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Werner Helm, Andreas Pfeifer, Joachim Ohser
Mathematik für Wirtschaftswissenschaftler
Ein Lehr- und Übungsbuch für Bachelors
2., aktualisierte Auflage 2015
Fachbuchverlag Leipzig im Carl Hanser Verlag
ISBN: 978-3-446-44593-2
ISBN: 978-3-446-44592-5 (E-Book)
Ergänzendes Kapitel
Gewöhnliche Differenzialgleichungen
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2
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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Inhaltsverzeichnis
9 Gewöhnliche Differenzialgleichungen 5
9.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . 6
9.2 Differenzialgleichungen 1. Ordnung . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . 9
9.2.1 Das Richtungsfeld – geometrische Betrachtungen . . . . . .
. . . . . . . . . . 9
9.2.2 Trennbare Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . 11
9.2.3 Lösung durch Substitution . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . 13
9.2.4 Lineare Differenzialgleichungen 1. Ordnung . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . 17
9.3 Lineare Differenzialgleichungen n-ter Ordnung . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . 20
9.3.1 Homogene Differenzialgleichungen n-ter Ordnung . . . . . .
. . . . . . . . . . 22
9.3.2 Inhomogene Differenzialgleichungen n-ter Ordnung . . . . .
. . . . . . . . . . 26
9.4 Systeme linearer Differenzialgleichungen 1. Ordnung . . . .
. . . . . . . . . . . . . . 28
9.4.1 Systeme homogener linearer Differenzialgleichungen 1.
Ordnung . . . . . . . . 30
9.4.2 Systeme inhomogener linearer Differenzialgleichungen 1.
Ordnung . . . . . . . 34
9.5 Numerische Lösung von Anfangswertaufgaben . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . 35
9.5.1 Das Polygonzugverfahren von Euler . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . 36
9.5.2 Das Runge-Kutta-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . 38
9.6 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . 39
9.7 Lösungshinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . 40
3
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INHALTSVERZEICHNIS 4
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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Kapitel 9
Gewöhnliche Differenzialgleichungen
Viele Prozesse in Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft
können durch Differenzialgleichungenbeschrieben werden. Für den
Begriff
”Differenzialgleichung“ wird auch die Abkürzung
”Dgl.“ ver-
wendet; für”gewöhnliche Differenzialgleichung“ hat sich auch
die Abkürzung
”ODE“ eingebürgert
(ordinary differential equation).
(nichtlin.) Dgl.
1. Ordnung
lineare Dgl.
1. Ordnung
(variable Koeff.)
lineare Dgl.
n-ter Ordnung
konstante Koeff.
Systeme lin. Dgl.
1. Ordnung
konstante Koeff.
trennbare
Variable
✛✛
Substitution
u = ax+ by + c
✲
Substitution
u = yx
✲homogen homogen homogen
inhomogen inhomogeninhomogen
Variat. d. Konst.
Abbildung 9.1: Übersicht über die in diesem Kapitel
behandelten gewöhnlichen Differenzialglei-chungen und
Differenzialgleichungssysteme.
In diesem Kapitel wird eine Auswahl von gewöhnlichen
Differenzialgleichungen behandelt. Außer-dem werden wir noch kurz
auf Systeme von gewöhnlichen Differenzialgleichungen eingehen.
EineÜbersicht ist in Abbildung 9.1 gegeben.
5
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9.1. GRUNDBEGRIFFE 6
9.1 Grundbegriffe
Wir betrachten als einführendes Beispiel den freien Fall ohne
Berücksichtigung des Luftwiderstan-des. Die Fallbeschleunigung a
wird als konstant, also unabhängig von der Zeit t, vorausgesetzt.
Esgelte
a = a(t) = −g,
wobei g die Erdbeschleunigung bezeichnet. Die Geschwindigkeit v
und der Weg s sind von der Zeitabhängig. Darüber hinaus gilt
a(t) = v̇(t) = s̈(t),
und daraus folgt
s̈(t) = −g, (9.1)
für die unbekannte Funktion s(t). Die Gleichung (9.1) ist eine
gewöhnliche Differenzialgleichung 2.Ordnung. Die Lösung erhält
man durch zweimaliges Integrieren. Es gilt
v(t) =
∫
a(t) dt =
∫
(−g) dt = −gt+ c1,
s(t) =
∫
v(t) dt =
∫
(−gt+ c1) dt = −g
2t2 + c1t+ c2.
In der allgemeinen Lösung
s(t) = −g2t2 + c1t+ c2, c1, c2 ∈ R,
der Differenzialgleichung (9.1) sind c1 und c2 zunächst formale
Integrationskonstanten, die im vorlie-genden Fall jedoch auch eine
inhaltliche Bedeutung haben: c1 = v(0) ist die
Anfangsgeschwindigkeitund c2 = s(0) ist die Anfangshöhe. Setzt man
in die allgemeine Lösung für die Anfangsgeschwin-digkeit und die
Anfangshöhe konkrete Werte c1 = v0 bzw. c2 = s0 ein, erhält man
eine spezielleLösung
s(t) = −g2t2 + v0t+ s0,
die die physikalischen Sachverhalte unter den obigen
Anfangsbedingungen für beliebige t widerspie-gelt. Diese spezielle
Lösung wird auch partikuläre Lösung genannt. Zusammenfassend
wird
s̈(t) = −gs(0) = s0ṡ(0) = v0
(9.2)
als Anfangswertaufgabe bezeichnet.
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 7
Definition. Eine Gleichung
F (x, y, y′, y′′, . . . , y(n)) = 0, (9.3)
in der eine unbekannte Funktion y = y(x) und ihre Ableitungen
y′, y′′, . . . , y(n) auftreten, heißtgewöhnliche
Differenzialgleichung n-ter Ordnung .
Die Gleichung (9.3) stellt eine implizite Form der gewöhnlichen
Differenzialgleichung n-ter Ordnungdar, die manchen Fällen in eine
explizite Form
y(n) = f(x, y, y′, y′′, . . . , y(n−1))
überführt werden kann.
Bemerkungen
(i) Wir setzen voraus, dass die Ableitungen y′, y′′, . . . ,
y(n) existieren und gegebenenfalls auchstetig sind.
(ii) Die Ordnung einer Differenzialgleichung entspricht der
höchsten Ordnung der in ihr auftre-tenden Ableitungen von y.
(iii) Neben gewöhnlichen Differenzialgleichungen gibt es auch
noch partielle Differenzialgleichun-gen, die partielle Ableitungen
von Funktionen mit mehreren Veränderlichen enthalten. So istz. B.
die Gleichung
∆f =∂2f
∂x21+ . . .+
∂2f
∂x2n= 0
für eine Funktion f : Rn 7→ R eine partielle
Differenzialgleichung. Falls f als Temperaturinterpretiert wird,
heißt die Gleichung Wärmeleitungsgleichung , ist f eine
Konzentration,dann heißt diese Gleichung Diffusionsgleichung .
Eine Funktion y(x) heißt Lösung der Differenzialgleichung
(9.3), wenn sie mit ihren Ableitungendie Gleichung (9.3)
erfüllt.
Beispiele
(i) Offensichtlich hat die Gleichung y′ = 0 die Lösung y(x) = a
für beliebige a ∈ R. Die Gleichungy′′ = 0 hat die Lösung y(x) =
ax+ b, wobei a und b freie Parameter sind, a, b ∈ R.
(ii) Die Gleichung y′ = y ist für alle Funktionen y(x) = cex
mit c ∈ R erfüllt.
(iii) Die gewöhnliche Differenzialgleichung 2. Ordnung
ÿ = −ω20y (9.4)
hat die allgemeine Lösung
y(t) = h sin(ω0t+ ϕ)
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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9.1. GRUNDBEGRIFFE 8
mit der Amplitude h und der Phasenverschiebung ϕ. Das kann man
leicht überprüfen. Es gilt
ẏ(t) = ω0h cos(ω0t+ ϕ)
ÿ(t) = −ω20 h sin(ω0t+ ϕ)︸ ︷︷ ︸
y(t)
= −ω20y(t).
Die allgemeine Lösung der gewöhnlichen Differenzialgleichung
2. Ordnung (9.4) enthält mith und ϕ zwei unabhängige
Parameter.
Die letzte Aussage soll im folgenden Satz verallgemeinert
werden:
Satz. Die allgemeine Lösung einer gewöhnlichen
Differenzialgleichung n-ter Ordnung enthält nvoneinander
unabhängige Parameter (Integrationskonstanten).
Die unabhängigen Parameter haben meist eine physikalische oder
ökonomische Bedeutung.
Eine spezielle Lösung gewinnt man aus der allgemeinen Lösung
durch Ermittlung konkreter Wertefür die Parameter. Die zwei am
stärksten verbreiteten Vorgehensweisen bei der Festlegung
tragenseparate Namen.
Definition. Das System
F (x, y, y′, y′′, . . . , y(n)) = 0y(x0) = y0
...
y(n−1)(x0) = yn−1
(9.5)
mit x0, y0, . . . , yn−1 ∈ R wird Anfangswertproblem oder
Anfangswertaufgabe genannt.
K
Abbildung 9.2: Die Schwingung des Federpendels ist von der Masse
des Körpers K, der Feder-konstanten, der Ausgangslage y(0) und der
Anfangsgeschwindigkeit ẏ(0) abhängig.
Beispiel. Wir betrachten das Anfangswertproblem
ÿ = −ω20yy(0) = 1ẏ(0) = 0
,
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Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 9
das eine harmonische Schwingung eines Federpendels vollständig
beschreibt, siehe Abbildung9.2. Dieses Anfangswertproblem hat die
Lösung
y(t) = sin(ω0t+
π
2
).
Wir interpretieren noch die Anfangsbedingungen inhaltlich: y(0)
= 1 bedeutet, dass dasPendel zum Zeitpunkt t = 0 die Ausdehnung 1
hat, und ẏ(0) = 0 bedeutet, dass sich dasPendel zum Zeitpunkt t =
0 in Ruhelage befindet.
Die Lösung des Anfangswertproblems ist stets eine partikuläre
Lösung der entsprechenden Diffe-renzialgleichung.
Neben Anfangswertaufgaben spielen auch Randwertaufgaben eine
Rolle, für die außer der Differen-zialgleichung noch n
Funktionswerte von y gegeben sind.
Definition. Das System
F (x, y, y′, y′′, . . . , y(n)) = 0y(x1) = y1
...y(xn) = yn
(9.6)
mit gegebenen Wertepaaren (x1, y1), . . . , (xn, yn) ∈ R2 wird
Randwertproblem oder Randwertauf-gabe genannt.
9.2 Gewöhnliche Differenzialgleichungen 1. Ordnung
In diesem Abschnitt werden Lösungsverfahren für
Differenzialgleichungen 1. Ordnung
y′ = f(x, y) (9.7)
angegeben. Die zugehörige Rand- oder Anfangswertaufgabe hat die
Form
y′ = f(x, y)y(x0) = y0
}
. (9.8)
Ähnlich wie für die Integration gibt es für
Differenzialgleichungen kein allgemeines Lösungsverfah-ren. Die
Lösungsverfahren sind abhängig vom Typ der Differenzialgleichung.
Das gilt nicht nur fürgewöhnliche Differenzialgleichungen 1.
Ordnung, soll aber in diesem Abschnitt besonders verdeut-licht
werden.
9.2.1 Das zugehörige Vektorfeld – geometrische
Betrachtungen
Gegeben sei die gewöhnliche Differenzialgleichung 1.
Ordnung
y′ = 2x. (9.9)
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Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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9.2. DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 1. ORDNUNG 10
✲
✻
Abbildung 9.3: Das zu der gewöhnlichen Differenzialgleichung 1.
Ordnung y′ = 2x gehörigeVektorfeld.
Die allgemeine Lösung
y(x) = x2 + c
repräsentiert – graphisch gesehen – eine Menge von Kurven,
durch die jedem Punkt (x, y) ∈ R2der Anstieg 2x zugeordnet wird.
Wir setzen hier einen
”Anstieg“ mit einer (nicht orientierten)
”Richtung“ gleich. Das bedeutet, die Lösung von (9.9)
entspricht einem Richtungsfeld, d. h. einemnicht orientiertem
Vektorfeld v(x, y),
v(x, y) =
(12x
)
.
In Abbildung 9.3 ist das Vektorfeld v graphisch dargestellt. Die
Richtungen der Segmente ent-sprechen den Richtungen der Vektoren.
Aus Gründen der Anschaulichkeit wurde das Vektorfeldv normiert, d.
h. alle Segmente haben die gleiche Länge. In dieser Abbildung ist
klar erkennbar,dass v nur von der x-Koordinate abhängig ist.
Vergleichen Sie auch mit Abbildung 9.5, in der dasVektorfeld sowohl
von x als auch von y abhängig ist.
Allgemein gilt: Die allgemeine Lösung einer gewöhnlichen
Differenzialgleichung 1. Ordnung wirddurch die Menge aller Kurven
repräsentiert, deren Anstiege in (x, y) mit den Richtungen des
ent-sprechenden Vektorfeldes
v(x, y) =
(1
f(x, y)
)
übereinstimmen. Die spezielle Lösung zur Anfangsbedingung
y(x0) = y0 wird erhalten, indem manaus allen Kurven diejenige
auswählt, die durch den Punkt (x0, y0) verläuft.
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Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 11
9.2.2 Trennbare Variable
Definition. Eine gewöhnliche Differenzialgleichung 1. Ordnung
der Form
y′ = f(x) · g(y) (9.10)
heißt Differenzialgleichung mit trennbaren Variablen.
Differenzialgleichungen mit trennbaren Variablen können wie
folgt gelöst werden: Wegen y′ = dydxgilt
dy
dx= f(x) · g(y)
1
g(y)dy = f(x) dx, g(y) 6= 0
∫1
g(y)dy =
∫
f(x) dx
G(y) = F (x),
wobei F und G die unbestimmten Integrale zu f bzw. 1/g sind. Die
letzte Gleichung ist (wennmöglich) nach y aufzulösen.
Achtung: Falls die Funktion g in y0 eine Nullstelle hat, g(y0) =
0, dann ist die konstante Funktiony(x) = y0 eine weitere Lösung
von (9.10).
Beispiele
(i) Zu lösen ist die Differenzialgleichung x+ y · y′ = 0. Es
gilt
y′ = −xy, (Dgl. mit trennbaren Variablen)
= −x · 1y, f(x) = −x, g(y) = 1
y
dy
dx= −x · 1
y
y dy = −x dx∫
y dy = −∫
x dx
y2
2= −x
2
2+ c
x2 + y2 = 2c (allgemeine Lösung).
Die allgemeine Lösung ist also die Menge aller Kreise mit dem
Mittelpunkt (0, 0) und demRadius r =
√2c, c ≥ 0, siehe auch Abbildung 9.4. Für c = 0 degeneriert der
Kreis zu einem
Punkt (zum Koordinatenursprung).
(ii) Die Gleichung x2y′ = y2 ist ebenfalls eine
Differenzialgleichung 1. Ordnung mit trennbaren
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Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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9.2. DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 1. ORDNUNG 12
Variablen. Es gilt
x2y′ = y2 (9.11)
y′ =y2
x2
= f(x) · g(y)
mit f(x) = 1x2
und g(y) = y2.
✲
✻
Abbildung 9.4: Das zu der gewöhnlichen Differenzialgleichung 1.
Ordnung x+ y · y′ = 0 gehörigeVektorfeld.
Wir registrieren zunächst, dass die Funktion g(y) an der Stelle
y0 = 0 eine (doppelte) Null-stelle hat. Daraus folgt, dass y(x) = 0
eine spezielle Lösung von (9.11) ist. Die allgemeineLösung von
(9.11) wird auf folgende Weise erhalten:
dy
dx=
y2
x2
1
y2dy =
1
x2dx
∫1
y2dy =
∫1
x2dx
−1y
= −1x+ c
y(x) =x
1− cx , c ∈ R.
Es kann also spezielle Lösungen einer Differenzialgleichung
geben, die nicht durch Einsetzeneines Wertes für die Konstante c
aus der allgemeinen Lösung erhalten werden können.
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Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 13
(iii) Für die gewöhnliche Differenzialgleichung
y′ = y (9.12)
ist f(x) = 1 und g(y) = y. Wieder ist y0 = 0 Nullstelle von
g(y), und wir erhalten daraus diespezielle Lösung y(x) = 0.
Weiterhin ist
dy
dx= y
1
ydy = dx (nach Trennung der Variablen)
∫1
ydy =
∫
dx
ln |y| = x+ c, c ∈ R.
Umstellen nach y liefert
|y| = ex+c
y = ±ex+c
= ±ex · ec = ±ec︸︷︷︸
·ex
c1
mit der Konstanten c1 ∈ R \ {0}. Die allgemeine Lösung ist
also
y(x) = c1ex, c1 ∈ R \ {0}.
Zusammen mit der speziellen Lösung y(x) = 0 ergibt sich
daraus
y(x) = c1ex, c1 ∈ R,
als Lösung von (9.12), welches in vielen Büchern final als
y(x) = cex, c ∈ R
notiert wird; hierbei ist c eine generische Konstante, die nicht
mit dem Wert von c beimerstmaligen Auftauchen übereinstimmt. Durch
akkurate Buchführung c, c1, c2 oder C, D,E, etc, können
eventuelle Missverständnisse vermieden werden. Diese
Bezeichnungstechnikenwerden bei den folgenden Lösungen ohne
nochmalige Erläuterung weiterverwendet.
9.2.3 Lösung durch Substitution
Durch eine geeignete Substitution kann eine gewöhnliche
Differenzialgleichung 1. Ordnung, in derdie Variablen zunächst
nicht trennbar sind, in eine Differenzialgleichung mit trennbaren
Variablenumgewandelt werden. Welche Substitution mit Erfolg
angewendet werden kann, hängt von der Formder Gleichung ab. In
diesem Abschnitt wollen wir uns auf zwei wichtige Spezialfälle
beschränken.
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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9.2. DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 1. ORDNUNG 14
✲
✻
Abbildung 9.5: Das zu der gewöhnlichen Differenzialgleichung 1.
Ordnung y′ = 2x − y gehörigeVektorfeld.
Spezialfall A: y′ = f(ax+ by + c)
Hat die Differenzialgleichung die Form
y′ = f(ax+ by + c), a, b, c ∈ R, (9.13)
dann führt die Substitution u(x) = ax + by + c zum Ziel, wobei
zu beachten ist, dass auch y eineFunktion von x ist. Aus der
Substitutionsgleichung erhält man unmittelbar
u′ = a+ by′,
was bedeutet, dass y′ eine Funktion von u sein muss, y′ = f(u).
Setzt man für y′ die rechte Seiteder ursprünglichen Gleichung
ein, erhalten wir die Differenzialgleichung
u′ = a+ b f(u),
die durch Trennung der Variablen nach Abschnitt 9.2.2 lösbar
ist. Rücksubstitution führt schließlichzur Lösung von
(9.13).
Beispiele
(i) In der Differenzialgleichung
y′ = 2x− y (9.14)
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 15
substituieren wir u(x) = 2x− y und erhalten y′ = u. Außerdem
gilt
u′ = 2− y′
= 2− u (unter Verwendung unserer Substitution).
Bevor diese Differenzialgleichung durch Trennung der Variablen
gelöst wird, registrieren wirzunächst die spezielle Lösung u(x)
= 2. Schließlich führt Trennung der Variablen zu
du
dx= 2− u
1
2− u du = dx∫
1
2− u du =∫
dx
− ln |2− u| = x+ c, c ∈ R2− u = c1e−x, c1 ∈ R (unter
Berücksichtigung der speziellen Lösung u(x) = 2)u(x) = c2e
−x + 2, c2 ∈ R.
Rücksubstitution führt schließlich zur Lösung von (9.14),
2x− y = c2e−x + 2, c2 ∈ Ry(x) = c3e
−x + 2x− 2, c3 ∈ R,
siehe Abbildung 9.5.
(ii) Die Differenzialgleichung
y′ = (x+ y + 1)2
kann durch die Substitution u = x + y + 1 in eine
Differenzialgleichung mit trennbarenVariablen umgewandelt werden.
Es gilt
u′ = 1 + y′, mit y′ = u2
u′ = 1 + u2.
In der letzten Gleichung sind die Variablen erwartungsgemäß
trennbar. Es gilt
du
1 + u2= dx
∫du
1 + u2=
∫
dx
arctan u = x+ c, c ∈ R,u = tan(x+ c),
und Rücksubstitution liefert
x+ y + 1 = tan(x+ c)
y(x) = tan(x+ c)− x− 1.
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Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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9.2. DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 1. ORDNUNG 16
Spezialfall B: y′ = f( yx
)
Hier bietet sich die Substitution
u =y
x
an, d. h. y = x · u, und daraus folgt mit Hilfe der Produktregel
für die Differentiation
y′ = u+ x · u′
f(u) = u+ x · u′ (wegen y′ = f(u))
u′ =f(u)− u
x.
Die letzte Gleichung ist wieder eine Differenzialgleichung für
u, die sich grundsätzlich durch Tren-nung der Variablen lösen
lässt. Rücksubstitution führt schließlich zur Lösung von y =
f
( yx
). Auch
dazu ein Beispiel:
Beispiel. Wir registrieren zunächst, dass die
Differenzialgleichung
y′ =x+ 2y
x(9.15)
zunächst nicht durch Trennung der Variablen lösbar ist. In
diesem Beispiel lässt sich jedochdie obige Substitution anwenden,
nach der eine Trennung der Variablen möglich ist. Es gilt
y′ = 1 + 2y
x
= f(y
x
)
mit f(u) = 1 + 2u. Die Substitution u = yx führt also mit y′ =
u+ xu′ zu
u+ xu′ = 1 + 2u
xu′ = 1 + u
u′ =1 + u
x.
Die letzte Gleichung ist wieder durch Trennung der Variablen
möglich. Es gilt
du
dx=
1 + u
x1
1 + udu =
1
xdx
ln |1 + u| = ln |x|+ c, c ∈ R1 + u = c1x mit c1 = ±ec
u = c1x− 1, c1 ∈ R \ {0},
wobei man sich überlegen kann, dass für c1 = 0 ebenfalls eine
spezielle Lösung erhalten wird.Rücksubstitution ergibt
y(x) = c1x2 − x, c1 ∈ R
als allgemeine Lösung von (9.15).
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 17
9.2.4 Lineare Differenzialgleichungen 1. Ordnung
Definition. Eine gewöhnliche Differenzialgleichung 1. Ordnung
der Form
y′ + f(x) · y = g(x) (9.16)
mit reellen Funktionen f, g : R 7→ R heißt linear .Die Funktion
g heißt Störfunktion oder Störglied .
Ist g(x) = 0, dann heißt die lineare Differenzialgleichung 1.
Ordnung homogen, andernfalls inho-mogen.
Um zunächst etwas Sicherheit bei der Klassifikation von
Differenzialgleichungen 1. Ordnung zuerhalten, betrachten wir
folgende Beispiele:
y′ = 2x− y (inhomogene lineare Dgl. mit dem Störglied g(x) =
2x),x2y′ + x = 0 (inhomogene lineare Dgl.),
yy′ + y + x = 0 (keine lineare Dgl. - wegen des Terms yy′),y′ +
y2 = 2 (keine lineare Dgl. - wegen des Terms y2).
Lösung homogener linearer Differenzialgleichungen 1.
Ordnung
In einer homogenen linearen Differenzialgleichung 1. Ordnung
y′ + f(x) · y = 0 (9.17)
sind die Variablen stets trennbar. Ihre allgemeine Lösung
erhält man auf folgende Weise:
y′ = −f(x) · ydy
dx= −f(x) · y
1
ydy = −f(x) dx
∫1
ydy = −
∫
f(x) dx
ln |y| = −∫
f(x) dx
y(x) = c e−∫f(x) dx, c ∈ R. (9.18)
Die letzte Gleichung ist in der Optik auch als Lambert-Beersches
Gesetz bekannt.
Beispiele
(i) Die Differenzialgleichung
x2y′ + y = 0
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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9.2. DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 1. ORDNUNG 18
kann nach der zuletzt beschriebenen Methode gelöst werden. Es
gilt
y′ = − 1x2
y
1
ydy = − 1
x2dx
∫1
ydy = −
∫1
x2dx
ln |y| = 1x+ c
y(x) = c e1/x, c ∈ R.
(ii) Im Folgenden wird der radioaktive Zerfall von Atomkernen in
Substanzen wie Radium undUran in Abhängigkeit von der Zeit t
betrachtet. Mit n(t) wird die Anzahl der Atome bezeich-net. Deren
Änderung ist proportional zum Produkt aus der Anzahl und der
Zeitänderung,
dn ∼ −n · dt,
wobei das Minuszeichen bedeutet, dass die Anzahl n abnimmt. Wir
führen eine Proportiona-litätskonstante λ ein (die
Zerfallskonstante). Damit ist
dn = −λn · dt
eine homogene lineare Differenzialgleichung 1. Ordnung, die auch
in der Form n′ + λn = 0geschrieben werden kann. Trennung der
Veränderlichen liefert
1
ndn = −λdt
∫1
ndn = −
∫
λdt
ln |n| = −λ t+ cn(t) = c1 e
−λt,
und mit Verwendung der Anfangsbedingung n(0) = c1e0 = c1 = n0
erhält man schließlich
n(t) = n0e−λt,
wobei n0 die Atomzahl zu Beginn des Prozesses ist.
In dem vorletzten Beispiel haben wir uns nicht mehr die Mühe
gemacht, die Integrationskonstantenumzubenennen, von c auf c1, auf
c2 ,etc, sondern wir haben generisch c geschrieben. Das ist
dieübliche Vorgehensweise bei Fortgeschrittenen. Anfängern sei
Vorsicht empfohlen, in anderen Fällenkann das auch schief
gehen!
Die Lösung homogener Differenzialgleichungen ist oft auch die
Grundlage für die Lösung inhomo-gener
Differenzialgleichungen.
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 19
Lösung inhomogener linearer Differenzialgleichungen 1.
Ordnung
Ein mögliches Verfahren zur Lösung der inhomogenen linearen
Differenzialgleichung 1. Ordnung(9.16) ist die Variation der
Konstanten. Dazu wird von der Lösung (9.18) der zugeordneten
ho-mogenen Differenzialgleichung ausgegangen, die in diesem
Abschnitt zur Unterscheidung von denLösungen von (9.16) mit yh
bezeichnet werden soll,
yh(x) = c e−
∫f(x) dx, c ∈ R.
Auf der Basis von yh wird jetzt eine Lösung y von (9.16) durch
Variation der Konstanten bestimmt.Dazu unterscheiden wir folgende
Schritte:
1. Wir ersetzen die Konstante c in yh durch die zunächst noch
unbekannte Funktion c(x),
y(x) = c(x) e−∫f(x) dx.
2. Differentiation dieser Funktion ergibt mit Hilfe der
Produktregel
y′(x) = c′(x) e−∫f(x) dx − c(x) · f(x) e−
∫f(x) dx
=(c′(x)− c(x) · f(x)
)e−
∫f(x) dx.
3. Die Funktionen y und y′ werden in die inhomogene Gleichung
(9.16) eingesetzt. Das ergibteine lineare Differenzialgleichung 1.
Ordnung für die Funktion c(x), und es wird eine Lösungfür c(x)
berechnet.
4. Anschließend wird c(x) in 1. eingesetzt, um die gesuchte
Lösung y(x) zu erhalten.
Beispiel. Wir betrachten die inhomogene lineare
Differenzialgleichung
y′ − 3y = x e4x (9.19)
mit dem Störglied g(x) = x e4x. Zunächst lösen wir die
zugehörige homogene Gleichungy′ − 3y = 0. Es gilt
y′ =dy
dx= 3y
1
ydy = 3 dx
∫1
ydy = 3
∫
dx
ln |y| = 3x+ cyh(x) = c e
3x, c ∈ R.
Die Lösung von (9.19) ergibt sich durch Variation der
Konstanten.
1. Wir verwenden den Ansatz y(x) = c(x) e3x.
2. Differentiation ergibt y′(x) = c′(x) e3x + 3c(x) e3x.
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
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9.3. LINEARE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN N -TER ORDNUNG 20
3. Einsetzen in (9.19) liefert
y′(x) y(x)︷ ︸︸ ︷
c′(x) e3x + 3c(x) e3x−3︷ ︸︸ ︷
c(x) e3x = x e4x
c′(x) e3x = x e4x
c′(x) = x ex
c(x) =
∫
x ex dx
= x ex −∫
ex dx (nach partieller Integration)
= x ex − ex + c1= (x− 1) ex + c1, c1 ∈ R.
4. Damit ist
y(x) =((x− 1) ex + c1
)e3x
= (x− 1) e4x + c1 e3x, c1 ∈ R,Lösung unserer Ausgangsgleichung
(9.19).
Natürlich gibt es weitere Typen von gewöhnlichen
Differenzialgleichungen 1. Ordnung, die hier abernicht behandelt
werden. Wir verweisen auf einschlägige Literatur.
9.3 Lineare Differenzialgleichungen n-ter Ordnung mit
konstanten
Koeffizienten
Definition. Eine Gleichung der Form
y(n) + an−1y(n−1) + an−2y
(n−2) + . . .+ a1y′ + a0y = g(x) (9.20)
mit den Konstanten a0, . . . , an−1 ∈ R und dem Störglied g(x)
heißt lineare Differenzialgleichungn-ter Ordnung mit konstanten
Koeffizienten.
Ist g(x) = 0, dann heißt die Differenzialgleichung homogen,
andernfalls inhomogen.
Beispiele für lineare Differenzialgleichungen n-ter Ordnung mit
konstanten Koeffizienten sind
y(4) − 4y′′′ + 6y′′ − 4y′ + y = sinxy′′ − 4y′ − 5y = 0
y′′ − y = 2x2 + 5.
Die zweite Gleichung ist homogen, die erste und dritte sind
inhomogen.
Beispiele
(i) Ein Körper mit der Masse m schwingt an einer Feder mit der
Federkonstanten c. Auf den
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 21
Körper wirken eine Reibung mit dem Reibungsfaktor b sowie eine
äußere Kraft F (t) ein. DieAuslenkung des Körpers x(t) ist
Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung
mẍ+ bẋ+ cx = F (t).
Die von außen auf das System wirkende Kraft F (t) ist in diesem
Fall das Störglied. Dividiertman durch m, wird diese
Differenzialgleichung in die Form (9.20) überführt,
ẍ+b
mẋ+
c
mx =
F (t)
m.
Dabei ist a1 =bm , a0 =
cm und g(x) =
F (t)m . Spezialfälle sind die freie ungedämpfte
Schwingung
und die freie gedämpfte Schwingung, die durch die homogenen
Differenzialgleichungen
mẍ+ cx = 0 bzw. mẍ+ bẋ+ cx = 0
beschrieben werden.
Ein Beispiel für das Störglied ist die”erzwungene“ Schwingung
F (t) = F0 sinωt mit den Pa-
rametern F0 und ω. Die Auslenkung x(t) wird in diesem Fall durch
die inhomogene Schwin-gungsgleichung
mẍ+ bẋ+ cx = F0 sinωt
charakterisiert.
U(t) (externe Spannung)
R (Widerstand)
(Induktivität) LC (Kapazität)
Q (Ladung)
Abbildung 9.6: Ein RCL-Kreis mit einer gegebenen Induktivität
L, einem Widerstand R, einerKapazität C und einer äußeren
Spannung U(t).
(ii) Für den in Abbildung 9.6 gegebenen RCL-Kreis gilt
zunächst, dass die Summe der Einzel-spannungen UL, UR und UC
gleich der äußeren Spannung U(t) ist,
UL + UR + UC = U(t).
Daraus folgt unmittelbar, wenn die grundlegenden Regeln für den
Spannungsabfall an Induk-tivität, Widerstand und Kapazität
verwendet werden, dass der Strom I der Differenzialglei-chung
LdI
dt+RI +
1
CQ = U(t)
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9.3. LINEARE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN N -TER ORDNUNG 22
genügen muss. Wegen I = dQdt erhält man daraus die lineare
Differenzialgleichung 2. Ordnung
Ld2Q
dt2+R
dQ
dt+
1
CQ = U(t)
für die Ladung Q. Diese Gleichung kann in der Form (9.20)
geschrieben werden,
d2Q
dt2+
R
L
dQ
dt+
1
LCQ =
U(t)
L,
wobei a1 =RL und a0 =
1LC die konstanten Koeffizienten und g(t) =
U(t)L das Störglied sind.
9.3.1 Homogene lineare Differenzialgleichungen n-ter Ordnung mit
konstanten
Koeffizienten
Zur Lösung von
y(n) + an−1y(n−1) + an−2y
(n−2) + . . . + a1y′ + a0y = 0 (9.21)
verwenden wir den Lösungsansatz y(x) = eλx. Differentiation
liefert
y′(x) = λeλx,
y′′(x) = λ2eλx,
...
y(n−1)(x) = λn−1eλx,
y(n)(x) = λneλx.
Diese Ableitungen setzen wir in (9.21) und erhalten
λneλx + an−1λn−1eλx + . . .+ a1λe
λx + a0eλx = 0
eλx(λn + an−1λn−1 + . . . + a1λ+ a0) = 0
λn + an−1λn−1 + . . .+ a1λ+ a0 = 0,
d. h. die Differenzialgleichung (9.21) hat die (speziellen)
Lösungen
yi(x) = eλix, i = 1, . . . , n,
wobei λ1, . . . , λn die (komplexwertigen) Nullstellen des
Polynoms
p(λ) = λn + an−1λn−1 + . . .+ a1λ+ a0
sind. Das Polynom p(λ) heißt charakteristisches Polynom der
Differenzialgleichung (9.20) bzw.(9.21).
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 23
Satz. Es seien y1(x), . . . , yn(x) spezielle Lösungen der
homogenen Differenzialgleichung (9.21) mit
Wn(x) = det
y1(x) · · · yn(x)y′1(x) · · · y′n(x)...
...
y(n−1)1 (x) · · · y
(n−1)n (x)
6= 0
für mindestens ein x ∈ R. Dann ist die Linearkombination der
speziellen Lösungen
y(x) = c1y1(x) + . . .+ cnyn(x)
allgemeine Lösung y(x) von (9.21).
Die Funktion Wn(x) heißt Wronski-Determinante. Falls Wn(x) 6= 0,
dann heißen die speziellenLösungen y1(x), . . . , yn(x) linear
unabhängig. Sie bilden ein Fundamentalsystem der
Differenzial-gleichung.
Wir betrachten folgende Spezialfälle des charakteristischen
Polynoms p(λ):
(i) Alle Nullstellen von p(λ) sind reellwertig, λ1, . . . , λn ∈
R, und paarweise verschieden, λi 6= λjfür i 6= j. Dann ist
y(x) = c1eλ1x + . . .+ cne
λnx (9.22)
mit c1, . . . , cn ∈ R die allgemeine Lösung der
Differenzialgleichung (9.21).
(ii) Alle Nullstellen sind reellwertig, und die Nullstelle λk
hat die Vielfachheit m > 1, d. h.
λk = λk+1 = . . . = λk+m−1.
Der Nullstelle λk werden die speziellen Lösungen
yk(x) = eλkx, yk+1(x) = xe
λkx, . . . , yk+m−1(x) = xm−1eλkx
zugeordnet und damit hat (9.21) die allgemeine Lösung
y(x) =
c1eλ1x + . . .+ ck−1e
λk−1x
+eλkx(ck + ck+1x+ . . .+ ck+m−1x
m−1)
+ck+meλk+mx + . . . + cne
λnx(9.23)
mit c1, . . . , cn ∈ R.
(iii) Falls die Nullstelle λk von p(λ) komplexwertig ist, λk = a
+ ib mit b 6= 0, dann ist auch diekonjugiert komplexe Zahl λ̄k = a
− ib eine Nullstelle von p(λ), und wir setzen λk+1 = λ̄k.Wegen
eλkx = e(a+ib)x = eax · eibx
= eax(cos bx+ i sin bx)
eλk+1x = e(a−ib)x = eax · e−ibx
= eax(cos(−bx) + i sin(−bx)
)
= eax(cos bx− i sin bx)
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9.3. LINEARE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN N -TER ORDNUNG 24
sind
yk(x) =1
2
(
eλkx + eλk+1x)
= eax cos bx,
yk+1(x) = −1
2i(
eλkx − eλk+1x)
= eax sin bx
spezielle Lösungen von (9.21) und die allgemeine reelle Lösung
hat die Form
y(x) =
c1eλ1x + . . .+ ck−1e
λk−1x
+eax(ck cos bx+ ck+1 sin bx
)
+ck+2eλk+2x + . . .+ cne
λnx(9.24)
mit c1, . . . , cn ∈ R. Hierbei wurde die Tatsache verwendet,
dass bei homogenen linearen Dgln.Linearkombinationen von Lösungen
stets wieder Lösungen sind ; die lineare Unabhängigkeitder so
erhaltenen speziellen Lösungen kann mit der Wronski Determinante
nachgewiesenwerden.
Beispiel. Das charakteristische Polynom habe die Form
p(λ) = (1− λ) · (5− λ)3 · (5− 2λ+ λ2) · (9 + λ2)
spezielleLösungen
exe5x,xe5x,x2e5x
ex cos 2x,ex sin 2x
cos 3x,sin 3x
Die Menge der speziellen Lösungen bildet ein Fundamentalsystem
der Differenzialgleichung.Die allgemeine Lösung ist dann eine
Linearkombination dieser speziellen Lösungen,
y(x) = c1ex + c2e
5x + c3xe5x + c4x
2e5x + c5ex cos 2x+ c6e
x sin 2x+ c7 cos 3x+ c8 sin 3x
mit c1, . . . , c8 ∈ R.
Schritte zur Lösung der Differenzialgleichung (9.21)
1. Aufstellen des zugehörigen charakteristischen Polynoms,
2. Bestimmung der Nullstellen λ1, . . . , λn,
3. Auswahl der den Nullstellen zugeordneten speziellen Lösungen
gemäß ihrer Art, Spezialfälle(i), (ii) und (iii), Bestimmung des
Fundamentalsystems,
4. Zusammenfassung der speziellen Lösungen zur allgemeinen
Lösung.
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 25
Beispiele
(i) Zu lösen ist die Differenzialgleichung
y′′ − 4y′ − 5y = 0.
Das charakteristische Polynom p(λ) = λ2 − 4λ − 5 hat die
Nullstellen λ1 = 5 und λ2 = −1.Die beiden Nullstellen sind
reellwertig und von der Vielfachheit 1. Nach Spezialfall (i)
vonSeite 23 erhalten wir die speziellen Lösungen
y1(x) = e5x, y2(x) = e
−x.
Die Wronski-Determinante
W2(x) = det
(e5x e−x
5e5x −e−x)
= −5e4x − e4x = −6e4x
ist für alle x ∈ R verschieden von Null, und daraus ergibt sich
die allgemeine Lösung
y(x) = c1e5x + c2e
−x, c1, c2 ∈ R.
(ii) Die Differenzialgleichung
y(4) − 4y(3) + 5y′′ − 4y′ + 4y = 0
hat das charakteristische Polynom
p(λ) = λ4 − 4λ3 + 5λ2 − 4λ+ 4= (λ− 2)2 · (λ2 + 1)
mit den Nullstellen
λ1 = λ2 = 2, λ3 = i, λ4 = −i.
Die ersten beiden Nullstellen sind doppelte Nullstellen, und die
letzten beiden Nullstellen sindkomplexwertig mit a = 0 und b = 1.
Wir erhalten die zugeordneten speziellen Lösungen
y1(x) = e2x, y2(x) = xe
2x, y3(x) = cos x, y4(x) = sinx.
Wichtig: Die Verwendung der partikulären Lösungen aus den oben
betrachteten Spezialfällenstellt sicher, dass die
Wronski-Determinante W4(x) für mindestens ein x ∈ R verschieden
vonNull ist. Folglich hat die allgemeine Lösung die Form
y(x) = c1e2x + c2xe
2x + c3 cos x+ c4 sinx, c1, . . . , c4 ∈ R.
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9.3. LINEARE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN N -TER ORDNUNG 26
9.3.2 Inhomogene linearer Differenzialgleichungen n-ter Ordnung
mit konstan-
ten Koeffizienten
Die Lösung einer inhomogenen linearen Differenzialgleichungen
n-ter Ordnung mit konstanten Ko-effizienten basiert auf folgendem
Satz:
Satz (Superpositionsprinzip). Die allgemeine Lösung einer
inhomogenen linearen Differenzialglei-chung n-ter Ordnung der Form
(9.20) ergibt sich aus
y(x) = yh(x) + yp(x), (9.25)
wobei yh(x) die allgemeine Lösung der zugehörigen homogenen
Differenzialgleichung (9.21) undyp(x) eine spezielle (d. h.
partikuläre) Lösung der inhomogenen Gleichung (9.20)
bezeichnen.
Daraus ergibt sich ein Lösungsverfahren, das wir zur besseren
Übersicht wieder in Einzelschritteunterteilen:
1. Bestimmung der allgemeinen Lösung yh(x) der homogenen
Differenzialgleichung (9.21) nachAbschnitt 9.3.1,
2. Bestimmung einer speziellen Lösung yp(x) der inhomogenen
Differenzialgleichung (9.20), wo-bei die in Tabelle 9.1
zusammengefassten Ansätze verwendet werden,
3. Zusammensetzung (Superposition) von yh(x) und yp(x) zur
allgemeinen Lösung y(x) derinhomogenen Differenzialgleichung
(9.20).
Typ der Störfunktion g(x) Lösungsansatz yp(x)
Polynom Pm(x) vom Grad m Polynom Qm(x) vom Grad m
g(x) = Pm(x) yp(x) =
{Qm(x), a0 6= 0xkQm(x), a0 = . . . = ak−1 = 0, a 6 = 0
Exponentialfunktion yp(x) = aecx, wenn p(c) 6= 0
g(x) = ecx yp(x) = axmecx, falls p(c) = 0 (m-fache
Nullstelle)
Sinus- oder Kosinusfunktion yp(x) = a sinωx+ b cosωxg(x) = sinωx
falls p(iω) 6= 0, i =
√−1
oder g(x) = cosωx yp(x) = xm(a sinωx+ b cosωx)
falls p(iω) = 0 (m-fache Nullstelle)
Tabelle 9.1: Lösungsansätze für eine spezielle Lösung yp(x)
einer inhomogenen linearen Differenzi-algleichung n-ter Ordnung mit
konstanten Koeffizienten a0, . . . , an, dem charakteristischen
Polynomp(λ) und dem Störglied g(x).
Beispiele
(i) Die Differenzialgleichung
y′′ − y = 2x2 + 5 (9.26)
ist inhomogen mit dem Störglied g(x) = 2x2 + 5.
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 27
1. Wir lösen zunächst die zugeordnete homogene Gleichung y′′ −
y = 0 mit dem charak-teristischen Polynom p(λ) = λ2 − 1. Die
charakteristische Gleichung p(λ) = 0 hat zweiLösungen,
λ1 = 1, λ2 = −1.
Daraus folgt als allgemeine Lösung der homogenen
Differenzialgleichung
yh(x) = c1ex + c2e
−x.
2. Da das Störglied g(x) ein Polynom 2. Grades ist, wird auch
ein Polynom 2. Grades alsAnsatz für eine spezielle Lösung yp(x)
der inhomogenen Gleichung (9.26) verwendet,
yp(x) = ax2 + bx+ c,
siehe Tabelle 9.1. Hierbei sind die Koeffizienten zunächst
unbekannt, a, b, c ∈ R. (DieserAnsatz ist für (9.26) zulässig,
denn a0 6= 0.) Um a, b, c zu bestimmen, bilden wir nochdie ersten
beiden Ableitungen,
y′p(x) = 2ax+ b, y′′p(x) = 2a,
und setzen in (9.26) ein,
2a− (ax2 + bx+ c) = 2x2 + 5−ax2 − bx+ (2a− c) = 2x2 + 5.
Ein Vergleich der Koeffizienten der Potenzen x2, x1 und x0 von x
ergibt das lineareGleichungssystem
−a = 2−b = 0
2a− c = 5für die Koeffizienten a, b, c. Als Lösung erhält man
unmittelbar
a = −2, b = 0, c = −9,und damit ist
yp(x) = −2x2 − 9spezielle Lösung von (9.26).
3. Schließlich wird die allgemeine Lösung von (9.26) aus yh(x)
und yp(x) zusammengesetzt,
y(x) = c1ex + c2e
−x − 2x2 − 9.
(ii) Als ein zweites Beispiel betrachten wir die inhomogene
Gleichung
y′′ − 2y′ − 8y = 6e4x. (9.27)
1. Die zugeordnete homogene Gleichung y′′−2y′−8y = 0 hat das
charakteristische Polynomp(λ) = λ2 − 2λ− 8 mit den Nullstellen λ1 =
4 und λ2 = −2. Folglich ist
yh(x) = c1e4x + c2e
−2x, c1, c2 ∈ R,Lösung der homogenen Gleichung.
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Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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9.4. SYSTEME LINEARER DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 1. ORDNUNG 28
2. Die Verwendung des Ansatzes yp(x) = ae4x, a ∈ R, aus Tabelle
9.1 ist hier nicht sinnvoll
(führt zu keiner Lösung), denn λ1 = 4 ist Nullstelle des
charakteristischen Polynomsp(λ) ; es handelt sich um einen
sogenannten Resonanzfall. Alternativ dazu wählen wiraus Tabelle
9.1 den Resonanz-Ansatz yp(x) = axe
4x, a ∈ R, der sich als zulässig für(9.27) erweist. Wir bilden
wieder die Ableitungen
y′(x) = ae4x + 4axe4x,
y′′(x) = 4ae4x + 4ae4x + 16axe4x
= 8ae4x + 16axe4x,
setzen in (9.27) ein und erhalten eine Gleichung für den
unbekannten Koeffizienten a.Es gilt
y′′ y′ y︷ ︸︸ ︷
8ae4x + 16axe4x−2︷ ︸︸ ︷(ae4x + 4axe4x
)−8
︷ ︸︸ ︷
axe4x = 6e4x
6ae4x = 6e4x
6a = 6
a = 1.
Damit ist yp(x) = xe4x spezielle Lösung von (9.27).
3. Die allgemeine Lösung von (9.27) ist
y(x) = c1e4x + c2e
−2x + xe4x, c1, c2 ∈ R.
Bemerkungen
(i) Durch Einsetzen kann man leicht prüfen, dass der Anzatz
yp(x) = ae4x für eine spezielle Lösung
von (9.27) ungeeignet ist.
(ii) Das in diesem Abschnitt beschriebene Verfahren zur Lösung
inhomogener lineare Differenzi-algleichungen n-ter Ordnung kann
natürlich auch zur Lösung inhomogener Differenzialglei-chungen 1.
Ordnung mit konstanten Koeffizienten angewendet werden.
9.4 Systeme linearer Differenzialgleichungen 1. Ordnung
Die Kopplung physikalischer Probleme (z. B. mechanischer,
elektrischer oder optischer Systeme)führt zu Systemen von
Differenzialgleichungen. Wir betrachten als einfachsten Fall das
folgendeSystem von gewöhnlichen linearen Differenzialgleichungen
1. Ordnung mit konstanten Koeffizienten
y′1 = a11y1 + . . . a1nyn + g1(x)
...
y′n = an1y1 + . . . annyn + gn(x).
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 29
Mit
y =
y1...yn
, y′ =
y′1...y′n
, A =
a11 · · · a1n...
...an1 · · · ann
, g(x) =
g1(x)...
gn(x)
kann dieses System in der Matrixform
y′ = Ay + g(x) (9.28)
geschrieben werden. Gesucht ist die allgemeine Lösung y : R 7→
Rn, wobei die Koeffizientenmatrix Aund das Störglied g : R 7→ Rn
gegeben sind. Das Differenzialgleichungssystem (9.28) heißt
homogenfalls g(x) = 0, andernfalls inhomogen.
Die Lösungsmethode eines inhomogenen Systems der Form (9.28)
ist ähnlich der einer linearenDifferenzialgleichung n-ter Ordnung
zweistufig: Wir bestimmen zunächst die allgemeine Lösungdes
zugeordneten homogenen Systems und anschließend eine partikuläre
Lösung von (9.28).
U1(t)
R1
L1 L
U2(t)
R2
L2
Abbildung 9.7: Ein System aus zwei gekoppelten elektrischen
Kreisen.
Beispiel. Die Ströme I1 und I2 in dem in Abbildung 9.7
gezeigten System zweier gekoppelterelektrischer Kreise sind Lösung
des Differenzialgleichungssystems
L1İ1 + L(İ1 + İ2) +R1I1 = U1(t)
L2İ2 + L(İ1 + İ2) +R2I2 = U2(t)
}
. (9.29)
Dieses System kann leicht in die Form (9.28) überführt werden.
Es gilt
(İ1İ2
)
=
(L1 + L L
L L2 + L
)−1 (
−(
R1I1R2I2
)
+
(U1(t)U2(t)
))
,
d. h. die Koeffizientenmatrix A in (9.28) ist gegeben durch
A = − 1L1L2 + L(L1 + L2)
((L1 + L)R1 −LR2
−LR1 (L2 + L)R2
)
.
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9.4. SYSTEME LINEARER DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 1. ORDNUNG 30
Analog erhält man die beiden Komponenten des Störgliedes
g,
g(t) =1
L1L2 + L(L1 + L2)
((L1 + L)U1 − LU2−LU1 + (L2 + L)U2
)
.
Damit erhält man aus (9.29) die Gleichung İ = AI + g(t).
9.4.1 Systeme homogener linearer Differenzialgleichungen 1.
Ordnung
Da die Lösungen von den Eigenwerten der Matrix A abhängen,
müssen analog zu Abschnitt 9.3.1bei der Lösung des Systems
y′ = Ay (9.30)
folgende Fälle unterschieden werden:
(i) Im einfachsten Fall sind alle Eigenwerte λ1, . . . , λn der
Koeffizientenmatrix A reellwertig undvoneinander verschieden. Mit
u1, . . . , un werden die zugehörigen Eigenvektoren bezeichnet.Es
gelte also Auj = λjuj , j = 1, . . . , n, vgl. die grundlegenden
Gleichungen für Eigenwerteund Eigenvektoren von Matrizen.. Dann
ist
y(x) =
n∑
j=1
cjujeλjx
mit c1, . . . , cn ∈ R allgemeine Lösung von (9.30). Das kann
leicht nachgeprüft werden. Es gilt
y′(x) =n∑
j=1
cjujλjeλjx,
und Einsetzen in (9.30) liefert
n∑
j=1
cjujλjeλjx = A
n∑
j=1
cjujeλjx
0 = A
n∑
j=1
cjujeλjx −
n∑
j=1
cjujλjeλjx
=n∑
j=1
cj (Auj − λjuj)︸ ︷︷ ︸
eλjx
= 0
= 0.
(ii) Wir nehmen wie in (i) an, dass alle Eigenwerte reellwertig
sind. Der Eigenwert λk sei m-facheNullstelle des charakteristischen
Polynoms det(A − λI), λk = . . . = λk+m−1. Alle anderen
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 31
Eigenwerte seien einfache Nullstellen. Dann ist
y(x) =
k−1∑
j=1
cjujeλjx + eλkx
k+m−1∑
j=k
cjxj−kuj
︸ ︷︷ ︸
+
n∑
j=k+m
cjujeλjx
zu λk gehöriger Term
allgemeine Lösung von (9.30).
(iii) Sind alle Eigenwerte von A reellwertig bis auf das
komplexwertige Paar (λk, λk+1) mit λk =a+ ib und λk+1 = λ̄k = a−
ib, dann hat die allgemeine Lösung von (9.30) die Form
y(x) =k−1∑
j=1
cjujeλjx + eax
(ckuke
ibx + ck+1uk+1e−ibx)
︸ ︷︷ ︸+
n∑
j=k+2
cjujeλjx.
zu (λk, λk+1) gehöriger Term
Dabei sind die Eigenvektoren uk und uk+1 in der Regel
komplexwertig. Um zu erreichen,dass der zu λk gehörige Term
reellwertig ist, müssen die Koeffizienten ck und ck+1
ebenfallskomplexwertig sein,
ck = ak,1 + ibk,2, ck+1 = ak+1,1 + ibk+1,2.
Der zu λk gehörige Term hat also die vier freien Parameter
ak,1, bk,2, ak+1,1 und bk+1,2 (vierFreiheitsgrade). Durch die
Forderung, dass der zu λk gehörige Term insgesamt aber
reellwertigsein muss, wird die Anzahl der Freiheitsgrade auf zwei
reduziert.
Beispiele
(i) Gegeben sei das homogene System
y′1 = y1 + y2y′2 = 3y1 − y2
}
(9.31)
Die Koeffizientenmatrix
A =
(1 13 −1
)
hat die Eigenwerte λ1 = 2 und λ2 = −2. Die zugehörigen
Eigenvektoren sind
u1 =
(11
)
, u2 =
(−13
)
.
Folglich erhalten wir als allgemeine Lösung
y(x) = c1
(11
)
e2x + c2
(−13
)
e−2x
von (9.31), d. h.
y1(x) = c1e2x − c2e−2x, y2(x) = c1e2x + 3c2e−2x.
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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9.4. SYSTEME LINEARER DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 1. ORDNUNG 32
(ii) Das System
y′1 = y1 + 2y2y′2 = −2y1 + y2
}
(9.32)
mit der Koeffizientenmatrix
A =
(1 2
−2 1
)
,
den Eigenwerten λ1 = 1 + 2i und λ2 = 1− 2i sowie den
Eigenvektoren
u1 =
(−i1
)
, u2 =
(i1
)
hat die allgemeine Lösung
y(x) = ex ·(
c1
(−i1
)
e2ix + c2
(i1
)
e−2ix)
, c1, c2 ∈ C,
= ex ·(
(a1 + ib1)
(−i1
)
e2ix + (a2 + ib2)
(i1
)
e−2ix)
mit a1, b1, a2, b2 ∈ R. Das bedeutet für die erste
Komponente
y1(x) = ex · (−i(a1 + ib1)(cos 2x+ i sin 2x) + i(a2 + ib2)(cos
2x− i sin 2x))
= ex ·(
(b1 − b2) cos 2x+ (a1 + a2) sin 2x) + i((a2 − a1) cos 2x+ (b1 +
b2) sin 2x
))
.
Wir fordern nun, dass der Imaginärteil von y1(x) verschwindet,
d. h.
(a2 − a1) cos 2x+ (b1 + b2) sin 2x = 0, x ∈ R.
Ein Koeffizientenvergleich ergibt
a2 = a1, b2 = −b1, (9.33)
und damit erhalten wir
y1(x) = 2b1ex cos 2x+ 2a1e
x sin 2x, a1, b1 ∈ R.
Für y2(x) ergibt sich
y2(x) = ex ·
((a1 + ib1)e
2ix + (a2 + ib2)e−2ix)
und mit (9.33) wird auch y2(x) reellwertig,
y2(x) = ex ·
((a1 + ib1)e
2ix + (a1 − ib1)e−2ix)
= ex ·((a1 + ib1)(cos 2x+ i sin 2x) + (a1 − ib1)(cos 2x− i sin
2x)
)
= 2a1ex cos 2x− 2b1ex sin 2x, a1, b1 ∈ R.
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Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
-
KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 33
Aus formalen Gründen benennen wir die Konstanten noch einmal
um,
c1 = 2a1, c2 = 2b1,
und fassen die erhaltene allgemeine Lösung von (9.35) in der
Form
y1(x) = c1ex sin 2x+ c2e
x cos 2xy2(x) = c1e
x cos 2x− c2ex sin 2x
}
, c1, c2 ∈ R,
zusammen.
(iii) Gegeben sei das homogene System
y′1 = 5y1 − 2y2 + 2y3y′2 = −2y1 + 2y2 − y3y′3 = 2y1 − y2 +
2y3
(9.34)
mit der Koeffizentenmatrix
A =
5 −2 2−2 2 −12 −1 2
,
den Eigenwerten λ1/2 = 1 und λ3 = 7 sowie den dazu gehörigen
Eigenvektoren
u1 =
011
, u2 =
22
−2
, u3 =
2−11
.
Die allgemeine Lösung von (9.34) lässt sich sofort
hinschreiben,
y(x) =
c1
011
+ c2x
22
−2
ex + c3
2−11
e7x, c1, c2, c3 ∈ R.
Das sieht natürlich in der Form
y1(x) = 2c2xex + 2c3e
7x
y2(x) = c1ex + 2c2xe
x − c3e7xy3(x) = c1e
x − 2c2xex + c3e7x
, c1, c2, c3 ∈ R,
schöner aus.
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9.4. SYSTEME LINEARER DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 1. ORDNUNG 34
9.4.2 Systeme inhomogener linearer Differenzialgleichungen 1.
Ordnung
Das System inhomogener linearer Differenzialgleichungen
y′ = Ay + g(x)
wird gelöst, in dem zunächst eine allgemeine Lösung yh(x) der
homogene Gleichung y′ = Ay und
anschließend eine partikuläre Lösung yp(x) der inhomogenen
Gleichung bestimmt wird. Das istanalog zum Superpositionsprinzip
der Lösung inhomogener linearer Differenzialgleichungen
n-terOrdnung, wobei die Ansatzfunktionen wieder aus Tabelle 9.1
entnommen werden. Wir verweisendaher auf Abschnitt 9.3.2 und machen
den Rest an einem Beispiel klar.
Beispiel. Gegeben sei das inhomogene System
y′1 = y1 + y2 + 2x+ 1y′2 = 3y1 − y2 + 3ex
}
(9.35)
Die zugeordnete homogene Gleichung (9.31) hatten wir bereits
gelöst,
yh,1(x) = c1e2x − c2e−2x
yh,2(x) = c1e2x + 3c2e
−2x
}
, c1, c2 ∈ R,
siehe Beispiel (i) auf Seite 31. Ein Ansatz für eine
partikuläre Lösung yh wird wieder ausTabelle 9.1 entnommen.
Allerdings setzen sich die partikulären Lösungen der
Komponentenyp,1 und yp,1 nun aus den zu den Komponenten g1(x) =
2x+1 und g2(x) = e
x des Störgliedesg(x) gehörigen Termen zusammen. Es gilt
yp,1(x) = a1x+ b1 + d1ex, yp,2(x) = a2x+ b2 + d2e
x,
wobei die unbekannten Koeffizienten a1, a2, b1, b2, d1, d2 noch
zu bestimmen sind. Wir leitenab,
y′p,1(x) = a1 + d1ex, y′p,2(x) = a2 + d2e
x,
und setzen in (9.35) ein,
a1 + d1ex = (a1x+ b1 + d1e
x) + (a2x+ b2 + d2ex) + 2x+ 1
a2 + d2ex = 3(a1x+ b1 + d1e
x)− (a2x+ b2 + d2ex) + 3ex}
,
und Koeffizientenvergleiche ergeben das lineare
Gleichungssystem
a1 − b1 − b2 = 1−a1 − a2 = 2
−d2 = 0a2 − 3b1 + b2 = 0
−3a1 + a2 = 0−3d1 + 2d2 = 3
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 35
mit der Lösung
a1 = −1
2, a2 = −
3
2, b1 = −
3
4, b2 = −
3
4, d1 = −1, d2 = 0.
Folglich ist
yp,1(x) = −1
2x− 3
4− ex, yp,2(x) = −
3
2x− 3
4.
Und schließlich erhalten wir die allgemeine Lösung y von (9.35)
aus y(x) = yh(x) + yp(x),
y1(x) = c1e2x − c2e−2x − 12x− 34 − ex
y2(x) = c1e2x + 3c2e
−2x − 32x− 34
}
, c1, c2 ∈ R.
Bemerkung.Man kann sich leicht vorstellen, dass schon in etwas
größeren inhomogenen Systemendie Anzahl der zu bestimmenden
Parameter im Ansatz für die partikuläre Lösung schnellanwächst.
Der Aufwand für die Lösung großer inhomogener Systeme kann also
erheblich sein.
9.5 Numerische Lösung von Anfangswertaufgaben
Rand- und Anfangswertaufgaben werden oft numerisch gelöst.
Dabei werden iterativ Näherungender Lösung y(x) an diskreten
Stellen xi, i = 1, 2, . . ., bestimmt.
Um die prinzipielle Vorgehensweise zu erläutern, beschränken
wir uns in diesem Abschnitt auf dienumerische Lösung von
Anfangswertaufgaben der Form (9.8), wobei f : R2 7→ R eine
gegebene(stetige und differenzierbare) Funktion und (x0, y0) ein
gegebener Anfangswert sind, siehe (9.8).
Dazu weisen wir darauf hin, dass jede gewöhnliche
Differenzialgleichung höherer Ordnung in einSystem von
gewöhnlichen Differenzialgleichungen 1. Ordnung transformiert
werden kann.
Beispiel. Substituiert man in der Differenzialgleichung 2.
Ordnung
y′′ + f(x)y′ = g(x)
die erste Ableitung y′ durch z, erhält man das System
y′ = z(x)z′ + f(x)z = g(x)
}
von zwei Differenzialgleichungen 1. Ordnung, die nacheinander,
zunächst für z und dann füry gelöst werden können.
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
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9.5. NUMERISCHE LÖSUNG VON ANFANGSWERTAUFGABEN 36
yixi h = 0, 1 h = 0, 01 y(xi)
0,000000 1,000000 1,000000 1,0000000,100000 1,200000 1,214015
1,2156880,200000 1,430517 1,461926 1,4656830,300000 1,695709
1,748489 1,7548160,400000 2,000266 2,079084 2,0885550,500000
2,349475 2,459798 2,4730820,600000 2,749295 2,897505
2,9153900,700000 3,206436 3,399976 3,4233800,800000 3,728455
3,975979 4,0059740,900000 4,323854 4,635412 4,6732461,000000
5,002200 5,389442 5,4365641,100000 5,774248 6,250658
6,3087491,200000 6,652090 7,233250 7,3042571,300000 7,649310
8,353206 8,4393821,400000 8,781171 9,628531 9,7324801,500000
10,064808 11,079499 11,2042231,600000 11,519458 12,728925
12,877884
Tabelle 9.2: NumerischeWerte yi der Lösung des
Anfangswertproblems (9.38) für die Schrittweitenh = 0, 1 (links)
und für h = 0, 01 (rechts). Die Tabelle enthält für h = 0, 01
nur jeden 10-ten Wert.Zu Vergleichszwecken werden auch die
entsprechenden Werte y(xi) der exakten Lösung angegeben.
9.5.1 Das Polygonzugverfahren von Euler
Ausgehend von (x0, y0) werden mit Hilfe der gewöhnlichen
Differenzialgleichung
y′ = f(x, y) (9.36)
iterativ Wertepaare (xi, yi), i = 1, 2, . . . berechnet, die als
Punkte auf Kurven der Löungsfunktioneny(x) interpretiert werden
können. Meist wird y(x) auf äquidistanten Stützstellen xi
berechnet,h = xi − xi−1, i = 1, 2, . . .Analog zum Newton-Verfahren
approximieren wir den Differenzialquotienten y′ an der Stelle
xidurch seinen Differenzenquotienten,
dy
dx≈ yi − yi−1
xi − xi−1=
yi − yi−1h
für h = xi − xi−1 > 0. Damit erhält man aus der
Differenzialgleichung in (9.36)
yi − yi−1h
≈ f(xi, yi).
Aus der letzten Beziehung leitet sich das Polygonzugverfahren
von Euler ab:
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 37
Polygonzugverfahren von Euler.
xi = xi−1 + hyi = yi−1 + h · f(xi−1, yi−1)
}
i = 1, 2, . . . (9.37)
mit dem Anfangspunkt (x0, y0).
Bemerkungen
(i) Das Polygonzugverfahren ist numerisch instabil, d. h. auch
für kleine h können die numeri-schen Fehler |yi − y(xi)| sehr
groß sein. Außerdem werden numerische Fehler in der
Regelakkumuliert, d. h. die Fehler steigen für größer werdendes
i.
(ii) Der Fehler liegt in der Größenordnung von h, d. h. das
Polygonzugverfahren ist ein Algorithmusder Ordnung 1. Wir
schreiben
yi = yi−1 + hf(xi−1, yi−1) + O(h2),
wobei allgemein eine Methode”von m-ter Ordnung“ ist, wenn der
Fehler durch O(hm+1)
ausgedrückt werden kann.
Beispiele
(i) Das Anfangswertproblem
y′ = y + ex
y(0) = 1
}
(9.38)
hat die (exakte) Lösung y(x) = (x + 1)ex. Zum Vergleich wurde
die Lösung mit dem Po-lygonzugverfahren mit den Schrittweiten h =
0, 1 bzw. h = 0, 01 numerisch bestimmt. DieErgebnisse sind in
Tabelle 9.2 zusammengefasst. Klar, die Ergebnisse werden mit
kleineremh besser, aber nur langsam.
(ii) Das Anfangswertproblem
y′ = exp(xy10 )y(0) = 1
}
(9.39)
ist mit den bisher beschriebenen Methoden nicht analytisch
lösbar. Die exakte Lösung ist alsonicht bekannt. Das
Anfangswertproblem kann aber numerisch gelöst werden.
EntsprechendeWerte sind in Tabelle 9.3 enthalten.(Ist z ein
Formelausdruck, so wird oft für ez besser lesbarexp(z)
geschrieben.)
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9.5. NUMERISCHE LÖSUNG VON ANFANGSWERTAUFGABEN 38
yixi h = 0, 1 h = 0, 01
0,000000 1,000000 1,0000000,100000 1,100000 1,1004800,200000
1,201106 1,2021650,300000 1,303537 1,3052810,400000 1,407525
1,4100670,500000 1,513317 1,5167810,600000 1,621177
1,6257000,700000 1,731393 1,7371260,800000 1,844278
1,8513910,900000 1,960176 1,9688621,000000 2,079470
2,0899461,100000 2,202584 2,2151031,200000 2,330000
2,3448531,300000 2,462260 2,4797871,400000 2,599986
2,6205881,500000 2,743893 2,7680501,600000 2,894814 2,923100
Tabelle 9.3: Numerische Werte yi der Lösung des
Anfangswertproblems (9.39) für h = 0, 1 (links)und für h = 0, 01
(rechts). Die Tabelle enthält für h = 0, 01 nur jeden 10-ten
Wert.
9.5.2 Das Runge-Kutta-Verfahren
Das Standardverfahren zur Lösung gewöhnlicher
Differenzialgleichungen ist das Runge-Kutta-Verfahren,mit dem
deutlich bessere numerische Ergebnisse erzielt werden können als
mit dem Polygonzug-verfahren.
Dazu modifizieren wir (9.37) so, dass die Funktion f nicht an
der Stelle (xi−1, yi−1), sondern ineinem Punkt
(xi−1 +
1
2h, yi−1 +
1
2hf(xi−1, yi−1)
)
berechnet wird, der irgendwo zwischen den Punkten (xi−1, yi−1)
und (xi, yi) liegt (Mittelpunkt).Alternativ zum Polygonzugverfahren
von Euler erhalten wir damit die folgende
Berechnungsvor-schrift:
Mittelpunktverfahren.
xi = xi−1 + hv1 = hf(xi−1, yi−1)
v2 = hf(xi−1 +
12h, yi−1 +
12v1
)
yi = yi−1 + v2 + O(h3)
i = 1, 2, . . . (9.40)
mit dem Anfangspunkt (x0, y0).
Das Mittelpunktverfahren ist von 2. Ordnung und konvergiert
somit schneller als das Polygonzug-verfahren von Euler. Daher wird
es auch Runge-Kutta-Verfahren 2. Ordnung genannt.
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
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KAPITEL 9. GEWÖHNLICHE DIFFERENZIALGLEICHUNGEN 39
Die Idee vom Mittelpunkt lässt sich weiter verfeinern, indem
zusätzliche Zwischenwerte eingefügtwerden. Eine weitere
Verbesserung erhält man durch das Runge-Kutta-Verfahren 4. Ordnung
, dasalgorithmisch wie folgt beschrieben werden kann:
Runge-Kutta-Verfahren 4. Ordnung.
xi = xi−1 + hv1 = hf(xi−1, yi−1)
v2 = hf(xi−1 +
12h, yi−1 +
12v1
)
v3 = hf(xi−1 +
12h, yi−1 +
12v2
)
v4 = hf(xi−1 + h, yi−1 + v3)
yi = yi−1 +v16 +
v23 +
v33 +
v46 + O(h
5)
i = 1, 2, . . . (9.41)
mit dem Anfangspunkt (x0, y0).
Damit ist aber auch das Ende der”Fahnenstange“ erreicht. Weitere
Verfeinerungen könnten sicher
nur wenig zur weiteren Erhöhung der Genauigkeit beitragen. Es
ist zu berücksichtigen, dass bereitsbeim Runge-Kutta-Verfahren 4.
Ordnung in jedem Schritt 4 Funktionswertberechnungen von f
er-forderlich sind. Weitere Funktionsaufrufe würden den
rechentechnischen Aufwand zur numerischenLösung eines
Anfangswertproblems der Form (9.8) erheblich vergrößern.
9.6 Übungsaufgaben
1. Lösen Sie die folgenden Differenzialgleichungen:
a) y′(1 + x2) = xy ,
b) x2y′ =1
4x2 + y2 ,
c) y′′ + 10y′ − 24y = 2x2 − 6x ,d) y′′′ + 6y′′ + 13y′ = 51
sin(3x) + 13x− 7 ,e) tẏ − (t+ 1)y − t2 + t3 = 0 ,f) ẏ = (t+ y +
1)2 .
2. Lösen Sie die folgenden Anfangswertprobleme:
a) (1 + ex)yy′ = ex , y(1) = 1 ,
b) y′′ + 4y′ + 5y = 0 , y(0) = π , y′(0) = 0 ,
c) y′′′ − 3y′′ + 4y = 14ex , y(0) =
1
4, y′(0) = 0 , y′′(0) =
1
4.
3. Ein biegsames Seil der Länge l und der Masse m gleite
reibungsfrei über eine Tischkante. Istx = x(t) die Länge des
überhängenden Seiles zur Zeit t, so ist die auf das Seil
einwirkendeKraft gleich dem Gewicht des überhängenden Seiles,
also (x/l)mg (g: Erdbeschleunigung).
Die Differenzialgleichung der Bewegung lautet somit: mẍ =x
lmg , also ẍ =
x
l· g .
a) Lösen Sie diese Differenzialgleichung für ein 1,50m langes
Seil, das zu Beginn (t = 0) zurHälfte überhängt und sich aus der
Ruhe heraus in Bewegung setzt.
Ergänzungen zu: Helm/Pfeifer/Ohser: Mathematik für
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9.7. LÖSUNGSHINWEISE 40
b) Nach welcher Zeit ist das Seil abgerutscht?
4. Ermitteln Sie die Funktion y(x), die folgenden Bedingungen
genügt:
y′′ + 4y′ − 5y = 0 , y(0) = 2 , limx→∞
y(x) = 0 .
9.7 Lösungshinweise
1. a) y(x) = c√1 + x2 , c ∈ R
b) y(x) =x
2− x
ln |x|+ c , c ∈ R
c) y(x) = c1e2x + c2e
−12x − 112x2 + 1372x+ 59864 , c1, c2 ∈ Rd) y(x) = c1 + c2e
−3x cos 2x+ c3e−3x sin 2x+ 12x
2 − x− 0, 9 sin 3x− 0, 2 cos 3x , c1, c2, c3 ∈ Re) y(t) = c ·
tet + t2 , c ∈ Rf) y(t) = tan(t+ c)− t− 1 , c ∈ R
2. a) c = 1− 2 ln(1 + e) = −1, 6265 y(x) = ±√
2 ln(1 + ex)− 1, 6265b) y(x) = πe−2x(cos x+ 2 sinx)
c) y(x) = 18(e−x + ex)
3. x(t) = 0, 375(e2,557t + e−2,557t) = 0, 75 cosh(2, 557t)
4. y(x) = 2e−5x
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Wirtschaftswissenschaftler, Hanser, 2015
-
Index
allgemeine Lösung einer Differenzialgleichung,
8Anfangswertproblem, 8
characteristisches Polynom, 22
Differenzialgleichungn-ter Ordnung, 7homogen, 20, 29inhomogen,
20, 29linearn-ter Ordnung, 20
mit trennbaren Variablen, 11partielle, 7
Diffusionsgleichung, 7
homogenDifferenzialgleichung, 17, 20, 29
inhomogenDifferenzialgleichung, 17, 29
Lambert-Beersches Gesetz, 17lineare Differenzialgleichung
n-ter Ordnung, 201. Ordnung, 17homogen, 17inhomogen, 17
Mittelpunktverfahren, 38
Ordnungeiner Differenzialgleichung, 7
partielleDifferenzialgleichung, 7
partikuläre Lösung, 6Polygonzugverfahren von Euler,
35Polynom
charakteristisches, 22
Randwertproblem, 9Richtungsfeld, 9
Runge-Kutta-Verfahren, 372. Ordnung, 384. Ordnung, 38
spezielle Lösung einer Differenzialgleichung, 6,
8Störfunktion, 17, 29Störglied, 17, 20, 29
Variation der Konstanten, 19
Wärmeleitungsgleichung, 7Wronski-Determinante, 23
41