die konventionellste aller Einteilungen handelt.

Die als normativ-ontologisch bezeichnete erstgenannte Strömung der Politischen

Wissenschaft ist als die Älteste zu bezeichnen und beruft sich auf die Politik als

praktische Wissenschaft vom Seinsollen. Ihre Traditionslinien lassen sich bis zu

Aristoteles und Platon zurückverfolgen. Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatte diese

normativ geprägte Politische Wissenschaft, eigene Lehrstühle an deutschen

Universitäten inne.89

Erst die weitere Ausdifferenzierung der Wissenschaften gegen

86

Mols (u. a.): „Politikwissenschaft“, S. 49.

87 Vgl. Alemann, Ulrich von, Methodik der Politikwissenschaft: eine Einführung in Arbeitstechniken und

Forschungspraxis, 6.Auflage, Stuttgart 1994 (im Folgenden zitiert als Alemann: „Methodik“), S. 46ff;

Vgl. Mols (u. a.): „Politikwissenschaft“, S. 48f. Die normativ-ontologische Politikrichtung geht auf die

griechische Philosophie eines Platon und Aristoteles zurück und ist als die Älteste der drei Strömungen zu

bezeichnen. Sie wird auch als essentialistisch bezeichnet und geht von der Existenz einer objektiven

Wahrheit, eines Seins aus. Im Rückbezug auf die politische Ideengeschichte stehen die Fragen nach der

‚Guten Ordnung’ und des ‚Guten Regierens’ im Mittelpunkt. Als bedeutende Vertreter dieser

Politikrichtung in Deutschland sind exemplarisch Eric Voegelin, Dieter Oberndörfer, Wilhelm Hennis,

Hans Maier und Arnold Bergstraesser zu nennen. Der empirisch-analytische Ansatz, auch kritischer

Rationalismus genannt, setzt bei seiner Analyse der politischen Wirklichkeit auf die strikte Trennung von

Sein und Sollen und geriert sich somit als Gegenrichtung zur normativ-ontologischen Schule. Mit

naturwissenschaftlichen Methoden soll hier die Politikwissenschaft als Erfahrungswissenschaft begriffen

und logisch erarbeitete, empirisch richtige Aussagen getroffen werden. Als Wegbereiter des kritischen

Rationalismus gilt Karl Popper; fortgeführt wurde dessen Arbeit u. a. durch Hans Albert. Diese beiden

erstgenannten Schulen seien ideologisch verschleiert, so der Grundton der kritisch-dialektischen

Politischen Wissenschaft. Die nach ihren Protagonisten, den Frankfurter Soziologen Max Horkheimer

und Theodor Adorno, auch Frankfurter Schule genannte neomarxistisch geprägte Politikwissenschaft hat

die Veränderung bestehender Ordnungsprinzipien zum Ziel. Sie ist gewissermaßen Theorie gewordene

Gesellschaftskritik. Die Gräben zwischen diesen drei exemplarischen Schulen sind bei weitem nicht so

tief wie es zunächst klingen mag. Heute verwischen die Grenzen zwischen den unterschiedlichen

Politikrichtungen zusehends und die Politische Wissenschaft als Ganzes kann nur durch die ihr inhärenten

unterschiedlichen Blickrichtungen die Pluralität einer demokratischen Gesellschaft vorleben.

88 Alemann: „Methodik“, S. 51.

89 Maier, Hans: „Max Weber und die deutsche politische Wissenschaft“, in: Maier, Hans: „Politische

Wissenschaft in Deutschland – Aufsätze zur Lehrtradition und Bildungspraxis“, München 1969 (im

Folgenden zitiert als Maier: „Politische Wissenschaft“), S. 69-87, S. 71f.

Page 37: Max Webers Liberalismus

37

Ende des 19. Jahrhunderts bewirkte, dass die praktisch-philosophische

Politikwissenschaft „in ein weit verzweigtes Delta spezialisierter historischer,

juristischer, ökonomischer Einzelwissenschaften auseinander[rann]“90

und somit ihre

zentrale Stellung in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Analyse der

Organisation der Gesellschaft verlor. Die über Jahrhunderte gelehrte Einheit von Ethik

und Politik verlor sich zunehmend in der durch die Aufklärung initiierten

Verwissenschaftlichung.91

Die Empirie rückte in der Politischen Wissenschaft ins

Zentrum und verdrängte mit sozialwissenschaftlicher Theoriebildung die normative,

praktisch-philosophische Suche nach der Guten Ordnung in die Philosophie.92

Genau in diese Phase der Ausdifferenzierung93

fällt das Wirken Webers.94

Dieser

hegte gleich zu Beginn seiner akademischen Karriere „eine instinktive, freilich erst

allmählich theoretisch reflektierte Abwehrstellung“95

gegen die ältere, heißt praktisch-

philosophische Politikwissenschaft. Diese Opposition lag vor allem in Webers

Ablehnung normativ aufgeladener Begriffe begründet und äußerte sich am deutlichsten

im Werturteilsstreit des Vereins für Sozialpolitik.96

Gerade die hier geäußerten Ansichten Webers boten immer eine Angriffsfläche für

eine Reihe von Kritikern. Diese Kritiker waren nach 1945 vor allem

Politikwissenschaftler, welche sich der klassischen, praktisch-philosophischen

Politikwissenschaft verpflichtet fühlten. Sie sahen in Weber eine negative

Projektionsfläche, die geeignet war die Abgrenzung der Politikwissenschaft als

90

Maier: „Politische Wissenschaft“, S. 71.

91 Vgl. Maier: „Politische Wissenschaft“ S. 72.

92 Vgl. Hartmann, Jürgen: „Wozu politische Theorie – Eine kritische Einführung für Studierende und

Lehrende der Politikwissenschaft“, Opladen 1997 (im Folgenden zitiert als Hartmann: „Politische

Theorie“), S.21ff. Hartmann spricht hier von politischer Philosophie und grenzt diese klar von der

politischen Theorie ab. Seiner These nach driftete die normative Theorie in die Philosophie ab und verließ

den Boden der politischen Wissenschaft (vgl. S. 30). Diese klare Trennung halte ich für verfehlt. Die

Verortung der politischen Philosophie ist ein Problem der Fragestellung. In dem Zusammenhang dieser

Arbeit sehe ich die politische Philosophie ebenso gut in der Politischen Wissenschaft, wie in der

Philosophie aufgehoben. Auch widerspricht Hartmann mit seiner These dem normativ-ontologischen

Politikansatz an Sich, was angesichts der Leistungen dieser politikwissenschaftlichen Schule zumindest

fraglich erscheint.

93 sofern man nicht die Geschichte der Wissenschaft als stetigen Prozess der Ausdifferenzierung an sich

begreift und darin deren Wesen erkenne will.

94 Vgl. Hartmann: „Politische Theorie“, S. 70.

95 Hartmann: „Politische Theorie“ S. 72

96 Zum Werturteilsstreit: siehe unten, Abschnitt II, Kapitel 2.

Page 38: Max Webers Liberalismus

38

praktische Wissenschaft von der rein empirischen Sozialwissenschaft vorzunehmen.97

Zu nennen sind vor allem Eric Voegelin und Leo Strauss, die sich durch Webers

Politikbegriff, seine Vorstellung von der Werturteilsfreiheit und von seinem

Wertepluralismus in ihrer politisch-philosophischen Position bedroht sahen und Weber

zum „geistigen Antipode[n] der älteren Politikwissenschaft“98

erhoben. Hübinger,

Osterhammel und Welz formulieren dieses Verhältnis wie folgt:

„Die Auseinandersetzung mit Weber hatte hier vielmehr die Funktion, die eigene

wissenschaftliche Position zu legitimieren bzw. besonders zu verdeutlichen.

Diesem Erkenntnisinteresse entsprach auch die Art der Rezeption. Webers

Schriften wurden unter dem Blickwinkel des eigenen theoretischen Ansatzes

zumeist als ‚Steinbruch’ benutzt […].“99

Die Auseinandersetzung mit Max Weber aus der Perspektive der praktisch-

philosophischen Politikwissenschaft diente zu dieser Zeit also weniger einer

Erschließung des Werkes als vielmehr einer Verortung der eigenen Positionen innerhalb

der wissenschaftstheoretischen Dispute.100

Vor dem Hintergrund dieser konfrontativen

Situation, ist es als Treppenwitz der Wissenschaftsgeschichte zu bezeichnen, dass Eric

Voegelin 1958 als Erster auf den neu geschaffenen Lehrstuhl des Max Weber Instituts

für Politische Wissenschaft der Universität München berufen wurde.101

Es gab also im Entstehen der Politischen Wissenschaft eine Strömung um Eric

Voegelin und Leo Strauss, die in ihrer Abgrenzung zu Weber eine neue praktisch-

philosophisch orientierte Politische Wissenschaft etablieren wollten; diese konnte sich

97

Vgl. Borchardt, Knut: „Rezeption und Wirkung Max Webers in Deutschland (nach 1945):

Wirtschaftswissenschaft und Politikwissenschaft“, in: Ay, Borchardt (Hrsg.): „Das Faszinosum Max

Weber – Die Geschichte seiner Geltung“, Konstanz 2006 (im Folgenden zitiert als Borchardt:

„Rezeption“), S. 197-207, S. 199f.

98 Hübinger (u. a.): „Weber und wissenschaftliche Politik“, S. 184.

99 Hübinger (u. a.): „Weber und wissenschaftliche Politik“, S. 185. Diesen Vorwurf kann man sicherlich

auch der in dieser Arbeit vorgenommenen Herangehensweise an das Werk Webers machen. Auch hier

werden nur Teile des Werkes beleuchtet und unter einem bestimmten Blickwinkel analysiert. Doch ist

diese Vorgehensweise praktisch überall zu finden. Auch unter Soziologen sucht man eine umfassende

Werkschau Webers vergeblich und wird bei einer Fülle von Detailuntersuchungen fündig. Des Weiteren

ist der Liberalismus Webers nicht in jeder Zeile seines Werkes zu suchen. Vielmehr halte ich aus

genannten Gründen die Eingrenzung des betrachteten Werkes für notwendig um den Fokus auf die

politisch-philosophischen Essenzen bei Weber zu legen. Man kann also sagen, dass ich mich hier der

Methode Voegelins bediene, jedoch unterscheiden sich die Motive.

100 Vgl. Hübinger (u. a.): „Weber und wissenschaftliche Politik“, S. 186.

101 Vgl. Borchardt: „Rezeption“, S.197.

Page 39: Max Webers Liberalismus

39

jedoch nie durchsetzen und fristet heute eher ein Schattendasein, auch wenn von Beyme

schreibt:

„Nachdem die empirisch-analytische Wissenschaftstheorie jahrzehntelang die

These ausgegeben hatte, die polit. Philosophie sei tot, entdeckte sie die immer

auffälligere Kurzlebigkeit der empirischen Forschung.“.102

Von Beyme möchte ich mich hier anschließen und hinzufügen, dass bei der

Beschäftigung mit dem Liberalismus als politischer Philosophie eine praktisch-

philosophische Herangehensweise unumgänglich ist. Zwar ist es, wie wir bei Rawls

gesehen haben, als Wesenszug einer liberalen Gesellschaft zu bezeichnen, dass

unterschiedliche Wertvorstellungen nebeneinander wohlgeordnet existieren können,

allerdings sind für derartige Situationen gewisse Grundwerte zu akzeptieren. Diese

Werte habe ich als liberale Kernelemente bezeichnet. Sie bilden das Fundament für die

Akzeptanz einer Vielzahl „vernünftiger, umfassender Lehren“103

.

Webers empirisch verstandene Wirklichkeitswissenschaft der Soziologie steht diesem

Ansatz mitnichten entgegen. Denn sicherlich bleibt es unbestritten, dass man durch

wissenschaftliche Methoden die unterschiedlichen Lehren (Werte, Wahrheiten,

Ideologien) nicht abschließend bewerten kann. Sie beruhen, wie es auch Weber sieht,

letzten Endes auf persönlichen Empfindungen, die nicht wissenschaftlich erfasst werden

können.104

Der Widerstreit zwischen diesen unterschiedlichen Wertvorstellungen findet also

außerhalb der Universitäten, nämlich in der Politik selbst statt. Hier sieht Weber den

richtigen Ort für seine praktisch-philosophischen Ansichten der politischen Realität.

Diese äußerte er somit in seinen publizistischen und weniger in seinen genuin

wissenschaftlichen Arbeiten. Wir können den Wissenschaftler Weber also gut als

Konterpart eines praktisch-philosophischen Politikverständnisses heranziehen, so wie es

Voegelin und Strauss taten; genauso gut kann man jedoch den politischen Publizisten

Weber auf seinen spezifischen Liberalismus hin untersuchen und zwar unter klar

praktisch-philosophischen Gesichtspunkten.

Ausgangspunkt für diesen zweigeteilten Weber war die Diskussion um die

Wertfreiheit, welche Weber mit seinem Postulat der Wertfreiheit der Wissenschaften

geprägt hat.

102

Beyme: „Politische Theorie“, S. 401.

103 Im Sinne John Rawls.

104 Vgl. Weber: GAWL, S. 160ff.

Page 40: Max Webers Liberalismus

40

2. Die Werturteilsfreiheit

Die Spannung, die zwischen Max Webers wissenschaftlicher Arbeit und der

Politischen Wissenschaft existiert, liegt zu großen Teilen in Webers Postulat von der

Wertfreiheit der Wissenschaften begründet. Der in ihrem Ursprung normativen

Politischen Wissenschaft wurde von Weber ein wertfreier, deskriptiver Konterpart

gegenübergestellt. Der Heidelberger Soziologe Gregor Fitzi beschreibt die daraus

resultierende Spaltung der Politischen Wissenschaft sehr treffend, weshalb hier sein

Urteil zitiert wird:

„Am Postulat sozialwissenschaftlicher Wertfreiheit scheiden sich deshalb die

Geister, dahingehend ob sie es akzeptieren oder ablehnen bzw. ob sie eine

normative Diskussion gesellschaftlicher und politischer Fragen als Bestandteil der

Sozialwissenschaft ansehen oder nicht.“105

Worum handelt es sich aber bei dem Streit um die Wertfreiheit der Wissenschaften,

der immer mit dem Namen Max Weber verbunden sein wird?

2.1 Unterschiedliche Dimensionen des Werturteilstreits

Auffällig in der Literatur zu Webers Postulat von der Werturteilsfreiheit ist die

Herangehensweise der Interpreten. Kaum einer kommt ohne den Hinweis auf die

Tradition der Fehlinterpretationen durch seine Kollegen aus. So beginnen viele ihre

Kapitel über die Werte bei Weber mit einem Hinweis, der in ungefähr so klingt: „In der

leider oft verkürzten Darstellung des Werturteilspostulats Webers heißt es, Weber

erteile jeglicher Form der (Be)Wertung politischer Gegebenheiten unter

wissenschaftlichen Gesichtspunkten eine Absage. Diese Aussage stellt allerdings eine

stark reduzierte Analyse von Webers Lehrsatz dar.“ Beispielhaft hierfür Kaesler: „[…]

so erfuhr die Webersche Konzeption der ‚Wert(urteils)freiheit’ wohl die

wirkungsvollste Verzerrung durch Mißverständnisse und Trivialisierungen.“106

Oder

auch Schluchter: „Denn allzu häufig tat man seine [Webers] Position als die eines

Werterelativisten, ja schlimmer noch, als die eines Werteagnostikers ab.“107

105

Fitzi, Gregor: „Max Webers politisches Denken“, Konstanz 2004 (im Folgenden zitiert als Fitzi: „Max

Weber“), S. 16.

106 Käsler: „Max Weber “, S. 235.

107 Schluchter, Wolfgang: „Werturteilsfreiheit und Wertdiskussion – Max Weber zwischen Immanuel

Kant und Heinrich Rickert“, in: Schluchter, Wolfgang: „Handlung, Ordnung und Kultur“, Tübingen 2005

(im Folgenden zitiert als Schluchter: „Handlung“), S. 86-107, S. 86.

Page 41: Max Webers Liberalismus

41

In der hier betrachteten Literatur zu Max Weber war allerdings nirgends eine

verkürzte oder fehlinterpretierte Deutung des Gegenstandes zu finden. Dieser Umstand

zeugt erneut von der unglaublichen Vereinnahmung, die Webers Denken immer wieder

erfährt. Fast scheint es, als gehöre es zum guten Ton der Weberrezeption zunächst auf

die Undurchsichtigkeit seines Werkes im Allgemeinen und der Werturteilsproblematik

im Speziellen zu verweisen, um dann die originäre, wahre Interpretation zu liefern.

Da es sich bei der Werturteilsdiskussion durchaus um ein Gewirr aus philosophischen

und methodischen Zusammenhängen handelt, ist es wichtig auf verschiedene

Dimensionen dieses wissenschaftstheoretischen Problems hinzuweisen. Um einer

vermeintlichen Trivialisierung vorzubeugen, unterscheidet Dirk Käsler bei diesem

komplexen und vielschichtigen Thema vier Dimensionen: die philosophische, die

theoretische, die organisatorische und die spezielle Lage der deutschen Wissenschaften

um 1900.108

Auch der Berliner Soziologe Hans-Peter Müller versucht die Komplexität

des Werturteilsstreits durch eine Aufteilung in verschiedene Ebenen aufzubrechen. Er

unterschiedet in fünf Dimensionen: eine institutionelle, eine methodologische, eine

philosophische, eine politische und eine existentielle.109

Die philosophische Dimension, deren Thematik bei Käsler und Müller nicht

deckungsgleich ist, ist durch ihre Komplexität hier nur anzuschneiden:

Die auch als „Krise des Historismus“ bezeichnete wissenschaftstheoretische

Kontroverse, deren Anfänge bis zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts weist und sich

am Zweifel an der wissenschaftlichen Erfassbarkeit der Geschichte entzündete, ist eine

spannende Epoche der Wissenschaftsgeschichte. Während dieser Zeit „wurde die Kluft

zwischen der Welt des Seienden und der Welt der Sinngebung zunehmend als

unüberbrückbar betrachtet.“110

Laut Käsler fand Weber seine Position im

Spannungsfeld der Theorien des Neukantianismus eines Wilhelm Windelband und der

Weltanschauungslehre Wilhelm Diltheys.111

108

Vgl. Käsler: „Max Weber “, S. 235f.

109 Vgl. Müller, Hans-Peter: „Max Weber – Eine Einführung in sein Werk“, Köln 2007 (im Folgenden

zitiert als Müller: „Max Weber“), S. 191ff.

110 Käsler: „Max Weber “, S. 236.

111 Vgl. Käsler: „Max Weber “, S. 236f. Wilhelm Windelband (1848-1915) gilt neben Heinrich Rickert

(1863-1936) als der Begründer der südwestdeutschen Schule des Neukantianismus. In Rückbezug auf

Immanuel Kant plädierten diese Philosophen für die Rückkehr der Werte in die politische Philosophie.

Eben diese Werteorientierte politische Philosophie war es, die für Weber den Ausgangspunkt seiner

wertfreien Sozialwissenschaftslehre bildet. Zum Neukantianismus vgl. Hans-Jörg Sandkühler:

„„Interaktionen zwischen Philosophie und empirischen Wissenschaften – Philosophie und

Page 42: Max Webers Liberalismus

42

Näher an dieser Fragestellung liegt da Hans-Peter Müller, der unter der

philosophischen Dimension die „Gretchenfrage“112

versteht, ob die Wirtschafts- und

Sozialwissenschaften nicht Werte und Normen bereitstellen sollten. Eben an jener

Gretchenfrage entzündet sich auch die Problematik zwischen Weber und einer

praktisch-philosophischen Politischen Wissenschaft, die im vorangegangenen Kapitel

thematisiert wurden.

Die Trennungen zwischen den unterschiedlichen Dimensionen des Streits sind

natürlich nicht klar zu ziehen. Käslers theoretische Dimension bewegt sich im

Methodenstreit innerhalb der Nationalökonomie, in welchem Weber eine vermittelnde

Position einnahm113

. Eben diesen Zusammenhang bezeichnet Müller als

methodologisch-institutionell. Dieser fügt mit der existentiellen Dimension noch die

Stellung der Wissenschaften zu den Fragen „Wie soll ich leben? Was kann ich tun?“ in

den Bedeutungszusammenhang des Werturteilsproblems ein.114

Hier scheint sich wieder

das alte Problem der Weber-Rezeption zu zeigen: Jeder Autor versucht ihn für sich zu

vereinnahmen und legt in die ohnehin schon komplexen Weberschen Gedanken

zusätzliche Bedeutungsschwere durch existenzielle Fragen, die Weber so nie gestellt

hat. Aus diesem Grund ist der existenziellen Dimension Müllers hier eine Absage zu

erteilen.

Eine weitere Aufteilung der Werturteilsproblematik liefert Wolfgang Schluchter. Er

sieht zunächst die Trennung zwischen dem Methodenstreit innerhalb der

nationalökonomisch-soziologischen Disziplin und dem philosophisch ausgetragenen

Werturteilsstreit, die allerdings bei Weber selbst zusammengehören, so Schluchter.115

Auf der einen Seite steht hier die Opposition Webers gegen Gustav Schmollers116

Wissenschaftsgeschichte zwischen Francis Bacon und Ernst Cassirer“, Frankfurt am Main 1995. Wilhelm

Diltheys (1833-1911) Beitrag zur Wissenschaftslehre bestand in der Herausstellung der Eigenständigkeit

der Geistes- gegenüber den Naturwissenschaften. Zu Dilthey vgl. Hellmut Diwald: „Willhelm Dilthey –

Erkenntnistheorie und Philosophie der Geschichte“, Göttingen 1963.

112 Müller: „Max Weber“, S. 192.

113 Käsler: „Max Weber“, S. 237 ff.

114 Vgl. Müller: „Max Weber“, S. 192.

115 Vgl. Schluchter: „Handlung“, S. 90.

116 Gustav Friedrich von Schmoller (1838-1917), gilt als der Hauptvertreter der historischen Schule der

deutschen Nationalökonomie um die Jahrhundertwende. Vgl. Jürgen Backhaus (Hrsg.): „Gustav von

Schmoller und die Probleme von heute“, Berlin 1993.

Page 43: Max Webers Liberalismus

43

Konzeption der ethischen Nationalökonomie, auf der anderen eine „normative Ethik im

Rahmen einer Werttheorie“117

.

Die Verwirrungen dieses Streites sind somit angedeutet und sollen hier nicht weiter

vertieft werden. Nur so viel sei gesagt, dass eine jede Dimension des Werturteilsstreits,

wie man sie auch immer untereinander abgrenzen will, Stoff für eine Arbeit dieses

Umfanges bieten würde. Die Komplexität dieser wissenschaftsgeschichtlichen und

wissenschaftsphilosophischen Thematik berührt bis heute eine jede Wissenschaft.

Diesen grundlegenden Fragen wird sich allerdings nur noch am Rande gewidmet.

Vielleicht sind die mit der Werturteilsfreiheit der Wissenschaften verknüpften Problem

heute abschließend geklärt und die Beschäftigung somit nur noch ein Rekurs auf

vermeintlich verstaubte Themen; vielleicht ist man sich heutzutage aber auch der

Tragweite der Kernfrage: Inwieweit können oder müssen, dürfen oder sollen die

Wissenschaften Normen und Werte bereitstellen, nicht bewusst. Egal wie die Antwort

auf diese Frage lautet, sie wird heute in der Wissenschaft zu selten gestellt.

2.2 Kernaussagen der Werturteilsfreiheit

Max Weber trat vehement für die Ausklammerung jeglicher subjektiver

Wertvorstellungen aus der Wissenschaft ein „und sah im Hineinmengen eines

Seinsollens in wissenschaftliche Fragen […] eine Sache des Teufels, die der Verein für

Sozialpolitik allerdings recht oft in ausgiebiger Weise besorgt hat.“118

Weber geht es in

seinen Ojektivitätsaufsätzen119

in erster Linie um die Arbeit des Vereins für

Sozialpolitik und um seine Sichtweise auf die noch junge akademische Disziplin der

Soziologie als empirische Wissenschaft. So schreibt Weber:

„Unsere Zeitschrift als Vertreterin einer empirischen Fachdisziplin muß, wie wir

gleich vorweg feststellen wollen, diese Ansicht grundsätzlich ablehnen, denn wir

sind der Meinung, daß es niemals Aufgabe einer Erfahrungswissenschaft sein

kann, bindende Normen und Ideale zu ermitteln, um daraus für die Praxis Rezepte

ableiten zu können.“120

117

Schluchter: „Handlung“, S .95.

118 Käsler: „Max Weber“, S. 241.

119 Die Werturteilsproblematik wird in erster Linie in den Aufsätzen: „Die Objektivität

sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ von 1904, „Der Sinn der Wertfreiheit der

soziologischen und ökonomischen Wissenschaften“ von 1917 und „Wissenschaft als Beruf“ von 1919

behandelt. Beide sind in GAWL enthalten.

120 Weber: GAWL, S.159.

Page 44: Max Webers Liberalismus

44

Es wird klar, dass Weber sich hier sehr deutlich positioniert und sein

wissenschaftliches Wirken als empirisch beschreibt. Dies ist zunächst ein sehr starkes

Kriterium, um von einer grundsätzlichen Gegnerschaft Webers und der praktisch-

philosophischen, also werteorientierten Politikwissenschaft zu sprechen. Vor allem Leo

Strauss sah sich und die praktische Politikwissenschaft hier in fundamentaler

Opposition zu Webers vermeintlichem Werterelativismus.121

Doch vertritt Weber diesen Relativismus ob einer gleichgültigen Einstellung

gegenüber Werten und Idealen? Nichts weniger als das! Max Weber sieht in den

andauernden Konflikten, die sich unter den Anhängern verschiedener Werteordnungen

entzünden, eine Grundproblematik für eine erfolgreiche Erkenntnis innerhalb der

Erfahrungs-Wissenschaften, als welche er die Soziologie begreift.122

Wertebeladene

Konflikte sind laut Weber mit den Mitteln der Vernunft nicht aufzulösen, da sie eine

Sache des Glaubens und des Wollens sind. Somit sei es niemals Aufgabe und Ziel der

Nationalökonomie und der Soziologie gewesen empirische Aussagen über die

Richtigkeit von Normen und Werturteilen zu treffen. Doch dies bedeute, so Weber

weiter:

„Keineswegs, daß Werturteile deshalb, weil sie in letzter Instanz auf bestimmten

Idealen fußen und daher »subjektiven« Ursprungs sind, der wissenschaftlichen

Diskussion überhaupt entzogen seien.“123

Weber plädiert sogar für eine Diskussion über Zwecke und Folgen des Handelns nach

bestimmten Wertvorstellungen. Diese Konsequenzen der Verschreibung bestimmter

Werte kann die Wissenschaft aufzeigen. Die Entscheidung für die Werte auf dem

Hintergrund dieser Konsequenzen ist allerdings jedem Individuum selbst überlassen und

kann nicht durch die Wissenschaft gelöst werden.124

Zusammenfassend ist Weber sich also der Wirkmächtigkeit der Werte bewusst. Die

Wissenschaft, und hier ist es in einer Fortführung der Weberschen Gedanken

unerheblich um welche es sich handelt, kann über eine Richtigkeit dieser Werte nicht

bestimmen. Diese Ansicht kollidiert vom Prinzip her mit der Grundannahme der

normativ-ontologischen Politischen Wissenschaft, da diese von dem Vorhandensein

eines objektiv richtigen Seins ausgeht und die Politische Wissenschaft in der Pflicht

121

Vgl. Schluchter: „Handlung“, S. 86f.

122 Vgl. Schluchter, Wolfgang: „Wertfreiheit und Verantwortungsethik – zum Verhältnis von

Wissenschaft und Politik bei Max Weber“, Tübingen 1971 . S. 19ff.

123 Weber: GAWL, S. 149

124 Vgl. Weber: GAWL, S. 149.

Page 45: Max Webers Liberalismus

45

sieht sich auf die Suche nach einer sich diesem Sein annähernden Guten Ordnung zu

machen. Webers Soziologie als empirische Wissenschaft steht diesem Ansatz folglich in

einer unauflöslichen Situation gegenüber. Die normative Suche nach dem Sein ist keine

empirische und die Empirie Webers sucht nicht nach einem objektiv richtigen Sein.

Doch hat Weber neben seiner empirischen Soziologie auch noch seine politischen

Schriften zu bieten, in denen er der Äußerung von Wertvorstellungen aufgeschlossener

gegenübersteht.

2.3 Die zwei Seiten des Weberschen Werkes

Kann man vor dem Hintergrund des Gesagten von einer Opposition Max Webers im

Verbund mit seinem vermeintlichen Werterelativismus auf der einen Seite und der

praktischen-philosophischen wertebeladenen Politischen Wissenschaft eines Leo

Strauss auf der anderen Seite sprechen?

Bezogen auf die wissenschaftliche Tätigkeit Webers als Soziologe hat diese scharfe

Abgrenzung ihre Berechtigung; bei einer genaueren Betrachtung seiner Schriften und

seines politisch-philosophischen Denkens allerdings ist sie nicht hinreichend; denn auch

wenn man Webers politische Schriften nicht zu seinem wissenschaftlichen Werk im

engeren Sinne zählen möchte, so sind sie uns dennoch überliefert. Weber selbst wusste

sehr wohl um die Maßstäbe, die er mit seiner Forderung nach Wertfreiheit aufgestellt

hatte. Sie bildet die klare Trennlinie in seinem Werk. So merkt er an:

„Die Fähigkeit der Unterscheidung zwischen Erkennen und Beurteilen und die

Erfüllung sowohl der wissenschaftlichen Pflicht, die Wahrheit der Tatsachen zu

sehen, als der praktischen, für die eigenen Ideale einzutreten, ist das, woran wir

uns wieder stärker gewöhnen wollen.“125

Weber sieht in dem praktischen Eintreten für seine Ideale (Werte) eine persönliche,

nicht-wissenschaftliche Pflicht. Diese erfüllte er in seinen politischen Schriften, welche

folglich die Hauptquelle für Webers Liberalismus darstellen. Denn nur hier kann man

die liberalen Kernelemente mit Webers politischen Idealen abgleichen. In seinem

wissenschaftlichen, in erster Linie soziologischen Werk, welches sich nach Weber

selbst mit der empirischen Deskription begnügt, kann man unter praktisch-

philosophischen Gesichtspunkten nur begrenzt fündig werden. Voegelin beschreibt

diese Zweiteilung Webers Werks wie folgt:

125

Weber: GAWL, S. 155.

Page 46: Max Webers Liberalismus

46

„Auf der einen Seite standen also die ‚Werte’ politischer Ordnung, jenseits

kritischer Wertung; auf der anderen Seite eine Wissenschaft von der Struktur der

sozialen Wirklichkeit“126

.

Jaspers formuliert diesen Umstand analog hierzu folgendermaßen:

„Die wissenschaftliche Pflicht, die Wahrheit der Tatsachen zu sehen, und die

praktische, für die eigenen Ideale einzutreten, sind zweierlei Pflichten.“127

Diese strenge Trennung wird nicht von allen Weberinterpreten geteilt. Einer der

wenigen, der einen politikwissenschaftlichen Blickwinkel einnimmt ist Gregor Fitzi. Er

ist es auch, der bemerkt:

„Die Strenge der Trennung zwischen ‚deskriptiv-wissenschaftlichem’ und

‚normativ-ethischem’ Denken in politischen Fragen stößt hingegen mancherorts

auf Widerspruch. Gerade die Vehemenz solcher Ablehnung zeugt jedoch davon,

dass Weber nicht als Vertreter eines fremden Faches wahrgenommen wurde,

sondern in erster Linie als politischer Denker.“128

In erster Linie wird Weber sicherlich immer noch als Soziologe wahrgenommen und

der Wissenschaftsbegriff Webers ist, wie gesehen, tatsächlich sehr eng an die Empirie

gekoppelt. Neben dem wissenschaftlichen existiert aber auch ein politischer Weber, der

mit Vehemenz seine politischen Überzeugungen, mithin Werte, verteidigt und sich ganz

und gar nicht wertfrei über tagespolitische Ereignisse äußert. Es bleibt allerdings die

Meinung des Wissenschaftlers, nach der alles Wollen subjektiv und somit jeglicher

objektiver Deskription entzogen sei.129

Das bedeutet, dass man sich wissenschaftlich

nur mit dem Sein, nicht aber mit dem Seinsollen auseinandersetzten kann. Mit dieser

Auffassung nimmt Weber die heute vorherrschende Meinung in der Politischen

Wissenschaft vorweg.

In Anlehnung an eine normativ verstandene Politische Wissenschaft in der Tradition

der politischen Philosophie muss, Weber widersprochen werden.130

Der

Wissenschaftsbegriff Webers greift in seiner Dichotomie zu kurz, wie Fitzi ganz richtig

126

Voegelin, Eric: „Die Neue Wissenschaft der Politik“, München 2004, S. 30f.

127 Jaspers: „Max Weber“, S. 86.

128 Fitzi: „Max Weber“, S.19.

129 Vgl. Weber: GAWL, S. 158.

130 Auch wenn Wolfgang Schluchter Max Weber sehr wohl in der Tradition eines normativen

Politikverständnisses sieht. Hierzu trennt Schluchter die in dieser Arbeit bislang als Einheit auftretende

normative Politische Wissenschaft auf in eine Strebensethik nach Aristoteles und eine Pflichtenethik nach

Immanuel Kant, in dessen Tradition Weber zu sehen sei. Schluchter nennt Weber „nicht mehr kantisch,

wohl aber kantianisierend“. Die nähere Beschäftigung mit dieser philosophischen Problematik würde hier

eindeutig die zentrale Fragestellung verlassen. Vgl. Schluchter: „Handlung“., S. 95ff.

Page 47: Max Webers Liberalismus

47

bemerkt. Wissenschaft, vor allem die Wissenschaft von der Politik kann sich nicht in

reiner empirischer Deskription erschöpfen. Sicherlich hat Weber Recht, wenn er die

Beurteilung und wissenschaftliche Begründung von Werten und Idealen als äußerst

schwierig, wenn nicht gar unmöglich bezeichnet. Die Politische Wissenschaft muss sich

aber dennoch den Fragen nach der Guten Ordnung annehmen und versuchen, sie stets

aufs Neue zu beantworten.

Webers Position ist verständlich, wenn man sich die wissenschaftstheoretische

Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts besieht. Hier ist das Aufkommen der

naturwissenschaftlichen Methoden innerhalb der Geisteswissenschaften zu nennen. Die

damit in Zusammenhang stehende, strikte Absage an die Gültigkeit von Normen durch

Erfahrung beschreibt Weber wie folgt:

„Das Schicksal einer Kulturepoche, die vom Baum der Erkenntnis gegessen hat,

ist es, wissen zu müssen, daß wir den Sinn des Weltgeschehens nicht aus dem

noch so sehr vervollkommneten Ergebnis seiner Durchforschung ablesen können,

sondern ihn selbst zu schaffen imstande sein müssen, daß »Weltanschauungen«

niemals Produkt fortschreitenden Erfahrungswissens sein können, und daß also

die höchsten Ideale, die uns am mächtigsten bewegen, für alle Zeit nur im Kampf

mit anderen Idealen sich auswirken, die anderen ebenso heilig sind, wie uns die

unseren.“131

In der Analyse von diesem „Kampf der Ideale“ kann man eine zentrale Aufgabe der

Politischen Wissenschaft, speziell der politischen Philosophie sehen. Vielleicht ist aber

die politische Philosophie an sich eben dieser Kampf der Ideale. Webers Credo, dass

aus keiner empirischen Wissenschaft zu begründen sei, „was ich tun soll“132

, zeigt den

Mangel der wertfreien, deskriptiven Wissenschaft auf. Woher soll der Mensch die

Anregungen für sein praktisches Handeln in der Gesellschaft nehmen, wenn nicht die

Wissenschaft hierfür Hinweise geben kann? Die politische Philosophie sehe ich hier in

der Pflicht, diese nach Weber entstandene Lücke zu schließen. Johannes Weiß fasst dies

sehr treffend zusammen:

„Richtig verstanden stellt es [das Prinzip der Wertfreiheit] sogar eine notwendige

Voraussetzung jeder wirklich aufklärerischen, nicht-ideologischen Form politisch-

praktischer Wirksamkeit dar. An Webers Reflexionen über Wertfreiheit und

Wertbeziehung läßt sich lernen, daß man sich viel zu lange und immer wieder

über falsche Alternativen gestritten hat.“133

131

Weber: GAWL, S. 164.

132 Vgl. Jaspers: „Max Weber“, S. 86.

133 Weiß: „Max Weber“, S.14f.

Page 48: Max Webers Liberalismus

48

3. Über die Notwendigkeit der normativen Politischen Wissenschaft

Betreibt man politische Philosophie und stellt sie ins Zentrum seiner

politikwissenschaftlichen Anstrengungen, so ist die Frage nach der guten Ordnung, also

nach dem Seinsollen politischer Realität von entscheidender Bedeutung. Weder die

empirische Deskription unserer Lebensumstände, noch der kritische Rekurs auf die

Totalität der Gesellschaft, können ein freiheitliches Nachdenken über aktuelle politisch-

philosophische Fragen sicherstellen. Gewiss sind die Methoden der empirischen

Sozialforschung von Bedeutung, wenn es um die rationale Erfassung konkreter

Probleme geht; ebenso darf man sich in Hinblick auf die Gesellschaft als Ganzes nicht

kritiklos mit der bürgerlichen Gesellschaft auseinandersetzen. Allerdings steht über

allem die Frage, wie wir unsere Gesellschaft gestalten sollen. Dies setzt ein normatives

Politikverständnis voraus, da nur durch die Setzung überzeitlicher Werte als Maßstab,

das Fortschreiten des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses garantiert werden kann.

Problematisch wird diese wertebezogene Politische Wissenschaft allerdings, wenn hier

die Werte zu ausdifferenzierten Systemen werden, die dann als einzig richtige

Werteordnungen vertreten werden. Begrenzt man die als richtig anerkannten Werte

jedoch auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner, der nur einige abstrakte

Ordnungsprinzipien einschließt, so kann aus der Bejahung dieser Werte eine Gute

Ordnung im klassischen Sinne erwachsen.

In dieser Einstellung zur Politischen Wissenschaft spiegeln sich urliberale Ideen

wider. Der Liberalismus selbst kann als eine normativ-ontologische politische

Philosophie gesehen werden, da er nach der Guten Ordnung und nach den hierzu

notwendigen Mitteln fragt. Bejaht man also zumindest die liberalen Kernelemente als

unumstößliche gesellschaftliche Säulen und als gesellschaftliches Konzept, so kommt

man nicht umhin einen normativ-ontologischen Politikbegriff zu akzeptieren, der sich

auf die praktisch-philosophische Tradition beruft.134

Ebenso gilt der Umkehrschluss;

demjenigen, der diesen Blickwinkel akzeptierend einnimmt wird es schwer fallen, auf

den liberalen Kernelementen aufbauende Gesellschaftsmodelle sinnvoll begründet

abzulehnen.

134

Zur Vertiefung in den praktisch-politischen Ansatz: Hennis, Wilhelm: „Politik und praktische

Philosophie – Eine Studie zur Rekonstruktion der politischen Wissenschaft“, Neuwied 1963. Hennis,

Wilhelm: „Politik als praktische Wissenschaft – Aufsätze zur politischen Theorie und Regierungslehre“,

München 1968. Voegelin, Eric: „Die Neue Wissenschaft der Politik“, München 2004.

Page 49: Max Webers Liberalismus

49

Nach dem Gesagten dürfte offensichtlich sein, dass auch Max Weber seinen Beitrag

zu einem normativen Politikverständnis geliefert hat. Weber erinnert immer wieder an

die letztlich nicht zu bewertende Subjektivität der Wertvorstellungen und Ideale. Die

Erkenntnis objektiv richtiger, guter oder wahrer Werteordnungen ist auf dem

wissenschaftlichen Weg nicht zu erreichen und jeder, der diesen Versuch unternehme,

sei mit Vorsicht zu beäugen:

„Der subjektiv gemeinte Sinn, der sich auch zu überindividuellen

Sinnzusammenhängen fügt, lässt sich empirisch erforschen, der objektiv richtige

oder metaphysisch wahre aber nur insoweit, als er sich im Streben nach Gütern

oder an verwirklichten Gütern ablesen lässt.“135

135

Schluchter: „Handlung“, S. 96.

Page 50: Max Webers Liberalismus

50

IV. Max Webers Liberalismus in der Rezeption seiner

Interpreten

Nachdem nun also liberale Kernthesen benannt und die Schwierigkeiten in der

Beziehung Webers zur Politischen Wissenschaft aufgezeigt wurden, gilt es, sich dem

eigentlichen Liberalismus Webers, unter den genannten Zielsetzungen zu nähern. Als

erstes wird ein Blick auf drei Interpreten Webers geworfen, die in der Erforschung

seines Liberalismus unterschiedliche Methoden anwenden und dementsprechend auch

zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Einig sind sich alle drei in der

Zuordnung Max Webers zum Liberalismus, auch wenn nach dem ersten Kapitel klar

sein sollte, dass jeder dieser drei ein anderes Bild dieses Ideengebäudes vor Augen

gehabt haben muss. So wird in den hier betrachteten Interpretationen Webers politisches

Denken nicht auf liberale Kernelemente hin untersucht, sondern vielmehr die, dem

jeweiligen Interpreten eigentümliche, Definition dessen, was der bleibende Anspruch

Webers Denkens in einer politischen Dimension zu bedeuten hat, herausgestellt. Aus

diesem politischen Kern des Werkes leiten alle drei, namentlich Karl Jaspers, Wolfgang

Mommsen und Wilhelm Hennis eine liberale Grundeinstellung Webers ab.

1. Karl Jaspers – Philosophie und Bewunderung

„Max Weber war der größte Deutsche unseres Zeitalters.“136

Dieser einleitende Satz Karl Jaspers137

in seinem Vorwort zur Neuauflage des 1932

veröffentlichten Textes „Max Weber – Politiker, Forscher, Philosoph“, zeigt bereits die

136

Jaspers: „Max Weber“, S. 7.

137 Karl Jaspers (1883-1969) war Psychiater, der sich, für die Nachwelt sicherlich bedeutender, um die

Philosophie verdient gemacht hat. Er war Anhänger der Existenzphilosophie, die einen Weg zwischen

dem absoluten Denken des Idealismus, sowie des ebenso absoluten, szientistischen Positivismus, suchte.

Jaspers vertrat die Ansicht, dass Wahrheit nicht in der Wissenschaft verborgen liegt. Er setzte sich mit

ähnlichen wissenschaftstheoretischen Problemen wie Weber auseinander. So trat beispielsweise auch

Jaspers in Opposition zu Heinrich Rickerts Neukantianismus. Vgl. Schüßler, Werner: „Jaspers zur

Einführung“, Hamburg 1995.

Page 51: Max Webers Liberalismus

51

unumwundene Bewunderung, welche er für Max Weber empfand. Jaspers war in

Heidelberg Webers Schüler gewesen und von ihm stets tief beeindruckt.138

Ab 1910

verkehrte Jaspers zudem mit anderen wichtigen und einflussreichen Persönlichkeiten

des geistigen Deutschlands, darunter unter anderen Simmel, Tönnies, Lukacs, Naumann

und dem späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss, im Hause Weber.139

Ist vor dem

Hintergrund dieser persönlichen Beziehung und der offen zur Schau gestellten

Bewunderung eine objektive Beurteilung des wissenschaftlichen Gegenstandes, als

welcher das politische Denken Webers hier zu sehen ist, möglich? Die Antwort lautet:

Nein. Unter den genannten Gesichtspunkten steht diese normative Sichtweise Jaspers

der Suche nach Webers Liberalismus nicht im Wege, sondern begünstigt sie im besten

Falle.

Jaspers nimmt in seiner bewundernden Schrift über Weber eine überaus interessante

und wichtige Trennung vor: Er unterscheidet dreierlei Weber, den Politiker, den

Forscher und den Philosophen. Für die Erforschung des Weberschen Liberalismus

erscheinen sowohl die erste, als auch die letzte Kategorie als die fruchtbareren, da

bereits herausgearbeitet wurde, dass Webers empirisches, wissenschaftliches Arbeiten

der zugrunde liegenden Liberalismusdefinition keine Entsprechung liefert.

1.1 Max Weber der Politiker

Karl Jaspers sieht in Weber einen gewissermaßen unvollendeten Politiker, der nie in

ein politisches Amt gewählt und somit nie zur Entfaltung gekommen ist. Die bereits

erwähnte Bewunderung, die Jaspers Weber entgegenbringt, lässt ihn zu dem Urteil

kommen, dass dieser die Geschicke Deutschlands zu Beginn des 20. Jahrhunderts in

bessere Bahnen gelenkt hätte. Betrachten wir, wie Jaspers auf die von ihm selbst

gestellte Frage nach dem bleibenden Anspruch des politischen Denkens des politischen

Schriftstellers Weber antwortet. 140

Karl Jaspers lässt in einer Anekdote, die er in seinem Vorwort, welches er 1958 dem

hier zugrunde liegenden Text beifügt, erwähnt, eine Webersche Sichtweise offenbar

werden, die auf den ersten Blick als liberal zu bezeichnen ist: „Einem bedeutenden

138

Sukale, Michael, „Max Weber – Leidenschaft und Disziplin“, Tübingen, 2002 (im Folgenden zitiert

als Sukale: „Max Weber“), S. 19.

139 Sukale: „Max Weber“, S. 265.

140 Vgl. Jaspers: „Max Weber“, S. 54.

Page 52: Max Webers Liberalismus

52

Schweizer, der im Gespräch sagte: Man muß den Staat lieben, antwortete er [Weber]:

Was, lieben soll man das Ungeheuer auch noch!“141

Auch wenn diese Staatsskepsis nicht unbedingt zu den liberalen Kernelementen zu

zählen ist, so verbirgt sich hier doch ein Gedanke, der mit der Freiheit und der

Verantwortung in Verbindung steht. Verständlicherweise mag man Vorbehalte gegen

eine Interpretation solcher, aus Tischgesprächen überlieferten Ansichten haben,

allerdings sind dies die Quellen, die den politischen Schriftsteller einzuordnen helfen.

Festzuhalten ist zunächst, dass Weber eine gewisse Skepsis gegenüber dem Staat

hegte. Fraglich ist allerdings, ob hier der Staat im Allgemeinen, oder der deutsche Staat

im Speziellen gemeint ist. Erstere Interpretation würde Webers Abneigung gegen die

Überhand nehmende Bürokratie widerspiegeln, welche indirekt gegen die Freiheit der

Bürger arbeite. Richtet sich Webers Aussage aber gegen den deutschen Staat, so

plädiert Weber hier für mehr Verantwortung in den Händen der demokratisch

legitimierten Herrscher.

Letztere Annahme ließe sich nach Jaspers belegen mit der Aussage, Weber habe

gegen das System des „Scheinkonstitutionalismus“ gekämpft, da er es für die

„Unfähigkeit der führenden Männer“142

verantwortlich machte. Jaspers erklärt hierzu

Webers Wertvorstellung: Diesem ging es um das nationale Machtinteresse und die

nationale Ehre, nicht um naturrechtliche oder doktrinäre Gründe.143

Folglich lassen sich

anhand dieser Aussagen keine liberalen Werte Webers ableiten. Jaspers stellt mit dem

Machtinteresse und der nationalen Ehre zwei Werte in den Vordergrund, die man mit

dem Liberalismus nicht in erster Linie in Verbindung bringen kann.

Aus Webers Opposition gegen den Bismarckschen Staat lässt sich zunächst kein

Liberalismus nach den aufgestellten Kernelementen, herausfiltern. Für Weber ist

darüber hinaus „die Frage nach der politischen Verfassung lediglich eine Frage der

Technik, nicht der Weltanschauung.“144

Und eben diese Technik galt es für Weber

optimal zu nutzen und die „unausweichliche Demokratie mit der autoritativen

Führerschaft der wirklich sachverständigen und verantwortlichen Staatsmänner“145

in

Einklang zu bringen.

141

Jaspers: „Max Weber“, S. 50.

142 Jaspers: „Max Weber“, S. 56.

143 Jaspers: „Max Weber“, S. 56.

144 Jaspers: „Max Weber“, S. 59.

145 Jaspers: „Max Weber“, S. 59.

Page 53: Max Webers Liberalismus

53

Die Demokratie scheint Weber also nur widerwillig, als unausweichlich, zu bejahen.

Dennoch akzeptiert er diese Staatsform als technisches Mittel zur Führerauswahl,

obwohl er sich der Gefahren der Demokratie bewusst gewesen sei, so Jaspers.146

Die Demokratie wird hier anfangs in den liberalen Kernelementen des Liberalismus

nicht erwähnt. Dennoch ist sie die vermeintlich gerechteste Form der politischen

Entscheidungsfindung. Der Liberalismus hat sie stets als Technik akzeptiert, ohne sie

per Definition vereinnahmt zu haben. Bei Weber scheint dies ebenso der Fall. Auch er

akzeptiert die Demokratie in Ermangelung einer besseren, ihm bekannten Technik.

Jaspers beschreibt in den folgenden Passagen seines Textes, Webers Einstellung zu

System und herrschender Klasse in Deutschland. Aus diesem Blickwinkel lässt sich

erneut kein Bild des Liberalismus Webers zeichnen. Dafür sind die von Jaspers

herangezogenen Weberschen Aussagen zu konkret auf die Situation der damaligen Zeit

bezogen. Hier ließe sich ein praktisch-personalisierter147

Liberalismus erforschen,

jedoch bleiben theoretisch-allgemeine Kriterien hinter den konkreten tagespolitischen

Problemen verborgen. Keine der aufgestellten liberalen Kernelemente finden sich

zunächst wieder; bis Jaspers auf den bleibenden Anspruch Webers kommt.

Hier wird von Jaspers mit der Verantwortung ein liberales Kernelement in das

Zentrum des politischen Denkens Max Webers gestellt. Der Führer148

, welcher in

Webers Sichtweise unausweichlich demokratisch legitimiert zu sein hat, handelt in

vollem Bewusstsein der Verantwortung für sein Handeln. Dieser Umstand sei der Kern

des Weberschen Politikverständnisses oder wie Jaspers es formuliert: „Webers Sinn für

das dem Politischen Eigentümliche“149

. Die Verantwortung kann der Politiker im

Gegensatz zum ausführenden Beamten nicht delegieren und muss sich somit der

Konsequenzen seines Handelns, im letzten Schritt der Ausübung von Gewalt als letztem

Mittel, im Klaren sein. Diese Verantwortungsethik ist liberal, da sie nicht die Motive in

den Vordergrund spielt.

Karl Jaspers war Psychiater und dieser wissenschaftliche Hintergrund spielt natürlich

auch in seiner Weberinterpretation eine gewichtige Rolle. Jaspers teilweise

psychologisierende Herangehensweise kann nicht nur auf politische Kernprobleme

abzielen. Abstrakte politische Begriffe wie die Freiheit und die Gleichheit sind keine

146

Jaspers: „Max Weber“, S. 50.

147 Vgl. die 3 Sphären der Betrachtung aus Abschnitt II, Kap. 1.

148 Hier wird trotz der historischen Belastung der Begriff Führer verwendet, da auch Max Weber stets

diesen Begriff gebraucht.

149 Jaspers: „Max Weber“, S. 72.

Page 54: Max Webers Liberalismus

54

Dimensionen, die Jaspers in diesem Zusammenhang interessieren. Vielmehr sind es

intersubjektive Problematiken, wie die Macht über Personen und die Macht zu

entscheiden, die ihn an Webers Werk reizen.

Einen erklärten Liberalismus Webers findet man in Jaspers Abschnitt über den

Politiker Max Weber nicht; dieser zeichnet sich hier nicht durch ein dezidiert liberales

Programm aus. Vielmehr ist es seine Verantwortungsethik, die man am ehesten unter

den Terminus Liberalismus subsumieren kann. Ebenso kann eine, wenn auch scheinbar

widerwillige, Zustimmung zur Demokratie als Technik der politischen Verfassung als

liberal bezeichnen.150

1.2 Max Weber der Philosoph

„Max Weber hat kein philosophisches System entworfen. […] er war eine

Philosophie.“151

Diese These zeigt deutlich, dass Jaspers nicht die Einordnung Webers

in das politische Spektrum, sondern vielmehr die Herausstellung der Einzigartigkeit des

Weberschen Denkens verfolgt. Ziel Jaspers war es stets, die in dieser Einzigartigkeit

vermeintlich verborgene Philosophie Webers herauszustellen. So sah jener diesen

immer als Philosophen und hob sich damit von den vorherrschenden Sichtweisen auf

den nüchternen Sozialwissenschaftler ab. Die Charakterisierung Webers als

Philosophen erleichtert sicherlich seine Zuordnung zum Liberalismus unter praktisch-

philosophischen Gesichtspunkten. Weber als Philosophen zu sehen und seine

sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse dieser Auffassung unterzuordnen, unterstützt also

die Wichtigkeit des „anderen“, nicht wertfrei agierenden Webers. Karl Jaspers vermerkt

aber zugleich, dass es unmöglich sei, Webers Philosophie als Lehre herauszustellen, da

Webers Philosophie sich vielmehr in ihm selbst verwirkliche.152

1.2.1 Vernunft und Freiheit

Weber ging den „Weg der Vernünftigkeit“153

, so Jaspers. Diesen Weg beschreibt

Jaspers in, aus heutiger Sicht, pathetisch klingenden Worten, in denen sich sein

philosophischer Hintergrund zeigt. So lobt er Webers Offenheit für das, was den

„Menschen als Menschen angeht“154

und seine innere Freiheit.155

In diesen Passagen

150

Zu Webers Einstellung zur Demokratie vgl. unten Abschnitt V, Kap. 3.

151 Jaspers: „Max Weber“, S. 65.

152 Vgl. Jaspers: „Max Weber“, S. 94. Diese These bleibt durchaus fraglich, da hier kein bleibender

Anspruch zu abstrahieren ist.

153 Jaspers: „Max Weber“, S. 101.

154 Jaspers: „Max Weber“, S. 102.

Page 55: Max Webers Liberalismus

55

sind also zwei liberale Kernelemente zentral: Freiheit und Verantwortung.

Problematisch ist diese Übereinstimmung aber dennoch, denn Jaspers zieht sie aus der

persönlichen Einstellung des Menschen Max Weber. Dies ist zum einen aus heutiger

Sicht nicht mehr zu überprüfen und zum anderen wurde zu Beginn dieser Arbeit eine

psychologisierende Interpretation Webers abgelehnt. Dennoch werden Jaspers Thesen

über Webers Philosophie hier besprochen, da sie eine eindeutige Übereinstimmung mit

den liberalen Kernelementen liefern.

Laut Jaspers sind in dieser persönlichen Philosophie Webers die Vernunft, wie auch

die Freiheit zentral angelegt. Diese ließen sich, so Jaspers, auf die unantastbare Stellung

des Individuums zurückführen. Die innere Freiheit Webers sei Resultat seiner

Vernunft.156

Jaspers formuliert hier eine geistige Nähe zwischen Max Webers

Wertvorstellungen und den Idealen der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Diese Ideen

seien liberal, so Jaspers weiter.157

Man kann also, will man den Ausführungen Karl Jaspers folgen, einen persönlichen

Liberalismus feststellen. Dieser ist allerdings zunächst nur in der Ansicht Jaspers

existent. Er zeichnet sich durch die Bejahung der sich stets hinterfragenden Vernunft

und der daraus resultierenden inneren Freiheit aus. Diese innere Freiheit ist nicht

identisch mit der Freiheit des Liberalismus, auch wenn sie einen wichtigen Bestandteil

von ihr darstellt. Die Freiheit Webers, so wie Jaspers sie hier schildert, zielt auf eine

geistige Ungebundenheit ab, die sich ohne Zwang „auch für das Unvernünftige“158

offen zeigt.

Freiheit und Vernunft sind Weber also sehr wichtige, zentrale Kategorien, an denen er

sein Denken orientiert. Sie sind ihm Werte, die er vertrat, jedoch nicht in seinem

wissenschaftlichen Werk zur Diskussion stellte. Dies macht es so schwierig Belege für

die Jaspersschen Thesen zu finden. Glaubt man ihm, so waren die liberalen

Kernelemente Freiheit und Vernunft auch für Max Weber zentral; stellt man Jaspers

Einschätzung allerdings begründet in Frage, so bleibt von Webers Liberalismus in

diesem Punkt nicht viel übrig.

1.2.2 Das fragmentarische Werk

Jaspers hatte stets das Sein als Ganzes im Blick, wie es für die Existenzphilosophen

seiner Zeit Usus war. Es ging ihm bei der Betrachtung Webers um das Wesen seines

155

Vgl. Jaspers: „Max Weber“, S. 102ff.

156 Vgl. Jaspers: „Max Weber“, S. 102.

157 Vgl. Jasper: „Max Weber“, S. 103.

158 Jasper: „Max Weber“, S. 102.

Page 56: Max Webers Liberalismus

56

Werkes und die sich daraus ableitende Strahlkraft. Betrachtet man nun Jaspers

Einschätzung dieses Wesens, so nennt er als ein Charakteristikum das Fragmentarische

des Werkes. Dieser Fragmentcharakter stehe der durchweg positiven Beurteilung

Webers als „geistigen Gipfel der Zeit“159

im Weg, wie Michael Sukale Karl Jaspers

interpretiert. Dieser hilft sich hier jedoch geschickt, indem er den Weberinterpreten eine

Hintertür offen lässt: Würde man im „fragmentarischen Wesen selbst einen positiven

Sinn“160

sehen und sogar, einen Schritt weiter gedacht, glauben, „dass das Größte,

sofern es sich verwirklicht, notwendig Fragmentcharakter hat“161

, so wäre dieser auf

den ersten Blick hinderliche Punkt bei der Beurteilung in einen durchweg positiven

verwandelt. Beim Anblick dieser Aussagen wird deutlich, dass Jaspers Weber nicht aus

einem politischen Blickwinkel betrachtet hat. Jaspers war Philosoph und begab sich auf

die Suche nach Webers Philosophie. Dies schließt jedoch nicht aus, dass Webers

Philosophie auf liberalen Kernelementen, genauer gesagt (und um das Gesagte

einzubeziehen) auf einem einzigartigen, fragmentarischen Liberalismus beruht.

Dennoch erscheint die Überhöhung der Unvollständigkeit des Weberschen Werkes ein

wenig konstruiert. Sicherlich war es nicht Webers Absicht gewesen sein Werk

unvollendet zu überlassen. Einen positiven Sinn des fragmentarischen Charakters kann

man allerdings ableiten: Wie Hübinger, Osterhammel und Welz bereits herausgearbeitet

haben, wurde Webers Werk oftmals als „Steinbruch“ verwendet.162

Der Charakter des

Werkes ließ und lässt viel Spielraum für Interpretationen, an denen sich eine Vielzahl

von Wissenschaftlern der unterschiedlichsten Fachrichtungen eigene Positionen

erarbeiten konnte. Weber bildet mit seinen überlieferten Schriften also den

Ausgangspunkt für ein lohnendes Nachdenken über politische Fragen und solche, die

das Handeln der Menschen betreffen. Die Überhöhung zum „Größten“ durch das

Fragmentarische, welche Jaspers hier vornimmt, ist allerdings verfehlte Bewunderung.

1.2.3 Überzeitliche Werte

Bei Jaspers Überlegungen zu Webers Philosophie sind die überzeitlichen Werte

zentral. Fest steht, dass Weber seine Ideale nicht wissenschaftlich begründet. Sie sind

ihm subjektive Kategorien. Für die Identifizierung Webers Liberalismus wären sie

jedoch von gesteigertem Interesse. Finden sich also abseits der Fragment-Diagnose zum

159

Sukale: „Max Weber“, S. 19.

160 Jaspers, „Max Weber“, zitiert nach: Sukale: „Max Weber“, S.19.

161 Sukale: „Max Weber“, S. 19.

162 Vgl. Fn. 99.

Page 57: Max Webers Liberalismus

57

Gesamtwerk Punkte in Jaspers Ausführungen, an welchen man Webers liberale

Geisteshaltung festmachen könnte?

Oftmals wird mit Weber auch aufgrund des Werturteilspostulates ein gewisser

Relativismus der Werte verbunden. Diesen könnte man auf den ersten Blick als nicht

liberal bezeichnen. Nimmt man allerdings den Liberalismus John Rawls als Grundlage,

so wird offensichtlich, dass ein gewisses Maß an relativer Werteordnung geradezu die

Voraussetzung einer liberalen Gesellschaft ist. Über allem müssen natürlich die

Kernelemente stehen, die durch die Freiheit und Gleichheit der Bürger diesen

Relativismus ermöglichen. Letztlich basieren die unterschiedlichen Wertvorstellungen

in einer liberalen Gesellschaft auf einer sehr begrenzten Zahl von Idealen, die als

kleinster gemeinsamer Nenner die Existenz unterschiedlicher Wertvorstellungen

ermöglicht. Die Konflikte, die sich zwischen diesen Wertvorstellungen ergeben, müssen

mit den Mitteln der Demokratie beigelegt werden. Diese Notwendigkeit hat Weber

erkannt, indem er die Demokratie als notwendige Technik benennt. Den überzeitlichen

Idealen, die auch auf politischer Ebene oft religiösen Charakter haben können, steht

Weber skeptisch gegenüber. Er teilt den Glauben an letzte Ideale nicht. Jaspers erläutert

Webers Sicht der Dinge wie folgt:

„Wenn man daher schließen würde, man könne durch Nachdenken über die

letzten Standpunkte das Schema einer nennbaren endgültigen Zahl von

Werteordnungen entwickeln, die mir, wenn ich zwischen ihnen entscheide,

zeigen, wo ich philosophisch stehe, so ist das nicht die Meinung Webers.“163

Webers Philosophie bleibt stets am Alltag orientiert. Sie kümmert sich weniger um

höhere Ideale, als um konkrete Situationen und Problematiken; die Philosophie wird

hier „ins Leben eingesenkt.“164

Auf der Suche nach Webers Philosophie wird also auch

Jaspers nur leidlich fündig. Er benennt eine am Alltag orientierte Geisteshaltung, die

sich weniger um überzeitliche Ideale oder letztinstanzliche Werteordnungen, als um

konkrete Probleme und die effektive Art ihrer Beilegung sorgt.

1.3 Der Wert der Jasperschen Betrachtungen

Nach dem Beschriebenen fragt man nun zu Recht, was Jaspers Text zur Beantwortung

der Frage nach Webers Liberalismus beitragen kann. Sicherlich bietet er nicht die

gewünschte klare Beschreibung des Weberschen Liberalismus und, wie beschrieben,

war dies nie Jaspers Ansinnen. Dennoch ist die Feststellung des fragmentarischen

163

Jaspers, „Max Weber“, S. 68.

164 Jaspers, „Max Weber“, S. 69.

Page 58: Max Webers Liberalismus

58

Charakters des Weberschen Werkes für die folgenden Betrachtungen von großem

Nutzen. Auch die Absage an konstruierte Oberwerte fern des konkreten Lebensalltags

sollten festgehalten und für die weitere Bearbeitung herangezogen werden: „Alle

Konstruktionen sind ihm relative Orientierungen, Schritte nach denen der weitere Weg

zur Klärung offen bleibt.“165

Die Untersuchung Karl Jaspers wurde hier herangezogen, um einen vom Politischen

verschiedenen Blickwinkel darzustellen. Jaspers steht mit seiner These vom

Philosophen Weber relativ alleine da. Da hier die Auffassung vertreten wird, der

Liberalismus sei eine politische Philosophie, lag eine Betrachtung der Weberschen

Philosophie nahe. Diese ist, so wie Jaspers sie charakterisiert, kaum für eine

Auseinandersetzung mit dem Liberalismus geeignet. Außerdem hat Jaspers, ob seiner

persönlichen Nähe und seinem in der Psychologie wurzelnden wissenschaftlichen

Hintergrund einen psychologisierenden Ansatz, der hier zu Beginn abgelehnt wurde.

Nun wird offensichtlich warum diese Abgrenzung erfolgen musste. Jaspers stand unter

dem unmittelbaren Eindruck der, vermutlich sehr imposanten, Persönlichkeit Webers.

Dies versucht er in seinem Text zu vermitteln. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse

stehen hinter diesen biographisierenden Passagen leider zurück.

Die sich überschneidenden Biographien beider Männer trüben Jaspers Beurteilung

Max Webers. Stets hat man beim Lesen des Textes das Gefühl Karl Jaspers möchte

seinen Lehrer auf den philosophischen Sockel heben und sich nicht über die Maßen

kritisch mit ihm auseinandersetzen. Zwar sind seine Schlüsse nicht inhaltlich zu

kritisieren, jedoch macht Jaspers es dem Leser ob seiner unverblümten Bewunderung

schwer, persönliche von wissenschaftlicher Charakterisierung zu unterscheiden.

Für die vorliegende Arbeit bleibt dennoch Erhellendes: Man kann Webers

Liberalismus nicht über ein bloßes Abarbeiten liberaler Grundprinzipien erfassen.

Vielmehr scheint es, als müsse man Webers politische Werte stets an konkreten

Situationen überprüfen, um so wiederum seinen Liberalismus zu abstrahieren.

165

Jaspers, „Max Weber“, S. 69.

Page 59: Max Webers Liberalismus

59

2. Wolfgang Mommsen – Liberalismus und Nationalismus

Nachdem Karl Jaspers einen philosophischen Blick auf das Werk Max Webers

geworfen hat, ist mit Wolfgang Mommsen166

ein Historiker am Zug. Zeit seines Lebens

beschäftigte sich Wolfgang Mommsen mit Max Weber; er war einer der Herausgeber

der Max Weber Gesamtausgabe. Seine als Monographie veröffentlichte

Promotionsschrift „Max Weber und die deutsche Politik 1890-1920“ aus dem Jahr 1959

zählt zu den wichtigsten und meist zitierten Schriften über das politische Schaffen

Webers. In Mommsens Urteil über Max Webers politisches Denken findet sich eine

eindeutige Zuordnung zum Liberalismus wieder.

2.1 Liberale Kernelemente in historischer Perspektive

Schon in der Überschrift des hier behandelten Kapitels aus „Max Weber. Gesellschaft,

Politik und Geschichte“167

wird eine enge Verbindung Max Webers mit dem

Liberalismus angenommen; sie lautet: „Ein Liberaler in der Grenzsituation“. Auch der

einleitende Satz setzt diese Eindeutigkeit fort: „Max Weber darf als einer der

bedeutendsten Repräsentanten des europäischen Liberalismus an der Schwelle seines

Niedergangs gelten.“168

Will man Mommsens Arbeit nutzen, um Webers Liberalismus herauszustellen, so

wäre es zunächst von Bedeutung den von Mommsen eingeführten Begriff des

„europäischen Liberalismus“ zu klären. Hier zeigt sich allerdings die Problematik,

welche sich bei allzu voraussetzungsvollem Interpretieren ergibt. Der

Liberalismusbegriff ist bei einer jeden Beschäftigung aufs Neue klar abzugrenzen, um

definitorischen Unklarheiten vorzubeugen. Mommsen tut dies nicht. Er setzt eine

allgemeingültige Bedeutung des Terminus „europäischer Liberalismus“ voraus. Diese

allgemeingültige Bedeutung gibt es jedoch nur in sehr begrenztem Maße. Die

Bezeichnung „einer der bedeutendsten Repräsentanten des europäischen Liberalismus“

ist ohne eine exakte Definition nicht genauer, als würde man Max Weber als Politiker

166

Wolfgang Mommsen (1930-2004) entstammt aus der wohl bekanntesten deutschen Historikerfamilie,

zu der auch sein Vater Wilhelm, sein Bruder Hans und vor allem sein Urgroßvater Theodor zählen. Max

Weber und seine Zeit waren die zentralen Forschungsgegenstände Mommsens. Wolfgang Mommsen war

Mitinitiator der Max Weber-Gesamtausgabe. Es besteht auch bei Mommsen eine persönliche Beziehung

zu Max Weber. Dieser war in Berlin Schüler von Theodor Mommsen gewesen.

167 Mommsen, Wolfgang: „Max Weber – Gesellschaft, Politik und Geschichte.“ Suhrkamp, Frankfurt a.

M. 1974 (im Folgenden zitiert als Mommsen: „Max Weber“).

168 Mommsen: „Max Weber“, S. 21.

Page 60: Max Webers Liberalismus

60

bezeichnen. Es gibt dem Rezipienten zwar eine Richtung vor, inhaltlich gefüllt ist die

von Mommsen vorgenommene Einordnung allerdings nur in einem geringen Maße.

Mommsen besieht sich Webers Liberalismus aus einer geschichtswissenschaftlichen

Sicht heraus: Webers politisches Denken wird in den Kontext seiner Zeit eingebunden.

Hier wird die Bedeutung der unterschiedlichen Sphären der Betrachtung des

Liberalismus deutlich. Mommsen setzt Weber in Verbindung mit einem praktischen,

heißt real existierten Liberalismus, der zudem noch ortsgebunden ist. Eine Aussage über

den Kern liberaler Gedanken wird nicht gemacht. Fraglich bleibt demnach, was unter

diesem „europäischen Liberalismus“ zu verstehen ist. Im Folgenden wird diese

Zuordnung Webers zum Liberalismus dennoch übernommen und Mommsens Text auf

Aussagen hin untersucht, die den europäischen Liberalismus genauer definieren oder

aber die liberalen Kernelemente thematisieren.

Gleich zu Beginn seines Textes sieht Wolfgang Mommsen zwei dieser Kernelemente

von Weber akzeptiert und mehr noch bejaht. Er beschreibt Webers Einstellung zum

industriellen Kapitalismus, welchen dieser als das unausweichliche Schicksal der

westlichen Gesellschaft beschrieb, als positiv in der Hinsicht, dass hier „ein Optimum

individueller Aktivität und persönlicher Freiheit möglich sei.“169

Freiheit und

Individualismus sind bei Weber also von zentraler Bedeutung, wenn er über die

Wirtschaftsordnung spricht. Seine Sorge vor dem „stahlharten Gehäuse der

Hörigkeit“170

, welches am Ende des Kapitalismus stehen könne, sieht in erster Linie die

„individuelle Initiative“ und durch den engsten Verbündeten des Kapitalismus, die rein

formale, zweckrationale Bürokratie, die Freiheit des Menschentums bedroht.171

Weber

stimmt diesen liberalen Kernelementen durch seine Sorge vor ihrer Absenz zu. Die

Sicherung von Individualität und Freiheit sind Ziele, die die Politik zu verwirklichen hat

Es wäre zu einfach, mit der Feststellung dieser Übereinstimmung des Weberschen

Denkens mit liberalen Leitideen, die Zugehörigkeit Webers zur liberalen Familie der

politischen Denker abzuschließen. Zwar liegt hier ein sehr starkes Kriterium vor, doch

Mommsen behauptet, Weber sei „keiner politischen Richtung ganz zuzuordnen, [und]

blieb […] zeitlebens ein »politischer Einspänner«.“172

Diese Einschätzung erinnert stark

an Karl Jaspers These von der Einzigartigkeit der Weberschen Philosophie.

169

Mommsen: „Max Weber“, S. 21.

170 Weber, hier zitiert nach Mommsen: „Max Weber“, S. 31.

171 Mommsen: „Max Weber“, S. 31.

172 Mommsen: „Max Weber“, S. 21.

Page 61: Max Webers Liberalismus

61

Wolfgang Mommsen vertritt die Auffassung, dass sich Webers Denken, vor allem in

Hinblick auf seine politischen Leitmotive, nicht in herkömmlichen Kategorien erfassen

lässt. Der „politische Einspänner“ Weber ist vielleicht auch deshalb eine so singuläre

Erscheinung, weil er in sich die wertfreie, empirische Wissenschaft und persönliche,

politische Ideale in der Tradition einer normativen Denkschule vereint. Dieser Umstand

spiegelt sich in Webers Handeln wider. So beschreibt Mommsen Webers Wertehorizont

als „äußerste Hingabe an bestimmte letzte Ideale, verbunden mit einem streng

rationalen, die Konsequenzen des eigenen Tuns stets kritisch reflektierenden Sich-

Verhalten“173

.

In dieser Aussage verbergen sich zwei weitere Kernelemente liberalen Denkens.

Erstens die Vernunft, die sich in dem „streng rationalen“ Handeln verbirgt und zweitens

die Verantwortung, die die Konsequenzen des eigenen Handelns bedenkende

Komponente dieses Weberschen Lebensideals darstellt. Jeder ist für die Konsequenzen

seines Handelns verantwortlich und ist deshalb in der Pflicht, sie rational zu

überdenken. Genau hierin wird die persönliche Komponente des Liberalismus sichtbar.

Während Freiheit und Gleichheit intersubjektive Elemente des Liberalismus sind, so ist

die Vernunft, wie auch die Verantwortung jedem Individuum selbst auferlegt. Hierfür

plädiert Max Weber und Wolfgang Mommsen stellt diese Komponente des liberalen

„Sich-Verhaltens“ heraus. Webers Liberalismus zeigt sich nicht nur in den letzten

Idealen, über die er vorwiegend schweigt und die auch Mommsen nicht aufzudecken

vermochte, sondern vor allem in dem Handeln des Einzelnen.

Mommsen versucht im Folgenden Webers Kontakt zum Liberalismus aus historischer

Perspektive genauer zu charakterisieren. Dieser Kontakt gestaltet sich ambivalent. Zwar

fühlte sich Weber als „Mitglied der bürgerlichen Klassen“174

, welche stets die

Trägerschicht des Liberalismus stellte; jedoch waren ihm die politische Unreife, sowie

der „selbstzufriedene Honoratiorenliberalismus“175

dieser Klasse zuwider. Dies zeigt

erneut die Ambivalenz im Denken und Handeln Webers. Einerseits ist ihm seine

bürgerliche Herkunft bewusst, er fühlt sich als Mitglied dieser Klasse, andererseits sieht

er seine Standesgenossen verweichlicht und zur Politik nicht mehr fähig. Mommsen

liefert weitere Anzeichen für diese innere Disharmonie: „Er [Max Weber] persönlich

betrachtete Kompromisse als einen inferioren Weg, obwohl er anerkannte, dass alle

173

Mommsen: „Max Weber“, S. 30.

174 Mommsen: „Max Weber“, S. 21.

175 Mommsen: „Max Weber“, S. 23.

Page 62: Max Webers Liberalismus

62

Politik damit arbeiten müsse.“176

Mommsen arbeitete an diesen Beispielen deutlich

heraus, dass Max Weber seine Wertvorstellungen einem vernünftigen Urteil

unterwerfen konnte. In dem hier beschriebenen Beispiel der Kompromisse wird dies

deutlich: Weber wusste sehr wohl, zu was eine Politik ohne Kompromisse führen

könnte, auch wenn Mittelwege seinen Wertvorstellungen zutiefst widersprachen.

Doch eben diese Vielschichtigkeit zeigt, wie sehr Jaspers Recht behalten hat, wenn er

Max Webers Philosophie als in das Leben eingesenkt beschreibt. Mommsen beschreibt

dies, in Hinblick auf Webers Wissenschaftskonzeption, als

„nominalistischen Dezisionismus, der die Relativität aller Werte als unabänderlich

hinnahm, jedoch zugleich ein Höchstmaß an rationaler Erfassung aller

gesellschaftlichen Phänomene, einschließlich aller subjektiven Wertehaltungen,

anstrebte.“177

Dieser Relativismus der Werte ähnelt der toleranten liberalen Konzeption John Rawls,

die die gleichzeitige Existenz verschiedener umfassender Lehren akzeptiert. Es handelt

sich also mitnichten um einen nihilistischen Relativismus, der als Vorbote eines

unethischen Positivismus fungiert, sondern eher um das tiefe Verständnis der

Problematik, die sich aus der Beurteilung widerstrebender Ideale ergibt. Weber selbst

stand, wie im Zusammenhang der Werturteilsfreiheit bereits gesehen, für die

wissenschaftliche Nicht-Beurteilung der subjektiven Wertvorstellungen. Persönlich trat

er in seinen politischen Schriften allerdings für diese ein, ohne von ihrer absoluten

Wahrhaftigkeit überzeugt gewesen zu sein.

2.2 Politisches jenseits des Liberalismus: Webers Nationalismus

Ein weiterer Ideenkreis, welcher seit Mommsen mit Weber in Verbindung gebracht

wird, ist der Nationalismus. Insbesondere Webers akademische Antrittsrede aus dem

Jahr 1895 an der Universität zu Freiburg, ist ein viel beschworenes Beispiel für die

nationalistischen und sozialdarwinistischen Anwandlungen Webers. Im folgenden

Kapitel wird sie Gegenstand der Diskussion sein. Was sagt also Wolfgang Mommsen zu

Webers Nationalismus?

Vorab ist festzuhalten, dass Sukale bemerkt, Mommsen hätte als erster „den Mut

[gehabt], einen ganz anderen Weber neu aufzurollen und dem erstaunten Publikum

vorzuführen: Max Weber, den Nationalisten und Imperialisten.“178

Dieser Blickwinkel

176

Mommsen: „Max Weber“, S. 22.

177 Mommsen: „Max Weber“, S. 29.

178 Sukale: „Max Weber“, S. 32.

Page 63: Max Webers Liberalismus

63

auf „die bis dahin als heilig geltende Kuh“179

stieß zunächst auf Widerstand und

Mommsen hatte seine Ansichten gegen die Vorbehalte der Historikerzunft zu

verteidigen. Die Aufregung über eine solche Einordnung erscheint nicht verwunderlich,

da Mommsen sie bereits 1959 in seiner Promotionsschrift äußerte und die gegebene

zeitliche Nähe zur nationalsozialistischen Herrschaft den Anschein erweckte, Mommsen

wolle Weber diskreditieren. Zu dieser Zeit mutete es in den Augen der Mehrheit der

Wissenschaftler mehr als despektierlich an, einen „Säulenheiligen“ mit einem Etikett

der gerade überstandenen Diktatur zu belegen. Dies war jedoch nie Mommsens

Anliegen. Im Gegenteil: Mommsen versteht es, den Nationalismus Webers darzulegen,

ohne ihn gleichzeitig zum Vorläufer des Nationalsozialismus zu machen.

Webers Nationalismus entwickelte sich zunächst entlang der Beschäftigung mit der

Nationalökonomie, welcher er die Fähigkeit absprach ihre „Wertmaßstäbe und

Urteilskriterien allein aus sich selbst heraus“180

zu entwickeln. Demnach gäbe es nur

einen einzigen Wertmaßstab, an welchem sich die Nationalökonomie zu orientieren

habe, den „deutschen Nationalstaat“181

.

Neben dieser Unterordnung der Nationalökonomie unter den Nationalstaat als

beherrschendes Prinzip, schlägt Weber auch außenpolitisch nationalistische Töne an;

Mommsen hierzu: „Außenpolitisch war Weber ein entschiedener Verfechter deutscher

Weltmachtpolitik“182

. Diese Aussagen beziehen sich vor allem auf den frühen Weber

(vor seiner Erkrankung 1898). Aber auch zu Beginn der Weimarer Republik unterstellte

er seine politischen Ansichten dem Primat des Nationalen. Mommsen folgt hier Lukacs,

wenn er sagt, „dass Weber die Demokratisierung vor allem um eines effizienteren

deutschen Imperialismus willen verfochten hat.“183

Hier zeigt sich wieder das

vermeintlich antiliberale Gesicht Webers. Mommsen geht sogar soweit zu sagen: „Der

naturrechtliche Begriff der Demokratie bedeutete ihm wenig oder nichts“184

. Dies war

aber keine absolute Absage an eben diese Staatsform, denn Weber erkannte sehr wohl

die Notwendigkeit des Parlamentarismus zur Führerauswahl. Dennoch wird diese

widerwillige Akzeptanz der Demokratie sowohl bei Mommsen als auch bei Jaspers

179

Sukale: „Max Weber“, S. 32.

180 Mommsen: „Max Weber“, S. 25.

181 Mommsen: „Max Weber“, S. 26.

182 Mommsen: „Max Weber“, S. 26.

183 Mommsen: „Max Weber“, S. 38.

184 Mommsen: „Max Weber“, S. 38.

Page 64: Max Webers Liberalismus

64

thematisiert. Die Demokratie war für Weber keine naturrechtliche Notwendigkeit,

sondern lediglich die bestbekannte Technik für eine Verfassung.

Im Übrigen hat sich auch Karl Jaspers zu Webers Nationalismus geäußert: „Max

Weber war »Nationalist« niemals in der blinden Bejahung des Volkes, so wie es ist,

sondern im Anspruch an sich und das Volk, zu werden, was es sein könne.“185

Folgt

man diesem Statement, so wohnt Webers Nationalismus eine Zukunftshoffnung inne,

welche wiederum Wilhelm Hennis als liberal bezeichnen würde.186

2.3 Mommsen Beitrag

Wolfgang Mommsens Verdienst ist es, dass Max Webers politisches Denken abseits

seines soziologischen Werkes in den Blickpunkt gerückt wurde. Außerdem verschloss

sich Mommsen nicht der Tatsache, dass Weber, zumindest in seinen frühen Schriften

als Nationalist zu gelten hat. Diese Feststellung des Nationalismus Webers erforderte

eine dezidierte Beurteilung Webers in seiner Zeit, die ebenfalls von Mommsen geleistet

wurde. Er schaffte es, durch diese historische Betrachtungsweise Webers gleichsam

nationalistische, wie auch liberale Gedanken offen zu legen. Nach Mommsen kommt

man an der Tatsache, dass Weber ein Verfechter des deutschen Nationalstaates war

schlussendlich nicht mehr vorbei.

Das Verhältnis der Weberinterpreten zu ihrem Forschungssubjekt war mit Mommsen

von der Ehrfurcht befreit, welche vielen Vorangegangenen, die Weber oftmals noch in

persona kannten, eine nüchterne Analyse merklich erschwerte. Natürlich war für diese

Arbeit ausschlaggebend, dass Wolfgang Mommsen vor allem dafür plädierte, Weber als

großen Liberalen im Gedächtnis zu behalten. Trotz all der angeführten Relativierungen,

steht Webers liberale Grundhaltung nach Mommsen unumstößlich fest. Nach

Mommsen war Webers Liberalismus stets eine warnende Komponente inhärent, die sich

gegen die zunehmende Bürokratisierung richtete und sich nicht mit dem Rekurs auf

althergebrachte liberale Lehrmeinungen zufrieden gab.187

Problematisch bei Mommsen ist, dass er den Begriff Liberalismus nie inhaltlich füllt.

Zwar schwingen im Subtext stets die allgemein bekannten Konnotationen mit, eine

Definition dessen, was Wolfgang Mommsen unter Liberalismus versteht fehlt dennoch.

185

Jaspers: „Max Weber“, S. 118.

186 Die Verbindungen Webers zum Nationalismus werden in Kapitel V.1. näher behandelt.

187 Mommsen, Wolfgang: „Politik und politische Theorie bei Max Weber“, in: Weiß, Johannes (Hrsg.):

„Max Weber heute – Erträge und Probleme der Forschung“, Frankfurt am Main, 1989 (im Folgenden

zitiert als Mommsen: „Politik und politische Theorie“), S. 515-542, S. 541.

Page 65: Max Webers Liberalismus

65

Somit ist die Suche nach einem abstrakt gedachten Liberalismus Webers auch in

Mommsens Schriften nicht einfach. Gerade weil er Max Webers Liberalismus als von

althergebrachten Lehrmeinungen verschieden charakterisiert, wäre es wünschenswert,

wenn er genauer auf diese Differenzen eingehen würde.

3. Wilhelm Hennis – Kritische Distanz und Liberalismus

Den Abschluss dieser kurzen Skizze des Weberschen Liberalismus im Spiegel seiner

Interpreten bildet nun Wilhelm Hennis188

, welcher auch chronologisch auf Jaspers und

Mommsen folgt. Hennis hat es sich zum Ziel gemacht „den ganzen Weber in ein

einheitliches Interpretationsschema zu zwingen“189

. Das leitende Thema, welches sich

durch Webers Werk ziehe, sei demnach kein soziologisches, sondern vielmehr ein

anthropologisches: Die Entwicklung des Menschentums. Hennis widmete sich in seiner

1996 erschienenen Publikation „Max Webers Wissenschaft vom Menschen“ dieser

Thematik. Eben dieser Text soll hier aber nicht im Mittelpunkt stehen. Vielmehr soll es

um „Max Webers Fragestellung“ aus dem Jahr 1987 gehen. Hennis hat hier erstmals

versucht, Webers Liberalismus anhand eines Schemas zu erarbeiten.

3.1 Hennis Methode

Seiner Beschäftigung mit Webers Liberalismus stellt er eine Reihe von Zitaten voran,

welche Weber eben diesem Ismus zuordnen. Hennis beruft sich vor allem auf Wolfgang

Mommsen, dessen Forschungsarbeit und die daraus resultierende Zuordnung Webers

zum Liberalismus im vorangegangenen Kapitel bereits skizziert wurden. Hennis folgert:

„Daß Max Weber ein »Liberaler« war, scheint gesichertes Ergebnis heutiger Erkenntnis

zu sein.“190

Die von Wilhelm Hennis angewandte Methode war vorbildlich für die vorliegende

Arbeit: Zunächst beschränkt er seine Betrachtung des Weberschen Liberalismus auf

dessen wissenschaftliches Werk und klammert die politischen Aktivitäten Webers, sei

es bei den Alldeutschen, als auch in Begleitung Friedrich Naumanns, aus.191

Daraufhin

weist auch er auf die fast unendlichen Variationen des Liberalismusbegriffs hin und

188

Wilhelm Hennis (*1923) gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der normativen Politikwissenschaft.

189 Sukale: „Max Weber“, S. 36.

190 Hennis: „Fragestellung“, S. 196.

191 Hennis: „Fragestellung“, S. 198.

Page 66: Max Webers Liberalismus

66

bedient sich definitorischer Hilfe. Da er zunächst vor der schwer zu fassenden

Spannbreite des Liberalismusbegriffs steht, verweist er auf Lothar Gall, der feststellt,

„dass selbst eine auch nur als Arbeitshypothese akzeptierte Definition der historischen

Erscheinung, die der Begriff Liberalismus evoziert, noch aussteht.“192

Auch Hennis ist

sich durchaus bewusst, dass man den Liberalismus als politische Philosophie nicht

einfach und kurz abgrenzen kann. So stellt er drei „liberale Kerngedanken“193

auf, die

seiner Meinung nach den Begriff des Liberalismus hinreichend umschreiben. Diese

Kerngedanken, wie sie Wilhelm Hennis erarbeitet, lauten:

1. „Das Abschaffen, Entgrenzen, Freisetzen, verbunden mit einer Hoffnung“,

2. der „Glauben an die Zeit“ und

3. der „Universalismus der Werte – naturrechtliches Erbe – zumindest der von Freiheit

und Gleichheit.“194

Die ersten beiden Kerngedanken leitet Hennis von Texten aus Lothar Galls

„Liberalismus“-Band ab, der auch für die hier zu Grunde gelegten, liberalen

Kernelemente Pate stand. Hennis hält sich aber nicht an die von Lothar Gall

zusammengetragenen Ergebnisse und versucht nicht, aus den doch sehr

unterschiedlichen Texten eine Essenz herauszufiltern, sondern geht bei der Auswahl

seiner Kerngedanken sehr selektiv vor. Da Hennis seine Auswahl nicht begründet,

erscheinen die liberalen Kerngedanken wie eine persönliche Auswahl, die auf seine

Untersuchung Webers hin zugeschnitten sind.

So modifiziert Hennis bereits den ersten Kerngedanken, indem er Leontovitschs These

des Abschaffens die Hoffnung beimischt. Diese Hoffnung beinhaltet die Annahme, alle

Menschen seien zu einem besseren Leben fähig und vor allem bereit, dieses zu

erreichen. Auch der an Schapiro angelehnte zweite Punkt wird leicht verändert, bzw.

geringfügig aus dem Zusammenhang des Ursprungstextes gerissen. Schapiro sah den

Glauben an die Zeit im Liberalismus des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts als

Reaktion auf die sich rapide ändernden gesellschaftlichen Verhältnisse.195

Der Glaube

an die Zeit unterscheidet sich von der Hoffnung des ersten Kerngedankens. Dieser

Glaube richtet sich auf die Zeit als Heilmittel, welches fortwährend größeres Glück für

eine größere Zahl bereithält.

192

Gall: „Liberalismus“, S. 9.

193 Hennis: „Fragestellung“, S. 199.

194 Hennis: „Fragestellung“, S. 199.

195 Schapiro in: „Liberalismus“, S. 30.

Page 67: Max Webers Liberalismus

67

Allein der dritte Kerngedanke enthält liberale Kerngedanken, auf die sich alle Autoren

einigen könnten. Das naturrechtliche Erbe mit den zentralen Momenten Freiheit und

Gleichheit ist definitiv an erster Stelle liberaler Kernelemente zu nennen und nicht, wie

bei Hennis, als ein Punkt unter vielen.

Augenscheinlich wird auch, dass die von Wilhelm Hennis bereitgestellten

„Kerngedanken“ ebenso gut als sozialistisch beschrieben werden können. Auch der

Sozialismus ließe sich mit diesen drei Kerngedanken umschreiben. Man kann sogar die

Ansicht vertreten, dass sowohl das „Abschaffen verbunden mit einer Hoffnung“, als

auch der „Glaube an die Zeit“ eher dem Sozialismus als dem Liberalismus

zugeschrieben werden können.

In Bezug auf Lothar Galls Textsammlung greifen Hennis liberale Kerngedanken zu

kurz. Sie sind in einem gesteigerten Maße selektiv und bilden nicht die von Gall

zusammengetragenen Erkenntnisse über den Liberalismus ab. Dies ist an sich nicht

problematisch, da auch die vorliegende Arbeit keinen Anspruch auf Vollständigkeit

erheben kann. Dennoch wäre es bei Hennis geboten gewesen, sich intensiver mit dem

Liberalismus auseinanderzusetzen oder zumindest die Selektion nachvollziehbar zu

begründen. Die Untersuchung von Max Webers Liberalismus setzt neben einem

intensiven Weberstudium, welches Wilhelm Hennis fordert, auch eine gründliche

Beschäftigung mit dem Liberalismus als politischer Philosophie voraus.

Besehen wir uns nun also, wie Hennis Max Webers Denken an diesen

Liberalismusdefinitionen entlang charakterisiert.

3.2 Webers Liberalismus bei Wilhelm Hennis

Obwohl Hennis, wie eingangs erwähnt, die Zuordnung Webers zum Liberalismus

akzeptiert, so scheint es doch, als würde er dem Stand der Weberforschung skeptisch

gegenüber stehen. Weber als Liberalen zu deuten, hat nach Hennis oftmals den

Hintergrund, ihn als „guten Deutschen“ darzustellen. Zwar bringt Hennis eine ganze

Reihe Argumente, welche Webers politisches Denken als liberal kennzeichnen, jedoch

versucht er immerzu, diese zu relativieren:

So sei „Weber ein leidenschaftlicher Kämpfer für die Freiheit der Wissenschaft“196

gewesen und ein Teilaspekt Hennis erster liberaler Grundkategorie (das Abschaffen,

Entgrenzen, Freisetzen) somit erfüllt. Dennoch fügt er gleich Webers Skepsis ob des

Fortschritts der Wissenschaft an. Der Glaube an den Fortschritt sei ihm fremd und führe

196

Hennis: „Fragestellung“, S. 200.

Page 68: Max Webers Liberalismus

68

darüber hinaus nicht zum „tieferen Erfassen der Wahrheit“197

. Ähnlich verhält es sich

laut Hennis mit dem liberalen Moment der Pressefreiheit. Diese sei für Weber zwar

„eine liberale Selbstverständlichkeit“198

, sie diene aber nicht der „Vermehrung von

Urteilskraft“199

. Dieses Muster setzt sich fort, wenn Hennis auf die Freiheit des

Glaubens zu sprechen kommt. Zwar erkennt Hennis den liberalen Grundton Webers,

spricht ihm jedoch die Überzeugung ab, für eben diese einzutreten. Hennis stößt sich an

der Tatsache, dass Webers politische Ideale nicht eine überzeitliche und universelle

Gültigkeit besitzen, sondern sich vielmehr, wie es bereits bei Jaspers angeklungen ist,

am Leben selbst orientieren und damit vom Abstrakten in das Konkrete überführt

werden.

Dies wird augenscheinlich, wenn man sich Webers Aussagen zum Kapitalismus, als

genuin liberale Wirtschaftsordnung besieht. Für Weber ist der Kapitalismus „ein nicht

mehr aus der Welt zu schaffendes, also schlechthin hinzunehmendes Ergebnis der

geschichtlichen Entwicklung"200

. Hennis sieht in diesem Punkt keine Übereinstimmung

mit dem Liberalismus; er merkt an: „Nie aber hat Weber die spezifisch liberale

Wirtschaftsform zur Glaubenssache gemacht.“201

Außen vor lässt Hennis allerdings,

dass Weber politische Ideale selten zur „Glaubenssache“ machte und dem Liberalismus

die Begrifflichkeit des Glaubens geradezu diametral entgegensteht. Folgt man Hennis,

so steht der Mensch Max Weber gewissermaßen dem liberalen, politischen Denker im

Weg. Webers Dezisionismus will bei Hennis einfach nicht in ein liberales Weltbild

voller abstrakter Werteordnungen passen.

Beispielhaft wird dies in Hennis Ausführungen, wenn es um die urliberale

Wertvorstellung der Freiheit geht. Die Freiheit sei Weber ein relatives und historisches

Konstrukt, stets geknüpft an einzigartige Konstellationen in der Geschichte.202

Sie sei

für Weber kein universelles Gut, sondern immer nur in Zeitfenstern vorhanden, die der

einzelne Mensch ergreifen müsse. Diese Vorstellung kollidiert natürlich mit der von

Hennis aufgestellten liberalen Kernthese des Glaubens an die Zeit. Nach Hennis

Meinung ist dem Liberalismus dieser Glaube inhärent und die Webersche Ansicht, die

Chance zur Freiheit durch den Willen des Einzelnen zu ergreifen, hat mit diesem

197

Hennis: „Fragestellung“, S. 200.

198 Hennis: „Fragestellung“, S. 201.

199 Hennis: „Fragestellung“, S. 201.

200 Hennis: „Fragestellung“, S. 199f.

201 Hennis: „Fragestellung“, S. 200.

202 Vgl. Hennis: „Fragestellung“, S. 221.

Page 69: Max Webers Liberalismus

69

Glauben wenig zu tun.203

Will man die optimistische Zukunftshoffnung als liberales

Kernelement akzeptieren, so muss man in diesem Fall Weber die Nähe zum

Liberalismus absprechen. Doch kann es nicht auch pessimistische Liberale geben? Ist

eine so persönliche Einstellung, wie der Optimismus eine Voraussetzung für die

Bejahung liberaler Ideen?

Hennis hat eine Antwort auf diese Fragen parat, indem er Webers Liberalismus als

einen „seltsamen“ bezeichnet, sofern man denn Weber unbedingt zu etikettieren

wünscht.204

3.3 Kritik an Hennis Ausführungen

Leider hält sich Hennis bei der Frage nach Webers Liberalismus nicht an das von ihm

selbst aufgestellte Schema. Er prüft nicht seine drei Kerngedanken auf Entsprechungen

in Webers Werk, sondern nimmt sie vielmehr zum Anhaltspunkt für politische

Statements, welche er bei Weber vermisst.

Auch ist eine gewisse Unschlüssigkeit in Hennis Argumentation nicht zu verleugnen.

So scheint es, als suche er geradezu Webers Liberalismus zu verneinen: Hennis stellt

die Frage nach Webers Individualismus (welcher in liberaler Tradition in erster Linie

der Freiheit gewidmet ist, aus der sich in einem nächsten Schritt die Gleichheit ableitet)

und antwortet mit Webers Absage an die Gleichheit der Menschen: Mit dem „egalitären

Individualismus des Liberalismus hat sein Denken nichts zu tun.“205

In dieser Aussage

widerspricht Hennis seinen zu Beginn aufgestellten Kategorien des Liberalismus.

Diesen zufolge wäre der liberale Individualismus der ersten Kategorie, nämlich dem

Abschaffen (von Hörigkeitsverhältnissen) verpflichtet. Von Gleichheit hier zunächst

kein Wort.

Hennis Ausführungen sind richtig, nur wird seine Stoßrichtung allzu schnell deutlich.

Man kann sein Urteil bereits aus den ersten Zeilen erraten und für die Herausarbeitung

von Webers Urteilskraft und seiner Absage an Werturteile, muss nicht der Versuch

unternommen werden seinen Liberalismus zu diskreditieren. Hennis kommt ja zu dem

Schluss, dass Weber einen seltsamen Liberalismus verfolgt. Problematisch ist aber die

gleichzeitige Verneinung fast sämtlicher liberaler Gedanken in Webers Werk.

Die Unstimmigkeiten in Hennis Text liegen vor allem in der Unschärfe des

Liberalismusbegriffs begründet. Er verpasst es, zu Beginn des Textes den Liberalismus

203

Vgl. Hennis: „Fragestellung“, S. 220f.

204 Vgl. Hennis: „Fragestellung“, S. 222.

Page 70: Max Webers Liberalismus

70

enger zu fassen, beziehungsweise genauer zu definieren. Dadurch kommt er im weiteren

Verlauf immer wieder in die Situation, Aspekte liberalen Denkens, die er nicht als

Kerngedanken charakterisiert hat, zu besprechen. Sicher liegt die Problematik in den

unterschiedlichen politisch-philosophischen Bildern, die jeder Interpret bei dem Begriff

Liberalismus vor Augen hat, begründet.

Schließlich lässt sich sagen, dass Wilhelm Hennis mit seinen Arbeiten zu Max Weber

einen, für die Politische Wissenschaft, fundamentalen Beitrag geleistet hat. Seine

Ausführungen über Max Webers Fragestellung sind zentral für eine

politikwissenschaftliche Betrachtung im Allgemeinen und eine Betrachtung von Webers

Liberalismus im Speziellen. Die von Hennis abweichenden Urteile, die hier vertreten

werden, sind zum einen der Unvollständigkeit des Weberschen Werkes und dem daraus

resultierenden Interpretationsspielraum, sowie der unterschiedlichen Schwerpunkt-

setzung geschuldet.

Will man ein Fazit aus Wilhelm Hennis Text ziehen, so lässt sich festhalten, dass Max

Weber einen eigentümlichen Liberalismus vertreten hat, der zutiefst der Freiheit

verbunden und mit voluntaristischen Zügen versehen, stets die Handlungsfähigkeit des

Individuums, welches als Herr über sein Schicksal fungiert, forderte.

205

Hennis: „Fragestellung“, S. 212.

Page 71: Max Webers Liberalismus

71

V. Max Webers politische Schriften

Die politische Schriften Max Webers, welche Johannes Winckelmann unter dem Titel

„Gesammelte Politische Schriften von Max Weber“ veröffentlicht hat, bilden für die

Suche nach Max Webers Liberalismus den größten Fundus. Wie bereits erläutert hält

sich Weber hier nicht an das von ihm selbst auferlegte Postulat der Werturteilfreiheit,

sondern lässt einige seiner moralischen Urteile und Wertvorstellungen zum Vorschein

kommen. Hier sieht er sich nicht auf dem Katheder stehend und somit der falschen

Prophetie verdächtigt. Wolfgang Mommsen vertritt die These, „dass von der

Tagespolitik starke Ausstrahlungen auf Max Webers wissenschaftliches Werk

ausgegangen sind“206

. Dieser Aussage folgend, würde also auch das wissenschaftliche

Werk, also die Soziologie Webers, weitere Erkenntnisse über seine Moral- und

Wertvorstellungen enthalten. Hier wird der Blick aber zunächst auf die politischen

Schriften konzentriert, die in ihrer Kommentierung der politischen Verhältnisse der

Weberschen Zeit die ihm sehr eigene Ansicht politischer Mechanismen zeigen.

Exemplarisch werden hier Max Webers Antrittsrede, seine Einstellung zum

Bürgertum als liberaler Trägerschicht und zur Demokratie, als natürlicher, liberaler

Form politischer Organisation, behandelt.

1. Die akademische Antrittsrede als Initialzündung des politischen Denkens

Max Webers

Die vor allem von Wolfgang Mommsen artikulierte Beziehung Webers zum

Nationalismus findet ihre vielleicht größte Entsprechung in der akademischen

Antrittsrede Max Webers: „Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik“207

ist das

früheste Zeugnis für Webers politisches Denken. Zwar hat die Vielzahl der

206

Mommsen: „Politik und politische Theorie“ S. 525.

207 Die akademische Antrittsrede findet sich in den Gesammelten politischen Schriften unter dem Titel:

„Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik“, S. 7-30.

Page 72: Max Webers Liberalismus

72

Weberinterpreten es verstanden, zwischen einem frühen Weber und einem Spätwerk zu

unterscheiden, dennoch sind die 1895 geäußerten Ansichten nicht außer Acht zu lassen.

Die soeben beschriebenen Weberinterpreten taten sich offensichtlich schwer, den

Liberalismus Webers zu belegen, was auch der geringen Anzahl an

Selbstbeschreibungen und mit dem Liberalismus direkt in Verbindung stehenden

Zitaten Webers geschuldet sein kann. Dennoch soll nun in dieser „Politischen Schrift“

nach Zeugnissen Webers politisch-philosophischer Grundhaltung gesucht werden. Zu

diesem Zweck soll Max Weber selbst großer Raum gelassen und entscheidende Stellen

der Rede umfassend zitiert werden.

Die Rede an der Freiburger Universität bildet den Anfang der akademischen Karriere

Webers und ist ein, von Weberkritikern, ob der stark sozialdarwinistischen und

nationalistischen und somit höchst kontroversen Töne, gerne zitiertes Manuskript. Ernst

Nolte formuliert provokant, „daß kaum ein Abschnitt der deutschen politischen

Literatur eine so frappierende Ähnlichkeit mit einigen Teilen von Hitlers »Mein

Kampf« aufweist wie Max Webers Freiburger Antrittsrede von 1895.“208

Können sich

in einem solchen Dokument dennoch liberale Momente finden, die über den

Nationalismus hinaus weisen?

Dieser Abschnitt wirft einen Blick auf die akademische Antrittsrede Max Webers und

die darin enthaltenen politisch-philosophischen, spezifisch liberalen und, sofern diese zu

finden sind, auch dezidiert antiliberale Grundaussagen.

1.1 Die Nation als oberster Wert

In der akademischen Antrittsrede finden sich Anhaltspunkte, welche sowohl Jaspers,

als auch Mommsen und Hennis mit ihren Einschätzungen Recht geben. Beispielsweise

ist hier Webers Orientierung an konkreten Lebenssituationen dokumentiert: „Nicht wie

die Menschen in Zukunft sich befinden, sondern wie sie sein werden, ist die Frage, die

uns beim Denken über das Grab der eigenen Generation hinaus bewegt“209

. Das

Befinden stellt Weber also hinten an. Das Sein steht im Mittelpunkt seiner

philosophischen Ausrichtung. Weber scheint hier gedanklich nah bei den

Existenzphilosophen des frühen 20. Jahrhunderts, zu denen auch Karl Jaspers zu zählen

ist.

208

Nolte, Ernst: „Max Weber vor dem Faschismus“, in: „Der Staat“, Bd.1, Göttingen 1963, S. 1-24, S. 3.

209 Weber: GPS, S. 18.

Page 73: Max Webers Liberalismus

73

Auf dieser Basis sind auch Aussagen wie „auch unsere höchsten und letzten irdischen

Ideale sind wandelbar und vergänglich“210

zu sehen. Diese Absage an die überzeitliche

Gültigkeit menschlicher Ideale kann als Relativismus der Werte verstanden werden.

Doch verbindet man diese zutiefst Webersche Ansicht von einer nicht abschließend zu

treffenden Beurteilung der Werte und Ideale eines Menschen mit der Konzeption des

politischen Liberalismus John Rawls, so wird deutlich, dass es nicht die Ideale sind, die

einer liberalen Gesellschaft ihr Gesicht geben. Vielmehr ist das Anerkennen

verschiedener, nebeneinander existierender Ideale, Rawls nennt sie „umfassende,

vernünftige Lehren“211

, ein für das Fortbestehen einer liberalen Gesellschaft

unumgänglicher Bestandteil. Weber mischt sich, wie sich in diesem Punkt zeigt, nicht in

den Widerstreit der unterschiedlichen Wertauffassungen ein. Er akzeptiert die Pluralität

der Wertvorstellungen und denkt in diesem Punkt somit liberal.

Webers Pluralismus ist, wie bereits, gesehen seiner Vorstellung von der Wertfreiheit

der Wissenschaften geschuldet. Diese klingt bereits in der Antrittsrede an, wie

Mommsen formuliert:

„Bereits hier [in der Antrittsrede] machte Weber in schärfster Weise Front

gegenüber solchen historischen Positionen, die die eigenen durchaus subjektiv

begründeten Werthaltungen als durch den angeblich objektiven Geschichtsprozeß

selbst konstituiert präsentierten.“212

Dennoch gibt es nach Weber Werte, an denen man sich orientieren und an denen man

die Volkswirtschaftspolitik ausrichten muss. Der letzte und oberste Wert dieser Art

könne in einer Welt der Nationalstaaten nur die Staatsraison und damit der deutsche

Nationalstaat sein, da „sobald sie [die Volkswirtschaftslehre] Werturteile fällt, ist sie

gebunden an diejenige Ausprägung des Menschentums, die wie in unserem eigenen

Wesen finden“.213

Er fährt fort: „Die Volkswirtschaftspolitik eines deutschen

Staatswesens, ebenso wie der Wertmaßstab des deutschen volkswirtschaftlichen

Theoretikers können deshalb nur deutsche sein.“214

Will man nach diesen Aussagen Webers Wertehorizont charakterisieren, so ist ihm der

Nationalismus als oberste Kategorie des volkswirtschaftlichen Denkens nicht

abzusprechen. Doch steckt nicht in der Begrifflichkeit der Volkswirtschaft bereits ein

gewisser Nationalegoismus, der anderes Denken qua Definition nicht zulässt? Analog

210

Weber, Max: GPS, S. 19.

211 Vgl. Abschnitt II, Kap. 3.

212 Mommsen: „Politik und politische Theorie“, S. 521.

213 Weber: GPS, S. 19f.

214 Weber: GPS, S. 19.

Page 74: Max Webers Liberalismus

74

hierzu ist die Betriebswirtschaftslehre zu sehen, die immer den Betrieb im Zentrum des

Interesses behält.

Dies scheint der Horizont der Nationalökonomie des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu

sein, will man Weber in diesem Punkt folgen.215

Die Mehrung des nationalen

Wohlstandes war folglich das oberste Kriterium und einzige Handlungsebene. Innerhalb

dieses Kosmoses erscheint Webers Denken zunächst folgerichtig.

Es gab aber bereits zu seiner Zeit Theorien, die die Ökonomie ohne diesen

ausgeprägten Nationalegoismus definierten.216

Webers Nationalismus ist in diesem

Punkt folglich nicht zu entschuldigen oder in Schutz zu nehmen. Seine Auffassung von

der Nationalökonomie ist aus heutiger Sicht nicht mehr zu vertreten.

Eine Verbindung zwischen dem Nationalismus und dem Liberalismus Webers sieht

allerdings Alan Ryan, wenn er über Weber und J.S. Mill schreibt. Er merkt an, dass die

deutsche „nationale Identität so instabil war, dass sich der Liberalismus mit dem

Nationalismus verbünden musste.“217

Dies scheint Webers Nationalismus treffend zu

charakterisieren. Dieser erscheint eben nicht als blinde Unterordnung der politischen

Ideen unter das Dogma der Nation, sondern eher in der Tradition des aufgeklärten

Nationalismus des 18. und 19. Jahrhunderts: der Bewegung zur Bewusstwerdung und

zur Organisation der nationalen Einigung bzw. Integration.218

215

Die internationale Verflechtung der Wirtschaft hatte sich noch nicht wie heute institutionell

manifestiert, obwohl sie im Geld- und Warenverkehr bereits existierte. Einrichtungen wie die Bretton-

Woods-Institutionen wurden erst während des Zweiten Weltkrieges ins Leben gerufen um den

Welthandel zu unterstützen.

216 So beispielsweise David Ricardos (1772-1823) Theorie des komparativen Kostenvorteils. Ricardo war

der Ansicht, dass sich der Außenhandel prinzipiell für alle Volkswirtschaften lohne. Somit waren also

schon ca. 100 Jahre vor Webers Antrittsrede die Vorzüge einer nicht auf die Nation bezogenen Ökonomie

bekannt. Vgl. David Ricaro: „Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung“, hrsg. von

Fritz Neumark, Frankfurt am Main 1972.

217 Ryan, Alan: „John Stuart Mill und Max Weber über Geschichte, Freiheit und Vernunft“, in:

Mommsen, Wolfgang, Schwentker, Wolfgang (Hrsg.): „Max Weber und seine Zeitgenossen“, Göttingen,

1988. S. 259.

218 Die Einigung der Nation war in Deutschland bereits über 20 Jahre Realität, als Weber seine

Antrittsrede hielt. Somit ist fraglich, ob Weber diese Verbindung zuzuschreiben ist. Doch kann man aus

seiner Ablehnung des Bismarckschen Staates auch eine Ablehnung der damaligen Reichsgründung

ableiten. Die Liberalen gaben ihre demokratischen Grundwerte zu Gunsten der Reichseinigung zwar auf,

Weber sah hierin allerdings eine Schwäche. Für ihn waren Nationalismus und Liberalismus in dieser

Sichtweise also keine Widersprüche.

Page 75: Max Webers Liberalismus

75

Zwar impliziert dieser Vergleich des Weberschen Liberalismus mit dem

Nationalismus des 19. Jahrhunderts wiederum einen historischen und nicht einen

zeitlos-theoretischen Liberalismus, die Erkenntnisse dieser Sphäre zur Gänze außen vor

zu lassen, hieße gerade in Bezug auf den Nationalismus Webers, wichtige Erkenntnisse

zu vernachlässigen. Die Nation war Weber stets der oberste Orientierungswert, dem er

sein politisches Streben unterordnete und dieser Oberwert ist nicht liberal.

1.2 Nationalismus und Sozialdarwinismus

In der Akademischen Anntrittsrede als erstem Zeugnis des politischen Denkens Max

Webers fallen zunächst die scharfen sozialdarwinistischen Töne auf, die dem Leser von

heute ein mulmiges Gefühl vermitteln. Wo von „physischen und psychischen

Rassenqualitäten“219

die Rede ist, wenn es um den Konkurrenzkampf der katholischen

Polen und der mehrheitlich protestantischen Bauern im ostelbischen Preußen geht, da

scheinen rassistische Motive nicht fern.

Weber geht sogar noch einen Schritt weiter und behauptet, wenn er zu erklären

versucht, warum die Polen besser mit den agrarischen Gegebenheiten der Region

zurechtkommen: „Der polnische Kleinbauer gewinnt an Boden, weil er gewissermaßen

das Gras vom Boden frißt, nicht trotz, sondern wegen seiner tiefstehenden physischen

und geistigen Lebensgewohnheiten.“220

Weber fährt in dieser Manier fort und stellt

„den Sieg niedriger entwickelter Typen der Menschlichkeit und das Absterben hoher

Blüten des Geistes- und Gemütslebens“221

fest.

Diese beispielhaften Ausführungen könnten aus ihrer Entstehungszeit heraus

interpretiert werden. So wie Gregor Fitzi, laut dem Weber hier „den Rassenbegriff ganz

unbekümmert [verwendet], wie es in der Soziologie zur Zeit der Wende vom 19. zum

20. Jahrhundert auch üblich war, um die Abstammungsgemeinsamkeit innerhalb einer

Menschengruppe zu bezeichnen.“222

Dieser Rassenbegriff sei bei Weber stets ein

soziales Konstrukt, welches subjektiv empfunden bestimmte wahrnehmbare Merkmale

zur Grundlage einer politischen Gemeinschaft erhebt.223

Will man Webers Einstellung

zum Rassebegriff allerdings zeitlos bewerten, so muss man ihn hier ablehnen.

219

Weber: GPS, S. 10.

220 Weber: GPS, S. 14.

221 Weber: GPS, S. 14.

222 Fitzi: „Max Weber“, S. 203.

223 Fitzi: „Max Weber“, S. 203.

Page 76: Max Webers Liberalismus

76

Max Weber scheint sich der Probleme, die sich aus Begriffen wie Rasse, aber auch

Züchtung und Auslese ergeben, bewusst gewesen zu sein. Beim Begriff der Züchtung

scheint er zu wissen, dass er ein Minenfeld betritt. Er verweist in einer Fußnote auf die

ins Allgemeingut übergegangene Begrifflichkeit der Auslese und ist sich der

Verfehlungen bewusst, die einige Anthropologen in Fortführung Darwins mit dem

Konzept der Auslese trieben.224

Dennoch lässt sich aus heutiger Sicht nicht verhehlen, dass der kalte und nüchterne

Umgang mit dem Rassebegriff nach 1945 nicht mehr tragbar ist. Diese Vorgehensweise

ist Weber zwar nicht direkt zum Vorwurf zu machen, doch darf man seine Ansichten

auch nicht, wie Gregor Fitzi, mit dem Verweis auf den Usus in Webers Zeit kleinreden.

Dies hieße sich, salopp gesagt, die Rosinen aus Webers Werk herauszupicken. So findet

sich in den in der Antrittsrede geäußerten Gedanken Webers vielleicht auch der größte

Widerspruch zu den liberalen Kernelementen. Vor allem die Idee der Gleichheit der

Individuen kollidiert hier aufs Heftigste mit den Ausführungen über die

unterschiedlichen Rassenqualitäten der Nationalitäten. Der Liberalismus existiert eben

nicht nur in einem abgeschlossenen System, wie dem Nationalstaat zu Webers Zeit; er

kann nur von politischer Gültigkeit sein, wenn er grenzübergreifende Wirksamkeit

besitzt. Eben das zeichnet den Liberalismus als theoretisch-allgemeine politische

Philosophie aus. Dies impliziert die Idee der Gleichheit der Menschen. An dieser Idee

richtet sich Weber hier nicht aus.

224

Weber: GPS, S. 15.

Page 77: Max Webers Liberalismus

77

1.3 Glaube an die Zeit und Eudämonismus

Webers Glaube an die Zukunft, als Heilsbringer für ein größeres Glück einer größeren

Zahl ist in dem Abschnitt über Wilhelm Hennis bereits kurz thematisiert worden. Laut

Hennis ist Weber dieser Glaube fremd und in der Antrittsrede finden sich einige, diese

These belegende Passagen225

:

„Es gibt sicherlich keine volkswirtschaftspolitische Arbeit auf anderer als

altruistischer Grundlage. Die Früchte alles wirtschafts- und sozialpolitischen

Strebens der Gegenwart kommen in ihrer gewaltigen Überzahl nicht der lebenden

Generation, sondern der künftigen zugute. Unsere Arbeit ist und kann, wenn sie

einen Sinn behalten soll, nur sein wollen: Fürsorge für die Zukunft, für unsere

Nachfahren. Aber es gibt auch keine volkswirtschaftspolitische Arbeit auf der

Grundlage optimistischer Glückshoffnungen. Für den Traum von Frieden und

Menschenglück steht über der Pforte der unbekannten Zukunft der

Menschengeschichte: lasciate ogni speranza.“226

Alle Zukunftshoffnungen begräbt Weber mit einem Zitat Dante Alighieris. Zwar

glaubt Weber an eine Einflussnahme auf die Zukunft, jedoch geschieht diese immer aus

dem Jetzt heraus. Die Zeit wird nicht als Heilmittel eingesetzt, welches automatisch

positive Effekte auf die Menschheit hat. Vielmehr bedarf es tagtäglicher Anstrengungen

um „Frieden und Menschenglück“ zu verwirklichen.

Dieser tiefe Pessimismus kann jedoch auch als Vorahnung begriffen werden, welche

Weber befallen haben mögen. Vielleicht sah er bereits das Unheil am politischen

Horizont heraufziehen, welches mit dem Kriegsausbruch 1914 seinen Anfang nahm.

Eine weitere Passage belegt, dass Weber das Glück der Menschheit beschäftigte und

er es darüber hinaus auch als erstrebenswert ansah; die Probleme des Zusammenlebens

und die kämpferische Natur des Menschen selbst stünden der Verwirklichung dieses

Zieles allerdings im Wege:

„die Besserung der »Lustbilanz« des Menschendaseins ist für sie [die

Volkswirtschaftspolitik] das einzig verständliche Ziel unserer Arbeit. Allein:

schon der Ernst des Bevölkerungsproblems hindert uns, Eudämonisten zu sein,

Frieden und Menschenglück im Schoße der Zukunft verborgen zu wähnen

[…].“227

225

Hier sei angemerkt, dass Webers akademische Antrittsrede aus der Sicht der Nationalökonomie

gehalten wurde und somit nicht von vornherein eine politische Zielsetzung hatte. Allerdings war die

Disziplin der Poltischen Wissenschaft an der Schwelle zum 20. Jahrhundert noch fest in der Hand der

Ökonomen, Staatsrechtler und Philosophen und Weber selbst sagt: „die Wissenschaft von der

Volkswirtschaftspolitik ist eine politische Wissenschaft.“ (Weber: GPS, S. 20).

226 Weber: GPS, S. 18.

227 Weber: GPS, S. 18.

Page 78: Max Webers Liberalismus

78

Weber erteilt also in aller Deutlichkeit jeglichem Eudämonismus eine Absage.

Sicherlich bezieht sich dieses Zitat auf eine konkrete Problematik, aber die Art der

Argumentation ließe sich auch auf weitere politische Dimensionen übertragen. Eine

Reihe von Fragen schließt sich hier an. Ist beispielsweise Webers von Macht, Kampf

und Herrschaft geprägte Sprache und somit auch seine Philosophie gar nicht fähig, eine

auf das Glück gerichtete Zielsetzung zu implementieren?

Es lässt sich aber festhalten, dass Webers politisches Denken stets einen klaren

Realitätsbezug behält. Er entwirft, um hier Karl Jaspers zu widersprechen, keine

Philosophie, die sich umfassend um die Lustbilanz der Menschheit sorgt. Weber

akzeptiert diese Mehrung des Glücks als legitimes Ziel, glaubt aber durch seine

pragmatische Herangehensweise an politische Fragen nicht an eine politische Welt

fernab vom Kampf. Seine Gedanken an das „Zukunftsgeschlecht“ als Nachfahren seiner

Generation warnen vor einem Optimismus, der den Frieden herbeisehnt: „Es gibt keinen

Frieden auch im wirtschaftlichen Kampf ums Dasein“228

.

Welche Aussagen über Webers Liberalismus lassen sich vor dem Hintergrund dieser

Gedanken über das Glück des Zukunftsgeschlechts machen? Am ehesten die, dass die

Verantwortung für politische Entscheidungen an der Realität zu messen sind. Die

Mehrung des Glücks der Menschen kann ein Ziel sein, sollte aber nicht den Blick auf

die konkreten Probleme, die politische Entscheidungsprozesse mit sich bringen,

verschleiern. Zudem wohnt den politischen Statements Webers auch eine

Verantwortung für zukünftige Generationen inne, welche einen maßvollen Umgang mit

Ressourcen und vor allem mit politischen Entscheidungen, die die Zukunft tangieren

propagiert. Die Vernunft siegt somit über den Glauben, da die Hoffnung auf eine

Besserung in der Zukunft nicht die Zustimmung Webers erfährt.

Max Webers Antrittsrede ist kein Dokument, anhand dessen sich ein dezidierter

Liberalismus ablesen ließe. Vielmehr ist der hier beschworene Nationalismus auf den

ersten Blick ein Hindernis beim Abgleich mit den liberalen Kernelementen. Webers

Werk wird von seinen Interpreten oft in vor und nach seiner Erkrankung 1898

geschieden. Dieser Einteilung sich anzuschließen vereinfacht den Umgang mit der

Antrittsrede von 1895. Sie verschwindet somit aus dem Werk des „eigentlichen“ Weber

und somit ist der hier proklamierte Nationalismus nicht mehr von solcher Bedeutung.

228

Weber: GPS, S. 18.

Page 79: Max Webers Liberalismus

79

Will man aber Webers Liberalismus herausarbeite, so kann man vor dieser Rede nicht

die Augen verschließen. Sie ist Teil der politischen Schriften Webers und zeigt sein

unliberales Gesicht.

2. Max Weber über das Bürgertum und die Arbeiterschaft

In den politischen Schriften Max Webers gibt es einige Passagen, die das Bürgertum

und die Arbeiterschaft zum Gegenstand haben. Im Folgenden soll beleuchtet werden,

wie Weber zu diesen politischen Klassen stand und ob sich aus seiner Einstellung

liberale Gedanken ableiten lassen.

2.1 Max Weber und das Bürgertum

Das Bürgertum wird zumeist als die tragende Klasse des Liberalismus im

Allgemeinen und demokratischer Gesellschaften im Speziellen bezeichnet. Schapiro

bezeichnet es als „Vorkämpfer dieser neuen Lebensform [des Liberalismus]“229

. Ohne

den Begriff der Bürgerlichkeit und des Bürgers kommt der Liberalismus in seinen

konkreten Ausformungen selten aus. Hier ist zunächst rudimentär zu unterscheiden

zwischen dem (Staats-)Bürger als gleichberechtigtem, freien Individuum innerhalb der

Gesellschaft und dem Bürgerlichen, dem Bourgeois, der als Mitglied der vermeintlich

tragenden Klasse des Liberalismus eine herausgehobene Stellung innehat. Letzterer ist

über seinen formal gleichberechtigten Stand in der Gesellschaft hinaus einem materiell

besser gestellten Teil der Gesellschaft zuzuordnen. Die Bourgeoisie230

ist eine politische

Klasse, die vielfach als Initiator und Träger liberaler Ideen agierte:

„Seine [der Liberalismus] Ausformung ist mit dem Aufstieg des Bürgertums

verknüpft. […] Der Banker, der Kaufmann, der Handwerker, begannen den

Landbesitzer, den Geistlichen und den Krieger als die Typen des beherrschenden

sozialen Einflusses zu ersetzen. [Übersetzung: Jarzebski].“231

229

Schapiro in: „Liberalismus“, S. 22.

230 Eine ausführliche, kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff des Bourgeoise und der Bourgeoisie

kann hier nicht geleistet werden. Die herausgehobene Stellung der Bürgerlichen in der Gesellschaft und

der so oft zu Recht kritisierte Standesdünkel, der dieser politischen Klasse anhängt, birgt Probleme, auf

die nicht näher eingegangen werden kann. Die Kritik am Bürgertum, welche Max Weber leiste, hat zwar

eine andere Stoßrichtung als die Kritik von „Links“, die Ansichten Webers sind aber als

systemimmanente Kritik beinahe von größerer Bedeutung.

231 Müller, Johann Baptist: „Liberalismus und Demokratie“, Stuttgart 1978, S. 7.

Page 80: Max Webers Liberalismus

80

Welche Aussagen Max Webers lassen sich aus seinen politischen Schriften, in Bezug

auf das Bürgertum als genuin liberale Klasse, ziehen. Welche Einstellung hatte er zu

den Bürgerlichen seiner Zeit?

Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts war es das Bürgertum, als politische Klasse,

welches die Wege der Politik maßgeblich prägte. Wie Max Weber zu diesen

Klassenverhältnissen stand lässt sich an einer Passage aus seiner Antrittsrede

beispielhaft demonstrieren:

„Ich bin ein Mitglied der bürgerlichen Klassen, fühle mich als solches und bin

erzogen in ihren Anschauungen und Idealen. Allein es ist der Beruf gerade

unserer Wissenschaft zu sagen, was ungern gehört wird, - und wenn ich mich

frage, ob das Bürgertum Deutschlands heute reif ist, die politisch leitende Klasse

der Nation zu sein, so vermag ich heute nicht diese Frage zu bejahen.“232

Max Weber empfand sich als Bürgerlicher und er stand den Idealen dieser Klasse

zumindest nicht abneigend gegenüber. Ideale waren ihm persönliche Motive, die er

nicht gerne zur Disposition stellte. Dieses Zitat zeigt, dass ihn nicht die Werte des

Bürgertums interessierten, sondern die Frage der Macht. Wer ist aufgrund seiner

politischen Reife fähig, die Geschicke des Staates zu leiten – dies war die Frage, die

Weber nicht los ließ.

2.2 Weber über die Unfähigkeit des deutschen Bürgertums

Das Bürgertum war von dieser Reife nach Webers Meinung weit entfernt. Die Gründe

sah er in der Struktur des politischen Deutschlands unter Bismarck begründet. Das

Bürgertum müsse endlich aus dem Schatten der „Cäsarengestalt“233

treten und

selbstbewusst Politik treiben. Nach Webers Einschätzung ist das Bürgertum in

Deutschland nie zu politischer Macht gelangt. Es waren die alten Eliten, die Junker vor

allem Ost-Preußens, Militärs und Adlige, welche mit ihrem post-feudalen Wesen das

deutsche Reich prägten. Die Bürger hingegen hätten sich nie politisch gebildet und

sonnten sich im Ruhm Bismarcks oder erstarrten vor den am Horizont aufziehenden

gesellschaftlichen Veränderungen, die in Gestalt der Arbeiterschaft auf sie zukamen.234

Webers Urteil über die politische Unreife der Bürger änderte sich auch nach dem

Ersten Weltkrieg nicht. Die Bürgerlichen hatten keine Lehren aus der Bismarckzeit

gezogen und nun rächte sich diese Unmündigkeit. Nach Webers Einschätzung war

Handlungsunfähigkeit die Folge der politischen Unselbstständigkeit und der Furcht vor

232

Weber: GPS, S. 26.

233 Weber: GPS, S. 26.

234 Weber: GPS, S. 28f.

Page 81: Max Webers Liberalismus

81

sozialer Veränderung. Das Großbürgertum fürchte sich vor der Demokratie als neuer

Form politischer Machtverteilung, da somit die alten, plutokratischen Strukturen

Preußens vor dem Ende standen; das Kleinbürgertum hingegen sei nie aus der

politischen Spießbürgerei erwacht, so Weber. 235

Der Spießbürger ist eine Figur, die Weber ob ihres „philiströsen Moralismus“236

verachtete: Es seien die „literarischen Spießbürger“, die durch einen vorgeschobenen

Altruismus ihre egoistischen Motive, das Streben nach Ämtern im Beamtentum, zu

verdecken suchen. Ihnen sei der Wille zur Macht ein unehrenhaftes Begehren.

237

Dieser fehlende Wille zur Macht ist laut Max Weber der von Beamten verwalteten,

obrigkeitsstaatlichen Struktur Deutschlands geschuldet. Diese behördliche,

administrative Klasse von Bürokraten, die im Dienste der mächtigen Großbürger und

Adligen deren Herrschaft verwalteten, wurde an der politischen Macht nicht beteiligt.

Der „Wille zur Ohnmacht“ im Parlament sei das fatalste Erbe der „negativen Politik“,

welche diese Beamtenschaft unter Bismarck zu leisten hatte, so Weber weiter.238

Er sah

die Beamtenschaft beteiligungslos am Rande stehen, als das Land neue Führer erwählte.

Die Bürger versagten sich der Verantwortung, indem sie lieber verwalteten als

herrschten. Diese Feigheit des Bürgertums wurde zur Erhaltung der Bürokraten-

Herrschaft ausgenutzt, so Weber. Für Weber war die entscheidende Frage, wie sich die

Bürgerlichen in Zukunft verhalten würden. Würden sie in der Angst vor dem Drängen

der Arbeiterschaft nach mehr politischer Mitsprache verharren oder ihre unmündige

soziale Sicherheit aufgeben, um der Herrschaft der Mächtigen ein Ende zu bereiten.239

Bislang sind in diesen Aussagen nicht viele Übereinstimmungen mit dem

Liberalismus zu Tage getreten. Weber scheint es bei seiner Sicht auf die Bürgerlichen

eher um deren politische Handlungsfähigkeit, als um die höheren, vermeintlich liberalen

Ideale zu gehen. Man kann aus der Auflehnung gegen die bürgerliche Feigheit, welche

Weber feststellte, aber einen Appell ablesen, der sich an die Verantwortung und auch an

die Vernunft des Bürgertums richtet. Weber will die Bürgerlichen aufrütteln, ihre

politischen Rechte und auch ihre Pflichten, als welche er das Streben nach Macht

ansieht, wahrzunehmen.

Ein Problem bei der Beurteilung seiner eigenen Klasse spricht Richard Ashcroft an:

235

Vgl. Weber: GPS, S. 126ff. Siehe unten Abschnitt V, Kap.3.

236 Weber: GPS, S. 168.

237 Vgl. Weber: GPS, S. 168.

238 Weber: GPS, S. 179.

239 Weber: GPS, S. 346.

Page 82: Max Webers Liberalismus

82

„Weber befand sich in einer schlechten Position, wenn er die Rolle und das

Wesen des Liberalismus als einer bürgerlichen Ideologie erklären wollte, weil

sich dessen zentrale Dogmen so vollkommen in seinem eigenen sozialen Denken

widerspiegeln. Außerdem musste die Auffassung vom ‚Idealtypus’ einen

‚desillusionierten’ Liberalen wie Weber besonders ansprechen.“240

Die Bezeichnung Webers als „desillusionierten Liberalen“ erscheint in diesem

Zusammenhang sehr treffend. Diese Einschätzung teilen auch einige andere Autoren.241

Weber setzt in seinem Urteil über die politische Handlungsfähigkeit der Bürgerlichen

sehr hohe Maßstäbe an. Wie Ashcroft richtig bemerkt, hat Weber auch in Bezug auf den

Willen zur politischen Mitsprache und damit zur Macht, eine idealtypische Vorstellung

vor Augen, der das Bürgertum, in seinen Augen, nicht gerecht wird.242

2.3 Weber über die Arbeiterschaft

Wie oben beschrieben sorgt sich Weber allein um die politische Qualifikation, nicht

um soziale Probleme, in denen er die Vorbehalte des Bürgertums gegenüber der

Arbeiterschaft vermutet.243

Die oben beschriebenen Aussagen, von tiefer Skepsis bis hin

zum Bemitleiden des Bürgertums, ob dessen politischer Feigheit, prägten Max Webers

Bild von den Bürgerlichen in Deutschland an der Schwelle des 20. Jahrhunderts.

Max Weber hegte jedoch nicht allzu große Hoffnungen in das politische Vermögen

der Arbeiterschaft. So seien noch keine Anzeichen dafür vorhanden, dass diese reif

wären für Machtpositionen.244

Das „moderne Proletariat“245

steht bei Weber in einer

direkten Verbindung zu den Bürgern und ist prädestiniert, das Erbe der bürgerlichen

Ideale anzunehmen. Zu diesem Zweck müsste sich aber, so Weber weiter, eine

„Arbeiteraristokratie“246

konstituieren, die noch nicht in Sicht sei. Die ökonomische

240

Ashcraft in: „Liberalismus“, S. 98.

241 So etwa Wolfgang Mommsen in seiner Promotionsschrift: Vgl. Mommsen, Wolfgang: „Max Weber

und die deutsche Politik 1890-1920“, Köln 1959 (Im Folgenden zitiert als Mommsen: „Max Weber 1890-

1920“), S. 387ff. Auch Wilhelm Hennis Ausführungen haben einen ähnlichen Tenor: Vgl. Hennis:

„Fragestellung“, S. 223ff.

242 Fraglich ist in wie weit die Ansprüche Webers als realistische Einschätzung der politischen Natur des

Menschen zu sehen sind, oder in wie weit seine Ansprüche nur an wenige, der politischen Macht

gegenüber Aufgeschlossenen, gestellt werden können. Weber problematisiert diesen Sacherhalt in seiner

Herrschaftslehre, wenn er über die Auswahl der geeigneten Führer schreibt.

243 Vgl. Weber: GPS, S. 168.

244 Vgl. Weber: GPS, S. 29.

245 Weber: GPS, S. 28.

246 Weber: GPS, S. 29.

Page 83: Max Webers Liberalismus

83

Reife der Arbeiterschaft sei zwar wesentlich größer, als der Klassenegoismus der

Bürgerlichen es ihnen zugestehen möchte, die politische Unreife dieser aufstrebenden

Kleinbürger sei allerdings immer noch hinderlich für den Weg zur Macht.247

Wo Weber über die Arbeiterschaft schreibt, präsentiert er sich als Verfechter der

Freiheit, indem er dieser Klasse das freie Recht der Interessenvertretung zugesteht.

Weber zeigt sich als Liberaler, da er als Mitglied der Bürgerlichen Klassen das

Aufkommen der Arbeiterschaft nicht als Bedrohung, sondern viel eher als Chance

begreift. Vor aller Beurteilung dieses gesellschaftlichen Prozesses steht allerdings, wie

so oft bei Weber, zuerst die Feststellung der Tatsachen. Die Arbeiter begehren nach

mehr politischer Mitsprache, also sollen diese, im liberalen Sinne, danach Streben.

Weber sieht keine Gründe diesen Willen zur Mitsprache aus politischen Gründen zu

verwehren. Der Zugang zur Macht steht jedem offen, der in Webers Augen dazu

befähigt ist:

„Ökonomisch sind die höchsten Schichten der deutschen Arbeiterklasse weit

reifer, als der Egoismus der besitzenden Klassen zugeben möchte, und mit Recht

fordert sie die Freiheit, auch in der Form des offenen organisierten ökonomischen

Machtkampfes ihre Interessen zu vertreten.“248

In der Ansicht der Arbeiterschaft spiegelt sich Webers Offenheit wider. Obwohl er

sich als Bürgerlicher sah, verfiel er nicht in die Angststarre seiner Klasse und versuchte

stets die Arbeiterschaft mit dem Bürgertum zu verbünden. Seine Stoßrichtung war

gegen den preußischen Konservatismus gerichtet, der ihm als das Übel des Staates

galt.249

Der Arbeiterschaft machte Weber ihr Streben nach politischer Macht nicht zum

Vorwurf, sondern begrüßte es vielmehr. Eben diese Einstellung war es, die er beim

Bürgertum vermisste.

Sicher ist, dass im politischen Liberalismus immer der Wille zur Macht vorhanden

sein muss. Wie oben bereits kurz erwähnt, sind zum heutigen Zeitpunkt demokratische

Organisationsformen der Herrschaft die einzig bekannten politischen Systeme, die in

einer liberalen, pluralistischen Gesellschaft die Grundwerte der individuellen Freiheit

und der formalen Gleichheit sichern helfen. Der Wille zur Macht, den Weber vor allem

in Bezug auf die politischen Klassen beschwört, bleibt in der Demokratie als wichtige

Konstante erhalten. Dies ist der Tenor der Weberschen Thesen. Seiner Einschätzung

247

Vgl. Weber: GPS, S. 28.

248 Weber: GPS, S. 28.

249 Vgl. Mommsen: „Max Weber 1890-1920“, S. 388ff.

Page 84: Max Webers Liberalismus

84

nach sind es also Bürgertum und Arbeiterschaft, die beide ihre politischen Ziele zu

erreichen suchen und hierfür die Ebene der reinen Dienerschaft im bürokratischen Staat

verlassen müssen.

Weber proklamiert hier gewissermaßen einen Liberalismus der Chance, welcher

immer das Streben in politische Machtpositionen impliziert. Hierzu Müller:

„Nur so bleibt eine Gesellschaft offen und dynamisch, statt in zufriedener

Selbstgefälligkeit zu erstarren, und ermöglicht es neuen Akteuren und Klassen,

neue Ideen und Impulse dem sozialen Leben zu verleihen.“250

3. Max Weber und die Demokratie als Technik

Max Weber hat in seinem Werk keine Staatstheorie hinterlassen. Zwar plante er, so

der gesicherte Stand der Forschung, eine ausführliche Staatssoziologie251

, vollendete

diese allerdings nie. So gelten bis heute die beiden Texte „Politik als Beruf“ und

„Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“252

als die explizitesten

Schriften Webers über die Demokratie; wenn auch hier die Unterscheidung zwischen

Webers Zeitdiagnose und staatstheoretischen Untersuchungen teilweise schwer fällt.253

Festzuhalten ist mit Andreas Anter folglich, dass „Webers Staatstheorie kein kohärentes

oder in sich geschlossenes Ganzes und […] erst recht kein System“254

ist.255

In den vorangegangenen Kapiteln wurde bereits in Seitenblicken dargestellt, dass

Weber zur Demokratie keine leidenschaftliche Einstellung hatte. Sie war ihm vielmehr

250

Müller: „Max Weber“, S. 146.

251 Vgl. hierzu Anter, Andreas: „Max Webers Theorie des modernen Staates – Herkunft, Theorie und

Bedeutung“, Berlin 1996 (im Folgenden zitiert als Anter: „Theorie des modernen Staates“); Vgl. Müller:

„Max Weber“; Vgl. Mommsen: „Max Weber 1890-1920“.

252 Beide Texte sind in GPS enthalten.

253 Vgl. Fitzi: „Max Weber“, S. 253f.

254 Anter: „Theorie des modernen Staates“, S. 231.

255 Diese Einschätzung zieht sich durch Webers gesamtes Werk. Er hat zu keinem Themenkomplex ein

abgeschlossenes System entwickelt. Karl Jaspers hat mit seiner These vom Fragmentcharakter des

Weberschen Werkes als erstes auf die Unvollständigkeit als Tugend hingewiesen. Ähnlich auch Anter,

der in der Unvollständigkeit ein positives Moment sieht, da man sich so keiner Interpretationslinie in

Webers Werk zu verpflichten hat.. Anter sieht allerdings in der Staatstheorie Webers einen roten Faden

durch dessen Werk. Alle Bereiche des Weberschen Denkens würden durch seine staatstheoretischen

Überlegungen tangiert. Vgl. Anter: „Theorie des modernen Staates“, S. 232f.

Page 85: Max Webers Liberalismus

85

die bestgeeignete Technik zur Führerauswahl. Wie gestaltet sich diese Ansicht im

Einzelnen und wie lässt sie sich zum Liberalismus in Verbindung setzen?

3.1 Demokratie als Technik

Die Staatsverfassung war für Weber keine Frage von Idealen, sondern vielmehr eine

Frage der Technik. Die Demokratie und auch der Parlamentarismus waren Weber die

beste aller bekannten Techniken zur Organisation der Herrschaft im Staat. Diese

Technik konnte bei ihm allerdings keine leidenschaftliche Begeisterung hervorrufen, da

er sie als unverzichtbare, institutionelle Errungenschaft des Liberalismus erachtete, über

die die Staatstheorie bereits hinaus sei, wie Wilhelm Hennis behauptet.256

Auch Wolfgang Mommsen interpretiert Webers Bejahung der Demokratie ähnlich. Er

sieht die Forderungen Webers nach Demokratisierung als Angriff auf die Herrschaft der

Konservativen in Deutschland.257

Somit ist diese Einstellung in einer Reihe mit dem

Weckruf an das deutsche Bürgertum zu sehen.258

Doch ist diese Zustimmung Webers zur Demokratie, auch wenn diese als Technik

angesehen wird, wertebeladen? Gibt es für Weber eine naturrechtliche Begründung,

eine ideelle Rechtfertigung für die Demokratie?

Hans-Peter Müller antwortet auf diese Fragen wie folgt:

„Max Weber befürwortete die Einführung von Parlamentarismus und Demokratie

nicht etwa aus naturrechtlich-ethischen Erwägungen – er ist kein Anhänger einer

materialen oder normativen Demokratietheorie.“259

Diese Interpretation korreliert auf den ersten Blick mit dem Weberschen

Werturteilspostulat. Weber vertrat, nach dieser Auslegung, die Demokratie aus rein

vernünftigen, sachlichen, folglich wissenschaftlichen Gründen. So auch Karl

Loewenstein:

„Auch die Demokratie als solche galt ihm [Weber] ausschließlich als ein Postulat

der praktischen Vernunft, ohne daß er es durch eine Idealisierung oder gar

Ideologisierung verbrämt hätte.“260

256

Vgl. Hennis: „Fragestellung“, S. 216f.

257 Vgl. Mommsen: Max Weber 1890-1920“, S. 389f.

258 sieh oben, Abschnitt IV, Kapitel 2.

259 Müller: „Max Weber“, S. 148.

260 Loewenstein, Karl: „Max Webers Beitrag zur Staatslehre in der Sicht unserer Zeit“, in: Käsler, Dirk:

„Max Weber – Sein Werk und seine Wirkung“, München 1972 (im Folgenden zitiert als Loewenstein:

„Max Webers Staatslehre“), S. 229-245, S.232.

Page 86: Max Webers Liberalismus

86

Entgegen dieser wertfreien Auslegung der Weberschen Demokratie schreibt Andreas

Anter, dass die Demokratie trotz der technischen Interpretation Webers zu seinen

politischen Werten zu zählen sei.261

Folgt man Mommsens These von der Stoßrichtung

der konservativen Herrschaft, gegen welche die Demokratie in Webers Augen gerichtet

sein sollte, so kann man Weber hier gewisse Ziele und Absichten unterstellen, die über

ein technisches Verständnis hinausgehen. Hatte Weber eine Veränderung der

gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse zum Ziel, so war ihm die Demokratie ein

Wert an sich, von dem Gutes für die Zukunft ausgehen kann. Weber hätte sie in diesem

Fall mit der Frage nach der Guten Ordnung verbunden und somit eine klassische

normative Politiksicht bewiesen, die als liberal zu bezeichnen wäre. Auch der

Orientierung an der praktischen Vernunft, wie Loewenstein sie vornimmt, kann man

eine liberale Grundhaltung unterstellen, da hier zu Beginn die Vernunft als liberales

Kernelement benannt wurde.

Gilt hingegen Webers Zustimmung zur Demokratie einzig der Frage nach der

Führerauswahl und der in diesem Punkt bestehenden Überlegenheit gegenüber anderen

Herrschaftsformen, so stellt sich Webers Vorstellung vom Staat doch als sehr technisch

dar.

Diese Frage lässt sich nicht abschließend klären, da gesicherte Erkenntnisse hierfür

nur aus dem Munde Webers zu erlangen wären. Klar wird allerdings, dass Weber die

Demokratie als Technik zur Führerauslese begreift.

3.2 Die plebiszitäre Führerdemokratie

Max Webers Kritik an den Bürgerlichen, die oben beschrieben wurde, richtete sich

auch gegen deren Abneigung demokratischer Ideen:

„Es gehört zu jenem Kapital politischer Unreife, […] daß der deutsche

Spießbürger [auf] politische Gebilde wie das englische Parlament […] gewohnt ist

[…] von der Höhe seiner eigenen politischen Ohnmacht selbstgefällig

herabblicken zu können […].“262

Der britische Parlamentarismus war Weber immer Vorbild gewesen für die

Neukonstituierung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg. England galt ihm als das

„Maß der politischen Dinge“263

. Vor allem die cäsaristischen Züge des

Parlamentarismus in England, in dem die Bürgerschaft einen Vertrauensmann mit der

261

Vgl. Anter, ebd. S. 367.

262 Weber: GPS S. 173.

263 Loewenstein: „Max Webers Staatslehre“, S.230.

Page 87: Max Webers Liberalismus

87

Macht ausstattet sich einen eigenen Verwaltungsapparat zu beschaffen, fanden Webers

Zustimmung.264

Als Alternative sah er nur den Obrigkeitsstaat und statt der Führer

vorgesetzte Beamte, die politisch mitnichten zu einer verantwortlicheren Herrschaft

fähig seien.

Weber sah die Notwendigkeit einer repräsentativen demokratischen Herrschaft. So

beschränkte er in seinen staatstheoretischen Überlegungen das konstitutive,

demokratische Element der Volkssouveränität, auf den Moment der Führerauswahl:

„Das Postulat der freien Selbstbestimmung des Volkes, […] wurde ersetzt durch das

Prinzip der formal freien Führerauswahl.“265

Aus einem starken Parlament sollten in

Webers Vorstellungen der Demokratie ein cäsaristischer Herrscher hervorgehen, der

dem Parlament, und somit indirekt dem Volk, gegenüber verantwortlich ist. Somit ist

die Idee des Individualismus, die im Liberalismus angelegt ist, von Weber abgewandelt:

„Nicht ein mit dem Gleichheitsgedanken verbundener Individualismus bestimmt

sein Denken, sondern ein Interesse am repräsentativen Individuum, am

verantwortungsbeladenen herausragenden Typ, der sich vom »Jedermann«

absetzt“.266

Hennis beschreibt hier die Gleichheit im Liberalismus nicht ganz korrekt. Weber

erteilte niemals dem formal gleichen Wahlrecht, oder den formal gleichen Chancen in

das Amt eines Führers gewählt zu werden, eine Absage. Hennis meint hier einen

absoluten Gleichheitsgedanken, der so nicht ins liberale Spektrum gehört. Die liberale,

formale Gleichheit, bleibt bei Weber bestehen.

Der Idee einer direkten Demokratie erteilte Weber aber eine Absage:

“Das System der sogenannten unmittelbaren Demokratie ist technisch nur in

einem Kleinstaat (Kanton) möglich. In jedem Massenstaat führt Demokratie zur

bureaukratischen Verwaltung, und, ohne Parlamentarisierung, zur reinen

Beamtenherrschaft.“267

Mommsen sah in der Reduzierung des Bürgers auf die Führerauswahl eine

Beschneidung des Individualismus.268

Somit wäre in dieser Frage ein nichtliberaler Zug

in Webers Denken identifiziert. Auch in diesem Fall handelt es sich aber um eine Frage

der Exegese: Weber hatte die Handlungsfähigkeit des Staates immer im Blick. Sie war

ihm das oberste Prinzip, unter welches sich andere Werte unterordnen mussten. Diese

Sichtweise offenbart erneut die Webersche Konsequenz. Wenn Max Weber eine

264

Weber: GPS, S. 168.

265 Mommsen: „Max Weber 1890-1920“, S. 393.

266 Hennis: „Fragestellung“, S. 212.

267 GPS, S. 319.

Page 88: Max Webers Liberalismus

88

Staatstheorie entwickelt, so unterstellt er alle seine Überlegungen der Frage nach einem

effektiven Staat. Fragen der Menschenrechte, oder der Volkssouveränität sind dann nur

noch von nachrangiger Natur.

Hierzu muss man eine Webersche Prämisse erwähnen, die seine Staatsauffassungen

maßgeblich geprägt haben:

„Jeder Gedanke…durch noch so ausgetüftelte Formen der »Demokratie« die

Herrschaft des Menschen über den Menschen zu beseitigen, ist eine

Utopie…Begriffe wie »Wille des Volkes«, wahrer Wille des Volkes, existieren

für mich schon lange nicht mehr, sie sind Fiktionen.“269

Unter diesem Gesichtspunkt erscheint Webers Fokussierung auf die Frage der

geeigneten Führerschaft folgerichtig. Seine Gedanken werden dadurch nicht unliberal,

da er, wie Mommsen erklärt, weiterhin an den Freiheitsrechten, der Verantwortlichkeit

der Führer gegenüber ihren Wählern und der Idee des demokratischen Konsenses

festhielt.270

3.3 Liberale Demokratie oder autoritäre Führerherrschaft?

Betrachtet man die in diesem kurzen Abriss zusammengetragenen Ansichten Max

Webers zur Demokratie, so fügen sie sich nahtlos in die bisher, in dieser Arbeit,

vorgelegten Ergebnisse ein. Wieder erscheint Weber hier formal als Anhänger liberaler

Ideen, indem er die Demokratie als bestmögliche Herrschaftsform charakterisiert. Und

wiederum versucht die Mehrzahl der Weberinterpreten die Motive hinter diesen

Ansichten als unliberal, oder zumindest mit dem Liberalismus nicht vereinbar,

hinzustellen.

Es bleibt erneut ein indifferentes Bild von Webers Demokratie zurück. Methodisch

ergibt sich hier ein Bild, welches grob skizziert, der Betrachtung von Gesinnungs- und

Verantwortungsethik, die hier leider nicht behandelt werden konnten, ähnelt: Blickt

man in erster Linie auf die Motive oder besieht man sich das Ergebnis.

Diese Unterscheidung schwingt bei der Beurteilung des Weberschen Denkens immer

mit. Max Weber blickte vermehrt auf das Ergebnis und ließ sich von vermeintlich

moralischer Kritik nicht an seiner Meinungsfreudigkeit hindern. Problematisch erklingt

seine Konzeption einer Führerdemokratie vor dem Hintergrund der

268

Vgl. Mommsen: „Politik und politische Theorie“, S. 526f.

269 Max Weber zitiert nach: Mommsen: „Politik und politische Theorie“, S. 531. Ursprünglich in einem

Brief an Robert Michels vom 04.08.1904, in: MWG II/5 „Weber, Briefe 1906-1908“, hrsg. von Lepsius,

Rainer, Mommsen, Wolfgang Tübingen 1990.

270 Vgl. Mommsen, ebd., S. 526.

Page 89: Max Webers Liberalismus

89

nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland. Zu diesem Kritikpunkt ist jedoch

anzumerken, dass Weber seine cäsaristischen Führer immer in die Verantwortung vor

dem Wähler stellte. Bei einem Versagen seitens des Herrschers, war stets die

Möglichkeit eines Sturzes durch die Wähler, als Sicherung, mit bedacht.271

Die Verbindung der Demokratie nach Max Weber, welche sich als parlamentarische

Technik zur Führerauswahl geriert, zu den liberalen Kernelementen ist nicht leicht zu

finden. Weder stellt Weber die Freiheit, noch die formale Gleichheit ins Zentrum seines

Staatskonzepts. Eher schon ist es die Vernunft, die hier über ideologische Tendenzen in

der Begründung der Demokratie zu siegen scheint. Der Individualismus der Bürger

verschwindet auf der einen Seite hinter der Akklamation des Führers; auf der anderen

Seite wird eben die Befähigung des Herrschers und somit die eines Individuums, in den

Vordergrund gerückt. Es lassen sich also Argumente finden um Webers Liberalismus

gleichermaßen zu be- und zu widerlegen.

Hier wird sich ersterer These angeschlossen, da ein weiterer Aspekt in den

Vordergrund gerückt werden kann: Die Ähnlichkeit des politischen Liberalismus John

Rawls mit den inhaltlich offen gelassenen politischen Gedanken Webers. Vor allem bei

der Betrachtung der Demokratie wird dies augenscheinlich. Rawls sah im Liberalismus

eine Konzeption der Gerechtigkeit, die eine Vielzahl unterschiedlicher umfassender

Lehren akzeptieren kann. Eben diese Bedingungen werden auch durch Weber

geschaffen. Er kümmert sich nur um die Lenkung des Staates, der einen formalen

Rahmen bildet. Die inhaltlichen, gesellschaftspolitischen Themen tangiert Weber

hingegen nicht. Somit erscheint er hier als liberal, da er die Freiheit des Denkens nicht

beschneidet.

Versucht man sich nun an einer abschließenden Aussage über Webers

Demokratieverständnis, so bleibt als einzige Sicherheit die Einschätzung Anters:

„Weber selbst gehört zu den Wegbereitern der Demokratie in Deutschland.“272

271

Vgl. Nolte, Ernst: „Max Weber vor dem Faschismus“, in: „Der Staat“, Bd.1, Göttingen 1963. S. 1-24,

S. 11.

272 Anter, Andreas: „Max Weber und die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik Deutschland“,

in: Ay, Borchardt: „Das Faszinosum Max Weber– Die Geschichte seiner Geltung“, Konstanz 2006 (im

Folgenden zitiert als Anter: „Parlamentarische Demokratie“). S. 353- 372, S. 353.

Page 90: Max Webers Liberalismus

90

VI. Weitere Aspekte des Weberschen Liberalismus

Leider reicht der formale Rahmen nicht aus, um hier ein umfassendes Bild von

Webers Liberalismus zu zeichnen. So wäre eine ausführlichere Untersuchung seines

Werkes auf weitere liberale Momente hin wichtig, um alle Facetten des Weberschen

Liberalismus darzustellen. Hier sollen skizzenhaft noch einige dieser Punkte zur

Sprache kommen und einen Ausblick für die weitere Beschäftigung mit dem

Liberalismus Max Webers bieten.

1. Die Verantwortungsethik

Nicht zur Sprache kam in dieser Arbeit beispielsweise Webers Konzeption der

Verantwortungsethik, welche durchaus liberale Bestandteile enthält, die seinen

Liberalismus akzentuieren könnten. Insbesondere ist hier auf die Heidelberger

Soziologin Agathe Bienfait zu verweisen. Sie hat sich vor allem in ihrem Text „Freiheit,

Verantwortung, Solidarität“273

, der sich vorrangig mit dem politischen Liberalismus

befasst, mit der Verantwortungsethik Weber sauseinandergesetzt. Diese sieht sie in

Fortführung des Kantischen Autonomiegedankens, welcher wiederum als zentrale

philosophische Konzeption des Liberalismus zu bezeichnen ist. Bienfait hat es sich hier

zum Ziel gemacht Webers Verantwortungsethik als Alternative zur Moralsoziologie

Emile Durkheims zu interpretieren und somit Weber in der Tradition der Kantischen

Freiheitslehre zu begreifen.274

Zudem plädiert Bienfait für eine präzise Trennung

zwischen moralischer und politischer Verantwortung.275

Auch Wolfgang Schluchter hat sich eingehend mit Webers Verantwortungsethik

beschäftigt. Er sieht in dem „Dennoch“ als politische Maxime des

273

Vgl. Fn. 73.

274 Vgl. Bienfait: „Freiheit“, S. 130.

275 Vgl. Bienfait: „Freiheit“, S. 171.

Page 91: Max Webers Liberalismus

91

Verantwortungsethikers eine große Ähnlichkeit zum kritischen Rationalismus Karl

Poppers.276

2. Naturrecht und Menschenrechte

Ein weiterer Aspekt des Weberschen Liberalismus, welcher oben in dem Kapitel über

Webers Einstellung zur Demokratie bereits zur Sprache kam, ist seine Einstellung zu

den Menschenrechten und ihrer naturrechtlichen Begründung.

Wolfgang Mommsen kommt bereits in seiner Promotionsschrift zu dem Ergebnis,

dass naturrechtliche Axiome aus Max Webers Sicht nicht mehr zeitgemäß seien. Weber

lehne diese Begründung des Rechtsbegriffs ab und ersetzte ihn durch einen Begriff der

formalen Legalität.277

Eine ähnliche Stoßrichtung wählt Winfried Brugger, der sich bei gleichzeitiger

Berücksichtigung der Verantwortungsethik mit Webers „Beitrag zur Analyse und

Begründung der Menschenrechte“, so der Untertitel seiner Abhandlung,278

befasst.

Brugger sieht bei Weber, ebenso wie Mommsen, ein „an materialen Gehalten

orientiertes Naturrechtsdenken“279

. Max Weber vertrat also nach Auffassung dieser

beiden Autoren einen Rechtsbegriff, der sich über formale Kriterien hinaus an

materialen Fragen orientierte. Diese Einstellung war von den Ideen des Sozialismus

beeinflusst und nach Mommsen direkt gegen den bürgerlichen Rechtsbegriff gerichtet.

Diesem unterstellte Weber den „jeweils ökonomisch Mächtigen“ zu dienen und die

eigenen „inhaltlichen Gerechtigkeitsideale“ zu verletzen.280

In diesen Analysen wird deutlich, dass sich Weber, bezogen auf das Naturrecht, in

bewusste Opposition zu liberalen Ideen stellte.

276

Vgl. Schluchter, Wolfgang: „Wertfreiheit und Verantwortungsethik – Zum Verhältnis von

Wissenschaft und Politik bei Max Weber“, Tübingen 1971, S. 31.

277 Vgl. Mommsen: „Max Weber 1890-1920“, S. 387ff.

278 Brugger, Winfried: „Menschenrechtsethos und Verantwortungsethik – Max Webers Beitrag zur

Analyse und Begründung der Menschenrechte“, Freiburg/München 1980 (im Folgenden zitiert als

Brugger: „Menschenrechtsethos“).

279 Vgl. Brugger: „Menschenrechtsethos“, S. 175.

280 Vgl. Mommsen: „Max Weber 1890-1920“, S. 391.

Page 92: Max Webers Liberalismus

92

3. Charisma und Bürokratie

Die von Max Weber entworfene charismatische Herrschaft ist für sein Werk ebenso

programmatisch, wie die Furcht vor der Einengung des Individuums durch eine

ausufernde bürokratische Herrschaft. Beide Themengebiete hängen bei Weber eng

zusammen und bilden einen zentralen Punkt seines Werkes.

Natürlich lassen sich auch diese beiden politischen Problematiken auf den

Liberalismus beziehen. So wäre beispielsweise die Frage von Interesse in wie weit ein

charismatischer Führer nicht die Frage nach der formalen Gleichheit des Liberalismus

tangiert. Ebenso könnte man fragen, ob diese mit der Vernunft nur schwer zu erfassende

Eigenschaft in ein liberales Raster passt und wie in diesem Zusammenhang das

„Charisma der Vernunft“ wirkt.

Mit beiden Themenfeldern hat sich Stefan Breuer befasst. Er vertritt die These, dass

Weber den Modernisierungsprozess als ständigen Wechsel zwischen Rationalität und

Charisma begriffen hat.281

Natürlich könnte man zu diesen, für die Weberrezeption zentralen, Themen noch

unzählige weitere Autoren aufzählen. Vor allem in Bezug auf die Bürokratisierung ist

die Fragestellung allerdings häufig eine soziologische und somit der Bezug zum

Liberalismus nicht immer einfach herzustellen.

Alles in allem verbergen sich in Webers Werk viele Aspekte, die zu einer normativen-

politischen Perspektive mit dem Liberalismus in Verbindung gesetzt werden können.

Abschließend lassen diese sich hier nicht behandeln. Ein Einblick in den

Facettenreichtum des Weberschen Werkes konnte aber hoffentlich geleistet werden.

281

Vgl. Breuer, Stefan: „Bürokratie und Charisma – zur politischen Soziologie Max Webers“, Darmstadt

1994.

Page 93: Max Webers Liberalismus

93

VII. Schlussbetrachtung

Max Webers Liberalismus bleibt, den in dieser Arbeit behandelten Aspekten folgend,

ein undurchsichtiges und vielschichtiges Gedankengebäude. Abschließend konnte er

nicht dargestellt werden. Fraglich bleibt, ob eine abschließende Betrachtung von Max

Webers Werk überhaupt erstrebenswert ist, oder ob man sich durch eine solche Finalität

nicht den vielseitigen Gedanken, die in diesem Werk vorhanden sind, verschließt. Wie

lässt sich also Webers Liberalismus vorläufig charakterisieren?

1. Max Webers Werte

Es ist gezeigt worden, dass trotz des antinomischen Gegensatzes, der zwischen Max

Webers Wissenschaftslehre und der normativ orientierten Politischen Wissenschaft

besteht, eine Verbindung zwischen beiden Dimensionen hergestellt werden kann. Diese

Verbindung besteht, ganz konkret, in Webers Wertvorstellungen, denen er, entgegen der

weit verbreiteten Meinung, nicht ablehnend gegenüber stand. Vielmehr bejahte er die

Existenz von subjektiven Idealen und setzte sich darüber hinaus für seine persönlichen

Wertvorstellungen ein.

Eine Absage erteilte Max Weber hingegen der Möglichkeit zur wissenschaftlichen

Beurteilung dieser persönlichen Ideale. Sie müssten vielmehr im Kampf untereinander,

durch Überzeugung des Gegenübers, eine Rechtfertigung entwickeln. Hier kann man

Weber einen Relativismus unterstellen, der mit den liberalen Idealen nichts zu tun hat.

Doch ist dies ein verkürztes Verständnis. Weber proklamierte keine Beliebigkeit der

Werte, vielmehr sah er in naturrechtlichen und auch in philosophischen Begründungen

keine Notwendigkeit, das eine Ideal über das Andere zu stellen. Diese Einstellung ist

liberal und kennzeichnet gleichzeitig den Kern des Weberschen Liberalismus. Auf

metatheoretischer Ebene lässt sich sagen, dass Webers Politikverständnis nicht

ontologisch, wohl aber normativ ist.

Hier ist eine deutliche Nähe zu der Konzeption des Politischen Liberalismus von John

Rawls erkennen. Auch dieser stellt keine Wertvorstellungen zur Disposition, sondern

Page 94: Max Webers Liberalismus

94

sieht in seinem Liberalismus einen formalistischen Rahmen, der die Freiheit der

Gesellschaft sichert. Gleiches ließe sich auch über Webers Arbeiten sagen.

Obwohl also eine Übereinstimmung zwischen Rawls und Weber festgestellt werden

kann, liegt hier gleichzeitig der größte Widerspruch zwischen Webers politischer

Philosophie und dem Liberalismus. Der Liberalismus geht immer von einer objektiven,

essentialistischen Freiheit, die dem vernunftbegabten Individuum in politischer

Dimension zusteht und in persönlicher Hinsicht inhärent ist, aus. Weber erkennt hier

keine rationale Notwendigkeit. Zwar akzeptiert er die Freiheit als einen der höchsten

politischen und persönlichen Werte, logisch begründen kann er diese hingegen nicht.

Weber stellt folglich die Vernunft noch über die liberalen Kernelemente der Freiheit

und der Gleichheit. Alle Weberschen Überlegungen sind von der Vernunft aus gedacht.

Dies ist zwar als liberale Denkweise zu bezeichnen, die Bejahung der Freiheit als

Oberwert, geht dem Denken Webers aber ab. Die Freiheit ist für Weber ein Gut, hinter

das die politische Realität nicht mehr zurück kann; sie ist für ihn eine politische

Selbstverständlichkeit. Deswegen gibt es für Weber keinen Grund sie irrational zu

überhöhen. Hier zeigt sich die antidogmatische Seite des Weberschen Denkens.

2. Webers „liberaler Antidogmatismus“

Genau diese antidogmatische Komponente wiederum ist urliberal. Auch wenn Weber

die Freiheit nicht zum obersten Prinzip erhebt, bleibt er dem Liberalismus somit

verpflichtet. Selbst die liberale Freiheitslehre wird von ihm hinterfragt.282

Die Leistung,

die dieser Antidogmatismus bedeutet, fasst Karl Loewenstein wie folgt zusammen:

„Alle Ideologien, ob Konservativismus oder Liberalismus, Kapitalismus oder

Sozialismus, waren ihm geschichts- und millieubedingte Infrastrukturen

bestimmter Interessenlagen, nicht aber Absolutismen. […] Er ist damit im

eigentlichen Sinn zum Überwinder ideologischer Gegensätze geworden.“283

Loewenstein nennt hier den Liberalismus in einer Reihe mit den anderen großen

Ismen. Folgt man der Konzeption John Rawls, so passt der Liberalismus hier allerdings

nicht hinein und stellt viel eher eine Überwindung ideologischer Gegensätze dar.

282

Ebenso bei John Rawls. Dieser sieht einen Liberalismus, der einzig der Freiheit verpflichtet ist, als

libertär an. Siehe oben, S. 20.

283 Loewenstein: „Max Webers Staatslehre“, S. 233.

Page 95: Max Webers Liberalismus

95

Gerade weil sich Weber nicht um ideologische Rechtfertigungen seiner politischen

Meinung sorgt, ist er liberal in der Anerkennung anderer Ansichten.

Die Nähe von John Rawls Interpretation des politischen Liberalismus als toleranter

Konzeption politischer Gerechtigkeit stellt eine verblüffende Nähe zu Weber

Überwindung der Ideologien dar. Will man Webers Liberalismus also über Wilhelm

Hennis hinaus, nicht nur als „eigentümlich“ etikettieren, so wäre die Bezeichnung

„liberaler Antidogmatismus“ vielleicht die treffendste. Auf den ersten Blick

tautologisch, kann diese Begrifflichkeit doch die Zielrichtung Webers klar

herausstellen. Nicht die liberalen Kernelemente stehen im Zentrum des Weberschen

Denkens, sondern seine kritische Einstellung gegenüber der Irrationalität von Idealen.

3. Max Weber und die Herrschaft

Max Weber entwickelte seine Theorie der plebiszitären Führerdemokratie einzig mit

dem Ziel, eine freie Gesellschaft unter einer effektiven Herrschaftsform sicherzustellen.

Die Führer sind in Webers Konzeption mitnichten Tyrannen, denen umfassende, von

der Verantwortung losgelöste, Macht in die Hand gegeben wird. Dieser Vorwurf wurde

oft an Webers Werk herangetragen. Doch Weber wünscht sich politisch fähige und

weitsichtige Charaktere in der Position des politischen Führers. Diese sind zu jeder Zeit

ihren Wählern gegenüber, verantwortlich.

Weber befürwortet also eine cäsaristische Herrschaft, wenn diese durch das Volk

bestellt wird. Eine cäsaristische Gestalt wie Bismarck, die sich auf einen

Beamtenapparat stützte, der wiederum dem Volk gegenüber keine Rechenschaft

abzulegen hatte, war Weber hingegen ein Graus. Weber wollte verantwortungsvolle, zur

Entscheidung fähige Politiker an der Macht sehen. Diese könnten ohne Kompromisse

regieren, welche Weber als ein großes Übel der Demokratie erachtete. Die

Langwierigkeit heutiger politischer Entscheidungsfindungen, wäre somit ad acta gelegt.

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass Weber mit dem Herrscher, immer auch einen

Beherrschten beschreibt. In Webers politischer Philosophie gibt es keine illegitime

Herrschaft, wie Mommsen behauptet. Dies sei dem Umstand geschuldet, dass politische

Herrschaft bei Weber nicht auf normativen oder ethischen Kriterien beruht.284

Hier zeigt

sich, dass Weber die letztendlich nicht zu bewertenden Ideale, auf alle Aspekte seines

284

Vgl. Mommsen: „Politik und politische Theorie“, S. 537.

Page 96: Max Webers Liberalismus

96

Denkens anwendet. Da es in seinen Augen keine objektiv richtigen, politischen Systeme

geben kann, versucht er zumindest, diese mit einer politischen Effektivität auszustatten.

Für Weber steht fest: „Gewiß ist Politik kein ethisches Geschäft.“285

4. Max Webers Aktualität

Heutiger Politik würde das antidogmatische Denken Webers bisweilen gut zu Gesicht

stehen. Ideologische Grabenkämpfe, fernab von der politischen Realität, haben noch

selten zu der Erreichung eines Ziels geführt. Weber kann in dieser Hinsicht ein Vorbild

sein. Zwar sind an die Stelle politischer Dogmen, heutzutage moralische Dogmen

getreten, die allerdings ebenso rigoros verteidigt werden. Ein Hinterfragen fällt,

aufgrund der installierten Empörungsmechanismen in Politik und Medienlandschaft,

zunehmend schwer.

Viele Politiker zitieren noch heute gerne einige Passagen aus „Politik als Beruf“ und

schmücken sich mit der Autorität, die Weber bis heute zu vermitteln scheint.286

Doch

leider schauen sie in der Regel nicht genau nach und verlieren sich in Plattitüden, die

Weber mit Sicherheit aufs Schärfste kritisiert hätte.

Webers innere Freiheit, die Karl Jaspers beschrieben hat, wäre vor diesem Moralismus

gefeit gewesen und hätte sich sicherlich nicht bremsen lassen. Weber war ein Kämpfer

gegen Moralismus und moralisierendes Denken. Die „literarischen Spießbürger“, die

sich aufgrund gefühlter, moralischer Überlegenheit zu herablassenden Aussagen

hinreißen ließen, konnten sich Webers Abneigung sicher sein: „Max Weber war ein

leidenschaftlicher Hasser und konnte aus vollem Herzen verachten.“287

Die Figur des

literarischen Spießbürgers, existiert auch heute noch in der politischen Landschaft.

Natürlich sind dies alles Vermutungen, die auf dem Hintergrund der politischen

Schriften Webers und den Auslegungen der Weberinterpreten getroffen wurden. Ein

Stück weit wird hier also gegen das eingangs aufgestellte Credo der unpersönlichen

Darstellung des Weberschen Denkens verstoßen. Dies erscheint aber der einzige Weg,

sein Denken zu ergründen. Seine politischen Wertvorstellungen liegen oftmals im

285

Weber: GPS, S. 298.

286 So kürzlich Kurt Beck in seinem Brief an die SPD im Fall der Positionierung Wolfgang Clements

gegen Andrea Ypsilanti. Vgl.: „Die Partei braucht Augenmaß“,

http://www.sueddeutsche.de/politik/972/304944/text/ (Stand: 03.11.2008).

287 Hennis: „Fragestellung“, S. 211f.

Page 97: Max Webers Liberalismus

97

Verborgenen und können nur zwischen den Zeilen gelesen werden. Dennoch ist hier

versucht worden einer überhand nehmenden Psychologisierung aus dem Weg zu gehen.

Das politische Urteil hat heute an Bedeutung verloren. Dies ist der zunehmenden

Moralisierung des politischen Kommentars geschuldet. Hier wünscht man sich

bisweilen ein wenig mehr Webersche Sachlichkeit, die immer wieder dazu anhält das

eigene Gewissen zu hinterfragen.

Die Urteilskraft Webers wird von allen seinen Interpreten gelobt. Sie gilt vielen als

das große Beispiel, welches das Webersche Schaffen hinterlassen hat. John Rawls

bezeichnet die Bürden des Urteils als den letzten, in der Konzeption des Liberalismus

verbleibenden Konflikt.288

Doch diesem Konflikt sollten in der Regel alle beteiligten

Parteien mit einer gewissen Gelassenheit begegnen.

Abschließend lässt sich sagen, dass der bleibende Anspruch des Denkens Max

Webers, in der immerwährenden Skepsis gegenüber Idealen und Werten, liegt.

Politische Urteile sind zu fällen, auch auf die Gefahr hin, die persönlichen Werte des

Gegenübers zu tangieren. Rücksicht darf auf dieser, letztlich verbalen Ebene des

Austausches von Meinungen, nicht genommen werden, wenn es um das Fällen von

Entscheidungen geht. Niemals darf man sich, in verantwortlicher Position, zum Anwalt

von Partikularinteressen machen.

Letztlich entfaltet sich der größte Nutzen des politischen Denkens Max Webers, im

Studium seiner Schriften. Auch wenn Webers Werk nur fragmentarisch vorliegt, so

beinhaltet es dennoch eine kraftvolle, politische Philosophie. Diese entwickelt sich in

vollem Umfang erst in der Gegenüberstellung der eigenen Gedankengänge, mit Webers

scharfem, politischen Urteil und seiner Skepsis gegenüber überhöhten Idealen.

Ganz im Sinne Webers wird jeder Interpret seiner Arbeiten angehalten, die bisher

hervorgebrachten Auslegungen zu hinterfragen und seinen eigenen, wenn auch nur

geringfügig verschiedenen Interpretationsansatz zu liefern.

288

Vgl. Rawls: „Liberalismus“, S. 61.

Page 98: Max Webers Liberalismus

98

Literaturverzeichnis

Quellen:

Weber, Max: „Gesammelte Politische Schriften“, hrsg. von Johannes Winckelmann,

Tübingen 1958, hier zitiert nach der Potsdamer Internet Ausgabe (PIA):

http://www.uni-potsdam.de/u/paed/pia/index.htm (Stand: 15.09.2008). Winckelmann

folgt der so genannten Marianne-Ausgabe von 1920: Weber, Max: „Gesammelte

Politische Schriften“, hrsg. von Marianne Weber, München 1921.

Weber, Max: „Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik“, hrsg. von

Marianne Weber, Tübingen 1924, hier zitiert nach der Potsdamer Internet Ausgabe

(PIA): http://www.uni-potsdam.de/u/paed/pia/index.htm (Stand: 15.09.2008).

Weber, Max: „Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre“, hrsg. von Johannes

Winckelmann, Tübingen 1968, hier zitiert nach der Potsdamer Internet Ausgabe (PIA):

http://www.uni-potsdam.de/u/paed/pia/index.htm (Stand: 15.09.2008).

Weber, Max: „Wirtschaft und Gesellschaft“, zweitausendeins, Frankfurt am Main

2005.

Weber, Max: „Religion und Gesellschaft“, zweitausendeins, Frankfurt am Main 2006.

Page 99: Max Webers Liberalismus

99

Literatur289

:

Albert, Gert, Bienfait, Agathe, u.a. (Hrsg.): „Das Weber-Paradigma – Studien zur

Weiterentwicklung von Max Webers Forschungsprogramm“, Tübingen 2003.

Anter, Andreas: Max Webers Theorie des modernen Staates – Herkunft, Struktur und

Bedeutung“, Berlin 1996.

Ay, Karl-Ludwig, Borchardt, Knut (Hrsg.): „Das Faszinosum Max Weber – Die

Geschichte seiner Geltung“, Konstanz 2006.

Backhaus, Jürgen (Hrsg.): „Gustav von Schmoller und die Probleme von heute“, Berlin

1993.

Baumgarten, Eduard: „Max Weber – Werk und Person“, Tübingen 1964.

Beck, Kurt: „Die Politik braucht Augenmaß”, dokumentiert von sueddeutsche.de,

http://www.sueddeutsche.de/politik/972/304944/text/, (Stand 03.11.2008).

Beetham, David: “Max Weber and the theory of modern politics“, London 1974.

Bendix, Reinhard: „Max Weber – Das Werk. Darstellung, Analyse, Ergebnisse“,

München 1964.

Bendix, Reinhard: „Max Weber – An Intellectual Portrait“, London 1960.

Beyme, Klaus von: „Politische Theorien im Zeitalter der Ideologien“, Wiesbaden 2002.

Bienfait, Agathe: „Freiheit, Verantwortung, Solidarität – Zur Rekonstruktion des

politischen Liberalismus“, Frankfurt am Main 1999.

Bleiken, Jochen: „Die athenische Demokratie“, Paderborn 1995

Breuer, Stefan: „Max Webers Herrschaftssoziologie“, Frankfurt am Main 1991.

Breuer, Stefan: „Bürokratie und Charisma – zur politischen Soziologie Max Webers“,

Darmstadt 1994.

Brugger, Winfried: „Menschenrechtsethos und Verantwortungsethik – Max Webers

Beitrag zur Analyse und Begründung der Menschenrechte“, Freiburg/München, 1980.

289

Die Literatur ist zur besseren Orientierung in alphabetischer Reihenfolge sortiert. Monographien und

unselbstständige Literatur finden sich hier in einer Reihe. So lassen sich die verschiedenen Beiträge eines

Autors besser überblicken.

Page 100: Max Webers Liberalismus

100

Constant, Benjamin: „Werke in vier Bänden“, herausgegeben von Axel Blaeschke und

Lothar Gall, Berlin 1972.

Dahrendorf, Ralf: „Fragmente eines neuen Liberalismus“, Stuttgart 1987.

Di Fabio, Udo: „Die Kultur der Freiheit”, München 2005.

Dilthey, Wilhelm: „Weltanschauungslehre – Abhandlungen zur Philosophie der

Philosophie“, hrsg. von Bernhard Groethuysen, Göttingen 1991.

Eden, Robert: „Doing without Liberalism – Webers Regime Politics“, in: Political

Theory Vol. 10, 1982 S.379-407.

Diwald, Hellmut: „Willhelm Dilthey – Erkenntnistheorie und Philosophie der

Geschichte“, Göttingen 1963.

Fitzi, Gregor: „Max Webers politisches Denken“, Konstanz 2004.

Gadamer, Hans-Georg (Hrsg.): „Philosophisches Lesebuch“, 3 Bde., Frankfurt am

Main 2004

Gall, Lothar (Hrsg.): „Liberalismus“, Königstein/Ts. 1985.

Gall, Lothar, Koch, Rainer (Hrsg.): „Der europäische Liberalismus im 19. Jahrhundert.

Texte zu seiner Entwicklung“, 4 Bände, Frankfurt am Main 1981.

Hättich, Manfred: „Der Begriff des Politischen bei Max Weber“, in: Politische

Vierteljahresschrift 8, Wiesbaden 1967, S.40-50.

Hartmann, Jürgen: „Wozu politische Theorie – Eine kritische Einführung für

Studierende und Lehrende der Politikwissenschaft“, Opladen/Wiesbaden 1997.

Hayek, Friedrich A. von: „Liberalismus“, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften

Bd. 6, Stuttgart 1959, S. 591-96

Heins, Volker: „Max Weber zur Einführung“, Hamburg 1997.

Hennis, Wilhelm: „Max Webers Fragestellung: Studien zur Biographie des Werks“,

J.C.B. Mohr, Tübingen 1987.

Hennis: „Max Webers Wissenschaft vom Menschen“, Tübingen 1996.

Hennis, Wilhelm: „Politik und praktische Philosophie – Eine Studie zur Rekonstruktion

der politischen Wissenschaft“, Neuwied 1963.

Hennis, Wilhelm: „Politik als praktische Wissenschaft – Aufsätze zur politischen

Theorie und Regierungslehre“, München 1968.

Page 101: Max Webers Liberalismus

101

Heuss, Theodor: „Max Weber in seiner Gegenwart“ in: Winckelmann, Johannes

(Hrsg.): „Max Weber – Gesammelte Politische Schriften“, Tübingen, 1958.

Hübinger, Gangolf, Osterhammel, Jürgen, Welz, Wolfgang: „Max Weber und die

wissenschaftliche Politik nach 1945. Aspekte einer theoriegeschichtlichen Nicht-

Rezeption“, in: Zeitschrift für Politik, Jahrgang 37, München 1990, S.181-204

Jaspers, Karl: „Max Weber“, München 1988.

Käsler, Dirk: „Max Weber: Eine Einführung in Leben, Werk und Wirkung“, Frankfurt

am Main 2003.

Käsler, Dirk: „Eine Konstruktion wird dekonstruiert – Max Webers ‚Wirtschaft und

Gesellschaft’ zerfällt in Einzelteile“, zitiert nach:

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=9356&ausgabe=200604

(Stand 14.07.2008)

Käsler, Dirk (Hrsg.): „Max Weber – Sein Werk und seine Wirkung“, München 1972.

Kersting, Wolfgang: „Platons ‚Staat’“, Darmstadt 2006.

König, Rene, Winckelmann, Johannes: „Max Weber zum Gedächtnis – Materialien

und Dokumente zur Bewertung von Werk und Persönlichkeit“, Opladen 1985.

Lachmann, Ludwig M.: „Drei Essays über Max Webers geistiges Vermächtnis“,

Tübingen 1973.

Lindt, Andreas: „Friedrich Naumann und Max Weber – Theologie und Soziologie im

wilhelminischen Deutschland“, München 1973.

Löwith, Karl: „Max Weber und Karl Marx“ in: Löwith, Karl: „Sämtliche Schriften

Bd.5 – Hegel und die Aufhebung der Philosophie im 19. Jahrhundert bis Max Weber“,

Stuttgart 1988.

Maier, Hans: „Politische Wissenschaft in Deutschland – Aufsätze zur Lehrtradition und

Bildungspraxis“, München 1969.

Mann, Golo: „Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“, Frankfurt am Main

1958.

Mill, John Stuart: „Über die Freiheit“, Stuttgart 1974.

Mill, John Stuart: „Der Utilitarismus“, Stuttgart 2006.

Mises, Ludwig: „Liberalismus“, Jena 1927, PDF-Version nach:

http://docs.mises.de/Mises/Mises_Liberalismus.pdf (Stand 14.04.2008)

Page 102: Max Webers Liberalismus

102

Mommsen, Wolfgang: „Max Weber. Gesellschaft, Politik und Geschichte“, Frankfurt

am Main, 1974.

Mommsen, Wolfgang, Schwentker, Wolfgang (Hrsg.): „Max Weber und seine

Zeitgenossen“, Göttingen, 1988.

Mommsen, Wolfgang: „Max Weber und die deutsche Politik 1890-1920“, Köln 1959.

Müller, Hans-Peter: „Max Weber – Eine Einführung in sein Werk“, Köln 2007.

Müller, Johann Baptist: „Liberalismus und Demokratie – Studien zum Verhältnis von

Politik und Wirtschaft im Liberalismus“, Stuttgart 1978.

Nolte, Ernst: „Max Weber vor dem Faschismus“, in: „Der Staat“, Bd.1, Göttingen 1963.

Oberndörfer, Dieter (Hrsg.): „Wissenschaftliche Politik“, Freiburg 1966.

Rawls, John: „Politischer Liberalismus“, Frankfurt am Main 2003.

Rawls, John: „Gerechtigkeit als Fairneß – Ein Neuentwurf“, Frankfurt am Main 2006.

Rawls, John: „Geschichte der Moralphilosophie“, Frankfurt am Main 2004.

Rawls, John: „Eine Theorie der Gerechtigkeit“, Frankfurt am Main 2006.

Rohe, Karl: „Politik: Begriffe und Wirklichkeiten – Eine Einführung in das politische

Denken“, Stuttgart 1994.

Roth, Günther: „Politische Herrschaft und persönliche Freiheit – Heidelberger Max

Weber-Vorlesungen 1983“, Frankfurt am Main 1987.

Sandkühler, Hans-Jörg (Hrsg.): „Enzyklopädie Philosophie“, Hamburg 2002

Sandkühler, Hans-Jörg (Hrsg.): „Interaktionen zwischen Philosophie und empirischen

Wissenschaften – Philosophie und Wissenschaftsgeschichte zwischen Francis Bacon

und Ernst Cassirer“, Frankfurt am Main 1995.

Schluchter, Wolfgang: „Wertfreiheit und Verantwortungsethik“, Tübingen 1971.

Schluchter, Wolfgang: „Handlung, Ordnung und Kultur – Studien zu einem

Forschungsprogramm im Anschluss an Max Weber“, Tübingen 2005.

Schoeps, Julius H., Knoll, Joachim H., Bärsch, Claus-E. (Hrsg.): „Konservatismus,

Liberalismus, Sozialismus – Einführung/Texte/Bibliographien“, München 1981.

Schüßler, Werner: „Jaspers zur Einführung“, Hamburg 1995.

Stegbauer, Christian: „Reziprozität – Einführung in soziale Formen der Gerechtigkeit“,

Wiesbaden 2002.

Strauss, Leo: „Naturrecht und Geschichte“, Stuttgart 1956.

Page 103: Max Webers Liberalismus

103

Sukale, Michael: „Max Weber – Leidenschaft und Disziplin“, Tübingen 2002.

Tenbruck, Friedrich: „Das Werk Max Webers – Gesammelte Aufsätze zu Max Weber“,

Tübingen, 2001.

Vahland, Joachim: „Max Webers entzauberte Welt, Würzburg, 2001

Voegelin, Eric: „Die Neue Wissenschaft der Politik“, München 2004

Weber, Marianne: „Max Weber – Ein Lebensbild“, Heidelberg 1950.

Weiß, Johannes (Hrsg.): „Max Weber heute – Erträge und Probleme der Forschung“,

Frankfurt a.M., 1989.

Winckelmann, Johannes: „Legitimität und Legalität in Max Webers

Herrschaftssoziologie“, Tübingen 1952.

Winckelmann, Johannes: „Max Webers hinterlassenes Hauptwerk – Die Wirtschaft

und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Entstehung und gedanklicher

Aufbau“, Tübingen 1986.

Winkler, Heinrich August: „Liberalismus und Antiliberalismus – Studien zur

politischen Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“, Göttingen 1979