MAGISTERARBEIT Titel der Magisterarbeit „Sind wir nicht alle ein bisschen JournalistIn?“ Facebook, UGC und Radiojournalismus – Wie Social Media den Journalismus verändern und Partizipation fördern können Eine Untersuchung am Beispiel österreichischer Radiosender Verfasserin Lisa Staltner, Bakk.phil. angestrebter akademischer Grad Magistra der Philosophie (Mag.phil.) Wien, 2013 Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 066/841 Studienrichtung lt. Studienblatt: Publizistik- und Kommunikationswissenschaft Betreuer: Ao. Univ. – Prof. Dr. Friedrich Hausjell
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MAGISTERARBEIT
Titel der Magisterarbeit
„Sind wir nicht alle ein bisschen JournalistIn?“
Facebook, UGC und Radiojournalismus – Wie Social Media den Journalismus verändern und Partizipation fördern können
Eine Untersuchung am Beispiel österreichischer Radiosender
Verfasserin
Lisa Staltner, Bakk.phil.
angestrebter akademischer Grad
Magistra der Philosophie (Mag.phil.)
Wien, 2013
Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 066/841
Studienrichtung lt. Studienblatt: Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
Betreuer: Ao. Univ. – Prof. Dr. Friedrich Hausjell
Eidesstattliche Erklärung
Ich, Lisa Staltner, erkläre hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und
ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Die aus fremden Quellen
direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht.
Die Magisterarbeit wurde von mir weder im In- noch Ausland in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit
vorgelegt bzw. veröffentlicht.
Wien, im Jänner 2013 Lisa Staltner
„Pressefreiheit ist die Freiheit von mehr als 2 Milliarden Menschen mit Internetzugang, ihre
Facebook, Twitter & Co spielen heutzutage in der Medienarbeit eine immer wichtigere Rolle.
Social Media haben sich in der Medienbranche nicht nur zu einem effektiven Marketingtool
entwickelt, sondern sie sind ein wesentlicher Bestandteil der Interaktivität mit den
Rezipienten1 geworden. Facebook als journalistisches Tool zur Einbeziehung des Publikums
wird immer gebräuchlicher und ist aus der Medienwelt kaum noch weg zu denken.
Das Internet und vor allem soziale Netzwerke wie Facebook, bringen große Veränderungen
für den Journalismus mit sich und haben nicht nur Einfluss auf den Arbeitsalltag und -ablauf,
sondern auch auf die journalistische Berufsrolle selbst. Durch die neuen Möglichkeiten des
Internets und der unzähligen sozialen Netzwerke ist das Mitmachen seitens der Rezipienten
vereinfacht worden und jeder hat heutzutage bereits die Chance selbst mit zu gestalten und
eigene Inhalte zu veröffentlichen.
Mit dem Aufkommen von Social Media und deren Verwendung im Journalismus hat sich
zudem ein neues journalistisches Berufsfeld entwickelt, welches auch für österreichische
Medienunternehmen immer wesentlicher und interessanter wird – der Social Media
Redakteur. Seit der aufsteigenden Popularität von sozialen Netzwerken wie Facebook, wird
seitens der Redaktionen immer mehr Wert auf einen guten Online-Auftritt des jeweiligen
Mediums gelegt und insbesondere die Kontaktpflege und Interaktivität mit den Rezipienten
stehen dabei im Vordergrund.
Zudem ist Facebook eine Art Schnittstelle zwischen Kommunikator und Rezipient geworden,
die scheinbar einen direkteren Austausch ermöglicht. Facebook scheint dem Publikum eine
Stimme zu verleihen und bietet dem Leser, Hörer oder Seher somit neue
Partizipationsmöglichkeiten.
Auch die Kommunikationswissenschaft hat diesen Social Media Trend und die dadurch
entstehenden Veränderungen für Medien und den Journalismus bereits thematisiert. Es wird
diskutiert, dass neue Strategien entwickelt werden müssen, um das Internet und die sozialen
Netzwerke besser zu nutzen, um die Interaktion mit dem Publikum zu fördern und einen
Mehrwert aus den Inhalten der viralen Welt herzustellen.
1 Anmerkung: Aus Gründen der Lesefreundlichkeit wird in dieser Arbeit auf die weibliche Form verzichtet, dennoch sind beide Geschlechter gemeint. Auszüge aus der Literatur werden originalgetreu zitiert.
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Die Forderung nach einer aktiven Mitgestaltung und nach mehr Partizipation, die Brecht in
seiner Radiotheorie bereits um 1930 gestellt hat, scheint nun mit dem Internet und sozialen
Netzwerken, wie beispielsweise Facebook, realisierbar zu sein. Es stellt sich daher die Frage,
ob und inwiefern dies tatsächlich möglich ist.
Im Rahmen dieser Magisterarbeit möchte ich mich deshalb mit Medien und Social Media
auseinander setzen und diese neue Form der Partizipation und Interaktivität mit dem
Publikum genauer betrachten. Im Fokus der Arbeit soll hierbei speziell die Facebook-Nutzung
von österreichischen Radiosendern stehen, welche ihr Sendeprogramm stark an das
Auftreten und die Interaktivität mit den Rezipienten im Social Web koppeln und die
Programmgestaltung durch Facebook unterstützen. Vor allem das Konzept des User
Generated Content, also nutzergenerierte Inhalte, die im Internet veröffentlicht werden,
spielt im Rahmen dieser Arbeit eine übergeordnete Rolle: Wie werden diese Inhalte von
Radiosendern aufgegriffen? Werden sie überhaupt genutzt um das Programm zu gestalten?
Was bedeutet User Generated Content für den Journalismus und welche Veränderungen
bringt dieses Phänomen mit sich? Kann Partizipation durch Facebook ermöglicht werden,
und kann sich das Publikum so aktiver am Produktionsprozess beteiligen?
Die Thematik dieser Forschungsarbeit ist vor allem auch im Hinblick auf die Veränderung der
Mediennutzung interessant, die sich immer mehr auf das Internet und soziale Netzwerke
verlagert. Hierbei ist vor allem die interaktive Komponente des partizipativen Web 2.0 ein
bedeutender Faktor. Insbesondere das Spannungsfeld zwischen professionellem
Journalismus und von Rezipienten veröffentlichten Inhalten macht diese Thematik zu einem
wichtigen Bestandteil der Forschung. Die kommunikationswissenschaftliche Forschung im
Bezug auf Social Media und den Journalismus ist durch die vermehrte berufliche Nutzung
von sozialen Netzwerken in den vergangenen Jahren relevanter geworden, wodurch sich
auch der Forschungsbereich für diese Arbeit ergeben hat.
Die Frage nach den Auswirkungen von Social Media auf den Journalismus umfasst nicht nur
eine Auseinandersetzung mit User Generated Content und den Möglichkeiten des Internets,
sondern stellt zudem auch die journalistische Verantwortung in Frage. Das Gatekeeper-
Modell scheint nicht mehr das zu sein, was es einmal war, und wird durch die Möglichkeiten
des Mitgestaltens und Mitbestimmens darüber, was an die journalistische Tagesordnung
kommt, vor neue Herausforderungen gestellt.
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Der Wandel der Öffentlichkeit, des Publikums und der Technologie hat im heutigen
Journalismus eindeutig seine Spuren hinterlassen und bietet deshalb Anlass dazu, den
Ursachen und Herausforderungen, die dahinter stecken, aus
Ein weiterer für die hier vorliegende Magisterarbeit relevanter Forschungsbereich, setzt sich
mit nutzergenerierten Inhalten auseinander. Beleuchtet man die Thematik von Journalismus
und Social Media zusätzlich von einem anderen Standpunkt und bringt den Begriff des User
Generated Content; kurz UGC; ins Spiel, erweitert sich das Spektrum an relevanter Literatur
und Forschungen im Bereich Social Media und Journalismus. In diesem Zusammenhang wird
in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung häufig die Frage nach der Integration
und Einbettung von User Generated Content in die Medienarbeit und den journalistischen
Alltag gestellt. So haben sich Claudia Gerhards & Sven Pagel (2009) beispielsweise mit der
Einbindung von UGC in das Internetfernsehen von TV-Sendern auseinandergesetzt und sind
dabei speziell auf die Potentiale des UGC für den Journalismus eingegangen. Des Weiteren
beleuchten sie die Auswirkungen von User Generated Content auf den professionellen
Journalismus und stellen dabei fest, dass es wichtig ist, Selektionskriterien zur Einbindung
von UGC-Inhalten herzustellen, um eine angemessene Integration dieser in die redaktionelle
Arbeit gewährleisten zu können. Zudem halten sie fest, dass die von Rezipienten erstellten
Inhalte in jedem Fall eine Bereicherung für den Journalismus unserer Zeit sein können und
erklären die Befürchtung, dass UGC den professionellen Journalismus überflüssig machen
würde, für unbegründet. (vgl. Gerhards / Pagel, 2009: S. 24)
„Vielmehr ist davon auszugehen, dass zwischen beiden Formen ein ergänzendes statt
substituierendes Verhältnis besteht. So können hier künftig neue Erzählformen, die in
Richtung eines ‚interaktiven Storytellings’ gehen, entstehen.“ (Gerhards / Pagel, 2009:
S. 24)
Die beiden Autoren merken ebenso an, dass die Rezipienten durch die Einbettung ihrer
selbst erstellten Inhalte in redaktionelle Strukturen, von ihrer passiven Empfänger-Rolle zu
aktiven Mitgestaltern werden können und wesentlich am Entstehungsprozess von
journalistischen Inhalten und Produkten beteiligt sind (vgl. Spierling, 2006: S. 1252 zit. nach
Gerhards / Pagel, 2009: S. 24). Dennoch sprechen sie von Auswirkungen des UGC auf den
professionellen Journalismus, vor allem im Bezug auf die journalistische Berufsrolle, und
davon, dass Medienunternehmen durch den Zuwachs an Inhalten im Internet durchaus vor
2 Spierling, Ulrike (2006): Nonlineare Dramaturgie – Neue Konzeptionsanforderungen für das Erzählen durch die Einflüssen interaktiver Möglichkeiten. In: Regensburg, Klaus (Hrsg.): Neue Medien in der Informationsgesellschaft „Film & Computer“. Achen: Shaker Verlag. S. 125 – 133.
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einige Herausforderungen gestellt werden. Sie betonen aber, dass es genau aus diesem
Grund wichtig ist zuschauergenerierte Inhalte miteinzubeziehen und in journalistische
Routinen einzubetten. Außerdem sprechen sie von einer Ausdifferenzierung der
Redaktionen und spielen damit auf spezialisierte Berufsbilder im Journalismus an, die an die
Entwicklungen im Social Web und die neuen Medien angepasst werden sollten. (vgl.
Gerhards / Pagel, 2009: S. 25)
Auch Jakob Horvat (2011) setzt sich in seiner Diplomarbeit mit der Frage nach der
redaktionellen Integration von UGC auseinander und untersucht dabei vor allem die
Einbettung solcher Inhalte in die österreichischen Fernsehnachrichten. Er behandelt vor
allem den Begriff des User Generated Content sehr intensiv und versucht anhand von vier
Experteninterviews mit leitenden Redakteuren unterschiedlicher österreichischer
Fernsehnachrichtenformate, der Frage nach dem Stellenwert von UGC in der
Fernsehnachrichtenproduktion nachzugehen. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass
nutzergenerierten Inhalten durchaus eine sehr hohe Bedeutung zugesprochen wird, dass
aber rechtliche Rahmenbedingungen einen redaktionellen Umgang mit solchen Inhalten
erschweren. (vgl. Horvat, 2011: S. 5ff)
Eine noch intensivere Auseinadersetzung mit der Thematik des UGC verfolgt Johanna Wall
(2009) in ihrer Dissertation „Das Phänomen User Generated Content. Eine Untersuchung
unter besonderer Berücksichtigung der Motivation aktiver Nutzer.“ In ihrer Arbeit
beleuchtet sie die neuen Möglichkeiten einer dadurch entstandenen „partizipativen
Medienkultur“ (Wall, 2009: S. 420), sowie verschiedene Aspekte des daraus entwickelten
Bürgerjournalismus. Die Dissertation beinhaltet neben einer Online-Befragung mit 300
Bürgerjournalisten und Nicht-Bürgerjournalisten außerdem auch Experteninterviews mit
Journalisten zur Bedeutung des Bürgerjournalismus für den Profijournalismus.
Weitere relevante Literatur für die Thematik der hier vorliegenden Magisterarbeit hängt mit
der Frage nach dem interaktivitätsstiftenden Potential von Internet, neuen Medien und vor
allem Social Media, für den modernen, partizipativen Journalismus zusammen. Hierzu wurde
ebenfalls eine Diplomarbeit verfasst die sich speziell mit UGC und Interaktivität
auseinandersetzt. Stefanie Floymayr (2008) untersucht dabei, in Bezug auf „interaktives
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Fernsehen“, wie interaktiv UGC ist und sein kann. Hierbei geht es jedoch vielmehr um die
Interaktivität der nutzergenerierten Inhalte an sich, als um die Interaktivität zwischen Sender
und Empfänger. Dennoch beinhaltet diese Diplomarbeit einige interessante theoretische
Ansätze, welche als Rechercheanstoß für die hier vorliegende Arbeit durchaus von Vorteil
sind.
Neben diesen Forschungsarbeiten und Studien zum Thema User Generated Content und
Social Media finden sich auch einige wissenschaftliche Artikel, welche sich mit dem Konzept
des partizipativen Journalismus auseinandersetzen. Literatur zu dieser Thematik ist für die
hier vorliegende Arbeit insofern relevant, als das diese Form des Journalismus ebenfalls auf
den Grundlagen von UGC beruht.
Shayne Bowman und Chris Willis (2003) beispielsweise, diskutieren in ihrem Artikel „We
Media. How audiences are shaping the future of news and information“ sehr intensiv
inwiefern sich die Mitgestaltungsmöglichkeiten des Publikums auf journalistische
Nachrichten auswirken und versuchen eine einheitliche Definition für den Trend des
partizipativen Journalismus zu finden. Sie setzen sich außerdem mit den verschiedenen
Arten des partizipativen Journalismus auseinander und heben die Vorteile dieser Form des
Bürgerjournalismus für die Medien hervor.
Zusammenfassend finden sich in der deutsch- und englischsprachigen Literatur einige
interessante und vor allem relevante Werke, Studien und Artikel, welche für die theoretische
Auseinandersetzung mit der Problemstellung und Thematik der hier vorliegenden Arbeit
Dieser Begriff beinhaltet dabei insbesondere Inhalte in Medien, welche den Content
darstellen. Das können Bilder und Texte, aber oftmals auf Videos oder Audiodaten sein, die
von Rezipienten, also Sehern, Hörern oder Lesern, in anderen Worten von den Usern selbst
hergestellt, also generiert, und veröffentlich werden. (vgl. Wall, 2009: S: 13)
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„Das Neuartige daran ist, dass nicht mehr nur professionelle Medienunternehmen,
sondern auch Mediennutzer, also journalistische Laien, Inhalte herstellen; sie waren
bisher diejenigen, die Medieninhalte nur rezipiert haben.“ (Wall, 2009: S: 13)
UGC bringt also eine interaktive Komponente mit sich, die Nutzer nicht mehr nur passive
Rezipienten sein lässt, sondern ihnen eine aktive Rolle zuschreibt und es ihnen ermöglicht
selbst Inhalte herzustellen und zu veröffentlichen. Das ist vor allem auf das „participative
web“ (Vickery / Wunsch-Vincent, 2007: S. 8) zurückzuführen, welches eine neue Form der
Kommunikation zwischen Usern und Unternehmen ermöglicht:
„The use of the Internet is characterised by increasing participation and interaction of
Internet users who use it to communicate and express themselves.” (Vickery /
Wunsch-Vincent, 2007: S. 8)
Eine weitere Definition von UGC stammt von dem Interactive Advertising Bureau. Hier
werden zusätzlich auch die Medien, welche durch nutzergenerierte Inhalte entstehen,
erwähnt. Bei dieser Definition wird vor allem der non-professionelle Charakter der Inhalte
hervorgehoben, die von Rezipienten hergestellt wurden. Zudem wird darauf hingewiesen,
dass UGC eines der am schnellsten wachsenden Phänomene im Internet ist und durch die
immer besseren und schnelleren technischen Möglichkeiten in den letzten Jahren an
Popularität gewonnen hat.
„User Generated Content (UGC), also known as consumer-generated media (CGM),
refers to any material created and uploaded to the Internet by non-media
professionals, whether it’s a comment left on Amazon.com, a professional-quality
video uploaded to YouTube, or a student’s profile on Facebook.” (IAB, 2008b)
Ein Begriff für den aktiven Nutzer, bzw. Gestalter von Inhalten im Social Web, ist der
sogenannte „Partizipient“ (Altmann, 2011: S. 19), der den aktiven User oder „Onliner“
(Altmann, 2011: S. 19) beschreibt. Der Begriff des aktiven Publikums bzw. der aktiven
Mediennutzung ist bereits seit längerer Zeit in der wissenschaftlichen Literatur gängig, bezog
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sich aber bis vor kurzem nicht unbedingt auf die Erstellung von Inhalten, sondern lediglich
auf Medienrezeption, die ein bestimmtes Ziel verfolgt. (vgl Altmann, 2011: S. 19)
Obwohl nutzergenerierte Inhalte ein immer wichtigerer Bestandteil des partizipativen Web,
und vor allem des partizipativen Journalismus geworden sind, gibt es bisher kaum eindeutige
Definitionen und der Begriff beinhaltet eine Vielzahl an möglichen Ausprägungen und
Bedeutungen. Das halten auch die beiden Autoren Graham Vickery und Sacha Wunsch-
Vincent fest, welche 2007 im Auftrag der „Organisation for Economic Co-operation and
Development (OECD)“ eine Studie zu „User-created Content“ durchgeführt haben.
„There is no widely accepted definition of UCC [Anm.: die Autoren sprechen von User
Created Content], and measuring its social cultural and economic impacts are in the
early stages. *…+ Despite frequent references to this topic by media and experts, no
commonly agreed definition of user-created content exists.” (Vickery / Wunsch-
Vincent, 2007: S. 4 / S. 8)
Sie haben dennoch versucht UGC, beziehungsweise User-created Content, zu definieren und
genauer zu beschreiben. Dazu haben sie drei zentrale Charakteristika herausgearbeitet,
welche nutzergenerierte Inhalte aufweisen sollten. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass
diese Eigenschaften nur eine Basis für das breite Spektrum an Definitionsmöglichkeiten von
UGC darstellen sollen und keinesfalls als eine eindeutige Definition solcher Inhalte
anzusehen sind.
1. Publication requirement: Dieser Aspekt bezieht sich auf die Eigenschaft, dass UGC in
irgendeiner Form veröffentlicht worden sein muss. Nutzer könnten zwar Inhalte
selbst generieren, werden diese aber nicht veröffentlich oder ins Web gestellt, so
gelten sie nach der OECD Studie nicht als UGC per se.
„*…+ we focus here on the work that is published in some context, be it on a publicly
accessible website or on a page on a social networking site only accessible to a select
group of people *…+. This is a useful way to exclude email, bilateral instant messages
and the like.” (Vickery / Wunsch-Vincent, 2007: S. 8)
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Demzufolge sind auch Inhalte, welche in sozialen Netzwerken von Usern
veröffentlicht werden, als UGC anzusehen. Auszuschließen sind hingegen E-Mail oder
Inhalte, welche in Chats oder anderen Instant Messaging Formaten generiert werden.
2. Creative effort: Ein weiterer Aspekt, der von den beiden Autoren angeführt wird, ist
die kreative Leistung. Nutzergenerierte Inhalte müssen ein gewisses Maß an
Kreativität und Eigenleistung aufweisen, um als solche zu gelten.
„This implies that a certain amount of creative effort was put into creating the work
or adapting existing works to construct a new one, i.e. users must add their own value
to the work.” (Vickery / Wunsch-Vincent, 2007: S. 8)
Zudem weist UGC einen kollaborativen Charakter auf, d.h. auch andere User können
sich bis zu einem gewissen Grad an der Gestaltung der Inhalte beteiligen.
3. Creation outside of professional routines and practices: Die dritte und letzte
Eigenschaft, auf die sich die Autoren der Studie bei der Definition von UGC beziehen,
ist der laienhaften Charakter von nutzergenerierten Inhalten. Hiermit ist gemeint,
dass solche Inhalte keine professionellen Routinen und Praktiken aufweisen.
„User-created content is generally created outside of professional routines and
practices.“ (Vickery / Wunsch-Vincent, 2007: S. 8)
Des Weiteren sind diese Inhalte meist weder als institutionalisiert zu betrachten,
noch sind sie in kommerzielle Marktmodelle eingebettet. Profit steht bei UGC im
Hintergrund. Vielmehr liegt die Motivation darin sich mit anderen zu vernetzen,
einen gewissen Grad an Popularität zu erreichen, Prestige zu erlangen oder öffentlich
seine Meinung zu äußern.
Diese Charakteristika sind nur eine Möglichkeit nutzergenerierte Inhalte zu definieren und
genauer zu beschreiben. Außerdem weisen die Autoren darauf hin, dass letztere der oben
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angeführten Eigenschaften, mittlerweile immer schwerer umzusetzen ist, da sich auch das
Phänomen des UGC in den vergangenen Jahren ausgebreitet hat, sodass mittlerweile ein
Trend hin zur Ökonomisierung dieser Inhalten entstanden ist. Viele User, die selbst Inhalte
herstellen, werden oftmals schon für ihre Dienste bezahlt, oder entwickeln sich auch zu
professionellen Journalisten und Journalistinnen. Zudem muss beachtet werden, dass viele
professionelle Journalisten zusätzlich zu ihrer hauptberuflichen, bezahlten Tätigkeit, in ihrer
Freizeit auch selbst Inhalte herstellen und veröffentlichen, für die sie kein Gehalt beziehen.
(vgl. Vickery / Wunsch-Vincent, 2007: S. 9)
Ähnlich wie Vickery und Wunsch-Vincent (2009) haben auch Stöckl, Rohrmeier und Hess
(2007) drei Merkmale von UGC herausgearbeitet, die diese Form von nutzergenerierten
Inhalten charakterisieren:
1. Der Konsument von Medieninhalten verlässt seine passive Rolle und wird selbst zum
aktiven Produzenten von Content.
2. Die Generierung der Inhalte erfolgt zunächst nicht aus einem
Gewinnmaximierungskalkül heraus.
3. UGC ist massenmedial ausgerichtet, das heißt, die Inhalte werden für eine
unbestimmte Anzahl der Rezipienten publiziert.
(vgl. Stöckl / Rohrmeier / Hess, 2007: S. 399f3 zit. nach Altmann, 2011: S. 19)
Stöckl, Rohrmeier und Hess (2007) sprechen, genau wie Vickery und Wunsch-Vincent (2007),
den Aspekt der Veröffentlichung der nutzergenerierten Inhalte an eine breite Masse an.
Zudem bezieht sich die Charakterisierung von UGC nach Stöckl, Rohrmeier und Hess ebenso
auf den Aspekt der Produktion von Inhalten ohne kommerziellen Gewinn. User stellen
Inhalte abseits von professionellen Routinen ins Netz, ohne damit Geld zu verdienen. Die
Autoren erweitern die Definition von UGC um einen neuen Aspekt. Sie sprechen die aktive
Rolle der Rezipienten an, welche durch das partizipative Web nicht mehr nur Konsumenten
sind, sondern durch die Möglichkeit eigene Inhalte zu generieren und zu publizieren, selbst
zu Produzenten werden.
3 Stöckl, Ralph / Rohrmeier, Patrick / Hess, Thomas (2007): Motivations to produce User Generated Content. In: Hass, Berthold / Walsh, Gianfranco / Thomas, Kilian (Hrsg.)(2007): Web 2.0. Neue Perspektiven für das Marketing und Medien. Heidelberg: Springer Verlag. S. 271 – 287.
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3.4.2. Die historische Entwicklung von UGC
Bei der Auseinandersetzung mit UGC stellt sich in erster Linie die Frage, wie lange es dieses
Phänomen bereits gibt und ob nutzergenerierten Inhalte auch vor dem Internet bereits
hergestellt und verbreitet wurden.
„Auf den ersten Blick scheint die neue Medienkultur UGC eine erst wenige dauernde Existenz
zu haben *…+“ (Wall, 2009: S. 16). Dennoch lässt sich hierzu festhalten, dass von Rezipienten
generierte Inhalte durchaus bereits vor dem Internet in Medien wie Zeitung, Radio oder
auch Fernsehen zu finden waren und nicht unbedingt erst mit dem Aufkommen des
Internets und neuen Technologien entstanden sind. Zu den älteren Formen von UGC zählen
zum Beispiel die Leserbriefe in Zeitungen, oder Fotos und Dokumentationen von wichtigen
Ereignissen, die von Lesern an die Medien gesendet werden.
Vor allem Leserbriefe waren immer schon ein wichtiger Teil des Zeitungswesens und sind
auch heute noch ein tragendes Element im Journalismus. Sie haben bereits im 19.
Jahrhundert zur Kommunikation zwischen Journalist und Leser beigetragen:
„*…+ waren damals die als ‚Eingesandt’ bezeichneten und meist auch so
gekennzeichneten Beiträge der Leser bzw. Bürger ganz selbstverständlich und
teilweise sogar prominenter Bestandteil des regulären redaktionellen Teils. In vielen
Lokalteilen des deutschen Sprachraums entfalteten sich auf der Basis dieser
Einsendungen lebhafte Diskussionen um die je aktuellen lokalen Themen wie z.B.
mangelnde Straßenbeleuchtung, den Eisenbahnbau, Theateraufführungen *…+“ (Kopp
/ Schönhagen, 2008: S. 79)
Nutzergenerierte Inhalte spielten also bereits vor dem Aufkommen des Internets eine
wichtige Rolle im Journalismus und sind kein modernes Phänomen des 21. Jahrhunderts (vgl.
Wall, 2009: S. 17). Die ständige Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten hat die
Einbettung von UGC in die redaktionelle, journalistische Arbeit in den vergangenen Jahren
jedoch noch weiter ausgebaut und verstärkt. So können Laien und Interessierte heute ein
viel breiteres Spektrum an journalistischen Inhalten selbst herstellen und den Medien zur
Verfügung stellen.
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3.4.3. Formen von UGC: Plattformen & Formate
Um das Phänomen und den Trend des UGC genauer zu definieren und einzugrenzen, soll nun
näher auf die möglichen Ausprägungen und verschiedenen Formen von nutzergenerierten
Inhalten eingegangen werden.
UGC kann in unterschiedlichen Formen und Varianten auftreten. Wie bereits erwähnt zählen
hierzu verschieden Darstellungsmöglichkeiten wie Bild, Text, Video oder Ton. Diese lassen
sich noch weiter ausdifferenzieren und noch spezifischer klassifizieren. Vickery und Wunsch-
Vincent haben dazu eine Tabelle generiert, welche die verschiedenen Arten von UGC (bzw.
User Created Content) auflisten.
(Abd. 5: Arten von UGC, Vickery / Wunsch-Vincent, 2007: S. 15)
Eine Art von UGC, welche für die hier vorliegende Arbeit relevant ist, sind nutzergenerierte
Inhalte wie Postings oder Kommentare. Diese Form lässt sich der Kategorie „Text, Novel and
Poetry“ zuordnen und bezeichnet Inhalte, die von Usern in sozialen Netzwerken
veröffentlich werden.
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Zusätzlich zur Unterscheidung der verschiedenen Arten von UGC gibt es auch
unterschiedliche Plattformen, auf denen nutzergenerierte Inhalte der Öffentlichkeit
bereitgestellt werden. Folgende Plattformen sind am populärsten:
• Blogs; Mikroblogs (Twitter)
• Chat-Rooms
• Foren
• Wikis (Wikipedia, etc.)
• Pod- und Videocasts
• Soziale Netzwerke (Facebook, etc.)
(vgl. Altmann, 2011: S. 36ff; vgl. Vickery / Wunsch-Vincent, 2007: S. 9ff)
Eine noch genauere Unterteilung nehmen Vickery und Wunsch-Vincent (2007) vor:
(Abd. 6: Plattformen für UGC, Vickery / Wunsch-Vincent, 2007: S. 16)
Sie führen nicht nur Blogs, Wikis und soziale Netzwerke an, sondern fügen zudem auch
Content und Filesharing Seiten hinzu, auf denen verschiedene Inhalte verbreitet und mit
anderen Usern geteilt werden können. Außerdem nennen sie Podcasts und virtuelle Welten,
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wie Second Life, und zählen diese ebenfalls zu den möglichen Plattformen auf denen
nutzergenerierte Inhalte geteilt werden.
3.4.4. Redaktionelle Integration von UGC
In Bezug auf die redaktionelle Integration finden sich in der Literatur hauptsächlich
Ausführungen zu UGC in Zeitung und Fernsehen. Dies liegt womöglich daran, dass ein
Großteil der nutzergenerierten Inhalte, die im Internet veröffentlicht werden, aus Bild- oder
Tonmaterial bestehen und vielmehr zur visuellen Aufbereitung dienen, als dass sie im Radio
zur Sende- und Programmgestaltung genutzt werden können.
Claudia Gerhards und Sven Pagel (2009) haben sich mit der Integration von UGC,
Fernsehjournalismus genauer befasst und dazu eine Einteilung verschiedener Möglichkeiten
der redaktionellen Integration vorgenommen.
(Abd. 7: Redaktionelle Integration von UGC, Gerhards / Pagel, 2009: S. 22)
Aufgrund der häufigen Nennung von Bildmaterial und Videos ist es schwer diese
Kategorisierung bzw. Typisierung von redaktioneller Integration im Fernsehjournalismus auf
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den Radiojournalismus zu übertragen. Ziel dieser Arbeit ist es daher die Integration von UGC
im Radiojournalismus genauer zu untersuchen um schlussendlich eine grobe Einteilung für
die redaktionelle Integration von UGC in den Radiojournalismus vornehmen zu können.
Neben der redaktionellen Einbettung von nutzergenerierten Inhalten im
Fernsehjournalismus hat sich auch Steven Outing (2005) mit der redaktionellen Integration
von UGC auseinandergesetzt und elf Typen der Einbettung von nutzergenerierten Inhalten in
redaktionelle Strukturen erstellt. Diese beziehen sich jedoch nur auf Printmedien und
Zeitungsjournalismus und können daher ebenfalls nicht eins zu eins auf Radiojournalismus
übertragen werden.
1. Opening up to public comment
2. The citizen add-on reporter
3. Open-source reporting
4. The citizen bloghouse
5. Newsroom citizen „transparency“ blogs
6. The stand-alone citizen-journalism site: Edited Version
7. The stand-alone citizen-journalism site: Unedited Version
8. Add a print edition
9. The hybrid: Pro + citizen journalism
10. Integrating citizen and pro journalism under one roof
11. Wiki journalism: Where the readers are editors
(vgl. Outing, 2005)
Outing will mit diesem elf Schritten zeigen, welche Möglichkeiten es für Kommunikatoren
gibt „citizen journalism“ und die partizipativen Formate im Internet zu nutzen und
aufzugreifen. Er weist darauf hin, dass die Einbettung von nutzergenerierten Inhalten sehr
einfach aber auch sehr komplex sein kann, da oftmals viele technische Schritte dazu nötig
sind, um die Inhalte konstant abrufbar zu machen. Dadurch ergeben sich viele potentielle
Variationen der redaktionellen Integration von UGC. (vgl. Outing, 2005)
Auch Neuberger et al. (2010) sprechen von einer integrativen Beziehung zwischen
Journalismus und partizipativen Formaten. Er unterscheidet in den Beziehungstypen der
Integration:
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• Formateinbindung: Hierbei geht es um den Einsatz von „Social Media“ und „Social
Web“ Diensten zur journalistischen Vermittlung. (z.B. Weblogs, Podcasts,
Videoblogs…)
• Nutzerinteraktion: Social Media eignen sich vor allem zur Interaktion zwischen
Publikum und Redaktion. Dadurch wird die Anschlusskommunikation ermöglicht.
• Nutzerwerbung: Social Media wie z.B. Facebook Profile werden auch genutzt um
für ein journalistisches Angebot zu werben.
(vgl. Neuberger et al., 2010: S. 20)
Es gibt also viele Möglichkeiten zur Integration und Einbettung von Web 2.0, Social Media
und UGC im Journalismus. Die Verwendung von nutzergenerierten Inhalten in der
redaktionellen Tätigkeit gewinnt an Bedeutung für den Journalismus und trägt maßgeblich
zu einer interaktiveren Kommunikation zwischen Publikum und Redaktion bei. Inwiefern dies
auch auf den Radiojournalismus zutrifft soll im Laufe dieser Arbeit noch weiter diskutiert
werden.
3.4.5. Auswirkungen auf den professionellen Journalismus
Durch die neuen Möglichkeiten, die das Internet für Rezipienten bereit hält und das
Veröffentlichen von nutzergenerierten Inhalten vereinfacht, stellt sich natürlich häufig die
Frage nach den Auswirkungen auf den professionellen Journalismus. Medien werden durch
Social Media und das partizipative Web vor neue Herausforderungen gestellt und geraten
zunehmend unter Druck. Viele stellen sich die Frage „ob der Journalismus seine
Existenzberechtigung verloren hat“ (Neuberger et al., 2010: S.14) und „ob journalistische
Leistungen im Internet nicht mehr nur durch professionelle Journalisten erbracht werden
können *…+, sondern auch durch Laien, also partizipativ *…+“ (Neuberger et al., 2010: S.16)?
Neuberger et al. (2010) verneinen diese Fragen jedoch und weisen darauf hin, dass in
diesem Zusammenhang nicht nur der Konkurrenzfaktor im Vordergrund stehen darf,
sondern auch die Möglichkeiten der Komplementär- und Integrationsbeziehungen in
Betracht gezogen werden sollten (vgl. Neuberger et al., 2010: S. 18). Zwar müssen die von
Nutzern hergestellten Inhalte im Netz kritischer betrachtet werden, da eine
„flächendeckende Qualitätssicherung“ (Neuberger et al., 2010: S. 14) im Netz fehlt, dennoch
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kann UGC durchaus auch positive Auswirkungen auf den Journalismus und journalistische
Inhalte haben.
Die nutzergenerierten Inhalte können nach Neuberger et al. (2010) nämlich einerseits eine
integrative Funktion aufweisen, das heißt der professionelle Journalismus kann die
partizipativen Formate durchaus nutzen und sich dieser bedienen, und andererseits können
diese Inhalte auch im Sinne der Komplementarität wertvoll sein. Die aktiven Nutzer können
insbesondere als Quelle und Kritiker dienen und den Journalismus somit ergänzen (vgl.
Neuberger et al., 2010: S. 19). Im Fall der Komplementärbeziehung von UGC bzw. Social
Media und Journalismus unterscheidet Neuberger et al. (2010) vier mögliche Formen:
• Aufmerksamkeitslenkung: Durch soziale Netzwerke kann die Aufmerksamkeit des
Publikums auf journalistische Websites und Inhalte gelenkt werden. Auch
Facebook kann hierbei zur Lenkung der Aufmerksamkeit auf professionelle
journalistische Produkte beitragen.
• Anschlusskommunikation: Themen des professionellen Journalismus können in
partizipativen Formaten aufgegriffen und weiterbehandelt werden.
• Recherchequellen und Beobachtungsinstrumente: Suchmaschinen, Blogs und
andere Web 2.0 Angebote können dem professionellen Journalismus als
Recherchehilfe und Quelle dienen.
• Meta-Kommunikation: Durch das partizipative Web machen sich professionelle
Journalisten auch gegenseitig zum Thema, indem sie übereinander berichten. (z.B.
Watchblogs)
(vgl. Neuberger et al., 2010: S. 20)
Nutzergenerierte Inhalte haben zudem auch Auswirkungen auf die journalistische
Berufsrolle und stellen das Gatekeeper-Modell in Frage (siehe Kapitel 4.1.). Dennoch lässt
sich festhalten, dass die aktive Rolle der Rezipienten und UGC durchaus Auswirkungen auf
den professionellen Journalismus haben, diese müssen aber nicht unbedingt negativer Natur
sein, sondern weisen auch positive Aspekte auf.
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3.5. Interaktivität
„Interaktivität ist das Schlüsselwort der neuen Informations- und
Kommunikationstechnologie, das ihre spezifische Differenz und den Vorsprung gegenüber
den ‚alten’ Print-, Ton und Bildmedien markieren soll.“ (Leggewie / Bieber, 2004: S. 7)
Interaktivität im Zusammenhang mit Medien spielt in der heutigen Informationsgesellschaft
eine zunehmend bedeutsame und übergeordnete Rolle. Wer nicht interaktiv ist, ist für
Rezipienten uninteressant und umgekehrt. Auch die aktive Rolle der Seher, Hörer und Leser
selbst hat für Medienunternehmen einen großen Stellenwert eingenommen. Durch die
neuen technologischen Möglichkeiten der vergangenen Jahre hat sich die Medienbranche
weiterentwickelt und ist somit für Rezipienten zugänglicher, interessanter und partizipativer
geworden. Doch wie ist der Begriff der Interaktivität in Zusammenhang mit der
Mediengestaltung zu verstehen?
Interaktivität ist in erster Linie durch das Aufkommen des Internets und die Entwicklung von
quartären Medien, also „Medien um Computer mit Online-Verbindung“ (Haas, 2008: S. 34) zu
einem wichtigen Begriff in der Kommunikationswissenschaft geworden. Insbesondere das
Medium Internet ist im Zusammenhang mit der Definition von Interaktivität entscheidend
und „interaktives Handeln in virtuellen Räumen ist also nicht gleichzusetzen mit der
Interaktion zwischen physisch Anwesenden“ (Haas, 2008: S. 34). Außerdem bedeutet
Interaktivität nicht immer gleich Interaktion:
„Interaktivität ist an ein bestimmtes technisches Setting gebunden und ermöglicht
eine andere Qualität der Kommunikationsbeziehung.“ (Haas, 2008: S. 34)
Ein Merkmal, welches Interaktivität in Verbindung mit Medien kennzeichnet, ist die
„Rückkanalfähigkeit“ (Leggewie / Bieber, 2004: S. 7). Diese technische Eigenschaft bezieht
sich auf den einfachen Rollentausch zwischen Sender und Empfänger und beruht auf dem
klassischen Modell des Informationsaustausches:
35
„Die Teilnehmer eines Kommunikationsaktes behalten die Kontrolle über dessen
technische Voraussetzungen, die Dauer und Taktung es Austauschs und ihre
Möglichkeiten zum Rollenwechsel.“ (Leggewie / Bieber, 2004: S. 7)
Leggewie und Bieber (2004) führen dazu an, dass es wichtig ist den Begriff der Interaktivität
von sozialer Interaktion zu unterscheiden und zudem eine Differenzierung von
Massenkommunikation und interaktiven Medien vorzunehmen. Auch diese beiden Autoren
weisen also darauf hin, dass die beiden Begriffe Interaktivität und Interaktion differenziert
voneinander zu betrachten sind.
3.5.1. Die Rolle der User
Das wichtigste Merkmal des partizipativen Web und der Interaktivität in Zeiten von Internet
und Social Media ist die Aktivität der Rezipienten, in diesem Fall der „User“. Im Internet wird
dem Nutzer die Möglichkeit geboten selbst zu bestimmten und auszuwählen welche
Informationen und Inhalte er von welchem Medium und in welchen Ausmaß „konsumieren“
will. „Per Tastatur und Maus hat der User die Befehlsgewalt über das Online-Medium, er
navigiert selbsttätig durch Hypermedia.“ (Hooffacker, 2004: S. 26)
Das besondere Merkmal des Internets sind die aktiven User, die nicht nur selbstbestimmt
Auswählen können, sondern auch die Möglichkeit haben direkt mit anderen Usern, und auch
den Journalisten selbst, zu interagieren und zu kommunizieren. Dies macht einen Vergleich
mit den Rezipienten der klassischen Medien wie Zeitung oder Fernsehen beinahe unmöglich,
denn hier fehlt die aktive und vor allem direkte Beteiligung der Rezipienten.
Die Ebene der User ist es, die das journalistische Arbeiten im Internet vom klassischen
Journalismus unterscheidet. Der moderne Journalist, der mit Web 2.0 Elementen arbeitet
und deren Interaktivität aufgreift, muss bereits beim Recherchieren und vor allem beim
Schreiben, den User beachten und dessen mögliche Wünsche und Bedürfnisse in Betracht
ziehen. (vgl. Hooffacker, 2004: S. 26)
Durch diese Interaktivität der User mit dem Medium und den Journalisten, hebt sich der
Journalismus des 21. Jahrhunderts von früheren, klassischeren journalistischen Rollen ab
und ist heutzutage stark von dem direkten Austausch mit dem Publikum geprägt und auch
davon abhängig. Das Verhalten der User spielt in diesem Fall eine tragende Rolle. Deshalb
sind Studien über deren Verhalten, Wünsche und Einstellungen von großer Bedeutung für
36
die journalistischen Tätigkeiten im Netz. „Studien über User im Netz sind für das Planen
erfolgreicher Online-Angebote notwendige Hilfsmittel.“ (Hooffacker, 2004: S. 27)
Dennoch heißt Interaktivität nicht immer gleich Interaktivität. In der Literatur wird immer
wieder zwischen zwei divergierenden Formen von Interaktivität gesprochen und oft
diskutiert, ob tatsächlich von einem aktiven Austausch zwischen Rezipient und
Kommunikator ausgegangen werden kann. Hierzu lassen sich zwei unterschiedliche Zugänge
zum Begriff Interaktivität im Bezug auf Medien und Internet anführen:
Die Befähigungsthese: Es wird von einem User ausgegangen, der aktiv in das
Informationsgeschehen der Massenmedien eingreift.
Die Illusionsthese: Hierbei ist lediglich von einer sogenannten „Schein-Interaktivität“ die
Rede, nach der der Einfluss von Rezipienten auf die Entstehungs- und
Verwertungszusammenhänge von Massenmedien nur vorgetäuscht ist.
(vgl. Trappel / Uhmann, 2006: S. 29)
Interaktivität bezieht sich demnach auf zwei verschiedenen Positionen:
„Zum einen bezeichnet Interaktivität die Möglichkeit, seitens der User direkt, ohne
Medienbruch und ohne mediatisierte Intervention mit den Kommunikatorinnen und
Kommunikatoren in Verbindung zu treten. Zum anderen bezeichnet Interaktivität eine
Vergrößerung der Wahlmöglichkeiten von Usern, die selbstständig und nach
persönlichen Selektionskriterien aus dem massenmedialen Angebot auswählen.“
(Trappel / Uhmann, 2006: S. 29)
Jan van Dijk (2004) unterscheidet wiederum vier weitere Ebenen der Interaktivität. Er
bezeichnet Interaktivität als eine Sequenz von Aktion und Reaktion und geht davon aus, dass
Interaktivität auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden kann, die so den „Stärkegrad“ der
Interaktivitätsmöglichkeit eines Mediums festhalten. Interaktion kann nach Van Dijk in
folgende Ebenen unterteilt werden:
1. Space Dimension: Establishing two-sided or multilateral communication.
37
2. Time Dimension: The degree of synchronicity that is being established. The best level
is an uninterrupted sequence of action and reaction.
3. Behavioural Dimension: The ability to switch roles at any moment. (sender ↔
receiver) It refers to the level of control during the process of interaction.
4. Mental Dimension: Acting and reacting with an understanding of meaning and
contexts. This is the necessary condition for full interactivity.
(vgl. Van Dijk, 2004: S. 147f)
Diese vier Dimensionen beziehen sich aber nicht nur auf das Internet und Journalismus an
sich, sondern schließen alle digitalen Medien (z.B. E-Mail, etc.) mit ein. Das Internet lässt sich
nach dieser Einteilung nach Van Dijk (2004) auf der höchsten Ebene, der „Mental
Dimension“, einordnen.
Die Meinungen über die Interaktivität und den Rollentausch von Kommunikator und
Rezipient im Internet, gehen dennoch weit auseinander. Prinzipiell lässt sich aber festhalten,
dass Online Medien, insbesondere der partizipative Journalismus, ein großes Potential an
Interaktivität mit sich bringen und so den Journalismus auf eine höhere Ebene stellen. Eine
neue Form des Journalismus wird dadurch ermöglicht, der sich so von der Struktur der
klassischen Medien unterscheidet.
3.5.2. Interaktivität mit Usern via Social Media
Vor allem durch das Aufkommen des Internets und die Entwicklung quartärer Medien hat
Interaktivität im Journalismus mittlerweile einen äußerst hohen Stellenwert. Insbesondere in
Verbindung mit der Einbindung von Rezipienten und Rezipientinnen spielt Interaktivität eine
große Rolle. In Zeiten von sozialen Netzwerken und dem partizipativen Web wird der
interaktive Charakter von Medien immer deutlicher. Durch den Social Media Auftritt und die
aktive Nutzung von Facebook Fanpages seitens der Redaktion, werden die Rezipienten, die
ebenfalls Teil dieser Social Community sind, dazu aufgefordert aktiv zu werden, interaktiv
mit zu gestalten und sich am Programm zu beteiligen. Sie haben nicht nur die Möglichkeit
Kommentare zu posten, sondern können auch Bilder und Videos teilen und somit im
Kommunikationsprozess aktiv werden. (vgl. Hobusch, 2008: S. 198) „So erhält die
Kommunikationsplattform Community-Charakter.“ (Hobusch, 2008: S. 198)
38
Die Interaktivität mit den Rezipienten und Usern auf Facebook kann zudem durch
Gewinnspiele und Themenvotings für das aktuelle Sendeprogramm gesteigert werden.
Dabei muss aber beachtet werden, dass durch diese Art der Interaktion lediglich eine Art
„Scheinteilhabe“ entsteht. Abstimmungen, die innerhalb eines sozialen Netzwerkes
stattfinden, können in diesem Sinn also nicht als Mitgestaltung betrachtet werden. Sie
werden jedoch häufig angewendet, um so den Anschein von Partizipationschancen und der
Möglichkeit der Mitbestimmung, zu erwecken. (vgl. Wagner, 2011: S. 164ff)
39
3.6. Partizipativer Journalismus
In Anlehnung an Partizipationstheorien, welche im Kapitel 4.3. genauer diskutiert werden,
lässt sich in Verbindung mit Medien demnach auch eine neue Form der Beteiligung des
Publikums herausarbeiten, welche einen wesentlichen Einfluss auf den Journalismus hat. In
der Kommunikationswissenschaft wird hierbei von sogenanntem ‚Partizipativen
Journalismus’ gesprochen, der die Rezipienten in den Vordergrund stellt und ihnen eine
zunehmend aktive Rolle im Kommunikations- und Informationsprozess zuspricht. Für das
Thema der hier vorliegenden Arbeit spielt diese neu entwickelte Form des Journalismus, die
im Wesentlichen durch die Möglichkeiten der neuen Technologien und des Internets
entstanden ist, eine wichtige Rolle und soll deshalb nun genauer betrachtet werden.
Partizipativer Journalismus, oder oft auch als „Citizen Journalism“ bekannt, bezeichnet ein
Journalismuskonzept, welches Anfang der 90er in den USA entstanden ist. Neben den
Begriffen „partizipativer Journalismus“ oder „participatory Journalism“, ist dieses Konzept
außerdem auch Bezeichnungen wie „Civic Journalism“, „Grassroot Journalism“ oder
„Bürgerjournalismus“ zuzuordnen (vgl. Engesser, 2008: S. 48). Beim partizipativen
Journalismus haben vor allem Außenstehende, „die über keine eigenständigen
Artikulationsmöglichkeiten verfügen“ (Lünenborg, 2012: S. 281), die Möglichkeit ihre
Meinung durch die Medien an die Öffentlichkeit zu bringen. Im Idealfall werden die Inhalte
des Publikums, welche sich nach Lünenborg (2012) vor allem auf staatliche Instanzen
beziehen, von den Journalisten moderiert und auch initiiert (vgl. Lünenborg, 2012: S. 281).
Der partizipative Journalismus der 90er in den USA zeigte sich vor allem im Zeitungswesen.
Dort wurde verstärkt auf die Einbindung des Publikums gesetzt und man versuchte Leser zu
Reportern oder Kommentatoren zu machen, um neue Perspektiven auf die Gesellschaft zu
bekommen. Partizipation von Seiten der Rezipienten wurde außerdem durch Befragungen
im Bezug auf deren Reaktionen auf die Nachrichtenangebote gefördert. Thematisch bezog
sich diese Einbindung jedoch überwiegend auf politische Themen. Nach und nach wurden
die Möglichkeiten der Partizipation auch thematisch ausgeweitet und der partizipative
Journalismus gewann immer stärke an Bedeutung (vgl. Bowman / Willis, 2003: S. 9):
40
„*…+ At least 20 percent of the 1,500 daily U.S. newspapers practiced some form of
civic journalism between 1994 and 2001. Nearly all said it had a positive effect on the
community.” (Bowman / Willis, 2003: S. 9)
Ein weiteres Konzept des partizipativen Journalismus stammt von Hans Heinz Fabris, welcher
sich intensiv mit den Partizipationsmöglichkeiten in der Medienarbeit auseinandersetzt.
Nach Fabris (1979) ist eines der wichtigsten Elemente des partizipativen Journalismus die
Einbindung der Bürger und „das Bemühen um eine Subjekt-Subjekt-Beziehung zwischen
Berichterstattern und Berichts-Betroffenen“ (Fabris, 1979: S. 259). Er stellt außerdem eine
direkte Beteiligung seitens der Rezipienten in den Fokus und beschreibt den partizipativen
Journalismus als eine Form des ‚Medienmachens’, bei der das Publikum in die Produktion
von Inhalten miteinbezogen wird (vgl. Fabris, 1979: S. 259). Hier wird also ebenfalls das
Grundprinzip der partizipatorischen Demokratietheorie aufgegriffen, welche das
Mitspracherecht seitens der Bürger fordert.
Der partizipative Journalismus hat sich durch das Aufkommen des Internets, durch Weblogs
und insbesondere durch Social Media, wie eben Facebook, zunehmend weiterentwickelt und
neu definiert. Vor allem die Beteiligung des Publikums am Journalismus via Internet steht im
Fokus dieses Konzepts:
„The term we use — participatory journalism — is meant to describe the content and
the intent of online communication that often occurs in collaborative and social
media.“ (Bowman / Willis, 2003: S. 9)
Die beiden Autoren beschreiben den partizipativen Journalismus im Zeitalter der Neuen
Medien weiter als einen Bottom-up Prozess, bei dem die aktive Rolle des Publikums von
großer Bedeutung ist:
“The act of a citizen, or group of citizens, playing an active role in the process of
collecting, reporting, analyzing and disseminating news and information. The intent
of this participation is to provide independent, reliable, accurate, wide-ranging and
relevant information that a democracy requires.” (Bowman / Willis, 2003: S. 9)
41
Laut Bowman und Willis (2003) spielen besonders soziale Netzwerke und die dadurch
entstehende Peer-to-Peer Kommunikation eine ganz zentrale Rolle im Konzept des
partizipativen Journalismus, der demnach maßgeblich vom Internet und dessen
Mediengebrauch beeinflusst wird (vgl. Bowman / Willis, 2003: S. 10). Diese Art der daraus
entstanden Kommunikation halten sie in folgender Grafik fest:
(Abd. 8: Peer-to-Peer Kommunikation im partizipativen Journalismus, Bowman / Willis, 2003: S. 10)
Außerdem nehmen die Autoren eine Unterscheidung der verschiedenen Arten des
partizipativen Journalismus vor und beziehen sich dabei vor allem auf Möglichkeiten und
Formen, die durch das Internet entstanden sind.
1. Discussion Groups: Hierbei handelt es sich um Diskussionsgruppen, die online
entstehen. Diese Art von partizipativen Journalismus stellt die älteste Form dar.
Diskussionsgruppen finden sich zum Beispiel in Foren oder Chatrooms wieder. Alle
Teilnehmer müssen dabei zur selben Zeit online sein, um miteinander zu
kommunizieren.
2. User Generated Content: UGC sind Inhalte des Publikums, die beispielsweise via E-
Mail oder Social Networks entstehen und dann von Medien aufgegriffen und weiter
vermittelt werden. UGC kann in Form von Text, Bild, Video und vielen weiteren
Formen in Erscheinung treten. (siehe Kapitel 3.5.)
42
3. Weblogs: Weblogs zählen zu den neusten Formen des partizipativen Journalismus.
Hierbei handelt es sich um Websites, auf denen eine Person andere Seiten
kommentiert oder verschiedenste gesellschaftlich relevante Themen diskutiert.
Besucher der Seite können dann ihre eigene Meinung dazu posten und dem Blog
einer Person regelmäßig folgen.
4. Collaborative Publishing: Bei ‚Collaborative Publishing’ handelt es sich um
Publikationen im Netz, die von einer ganzen Community erstellt und kontrolliert
werden – also ein sogenanntes ‚Open Source Modell’, welches für jeden frei
zugänglich ist. Das beste Beispiel dafür ist Wikipedia, eine Seite auf der jeder die
Möglichkeit hat Inhalte zu teilen und auch die Inhalte von anderen zu korrigieren
oder zu ergänzen. Die Selbstregulierung bei dieser Art des partizipativen
Journalismus ist sehr hoch und Collaborative Publishing bedarf deshalb kaum
Kontrolle von Außen oder durch übergeordnete Moderatoren.
5. Peer-to-Peer: Peer-to-Peer Kommunikation im Netz ist eine Form des Instant
Messaging, bei der Nachrichten via Social Media durchs Internet geschickt werden.
Diese Art der Kommunikation basiert eher auf einem one-to-one oder one-to-few
Prinzip, sodass sie eigentlich nicht direkt dem Journalismus zuzuordnen ist.
(vgl. Bowman / Willis, 2003: S: 21ff)
Auch Sven Engesser (2008) erkennt die neuen partizipativen Möglichkeiten des Internets für
den Journalismus und unterteilt diese in vier Formen: Weblogs, Kollektivformate,
professionelle-partizipative Nachrichtensites und Partizipation als Leserreporter. Engesser
greift außerdem auch die Veränderungen im Journalismus auf, die durch die vermehrte
Beteiligung seitens des Publikums entstanden sind. (vgl. Engesser, 2008: S. 57)
Während die journalistische Partizipation im 20. Jahrhundert nur auf zwei Ebenen stattfand
– Beteiligung durch Leserbrief und Hörertelefon, sowie spezielle Medienformate wie die
Alternativpresse oder offene Kanäle – und sich die Partizipationschancen lediglich auf
Kommentare und Ergänzungen beschränkten, bieten die Neuen Medien des 21.
Jahrhunderts viel größere Möglichkeiten der Mitbestimmung. Vor allem die „niedrigen
Zugangsbarrieren des Internets“ (Engesser, 2008: S. 57) ermöglichen ein Mehr an
Partizipation. Es sind neue Formen der Nutzerbeteiligung entstanden, die dem Publikum nun
auch eine aktive Mitgestaltung, durch das Einsenden von Fotos, Berichten und Nachrichten,
43
ermöglichen. Dies ist vor allem auf partizipative Medienformate wie Weblogs oder
Kollektivformate zurückzuführen (vgl. Engesser, 2008: S. 57f). Hier lassen sich auch Social
Media Portale wie Facebook einordnen, die einer großen Community Zugang und
Partizipationschancen ermöglichen.
Der partizipative Journalismus spielt also eine immer größere Rolle, da er wichtige
Funktionen für die Gesellschaft erfüllt und dem Publikum ein erhöhtes Maß an Partizipation
zutraut und ihm auch die Möglichkeit zur Mitgestaltung gibt. Insbesondere durch das
„Aufkommen partizipativer Medienformate im Internet“ (Engesser, 2008: S. 47) wurde der
Begriff des partizipativen Journalismus geprägt und in der Kommunikationswissenschaft
diskutiert.
Auch wenn das Konzept des partizipativen Journalismus überwiegend positiv zu betrachten
ist, stellt sich dennoch die Frage, ob der Journalismus und die Journalisten selbst dadurch
überflüssig werden könnten oder ihnen weniger Bedeutung zugesprochen wird. Dennoch
lässt sich festhalten, dass – obwohl der partizipative Journalismus versucht die Beteiligung
des Publikums aktiv zu unterstützen und zu fördern – immer noch ein gewisses Maß an
Kontrolle seitens der Medien stattfindet. Die Medien erhalten die Strukturen und
kontrollieren die Kommunikationsprozesse der Rezipienten, indem sie ihnen einen Rahmen
geben und eine moderierende Funktion ausüben. Letztendlich sind sie es auch, die
bestimmen mit welchem Input des Publikums gearbeitet wird und wer zu Wort kommt oder
nicht. (vgl. Bowman / Willis, 2003: S. 9f)
44
4. Kommunikationstheoretische Fundierung
Im diesem Kapitel sollen die kommunikationswissenschaftlichen Theoriekonzepte und
Ansätze, welche dieser Arbeit zugrunde liegen, dargestellt und diskutiert werden.
4.1. Die Gatekeeper-Theorie
„As readers become their own storyteller the role of ‚gatekeeper’ is largely passed from the
journalist to them.” (Hall, 2001: S. 5)
Die Gatekeeper-Theorie sieht den Journalisten als sogenannten Schleusenwärter. Dieser
Begriff bezieht sich auf die Selektionsfunktion von Nachrichtenjournalisten. Der Journalist ist
demnach „Träger einer spezifischen Berufsrolle, zu der die Selektion und Verarbeitung von
Eine in der Literatur vorherrschende Diskussion im Bezug auf den Journalismus und das
Internet beschäftigt sich mit der Frage danach, ob der Journalist im World Wide Web immer
noch, beziehungsweise auch, als ein eben solcher „Gatekeeper“ fungiert, der selektiert und
auswählt, was die Nutzer rezipieren und was nicht. Es stellt sich die Frage, ob die
Rezipienten, die im Internet eigentlich selbst recherchieren und zusätzliche Informationen
sammeln können, und sogar selbst Inhalte herstellen können dennoch; wie bei den
Printmedien und auch anderen Massenmedien; nur eine eingeschränkte Auswahl und
Anzahl an Informationen erhalten und ob die Journalisten auch bei diesem „neuen“ Medium
immer noch als Gatekeeper fungieren.
Diese Art der Selektion und Komplexitätsreduktion durch den Journalisten stellt eine
wesentliche Funktion des Journalismus dar und sollte somit auch ein zentrales Kriterium und
Merkmal bei der redaktionellen Integration von UGC sein, weshalb diese Problematik auch
so viel diskutiert wird.
“*…+ one of the most important responsibilities of the journalist, that is, to choose
what the reader will and will not see.” (Ward, 2002: S. 60)
45
Journalisten haben nicht nur die Aufgabe zu recherchieren, sondern sie sind es auch, die
schlussendlich entscheiden, was an die Öffentlichkeit kommt und was nicht:
„Journalismus recherchiert, selektiert und präsentiert Themen, die neu, faktisch und
relevant sind. Er stellt Öffentlichkeit he, indem er die Gesellschaft beobachtet, diese
Beobachtung über periodische Medien einem Massenpublikum zur Verfügung stellt
und dadurch eine gemeinsame Wirklichkeit konstruiert. Diese konstruierte
Wirklichkeit bietet Orientierung in einer komplexen Welt“ (Meier, 2007: S. 13)
Doch genau diese Funktion und Aufgabe ist es, die durch das Internet und das Web 2.0;
welche den Rezipienten die Möglichkeit geben selbst zu Produzenten zu werden; in Frage
gestellt wird. Auch Mike Ward (2002) setzt sich mit dieser Problematik auseinander und
beschäftigt sich mit der Frage, ob diese Verantwortung auch im Internet weiterhin von den
Journalisten getragen wird.
“Does the journalist still have the same responsibility in the online world, where the
user is free to choose from millions of documents, sites and sources? The answer is
‘Yes’, as:
many of the documents posted on the Web are completed stories which will have
required journalists to execute their traditional role, selecting what to include and
what to exclude;
it will often be the journalist who selects additional information and data as part of
any storytelling – again, choices will be made; and
even when links to original sources are offered, these will have been chosen by
journalists.”
(Ward, 2002: S. 60)
Ward ist der Ansicht, dass auch im Internet weiterhin diese Aufgabe des Selektierens und
Auswählens von Informationen von Journalisten erfüllt werden muss. Somit muss auch der
Journalismus im Internet diesen grundlegenden Funktionen nachkommen. Ward bezieht sich
in seinen Ausführungen jedoch hauptsächlich auf den Online-Journalismus und geht dabei
weniger auf partizipativen Journalismus und Social Media ein.
46
Laut Wards (2002) Ansichten selektiert und wählt der Online-Journalist Informationen
ebenso aus, wie der Print-Journalist. Auch er fungiert also als Gatekeeper. Dennoch
ermöglicht das Internet den Rezipienten einen schnellen Zugriff auf zusätzliche
Informationen, sollte ihnen das Angebot nicht genügen. Der Online Journalist fungiert
demnach weniger als Gatekeeper, sondern eher als ein Wegweiser, der Informationen
anbietet, die dem User eine erste Selektion ermöglichen und ihn so in eine gewisse Richtung
weisen, um ihn bei der weiteren Informationssuche zu unterstützen. Ward bringt hierbei den
Begriff des „Gatewatchings“ ins Spiel und betont somit die neue journalistisches Rolle als
Kontrolleur und weniger als Schleusenwärter. (vgl. Bruns, 2005: S. 12)
Axel Bruns betont in seinen Ausführungen zu Journalismus, Internet und Gatekeeping, dass
das ursprünglich Modell von Gatekeeping, welches bei Print- und Rundfunkmedien
vorherrscht, auf die digitalen Medien wie das Internet nicht angewandt werden kann.
Gatekeeping funktioniert beim Journalismus in Verbindung mit Internet nicht nach dem
„Input-Output-Response Schema“, bei dem Nachrichten durch insgesamt drei Schleusen
laufen (vgl. Bruns, 2005: S. 12):
1. die Informationen die Journalisten recherchieren, (Input Stage)
2. die Nachrichten die tatsächlich veröffentlicht werden und (Output Stage)
3. die Auswahl der Leserbriefe, etc., die veröffentlicht werden. (Response Stage)
Durch das Internet haben sich diese Schleusen, laut Bruns (2005), stark verändert. Bei der
Auswahl der Nachrichten, der Output Stage, müssen zum Beispiel keine
Platzbeschränkungen, wie bei Zeitungen, oder Sendezeit berücksichtigt werden. Demnach
sind Journalisten bei ihrer Recherche und Informationsbeschaffung weniger eingeschränkt
und es können mehr journalistische Produkte veröffentlicht werden. Auch in der Input Stage,
d.h. wenn es darum geht zu recherchieren und Material zur Veröffentlichung zu finden, gibt
es durch das Internet eine Veränderung. Journalisten müssen nicht alles gründlich
recherchieren, da sie durch das World Wide Web die Möglichkeit haben auch Links zu
bestimmten Quellen anzugeben, wenn zu viele Informationen zu einem gewissen Thema
vorhanden sind. Die größte Veränderung der Schleusen findet auf der Ebene der
Rückmeldung durch die Rezipienten statt. Im Internet haben User die Möglichkeit direkt auf
das journalistische Angebot zu antworten und ihre Kommentare zu Berichten und Beiträgen
47
abzugeben. (vgl. Bruns, 2005: S. 13) Diese werden nun nicht mehr im Vorhinein selektiert,
was nicht immer unbedingt als positiv zu bewerten ist.
Durch das Internet haben sich die Strukturen der verschiedenen Schleusen, die durch den
Journalisten, beziehungsweise oft von der ganzen Redaktion oder dem
Medienunternehmen, geregelt werden, teilweise stark verändert. Die ursprüngliche Rolle
des Journalisten als Gatekeeper ist deshalb, bis zu einem gewissen Ausmaß, nicht mehr
dieselbe, stattdessen tritt der Journalist vielmehr als sogenannter „information guide“
(Bruns, 2005: S. 14) auf, der einen gegliederten Überblick über Informationen und relevante
Themen gibt. (vgl. Bruns, 2005: S. 13f)
Grundsätzlich erfüllen Journalisten aber immer noch eine Funktion als Gatekeeper, jedoch
eher auf der Ebene des Outputs. Eine Regelung seitens der Journalisten auf der Input-Ebene
ist nur noch schwer einzuhalten. Durch die Möglichkeit des freien Publizierens im Web
können nicht nur Journalisten sondern auch Laien Inhalte veröffentlichen und somit jedem
zur Rezeption zur Verfügung stellen. Es kann also jeder bestimmen, was zu einer Nachricht
und was veröffentlicht wird, ohne, dass eine journalistische Tätigkeit dahinter steht. (vgl.
Bruns, 2005: S. 15f) Eine Qualitätskontrolle der Inhalte, die sich schon in den traditionellen
Medien oft schwierig gestaltet, wird im Internet noch zusätzlich erschwert.
Im Bezug auf Online-Nachrichtenportale und Ausgaben von Tageszeitungen verhält sich die
Rolle des Journalisten als Gatekeeper dennoch eher traditionell, da hier kein Einschreiten
und Publizieren seitens der Rezipienten bzw. User möglich ist. Diese treten wiederum nur
auf der Response-Stage auf, die im Internet aber nicht von den Journalisten und
Redaktionen reguliert werden kann. Es gibt also tatsächlich Veränderungen in der
Gatekeeperrolle des Journalisten durch das Medium Internet. Diese finden aber in
unterschiedlichen Ausprägungen statt und unterscheiden sich wiederum je nach Art des
Online-Portals oder der Website.
Das Internet hat vor allem die Dimensionen der Kommunikation verändert und ist heute viel
mehr als nur ein Distributionskanal. Es ist ein neues Kommunikationsmedium, dass vor allem
aus der Rezipientenperspektive das klassische Modell des Journalismus verändert hat und
damit auch Einfluss auf die journalistische Berufsrolle als „Gatekeeper“ nimmt. (vgl. Bucher /
Büffel, 2005: S. 87)
Bucher und Büffel (2005) sprechen zudem davon, dass durch das Internet „das Bedürfnis
einer Gegenöffentlichkeit entstanden ist“ (Bucher / Büffel, 2005: S. 87), welche die
48
ursprüngliche Rolle der Journalisten und Journalistinnen als Gatekeeper vor neue
Herausforderungen stellt. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einer neuen Form des
Journalismus, der sogenannte „Open Source Journalismus“ (Bucher / Büffel, 2005: S. 87), der
Lesern, Hörern und Sehern Mitgestalten und Mitbestimmen ermöglicht. Somit ist nicht mehr
nur der Journalist oder die Journalistin allein dafür verantwortlich welche Informationen an
die Öffentlichkeit gelangen, sondern auch Rezipienten sind nun Produzenten.
Auch Neuberger et al. (2010) sprechen diese Veränderungen des Journalismus und der
journalistischen Berufsrolle an und weisen darauf hin, dass das Gatekeeper-Modell, bei dem
die Journalisten als Schleusenwärter gelten, „die weitgehend selbständig über den Zugang
zur aktuellen Öffentlichkeit über die wenigen Kanäle entscheiden können“ (Neuberger et al.,
2010: S. 11), durch das Internet und partizipative Formate womöglich bereits überholt ist
und nicht mehr in seiner ursprünglichen Form betrachtet werden kann. Vor allem das
Phänomen UGC hat Auswirkungen auf das klassische Modell des Gatekeeper - Journalismus.
Dadurch sind, wie bereits erwähnt, nicht nur neue Kommunikationsformen und -inhalte
entstanden, sondern auch der Informationsaustausch ist interaktiver geworden. (vgl.
Neuberger et al., 2010: S. 11)
„Durch die erweiterte Partizipation hat der Journalismus seine zentrale Stellung als
‚Gatekeeper’ verloren – jetzt ist er nur noch ein Anbieter unter vielen anderen. Jene
Akteure, zwischen denen der Journalismus bisher vermittelt hat, haben sich im
Internet verselbständigt.“ (Neuberger et al., 2010: S. 13)
Vor allem weil das Publikum im Internet selbst aktiv werden kann und nutzergenerierte
Inhalte als Teil der Laienkommunikation mittlerweile ebenso Bedeutung erlangen können
wie journalistische Inhalte (z.B. Augenzeugenberichte, Videos, Naturkatastrophen, etc.),
muss die journalistische Rolle neu durchdacht werden. (vgl. Neuberger et al., 2010: S. 13)
„Dieser Wandel der Öffentlichkeit zwingt den Journalismus dazu, seine Rolle präziser
und zum Teil auch neu zu bestimmen, und zwar im Verhältnis zu den neuen Anbietern
im Internet.“ (Neuberger et al., 2010: S. 13)
49
Dennoch haben Journalisten ihre Rolle als Schleusenwärter nicht ganz verloren und haben
immer noch eine wichtige Aufgabe in der Selektion und Aufbereitung von Informationen.
Insbesondere durch die stetig wachsende Flut an Informationen, die über das Internet
verbreitet wird und die fehlende Qualitätssicherung im Netz, müssen die Kommunikatoren
eine Art Moderationsfunktion erfüllen. Durch die neu entstandene Öffentlichkeit im Netz ist
die Gatekeeper-Funktion des Journalismus zwar nicht mehr so stark umsetzbar und
kontrollierbar wie im klassischen Journalismus, dennoch liegt es immer noch in der
journalistischen Verantwortung Kommunikationsprobleme zu bewältigen und Komplexität
zu reduzieren. (vgl. Neuberger et al., 2010: S. 14f) Drei wesentliche Leistungen stehen dabei
im Vordergrund:
• Navigation: Journalisten sind keine Gatekeeper mehr, sondern Gatewatcher, die
bei der Orientierung im Netz helfen sollen.
• Moderation: Im Internet sollten Journalisten als Moderator dienen und geeignete
Bedingungen für die Kommunikation zwischen den Nutzern bereitstellen und
schaffen.
• Produktion: Beim Schaffen von Informationen im Internet sollte das Gatekeeping
immer noch an erster Stelle stehen und journalistische Inhalte sollten aus den
Redaktionen der klassischen Medien kommen.
(vgl. Neuberger et al., 2010: S. 15)
Die klassische Gatekeeper-Rolle der Journalisten ist durch das Internet, nutzergenerierte
Inhalte und die wachsende Zahl an partizipativen Formaten also nicht mehr das, was sie
einmal war. Dennoch hat der Journalismus für die Gesellschaft immer noch eine wichtige
Aufgabe zu erfüllen. Journalisten sind dafür zuständig Komplexität zu reduzieren, zu
selektieren und Informationen verständlich aufzubereiten. Im Internet ändert sich diese
Rolle aber und die Kommunikatoren werden zunehmend zu Gatewatchern, welche die
Kommunikationsprozesse und -inhalte im partizipativen Web eher leiten, moderieren und
navigieren, als diese zu selektieren und zu bestimmen was an die Öffentlichkeit kommt und
was nicht.
50
4.2. Radiotheorien
Zum Thema Radio gibt es in der Kommunikationswissenschaft kaum Theorien, welche sich
genauer mit diesem Medium auseinandersetzen. Die ersten Radiotheorien entstehen zu
Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Theorieansätze, die zu dieser Zeit entstanden sind, nehmen
einerseits zu gesellschaftspolitischen Themen und andererseits zu künstlerischen Aspekten
des Radios, wie zum Beispiel dem Hörspiel, Bezug (vgl. Herrmann, 2001: S. 1754 zit. nach vgl.
Bade, 2009: S. 4). Grob lassen sich die verschiedenen Radiotheorien in die Zeit der Weimarer
Republik, die Zeit des Nationalsozialismus und in die Nachkriegszeit einordnen. Mit dem
Aufkommen des Fernsehens stellt sich die wissenschaftliche Betrachtung dieses Themas
aber ein und es werden keine neuen Theorien zum Medium Radio mehr entwickelt. (vgl.
Lindner, 2007: S. 33)
Prinzipiell sind viele der Einzeltheorien zum Medium Radio eher historisch und im Kontext
der jeweiligen gesellschaftlichen Veränderungen zu betrachten. Zudem sind die
verschiedenen Theorien stark an die technischen Entwicklungsfortschritte, das Programm,
die Produkte und auch an die gesellschaftliche Bedeutung des Mediums gebunden. So
setzen sich die ersten Theorien beispielsweise hauptsächlich mit der Technik und den
Gestaltungsmitteln auseinander. Erst im Laufe der Zeit spielt auch die Ideologie, die Sprache
oder das Instrument an sich eine Rolle in der Theorie. (vgl. Lindner, 2007: S. 24ff)
4.2.1. Brechts Radiotheorie
Eine der bekanntesten Theorien, die sich mit dem Medium Radio beschäftigt, ist die häufig
erwähnte Radiotheorie von Bertolt Brecht. Sie gilt als die erste Theorie auf diesem Gebiet.
Dabei handelt sich es aus wissenschaftlicher Sicht aber nicht unbedingt um eine Theorie an
sich, sondern Brechts Ausführungen stellen vielmehr einen vortheoretischen Ansatz dar, mit
dem er versucht seine Vorstellungen vom Medium Radio theoretisch zu begründen. (vgl.
Lindner, 2007: S. 35)
Entstanden ist die Theorie von 1927 bis 1932. Wie bereits erwähnt, kann die Theorie des
Radios nach Brecht aber keinesfalls als in sich geschlossenes Theoriekonstrukt verstanden
werden, sondern es handelt sich überwiegend um eine Sammlung von verschiedenen
Schriften und Aufsätzen Brechts, in denen er sich mit dem Medium Rundfunk
4 Herrmann, Friederike (2001): Theorein des Hörfunks. In: Leonhard, Joachim Felix / Ludwig, Hans-Werner / Schwarze, Dietrich / Straßner, Erich (2001)(Hrsg.): Medienwissenschaft. Ein internationales Handbuch. Berlin. S. 175 – 188.
51
auseinandersetzt. Brecht selbst hat seine Ausführungen auch niemals als Theorie
beschrieben, stattdessen ist seinen Texten der Titel „Radiotheorie“ erst später, als man seine
Notizen fand, hinzugefügt worden. (vgl. Lindner, 2007: S. 36f)
Prinzipiell setzt sich Bertolt Brecht in seinen Schriften zum Radio vor allem mit der Frage
nach dem Nutzen des Mediums auseinander. Für ihn stellt der Hörfunk zur damaligen Zeit
einen reinen Distributionsapparat dar, der seiner Meinung nach aber falsch genutzt wird.
Seine Haltung gegenüber dem Radio ist überwiegend kritisch, dennoch sieht er
Verbesserungsmöglichkeiten des Hörfunks – weg vom Distributionsapparat, hin zum
Kommunikationsapparat. (vgl. Lindner, 2007: S. 37f; vgl. Wall, 2009: S. 49f)
Brechts Wunsch und Idealvorstellung des Hörfunks ist es, aus dem Radio einen
demokratischen Kommunikationsapparat zu machen, der eine wechselseitige und
bidirektionale Kommunikation zwischen Sender und Empfänger ermöglicht. Brecht möchte,
dass die Hörerschaft aktiv am Medium Radio und am Radiomachen selbst, beteiligt ist und
so Teil des Kommunikationsprozesses wird. (vgl. Lindner, 2007: S. 39)
„Der Rundfunk wäre der denkbar großartigsten Kommunikationsapparat des
öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es
verstünde nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht
nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in
Beziehung zu setzen.“ (Brecht, 1982: S. 129)
Brecht fordert zuzusagen einen „Wandel in der Art der Partizipation der Zuseher“ (Wall,
2009: S. 49) und kritisiert, dass die Hörer keine Möglichkeit der aktiven Teilnahme am
Radioprogramm haben. Er sieht im Medium Radio ein interaktives Potential, welches dem
Publikum Partizipation, also eine aktive Mitarbeit, ermöglicht. Für ihn stehen die direkte
Verbindung und der Austausch zwischen Sender und Empfänger im Vordergrund. Als
Kommunikationsapparat kann der Hörfunk seiner Meinung nach einen wechselseitigen
Diskurs in der Gesellschaft ermöglichen und zum gegenseitigen Austausch genutzt werden.
Die Demokratisierung der Gesellschaft und des Radios selbst spielt für Brecht in Verbindung
mit dem Hörfunk eine zentrale Rolle. Das betont er deutlich in einem seiner Texte, ein Brief
der an den Intendanten des Rundfunks adressiert ist:
52
„Meiner Ansicht nach sollten Sie aus dem Radio eine wirklich demokratische Sache zu
machen versuchen. In dieser Hinsicht würden Sie zum Beispiel schon allerhand
erreichen, wenn Sie es aufgäben, für die wunderbaren Verbreitungsapparate, die Sie
zur Verfügung haben, immerfort nur selbst zu produzieren, anstatt durch Ihre bloße
Aufstellung und in besonderen Fällen noch durch ein geschicktes zeitsparendes
Management die aktuellen Ereignisse produktiv zu machen. “ (Brecht, 1982: S. 121)
Brecht spricht in seinen Ausführungen nicht nur das Medium Rundfunk an sich an, sondern
bezieht sich dabei auch auf die gesellschaftlichen Strukturen und Systeme dahinter. Er hält
den Rundfunk für ein Medium der Bourgeoisie und verlangt deshalb ein Aufbrechen der
bestehenden Strukturen durch die Aktivierung des Publikums und das Einsetzen der Hörer
als Produzenten, mit dem Ziel so Öffentlichkeit für alle herzustellen. (vgl. Wall, 2009: S. 51)
Dies liegt vor allem daran, dass Brecht „im Radio ein großes Potential zur Veränderung der
gesellschaftlichen Verhältnisse“ (Lindner, 2007: S. 96) sieht. Seiner Meinung nach ist mit dem
Hörfunk ein Medium geschaffen worden, welches wesentlich zu einer Veränderung der
Gesellschaft beitragen kann und somit seine Existenzberechtigung innerhalb dieser
Gesellschaft erlangt. „Dass seine Vorschläge in dieser Gesellschaftsordnung utopisch waren,
war ihm bewusst, er strebte auch nur zweitrangig eine Änderung der Besitzverhältnisse im
Rundfunk an. Brecht wollte eine Änderung der bestehenden Gesellschaftsordnung.“ (Lindner,
2007: S. 96)
Obwohl Brecht eine Veränderung des Radios verlangt hat und einen
Kommunikationsapparat forderte, erwähnte er jedoch auch, dass die Gesellschaft mit der
Interaktivität des Radios und der damit verbundenen Aktivität des Publikums gar nicht
umgehen könnte. Er fordert zugleich also einen gesellschaftlichen Wandel. Nach seinen
Ausführungen sei das Publikum noch gar nicht bereit mit dieser Form des Hörfunks
umzugehen, deshalb muss ein gesellschaftlicher Wandel mit dem Wandel des Mediums
einhergehen, ansonsten können die Potentiale und Möglichkeiten des „partizipativen
Radios“, so wie Brecht es sich vorstellt, gar nicht voll ausgenützt werden. Dennoch hat er
versucht aufzuzeigen, wozu der Hörfunk eigentlich fähig wäre und in seinen theoretischen
Ausführungen immer wieder stark betont, dass Radio für das Publikum eigentlich viel mehr
sein könnte, als es zu seiner Zeit war.
53
Bertolt Brecht hat also das Potential des Radios bereits sehr früh erkannt und gefordert die
Möglichkeit der bidirektionalen Kommunikation zwischen Sender und Empfänger auch zu
nutzen. Durch eine aktive Einbindung des Publikums kann seiner Meinung nach die volle
Leistung des Mediums ausgenutzt werden und eine Verwendung als Distributionsapparat
wäre hinfällig. Diese Art des Mediengebrauchs ist heute aus unserer Gesellschaft kaum noch
wegzudenken und der Grundstein der Kommunikation und des Journalismus mittels Internet
und Web 2.0. (vgl. Wall, 2009: S. 52)
4.2.2. Walter Benjamins Radiotheorie
Neben Brechts Radiotheorie gibt es noch weitere theoretische Auseinandersetzungen,
welche sich auf den Hörfunk beziehen. Eine davon ist die Radiotheorie von Walter Benjamin
aus den 1930ern. Seine Überlegungen zum Radio sind eng an die Kritische Theorie der
„Frankfurter Schule“ geknüpft, welche sich überwiegend mit der Kulturindustrie, der
Entwicklung des Individuums und der ökonomischen Basis einer Gesellschaft befasst und als
Gesellschaftstheorie verstanden werden kann. Diese Theorie zeichnet sich vor allem durch
ihre gesellschaftskritischen Positionen aus. Zudem steht auch die „politökonomische
Betrachtung von Massenmedien“ (Linder, 2007: S. 47) im Vordergrund der Kritischen
Theorie. Bekannte Vertreter der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule sind
beispielsweise Theodor Adorno, Leo Löwenthal oder Max Horkheimer. (vgl. Lindner, 2007: S.
44ff) Hierbei ist es wichtig, die Vorstellung über die Wirkungsmechanismen der Medien, die
in den 30ern historisch bedingt als sehr stark eingestuft wurden, in die
Auseinandersetzungen mit den Vertretern der Kritischen Theorie mit einzubeziehen.
Ähnlich wie Brecht kritisiert Walter Benjamin ebenfalls die Trennung des Publikums vom
Sender, bezieht sich dabei aber weniger auf politische Strukturen. Dennoch steht für ihn
ebenso die Aktivierung des Publikums im Vordergrund. Während Brecht die
Kommunikatoren, sowie die Strukturen hinter dem Medium Radio kritisiert, verweist
Benjamin auf die Unwissenheit und die Ohnmacht des Publikums selbst. Die Technik und
Form des Hörfunks muss ihnen erst genau erklärt werden, damit sie das Radio aktiv nützen
können. (vgl. Lindner, 2007: S. 96)
54
„Er thematisiert die Hilflosigkeit des Hörers mit der ungewohnten Rezeptionssituation
und meint, dass durch Rückbindung der Hörer an das Programm,
Kommunikationsbarrieren durchbrochen werden könnten. Die Hörer sollten mit
selbstbewussten Fragen die Inhalte des Programms mitbestimmen.“ (Lindner, 2007:
S. 48)
Benjamin verlangt also wie Brecht einen Wandel hin zum Radio als Kommunikationsapparat,
der von der direkten, interaktiven Kommunikation zwischen Sender und Empfänger lebt.
Interessant ist hierbei, dass Benjamin den Begriff der Mitbestimmung aufgreift und verlangt,
dass dem Publikum auch die Möglichkeit geboten werden soll, aktiv die Programminhalte
eines Radiosenders mitbestimmen zu können.
Benjamin erwähnt in seinen Ausführungen vordergründlich außerdem auch, dass das
Bewusstsein für den kritischen Umgang mit dem neuen Medium Radio im Publikum geweckt
werden muss (vgl. Bade, 2009: S. 16). Nach Benjamin müssen die Hörer also vorerst die
nötige Medienkompetenz erwerben, um überhaupt mit dem Medium Radio umgehen zu
können und dieses auch aktiv nutzen und mitgestalten zu können.
Wie Brecht, meint auch Benjamin, dass es beim Radio nicht nur um reine Transmission, also
um eine Einbahnstraße der Kommunikation, gehen sollte. Seine Ausführungen
unterscheiden sich von Brechts Radiotheorie lediglich in Bezug auf die Motivation und die
Erfahrungssfindung (vgl. Schiller-Lerg, 1984: S. 4175 zit. nach vgl. Bade, 2009: S. 16).
Benjamins theoretische Auseinandersetzung mit dem Hörfunk bezieht sich, im Gegensatz zu
Brechts Radiotheorie, vielmehr auf die Position und Funktion des Publikums bei der
Programmgestaltung der Radiosendungen und er beschäftigt sich weniger mit den
Funktionen des Rundfunks im Allgemeinen. Für ihn stehen die Beziehung des Publikums zum
Programm und dessen aktive Mitgestaltung im Vordergrund. (vgl. Bade, 2009: S. 16f)
Deshalb forderte er auch eine Veränderung des Programmstils und die „einseitig
Übermittlung von Inhalten sollte sich zugunsten eines Austausches mit den Hörern wandeln“
(Bade, 2009: S. 17). Sein Hauptanliegen ist jedoch, wie bereits erwähnt, das Ausbilden einer
Medienkompetenz der Hörer und der Gesellschaft an sich, „um eine selbstbewusstere
Nutzung der Medien durch die Rezipienten“ (Bade, 2009: S. 17) ermöglichen zu können.
5 Schiller-Lerg, Sabine (1984): Walter Benjamin und der Rundfunk. Programmarbeit zwischen Theorie und Praxis. München.
55
Auch Walter Benjamin hat also schon früh die bidirektionalen Möglichkeiten von Medien
erkannt und in seinen Ausführungen genau das angesprochen, was in den medialen
Strukturen des 21. Jahrhunderts Realität geworden zu sein scheint, nämlich ein direkter
Austausch von Sender und Empfänger via Internet in Form von z.B. sozialen Netzwerken wie
Facebook & Co. Die Trennung von Sender und Empfänger scheint somit überwunden zu sein
und die Partizipation des Publikums ist ein fixer Bestandteil in der Programmgestaltung von
Radiosendungen. Vor allem durch Sendeformen selbst, wie zum Beispiel das Interview oder
Diskussionssendungen im Radio, scheint die Mauer zwischen Publikum und Radiomachern
gefallen zu sein, dennoch merkt Andreas Bade beispielsweise an, dass die Forderung von
Benjamin, als auch die von Brecht – nämlich die Konsumenten zu Produzenten zu machen –
„sich in keinem der modernen Sendekonzept des Hörfunks auch nur ansatzweise
verwirklichen konnte“ (Bade, 2009: S. 37). Eine genaue Begründung für seine Ausführungen
liefert er aber nicht. Dennoch schließt er nicht aus, dass es weitere Entwicklung in der
modernen Mediennutzung geben kann und sich die Gesellschaft durchaus auf einen
emanzipatorischen Mediengebrauch, bei dem die Rezipienten auch direkt zu Produzenten
werden können, zu bewegt.
Es stellt sich hiermit also die Frage, ob wir in Zeiten von Social Media wie Facebook nicht
schon längst bei diesem sogenannten „emanzipatorischen“ Mediengebrauch angelangt sind.
Durch Facebook haben die Hörer nicht nur die Möglichkeit Feedback an Radiosender zu
geben, sondern auch mitzubestimmen, welcher Song wann gespielt werden soll, sie können
bei Themen, die von den Moderatoren vorgegeben werden, mitdiskutieren und haben auch
Einfluss auf gewissen Inhalte, die in den Sendungen thematisiert werden sollen. Man könnte
also durchaus von einer aktiven Mitgestaltung, Partizipation und somit vom Radio als
Kommunikationsapparat sprechen. Dieser Ansatz und die Frage danach, ob dies tatsächlich
die Realität des 21. Jahrhunderts darstellt, soll im empirischen Teil der hier vorliegenden
Arbeit weiter aufgegriffen und untersucht werden.
56
4.2.3. Dialektik der Aufklärung und Kulturindustrie
Einen weiteren interessanten Aspekt im Bezug auf den Hörfunk und dessen Publikum
bringen Theodor Adorno und Max Horkheimer mit ihrer „Dialektik der Aufklärung“ von 1934
ins Spiel. Sie kritisieren die Medien der damaligen Zeit und sehen sie als die sogenannte
Kulturindustrie deren kapitalistisches Produkt die Massenkultur ist. Eine zentrale These ihrer
Ausführungen bezieht sich auf die Konsumgesellschaft und die Täuschung derer durch die
Massenmedien. (vgl. Lindner, 2007: S. 66)
„So werde die Masse durch derartige Medienangebote getäuscht, sie bekomme
standardisierte Vergnügungen verabreicht, die sie von ihren tatsächlichen
Bedürfnissen ablenken, um somit eine relative Zufriedenheit im kapitalistischen
System aufrechtzuerhalten. Es werde dem Konsumenten der Eindruck einer
Produktauswahl vermittelt, tatsächlich solle jedoch nur der Wunsch nach dem
immergleichen geweckt werden, um die Profite der Medienproduzenten zu
garantieren.“ (Lindner, 2007: S. 67)
Die beiden Autoren werfen den Medien Massenbetrug vor und gehen davon aus, dass die
nach ihnen benannte ‚Kulturindustrie’ Medieninhalte lediglich bereitstellt, um Profit zu
machen. Die Kunst als Gut verliert somit an Qualität, da Geschäft und Gewinn die einzige
Motivation dahinter sind. Es wird also kritisiert, dass die Kommerzialisierung und Werbung
im Rundfunk die Konsumenten zu einem passiven Publikum machen. Diese Kritik wird auch
heute noch am Rundfunk und vor allem am Radio geübt und es stellt sich häufig die Frage,
ob oder wie viel Werbung überhaupt gesendet werden darf und sollte. Durch die Werbung,
die im Vordergrund des Radiomachens steht, verlieren die Bedürfnisse des Publikums an
Bedeutung und rücken in den Hintergrund. Anstatt der Hörer sind jetzt die Käufer wichtig,
die Werbeflächen kaufen und so den Sender finanzieren und zur Gewinnmaximierung
beitragen. Der Rezipient wird somit nicht als interessierter Hörer des Programms, sondern
als potentieller Käufer angesprochen. (vgl. Lindner, 2007: S. 71ff)
Diese Problematik kritisieren auch Horkheimer und Adorno. Zwar beziehen sie sich eher auf
die Ebene der Kunst und des Theaters, dennoch stellen auch sie bereits fest, dass die
Bedürfnisse der Hörer im Rundfunk in den Hintergrund zu rücken scheinen. Weiters merken
sie an, dass dem Publikum zwar der Anschein vermittelt wird Teil des
57
Kommunikationsprozesses zu sein und aktiv mitzugestalten zu können, stattdessen werden
sie aber als Produkt in einer Konsumgesellschaft angesehen. Man stellt sich daher die Frage,
ob die Hörerschaft des 21. Jahrhundert trotz des zunehmend interaktiven Potentials,
eigentlich immer noch als passiver Rezipient am Mediengeschehen teilnimmt. Horkheimer
und Adorno fassen es treffend zusammen: „Vergnügtsein heißt Einverstandensein“
(Horkheimer / Adorno, 1947: S. 1336 zit. nach Lindner, 2007: S. 74). Durch die
Kommerzialisierung des Rundfunks kann das Publikum nicht mehr selbstständig denken.
„Dies ist für Adorno der Verrat an einer demokratischen Gesellschaft und damit der
Massenbetrug.“ (Lindner, 2007: S. 98)
Es ist jedoch anzumerken, dass Adornos und Horkheimers Ausführungen nicht direkt als eine
Medientheorie im klassischen Sinne zu betrachten sind, sondern eher als Teil von Adornos
Theorie der Kulturindustrie und Gesellschaftstheorie einzuordnen sind. Seine Kritik an den
Massenmedien richtet sich vor allem an eine grundsätzliche Kritik der kapitalistischen
Gesellschaft an sich, wo Medien nur ein Teilsystem in der Fülle an Einrichtungen bilden. (vgl.
Lindner, 2007: S. 77) Die Ausführungen der beiden stellen dennoch einen wichtigen Aspekt
der heutigen Medien in den Vordergrund, nämlich die Problematik der Gewinnmaximierung,
die im Fokus der Herstellung von Medieninhalten zu stehen scheint. Die Bedürfnisse der
Rezipienten rücken in den Hintergrund und scheinen immer mehr an Bedeutung zu
verlieren.
„Das Phänomen, dass Fortschritt ebenso Verlust bedeutet, bezieht sich im
Radiobereich unter anderem auf die Kommerzialisierung der Kunst, was ein Verlust
von schützens- und erhaltenswerten Gütern, in diesem Fall von Kunst und Kultur,
durch Kommerzialisierung des Hörfunks bedeutet und eine deutliche kulturindustrielle
Entwicklung ist.“ (Lindner, 2007: S. 97)
6 Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W. (1947): Dialektik der Aufklärung. Amsterdam.
58
4.3. Partizipationstheorien
Neben der Interaktivität und der Einbindung von Facebook und UGC in die
Programmgestaltung von Radiosendern, spielt vor allem auch eine theoretische
Auseinandersetzung mit Partizipation im Journalismus eine wesentliche Rolle für die hier
vorliegende Magisterarbeit.
Durch die Kommunikation von österreichischen Radiosendern via Facebook scheint es, als ob
der Hörerschaft eine Möglichkeit gegeben wird, direkt mit einem Medium und den
Medienmachern zu interagieren. Somit wird den Hörern das Gefühl vermittelt ein
wesentlicher Teil der Programmgestaltung zu sein, zudem können sie aktiv mitgestalten und
mitwirken. Der Kommunikationsprozess zwischen Sender und Hörer erhält damit einen
partizipativen Charakter.
Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht gibt es bisher kaum Auseinadersetzung mit
Partizipationstheorien. Diese sind hingegen eher in der Politikwissenschaft anzusiedeln und
befassen sich überwiegend mit politischer Partizipation und Demokratietheorien. Dennoch
sollen im folgenden Kapitel einige Partizipationsmodelle besprochen und aus
kommunikationswissenschaftlicher Sicht betrachtet werden.
4.3.1. Medien und Partizipation
Prinzipiell gibt es in der Literatur viele verschiedene Partizipationsmodelle und -theorien,
welche nicht nur auf politische Partizipation anspielen, sondern auch in Verbindung mit
Medien und Kommunikation betrachtet werden. Haller, Davatz und Peters (1995),
beispielsweise, unterscheiden aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht folgende
Modelle und Arten von Partizipation:
1. die organisierte politisches Partizipation der stimmfähigen
Erwachsenenbevölkerung, ablesbar am Stimmverhalten bei Urnengängen;
2. die informelle politische Partizipation bei der Erwachsenenbevölkerung, ablesbar an
der Nutzung von Informations- und Diskussionsangeboten (wie: Veranstaltungen,
Broschüren, Ad-hoc-Versammlungen, Foren);
3. die kommunikative Partizipation der Erwachsenenbevölkerung, ablesbar an ihrem
Artikulationsverhalten (wie: Leserbriefe, Redebeiträge, Diskussionsvoten an
öffentlichen Veranstaltungen, Bürgertreffs usw.);
59
4. die mediale Partizipation, ablesbar am öffentlichen Informationsprozess
(Äusserungen [sic!] gegenüber den lokalen Massenmedien, sei es als Urheber,
Die Autoren unterscheiden demnach in zwei Formen der politischen Partizipation und zwei
Arten von medialer, beziehungsweise kommunikativer Partizipation, welche auch für die hier
vorliegende Forschungsarbeit von Relevanz sind.
Rezipienten beteiligen sich nach den letzen beiden Partizipationsmodellen also aktiv am
medialen Kommunikationsprozess, indem sie mit den Medien interagieren, Feedback geben
und teilweise auch an der Programmgestaltung (z.B. als Informanten, Experte, etc.)
mitwirken. Die Autoren halten hierbei jedoch auch fest, dass die Medien lediglich indirekt
partizipationsfördernd wirken, indem sie Informationen bereitstellen, auf die Mediennutzer
reagieren und so aktiv in den Kommunikationsprozess einsteigen, ohne direkt von den
Kommunikatoren dazu aufgefordert zu werden. (vgl. Haller / Davatz / Peters, 1995: S. 12)
Demnach stellt sich also weiterhin die Frage nach der Möglichkeit der aktiven Partizipation,
die direkt von den Medienmachern gefordert wird. Gibt es diese und gewinnt der direkte
Aufruf seitens der Medien an das Publikum immer mehr an Bedeutung?
Durch das Aufkommen des Internets und die verstärkte Nutzung von Informations- und
Kommunikationstechnologien in Verbindung mit Medien und Journalismus scheint genau
diese Aufforderung zur aktiven Partizipation seitens der Rezipienten immer wichtiger für die
Medien geworden zu sein. Zudem hat sich dadurch auch die Kommunikation und
Partizipation innerhalb der Gesellschaft verändert und weiterentwickelt. Das ursprüngliche
Modell der unidirektionalen, sowie der bidirektionalen Kommunikation scheint längst
überholt zu sein. Stattdessen gibt es nun eine neue Kommunikationsform, bei der der
partizipative Charakter und eine stärke Einbindung des Publikums im Vordergrund stehen –
das polydirektionale Modell der Kommunikation. Beim polydirektionalen
Kommunikationsmodell nach Scheuch (2003) sind, im Gegensatz zur bidirektionalen
Kommunikation zwischen Sender und Empfänger, mehrere Teilnehmer am
Kommunikationsprozess beteiligt und können somit auch abwechselnd als Sender und
Empfänger auftreten. (vgl. Scheuch, 2003: S. 42)
60
(Abd. 9: Polydirektionales Modell der Kommunikation, Scheuch, 2003: S. 42)
Diesem Modell der polydirektionalen Kommunikation, bei dem vor allem die Beteiligung der
Bürger am Kommunikationsprozess eine wichtige Rolle spielt, kommen demnach also vor
allem „partizipatorische und deliberative Demokratietheorien“ (Scheuch, 2003: S. 49)
entgegen, welche ebenfalls die erhöhten Partizipationschancen der Gesellschaft in den
Fokus stellen. (vgl. Scheuch, 2003: S. 49)
4.3.2. Die Partizipatorische Demokratietheorie und Medien
Wie bereits erwähnt, wird die Frage nach der Partizipation von Rezipienten im Journalismus
in der Literatur vor allem in Zusammenhang mit Demokratietheorie und politischer
Partizipation behandelt. Eine besonders bekannte Theorie aus diesem Feld ist die
partizipatorische Demokratietheorie. Diese Theorie bezieht sich vor allem auf die Beteiligung
des Volkes in einer Demokratie und spielt somit auf den partizipativen Charakter einer
Gesellschaft an. Zentraler Kern der partizipatorischen Demokratietheorie und somit die
eigentlich Idee dahinter, ist die „politische Beteiligung möglichst vieler über möglichst vieles,
und zwar im Sinne von Teilnehmen, Teilhaben und sein Teil-Geben einerseits und innerer
Anteilnahme am Geschehen und Schicksal des Gemeinwesens andererseits“ (Schmidt, 2000:
S. 251). Demnach spielt also auch hier, ähnlich wie bei Brechts und Benjamins Radiotheorien,
die aktive Beiteilung und Mitgestaltung des Publikums, in diesem Fall der Gesellschaft, eine
wichtige Rolle. Auch bei der Partizipationstheorie der Demokratie steht die „Maximierung
von Partizipationschancen“ (Schmidt, 2000: S. 252) im Vordergrund und soll somit oberstes
Ziel einer demokratischen Gesellschaft sein.
Der Ursprung dieser Demokratie lässt sich bis in die griechische Antike zurückverfolgen,
welche das miteinander Reden und gemeinsames politisches Handeln als zentrale Aufgabe
der Politik angesehen hat. Damals war der Grundgedanke der Politik, dass dem Volk jedes
61
Recht an Mitbestimmung zugesprochen wird und es somit aktiv am politischen Prozess
teilnehmen kann.
Die partizipatorische Demokratietheorie knüpft zudem „an die identitätstheoretischen
Überlegungen des französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau“ (Beierwaltes, 2000: S.
159) an. Er griff die Grundidee der Demokratie der griechischen Antike ebenfalls auf und
erhob den Anspruch diese zur Messlatte und zum Grundprinzip aller modernen Demokratien
zu machen. (vgl. Beierwaltes, 2000: S. 159)
Einen Aufschwung erlebte die Partizipationstheorie der Demokratie gegen Ende der 60er
durch die Aufforderung zur Mitbestimmung seitens der Bevölkerung. Vor allem durch
Bürgerinitiativen, Studentenproteste oder beispielsweise Friedensbewegungen wurde die
Nachfrage nach Partizipationschancen in der Demokratie und im politischen
Kommunikationsprozess zunehmend verstärkt und die Möglichkeit der Mitbestimmung auch
öffentlich und von der Gesellschaft selbst vermehrt gefordert. Dieser Aufschwung wurde in
den 70ern und 80ern durch erhöhtes Partizipationsverlangen in den USA weiter ausgeprägt.
Die Forderung nach einer partizipativen Demokratie wurde nach und nach verstärkt und so
gewann dieses Modell vor allem in der Politikwissenschaft an Bedeutung. (vgl. Beierwaltes,
2000: S. 159ff)
Der Schwerpunkt der partizipatorischen Demokratietheorie liegt, wie bereits kurz
angesprochen wurde, in der „Beteiligung des Bürgers am Setzen der politischen Agenda, am
Austausch von Meinungen und Argumenten und an der Herausarbeitung von
Problemlösungen. Der Eigenwert dieser Beteiligung, die Maximierung von Partizipations-
(Teilhabe-) Chancen steht im Zentrum der Betrachtungen, aber auch die Ausweitung der
Beteiligung auf andere gesellschaftliche Bereiche, wie die Arbeitswelt.“ (Scheuch, 2003: S.
53). Es geht in der partizipatorischen Demokratietheorie insbesondere also um die
Stimmberechtigung und das Mitspracherecht der Bürger. Das Anliegen dieser
Partizipationstheorie besteht in der Ausweitung der Entscheidungsmöglichkeiten und
Entscheidungsfähigkeiten der Bevölkerung. Demokratie wird somit als
gesamtgesellschaftlicher Prozess verstanden, deren Ziel es sein sollte Herrschaftsformen zu
verringern und eine Gleichstellung aller anzustreben. (vgl. Schmidt, 2000: S. 255f)
Dabei sind vor allem auch die Medien und das Mediensystem einer Gesellschaft von
besonderer Bedeutung:
62
„Auf der Suche nach den (technischen) Trägern eines solchen politischen Diskurses
wird die Partizipationstheorie, wie jeder andere Ansatz auch, an der Struktur der
jeweiligen Mediensysteme nicht vorbeikommen. Sie alleine können letztendlich Träger
eines umfassenden Diskurse und größere Nationalstaaten in ihrem kommunikativen
Zusammenhang unterstützen.“ (Beierwaltes, 2000: S. 175)
Die partizipatorische Demokratietheorie lässt sich in diesem Sinn also auf die Medien
anwenden und kann durch sie aktiv gefördert werden. Da die Medien ein wichtiger Teil in
Demokratien sind und die politische Beiteilung sowie die gesellschaftlichen Prozesse an sich
beeinflussen, spielt die aktive Beteiligung der Bürger bei den Medien selbst ebenso eine
wichtige Rolle. Diese angesprochene Partizipation kann durch die neuen
Kommunikationstechnologien und die daraus entstanden „Neuen Medien“ weiter
ausgeprägt und gefördert werden. Wie diese Beteiligung konkret umgesetzt werden kann,
soll in den weiteren Kapiteln dieser Arbeit genauer besprochen werden.
4.3.3. Das Publikum als Produzent
Die geforderte Mitbestimmung der Bevölkerung, welche in der partizipatorischen
Demokratietheorie angesprochen wird, kann in diesem Sinn also, wie bereits erwähnt, auf
die Medien übertragen werden. Durch die aktive Mitgestaltung der Rezipienten im
Kommunikationsprozess eines Mediensystems kann demnach auch die Partizipation
innerhalb einer Gesamtgesellschaft gefördert werden. Ziel dabei ist es das Publikum zum
Produzenten zu machen und es mitgestalten zu lassen:
„‘PUBLIKUM MACHT PROGRAMM‘ – das kann eine große Hoffnung sein, weil es nach
anderthalb Jahrhunderten vor allem wissenschaftlichen und technischen Fortschritts
endlich eine handgreifliche Möglichkeit zu erhöhter individueller und sozialer
Selbstverwirklichung anzubieten scheint. Damit aber diese Chance nicht, wie schon so
viele Erwartungen in diesem zwanzigsten Jahrhundert, entweder umgebracht oder –
schlimmer noch – umgedreht, d.h. in ihr Gegenteil verwandelt wird, müssen wir nicht
63
nur wachsam, sondern auch phantasievoll und erfinderisch sein…“ (Jungk, 1978: S. 487
zit. nach Fabris, 1979: S. 9)
Die Frage danach, ob das Publikum als Produzent in Erscheinung treten solle bzw. kann,
wurde, wie bereits weiter oben erwähnt, schon um 1930 von Bertolt Brecht in seiner
Radiotheorie aufgegriffen. Ein erneutes Aufflammen dieser Diskussion fand Ende der 60er in
vielen Ländern und deren Rundfunkanstalten statt. Dabei setzte man sich im Wesentlichen
mit Aspekten der „Mitbeteiligung an einzelnen Sendungen, der Durchschaubarkeit der
Medienproduktion und ihrer Eigengesetzlichkeit und der Kontrollmöglichkeiten des
Publikums“ (Fabris, 1979: S. 164) auseinander. Auch in den 60ern ging es also wieder um die
Frage, wie das Publikum aktiv am Kommunikationsprozess und Entstehungsprozess medialer
Inhalte teilnehmen könnte. Die Diskussion darüber stellte sich aber schnell wieder ein,
nachdem sich die Beteiligung seitens der Rezipienten lediglich auf eine Form des
„Mitspielens“ beschränkte oder sich in der Reaktion auf die jeweiligen Medienangebote
zeigte. Eine tatsächlich Mitbeteiligung und Mitbestimmung findet laut Fabris also nur dann
statt, wenn das Publikum direkt am Produktionsprozess teilnimmt und in Entscheidungs- und
Gestaltungsprozesse miteinbezogen wird. (vgl. Fabris, 1979: S. 165)
Die technischen Möglichkeiten der damaligen Zeit ließen das aber nicht weiter zu und so
blieb die Partizipation und Beteiligung der Rezipienten weiterhin ungenützt. Dennoch spricht
auch bereits Fabris in seiner Publikation die zukünftigen Möglichkeiten der
Computertechnologie an und sieht im Computer; spezifischer gesagt im Internet; „die
Chance, die angesichts der Massengesellschaft illusorisch gewordene Vorstellung der
direkten Beteiligung aller Staatsbürger an der politischen Willensbildung auf einer höheren
technischen Entwicklungsstufe verwirklichen zu können“ (Fabris, 1979: S. 168).
Durch das Internet und die neuen technischen Kommunikationsmöglichkeiten scheint dieser
Weg also erleichtert worden zu sein und ist dadurch womöglich bereits umsetzbar. Genau
diese Frage soll also im empirischen Teil der hier vorliegenden Arbeit untersucht und so gut
wie möglich beantwortet werden.
7 Jungk, Robert (1978): Publikum macht Programm – Hoffnungen und Hindernisse. In: Massenmedien spontan. Frankfurt am Main.
64
4.4. Die Theorie des kommunikativen Handelns
In Verbindung mit dem Theoriekonzept der partizipatorischen Demokratietheorie, sowie
dem Konzept des partizipativen Journalismus, spielt des Weiteren auch die Theorie des
kommunikativen Handelns nach Jürgen Habermas eine wichtige Rolle. Er versteht
Kommunikation als Interaktion und setzt voraus, dass Kommunikation ein wechselseitiger
Prozess ist, in dem alle Parteien, die am Prozess beteiligt sind, kommunikationsfähig sind
und ein gewisses Maß an kommunikativer Kompetenz aufweisen müssen. (vgl. Habermas,
1971: S. 114f)
Zentraler Kern der Theorie sind vier Geltungsansprüche, die von den
Kommunikationspartnern anerkannt werden müssen und zudem implizit voneinander
vorausgesetzt werden. Der Anspruch der Verständlichkeit bezieht sich auf die Sprache und
hält somit fest, dass die gleiche Sprache und dasselbe grammatikalische Regelwerk
Vorrausetzung dafür sind, interaktiv kommunizieren zu können und einander zu verstehen.
Zudem müssen die Inhalte, die vermittelt werden, wahr sein und auch von den
Kommunikationspartnern als wahr empfunden werden, um dem Anspruch der Wahrheit
gerecht werden zu können. Weiters muss Vertrauen geschaffen werden und Aussagen
müssen authentisch und glaubhaft sein, also den Anspruch der Wahrhaftigkeit erfüllen. Das
passiert dann, wenn ein Sprecher „weder sich noch andere täuscht“ (Habermas, 1971: S.
131). Der Anspruch der Richtigkeit bezieht sich schlussendlich darauf, dass Äußerungen, die
in einer kommunikativen Situation gemacht werden, den gesellschaftlichen Normen und
Werten entsprechen, damit sich die Kommunikationspartner auch gegenseitig akzeptieren
können. (vgl. Habermas, 1981: S. 149; vgl. Burkart, 2002: S. 437f)
Habermas spricht zudem auch von drei Welten, die mit kommunikativen Prozessen in
Verbindung stehen. Einerseits die „objektive Welt (als die Gesamtheit aller Entitäten, über
die wahre Aussagen möglich sind)“ (Habermas, 1981: S. 149), die „subjektive Welt“
(Habermas, 1981: S. 149), welche alle persönlichen Erlebnisse umfasst, die nur dem Sprecher
zugänglich sind, sowie die „soziale Welt“ (Habermas, 1981: S. 149), welche geregelte soziale
Beziehungen umfasst. (vgl. Habermas, 1981: S. 149)
Nach Habermas ist Verständigung also nur dann möglich, wenn sich die
Kommunikationspartner innerhalb einer kommunikativen Situation auf diese vier
Geltungsansprüche einigen. So kann wechselseitiges Verstehen garantiert werden, es gibt
65
geteiltes Wissen und ein gegenseitiges Vertrauen wird dadurch ermöglicht. (vgl. Habermas,
1976: S. 176f8 zit. nach Burkart, 2002: S. 439f)
Dennoch ist sich Habermas auch bewusst, dass ein volles Einverständnis mit allen vier
Ansprüchen nicht der Normalzustand von Sprechsituationen ist und kommunikative
Interaktion nicht immer reibungslos abläuft. Er verweist dabei auf die Möglichkeit des
Diskurses, in dem man versucht ein Problem innerhalb einer Gesprächssituation zu lösen. Im
Diskurs werden „problematisierte Geltungsansprüche“ (Habermas, 1971: S. 115) zum Thema
gemacht und durch Argumentation und Begründung soll versucht werden, wieder ein
gemeinsames Einverständnis zu schaffen. So kann kommunikatives Handeln im
Habermaschen Sinne weitergeführt werden. (vgl. Habermas, 1971: S. 115)
Zudem wird von Habermas vorausgesetzt, dass es eine sogenannte ideale Sprechsituation
gibt, in der Kommunikation herrschaftsfrei ist und Chancengleichheit für alle teilnehmenden
Kommunikationspartner besteht, also alle gleichermaßen an der kommunikativen
Interaktion beteiligt sein können. (vgl. Habermas, 1971: S. 137)
Im Bezug auf Radio und den Journalismus ist vor allem die Möglichkeit, aus der Sicht von
Habermas, dass alle an einem Kommunikationsprozess teilhaben können, besonders
relevant. Diese Chancengleichheit bei kommunikativer Interaktion jeglicher Art, die von
Habermas vorausgesetzt wird, bildet den Grundstein der partizipativen Demokratietheorie,
sowie des partizipativen Journalismus, da hier verlangt wird, dass auch das Publikum stärker
in Kommunikationsprozesse eingebunden wird und die Partizipationschancen erhöht
werden. Vor allem auch das Paradigma der Verständigung nach Habermas ist von Bedeutung
für die beiden Theoriekonzepte, da Habermas hier den wechselseitigen Prozess der
Kommunikation und Interaktion anspricht und von einer gleichmäßigen und gleichwertigen
Beteiligung ausgeht und diese verlangt. (vgl. Forster, 2006: S. 136) Demnach beinhaltet die
Aufgabe von Journalisten ebenso das Einbeziehen des Publikums und das Ermöglichen von
Mitbestimmung und Feedback, sowie das Erhöhen von Partizipationschancen.
8 Habermas, Jürgen (1976): Was heißt Universalpragmatik. In: Apel, Karl Otto (Hrsg.): Sprachpragmatik und Philosophie. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. S. 174 – 272.
66
5. Empirische Untersuchung
Dieser Teil der Arbeit umfasst die empirische Untersuchung zum Thema Facebook, UGC und
Radiojournalismus. Er beinhaltet eine genaue Darstellung der Methode, sowie die
forschungsleitenden Fragen, auf deren Basis die Untersuchung durchgeführt wird. Des
Weiteren werden die unterschiedlichen Facebook-Auftritte einzelner österreichischer
Radiosender, sowie die befragten Experten genauer vorgestellt. Außerdem erfolgt in diesem
Kapitel der Arbeit die Analyse und Auswertung der Experteninterviews.
5.1. Forschungsfragen
1. Welchen Stellenwert haben Social Media für österreichische Radiosender?
a) Welchen Stellenwert hat Facebook für österreichische Radiosender?
b) Warum nutzen sie Facebook?
2. Wie nutzen österreichische Radiosender Facebook?
a) Inwiefern wird Facebook als Marketing-Tool genützt?
b) Dient Facebook als Feedback Kanal?
3. Welche Bedeutung hat Facebook als Tool zur Verbreitung von Nachrichten?
a) Werden mit Facebook journalistische Nachrichten verbreitet?
4. Welchen Stellenwert hat die Interaktion mit Rezipienten für österreichische
Radiosender?
a) Werden Partizipationschancen des Publikums durch Facebook erhöht?
b) Inwiefern spielen nutzergenerierte Inhalte eine Rolle bei der Programm- und
Sendegestaltung von österreichischen Radiosendern?
c) Wie wird User Generated Content genutzt?
5. Welche Auswirkungen hat die Nutzung von Facebook auf die journalistischen
Tätigkeiten?
a) Welche Auswirkungen hat Facebook auf das Gatekeeper-Modell?
b) Welche Auswirkungen hat Facebook auf die journalistische Berufsrolle?
6. Welche Stärken hat Facebook im Bezug auf Radiojournalismus?
7. Welche Schwächen hat Facebook im Bezug auf Radiojournalismus?
8. Wo sehen Medienexperten die Zukunft von Facebook?
a) Kann Radio ohne Facebook auskommen?
67
5.2. Methodisches Vorgehen
Zur Untersuchung der in dieser Arbeit erläuterten Problemstellung sollen die verschiedenen
Facebook Seiten von fünf österreichischen Radiosender (FM4, Kronehit, Hitradio Ö3, Radio
Arabella Wien, Radio Energy Wien) genau dargestellt und diskutiert werden. Hierbei werden
die Aktivitäten auf Facebook erläutert, die verschiedenen Elemente zur Befragung und
Einbindung der Hörer und die Interaktion mit dem Publikum über das soziale Netzwerk
dargestellt.
Hauptgegenstand der empirischen Untersuchung bilden fünf Experteninterviews mit den
Programmverantwortlichen der oben genannten Radiosender. Diese Experteninterviews
sollen zur Beantwortung der forschungsleitenden Fragen herangezogen werden und im
Wesentlichen wichtige Erkenntnisse und Einschätzung zur Thematik Medien und Social
Media liefern.
5.2.1. Das Experteninterview
Für die Erhebung von relevanten Daten für die hier vorliegende Arbeit wurde, wie bereits
erwähnt, das Experteninterview, bzw. das qualitative Interview gewählt.
„Experteninterviews haben aufgrund ihres heimlichen Versprechens auf schnelle,
objektive und unproblematisch zu erhebende Daten eine erhebliche Anziehungskraft
auf empirische Sozialforscher.“ (Bogner / Menz, 2002a: S. 9)
Die Wahl dieser Methode lässt sich durch forschungspraktische Gründe erklären.
Experteninterviews sind in der empirischen Sozialwissenschaft ein besonders geeignetes
Instrument, um thematisch spezifisches und fachlich relevantes Wissen zu erheben.
Grundlage dieser Form der Datengewinnung ist jene, dass „das Wissen dieser Experten über
Organisationen als Erkenntnisquelle genutzt wird“ (Aufenanger, 2006: S. 104) und so
besonders gut „zur Analyse von Medienproduktionen und Medieninstitutionen“ (Aufenanger,
2006: S. 104) verwendet werden kann.
Hierbei ist vor allem die Wahl der Experten entscheidend. „Als Experte gilt jemand, der auf
einem begrenzten Gebiet über ein klares und abrufbares Wissen verfügt.“ (Mayer, 2009: S.
41). Ob jemand überhaupt als Experte für ein Interview geeignet ist, hängt vor allem von
dem Forschungsinteresse einer empirischen Arbeit ab. Prinzipiell ist die Wahl der Experten
68
auch davon abhängig, ob, die jeweilige Person über einen Zugang zu den relevanten
Informationen verfügt und zur Klärung des Erkenntnisinteresses beitragen kann. Um
geeignete Experten auszuwählen ist zudem ein gewisser Einblick in die
Organisationsstrukturen und den Arbeitsprozess des jeweiligen zu untersuchenden
Bereiches von Vorteil. (vgl. Mayer, 2009: S. 41f)
Prinzipiell lassen sich drei zentrale Vorteile dieser Erhebungsmethode identifizieren, welche
auch im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit von Bedeutung sind. Zunächst verhelfen
Experteninterviews zu einer relativ dichten Datengewinnung unter zeitlich ökonomischen
Rahmenbedingungen. Weiters bietet sich diese Methode an, wenn der Zugang zum sozialen
Feld schwierig ist. Schlussendlich können Experten kondensiertes, zusammengefasstes und
praktisches Insiderwissen zur Verfügung stellen. Experteninterviews gelten allgemein als
relativ unproblematische Erhebungsmethode für komplexe Themengebiete. Der Experte
steht demnach im Zentrum der Betrachtung und vereint Wissen und Expertise. (vgl. Bogner/
Menz, 2002a: S. 7ff)
Dennoch haben Experteninterviews aber auch Nachteile, denn „Experteninterviews werden
oft gemacht, aber selten durchdacht“ (Bogner / Menz, 2002b: S. 33). Eine Problematik, die
sich in Verbindung mit dieser Art der Datenerhebung ergibt, lässt sich auf die fehlende
methodische Fundierung zurückführen. Je nach Forschungsinteresse können die Interviews
in ihrem Aufbau differieren. Der Grad der Strukturierung, die Offenheit oder Geschlossenheit
der Fragen, die Aufbereitung und Auswertung der Ergebnisse und die Auswahl der
Interviewpartner variiert von Untersuchung zu Untersuchung. Man unterscheidet
grundsätzlich explorative, systematisierende und theoriegeleitete Experteninterviews. Im
Falle der vorliegenden Untersuchung wurde eine Mischung aus explorativem und
systematisierendem Vorgehen gewählt. Der explorative Ansatz umfasst relativ offene Fragen
und einen unstrukturierten Zugang. Dem verwandt ist der systematisierende Zugang,
welcher zum Ziel hat reflexiv verfügbares, aus der Praxis gewonnenes und spontan
kommunizierbares Handlungs- und Erfahrungswissen zu sammeln. (vgl. Bogner / Menz,
2002b: S. 33ff)
69
5.2.2. Der Leitfaden
Als Grundlage des Experteninterviews ist es wichtig einen genauen Leitfaden auszuarbeiten,
der das Interview lenken und thematisch einteilen soll. Ein ausgearbeiteter Fragebogen hilft
also dabei einen roten Faden bei der Durchführung der Interviews zu erlangen. Zudem soll
ein Leitfaden dabei helfen, den Kategorisierungsprozess bei der anschließenden Auswertung
zu erleichtern.
„Durch die themenzentrierten Fragestellungen und den iterativen Prozess der
Leitfadenerstellung und Informationsgewinnung, die auch andere
Informationsquellen als die ExpertInneninterviews einschließt, wird der
Auswertungsprozess teilweise bereits in den vorangegangenen Schritten
vorweggenommen. *…+ Grundlage für die Analyse sind die Transkripte der Interviews
*…+“ (Leitner / Wroblewski, 2002: S. 253f)
Der Leitfaden bei Experteninterviews soll auf Basis von Theorie und Informationen über die
Organisationen und Institutionen der Experten entstehen. Besonders bedeutsam bei einem
Leitfaden, ist die offene Fragestellung, die ein freies Antworten der Befragten ermöglicht
und so zu breiteren und ausführlicheren Daten führen kann. Zudem ist eine konsequente
Verwendung dieses Leitfadens nötig, um die „Vergleichbarkeit der Daten“ (Mayer, 2009: S.
37) zu erhöhen und den Interviews eine einheitliche Struktur zu verleihen. Der Leitfaden soll
dabei aber nur als Orientierung für den Interviewer dienen. Das Interview selbst muss nicht
unbedingt nach der Reihenfolge des Leitfadens durchgeführt werden. Er ist vor allem
deshalb wichtig, weil so sicher gestellt werden kann, dass alle relevanten Themenbereiche
zur Erkenntnisgewinnung abgefragt werden können und nichts übersehen wird. (vgl. Mayer,
2009: S. 37)
5.2.3. Ablauf der Interviews
Nach der Erstellung des Leitfadens wurden die für das Erkenntnisinteresse relevanten
Experten kontaktiert und ein Interviewtermin vereinbart. Bei der Auswahl der
Interviewpartner wurde auf Ausgewogenheit zwischen Mitarbeitern von privaten und
öffentlich-rechtlichen Radiosendern geachtet. Von den neun kontaktierten Experten stellten
sich für die hier vorliegende Magisterarbeit insgesamt sechs Experten aus der
70
österreichischen Radiobranche zur Verfügung. Daraus ergaben sich fünf Interviews (zwei
Experten eines Senders waren zur selben Zeit anwesend), welche sich aus drei mit Experten
aus dem privaten Sektor und zwei aus dem öffentlich-rechtlichen Sektor, zusammensetzen.
Die Interviews wurden im Zeitraum vom Oktober bis November 2012 durchgeführt und
dauerten, je nach Interviewpartner, zwischen 20 und 50 Minuten.
Zu Beginn wurden die Interviewpartner kurz mit der Thematik und Intention der Befragung
vertraut gemacht. Zudem wurde im Vorfeld abgeklärt, ob die Experten mit der Aufzeichnung
des Interviews durch ein Aufnahmegerät einverstanden sind. Ihnen wurde genau erklärt,
dass die Aufnahmen lediglich zur Transkription dienen und nicht veröffentlicht werden. Alle
Befragten willigten ein und die Interviews konnten problemlos anhand des zuvor erstellten
Leitfadens durchgeführt werden.
5.2.4. Transkription
Die Grundlage der Analyse und Auswertung von qualitativen Interviews in der empirischen
Sozialforschung ist die Transkription. Nachdem das Interview geführt wurde und auf
Tonband oder Video festgehalten wurde, wird eine schriftliche Version benötigt, um die
Auswertung vornehmen zu können. Hierbei wird das Interview, also die dabei gemachten
Aussagen des Interviewers sowie des Befragten, sorgfältig abgetippt und verschriftlicht.
Das Transkript ist äußerst wichtig, um die erfassten Daten zu analysieren, da es „den
kritischen Nachvollzug des Interviews und der Interpretation“ (Lamnek, 2005: S. 390)
ermöglicht. Zudem erhöht eine schriftliche Version einer Befragung die methodische
Sicherheit und es kann jederzeit auf die Daten zurückgegriffen werden. So kann im besten
Fall die Subjektivität der Interpretation eingeschränkt werden. (vgl. Lamnek, 2005: S. 390)
„Systematische Transkriptionen erlauben es, die Transformation der Beobachtungen
in Texte nachvollziehbar zu machen und die Interpretation eindeutig auf
entsprechende Textstellen zurückführen zu können, was wesentlich zur
Abbildung 19 - 21: Radio Arabella auf Facebook ................................................................. 88 - 90
Abbildung 22 - 23: Radio Energy auf Facebook ................................................................... 91 - 92
121
8. Anhang
Interview Leitfaden
I. Social Media Allgemein 1. In welchen sozialen Netwerken tritt Ihr Sender aktiv auf?
a. Inwiefern ist der Auftritt in sozialen Netzwerken wichtig? b. Warum ist der Auftritt so wichtig?
2. Seit wann sind Social Media im Allgemeinen für Ihr Unternehmen interessant? 3. Welche Auswirkungen hatte das Aufkommen von Social Media bisher auf
Ihren Sender? 4. Wo sehen Sie Facebook im Vergleich zu anderen Social Media Portalen wie
z.B. Twitter?
II. Nutzung von Facebook 1. Seit wann tritt Ihr Sender konkret auf Facebook auf?
a. Wie viele User sind in etwa auf ihrer Facebook-Fanseite aktiv? 2. Welchen Stellenwert hat Facebook in Ihrem Unternehmen?
a. Wie ist die Arbeit mit Facebook in die professionellen journalistischen Routinen eingebettet? Gibt es eigene Redakteure?
3. Wozu wird Facebook genutzt? a. Inwiefern werden die Inhalte von Facebook zur Programmgestaltung
genutzt? Passiert das überhaupt? b. Wie haben Hörer bzw. Facebook-User die Möglichkeit an der
Programmgestaltung mitzuwirken? c. Wie wichtig ist die Rolle von Facebook als Marketing – Tool? d. Welche Funktion des sozialen Networks steht im Vordergrund?
4. Welche Rolle spielt die Interaktion mit den Hörern/Usern? a. Wie sieht diese Interaktion konkret aus? b. Inwiefern beziehen Sie Ihr Publikum in Postings mit ein? c. In welcher Form wird Hörern Interaktion überhaupt ermöglicht?
5. Welchen Stellenwert nimmt die Möglichkeit der Partizipation seitens der Hörer ein?
a. Inwiefern ist die Möglichkeit der Mitbestimmung und Mitgestaltung relevant für Ihren Sender?
b. Inwieweit werden User zur aktiven Mitgestaltung und zum Mitmachen aufgefordert?
c. Inwiefern können User/Hörer zu „Produzenten“ werden? 6. Inwieweit ist Facebook zur Hörergenerierung und -Bindung relevant?
a. Hat sich die Hörerzahl seit der Nutzung von Facebook gesteigert? b. Kann die Steigerung auch auf Facebook zurückgeführt werden?
7. In welcher Form nutzt Ihr Unternehmen Facebook zur Verbreitung von journalistischen Nachrichten und Informationen?
a. Wird Facebook als reines Unterhaltungstool genützt? b. Steht die Kommunikation mit den Hörern im Vordergrund?
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III. Facebook und Journalismus 1. Hat sich seit dem Aufkommen von Facebook im Journalismus etwas
verändert? a. Hat sich die journalistische Berufsrolle verändert? b. Welche Auswirkungen hat Facebook auf den professionellen
Journalismus? c. Ersetzt Facebook etwas, das vorher da war (z.B. Mail, Post, Telefon)? d. Wie hat sich das Feedback der Hörer dahingehend verändert?
(erhöht/verringert?) e. Bricht das Gatekeeper-Modell zusammen, weil jetzt quasi jeder
„mitmachen“ kann? 2. Wo liegen die Stärken von Facebook im Bezug auf den Journalismus?
a. Können Sie drei zentrale positive Merkmale des Services nennen, welche besonders im Hinblick auf die journalistische Nutzung von Relevanz sind?
3. Wo liegen die Schwächen/Defizite von Facebook? a. Ist der Überschuss an Inhalten von Usern ein Defizit? b. Sehen Sie in der ungefilterten/unzensierten Verbreitung von
Informationen einen Vorteil oder Nachteil von Facebook? c. Wie sind diese Aspekte mit den Ansprüchen an professionellen
Journalismus zu vereinbaren?
IV. SCHLUSS 1. Können Sie sich Ihren beruflichen Alltag, beziehungsweise das Auftreten Ihres
Senders ohne Facebook noch vorstellen? Wie geht es ohne Facebook weiter? a. Stellen Sie sich vor, der Facebook-Auftritt Ihres Senders wäre
verboten – welche Auswirkungen hätte das? 2. Wo sehen Sie die Zukunft von Facebook generell und speziell im
journalistischen Kontext? a. Wie sieht’s aus im Hinblick auf Radiosender? b. Kann Radio ohne Facebook auskommen?
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Transkription der Interviews Interview mit Florian Berger (Radio Energy) am 22.11.2012 Florian Berger: FB Lisa Staltner: LS LS: In welchen sozialen Netzwerken tritt Radio Energy auf? FB: Wenn wir von Österreich sprechen, Facebook und Twitter. Das sind die zwei großen sozialen Netzwerke, wobei Facebook natürlich besser betreut wird als Twitter, Twitter ist mehr so an Anhängsel, das mitläuft. Facebook ist das große. LS: Seit wann ist Facebook wichtig für Energy? FB: Seit es Facebook gibt, wie es groß geworden ist, seit 3 Jahren ca. Muss man auch dazu sagen, dass Energy echt einer der ersten auf Facebook war, wo die anderen Radiosender noch nicht einmal gewusst haben, dass es das gibt. Das war immer so eine große Sache von Energy und das finde ich auch ganz cool, dass das bei uns so toll funktioniert. Früher war es der Chat, wir waren das erste Radio in Österreich, das einen Chat angeboten hat. Dann kam auch Ö3, Kronehit hat es damals noch nicht gegeben, aber die sind halt dann auch auf diesen Zug aufgesprungen und bei Facebook hat sich das dann auch ähnlich verhalten. Also da waren wir schon auf Facebook, da haben die anderen noch gar nichts auf Facebook gemacht. Irgendwann hat sich dann rauskristallisiert, dass das eine ganz große Sache ist und die sind halt dann auch aufgesprungen. Das hat sich dann auch als richtig erwiesen. LS: Wie viele User gibt es jetzt in etwa und wie groß ist die Aktivität auf Facebook? FB: Dann sag ich dir jetzt mal die User Zahl am besten. Für Wien ist die Fananzahl im Vergleich zu den österreichweiten Radiosendern natürlich anders. Wir sind jetzt bei 32637 also knappe 33000 Fans. Und von den Aktivitäten her, was wir machen, sage ich jetzt einmal, das sind so täglich zwischen 3 und 5 Postings. LS: Welchen Stellenwert hat den Facebook für den Sender Energy im Allgemeinen? Wie intensiv ist Facebook eingebettet in die tägliche Arbeit? FB: An sich hat es einen großen Stellenwert, weil die Kommunikationswege sich in den letzten Monaten und Jahren extrem verändert haben. Früher war es tatsächlich so, wenn man etwas gewollt hat oder etwas gebraucht hat, dann hat man wo angerufen. Dann war SMS ganz groß, alle haben SMS geschrieben. Tun sie auch noch immer, wobei mittlerweile auch WhatsApp ganz groß ist, und iMessage und wie sie alle heißen, also das SMS ist mittlerweile auch nicht mehr so aktuell, vor allem bei der jüngeren Zielgruppe. Und dementsprechend verhält sich das auch mit Facebook. Die Hürde bei einem Radiosender anzurufen ist mittlerweile eine größere. Es rufen nicht mehr so viele an, da schreibt man viel lieber auf Facebook etwas und gibt dort seine Meinung ab, als wenn man wo anruft. Wir binden Facebook ganz besonders in der Früh ein, in der Morgensendung, wo es immer verschiedenste Themen gibt, wo die Leute darüber reden können. Sowohl per Anruf als auch per Facebook. Auch am Nachmittag, in der Nachmittagssendung, oder in der Musikwunschsendung zwischen 14 und 15Uhr, die Happy Hour, da wird auch viel mit Facebook getan, wo die Leute ihre Wünsche posten können. Und das schöne an der ganze Sache bei Facebook ist, dass du ziemlich nahe am Hörer bist. Normalerweise sagt man wenn man in der Früh aufsteht, das Erste was man macht ist das Smartphone in die Hand nehmen und schauen was gibt’s neues? Da schaut man auf Facebook. Und es ist natürlich toll wenn dann gerade die Morgensendung ein Facebook-Posting von sich gibt, da bist du gleich bei Hörer. Der muss nicht einmal das Radio einschalten, sondern sieht es gleich auf seinem Smartphone – ah Energy macht das und das. Und das ist insofern ein ganz großer Vorteil von
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Facebook, weil du einfach nahe beim Hörer bist, ohne dass er prinzipiell das Programm direkt hört. Wir binden es schon sehr stark sein. Das ist immer so schwierig, weil als Radiosender bist du ja eigentlich ein Audio-Medium. Natürlich sind uns Anrufer lieber, weil davon leben wir, das hört man. Facebook kannst du nur vorlesen und vorlesen ist relativ langweilig. Deshalb schauen wir auch, dass wir aus den abgegebenen Kommentaren, teilweise auch Hörer oder eben Anrufer generieren. Denen wir dann auch schreiben „schreib uns deine Telefonnummer, wir rufen dich, du hast etwas interessantes geschrieben, was wir auch on Air verwenden können.“ LS: In Brechts Radiotheorie wird davon gesprochen, dass die Hörer mehr eingebunden werden müssen und mehr Partizipation stattfinden soll. Passiert das mit Facebook, ist es möglich die Hörer mit Facebook mehr einzubinden? FB: Ja, definitiv. Also gerade, was die Musikwunschsendung betrifft am Nachmittag, allen voran auch die Morgensendung. Da ist es tatsächlich so, wir hatten gestern oder heute das Thema „in einem Monat geht die Welt unter, was wollt ihr bis dahin noch erleben?“ – 46 Kommentare hatten wir da – und das sind natürlich auch die Kommentare vorgelesen werden. Zum Beispiel die Dori, unsere Morgenmoderatorin, hat zur Aufgabe, dass sie schaut, was die Leute so posten und dass dann auch on Air vorliest. LS: Man kann also sagen, dass Facebook zur Programmgestaltung beitragen kann? FB: Auf jeden Fall. Tut es auch. Das ist auch ein interessanter Ansatz, es gibt auch viele Sachen, die aufgrund von Facebook ins Programm wiederum einfließen. Also das wir nicht die Themen vorgeben, sondern, dass die User auch wieder gewisse Themen generieren. Unsere Moderatoren zum Beispiel haben ja auch alle private Profile und irgendein Hörer postet dort dann ein Foto mit irgendeiner großen Rauchwolke – ich glaube eine Uni hat da vor ein paar Monaten gebrannt – und schreibt „ui da brennt’s!“. Der Moderator sieht das und denkt sich „uh, da ist irgendetwas passiert“, gibt es dann an die Nachrichtenredaktion weiter, die weiß davon noch nichts, die APA hat auch noch nichts gemeldet und ruft dann mal bei der Feuerwehr an und erfährt dort, dass die Uni brennt. Super, da hast du dann auch gleich wieder ein Thema fürs Radio. Also auch der umgekehrte Weg ist möglich. Oder Trends: Videos, Musikvideos – das hat sich auch sehr geändert. Früher war es so, dass die Radiosender eigentlich die Hits vorgegeben haben zum Großteil, mittlerweile ist es teilweise umgekehrt. „Gangnam Style“ – schönes Beispiel. Das hätte früher niemand angegriffen, kein einziger Radiosender, weil sich jeder denken würde „was ist das für ein Schrott?“. In Wahrheit ist es aber so, dass dieses Video, ich weiß nicht wie viele Millionen mal angeklickt worden ist und ich weiß nicht wie oft auf Facebook gepostet worden ist und dementsprechend dann auch in die Download-Charts einsteigt, bei iTunes und so weiter und du als Radiosender dir dann also denken musst „Ok, was machst du jetzt?“. Du hast hier ein Internet-Phänomen, das musst die in irgendeiner Art und Weise bedienen. Die Leute finden das lustig, die Leute kaufen sich den Song, also ist der in einer gewissen Art und Weise beliebt und den musst du dann auch spielen, oder solltest du spielen. LS: Inwiefern könnte man sagen, dass Facebook auch zur Hörergenerierung beiträgt und auch zur Bindung relevant ist? FB: Sehr stark. Also Hörerbindung auf jeden Fall, weil die Menschen haben das Gefühl – und es ist nicht nur das Gefühl, sondern es ist tatsächlich so – dass sie direkt mit dem Moderator, direkt mit dem Radiosender, direkt mit den Menschen, die dort arbeiten, kommunizieren und in direkter Verbindung stehen. Insofern trägt das sehr viel zur Hörerbindung bei. Zur Hörergenerierung trägt es mit Sicherheit auch ein bisschen bei, nicht viel, aber doch ein bisschen. Ich denke mir es gibt viele Menschen, die vielleicht Radiosender XY jetzt nicht als
125
Lieblingssender haben sondern nur als zweit Lieblingssender haben, teilweise von Sachen, die wir machen gar nichts mitbekommen, aber zufällig über Facebook dann mitbekommen „Hey, da wird eine Reise nach Paris zu einem Privatkonzert von Pink auf Energy verlost“ und die denken sich dann „leiwand, schalt ich auch wieder mal ein, ich möchte das gewinnen, weil ich bin ein riesengroßer Pink-Fan“. Also insofern trägt das mit Sicherheit bei, aber sicher nicht in dem Ausmaß wie man sich es manchmal wünschen würde. LS: Inwiefern ist jetzt Facebook doch mehr Unterhaltungstool, oder wird’s auch genützt zur Verbreitung von Nachrichten? FB: Ich würde sagen beides, wobei ersteres eher, aber von der Nachrichtenredaktion an sich wird es wirklich halt nur dann genützt, wenn etwas Großes passiert: der US-Präsident wird gewählt, 11. September, oder wenn in Wien das Rathaus einstürzt. Also nur wenn wirklich ganz, ganz große Dinge passieren. Die werden natürlich dann auch auf Facebook gepostet. Aber an sich ist es eigentlich ein Unterhaltungstool, weil Energy von der Marke her und als Radiosender her sieht sich jetzt nicht so als das Informationsradio. Da gibt es andere Radiosender, die das durchaus auch ganz gut machen. Da können wir nicht mithalten und wollen wir auch gar nicht. Bei uns geht es in der Energy-Welt um etwas ganz anderes. Da geht es um Musik, um Stars, um Lifestyle, da geht’s um Trends, um neue Trends wie Facebook, also solche Geschichten. Aber so das wir sagen wir posten jetzt wenn irgendein Nationalratsabgeordneter irgendetwas sagt, das machen wir nicht. Das ist auch nicht die Marke von Energy. Aber du kannst davon ausgehen, dass wenn irgendetwas großes passiert, dass das natürlich auch von uns gepostet wird. Es gibt auch viele Menschen, die hören gar keine Nachrichten und schauen sich auch keine Nachrichten an. Die sind der Meinung, dass wenn irgendetwas passiert, dann bekommen sie es eh mit, sei es über Facebook oder sonst irgendetwas. Und ich glaube, dass das auch stimmt, weil du merkst – z.B. Whitney Houston stirbt, kaum ist sie 5 Minuten tot gibt es jede Menge Facebook Postings dazu. Irgendwie kriegst du es mit in dieser kunterbunten Facebook und Social Network Welt. LS: Inwiefern hat sich seit dem Aufkommen von Facebook der Journalismus und auch der Radiojournalismus verändert? FB: Der Journalismus an sich gar nicht. Ich sage jetzt einmal, dass du diese journalistischen Wege als Nachrichtensprecher oder als Moderator, wo du recherchierst und dann noch zwei oder dreimal überprüfst, ob das auch wirklich stimmt was du sagst, das hat sich nicht verändert. Das Einzige was sich verändert hat ist, dass teilweise Geschichten von Facebook auch ins On Air Programm übernommen werden. Aber dann auch gecheckt werden, man kann ja auch nicht alles glauben, was auf Facebook geschrieben wird. LS: Da gibt es in der Theorie auch immer die Diskussion darüber, ob das Gatekeeper-Modell zusammenbricht, und der Journalist als Schleusenwärter überflüssig wird. Was würdest du dazu sagen? FB: Die Zeit hat sich schon sehr stark geändert was das betrifft, allen voran beim jüngeren Zielpublikum, beim älteren nicht so – also ab 35, 40 aufwärts, weil die glaube ich sind jetzt nicht so in diesem Facebook-Wahnsinn drinnen. Aber da hast du durchaus recht. Der Journalismus, wenn man es jetzt global sieht, hat sich schon sehr verändert, oder hat sich zumindest geändert. Beispiel Gaza Streifen – wenn man da jetzt sieht was die Leute alles twittern, dass wird schon auch teilweise für Recherchen herangenommen. Da siehst du teilweise dann einfach auch Trends. Was sind so die Trends? Über was reden die Menschen derzeit? Schlaue Journalisten picken das und machen das auch zum Thema. Aber ich glaube da muss man dann teilweise auch unterscheiden was ist ein Journalist. Ist ein Journalist jemand, der pure Nachrichtenmeldungen von sich gibt oder ist ein Journalist jemand der dann auch einen gewissen Mehrwert bietet. Und diesen Mehrwert hast du
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glaube ich über diese Social Networks nicht. Klar werden teilweise Blogs gepostet, aber das ist auch schon wieder Journalismus auf eine Art und Weise. Also ich glaube, dass der klassische Journalist, der Print-Journalist oder der Nachrichtenredakteur, dass der schon noch wichtig ist und auch wichtig bleibt. Einfach um diese Themen zu verarbeiten, aufzubereiten und teilweise auch anders zu beleuchten oder andere Hintergrundinformationen zu geben, die halt so nicht irgendwo stehen. LS: Ersetzt Facebook etwas das Vorher nicht da war? FB: Beim Telefon hält sich der Rückgang schon in Grenzen, also es ist jetzt nicht so, dass niemand mehr anruft. Ersetzen… ich sage einmal so, Mail war nie so groß, Post – in dem Zeitalter hat es Energy noch nicht gegeben, wo man eine Postkarte gesendet hat, das war eher späte 80er, 90er. Ich sage es mal so, es ist ein neuer Kommunikationsweg dazugekommen, ein schnellerer, ein direkterer. So das man sagt es geht jetzt alles zurück, das würde ich nicht sagen. LS: Wie wichtig ist Facebook auch als Feedback Kanal für Energy? FB: Wichtig auch. Man muss das halt immer auch mit Vorsicht genießen, aber es ist natürlich auch ein Feedback Kanal. Aller Kommunikationskanäle geben in irgendeiner Art und Weise Feedback, egal ob das jetzt Mail oder Anruf oder Facebook ist. Der einzige Unterschied ist, dass wenn du auf Facebook etwas postest, dass das nicht nur einer liest, sondern dass das sehr viele lesen - Stichwort „Shitstorm“, was jetzt manche Firmen auch in Österreich schon betroffen hat. Da stellt jemand etwas öffentlich an den Pranger, etwas was einem nicht gefällt und da muss man dann auch als Medienunternehmen damit umgehen, weil das ist Feedback. Das finde ich aber ehrlicherweise nicht schlecht, das ist völlig ok wenn das transparent ist. Da gibt es sicher Leute, die denken sich dasselbe und dann kommt vielleicht eine gute Antwort und die Leute denken sich dann „Ah, ok, deswegen ist das so“ und dann ist dann nicht nur derjenige befriedigt, der das gepostet hat, sondern auch andere. LS: Wo siehst du die Stärken von Facebook in Bezug auf Radio und Journalismus? FB: Das es eine direkte und schnelle Kommunikation ist, das sind auf jeden Fall die Stärken. Das du das Gefühl vermittelst, beziehungsweise es auch tatsächlich so ist, dass du mit den Hörern in direkten Kontakt treten kannst. Die Nähe zum Hörer auch übers Smartphone – es gibt nichts Intimeres als ein SMS oder Facebook, das ist sehr intim und da bist du ganz nahe beim Hörer. Das sind so die Stärken. LS: Und Schwächen? FB: Facebook hat nicht nur den Radiosendern, sondern Medien im Allgemeinen, ein bisschen an Kompetenzen weggenommen. Musikkompetenz. Wie ich vorher gesagt habe – früher große Weltpremiere, Österreichpremiere von diesem und jenem Song, das kannst du dir mittlerweile schenken, weil vor dieser Österreichpremiere hat man es mittlerweile eh schon fünf Mal auf Facebook, auf YouTube oder wo auch immer gesehen oder gehört. Diese Kompetenz ist sicher weg. Die Kompetenz als erster Information zu haben ist sicher auch weg, weil so schnell sind dann die Radiosender auch nicht. Teilweise schon, teilweise nicht, aber meistens ist es halt so, dass du es vorher irgendwo schon auf Facebook hörst oder liest, bevor du es dann im Radio hörst oder im Fernsehen siehst. Also da wird sicher auch Kompetenz weggenommen. Als Radiosender gesehen, sind dass Schwächen für uns von Facebook, aber in Wahrheit sind es auch Stärken von Facebook und sozialen Netzwerken. LS: Aus gegebenem Anlass um die ORF Debatte und Facebook - Welche Auswirkungen hätte ein Facebook-Verbot für Energy? FB: In Wahrheit wäre es natürlich schlimm – also schlimm, traurig wäre es – wenn wir Facebook nicht mehr weiter verwenden dürften, aus welchen Gründen auch immer, aber so
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weit wird es ja nicht kommen. Natürlich wäre es traurig. Es ist jetzt nicht so, dass wir dadurch einen Hörereinbruch hätten. Das glaube ich nicht, aber wie gesagt, die Vorteile, die Facebook bietet, sind halt doch Vorteile, auf die man nicht verzichten will. LS: Wo siehst du die Zukunft von Facebook in Bezug auf Radio. FB: Schlecht. Ich glaube sie manövrieren sich momentan in eine Sackgasse. Das sind so Kleinigkeiten einfach. Dieser Newsstream, wo einfach die Sachen nicht mehr angezeigt werden. Wir merken es bei uns und auch bei anderen Radiosender ist das so, dass einfach die Dinge nicht mehr angezeigt werden, die Likes und die Comments gehörig runter gegangen sind dadurch und ich glaube dass durch den Börsengang und diese Geldmache, die sie damit verbunden haben, dass sie sich damit ein Eigentor schießen. Ich glaube nicht, dass sich das durchsetzt, dass Firmen dafür zahlen, dass ihre Infos in Streams angezeigt werden und Privatpersonen schon gar nicht. Ich glaube, dass; wie sehr oft im Leben; die Gier und das finanzielle und die Gier nach mehr Geld dieses Projekt ruinieren wird. Facebook lebt davon, dass man sich da eigentlich frei drinnen äußern kann, dass das für jeden zugänglich ist und dass halt auch die Dinge angezeigt werden und mit dem machen sie es eigentlich kaputt, weil das ist eigentlich das Herz von Facebook. Ich glaube das wird noch 3,4 Jahre gehen, aber dann wird das immer weniger, weil die Menschen natürlich auch schon etwas sensibler geworden sind, etwas aufmerksamer, nicht mehr jeden Schwachsinn posten, also das ist auch passiert in den letzten Monaten, dass da auch mal ein Nachdenken stattfindet, also mal schauen.
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Interview mit Ralph Waldhauser (Radio Arabella) am 21.11.2012 Ralph Waldhauser: RW Lisa Staltner: LS LS: In welchen sozialen Netzwerken tritt denn Radio Arabella Wien auf? RW: Wir sind bei Facebook, wir machen Twitter, wir machen FlickR und wir machen YouTube mit den Videos. LS: Inwiefern ist denn der Auftritt in sozialen Netzwerken allgemein wichtig für den Sender? RW: Extrem wichtig. Das ist das erste Mal eigentlich, dass man als Radiosender ein unmittelbares Feedback bekommt von den Hörern oder Usern. Es verändert eigentlich die Arbeit im Radio komplett. Wir sind 2001 gestartet in Wien und haben uns damals überlegt, ob wir eigentlich eine Website brauchen. Da haben wir es halt gemacht, weil alle anderen auch eine Website hatten. Das war ein statisches Ding und im Grunde genommen ist das Radio immer so gewesen, dass du sendest und vielleicht eine Rückmeldung bekommst wenn jemand anruft, eine Postkarte schreibst oder faxt. Hier hast du jetzt halt unmittelbar Reaktionen auf ein Thema, das hat sich in der ganzen Arbeit bei uns geändert. LS: Seit wann ist Radio Arabella auf Facebook. RW: Ich glaube seit 2009. LS: Wie sieht es denn aus mit der Nutzung – wie aktiv sind User und Fans auf Facebook? RW: Also wir haben jetzt 13600 Fans drauf. Das muss sich bei uns im Gegensatz zu Jugendradios immer etwas langsamer entwickeln. Es hat auch gedauert bis unserer Hörer, Kerngruppe 35 – 59, auf E-Mail umgestellt waren, auf Online-Gewinnspiele, darauf, dass sie auf der Website nachschauen, wenn sie Informationen brauchen, auf Webradio hören. Und es dauert halt hier auch entsprechend, aber es steigt ständig. LS: Welchen Stellenwert hat Facebook für Radio Arabella und wie intensiv ist es in die journalistische Arbeit eingebettet? RW: Immer mehr eigentlich. Wir haben auch den Arbeitsablauf in der Redaktion geändert. Es betrifft uns jetzt vor allem dann, wenn etwas passiert – „Eilt-Geschichten“. Dann ist bei uns das Motto „Social Media first“, also bevor wir noch irgendetwas im Radio sagen wie zum Beispiel, dass Whitney Houston tot ist, wird es bei uns eine Website geben, dann wird es auf Facebook gepostet und dann geht es ins Radio, weil du bis dahin schon eine erste Reaktion hast von Menschen. Also du kannst sagen „soeben haben wir erfahren Whitney Houston ist tot – bei uns auf Facebook gibt es schon die ersten Reaktionen, Gerti schreibt sie ist unendlich traurig“. Das ändert die ganze Arbeit. Auf der anderen Seite können wir auch Aktionen besser mitteilen und verkaufen und die Moderatoren schreiben auch lustige Sachen rein und man kann damit auch moderativ arbeiten. LS: Wozu wird es konkret genutzt? Was wird gemacht auf Facebook? RW: Unsere Aktionen, seien das jetzt Gewinnspiele, Konzerte, Weihnachtsdorf-Eröffnungen, Fotostrecken, unsere Videos, die wir machen, das alles wird gepostet. Also zur Eigenpromotion von unseren Dingen, die wir so im Programm haben. Dann wie gesagt um den Traffic auf unsere Website zu befördern und natürlich auch um Feedback einzuholen von unseren Hörern, das ist ganz wichtig. LS: Inwiefern wird es auch zur Programmgestaltung genützt? RW: Immer wieder. Unsere Moderatorinnen und Moderatoren sind auch privat auf Facebook unterwegs und entdecken da Dinge, lustig Videos oder lustige Sachen, Witze, solche Dinge, die halt dort die Runde machen, das kann man dann integral in die Sendung
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einbauen. Und zum Anderen befördern wir unsere Moderation und Musikwünsche alles auch über Facebook. Es ist ein integraler Bestandteil geworden. LS: Also diese Interaktion mit den Usern durch Facebook spielt hier auch eine wichtige Rolle? RW: Ja genau! LS: Wie schaut es denn jetzt auch mit der Möglichkeit der Partizipation – haben Hörer durch Facebook die Möglichkeit aktiver teilzunehmen und zu Produzenten zu werden? RW: Absolut! Es hat ja schon immer die Möglichkeit gegeben beim Radio anzurufen, da gibt es aber immer eine gewisse Hemmschwelle. Wir haben das immer gemacht mit Call Ins – z.B. Sind sie für oder gegen das Parkpickerl? Rufen Sie jetzt an? – da rufen zwar Leute an, das ist gelerntes Verhalten und das machen auch viele, aber beim Radiosender anzurufen und sich dort aufnehmen zu lassen und dann mit der eigenen Meinung auf Sendung zu gehen, dass ist schon eine Hürde. Auf Facebook etwas zu kommentieren ist einfach und das machen viele Menschen lieber und wir bauen das dann in die Sendungen ein. Auf der anderen Seite bekommen wir sehr viele Nachrichten von unseren Usern, die vielleicht irgendein Problem haben und zum Beispiel seit drei Wochen keine Beleuchtung mehr haben. Dann greifen wir das auf, recherchieren nach und machen eine Geschichte daraus. Im besten Fall, und dass war heuer schon 2-3 Mal der Fall, können wir Hörern und Usern dann auch helfen und das ist dann eine nette Radiogeschichte. Und natürlich auch Musikwünsche. LS: Würden Sie sagen, dass Facebook auch zur Hörergenerierung oder Hörerbindung beiträgt? RW: Hörerbindung ja, Hörergenerierung da müssen wir uns selber bei der Nase nehmen und das ganze Ding noch etwas zielgerichteter nützen. Es ist natürlich so, dass das jetzt natürlich schon relativ gut funktioniert so, wir sind jetzt aber gerade dabei noch eine weitere Strategie zu entwickeln wie wir unsere Inhalte noch auf anderen Seiten platzieren auf Facebook. Also wenn jetzt wir beispielsweise Eric Clapton nach Wien holen, dann wäre es vernünftig das nicht nur unseren 13600 Fans mitzuteilen, sondern das auch auf der Eric Clapton Fanseite zu posten. Also um das Ganze noch ein wenig mehr zu spreaden und damit auszulösen, dass sich manche denken „Ok, die bringen Eric Clapton nach Wien, ich hör jetzt mal rein, ob die auch Eric Clapton spielen“. Also das wäre noch der nächste Schritt, da sind wir aber gerade noch am basteln, wie wir das auch organisatorisch machen. LS: In welcher Form wird Facebook auch zur Nachrichtenverbreitung genützt? Oder ist es doch mehr Unterhaltungstool? RW: Es ist hauptsächlich Unterhaltung oder Wiener Themen des Tages, das schon. Wir posten natürlich auch Obama ist Präsident. Das postet man auch mal rein damit man schnell ist, aktuell dabei ist, aber das ist jetzt nicht unsere Kernaufgabe. LS: Würden Sie sagen, dass sich seit dem Aufkommen von Facebook im Journalismus etwas verändert hat? RW: Ja absolut. Der ganze Medienmarkt verändert sich ja rasend. Das ist ja jetzt nicht nur bei Radio so, sondern auch Zeitung, Fernsehen, alles Mögliche. Es wird alles immer mehr auf mobile, auf Interaktion verlagert und da ist Facebook natürlich ein wichtiger Teil. Die Aufgabe von Medienmanager ist es den Mitarbeitern das auch so nahe zu bringen, dass es nicht als Zusatzbelastung empfunden wird. Weil immer wenn man sagt das machst du noch und das auch noch und jetzt kommt noch Facebook und Twitter und dann machst du auch noch ein Video davon, dann sagen die irgendwann mal, das sie nicht mehr können. Die Aufgabe muss halt schon sein auch zu sagen, ok wir machen jetzt Facebook, wir machen stattdessen nicht mehr irgendetwas Althergebrachtes.
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LS: Ersetzt Facebook etwas, das vorher nicht da war? RW: Ja durchaus. In unserem Bereich noch nicht so stark,. Es wird sehr viel gemailed, wobei bei den Jüngeren Mails schon wieder old fashioned sind und die Leute lieber etwas posten oder irgendwelche Messenger verwenden. Das ist bei uns noch nicht der Fall, da kommen Nachrichten zwar schon auch so rein, aber eher über Mails. Fax hat sich komplett aufgehört. Das war noch vor 5 Jahren interessant, da haben die Leute noch etwas gefaxt. Briefe bekomme ich vielleicht 3 im Monat. LS: Es gibt in der Theorie auch Diskussion darüber ob das Gatekeeper-Modell durch das Internet und soziale Netzwerke, wie Facebook, zusammenbricht – wie sehen Sie das? RW: Das glaube ich auf jeden Fall. Das Prinzip ist ja dieses Sharing, also das Teilen von Inhalten. Und da bist du als Medium immer hinten nach, weil es gibt irgendwo immer einen Augenzeugen, der schnell ein Foto postet oder ein Video macht wenn irgendwo ein Autounfall passiert und dann ist das im Web und das passiert dann alles schnell. Der Punkt ist aber schon, dass Marken, denen man vertraut – und Radio Arabella hat in Wien eine Bekanntheit von 97 % und das ist eine Marke, der die Hörer vertrauen – und wenn wir etwas posten, dann hat das ein anderes Gewicht, als wenn das der Herr Pospischill Irgendwie postet. Also das haben schon die Medien noch. Man geht eher hin zu Dingen, die man kennt. Es gibt Millionen Webradios auf der Welt mittlerweile, aber die Nutzung von Webradios allgemein ist so, dass die Marken gehört werden, die es auch im UKW Bereich gibt. Es sucht sich jetzt niemand einen Oldie Sender aus Nashville Tennessee heraus, das müssen schon Freaks sein. Die Leute gehen trotzdem zu Arabella oder zu Kronehit oder wo auch immer und hören des über ihre mobilen Endgeräte. Und so ist das auch bei Content. Was man allerdings aufgeben muss ist, dass man den Content für sich alleine besitzt. Wenn ich jetzt irgendetwas poste und ein Foto veröffentlich, dann kann ich nicht mehr kontrollieren wo das hin geht und ich kann auch die Reaktionen nicht kontrollieren und da tun sich viele schwer, diesen Content aus der Hand zu geben. LS: Wo liegen die Stärken von Facebook in Bezug auf Radio und Journalismus? RW: Es ist irrsinnig schnell. Man kann zielgerichtet Menschen erreichen. Es ist ein hervorragendes Marketing Tool, wenn man es gut nützt. Und es ist einfach eine Stärkung der Marke, ein Platzieren der Marke Radio, mit der wir Geld verdienen – mit Facebook verdiene ich kein Geld, das kostet mich höchstens Ressourcen und Geld – aber ich setze es ein, um das Radio zu stärken. Da ist Facebook einfach die Nummer Eins in den Social Media, wenn man des jetzt vergleicht mit Google Plus zum Beispiel, das interessiert keinen Menschen. Also das Marketingtool und natürlich auch der Rückkanal. Kommt das an, was wir hier machen? Es wird sofort etwas gepostet, wenn wir einen Fehler machen. LS: Was sind Defizite und Schwächen von Facebook? RW: Man muss natürlich auch aufpassen. Das mit den AGBs ist eine Katastrophe für Unternehmen und eigentlich auch für private Nutzer. Da muss man schon vorsichtig sein, was man macht. Wir sind da auch sehr vorsichtig, bei Dingen wie welches Foto poste ich, welches Video poste ich, ist da irgendetwas Anstößiges? Darf ich ein Gewinnspiel über Facebook machen – nein ich darf es nicht, ich kann es vielleicht ankündigen, dass es auf der Website stattfindet und so weiter. Und du kannst natürlich schon die Fans pushen und hoffen, dass niemand drauf kommt. Viele machen das auch, indem sie zum Beispiel eine Reise versprechen, wenn man Fan wird. Das darfst du aber nicht. Da muss man halt schon aufpassen. Das Defizit ist natürlich auch, dass man nicht weiß, sitzt vielleicht irgendwo in einer Garage in Illinois ein 11-jähriger der irgendeine Idee hat und Facebook ist in drei Jahren tot, weil es
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halt irgendetwas Geniales gibt, mit dem der dann wieder 20 Milliarden verdient. Also man weiß nicht, ob es wirklich wertbeständig ist und was machst du dann mit dieser Community? LS: Wäre Radio ohne Facebook noch vorstellbar, ist es noch möglich? RW: Ja, es ist schon möglich. Wenn das Mediengesetzt so hält, dann dürften die ORF Radios kein Facebook mehr verwenden und sie sind trotzdem stark. Es ist aber natürlich dann mühsamer und etwas old fashioned. Radio wird sich auch verändern, es wird zwar das gute alte Radio weiter geben, aber es gibt vielleicht bald auch mal digital Radio in Österreich, es gibt die Verbreitung im Web, die immer mehr zunimmt und da brauchst du dann natürlich auch so ein Tool, wo du Menschen mit ein beziehst. Und ich glaube, dass sich das noch mehr verstärken wird. Es gibt in Amerika Radiosender, die spielen ihre komplette Playlist nur noch nach Facebook-Abstimmungen. Das wird zukünftig auch irgendwie so sein. LS: Also es hätte durchaus negative Auswirkungen, wenn es jetzt plötzlich heißt, dass man Facebook nicht mehr verwenden darf? RW: Ich würde mich auch ärgern, wenn ich der Ö3 Chef wäre. Gerade bei Ö3 mit 280000 da ist das schon eine richtige Masse, da macht es schon richtig Sinn. Ob ich jetzt die 13600 hab oder nicht, das ist nice to have. Ich kann auch ohne das Leben, aber ich kann schlechter leben LS: Wo sehen Sie die Zukunft von Facebook in Bezug auf den Journalismus? RW: Das ist schwer zu sagen. Wenn ich das wüsste, würde ich jetzt Facebook Aktien kaufen oder auch nicht. Ich glaube, dass die Interaktion im Radio immer mehr zunimmt. Das ist einfach nicht aufzuhalten, aber ob das jetzt Facebook ist oder etwas anderes, ich weiß es nicht. Meine Leute arbeiten ohne Nachrichtenagentur, die arbeiten nur mehr mit Twitter. Vor drei Jahren, als ich die APA abbestellt habe, habe ich eine Revolution herinnen gehabt. Heute fragt kein Mensch mehr danach. Es ist alles im Fluss. Wenn wir alle wüssten, wo es hingeht, oder wie ein Geschäftsmodell aussehen könnte, dann wäre das eh einfach. Also wir probieren verschiedenste Dinge aus und versuchen uns da auch mit Experten zu unterhalten wohin der Trend geht, um dann zu schauen, was können wir leisten. Wie es wirklich wird, ich weiß es nicht. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass Playlists sich vor allem nach Facebook richten. Es ist bei uns teilweise schon so, dass wir nachschauen, wenn ich auf radioarabella.at bin, kann ich mir die Playlist ansehen und da auch auf gefällt mir drücken. Ich kann schauen welche Titel gemocht werden und welche nicht. Ich glaube, dass das noch zunimmt und dass dieses Sharen und Teilen und Mitbestimmen sicher auch noch stärker werden wird.
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Interview Albert Malli (Hitradio Ö3) am 16.11.2012 Albert Malli: AM Lisa Staltner: LS LS: In welchen sozialen Netzwerken tritt denn Ö3 aktiv auf? AM: Wir sind bei Facebook, und auch bei Twitter, dort aber im Wesentlichen mit einem automatisierten Service, also so, dass wir die Topmeldungen der Nachrichtenredaktion dort twittern. Aber wirklich intensiv betreuen wir Facebook, weil dieser Dienst besser zu Ö3 passt. Die Mehrheit der Ö3 Hörer hält sich eher dort auf. LS: Seit wann ist Ö3 auf Facebook? AM: Seit November 2009. LS: Wie viele User hat man jetzt in etwa? AM: Die Anzahl der Fans ist kontinuierlich gewachsen und ist jetzt sehr, sehr hoch, schauen Sie sich das einfach an. Man muss sagen, ich glaube, dass man da jetzt langsam an die Grenzen stößt, weil ja Facebook nicht mehr in dem Ausmaß weiter wächst. Das kann nicht unendlich weiterwachsen, wenn auch die Zahl der Facebook User in Österreich langsam gesättigt ist, weil ja jeder nur einmal Fan werden kann. Wir beobachten auch ganz genau den Wert „spricht darüber“ – wobei uns noch keiner sagen konnte, wie der ermittelt wird, sehr stark hängt es natürlich davon ab, ob jemand gefällt mir drückt oder ein Posting von uns geliked wird - und der schwankt auch sehr, sehr stark, je nachdem ob ein Posting von uns gut oder schlecht ankommt. Und wir schauen uns auch sehr genau an wie unmittelbare Mitbewerber von uns am Radiomarkt, wie Kronehit, wie die fungieren auf Facebook. Und beobachten auch andere internationale Radiosender und da haben wir, von der Anzahl der Fans bezogen auf die Reichweite, wahrscheinlich den erfolgreichsten Facebook-Auftritt in ganz Europa. Man muss aber auch sagen, dass Kronehit sehr, sehr erfolgreich ist. Kronehit hat ja weniger Hörer als Ö3 aber gar nicht so viel weniger Fans als wir. LS: Welchen Stellenwert hat Facebook für Ö3? Wie wichtig ist die Verwendung? AM: Uns ist es unendlich wichtig auch über diesen neuen Kanal mit den Hörern in Kontakt stehen zu können. Da bringe ich immer das Beispiel, wir haben seit knapp 15 Jahren ein Ö3 Hörerservice, wo immer zwei Kollegen im Dienst sind und für Höreranfragen zur Verfügung stehen. Und die haben am Anfang noch Postkarten oder Briefe beantwortet, jetzt beantworten sie in erster Linie E-Mails die hereinkommen, oder User die uns über die Homepage eine Nachricht schicken, dann kam dazu, dass sie auch SMS Nachrichten beantwortet haben. Die Zahl der Anrufe ist übrigens in den letzten 15 Jahren nicht gestiegen, und das liegt auch daran, dass es Menschen jetzt ganz selbstverständlich finden, dass wenn ich jetzt mit jemandem in Kontakt treten will schreibe ich ihm schnell über Facebook oder ich poste ihm etwas auf die Wand. Das heißt unsere Facebook-Pinnwand ist auch ganz klar wie der Postkasten an Ö3, der hängt halt einfach jetzt an einem anderen Haus und ist blau gestrichen, früher war er gelb. Und daher finde ich ist es für uns unverzichtbar, dass die Hörer uns über diesen Weg etwas sagen können. Der Erfolg der Ö3 Seite ist nicht nur, dass wir alle paar Tage eine lustige Statusmeldung schreiben, sondern der Erfolg der Seite von Anfang an war, dass die Leute nur so geschaut haben, dass wir da auch antworten. Das hat man nicht vermutet, weil Ö3 ist so weit weg – denen schreib ich etwas auf die Pinnwand und die schreiben nicht zurück. Und heute ist es Aufgabe dieser Mitarbeiter vom Hörerservice diese Seite auch mit zu monitoren und zu antworten. Eine Besonderheit gibt es: während man beim E-Mail eigentlich eine Antwort erwartet, ist das bei Facebook ein bisschen anders.
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Dort postet man und man erwartet nicht bei jedem Posting eine Antwort. Und das unterscheiden wir auch sehr genau. Wenn jemand kritisch schreibt, dann schreiben wir zurück. Es gibt auch manche Statusmeldungen, die verlangen gar keine Antwort, oder das man es kommentiert oder liked. Das ist für mich ein ganz entscheidender Punkt, weil ja derzeit die aktuelle Debatte ist aufgrund dieses neuen ORF Gesetzes, ob der ORF in sozialen Netzwerken überhaupt präsent sein darf. Da muss ich sagen, dass sich der klassische Hörerkontakt, der ja immer eine Rolle gespielt hat für einen Radiosender mit den Hörern in Kontakt zu stehen, verlagert auch dorthin. Uns diesen Kanal wegzunehmen wäre dann wirklich so, als würde man sagen, dass Ö3 Hörerservice ist nur noch durchs Festnetz erreichbar und nicht mehr über Mobilfunknetz. Das beobachte ich auch über die letzten 15 Jahre. Früher hat uns ein Drittel der Anrufer vom Handy angerufen, heute rufen uns 95% vom Handy an. Was sie uns sagen hat sich nicht so stark gewandelt wie die Art und Weise wie sie mit uns in Kontakt treten. Man kann natürlich auch sagen Facebook ist ein internationaler Konzern und warum unterstützt Ö3 den. Ja das kann man so sehen, gleichzeitig muss man aber sagen, dass es internationale Entwicklungen wo man ein Stück weit mitmachen muss und es ist einfach unvermeidbar, und es gibt heute glaube ich auch keinen Rundfunksender und auch keine größere Firma, die sich leisten kann nicht in diesem sozialen Netzwerk präsent zu sein. Würde man dem ORF das wegnehmen, würde man ihm auch die Möglichkeit nehmen mit jungen Leuten in Kontakt zu treten. Natürlich ist es so, dass die unter 35-jährigen häufiger nützen als die Älteren. Da ist es aber auch nicht gesagt, dass das so bleiben wird. Heute hat ja meine Mutter auch schone in iPhone. Daher wird sozusagen, das nicht-präsent sein, das dort überhaupt nicht in Erscheinung treten, auch die Marke nachhaltig beschädigen. Das ist gar nicht mehr nur Spaß. Es ist eine Form der Präsenz, wie man sich Aufmerksamkeit auch holt. LS: Wie wird Facebook konkret genutzt? AM: Man hat ja auf Facebook eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Man kann eine Statusmeldung posten und man kann Meldungen von Hörern kommentieren und liken. Man könnte auch kommerziell eine Werbung schalten, das tun wir nicht. Wir schalten keine kommerzielle Werbung. Wir nutzen Facebook wie jeder andere auch. Wir haben einen ganz normalen privaten Account, wie jeder andere auch. Diese zwei Dinge gibt es also. Wir posten dort nicht so marketing-mäßig. Das machen viele Firmen, dass sie das einfach als Marketinginstrument nutzen, das machen wir nicht. Wir glauben dafür ist Facebook nicht da. Wir glauben, dass die User, die Facebook aufmachen in erster Linie wissen wollen, was bei ihren Freunden los ist. Dazu hat man ja Facebook, es ist ja dafür da mit seinen Freunden in Kontakt zu bleiben. Und zweitens schätzt man Freunde besonders, wenn sie einem etwas Interessantes sagen. Also nicht nur das Kinderfoto posten, oder die Katze, sondern auch vielleicht einen interessanten Artikel empfehlen. Und da wird es nämlich spannend, da sehen wir die Rolle von Ö3 in Facebook, als die, die immer unsere Rolle ist: wir müssen dort informieren und vor allem unterhalten. Informieren kann man ja nicht so gut in Facebook, weil es dort ja oft auch zeitversetzt gelesen wird. Es ist nicht unbedingt geeignet. Wobei die Topmeldungen aus der Ö3 Nachrichtenredaktion, den sogenannten News-Flash, den posten wir sogar automatisiert. Warum automatisiert, nicht weil wir zu faul sind das mit der Hand zu machen, nur das funktioniert besser, wenn der Nachrichtenredakteur das einmal eintippt, drückt und dann geht ein SMS raus, dann ist die Message automatischer in unserer Handy App, und automatisch entsteht ein Facebook Posting. Wir haben das automatisiert, um nicht Zeit zu verlieren. Und die anderen Postings, die wir hier in der Redaktion machen, die sind
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eigentlich handverlesen. Das sind immer Dinge, wo wir uns erwarten unser Publikum zu unterhalten. Das Spannende ist während man im Radio nicht sofort weiß, ob der Gag auf Ö3 lustig war, weil ja das Publikum das nicht sofort mitteilt; da muss etwas schon sehr, sehr gut oder schlecht gewesen sein, dass man Resonanz bekommt; siehst du bei Facebook sofort wie viele Leute haben deine Meldung geliked, wie viele haben es weitergeleitet, wie viele haben es gelesen. Das heißt du hast hier bei Facebook die unmittelbare Resonanz. Ich glaube wir haben da inzwischen auch ein ganz gutes Gespür bekommen mit welchen Meldungen wir gut ankommen und welche nicht gut ankommen. Und eines kann ich sagen, alles was nach Werbung und Eigenwerbung riecht, kommt nicht gut an. Alles was die Leute sympathisch und witzig finden kommt gut an. LS: Werden die Inhalte die auf Facebook gepostet werden auch in die Sendungen und in die Programmgestaltung miteinbezogen? AM: Nicht unbedingt. Wenn etwas besonders lustig ist, dann kann es im Programm oder auf Facebook vorkommen, aber das ist auch die Lehre, man muss jeden Kanal auch ein Stück weit extra bespielen. Es ist Ö3 drinnen in allen, aber wie soll ich das machen – da gibt es zum Beispiel ein Foto, das ist besonders lustig und regt zum Schmunzeln an, das kann man aber im Radio nicht entsprechend thematisieren. Derzeit ist es durchaus alles aus einem Haus, aber das Haus weiß, dass man bei Facebook vielleicht etwas anderes anbieten muss, um lustig zu sein und gute Unterhaltung zu bieten als im Radio. LS: Also es findet jetzt nicht ständig ein direkter Bezug zu Facebook statt, sondern es ist einfach ein Nebenkanal? AM: Derzeit nicht, nein. Weil dieser direkte Bezug wäre ja der ständige Programmbezug: Achtung, jetzt Ö3 einschalten! Aber dazu ist ja Facebook überhaupt nicht geeignet, weil du weißt ja nicht, wann jemand seinen Account checkt und diese Nachricht bekommt. Radio ist ja im Vergleich ein absolut lineares Medium, während ich es jetzt sage hört es jetzt live, im selben Moment hunderttausend Hörer. Ein Facebook Posting kann nicht so tagesaktuell frisch sein. Es macht keine Sinn zu sagen jetzt ist das und das im Radio, weil die Mehrheit liest es nachher. LS: Welche Rolle spielt die Interaktion mit den Hörern via Facebook? AM: Wir arbeiten sehr intensiv daran zumindest einmal am Tag etwas zu melden und zumindest in Kontakt zu bleiben. LS: Wie relevant ist denn Facebook für die Hörerbindung oder auch die Hörergenerierung? AM: Das ist ein bisschen blanke Theorie das zu glauben. Ich glaube, dass die Nicht-Präsenz die Marke auf Dauer beschädigt. Ich glaube, dass es uns nachhaltig schaden würde, wären wir dort nicht präsent. Lässt sich das sofort messen in „haben mehr Hörer weil, haben weniger Hörer weil“, weiß ich nicht. Das Image einer Marke wird über Jahre aufgeladen. Ich glaube in 10 Jahren würden wir sagen, es war ein Riesenfehler, dass Ö3 nicht vor 10 Jahren bei Facebook war. Jetzt, am heutigen Tag 2012 kann ich nicht sagen, ob wir mit oder ohne Facebook-Präsenz mehr oder weniger Hörer hätten, wahrscheinlich hätten wir noch gleich viel. LS: In welcher Form wird den jetzt Facebook auch tatsächlich zur Verbreitung von journalistischen Nachrichten genützt? AM: Das ist bei Ö3 der News-Flash, aber das ist es. Es ist jetzt nicht zu, dass wir auf Facebook journalistische Beiträge publizieren. Facebook wird ja auch sehr flüchtig genützt, die Leute schauen ihren Account durch und lachen über ein Foto. Wir bieten dort eigentlich sehr, sehr rasch konsumierbare Unterhaltung an. Das könnte man auch anders machen. Da merkt man auch wie ein journalistisches Medium, wie ein Medienhaus Facebook nutzt ist natürlich auch Art eine Blattlinie, die man sich damit macht. Am Anfang war die Blattlinie schon so ein
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bisschen etwas mehr über uns zu erzählen, ein bisschen die Hörer hinter die Kulissen schauen zu lassen. Es ist aber inzwischen auch schon fad. Natürlich ist es manchmal ein Blick hinter die Kulissen, wenn man Fotos postet aus dem Wecker-Studio mit einem Gast, der gerade da ist. Also die Blattlinie ist ein bisschen Blick hinter die Kulissen, Erlebe auch die Moderatoren privat im Studio und die zweite Blattlinie ist sehr stark einen kurzen Smiley ins Gesicht zu zaubern und dann denken sie naja Ö3 – eh klar, typisch, Ö3 war wieder mal lustig, unterhaltsam. Aber wir nutzen es nicht dazu, um lange Texte online zu stellen, sondern immer unterstützt – und das sagen auch alle wenn ein Posting gut ankommt – mit einem Bild oder einem Video. LS: Brecht fordert in seiner Radiotheorie die aktive Miteinbindung und Partizipation des Publikums. Wie Sie gesagt haben, werden bei Ö3 ja Postings nicht stark in Sendungen miteinbezogen, kann Facebook dennoch ein Tool dafür sein? AM: Ja, da habe ich vorher vielleicht etwas vergessen. Die Moderatoren schauen ununterbrochen auf Facebook rein und es ist daher absolut ein Instrument zur Partizipation in diesem genannten Sinne, denn es ist nicht mehr nötig ins Studio durchzukommen oder ein SMS an Ö3 zu schicken, sondern die Moderatoren lesen mit und in einer der nächsten Moderationen kann es auch sein, dass genau diese Mitteilung eines Hörers ins Programm genommen wird. Wobei man schon auch sagen muss, dass sind meistens keine Debatten auf hohem gesellschaftlichen oder politischen Niveau. Das sind meistens Statusmeldungen von Hörern wie „Sitze gerade auf der Terrasse, trinke ein Tasse heiße Milch und hätte mir den und den Song gewünscht“. Aber trotzdem ist es ein direktes In-Kontakt-Treten und auch ein Einflussnehmen aufs Programm, denn genau jetzt kommt dieser Song. Und was wir auch durchaus machen ist, wenn es eine Debatte gibt, die kontrovers ist wie Ganztagsschule – ja oder nein? kann es auch durchaus sein, dass wir dieses Thema dann posten und dann durchaus das ein oder andere Posting zum Thema ins Programm nehmen. Da muss ich jetzt etwas sagen zum grundsätzlichen Aufbau eines Radiostudios. Ein Radiostudio hatte immer ein Mikrofon, einen Moderator und immer schon vom ersten Tag an ein Telefon. Das Telefon im Radio war immer wichtig, und es ist auch weiterhin wichtig, weil das Telefon ja dem Hörer eine Stimme verleihen kann im Radio, das ist ja das was Radio kann. Trotzdem muss ich sagen, nachdem Facebook so rasch geht, weil ich kann gar nicht so rasch Telefonanrufe entgegennehmen wie diese Flut an Kommentaren mitlesen kann, ist es ebenso wichtig geworden. Da habe ich ja innerhalb kürzester Zeit hunderte Statusmeldungen. Trotzdem kann ich sie schneller überblicken, mir ein Bild machen wie so die Stimmung ist und auch das ein oder andere Posting herausgreifen. Das heißt natürlich ist Facebook, gerade im Radio, ein starkes Instrument, um dem Hörer die Partizipation am Programm zu ermöglichen. LS: Hat sich durch das Aufkommen von Facebook im Bezug auf den Journalismus etwas verändert? AM: Facebook und generell die sozialen Netzwerke, sind auch ein Basisrechercheinstrument für uns alle geworden. Waren es früher ausschließlich die Agenturen, die uns etwas geschickt haben, finde ich muss heute jeder Journalist auch ständig in den sozialen Netzwerken präsent sein, weil sich die Topmeldungen auch dort ganz rasch verbreiten. Das legendäre Beispiel, dass das illustriert, ist die Notlandung eines Piloten im Hudson River in New York. Die Welt hat davon erfahren, weil die Passagiere, als sie ausgestiegen sind mitten am Hudson River, getwittert und gepostet haben. Da war Twitter nachweislich schneller als jede amerikanische Agentur und wir hätten es ja sonst nur von einer Agentur erfahren. Auch da muss ich sagen, hätte ein Moderator seinen Twitter Account offen gehabt hätte er das mitbekommen.
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Ich persönlich nutze Facebook auch sehr stark um mich mit anderen Journalisten zu befreunden. So bekommt man viele Empfehlungen und man bekommt auch Vieles viel früher mit. Ich staune oft wie viele Nachrichten, die ich dann am Abend im Fernsehen sehe, ich im Laufe des Tages über soziale Netzwerke mitbekommen habe. Das verändert sehr wohl den journalistischen Alltag, insbesondere auch Twitter. Ich glaube, dass kein Medium daher drum rum kommt das zu nutzen. Nämlich nicht nur zum Spaß, sondern auch beruflich. Wir könnten bei Ö3 nicht Facebook und Twitter sperren, weil wir sagen die Leute sollen nicht so viel privat in ihren Accounts surfen. Hier lässt sich auch privat und dienstlich nicht mehr trennen. Ich checke privat meinen Account und sehe irgendein Katzenfoto von meiner Freundin, aber parallel bekomme ich auch eine ganz wichtige Information zum ersten Mal mit. Und da sind wir in einer ganz spannenden Debatte inwieweit die sozialen Netzwerke die Agenturen und die klassischen Medien generell ein Stück weit an den Rand drängen. Weil viele Aufgaben, die früher nur die klassischen Medien übernehmen konnten, übernehmen jetzt die sozialen Netzwerke. LS: Bricht das Gatekeeper-Modell also zusammen? AM: Ja, selbstverständlich. LS: Wo liegen den die Stärken von Facebook im Bezug auf den Journalismus? AM: Eine große Stärke ist das Empfehlungsmanagement. Also wenn meine Website, mein Artikel oder mein Blog, wenn er gut geschrieben ist, weiterempfohlen wird. Blogger, die sonst nicht wahrgenommen werden, können es schaffen plötzlich irrsinnig viele Leser zu haben und ein Blog dann auch plötzlich im Standard steht, weil die das übernehmen und merken das wird sehr oft geliked. Es gibt den Leuten, die sonst keine Redaktion, kein Geld und nicht die Macht der Medien hinter sich haben die Chance, wenn sie Publizieren eine große Leserschaft zu finden. Das ist ein Stück weit eine Demokratisierung der Medien. Und die großen Platzhirschen am Markt, wie die Kronen Zeitung, wie News, wie Ö3, wie Heute, verlieren an Macht. Das muss einem auch bewusst sein. Das Spannende ist, dass die Radionutzung trotz der steigenden Internetnutzung fast stabil geblieben ist und das liegt daran, dass das Radio schon vor 15 Jahren erkannt hat, dass es ein Nebenbei-Medium ist. Wir wissen wir werden von Leuten nebenbei genützt, während sie irgendetwas anderes machen. Bügeln, Haushaltsarbeit erledigen, im Auto unterwegs sind oder eben heute den Facebook Account womöglich sogar einschalten. Wir sind gut parallel nutzbar und das macht die sozialen Netzwerke noch interessanter. Ja, also dass man empfohlen wird, finde ich wahnsinnig spannend, weil damit auch wieder das Publikum entscheidet was lesenswert ist. Das ist auch ein wichtiger Punkt: ich lese plötzlich etwas oder schau mir etwas auf YouTube an, was ich nie im Leben gefunden hätte. Also das sich Leute gegenseitig einen Tipp geben: Schau dir das an! Das erweitert unseren Horizont so total. Diese Form etwas in den Vordergrund zu stellen und zu unterstreichen für die anderen, das finde ich das Spannendes und das Wertvolle daran. Facebook ist kein Medium an sich, aber es werden so viele journalistische Inhalte, die weiterhin professionell gefertigt wurden in Redaktionsstuben, verbreitet. Es ist ein neuer Verbreitungsweg, um völlig andere Leute über einen neuen Weg zu erreichen. LS: Was sind Defizite? AM: Natürlich kann Facebook nicht zum Mond fliegen. Das will es ja nicht. Sicherlich gefährlich ist, dass alles mitgetrackt wird und man Werbeeinschaltungen bekommt, die auf einen zugeschnitten sind. Das ist sicherlich etwas, was dem Ganzen auf den Kopf fallen weil, weil viele Menschen das nicht wollen. Dass man sehr viel Anonymität aufgibt, das ist sicher ein Defizit. Ein Defizit ist sicher auch, dass es ein wahnsinniger Zeitkiller ist, denn man sieht sich ja wahnsinnig viele uninteressante Statusmeldungen an, bis man eine interessante
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findet. Ein Defizit könnte sein, dass Facebook in Summe zu groß geworden ist. Ich fand es lustiger als ich nur 200 Freunde hatte und nicht 600. Und auch jetzt wo wir so viele Fans haben, merke ich, dass die Qualität der Postings nicht unbedingt zunimmt. LS: Welche Auswirkungen hätte das Facebook-Verbot für Ö3? AM: Ich bin sogar ganz sicher, dass unsere Seite von unseren Fans ein Stück weit weiter gepflegt werden würde. Wenn ich jetzt die Seite löschen würde, dass ist ja das was die Behörde eigentlich will, jetzt haben wir über Jahre diese Seite aufgebaut und ich lösche die Seite sagen wir – was übrigens ein wahnsinniger Verlust ist, weil das braucht ja über Jahre diese Fans aufzubauen – bin ich aber sich, dass wir in drei Jahren wieder 270000 Fans hätten. Also das ist auch das Spannende, was dem Gesetzgeber gar nicht klar ist, er kann es nicht auslöschen. Selbst wenn wir die Seite löschen, macht der Michi Kalopitsch in der Schweiz die nächste Seite auf oder ein anderer. Wir sehen aber schon, wenn wir dort nicht präsent sind – wir waren ja diese Woche, zwischen dem Entscheid des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes drei vier Tage nicht präsent und haben nichts gepostet – wir sehen sofort wie unser Wert „man spricht über Ö3“ dramatisch sinkt und der von Kronehit rauf geht. Es ist ja fast zu befürchten, dass der Verfassungsgerichtshof sagt Ö3 darf das nicht und dass es dann bis zu einer allfälligen Gesetzesänderung, die ja im Raum steht, ein halbes Jahr oder bis zu einem Jahr dauert. Dieses Loch würden wir sehr, sehr bedauern und ich finde es auch ungerecht, weil es uns ganz schön zurückwerfen würde. LS: Würde man on Air noch darüber sprechen dürfen? AM: Ja, das dürften wir, aber auch das ist eingeschränkt, weil wir dürften nicht sagen „wie wir auf unserer Seiten gesehen haben“, weil die gibt es ja dann nicht. Aber es kann uns niemand verbieten darüber zu sprechen. Unsere Moderatoren würden also die Seite weiterhin anschauen. Man muss sich aber schon im Klaren darüber sein, dass die Anzahl der Postings abnehmen würde. Also der Kanal ginge dann ein Stück weit verloren. LS: Wo sehen sie die Zukunft von Facebook im journalistischen Kontext? AM: Spannend. Erstens, es kann im Internet immer was Neues kommen, das alle lustiger finden und die Herde zieht weiter, das kann passieren. Was nicht passiert ist – das hat man ja bei Google Plus schon gesehen – dass wenn jemand ein Produkt herausbringt, das ähnlich gut ist da wechseln die Leute nicht. Da ist es zu mühsam sich einen neuen Freundeskreis aufzubauen. Ich hab es auch versucht, schaff es aber einfach nicht. Auch Ö3 ist bei Google Plus natürlich vertreten, hat dort aber nur ein paar 100 Freunde gegen Hunderttausende bei Facebook. Viele glaube ich auch werden überdrüssig. Also ich bin sicher es gibt bei Facebook jetzt dann irgendwann einmal auch den Punkt, wo viele sagen, ich brauche das doch nicht für mein Leben. Aber es gibt auch jetzt noch Leute, die sagen oje, es geht wirklich nicht anders. Es wird weiterhin steigen, aber es wird auch parallel eine Austrittswelle geben. Oder einen stillen Austritt, so dass man nicht einmal sich abmeldet, sondern einfach nichts mehr postet. Auch ich merke bei mir ich war privat schon aktiver. Ö3 ist natürlich weiterhin aktiv mit einmal täglich, weil wir glauben, dass das gescheit ist so zu machen, das machen wir aus Professionalismus. Wenn es den Leuten nicht mehr so wichtig ist und nicht mehr so eine große Rolle spielt, wird Facebook vielleicht als Selbstverständlichkeit bestehen bleiben, aber es wird nicht mehr so Top of Mind sein. Es wird ein ganz selbstverständlicher Kanal sein, mit dem wir uns vielleicht mal ein Treffen mit Freunden ausmachen. Das wird bleiben, das ist ja auch irgendwie praktisch. Es wird es immer geben, aber es wird nicht mehr diese Bedeutung haben wie jetzt.
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Aber gleichzeitig werden auch nie wieder die klassischen Medien so bedeutend sein, wie sie mal waren. Also das ist dann trotzdem passiert. Das wäre derzeit meine Theorie. Und was ich aber nicht weiß, ist, kommt in den nächsten zwei, drei Jahren etwas Neues, was irgendwas kann, was uns beiden jetzt nicht einfällt. Weil hätten wir die beide die Idee, dann würden wir es ja auch machen und auch Mark Zuckerberg heißen und auch reich werden. Deshalb kann ich nicht sagen, was es ist. Und das Spannende ist, dass sich Facebook nicht richtig kommerzialisieren lässt. Alles was sie kommerziell machen, macht sie auch unsympathisch, das könnte Facebook umbringen. Jetzt ist es ja schon so, dass eine Statusmeldung nicht mehr allen angezeigt wird, es sei denn du wirfst Münzen ein. Das ist ja ein Geschäftsmodell – willst du, dass alle deine 270000 Fans deine Meldung sehen, musst du etwas zahlen. Das ist jetzt ganz neu. Wir haben das auch stark gemerkt, wir haben nicht mehr so viele Likes wie früher. Jetzt werden Ö3 Statusmeldungen nur mehr Leuten angezeigt, die irgendwann einmal in der letzten Zeit unsere Seite besucht haben. Das heißt obwohl du einmal Fan geworden bist von einer Seite, kann es sein, dass in deinem Newsfeed nie wieder etwas von denen auftaucht. Und das macht es aber unsympathisch, weil das war das Verlässliche an Facebook, so wie ein Telefonnetz verlässlich sein, dass ich wusste wenn ich etwas poste, dann sehen das alle meine Freunde. Sonst hieß es immer Reichweite ist so etwas Wertvolles, jetzt heißt es aber willst du die 100% Reichweite, dann musst du zahlen. Und das macht Facebook so unsympathisch. Und wir sind dann zum Beispiel auch nicht bereit jetzt hier Geld einzuzahlen. Das wäre dann auch kritisch zu hinterfragen, warum der öffentlich rechtliche Rundfunk dann auf einmal Geld einwirft. Gleichzeitig wenn sich Facebook nicht kommerzialisieren lässt, könnte es auch einmal Pleite gehen. Das heißt, du hast zwar den größten Staat der Welt, einen ganzen Kontinent an Usern, aber es finanziert sich nicht. Weil eines darf man nicht vergessen, das ist ja eine wahnsinnige Rechenleistung und eine Serverleistung, was da weltweit abgeht. Und das könnte das auch eigentlich umbringen, weil der Börsengang hat ja ein Stück weit nicht geklappt. LS: Radio ohne Facebook, ist das noch möglich? AM: Ja, war es ja immer. Natürlich ist Radio ohne Facebook möglich und wird auch sehr gut weiterhin funktionieren. Nur das ist schwierig, weil Radio ist ohne Mobilfunktelefon ja auch möglich, weil dann rufen die Hörer uns halt vom Festnetz an und wenn es das Festnetz nicht gebe würden sie uns Postkarten schicken und dann den Reiter los schicken. Ich glaube die Zeit lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Nachdem die Mehrheit unserer Hörer über Facebook kommuniziert muss Ö3 auch weiterhin auf diesem Kanal erreichbar sein, der heute mindestens so wichtig ist wie das Telefon oder sogar wichtiger wird. Das wissen wir ja alle nicht. Ö3 darf an dieser Kommunikation nicht ausgeschlossen werden und insbesondere auch nicht gegenüber den Mitbewerbern. Da müsste man dann allen Radiosendern Facebook verbieten. Weil wenn man nur Ö3 Facebook verbietet, aber den Privatradiosendern nicht, dann ist das auch eine große Bevorzugung des Anderen und man schließt den ORF gezielt vor seiner Zukunft aus. Wir wissen ja nicht wie es mit Facebook weitergeht. Es kann ja auch an Bedeutung gewinnen, es muss ja nicht so sein wie ich gesagt habe. Also man darf den ORF nicht von der Zukunft abschneiden und daher nicht von den neuen Medien abschneiden. Das ist ja absurd. Alle zahlen ORF Gebühren, die Hälfte davon ist bei Facebook und darf über diesen Weg von ORF nichts erfahren. Das ist ja eigentlich ein Witz, wozu zahle ich dann Gebühren. Die Hörer zahlen ORF Gebühr, damit sie vom ORF Inhalte bekommen, unterhalten werden und etwas erfahren. Die zahlen ja nicht damit sie uns terrestrisch im
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Rundfunksender empfangen. Das ist ja den Menschen egal. Es ist ja zunehmend der Verbreitungsweg egal. Für mich ist ja Facebook nichts anderes als ein weiterer Verbreitungsweg neben UKW, so wie auch der SMS Newsflash Ö3 ist. Ö3 ist nicht nur Radio, Ö3 ist ja mehr Daher soll der Hörer auch Ö3 dort vorfinden, wo er es erwartet.
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Interview Rüdiger Landgraf (Kronehit) am 31.10.2012 Rüdiger Landgraf: RL Lisa Staltner: LS LS: In welchen sozialen Netzwerken tritt denn Kronehit auf? RL: Wir versuchen in allen sozialen Netzwerken dabei zu sein, das heißt wird sind logischerweise auf Facebook; Österreich ist ein Facebook-Land; wir sind ein bisschen auf Twitter, wir machen ein bisschen was bei FourSquare, ich glaube wir waren sogar mal bei StudiVZ, wir sind bei Google Plus. Da geht es aber prinzipiell einmal darum, dass du dir dort deinen Brand-Name sicherst und sich niemand anderer deinen Namen nimmt, und dann hat man Erfolg damit, dann hast du plötzlich ein Problem. LS: Warum ist der Auftritt in sozialen Netzwerken wichtig? RL: Wichtig ist nur Facebook, der Rest ist eigentlich vollkommen egal, für uns zumindest. Facebook ist wichtig, weil es einfach ein Massenkommunikationsmedium geworden ist, dass ich mehr oder weniger mit dem Telefon vergleichen würde. Es ist einfach für Hörer der direkteste Draht in den Sender. Dort wo sie früher E-Mails geschrieben haben oder vor sehr, sehr langer Zeit auch Postkarten geschrieben haben, um mit zu machen, sich eine Platte zu Wünschen oder ihrer Meinung kund zu tun, oder Leserbriefe geschrieben haben, dort gehen sie heute her und machen es einfach über Facebook. Wir sehen das recht deutlich, die Anfragen auf Facebook nehmen stark zu und die Anrufe beim Hörerservice nehmen stark ab. Das eine passt mit dem anderen zusammen. LS: Seit wann ist Facebook wichtig für Kronehit. RL: Gute Frage, wann war denn das eigentlich. Ich glaube vor drei Jahren ist das losgegangen, oder vor vier Jahren. Wir hatten am Anfang das Gefühl, das viele Medien damals hatten: „Facebook ist nicht cool, wir müssen unseren ganzen Content herschenken an die und die verkaufen es an die Werbung und wir bekommen nichts dafür. Machen wir uns lieber ein eigenes Netzwerk!“. Das haben wir auch versucht und wir sind, wie alle anderen, damit gescheitert, weil die Hörer und unserer Kunden einfach Facebook wollten. Deshalb mussten wir da rein gehen. Wir haben damals das gemerkt, dass einfach ein Hörer von uns, der Lukas Alton aus Vorarlberg, der hat eine Kronehit Seite gegründet, zum Spaß. Da haben wir gesagt das können wir auch und machen unsere eigene Kronehit-Seite und haben die dann promotet. Nur er war immer so um die 20000-30000 Fans vor uns und wir haben das nie aufgeholt. Er hatte dann irgendwie so 70000 und wir hatten 38000 und wir haben die beiden Seiten dann gemerged zu einer und von ihm dann auch dankenswerterweise die Administratorenrechte von dieser Seite bekommen. Und das war am Anfang schon eine interessante Erfahrung, weil du dir denkst „um Gottes Willen, da macht jemand mit meinem Namen, mit meiner Brand etwas – kann ich ihn verklagen?“ und dann denkst du dir aber „ist eigentlich eh cool, der hat sich das angetan und das aufgebaut – vielen Dank!“ und versuchst einfach mit ihm zu kooperieren. Das hat dann gut geklappt eigentlich. LS: Wie viele Fans gibt es jetzt aktuell auf der Seite, die auch aktiv sind? RL: Es gibt zwei Werte, die man ganz einfach sieht, bei jeder Seite, auch wenn man nicht Administrator ist. Das ist der „Like-Wert“ und der „Sprechen-Über Wert“. Der „Sprechen-Über Wert“ ist der auf den wir optimieren, der uns der wichtigere ist, weil er den „Like-Wert“ quasi nach sich zieht. Durch „Sprechen-Über“ hast du eine höhere virale Verbreitung, es werden Leute mit deiner Brand konfrontiert, die vielleicht noch nicht damit konfrontiert waren. Das kannst du mit Likes steigern. Bei den Likes haben wir jetzt vor zwei Tagen die viertel Million überschritten, also über 250000. Der sprechen Über Wert, da haben wir uns
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damals das Ziel gesetzt, dass wir am 1. Mai 10000 haben. Die haben wir übersprungen und das schwankt natürlich, aber zwischen 20- und 40000 ist es meistens. LS: Welchen Stellenwert nimmt Facebook bei Kronehit ein? Wie wichtig ist es und wie sehr ist es auch in journalistische Routinen mit ein gebettet? RL: Facebook ist für uns ein ganz wichtiges Kommunikationstool. Ich würde Facebook beschreiben wie einen Sender, wie ein Podcast-Tool letztendlich, mit Interaktionsmöglichkeit. Zum einen bietet es uns die Möglichkeit die Markenerinnerung von Kronehit immer wieder zu stützen, das ist sehr wichtig, weil der Radiotest ja auf Erinnerungswerten basiert. Wenn du jetzt ein cooles Posting rausfetzt um zwölf Uhr mit einem Kalenderblattspruch, was Leute gerne haben und gerne Sharen und irgendwo ist Kronehit dabei erhöhst du einfach die Chance, dass die Leute wahrnehmen, dass es dich gibt und dich angeben im Radiotest. Und das Zweite ist, das du logischerweise auch Dinge machen kannst, die deine Brand besser definieren. Du sharest Dinge, genauso wie Menschen, die Facebook verwenden auch, sie sharen Dinge, von denen sie glaube, dass sie dadurch in den Augen ihrer Freunde cool werden. Also das ist eine reine Posting Sache, es shared ja keiner, weil sie wirklich teilen möchten, sondern man shared, weil man damit cool ist. Und das tun wir natürlich auch. Deshalb würde ich es prinzipiell als ein Broadcast- und Marketing-Tool sehen. Als Researchtool bedingt, also du kannst Themen lancieren und schauen ob das Thema starken Feedback hat, aber da würde ich andere Tools vorziehen, da finde ich Facebook zu unexakt. LS: Wie wird es bei Kronehit konkret genutzt, was wird alles gemacht mit Facebook? RL: Zum einen haben wir eine Art Facebook-Posting-Promotion-Plan, wo wir genau definieren zu welcher Zeit wir was reinschreiben. Mit einer Mischung aus Postings die optimieren auf die Zahl der Teilungen, also den viralen Effekt, und die auf der anderen Seite optimieren auf den Inhalt, den wir vermitteln wollen. Und wenn das in einem Posting gelingt, dann ist das überhaupt super. Also eine Mischung aus diesen beiden Dingen. Das Zweite ist wir nutzen es als Feedback-Kanal, das heißt wir versuchen alle Postings und alle Anfragen, die uns auf Facebook erreichen, zu beantworten. Was auch der primäre Grund für unseren Absprung war. Wir haben nie eine große Promotion auf Facebook gespielt oder so, sondern es hat sich einfach ergeben dadurch, dass die Leute gemerkt haben sie werden ernst genommen und ihre Anfragen werden beantwortet. Das funktioniert eigentlich ganz gut. LS: Inwiefern werden jetzt auch Inhalte, die auf Facebook von Hörern gepostet werden zur Programmgestaltung genützt? Spielt das auch eine Rolle? RL: Ja das passiert schon. Ein schönes Beispiel ist jetzt bei unserer Challenge „Kronehit Panik Wochen – Meinrad und Dani stellen sich ihren Ängsten“, wo natürlich auch Leute auf Facebook ihre Ängste gepostet haben und wir diese Sachen reingenommen haben ins Programm, darüber geredet haben, dann auf unserer Homepage gegeben haben, dann eine Abstimmung auf unserer Homepage gemacht haben und dann muss die Dani die Vogelspinne streicheln, was eben letztendlich von den Hörern eigentlich auch ursprünglich kam von Facebook. Wo wir es auch machen ist natürlich jeden Tag bei den Most Wanted, wo die Hörer die Nummer Eins bestimmen auf Facebook. Am Freitag beim Songbattle. Wir haben eine eigene Facebook-App zum Voten am Wochenende für das Fresh Weekend. Also klar, da wird Interaktion schon sehr ernst genommen und oft gehen Moderatoren her, gerade am Wochenende oder in der Nacht, und posten Dinge auf Facebook und nehmen dann die Kommentare der Leute in die Moderation auf.
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LS: Wie wichtig ist denn auch die Rolle von Facebook als reines Marketing-Tool? RL: Für uns ist es sehr wichtig. Wir verkaufen ja dem Endkunden kein Produkt, sondern wir leben von einerseits der qualitativen Markenwahrnehmung und andererseits auch dem Erinnerungswert an sich. Und in beiden Dingen hilft dir Facebook weiter. LS: Steht diese Funktion über der Möglichkeit das auch zur Programmgestaltung und zur Einbindung zu nutzen? RL: Ja. LS: Wie essentiell ist denn die Interaktion mit den Hörern via Facebook? RL: Es ist sehr wichtig. Wenn du dich betriebswirtschaftlich auseinandersetzt mit dem Kundenmodell, dann haben Kunden ja verschiedene Werte für einen Sender. Für uns ist der Wert, dass er uns im Radiotest angibt wichtig, auf die Art kommen wir zu Hörerzahlen, die wir dann angeben können. Ein wichtiger Kundenwert ist Feedback, das die Kunden uns sagen das ist gut und das ist schlecht. Ein wichtiger Kundenwert ist der Referenzwert, dass uns der Kunde weiterempfiehlt an seine Freunde. Da ist Facebook natürlich super aufgrund der Struktur des ganzen. Ein wichtiger Kundenwert ist die Frage ist der Kunde abseilbar? Können wir aus dem Kunden, aus dem Hörer, dadurch, dass er auf Facebook ist mehr Geld rausholen? Leider nein, weil das Facebook tut für uns. Aber wir können schauen, dass er eine dichtere Anbindung bekommt zu Kronehit und es intensiver nützt und das wiederum ist für uns ökonomisch wichtig. Ich bin überzeugt davon, dass ein Teil des Zugewinns, den Kronehit in den letzten Jahren gehabt hat, eben auf dieser Strategie mit digitalen Maßnahmen Kunden oder Hörern, die bereits Kronehit kennen, noch enger an Kronehit zu binden, dadurch deren Hörverweildauer zu steigern oder zu schauen, dass sie jeden Tag einschalten und nicht nur jeden zweiten Tag, also dieses besseres Ausschöpfen des weitesten Hörerkreises und das ist darauf zurückzuführen, dass wir die Hörer mit digitalen Medien immer wieder daran erinnern, die analoge Brand beim Radiotest anzugeben. LS: In der Theorie wird sehr oft Partizipation gefordert… RL: Brecht, da sind wir ja schon mittendrin. (lacht) Ich frage mich immer was hätte sich Brecht gedacht, wenn er sehen würde wie Facebook die Mediengestaltung beeinflusst und wie die Partizipation, die er gefordert hat, zu einer völligen Trivialisierung der Medien führt. Das wäre wirklich eine spannende Frage – Was hätte Brecht gesagt, wenn er Facebook gekannt hätte? (lacht) LS: Inwiefern ist denn jetzt diese Möglichkeit da, dass die Hörer aktiv mitbestimmen können? Ist das mit Facebook entstanden? RL: Das ist natürlich damit entstanden und zum Teil nicht. Es gibt ein schönes Beispiel, nämlich anhand von Songs kann man es gut darstellen. Es gibt einen Song von einem bekannten Südkoreanischen Künstler namens Psy, Gangnam Style – der einzige Popsong aus Südkorea, der uns einfallen würde – und immer wenn wir auf Facebook die Frage stellen ob PSY oder z.B. Christian Aguilera, Rihanna, Shakira, oder wer auch immer gewinnen soll, da wird sich PSY durchsetzen. Soll man daher ein Massenmedien, ein analoges wie es Kronehit ist, wo wir ja nicht individualisiert ausliefern können, wenn wir Psy spielen hören es ja alle, da kann man nichts dagegen tun, sollen wir das deswegen spielen oder nicht und ich sage nein. Deshalb weil es auch auf Facebook zwei Dinge gibt, erstens, das Prinzip der schweigenden Mehrheit, die meisten Leute partizipieren nicht. Wir haben mehr als 250000 Fans auf Facebook und einen 24000 Sprechen-Über-Wert und bei Abstimmungen machen dann 300 Leute mit. Wir haben aber 2,6 Millionen Hörer (weitester Hörerkreis pro Woche) und wir haben knapp 900000 Hörer täglich. Die Art und Weise wie sich jetzt jemand zu PSY bekennt, ob das wirklich eine repräsentative Auswahl ist, das bezweifle ich zutiefst und deswegen kommen wir hier an normalem Research nicht vorbei.
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Was wir ja gemacht haben ist, wir haben einen eigenen Kanal erschaffen der heißt Kronehit Interactive und da können wir Wünsche von Leuten unmittelbar erfüllen. Und das finde ich ja extrem spannend. Es geht den Leuten ja nicht darum, im Sinne einer eigenen Nutzensoptimierung, den Content gleich zu bekommen. Früher hätte man gesagt ok, da gab es noch Plattengeschäfte, da musste man zu Fuß hingehen und es gab Radio. Viele andere Möglichkeiten zu Musik zu kommen hatte man nicht. Da war es dann nicht blöd, wenn man beim Radiosender anruft, sich eine Platte wünscht und die dann auf Kassette aufnimmt. Und wenn der Presenter reingesprochen hat, dann waren alle total gepisst, so war die Situation damals. Das ist heute in bisschen anders. Heute geht man auf YouTube und hat instant in 0 Sekunden jeden Song, sogar in legaler Weise, in einer Audioqualität, die ok ist und kann ihn sich anhören. Trotzdem gehen Leute her und Wünschen sich Songs auf Kronehit und man fragt sich natürlich warum tun die das? Und die tun das glaube ich aus zwei Gründen: Zum Einen, weil sie unsere Marke mögen und uns gerne mit dieser Musik, die sie auch mögen assoziieren und zum zweiten weil sie das Gefühl haben damit die Allgemeinheit zu bestimmen. Ein erfolgreicher Musikwunsch auf Kronehit ist so wie ein Facebook-Posting mit 100000 Likes, weil wir 100000 Hörer in einer viertel Stunde haben. Und das mögen Leute, weil sie schon ganz gerne im Mittelpunkt stehen. Die sagen „He geil, sie haben PSY gespielt und ich habe es mir gewünscht und das ist cool“. Und dann gibt es auch noch eine ganz kleine dritte Gruppe, das sind Leute die sagen ich finde den Sender eigentlich furchtbar, ich höre lieber einen anderen Sender, und die sollen jetzt mal was spielen was eigentlich überhaupt nicht zu unserer Markenlogik passt. Also ACDC zum Beispiel überhaupt nicht Kronehit Musik trotzdem wünschen sich das Leute ab und zu und denen sagen wir dann einfach, „ACDC ist voll ok, aber es ist nicht Kronehit“. Und mit diesem Kronehit Interactive haben wir ein Tool geschaffen, mit dem wir sehr, sehr kurzfristig die Hörerwünsche auch befriedigen können. Nur ist da sehr oft das Problem, die wünschen sich oft eine Platte, die man vor einer Stunde gerade gespielt hast und das kannst du dann nicht machen, weil dann hassen dich ja alle wegen der Wiederholung. LS: Die aktive Mitgestaltung passiert also mehr am Sidechannel als im Sender selbst? RL: Ja genau. Sie passiert on air eben in wohl definierten Kriterien, wie Most Wanted, wie Fresh Weekend, wie Songbattle am Freitag, Votings zu verschiedenen Themen, das findet absolut statt. Aber es ist leider nicht so, dass man einer kleinen Gruppe an Menschen, die sich selbst ernannt haben, also den dichtesten Fans, die komplette Kontrolle über ein Medium übertragen kann, dass von den meisten Menschen in sehr, sehr passiver Weise genutzt wird. Ich glaube das würde nicht funktionieren. Es wäre dann kein Massenmedium. Ich meine das ist eh ok, es kann ja auch jeder auf Spotify seine Musiklisten zusammenstellen und das ist auch super. Aber es wäre glaube ich falsch auf normalen Research zu verzichten, den wir sehr, sehr intensiv betreiben. Und es ist ja immer witzig, dass einerseits das partizipative in Social Media Networks als ethisch gut gilt und Research als ethisch schlecht. Das ist ein hoch interessantes Phänomen eigentlich. Bei letzterem habe Leute das Gefühl, dass ist so eine kalte Geschichte mit Zahlen. In Wirklichkeit versuchen wir aber nur eine Methode zu finden, dass auch die schweigende Mehrheit partizipieren kann. Also letztlich versuchen wir durch Forschung die Partizipation über die Frage der persönlichen Involviertheit der Person hinaus zu stretchen, damit auch die Leute mitmachen können, die nicht auf die Idee kommen auf Facebook zu posten und sich PSY mit Gangnam Style zu wünschen. LS: Also sie werden quasi nicht direkt zu Produzenten, aber durch Side Channel schon? RL: Sie werden auch zu Produzenten und wenn sie etwas Witziges posten, und der Moderator sagt „Hey, ich glaube das überhaupt nicht was die Kathi da gerade gepostet hat,
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die hat sich bei einem Blumentopf den Finger eingezwickt und ein cooles Foto geshared“, dann ist sie auch schon eine Produzentin, das kann schon passieren. LS: Werden die Hörer auch aufgefordert dazu? RL: Ja, aber eben in einem bestimmten Gerüst und Rahmen, dass der Markenerwartung von Kronehit entspricht. LS: Inwieweit ist Facebook auch zur Hörergenerierung und –Bindung relevant? RL: Wie ich vorher gesagt habe eben sehr, sehr wichtig, aufgrund des Radiotests, wie er erhoben wird. Da ist es wichtig, dass wir eine Erinnerungsstütze haben. Und es ist wichtig, dass Leute öfters mit unserer Brand konfrontiert werden, öfters etwas von Kronehit sehen, was ihnen sympathisch ist. Die werden eine höhere Chance haben den Sender weiter zu empfehlen, sei es auf Facebook oder in der Real World, die werden eine höhere Chance haben auf unserer Website zu gehen, wo wir sie dann wiederum anders vermarkten können. Die werden auch eine höhere Chance haben öfters den Sender aufzudrehen und das ist sehr, sehr wichtig. Ich kann es logischerweise jetzt nicht rausrechnen und quantifizieren. Das wäre super, wenn wir das könnten. Aber was schon klar ist, ist dass so ein digitaler Streuartikel (Hier muss ich das Copyright für diesen schönen Ausdruck an Albert Malli von Ö3 weitergeben) diesen Sticker irgendwie abgelöst. Früher, beim Start der Privatradios in Wien 1998, da haben zwei Sender, nämlich 88,6 und Antenne, die Stadt einfach voll geklebt mit Stickern. Die hängen teilweise noch immer. Und wir haben versucht überall irgendwo unser Logo hinzuhauen, damit die Leute das Gefühl haben „he cool, der Sender ist in der ganzen Stadt, den muss ich auch mal ausprobieren“. Und das gleiche machen wir heute digital. Facebook ist da natürlich ein ganz wichtiges Tool. Wir machen natürlich auch Banner Werbung und andere soziale Netzwerke und so weiter, aber innerhalb aller Maßnahmen im digitalen Bereich ist Facebook sicher mit Abstand die wichtigste. LS: Würdest du sagen, dass die wachsende Hörerzahl von Kronehit durchaus auch auf Facebook zurückzuführen ist? RL: Ja, auf jeden Fall. Ich bin überzeugt hätten wir kein gute Strategie auf Facebook gehabt, hätten wir weniger Hörer. Ich kann es natürlich nicht beweisen, aber ich bin wirklich überzeugt davon. LS: Inwieweit wird denn Facebook genützt um journalistische Nachrichten zu verbreiten? RL: Wir haben eine eigene Gruppe dafür gemacht, die Kronehit News Update Gruppe, die ist um einiges kleiner als die normale Kronehit Gruppe. Ist allerdings auch nicht so klein, hat ca. 12000 Fans. Der Grund warum wir das gemacht haben war, du hast in den Nachrichten sehr oft ernste Themen, oder Themen, die stark polarisieren und Kronehit sieht sich selbst vorrangig als Entertainment Brand und deshalb haben wir diese zwei Gruppe getrennt. Mittlerweile wo das Nachrichtenformat sich noch stärker der Fläche angeglichen hat ist die Trennung gar nicht mehr so logisch. Weil wenn ich mir das anschaue „Sag uns deine Meinung zu diesem Trend: Irre bunte Kücken“ da sage ich mal das könntest du vermutlich auch in der normalen Gruppe posten – das ist schon ziemlich Mainstream. LS: Aber auch hier wird die Interaktion groß geschrieben? RL: Ja, ich glaube das könnte man aber noch besser machen. Was wir noch zu wenig machen ist, wir binden oft zu wenig Votings und so weiter ein. Wir sagen Leute poste deine Meinung, die posten dann ihre Meinung und dann machen wir nichts damit. Also das können wir noch besser machen. LS: Partizipation findet hier also noch nicht statt, die ist zurzeit mehr im Unterhaltungsbereich angesiedelt? RL: Ja, auf jeden Fall.
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LS: Hat sich seit dem Aufkommen von Facebook im Journalismus etwas verändert? RL: Ich glaube nicht, dass es den Journalismus so stark betroffen hat. Ich glaube das was den Journalismus am meisten betroffen hat war Google, also die Möglichkeit alles was du brauchst an Hintergrundwissen zu finden. Das war eine massive Veränderung. Aber Facebook, ich glaube nicht. Natürlich gibt es Nachrichten über Facebook. Wenn Pink irgendetwas auf Facebook postet dann hat das natürlich Nachrichtengehalt. Ähnlich wie wenn sie es auf Twitter tun würde. Und wir haben ja auch viele Meldungen über Facebook drinnen. Wenn der HC Strache auf seiner Seite ein Posting löscht, ist das natürlich für Kronehit eine interessante Geschichte. Du hast einen Politiker, den die Leute kennen und du hast ein Medium, dass die Leute kennen, ergo hast du eine Meldung, die einen Anknüpfungspunkt für unsere Hörer hat und das ist schon wichtig. Das kommt schon vor, aber als Recherchetool wird es weniger verwendet. LS: Ersetzt Facebook etwas das vorher nicht da war? RL: Das Telefon. Das Hauptmedium das an der Nutzung gelitten hat ist das Telefon. SMS glaube ich auch schon. Es ist einfach ein Kommunikationstool. Es ersetzt zum Teil auch Versuche Diskussionsforen für den eigenen Sender auf den eigenen Seiten anzubieten. Also diese Sache einfach wegintegriert. Was zum einen blöd ist, weil man natürlich mit den anderen Dingen Geld verdienen konnte. Sei es mit Mehrwertnummern ins Studio oder Werbung auf der Website. Aber zum anderen natürlich den Vorteil hat, dass es wirklich ein extrem gutes Tool ist um Stammkundenpflege zu betreiben und die Brand viral weiter zu betreiben. Also insoweit sehe ich das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. LS: Und rein im Bezug auf die Berufsrolle als Journalist, hat es da Veränderungen gegeben? RL: Bei uns ist es so, dass jeder Facebook verwendet in der Arbeit. Das hat den Alltag schon verwendet, wie viel jetzt davon private oder berufliche Nutzung von den Mitarbeiten ist, ist mir eigentlich egal, Hauptsache sie verwenden es und bekommen Trends mit. Das ist glaube ich eine Sache: für Trending ist es relativ gut. Zum Beispiel das Heinzeling: Diese nette Geschichte, dass sich Leute nachdem sie getroffen wurden mit 10s Delay umfallen lassen. Da musst du natürlich schon auf Facebook sein und schauen was passiert. Für Trends ist es total gut, das gemeinsam mit Google Trends sind eigentlich die zwei Tools wo du schauen kannst, was ist gerade en Vogue. Wo du früher gesagt hättest so jetzt fahre ich kurz nach München und gehe nach Schwabingern und schau worüber die Leute reden (da reden wir jetzt wirklich über die 80er Jahre), das macht man heute einfach auf Facebook und du schaust einfach was die Themen sind. Beispiel: Wenn der Baumgartner da runter hüpft aus der Stratosphäre und du siehst in deinem Account wie 50 Leute innerhalb von 10 Minuten diesen Content geteilt haben, dann kann man schon davon ausgehen, dass das wahrscheinlich kein schlechtes Thema ist. Es ist halt wichtig, dass du viele Leute in deinem eigenen Profil, oder in dem das du auch professionell verwendest, die aus deiner Zielgruppe sind, um zu schauen wie ticken die und was ist wichtig für die. LS: Bricht das Gatekeeper Modell durch Facebook zusammen? RL: Ja, das stimmt schon. Ich glaube, dass das zum Teil stimmt, aber nicht in der Form wie man sich es vorstellt. Das Gatekeeper Modell geht ja davon aus, dass aus einer großen Fülle von Informationen aus Nachrichtenagenturen, also Informationen, die nicht der Allgemeinheit zugänglich sind, der Journalist auswählt im Sinne einer Client Beziehung zu seinem Hörer/ Leser und sagt „das sind die richtigen Meldungen für dich“ und der mag das auch. Das stimmt sicherlich noch immer, vor allem bei Musik. Da stehen Leute schon darauf, dass wir für sie auswählen, weil sie meistens nicht die Zeit haben sich selbst damit zu beschäftigen.
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Es führt allerdings zu einer anderen Sache. Bislang waren die Medien eine Art Sitcom und die Charaktere in der Sitcom, mit der Leute zwangsweise konfrontiert wurden, weil es in den veröffentlichten Medien so war, waren Politiker, vielleicht ein paar Künstler und vielleicht ein paar Experten. Und das war die Plattform. Die Leute wussten einfach, das ist der Bruno Kreisky, weil wenn sie auf beiden Kanälen durchgeschaltet haben, hast du ihn gesehen. Heute müssen sich die Menschen diesem medialen Druck nicht mehr aussetzen, weil die Information, die sie konsumieren ist „Ist die Kathi wirklich zusammen mit dem Horsti“, weil Facebook. Das tägliche Leben in all seiner Trivialität verdrängt die Konsumation von Nachrichten im klassischen Sinn. Das ist so. Ich glaube das Leute heute, obwohl ich keine Zahlen habe, viel mehr Zeit mit Facebook verbringen als damit z.B. Websites aufzusuchen, die etablierte Nachrichten aufbringen wie orf.at oder kronehit.at oder standard.at. Also dieser Verdrängungskampf findet statt. Ob man das jetzt auch als Nachrichten sieht in diesem eingangs betrachteten Modell oder sagt, dass ist quasi der Tratsch, der sich auf die elektronischen Medien verlagert hat, weiß ich nicht, ist aber letztlich auch egal. Ich glaube einfach, dass die Leute nicht mehr so leicht mit politischer Information erreichbar sind, weil sie konkurrenzieren mit Dingen und Gerüchten aus ihrem Bekanntenkreis, mit Dingen die sie lustig finden. Das ist glaube ich die große Herausforderung für den Journalismus aus unserer Sicht, weil wir eine junge Zielgruppe haben, Nachrichten so zu gestalten, dass sie in diesem Wettbewerb überleben. Das sie da durchkommen in diesem Wettbewerb. LS: Kann das Feedback auf Facebook und die Starke Masse der Fans auch dazu führen, dass im Programm etwas verändert werden muss, weil die Leute unzufrieden sind? (Stichwort Shitstorm TacaPRO TacaNO) RL: TacaPRO/TacaNO war ja eine Geschichte wo es darum ging, dass sich Leute einen einzelnen Song zu spielen oder nicht, was sich dann ausgebreitet hat in einen „Giant Shitstorm“ mit dem Thema spielt Kronehit generell die Titel generell zu oft. Ein Shitstorm, der dann durch die virale Teilung sehr viele Leute angesprochen hat, die keine Kronehit Hörer sind, eben dazu geführt hat, dass viele Leute dann gesagt haben, „Hey, ihr spielt kein ACDC – das ist ein Scheißsender“. Wo wir dann gesagt haben ok, wir spielen kein ACDC, dann sind wir für dich halt ein Scheißsender. Wir sind kein Radio für jeden, das ist schon klar. Das war eine hochinteressante Erfahrung. Wenn du da in der Mitte drinnen stehst ist das nicht angenehm. Auf der anderen Seite musst du dir auch überlegene eine Brand zu haben, die dazu führt, dass sich Leute wirklich die Mühe machen und zu sagen ich mag euch nicht, will ihr kein ACDC spielt, das ist eine Leistung. Normalerweise wäre es mir ja egal. Ich sage ja auch nicht „Ich poste auf die Hyundai, ich mag Hyundai nicht, weil Servolenkung ist schlecht“, Also das zeigt, dass Leute schon auch einen gewissen emotionalen Bezug dazu haben. Das ist schön. Es ist sehr, sehr fein, dass Radio diese Emotionalisierung schafft. Ich habe noch nie von einem Shitstorm gehört bei einem Fernsehsender oder bei einer Internetseite. Und das zeigt wirklich, dass Radio wirklich einen sehr, sehr engen emotionalen Touch und Bezug zu seinen Hörern hat. Wir haben uns dann überlegt ok, wir haben jetzt das Problem, dass die Leute das hoch stilisieren und das war gut für unsere Marke. Aber wie können wir damit jetzt operieren und daraus haben wir eben die Aktion gebrannt TacaPRO oder TacaNO, sollen wir den Song weiterspielen oder nicht. Wir wollten einfach durch Teilen des Bildes ausprobieren wie gut teilen funktioniert viral. Und wir haben rausgefunden das funktioniert eigentlich relativ gut und wir haben während dieser Zeit auch einen extrem starken Zuwachs an Fans gehabt. Es war so, dass viele Leute dadurch wiederum in Kontakt mit der Marke gekommen sind.
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So ein Shitstorm hat eine Dynamik die ungefähr 12-13 Tage hält und dann gehen die emotional Betroffenen weiter zur nächsten Station. Dann zieht er wieder weiter und dann musst du aber schauen, dass du in dieser Zeit die du hast; also in dieser Tension Span, die sehr, sehr groß ist dadurch; dass du dich gut verhältst und versuchst den Rückenwind des Shitstorms zu nutzen um deine Brand weiter segeln zu lassen. Ich glaube wir haben es ganz gut gemeistert. LS: Wo liegen die Stärken von Facebook im Bezug auf Radio? RL: Eine Stärke ist die Reichweite, das ist super. Es verwendet praktisch jeder in der Zielgruppe über 30. Es verwendet fast keiner in der Zielgruppe über 40, aber das ist uns als Kronehit egal. Das ist die größte Stärke LS: Defizite, Schwächen? RL: Schleißig programmiert, ändert dauernd die Regeln. Du hast viel Arbeit wenn du mit irgendwelchen Facebook Funktionen arbeitest wie Facebook-Login weil über Nacht Schnittstellen geändert ohne Ankündigung, die Webseiten zum Erliegen bringen, wie wir es im Sommer mal hatten ungefähr zwei Tage lang. Das ist super zach. Die Statistik Auswertungen sind zum Teil fragwürdig. Der Zugewinn von Hörern, der immer so impulsartig passiert, glaube ich wird in Wirklichkeit auch nicht so stattfinden. Da sind die Statistiken ein bisschen Mau. Die mobile App ist extrem schlecht um jetzt wirklich ein freundliches Wort zu verwenden. Die Zuverlässigkeit auf Facebook, dass du Push-mäßig über neue Nachrichten informiert wirst, auf die würde ich mich nicht verlassen. Das nervt schon unglaublich, dass es einfach nicht gut funktioniert. Und diese Umstellerei geht mir auch auf die Nerven, also das mit der Timeline. Das ist der Nachteil. Diese Inkonsistenz und das es alles relativ rasch zusammengewürfelt wurde und die Zuverlässigkeit dann halt überschaubar ist. Und was natürlich auch immer blöd ist, dass du als Brand natürlich von Facebook auch erpressbar bist. Du musst schon extrem aufpassen, alle Promotion Guidelines wirklich genau einzuhalten. Viele kleinere Seiten machen das nicht. Die gehen her und sagen „wenn du mich likest, dann kannst du was gewinnen“. Mit 250000 Fans hast du einfach ein Inventory, dass du nicht verlieren magst du deshalb musst du extrem sauber und exakt nach den Regeln von Facebook vorgehen. Das tun wir aber auch und das passt schon. LS: Ist die Fülle an Inhalten und das unkontrollierte Feedback ein Defizit von Facebook? RL: Nein, das fände ich furchtbar. Das soll ein offener Austausch sein. Genauso wenig wie ich verhindern kann, dass jemand einen Freund anruft und sagt Kronehit ist schlecht, genauso wenig möchte ich verhindern, dass jemand das auf Facebook auf meine Seite schreibt. Das ist sein gutes Recht und unser gutes Recht, darauf zu reagieren. Wir löschen das auch nicht raus, sondern versuchen herauszufinden was der eigentlich schlecht findet und dann kann es sein, dass wir etwas falsch gemacht haben oder er sich einfach einen komplett anderen Radiosender erwartet. Dann kann man ja trotzdem freundlich mit dem umgehen. Wir versuchen schon auch immer Postings, die kritisch sind zu beantworten. Auch wissend, dass sich die Kritik auch natürlich viral weiter verbreitet, sich aber auch unsere Antwort viral weiter verbreitet. Einzige Ausnahme ist, wenn Leute etwas Unwahres behaupten und 5,6,7,8 Mal das Gleiche posten. Wenn die behaupten, sie seien bei einem Gewinnspiel betrogen worden, weil sie nicht gewonnen haben und das stimmt nicht. Dann wird es irgendwann mal nervig und dann haben wir in einzelnen Fällen auch schon Leute von der Seite gekickt. Das tun wir super ungern, wir haben es ein paar Mal gemacht. LS: Wäre es möglich Kronehit ohne Facebook weiterzuführen, kann man sich das noch vorstellen?
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RL: Wir sind nicht der ORF, dass wir uns diese Frage stellen müssen. Ja klar, ist es vorstellbar. Es ist auch Kronehit vorstellbar mit nur 5 UKW Frequenzen in der Steiermark. Man kann sich viel vorstellen, aber es wäre natürlich ein großer Verlust für uns, weil wir nicht mehr so direkt und schön einen Kanal zu so vielen Hörern hätten. Also es wäre schon ein Nachteil. Ist es etwas wo ich sage ein Dealbreaker, dass das Radio nicht mehr funktionieren würde? Nein. Das würde schon irgendwie weiter funktionieren. Man würde auf GooglePlus wechseln, oder Twitter verwenden, oder die eigene Website versuchen auszubauen. Was aber alles nicht so gut funktionieren würde, aber man würde halt probieren das besser zu machen. LS: Wo siehst du die Zukunft von Facebook im Bezug auf den Journalismus und Radio? RL: Die Zukunft von Facebook hängt davon ab, ob es den Jungs gelingt ein Lösungsmodell zu finden, das funktioniert. Ich glaube Facebook wird versuchen Branding Werbung zu leben. Im Moment ist die Frage, wie sich Facebook auf Dauer refinanziert eine recht spannende. Man hat es ja auch am Börsenkurs gesehen und seiner brutalen Entwicklung. Also das zeigt, dass es Probleme gibt. Also das einmal zum Thema ob uns Facebook erhalten bleibt. Wahrscheinlich ja, aber sie brauchen auch ein Geschäftsmodell. Was Facebook extrem offenherzig macht und das muss man ihm auch hoch anrechnen, ist die Weitergabe von Daten. Da kann man sich als Datenschützer beklagen, aber als Betreiber eines Radiosenders finde ich es natürlich schon cool auf meiner Seite ein Facebook Login zu machen und auf meiner Seite halt viele Eigenschaften abfragen zu können und eben ein eigenes CRM System übernehmen. Also ich kann zum Beispiel feststellen welche Artists du likest und das wiederum bei mir lokal speichern und dir einen passenden Newsletter rausschicken. Das sind Dinge, die ich bereits jetzt machen kann. Da frage ich mich immer wie lange sie diese offene Politik durchhalten werden. Die große Sorge, die wir immer haben mit Facebook ist, dass Facebook unilateral einfach die Spielregeln ändert, massiv. Das ist ein Riesenthema was wir sehen, dass sie einfach aufgrund ihrer Verbreitung so stark geworden sind, dass sie quasi schwer substituierbar sind. Also die Schwelle alle Leute mit ihren Netzwerken auf ein neues Netzwerk zu übertragen ist schon irrsinnig hoch. Facebook hat eine Monopol Stellung aufgebaut in dem Bereich und das ist an sich mal nicht gut. Für den Journalismus glaube ich ist die Herausforderung eher die, Dinge so zu formulieren und so zu aufzubauen, dass sie für Leute so leicht zu konsumieren sind, wie Facebook Kurznachrichten. Ebenso wie Silvia ihren Beziehungsstatus ändert, genauso einfach müsstest du beschreiben können, ob der Stronach jetzt einen Parlamentsklub kommt oder nicht. Das ist eine sehr, sehr schwierige Aufgabe. Man wird einfach noch zu einer einfacheren Sprache finden müssen, man wird noch interessantere Themen finden müssen, man wird Nachrichten noch stärker personalisieren müssen, damit sie einfach durch dieses Dickicht an Nachrichteninformationen, die nicht vom Gatekeeper Journalist kommen, durchkommen. Das wird sicher immer schwerer. LS: Aber es wird weiterhin ein wichtiges Tool bleiben? RL: Facebook wird sicherlich ein Tool bleiben für Radio, aber ich schließe nicht aus, dass irgendwann mal die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird. Und es gibt ja Märkte auf der Welt, bei denen Facebook unter den Social Networks nicht Marktführer ist. Zum Beispiel in Russland, wo „VKontakte“ die Nummer eins ist. Der Grund ist, dass man darüber einfach MP3 Files uploaden und downloaden kann ohne, dass man Urheberschutzrechte besitzt, wir reden von Russland. Und das ist einfach ein Faktor, der dazu geführt hat, dass Facebook im Hintertreffen ist. Aber ansonsten glaube ich, dass Facebook, so lange es nicht irgendein anderes System gibt, dass extremst technisch besser wäre, oder Leute dafür bezahlt, dass sie es verwenden, auf lange Sicht den Markt der Social Networks besetzen wird. Es gibt im b2b
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Bereich noch die Ausnahme mit Xing oder LinkedIn in UK und US. Es gibt im Bereich Partnerschaft und Beziehung viele Sachen, weil Facebook in diesen Bereich nicht rein möchte, weil sie halt Kidssafe sein möchte, da gibt Apps dafür. Aber diese Netzwerke von den Premium Networks wie parship.at bis runter zu den billigeren Netzwerken wie websingles.at, das wird weiterhin existieren. Aber alle anderen Formen von Social Networks sind aufgesaugt worden und alle anderen Firmen, die in dem Bereich tätig waren, wurden brutalst abgeschlachtet. StudiVz ist eh bekannt, aber auch wenn du dir anschaust sms.at, uboot.at, die österreichischen Pioniere in diesem Bereich, szene1.at. Die existieren alle noch und machen jetzt halt einen Fokus auf neue Geschäftsfelder, weil sie eben mit dem Teilen von Fotos auf ihrer eigenen Seite und dem Generieren von abartig vielen Page Impressions halt nicht mehr durchkommen. Also das ist einfach bei Facebook heute.
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Interview Monika Eigensperger & Jenny Blochberger (FM4) am 6.11.2012 Monika Eigensperger: ME Jenny Blochberger: JB Lisa Staltner: LS LS: In welchen sozialen Netzwerken tritt FM4 auf? JB: Wir haben Facebook, wir haben Twitter, wir hatten mal eine MySpace Seite, die sanft entschlafen ist, wir haben Pinterest, wir haben eine FlickR Account, wir haben Spotify. Es gibt viele soziale Netzwerke, die einander relativ ähnlich sind, wir decken da nicht alle ab. Also wenn wir schon Facebook haben, dann brauchen wir nicht LinkedIn auch noch. Wobei LinkedIn ja eher so etwas wie Xing ist, also eher so ein Berufsnetzwerk für professionelle Kontakte. Also wenn wir unsere Hörer erreichen wollen nutzt uns das jetzt nicht wirklich etwas. LS: Inwiefern ist denn der Auftritt in sozialen Netzwerken für den Sender wichtig? JB: Es ist wichtig einfach, weil unsere Hörer dort sind und mit denen wollen wir Kontakt haben. LS: Seit wann sind diese Social Media Portale interessante für FM4? JB: Eigentlich eh ab dem Zeitpunkt, wo sie relevant werden. Mitunter vielleicht sogar kurz davor, also MySpace würde ich einmal sagen vor sechs, sieben Jahren oder so, da hat das angefangen. Da gab es ja noch gar kein Facebook, da war halt MySpace das große Ding, wo jeder dabei war. Wobei ich dazu sagen muss, dass wir ja auch unsere eigene Plattform haben, die ein bisschen MySpace ist auf Österreich runtergebrochen, nämlich den Soundpark, das heißt wir sind da vielleicht schon ein bisschen vorgeprescht in Richtung soziales Netzwerk, für Musiker in Österreich eben, also sehr speziell. Und Facebook haben wir theoretisch seit, ich schätze einmal 4 Jahren, wobei das am Anfang noch nicht so wirklich groß ausgebrochen ist, da hat jeder mal so ein bisschen rumprobiert und niemand wusste so genau, was man damit überhaupt kann und was das soll und wirklich professionell betreuen, so dass wir es wirklich einbinden auch in den redaktionellen Alltag tun wir das seit zwei bis drei Jahren. LS: Welche Auswirkungen hat das Aufkommen von Social Media auf FM4? JB: Es ändert nicht wirklich etwas an unserem Programm. Es ändert sich eigentlich eher nur die Weise wie wir kommunizieren. Es geht halt einfach darum, die Leute sind dort, das ist eine Tatsache, das werden wir nicht ändern, wollen wir gar nicht, deswegen sind wir auch dort. Das heißt die Kommunikation mit den Hörern ist einfach direkter geworden. Es gibt ja verschiedene Kommunikationskanäle übers Radio, man kann anrufen, man kann ein Mail schreiben, man kann einen Brief schreiben wenn man will, man kann auf die Events gehen und ist dann quasi persönlich dort und hat auch vielleicht eine persönliche Ansprechperson sogar, aber dieser ganz kurze Weg, den Facebook, oder soziale Netzwerke bieten, der ist auch wichtig, damit man spontan und unmittelbar reagieren kann. Wenn jemand eine Message schreibt über Facebook oder an die Wall postet, dann können wir sofort reagieren. LS: Welchen Stellenwert hat denn Stellenwert bei FM4? Inwiefern ist es in journalistische Arbeit eingebunden? JB: Da muss man vielleicht ein bisschen ausgreifen sozusagen. Wir haben ein bisschen eine Schwierigkeit damit als ORF, weil der ORF ja keine sozialen Netzwerke haben darf, d.h. wir haben jetzt eine aufschiebende Wirkung bekommen, die uns erlaubt weiterhin Facebook zu nutzen, aber so dass wir es irgendwo reinschreiben können, in eine Art Auftrag, so ist es nicht, weil eben alles noch ein bisschen in der Schwebe hängt. Praktisch hat es natürlich Auswirkungen, weil wir zum Beispiel Hörer unmittelbar einbinden können. Also wenn wir
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zum Beispiel einen Gast haben oder einen Beitrag zu einem bestimmten Thema haben, dann kann man auf Facebook gleich eine Frage stellen „Was haltet ihr davon?“ oder „Was würdet ihr denn gern von unserem Studiogast wissen?“. Man bekommt wesentlich schneller und wesentlich unkomplizierter Antworten darauf, die man dann mit verarbeiten kann und redaktionell auch verarbeiten kann, als wenn man – ich weiß nicht – einen Aufruf im Radio macht „Ruf doch an!“. Das machen wir nach wie vor auch noch, aber wie gesagt, wir haben Hörer und Hörer, die hören Radio, andere sitzen vorm Computer und manche hören es per Stream, andere schauen halt ins Facebook rein oder beides gleichzeitig und wir wollen alle ansprechen LS: In welchen Bereichen wird Facebook genutzt und wie? JB: Zum Beispiel: Wir haben eine DJ Sendung eine mittägliche, die heißt FM4 Unlimited und immer wieder, nicht zu oft, aber ab und zu, rufen die DJs dazu auf, dass man die Sendung mitgestalten soll. Zum Beispiel den Lieblingstrack posten und die DJs, deren Aufgabe ist es dann das zu einem Mix zu verarbeiten. Oder wenn es ein Motto gibt z.B., dass man quasi zu diesem Motto etwas beiträgt. YouTube Links posten oder irgendwie sozusagen sich mit einbringt in die Gestaltung der Sendung. Oder eben wie gesagt in den Flächensendungen, wie FM4 Connect, wenn Gäste da sind, dass wir auch Fragen einholen an die man entweder selber nicht gedacht hätte oder wo man dann mitbekommt, wenn Fragen immer wieder kommen, dass das eigentlich für unserer Hörer interessant ist und nicht was wir vorbereitet haben, oder auch interessant ist. LS: Wie wichtig ist Facebook als Marketing Tool? JB: Ich möchte jetzt einmal sagen eigentlich gar nicht. Man könnte, wenn man das erweitert meint sagen, dass es natürlich in gewissem Sinne auch ein Marketinginstrument ist, aber wir nutzen es nicht so. Ich glaube, dass es extrem gefährlich ist, Facebook als Marketinginstrument zu sehen, weil die Leute durchschauen das sofort und du willst dich auf Facebook einfach mit deinen Freunden austauschen, das ist dein Privatleben, wie ein privater Raum von dir und du möchtest dort nicht haben, dass dich Leute irgendwie mit Werbebotschaften sekkieren und das wollen wir auch nicht machen. Das machen wir im Radio auch nicht oder nur in diesem abgegrenzten Raum der heißt „und jetzt kommt Werbung“, damit jeder weiß jetzt kann er aus dem Raum gehen und weiß halt er wird jetzt belästigt und man kann sich darauf einstellen. Aber Facebook ist schon ein privater Raum, den wollen wir nicht mit Werbebotschaften zukleistern. Das heißt wir machen eigentlich Programm auf Facebook und nicht Werbung. LS: Welche anderen Aspekte gibt es, bei denen die Interaktion mit den Hörern via Facebook groß geschrieben wird? JB: Na ja, auch wenn es zum Beispiel Beschwerden gibt. Es kann ja durchaus sein, dass irgendetwas, das nicht auf unserer Facebook-Seite passiert ist, sondern im Radio ist oder auf Events passiert ist, dass Leute uns da schreiben und sagen „Was habt ihr denn da gemacht?“ oder „Warum spielt ihr denn immer wieder das?“. Man kann da auch darauf reagieren. Für viele Leute ist es mittlerweile viel einfach über Facebook sich auszudrücken, als ein Mail zu schreiben, wo man das vielleicht irgendwie genau ausformulieren muss und genau wissen muss an wen man es dann schickt und ob es da richtig ankommt. Über Facebook kommunizierst du einfach direkt mit deinem Radio. Das ist denen auch egal wer dahinter sitzt, die Person, die das macht, muss einfach für das Radio sprechen. LS: Wird bei FM4 versucht jedes Posting zu beantworten? JB: Im Großen und Ganzen schauen wir schon alles zu beantworten was wirklich uns direkt angeht. Manchmal ist es auch so, dass die Community das einfach regelt. Also wenn ich zu spät dran bin und ein Posting erst nach ein paar Stunden sehe „Was war das für eine
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Nummer?“, da hat dann inzwischen vielleicht schon ein anderer FM4 Hörer geantwortet „Die findest du im Trackservice“ oder „die hieß so und so“. Wir versuchen schon eigentlich alles zu beantworten, was an uns herangetragen wird. LS: Es gibt Brechts Radiotheorie die Aufforderung, dass den Hörern eine aktive Mitgestaltung und Partizipation ermöglicht werden soll, kann das durch Facebook passieren? JB: Ja, das passiert automatisch. Facebook ist so angelegt. Es ist relativ demokratisch, auch wenn du dieses System hast von einerseits Privatprofil und andererseits Fanpages, und die Kommunikation ist natürlich anders wenn du mit deinem Privatprofil kommunizierst oder mit deiner Page, aber trotzdem ist es eigentlich relativ demokratisch. Und die Leute erwarten sich, wenn sie auf Facebook jemanden anschreiben, ob das jetzt der Karli ist, den sie kennen oder ihr Radio, dass der darauf dann eingeht. Also insofern ist es schon eine sehr direkte Kommunikationsform. LS: Welchen Stellenwert hat das für FM4, die Hörer wirklich aktiv mitgestalten lassen durch Facebook? JB: Wir sind jetzt noch ein bisschen am Lernen. Wir versuchen schon Trends aufzugreifen und zu schauen was ist wichtig oder was wird wichtig werden, aber wir gestehen uns auch immer eine gewisse Zeit zu innerhalb der wir herausfinden, wie das Medium funktioniert. Das heißt vielleicht machen wir auch noch nicht alles richtig. Was war jetzt die Frage noch mal? (lacht) LS: Ob das wichtig ist, die Hörer durch Facebook aktiv mitgestalten zu lassen und ob das eine Grundfunktion ist? JB: Ja, weil wir das Gefühl haben, wir können mit den Hörern direkt kommunizieren und sie können mit uns kommunizieren. Ich würde mir schon wünschen, dass wir auf dem Weg dorthin sind, dass wir das immer mehr machen. Ich glaube, dass wir das noch nicht oft genug machen, aber ich glaube schon, dass innerhalb der Redaktion auch mehr Bewusstsein dafür da ist. Es steigert sich ein bisschen. Ich finde, dass es gemacht werden muss und dass es auch gemacht werden wird. Es ist momentan noch nicht ganz so wie ich es mir wünschen würde, aber das wird schon. LS: Welche Möglichkeiten gäbe es da noch zur Steigerung? JB: Wir haben ein gewisses Admin-Team, dass die FM4 Facebook Seite betreut. Was ich zum Beispiel auch noch gut finden würde, dass auch außerhalb dieses Admin Teams, was immer auch als Radio FM4 postet oder auch antwortet, zum Beispiel sich dann auch Moderatoren und Moderatorinnen sich einbringen mit ihrem Privatprofil. Das machen manche mitunter eh auch schon, wenn es noch mehr wären, wäre das natürlich schon. Also wenn ein Hörer sagt, gestern in Sendung XY ist das gelaufen und der Moderator von der Sendung, der das gestern gespielt hat, antwortet persönlich darauf, ist das für den Hörer noch mehr wert, als FM4 antwortet. Ich finde, dass ist viel persönlich und noch besser als wenn irgendwer, der die Radio FM4 Seite betreut dir zurück schreibt. LS: Gibt es da eigentlich auch einen fixen Plan wann was gepostet wird? JB: Nein, es gibt eine vage Aufteilung aber vielleicht fange ich noch ein wenig früher an. Es gab ja vor dem Sommer diesen Beschluss, dass eben der ORF keine sozialen Netzwerke betreiben darf, daraufhin wurde Facebook auf Eis gelegt und wir haben innerhalb von einem Tag 3 FM4 Fans aufgetrieben, die gesagt haben, sie machen jetzt die Facebook Seite statt uns. Also sie übernehmen die, damit die jetzt nicht stirbt, weil wie bekommen wir die ganzen Fans dann wieder. Die haben das eben eine Zeit lang gemacht und zwar sehr super gemacht auch und nachdem wir dann wieder durften, haben wir die im Admin Team belassen und das sind jetzt quasi die Leute, die Sachen auch posten, die uns nicht einfallen würden. Zum
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Beispiel oft kommen lustige Bilder von denen eher, als von uns. Weil ich habe immer im Kopf, was haben wir alles auf Sendung, was ist alles auf unserer Website, was muss ich alles verlinken, was ist wichtiges Thema im Radio, das sollte man vielleicht auch auf der Facebook-Seite haben. Also ich habe immer so das Redaktionell im Kopf und die Fans von Außen, die nicht den Plan vor sich haben, was wir jetzt am Tag spielen oder in der kommenden Woche, posten halt einfach was sie lustig finden gerade und ich finde das super eigentlich, weil dadurch ist es ein bisschen ausgewogen. LS: Also ist auch diese aktive Mitgestaltung auf Facebook selbst auch da wichtig? JB: Auch, ja ja, klar. LS: In welcher Form wird jetzt Facebook auch zur Verbreitung von Nachrichten genützt? Gibt es z.B. eine eigene Nachrichtenseite? JB: Nein. Wir haben eine Facebook Seite, ich glaube eine eigene Nachrichtenseite würde jetzt bei FM4 nicht so viel bringen. Da gibt es andere Seiten, die besser geeignet sind dafür. Also FM4 steht nun mal nicht hauptsächlich für Nachrichten. Es steht eher für gute Musik, oder für Jugendkultur. Aber eine eigene Nachrichtenseite, ich glaube da würden wir uns zerspargeln. Wir haben kurz überlegt, ob wir jetzt zum Beispiel eine eigene Morningshow Seite machen sollen, weil die Morningshow ja ein starkes Profil hat, aber haben dann beschlossen, dass wir lieber die Morningshow auf unserer Seite einbinden, dass die Morningshow Produzenten auch Admin Funktion bekommen und dann haben sie ein bestimmtes Zeitfenster. Also insofern haben wir da schon auch einen Plan oder eine Aufteilung. Von 6 bis 9 in der Früh ist das Morningshow Zeitfenster, wo eigentlich hauptsächlich die Morningshow postet. Aber so eine eigene News Seite haben wir nicht überlegt. LS: Also steht der Unterhaltungsfaktor im Vordergrund? JB: Ja, es ist nun mal Facebook. Wir merken das auch, wenn wir irgendwie so Hard Facts posten, da gibt es kaum Resonanz darauf. Das machen wir im Radio, weil wir das auch als unsere Aufgabe sehen, aber wir sind halt darauf gekommen, es ist nicht alles was wichtig ist auch für Facebook wichtig. LS: Hat Facebook Einfluss auf Hörerzahlen und Hörerbindung? JB: Ich glaube, dass man das erstens nicht sagen kann und zweitens glaube ich nicht, dass das der Fall ist. Eher glaube ich, dass die Leute, die uns im Radio hören, dann auch auf unsere Facebook Seite kommen. Viel spricht für diese sozusagen Theorie, weil wir auch nie Werbung gemacht haben für unsere Facebook Seite. Wir haben nie im Radio durchgesagt „Und wir haben jetzt auch eine Facebook Seite, werde Fan“. Und wir haben plötzlich von 0 auf 30000 Fans gehabt, ohne das wir ein einziges Mal Facebook erwähnt haben im Radio oder auf unserer Website, wir haben auch dieses kleine Facebook Symbol nicht auf unserer Seite. (Monika Eigensperger stößt hinzu) ME: Was hat denn die Jenny bisher erzählt? Kurze Zusammenfassung worum es bisher ging. JB: (…) und jetzt ging es gerade darum, ob Facebook unsere Hörerzahlen beeinflusst. ME: Das wissen wir nicht. JB: Das wissen wir nicht, ich glaube es nicht. ME: Ich finde da passt ein Zitat von Bertolt Brecht ganz gut, der damals gesagt hat – ich sage das jetzt wahnsinnig schlampig – „die Erfindung des Rundfunks wäre das Großartigste auf der Welt, wenn es dieses neue Medium verstünde einen Rückkanal zu haben“. Und in den vergangen hunderten Jahren des Radios war der Rückkanal halt, dass man mal anruft, oder auf Sendung schreibt, das heißt das Telefon war der Rückanal. Es war der Rückkanal, dass
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man Briefe schreibt, abgelöst durch E-Mails. Es war der Rückkanal, dass man die eigene Seite hatte, dass man daraus posten kann. Das alles ist aber noch immer kein interaktiver richtiger Austausch und diese Social Media Ebene ist auch durchaus angeregt von Inhalten, die wir im Radio machen und einfach kundtun und dadurch durchaus Diskussionen entstehen oder Fragen entstehen. Dass zum Beispiel wenn wir eine Frage stellen Antworten kommen, oder weitere Fragen entstehen. Auch völlig unabhängig vom Thema. Dass sich dann zum Beispiel, speziell auf Twitter, unheimlich kreative Dinge dann auch abspielen, indem die Leute dann zum Beispiel in durchaus ironischer und witziger Form dann irgendwie etwas weiterspinnen. Was dann auch wieder Rückfluss hat aufs Programm, weil wir dort dann auch wieder weiterspinnen können. Und es ist einfach ein Rückkanal. Also wenn wir etwas tun, das zum Beispiel auf Zuneigung oder auf Begeisterung stößt, dann, wenn wir es richtig machen, dann kann man auch merken wie oft das geteilt wird, wie oft das Gesprächsthema wird, wie oft sich das in der viralen Welt als Thema verbreitet. Wenn wir etwas machen, was auf wenig Gegenliebe stößt, ist der Rückkanal dementsprechend auch irgendwie da. Das heißt, dass das Feedback dann kommt mit kritischer Stimme. Alle diese Dinge sind wahnsinnig wichtig, weil dem Radio steht zur Verfügung der Radiotest, der eben halbjährlich veröffentlicht wird, was ein quantitativen Zählen ist, wie viele Leute was eingeschaltet haben. Die qualitative Bewertung wie kommt etwas an, oder auf welches Interesse stößt man, wie bewirkt man etwas damit, ist ja über so einen Test nicht möglich, weil das wird ja nicht abgefragt. Und da bekommt man, wenn wirklich etwas abgeht schon einen Eindruck wie etwas angenommen wird oder nicht. Und für die heutige 2. oder 3. Generation der digital natives, die können ja gar nicht mehr ohne dem leben. Also das ist ja die Hauptkommunikationsform, über solche Formen zu kommunizieren. Ich weiß nicht, ob die Jenny das schon erwähnt hat, aber es ist ja nach wie vor offen, ob es uns gestattet ist eine Facebook Seite zu betreiben. Das wird ja erst geklärt. Aus meiner Sicht ist das ein totaler Wahnsinn, weil die Inhalte, die wir da kommunizieren ja FM4 Inhalte sind. Ich meine es ist nicht auszuschließen, dass irgendwer auch mal einen Scherz absondert, der jetzt nicht das Programm widerspiegelt. Aber 90% der Inhalte haben etwas mit dem Programm zu tun und werden in unterschiedlicher Art und Weise kommuniziert. Als Fragestellung, als Information, als Diskussionsbeitrag, als Witz, aber es gibt meistens einen Zusammenhang, oder nahe immerzu einen Zusammenhang. Das nicht zu machen, obwohl der Gebührenzahler ja sozusagen für die Inhalte, die wir produzieren ja schon bereits bezahlt hat. Die ihm nicht zur Verfügung stellen und zugänglich zu machen, wo es heutzutage noch dazu völlig normal und Gang und Gebe ist, dass ich jetzt nicht nur Dinge meines Interesse verfolgen kann, dann wenn es jetzt zufällig on Air ist, sondern auch Zeit und Orts unabhängig über Apps, über Nachhören, über verschiedenste Features meine Spezialinteressen ganz konzentriert weiter zu verfolgen. Existiert man nicht im Netzt, existiert man für breite, jüngere Zielgruppen auf dieser Welt nicht mehr. Eine Kommunikationsverweigerung unsererseits zuzusagen mit unseren HörerInnen, würde ja auch nicht verstanden werden. Ich kann ja auch nicht jedem einzelnen sagen „warum kommunizieren wir jetzt nicht mit euch, ja weil wir es nicht dürfen“. Das versteht ja keiner. Plus dem, das ich empfinde, wir gehören ihnen ja. Und insofern sollten sie auch breitest möglichen Zugang haben, auf die Dinge, die wir zur Verfügung stellen, weil das ist ja unserer Aufgabe im besten Sinne. Die Problematik, die es für uns gibt, ist das alle sagen „ad on, ad on, ad on“. Es kommt immer dazu. Es kommt jetzt nicht immer die extra dafür beauftragte Person dazu. Mitunter schaffen wir es auch ein bisschen strukturiert, im Fall der Jenny, die ja
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auch vorher einen Job hatte. Es ist nicht so, dass sie da jetzt beschäftigungslos darauf gewartet hat, sondern in dem Fall haben wir es geordnet, nämlich, dass wir da eine sehr klare Ansprechperson haben und sie das einfach zusätzlich macht. Bei schnellen, aktuellen und sonstigen Dingen reicht das jetzt aber durchaus nicht, da versuchen wir auch immer neue Möglichkeiten, wie man das sozusagen implementieren kann, zu entwickeln und das aber auch gleichzeitig noch eine Handschrift hat. Und gleichzeitig kann man das aber auch nicht auslagern. Unsere Form der Kommunikation an irgendjemanden auszulagern – wie es wäre irgendein Industriekonzern, der etwas verkaufen möchte, oder man ein Gewinnspiel macht, wo man dann das Auto, die Flugreise, was weiß ich, gewinnen kann – das würde bei uns nicht funktionieren, weil die Menschen auch die Kommunikation mit uns pflegen wollen, die sie gewohnt sind. Es ist jedenfalls ein wichtiges Thema für uns. LS: Ist diese aktive Gestaltung durch Facebook auch möglich? ME: Ja. Man darf das natürlich jetzt nicht extremst über bewerten. Nicht einmal 60000 Likes oder Dislikes zu was auch immer, sind jetzt keine repräsentative Meinungsumfrage. Da entwickeln sich Dinge durchaus anders. Und man sieht ja auch bei vielen Unternehmen, wie sehr sich die fürchten wenn sich da etwas entwickelt, was jetzt sozusagen ein Shitstorm ist. Nicht dass es erfreulich wäre, aber ich glaube, dass unser Umgang damit ein anderer wäre, als von anderen Organisationen, sage ich jetzt einmal. Es ist keine repräsentative Wahrnehmung, aber wenn eine sehr starke und laute Wahrnehmung kommt, wird die auch sehr ernst genommen. So zu tun als wäre das irrelevant, tut heutzutage glaube ich kaum noch jemand, weil wenn die Power, wenn sie einmal los rollt, nicht zu unterschätzen ist. Man braucht sich ja nur so Zahlen anschauen, wenn wir 138000 Fans haben und deren Kontakte noch dazu, da kommt dann eine Zahl raus, die wie hoch war, enorm. JB: Ja, ein paar Millionen. Ich weiß es nicht genau. ME: Also wenn hier mal was abgeht, wo sich sehr viele dran beteiligen, wie viele nehmen die von ihrer Community da mit hinein, wo nicht auszuschließen ist, dass sie sich auch daran beteiligen. Also das hat schon ein lawinenartiges Moment in sich. LS: Hat sich seit dem Aufkommen von Facebook im Journalismus etwas verändert? ME: Ich betrachte Facebook nicht wirklich als journalistisches Medium. Eine unsere Erkenntnisse ist, dass journalistische Kommunikation nicht unbedingt ideal funktioniert in Facebook. In Twitter eher, weil das eine kleiner Gruppe ist. Facebook ist ein Kommunikationstool, wie ein Marktplatz oder wie ein Lokal. Ich gehe ins Lokal und treffe mich weil dort super Musik ist, mit Gleichgesinnten und Freunden. Wir hören gleichzeitig die Musik, oder trinken miteinander oder reden über Dinge, die uns interessieren oder witzeln über etwas. So was ist eher Facebook, also interaktiv und kommunikativ. Also mitreden und mitmachen und drum funktionieren auch Dinge, die Menschen dazu verführen mitzumachen. Es funktioniert ja interessanter Weise, was jetzt eine Wahrnehmung für ein Medienunternehmen und teilweise relevant ist. Aber auch wir sehen, was früher der Bürowitz war, wo eine ein lustiges Video bekommen hat, die hat es dann an 10 weitere geschickt und die 10 haben es dann an jeweils 10 weitere geschickt und irgendwann hat man es dann wieder bekommen. Das braucht man jetzt nicht mehr verschicken, sondern das stellt man dort rein und wenn es lustig ist, dann verteilt es sich von selbst. Das ist jetzt nichts Journalistisches. Es kann natürlich ein Statement sein, ein Meinungskommentar quasi verbunden mit einem kurzen Video. Aber es funktioniert nicht auf journalistische Weise. Man schreibt einen Artikel und verbreitet ihn, das funktioniert eigentlich nicht, oder sehr schlecht, oder sehr selten und eigentlich nicht repräsentativ. Es ist ein Kommunikationstool.
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LS: Und im Bezug auf die Berufsrolle, hat es da Auswirkungen? ME: Ja, die Sachen verschwimmen. Der ideale Redakteur, ist ja heute schon der oder diejenige, der gut reden kann, gut schreiben kann, in Langfassungen im Stande ist etwas zu produzieren und in kurzen Headlines zu kommunizieren, der oder die etwas von visuellen Dingen versteht, weil in dem Moment wo man mit dem Internet zu tun hat, hat man mit Bildern zu tun. Und wenn man da weitergeht und Fernsehen oder bewegt Bild mit hinein nimmt, dann verschwimmen die Sachen. Und es wird auch in Zukunft nicht so sein, dass alle Menschen alles gleich gut können oder sich gleich viel dafür interessieren. Und dieses Allrounder sein hat Vorteile, hat aber auch Nachteile. Ein Nachteil ist, dass die ernsthafte, vertiefende Beschäftigung mit Kernthemen, wenn ich es jetzt generalisiere in der Medienlandschaft, immer schwieriger in Redaktionen durchzusetzen ist. Also jemand arbeitet – oh Gott – zwei Wochen an einer Geschichte, im Sinne von man muss auch Seiten füllen, immer schwieriger und problematischer. Und wenn man jetzt über Facebook redet ist natürlich auch die Bezahlung von Content oder Inhalt ein Thema, über das sich ja viele Inhaltsschaffende, den Kopf zerbrechen. Also die Kulturschaffenden haben ja schon das Problem. Wenn man sich die Musikindustrie ansieht, ist es ja nicht so, dass gute Musik unwichtiger geworden ist – ganz im Gegenteil – aber es ist als Handelsgut, im Sinne von welche Einnahmen kann man noch bekommen, und wie viel profitiert der Künstler davon und welche Einnahmen bekommt er eigentlich – da sind schon schwierige Arbeitsverhältnisse noch prekärer geworden. Und im Journalismus kann man das teilweise auch schon beobachten. Man kann beobachten, dass prekäre Verhältnisse zunehmen und man kann beobachten, dass die Kernaufgabe des Journalismus, der Recherche, der 4. Gewalt im Staat, der Überprüfung, des hintergründigen Kommentars – also alles was Wissen, oder Recherche voraussetzt = eine Zeitebene dabei ist – nicht so einfach ist durchzuführen. Also wenn eine Zeitung, also New York Time (oder was anderes, irgendetwas ganz renommiertes) beschließt nicht mehr im Print zu erscheinen, oder nur noch digital. Das ist etwas, dass vor fünf Jahren undenkbar gewesen wäre. Also das wäre einfach nicht möglich gewesen. Oder die ganzen Streitereien jetzt zum Beispiel, oder die Diskussion die Google betrifft. Ich interessiere mich für ein Thema und möchte wissen was man dazu weiß und gib es in Google ein, wo ich die meisten relevanten Sachen finden werde. Das bedeutet, dass die Verkaufsoption von Archiven von renommierten Medienunternehmen schwierig ist, weil ich es ja eh ohnehin auf Google finde. Also schon wieder der Content, der ja ohnehin jedem und immer zur Verfügung steht. Jetzt ist das ja wunderbar wenn immer mehr Menschen immer mehr Inhalte zur Verfügung stellen, aber wer stellt sie zu Ende gedacht dann her? Das ist das Problem? Und interessieren tun sich ja, in Amerika zum Beispiel, dafür auch politische Stellen, damit. Bei der Musiksituation, der Musikindustrie war noch kein Aufschrei außer, ja alles muss frei sein. Jetzt geht es aber an die Filmindustrie. Nämlich es werden Filme und Serien produziert und bevor sie überhaupt noch ausgestrahlt werden und verkauft werden, hat sie schon jeder. Im schlimmsten Fall sogar illegal und gratis downloaden, ohne dass man es kauft. Was dann soviel bedeutet, dass die Studios kein Budget einnehmen können um weitere Dinge produzieren zu können. Das hat dann wiederum Auswirkung auf die Schaffenden und seither ist man ja auch mehr interessant daran eine Lösung zu finden. Was noch nicht heißt, dass die jetzt schon gefunden wurde. LS: Ersetzt Facebook etwas, was vorher nicht da war? JB: Ich müsste mich da jetzt beim Hörerservice konkret erkundigen wie viele weniger E-Mails sie bekommen, aber ich schätze einmal schon. Wenn man einen direkten Kanal hat, wo man
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davon ausgeht, dass die Beantwortung schneller ist, wird man eher eine Facebook-Message schreiben oder auf die Wall posten, als ein E-Mail schreiben. ME: Ich glaube wenn man eine spezielle Anfrage hat, dann ist noch immer das E-Mail der direkte Weg, wie ich eine spezielle Anfrage beantwortet bekomme. In der Sozialarbeitersprache, gibt es da immer so eine hochschwellig, niederschwellige Terminologie was das angeht. Facebook ist niederschwellig. Es ist schnell, es ist einfach, es ist da, es ist gleich wieder weg. Es geht nicht tiefer im Regelfall. Sondern erregt etwas meine Aufmerksamkeit oder etwas nicht. Erregt es nicht meine Aufmerksamkeit ist es sofort weg, weil ich es ja nicht einmal wahrgenommen habe. Erregt es meine Aufmerksamkeit klicke ich es vielleicht an oder teile es oder mache irgendetwas damit. Zwei Stunden später, im Regelfall, erregt wieder etwas anderes meine Aufmerksamkeit. Wenn jetzt jemand ein ganz spezielles Anliegen hat, wird er es wahrscheinlich anders kommunizieren. Oder eine ganz spezielle Frage hat, wird er wahrscheinlich versuchen das anders zu recherchieren. LS: Bricht das Gatekeeper Modell durch Facebook zusammen, weil jeder mitmachen kann? ME: In der Vergangenheit, hat irgendwie kein Medium ein altes abgelöst, es ist immer dazu gekommen, dazu gekommen. Journalisten sind an sich ja dazu verpflichtet ihre Quellen zu überprüfen und zu verifizieren und nicht Behauptungen zu schreiben, die jeglicher Recherche nicht standhalten. Jetzt gibt es vielleicht Medien, wo sich Journalisten nicht so benehmen, wie eigentlich die Aufgabe der Journalisten ist. Jetzt fängt es da sozusagen an, zu verwässern. Man hat es natürlich gesehen, beim arabischen Frühling und bei anderen Dingen, welche Power Facebook entwickeln kann. Wozu ein Journalist natürlich verpflichtet ist, ist die Verifizierung der Quelle. Ein kurzes Video, oder ein Bild oder ein Kommentar von jemand unbekanntem müsste man verifizieren, ob die Darstellung so stimmt. Was ja in jedem Fall möglich ist oder in jedem Fall objektivierbar ist. Da alles einfach zu übernehmen ist gefährlich. Da gibt es durchaus gefährlich Komponenten. Allerdings ist es auch nicht so, dass alles was in den herkömmlichen journalistischen Medien in den letzten hundert Jahren verbreitet worden ist, richtig war. Auch dort sind Falschmeldungen verbreitet worden oder Bildausschnitte gewählt worden die nicht gestimmt haben. Wenn man den Winkel des zweiten Fotografen, der fünf Meter dahinter gestanden ist, sieht und dann den Bildausschnitt, der veröffentlicht worden ist und für großes Aufsehen oder für einen Skandal gesorgt hat, sieht man, dass der eine Falschaussage hat. Auch Bilder können Lügen, indem ich einen Ausschnitt wähle oder sogar etwas inszeniere, was so nie statt gefunden hat. Aber damit bringe ich etwas rüber was ich da ausdrücken möchte in meiner Überschrift, trotzdem war es so dort nicht, sondern es war inszeniert oder gestellt oder manipuliert. Bei Facebook ist es wieder die Quellenfrage. Ist die Quelle seriös, ist sie glaubhaft. Aber ich merke jetzt bei Freunden, durchaus auch journalistischen Freunden, wie sehr wenn etwas was man eigentlich nicht verifizieren kann abgeht, es geglaubt wird. Das entwickelt schon eine Kraft. Nicht unbedingt immer des Wahrhaftigen. Aber es ist für Menschen, das hat man eben gesehen beim Arabischen Frühling oder in Länder wo Zensur eine unglaubliche Meinungseinschränkung bewirkt, wichtig. Es ist oft dann in Krisen- oder vielleicht sogar Kriegsgebieten, wo dann niemand mehr ist – nicht einmal ein embedded Journalist, die einzige Möglichkeit, dass man noch mitbekommt was sich dort eigentlich abspielt. Man hat halt nur die vor Ort Augenzeugen. Die Überprüfungsmöglichkeit ist natürlich schwer, aber ab einer gewissen Menge an Material bekommt das schon auch eine Glaubhaftigkeit. LS: Welche Schwächen oder Defizite hat Facebook bei der Verwendung in Medien? ME: Ich würde das alles relativ sehen, das ist ganz wichtig. Der Mensch per se, der weibliche Mensch prozentuell sogar noch mehr, hat das Bedürfnis nach Kommunikation. Also immer wo es Interaktion gibt und Austausch gibt, steigt auch der Anteil der User nach
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geschlechtsspezifischen Unterschieden, der Frau. Und der Mensch hat das Bedürfnis nach Kommunikation. Wie SMS entdeckt wurde und entdeckt wurde, dass der private Mensch das auch nutzen kann, haben alle wie wahnsinnig begonnen SMS zu schicken. Tun sie auch heute noch, das hat nicht aufgehört. Es werden jetzt Tools verwendet, die in 10 Jahren vielleicht gar nicht mehr so existieren und unterliegen. Was aber nicht heißt, dass es weg sein wird. Es wird einfach etwas Anderes, etwas Neueres geben, was das was es für die Menschen leistet vielleicht noch besser leistet oder einem besser gefällt. Was man jetzt zum Beispiel schon ganz Speziell sieht bei Dingen, die im Internet aufgepoppt sind und zum Teile auch wieder verschwunden sind oder nicht mehr die Relevanz haben, die ihnen zugeordnet wurde, in dem Moment wo es kommerzialisiert wird, gewichtet wird, werbedurchdrungen wird. Bis zu dem Punkt, wo sich der einzelne User belästigt fühlt. Und es gibt ja Alternativen, da wechselt es, zum Beispiel wenn eine Community verschwindet. Vielleicht nicht, dass er sich dort abmeldet, vielleicht schaut er auch einfach nicht mehr rein. Und vor Jahren war MySpace unter Musiker, in dieser Community, also Menschen, die mit Musik zu tun haben. das große Ding. JB: Ja es ist auch nur für Musiker noch relevant. Für niemand anderen sonst. Früher hatte ja jeder ein MySpace Konto, wie jetzt jeder ein Facebook-Konto hat. ME: Ich habe aber zum Beispiel den subjektiven Eindruck, dass es in der Nutzung oder Verwendung – nicht das es abgedreht ist, man sich auch noch eine FM4 MySpace Seite, die glaube ich nicht sehr spannend ist gerade, das heißt wir haben es auch nicht gelöscht, sie existiert immer alles weiter, aber wir machen nichts mehr damit in Wirklichkeit. Ich habe den Eindruck in vielen Fällen es wird weniger gefüttert und genährt und verwendet, weil auch die Kommunikation von Künstlern mit ihrer Zielgruppe heute über andere Kanäle geht. Es gibt ja schließlich auch noch iTunes und YouTube und Facebook und was weiß ich, wie man Kontakt hält zu seinen Freunden. JB: Gerade MySpace war ja nie so angelegt wie Facebook. Das war ja wirklich speziell für Musiker, Menschen, die mit Musik zu tun haben. Alle Features, die MySpace geboten hat, waren darauf ausgelegt, dass du als Musiker, das präsentierst. Für einen Radiosender geht das auch noch an, aber in Wirklichkeit können wir alles was wir mit MySpace gehabt haben unkompliziert auf Facebook auch haben, oder auf YouTube oder wie auch immer. ME: Genau nur glaube ich zum Beispiel eben, dass jetzt auch die Musiker MySpace weniger nützen. Mag ja sein, dass die Fleißigen dort ihre Sachen auch noch immer reinstellen, weil der User auch immer fauler wird. Wenn er wo reinschaut, ob das jetzt da ist und da ist es nicht, dann muss er es schon richtig wissen wollen, ob er dann dort und dort und dort auch noch schaut. Man erwartet einfach, dass man dort wo man hinschaut auch das findet was man sucht. JB: Ich glaube, dass Musiker MySpace auch mehr als Kommunikationsplattform nutzen, sondern wirklich nur als Angebot, wie man halt früher auch die eigene Website gehabt hat. Da sind halt alle ihre Songs dort und wenn man einen Song von einem Musiker sucht und den findet man nicht auf YouTube, dann schaut man auf seine MySpace Seite. Da ist das Profil, da ist eine Bandbiographie, da sind Fotos, da sind die Musikstücke, aber schreiben tust du den Leuten nicht über MySpace. Das ist einfach nur ein Ding, das ist da, aber das ist kein Rückkanal, keine Kommunikationsform. ME: Ja, was ich sagen wollte, trotzdem, ich bleibe dabei, im Sinne von der Bedeutung. Ich glaube, dass man weniger in MySpace als Musikfreund hineinschaut, als in andere Dinge man inzwischen hineinschaut und das dort weniger nützt. Ich glaube auch, dass die Musiker es weniger nutzen. Ich glaube, dass die Sachen wie Teaser oder Spotify – wenn ich jetzt einen Song haben will – da schaue ich halt eher dort nach, als dass ich auf MySpace gehe.
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Oder ich gehe gleich auf die Fanseite des Künstlers und schaue, ob er mir es dort anbietet. Oder ich adde ihn, damit ich ihn verfolgen kann, über Facebook. Das hätte man sich aber auch nicht gedacht, die Geschwindigkeit wie das geht. LS: Könnte man sich den beruflichen Alltag beim Radio ohne Facebook noch vorstellen, welche Auswirkungen hätte es, wenn Facebook nicht mehr verwendet werden dürfte? JB: Die Leute würden sich schon beschweren denke ich. Es haben sich auch ganz viele Leute beschwert, wie es nämlich kurzfristig abgedreht wurde und da gab es großes Unverständnis. Keines das jetzt auf uns zurückgefallen ist, es war den Leuten schon relativ schnell klar, dass wir da jetzt nichts dafür können, aber großes Unverständnis warum das überhaupt sein darf. Und das wäre wieder so ME: Also noch mal, wenn man etwas macht was für unsere HörerInnen offensichtlich eine Relevanz hat und es erreicht sie überhaupt, dann erreiche ich ja mein Publikum. Mache ich das nicht, habe ich ja heute die Möglichkeit eine Presseaussendung zu machen – machen wir ja auch. Und wenn eine Zeitung so freundlich ist da abzudrucken, dann steht es vielleicht in der Zeitung. Aber erstens kann ich das nicht beeinflussen, ob sie einen Tipp machen oder nicht, und zweitens erreiche ich damit zwar sehr viele Leute, aber nicht unbedingt die Kernzielgruppe, die ich erreichen möchte, für dieses Angebot, weil die Menschen lesen vielleicht diese spezielle Zeitung gerade nicht. Viele Redakteure haben ja auch ihre privaten Seiten und zum Teil sehr, sehr viele Fans auch. Oder DJs, wenn ich jetzt Fan von diesem DJ bin und der hat 5000 Freunde und er sagt jetzt wo er in drei Tagen auflegen wird, dann erreicht er quasi seinen engsten Freundes- und Fankreis. Wenn ich es im Radio durchgebe, erreicht er noch mehr, logisch. Aber er erreicht auch sehr viele, die vielleicht auf die Musik gar nicht stehen. Also ich gehe genau in die Gruppe der Menschen hinein, die genau dieses Interesse haben. Diese Spezifizierung, kann ein Medium, dass eine größere und etwas inhomogenere Zielgruppe und ganz spitze Gruppe anpeilt nicht bieten. Weil bin ich so spitz vertreibe ich alle anderen – und FM4 ist eh schon sehr spitz – aber wenn man jetzt von einem Massenmedium ausgeht (…) ORF 1 oder 2 kann jetzt nicht programmieren für den Opernfreund, weil dann hat er vielleicht nur mehr den Opernfreund, was zu wenig wäre. Aber es ist nicht schlecht, wenn man jetzt die Opernfreunde erreicht in Österreich, wenn man eine Opernübertragung macht. Da kann man es herkömmlich machen – wenn man Geld hat – mit Werbung, Inseraten und all dieser Kommunikation. Oder man kann sich überlegen, wo erreiche ich denn Opernfreunde und Operninteressierte und versuchen in diese spitze Zielgruppe hineinzugehen. Und bei jungen ist das ja sehr fragmentiert. Da sind natürlich dann diese Möglichkeiten, wo der User bestimmt wem er folgt, der bestimmt ja was ihn interessiert und bekommt dann die speziellen Informationen. Das kann sozusagen ein breiteres Medium so nicht leisten. LS: Wenn dieses Tool jetzt nicht mehr da wäre, hätte das Auswirkungen auf die Programmgestaltung, weil Facebook bei euch ja durchaus dazu genutzt wird? ME: Es wäre sicher langweiliger. Im besten Fall stellt man eine Frage und bekommt Feedback oder bekommt Anregungen, bekommt Gedanken, bekommt Fragen natürlich auch gestellt und man kann dass natürlich auch verwenden. Man kann diesen Input mitnehmen. Hätten wir das nicht, hätten wir immerhin noch unsere eigene Website und könnten es dort probieren, oder man sagt einfach so, die Leitungen sind jetzt offen, es ruft jetzt an wer anruft. Aber im Sinne von ich versuche da eine gewisse Dramaturgie reinzubringen indem, dass es da eine Weiterentwicklung gibt, habe ich da halt weniger Möglichkeiten, den Kontakt aufzunehmen. Eine Person, die zum Beispiel das krasse Gegenteil denkt, von dem was da jetzt gerade geredet wird, da muss ich das Glück haben, dass die in dem Moment entweder anruft – Variante A – oder Variante B, da gibt es jemanden schon und ich nehme Kontakt zu
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der Person auf und frage denn, was er denkt. Also es wäre vielfältiger. Im besten Fall kann man mehr Vielfalt reinbringen. LS: Wo seht ihr die Zukunft von Facebook? ME: Es wird sicher etwas Neues geben, aber wie gesagt, die Sachen die werden verschmelzen. JB: Ich glaube auch, dass man es immer selbstverständlicher einbinden wird. Es kann natürlich sein das es auch etwas Neues gibt. Wie gesagt, vor Jahren haben wir gedacht MySpace ist das große Ding, dann kam Facebook. Zuerst wusste man nicht, was man damit anfangen soll und jetzt funktioniert es eigentlich ganz gut. Das nächste lauert wahrscheinlich schon in den Startlöchern. ME: Es werden die Sachen immer enger ineinander fließen.
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Abstract - Deutsch
Die hier vorliegende Magisterarbeit mit dem Thema „Facebook, Partizipation und
Radiojournalismus“ am Beispiel österreichischer Radiosender aus dem privaten, sowie dem
öffentlich-rechtlichen Bereich, befasst sich in erster Linie mit der Frage danach, ob das
soziale Netzwerk Facebook die Partizipationschancen des Publikums erhöht. Insbesondere
die Frage nach der konkreten Nutzung der Plattform seitens der Radiosender, sowie der
Einbettung von nutzergenerierten Inhalten (User Generated Content), steht im Vordergrund
der Untersuchung.
Die kommunikationswissenschaftliche Grundlage dazu bilden einerseits theoretische
Auseinandersetzungen mit den Begriffen User Generated Content, Interaktion, Partizipativer
Journalismus und Social Media. Andererseits liefern verschiedene Radiotheorien (z.B.
Brechts Radiotheorie), die partizipatorische Demokratietheorie aus der Politikwissenschaft,
das Gatekeeper-Modell, sowie die Theorie des kommunikativen Handelns, wichtige
kommunikationstheoretische Bezüge für die hier vorliegende Magisterarbeit.
Den Kern der Forschungsarbeit bilden Experteninterviews mit sechs Experten und
Expertinnen von fünf österreichischen Radiosendern, welche anhand eines Leitfadens zur
Thematik befragt worden sind. Die Interviews wurden anschließend mit der qualitativen
Inhaltsanalyse nach Mayring analysiert. Dabei wurden anhand der Theorie und des
Leitfadens Kategorien gebildet, denen die verschiedenen Aussagen der befragten Experten
zugeordnet wurden.
Zusammengefasst zeigen die wichtigsten Ergebnisse der Studie, dass die Nutzung von Social
Media, allen voran Facebook, für österreichische Radiosender von großer Bedeutung ist und
teilweise sehr stark in die journalistischen Routinen eingebettet ist. Facebook ist für das
Radio zu einem wichtigen Kommunikationstool geworden, das den Kontakt mit dem
Publikum einfacher, schneller und direkter gemacht hat. Zudem hat das soziale Netzwerk die
Partizipationschancen und Möglichkeiten der Mitgestaltung seitens der Hörer erhöht. Es
werden gepostete Inhalte der User aufgegriffen und in das On Air Programm einbezogen,
außerdem werden mit Hilfe der Online Community Themen zur weiteren Verarbeitung
generiert. Facebook hat also durchaus den interaktiven Charakter des Mediums Radio
verstärkt und ist somit wesentlicher Bestandteil österreichischer Radiosender geworden.
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Abstract - English
The main topic of this master thesis is the connection of Facebook, audience participation
and radio journalism. By looking at different private, as well as public Austrian radio stations,
it deals with the question whether social networks like Facebook can help to raise the
chances of audience participation in the process of creating content for radio shows and
news. Furthermore, the following study is focusing on how radio stations are using the social
network to communicate with their audiences and how user generated content is used
within the radio program itself.
The theoretical basis of this thesis consists of a thorough definition of communicational
terms such as user generated content, interaction, participatory journalism and social media,
as well as a critical examination of different models and theories from the field of
communication science. These include major radio theories (i.e. Brecht’s Radio Theory), the
Theory of Participatory Democracy, the Gatekeeper-Model and the Theory of
Communicative Action.
The core elements of this study are interviews with six experts from five Austrian radio
stations. The interviews were conducted with the help of a question schedule, based on
communication and media science theories. The transcripts of the interviews were then
evaluated. Therefore, the method of qualitative content analysis by Mayring was used.
When using this type of empirical approach, different categories are created according to
which the answers of the experts are then clustered and summarized.
In conclusion the main results of this study show that the use of social media is very
important for the evaluated Austrian radio stations. Facebook has become a main part of the
daily journalistic routines and it plays a major role in modern media systems, especially
when it comes to a more direct communication with the target audience. The social network
is an important communicational tool, which makes the verbal exchange between
communicator and receiver a lot easier and faster. In addition Facebook has increased the
chances of audience participation within the process of creating radio content. Austrian
radio stations do this for example by integrating user generated content from the social
network during shows and talking about it in their on air program or by animating the
community within the social network to help generate possible topics hosts can talk about.
Facebook therefore has definitely made radio journalism more interactive and the network
has become a major part of Austrian radio stations.