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Archäologie in Sachsen-Anhalt · Sonderband 19 · 2012 63 Mensch »Memento moriendum esse – Bedenke, dass du sterben musst.« Der Umgang mit dem Tod in der Stein- und Bronzezeit Madeleine Fröhlich (MF), Großgöhren, und Jan F. Kegler (JFK), Leer Von Gräbern geht in der Archäologie immer eine besondere Faszination aus. Selten ist man den Menschen der Vorzeit so nahe wie beim Auffinden einer Bestattung. Aus archäologischer Sicht ist aus Grablegen sehr viel ablesbar oder interpre- tierbar: Die Ausstattung der Verstorbenen gibt schlaglichtartig einen Überblick über den For- menschatz z. B. der Keramikgefäße, die Reichhal- tigkeit der Grabausstattung und Anhaltspunkte auf den gesellschaftlichen Rang des Toten. Die Lage der Bestatteten ist ein Hinweis auf die Jen- seitsvorstellungen der Lebenden und schließlich gibt die Lage der Gräber im Bezug zu den Sied- lungen einen Hinweis auf die Beziehung der Lebenden zu den Toten. Für die Anthropologie sind Grablegen ebenfalls nahezu unerschöpfliche Quellen, geben sie doch Auskunft über Geschlecht, Körpergröße, Krankheiten oder die Belastungen durch die tägliche Arbeit im Einzelnen, aber auch im Ganzen einen Eindruck über die Struktur einer prähistorischen Gesellschaft. Über das gesamte Grabungsareal zwischen dem Ostportal des Bibratunnels und dem west- lichen Widerlager der Unstruttalbrücke streuen Gräber der endneolithischen schnurkeramischen Kultur, der Glockenbecherkultur sowie der früh- bronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur. Es konnte zwar eine Vergesellschaftung von Gräbern der Schnurkeramikkultur mit denen der Aunjetitzer Kultur im Bereich der Gräbergruppe 8 (siehe Abb. 4) festgestellt werden; die Gräber der Glo- ckenbecherkultur wurden jedoch bis auf eine Ausnahme separiert von denen der Schnurkera- mik- bzw. Aunjetitzer Kultur angetroffen. Auffäl- lig war eine gewisse räumliche Nähe – sofern diese Aussage auf Basis eines Ausschnittes des besie- delten Areals getroffen werden kann – zwischen den glockenbecherzeitlichen Gräbern und denen der frühbronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur. Ab der mittleren Bronzezeit finden sich im Grabungsareal trotz der intensiven Besiedlung in den folgenden Jahrhunderten keine regulären Gräber mehr. Vermutlich wurden die Toten jener Zeit außerhalb des untersuchten Areals bestattet. Dennoch enthalten einige Siedlungsgruben soge- nannte Siedlungsbestattungen oder Deponierun- gen und Teildeponierungen von Menschen. In den Jahren 1994/1995 wurde unweit der aktuellen Grabungsfläche nördlich von Wetzen- dorf – ebenfalls im Rahmen der ICE-Neubaustre- cke Erfurt–Leipzig/Halle – durch H. Jarecki ein endneolithisches bis frühbronzezeitliches Gräber- feld untersucht. Dort lassen sich neben vergleich- baren Gefäßbeigaben in den Gräbern auch Paralle- len im Auftreten von schnurkeramischen bzw. glockenbecherzeitlichen Gräbern in räumlicher Nähe zu frühbronzezeitlichen Bestattungen der Aunjetitzer Kultur finden, wie sie stellenweise auch im Bereich der ICE-Trasse zu beobachten waren. MF, JFK Bestattungen der Schnurkeramikkultur Gräber der schnurkeramischen Kultur sind in Mitteldeutschland zahlreich vertreten. Sie wurden bereits in mehreren Publikationen zur Archäo- logie in Sachsen-Anhalt ausführlich beschrieben 1 . Die schnurkeramische Kultur ist die geografisch mit am weitesten verbreitete urgeschichtliche Kultur in Mitteldeutschland (vgl. Behrens/Schlette 1969). Den Bestattungen der schnurkeramischen Kultur sind überregional einige Elemente gemein, die sich auch auf der ICE-Trasse bei Wennungen wiederfinden. Anhand der Lagebeziehung der Toten zueinander konnte bisher nur zwischen isolierten Einzelgräbern sowie mittelbar bzw. unmittelbar benachbarten Gräbern unterschieden werden. Aufgrund der Entdeckung schnurkera- mischer Häuser könnten sich nun neue Beziehun- gen in der Organisation eines schnurkeramischen Siedlungsplatzes ergeben (s. Beitrag »Haus und Hof« von J. F. Kegler in diesem Band). Die Grab-
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Madeleine Fröhlich, Jan F. Kegler: "Memento moriendum esse - Bedenke, dass du sterben musst." Der Umgang mit dem Tod in der Stein- und Bronzezeit.

Feb 24, 2023

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Archäolog ie in Sachsen-Anhal t · Sonderband 19 · 2012 63

Mensch

»Memento moriendum esse – Bedenke, dass du sterben musst.« Der Umgang

mit dem Tod in der Stein- und BronzezeitMadeleine Fröhlich (MF), Großgöhren, und Jan F. Kegler (JFK), Leer

Von Gräbern geht in der Archäologie immer eine besondere Faszination aus. Selten ist man den Menschen der Vorzeit so nahe wie beim Auffinden einer Bestattung. Aus archäologischer Sicht ist aus Grablegen sehr viel ablesbar oder interpre­tierbar: Die Ausstattung der Verstorbenen gibt schlaglichtartig einen Überblick über den For­menschatz z. B. der Keramikgefäße, die Reichhal­tigkeit der Grabausstattung und Anhaltspunkte auf den gesellschaftlichen Rang des Toten. Die Lage der Bestatteten ist ein Hinweis auf die Jen­seitsvorstellungen der Lebenden und schließlich gibt die Lage der Gräber im Bezug zu den Sied­lungen einen Hinweis auf die Beziehung der Lebenden zu den Toten. Für die Anthropologie sind Grablegen ebenfalls nahezu unerschöpfliche Quellen, geben sie doch Auskunft über Geschlecht, Körpergröße, Krankheiten oder die Belastungen durch die tägliche Arbeit im Einzelnen, aber auch im Ganzen einen Eindruck über die Struktur einer prähistorischen Gesellschaft.

Über das gesamte Grabungsareal zwischen dem Ostportal des Bibratunnels und dem west­lichen Widerlager der Unstruttalbrücke streuen Gräber der endneolithischen schnurkeramischen Kultur, der Glockenbecherkultur sowie der früh­bronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur. Es konnte zwar eine Vergesellschaftung von Gräbern der Schnurkeramikkultur mit denen der Aunjetitzer Kultur im Bereich der Gräbergruppe 8 (siehe Abb. 4) festgestellt werden; die Gräber der Glo­ckenbecherkultur wurden jedoch bis auf eine Ausnahme separiert von denen der Schnurkera­mik­ bzw. Aunjetitzer Kultur angetroffen. Auffäl­lig war eine gewisse räumliche Nähe – sofern diese Aussage auf Basis eines Ausschnittes des besie­delten Areals getroffen werden kann – zwischen den glockenbecherzeitlichen Gräbern und denen der frühbronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur.

Ab der mittleren Bronzezeit finden sich im Grabungsareal trotz der intensiven Besiedlung in

den folgenden Jahrhunderten keine regulären Gräber mehr. Vermutlich wurden die Toten jener Zeit außerhalb des untersuchten Areals bestattet. Dennoch enthalten einige Siedlungsgruben soge­nannte Siedlungsbestattungen oder Deponierun­gen und Teildeponierungen von Menschen.

In den Jahren 1994/1995 wurde unweit der aktuellen Grabungsfläche nördlich von Wetzen­dorf – ebenfalls im Rahmen der ICE­Neubaustre­cke Erfurt–Leipzig/Halle – durch H. Jarecki ein endneolithisches bis frühbronzezeitliches Gräber­feld untersucht. Dort lassen sich neben vergleich­baren Gefäßbeigaben in den Gräbern auch Paralle­len im Auftreten von schnurkeramischen bzw. glockenbecherzeitlichen Gräbern in räumlicher Nähe zu frühbronzezeitlichen Bestattungen der Aunjetitzer Kultur finden, wie sie stellenweise auch im Bereich der ICE­Trasse zu beobachten waren.

MF, JFK

Bestattungen der Schnurkeramikkultur

Gräber der schnurkeramischen Kultur sind in Mitteldeutschland zahlreich vertreten. Sie wurden bereits in mehreren Publikationen zur Archäo­logie in Sachsen­Anhalt ausführlich beschrieben1. Die schnurkeramische Kultur ist die geografisch mit am weitesten verbreitete urgeschichtliche Kultur in Mitteldeutschland (vgl. Behrens/Schlette 1969). Den Bestattungen der schnurkeramischen Kultur sind überregional einige Elemente gemein, die sich auch auf der ICE­Trasse bei Wennungen wiederfinden. Anhand der Lagebeziehung der Toten zueinander konnte bisher nur zwischen isolierten Einzelgräbern sowie mittelbar bzw. unmittelbar benachbarten Gräbern unterschieden werden. Aufgrund der Entdeckung schnurkera­mischer Häuser könnten sich nun neue Beziehun­gen in der Organisation eines schnurkeramischen Siedlungsplatzes ergeben (s. Beitrag »Haus und Hof« von J. F. Kegler in diesem Band). Die Grab­

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gruben sind in der Längsachse einheitlich Ost­nordost­Westsüdwest bzw. Nordost­Südwest ori­entiert. Ein weiteres Element ist die überregional einheitliche Sitte, die Toten tendenziell in einer genormten geschlechtsspezifischen Bestattungs­weise zu begraben. So wurden Männer eher auf der rechten Seite liegend, mit dem Kopf in der westlichen Grubenhälfte bestattet. Der Blick der Toten ist nach Süden gerichtet. Frauen hingegen sind auf der linken Körperhälfte liegend, mit dem Kopf nach Osten gerichtet bestattet worden, wäh­rend der Blick der Toten ebenfalls nach Süden weist. Diese Bestattungsweise unterscheidet sich grundsätzlich von der in der Spätphase der schnurkeramischen Kultur zeitgleichen Glocken­becherkultur (s. u.). Wie H. Jarecki (2oo7, 2o1 ff.) kürzlich darstellen konnte, sind in Wennungen Erdgräber aus der gesamten Zeitspanne der schnurkeramischen Kultur zwischen dem 28. und 22. Jahrhundert v. Chr. vertreten.

Die regelhafte Beigabensitte ist ein weiteres verbindendes Element der Schnurkeramikkultur in Mitteldeutschland. Den Toten wurde in der Regel zumindest eine Beigabe in die Grabgrube mitgegeben. Allerdings ist es bei einigen Befun­den aufgrund der starken Fragmentierung der Keramikscherben bzw. der Erhaltung von Einzel­fragmenten manchmal fraglich, ob von einer intentionellen Beigabe gesprochen werden kann. In der Regel liegen die Beigaben neben dem Kopf oder an den Füßen des Bestatteten. Bei den Män­nergräbern sind dies oft durchlochte (Facetten­) Äxte oder Beilklingen aus Felsgestein, eine Feuer­steinklinge oder ein Feuersteingerät und/oder mindestens ein Keramikgefäß (Becher, Amphore etc.). Bei den Frauengräbern sind dies Keramik­gefäße und/oder durchlochte Knochen­ bzw. Zahnanhänger aus den Eck­ bzw. Backenzähnen von Hunden und anderen Tieren. In zahlreichen Gräbern sind regelmäßig runde, durchbohrte Pailletten bzw. verzierte Muschelscheiben aus den

Schalen der Flussperlmuschel (Margaritifera sp.) vertreten (vgl. Kobbe/Clasen 2oo6).

Bei den 73 schnurkeramischen Gräbern in Wennungen handelt es sich zumeist um Einzel­bestattungen. Bei zwei Grablegen (Bef. 2843 und 53o7) konnten Einbauten in Form von Steinlagen oder Abdecksteinen aus lokal anstehendem Sand­stein entdeckt werden. Alle Toten wurden in Hockerstellung mit angezogenen Beinen bestattet. Zwei Arten der Armhaltungen bei den Toten sind unterscheidbar: auf der Brust liegende ver­schränkte Arme mit parallel abgelegten Unter­armen sowie seitlich vor dem Körper liegende angewinkelte Arme. Der Oberkörper der Toten liegt bei der ersten Variante nicht auf der Seite, sondern auf dem Rücken. Die Beine liegen jeweils seitlich und sind stark angewinkelt. Allerdings lässt sich keine Bevorzugung in der jeweiligen Totenhaltung bei Frauen oder Männern bzw. Kindern oder Erwachsenen erkennen. Betrachtet man die Verteilung auf dem Trassenabschnitt zwischen dem Tunnelportal und dem Brücken­widerlager, lassen sich die Gräber – mit Ausnahme der isolierten Einzelgräber – in Grabgruppen zusammenfassen: einerseits die Gräber in der

FN 3

FN 2

262-2

262-1Skelett

Befund

Keramik0 1m

1 2

3

n

abb. 1 Unstruttalbrücke, West­widerlager. Der Kreisgraben um

das Grab Bef. 262/263 deutet auf einen ursprünglich

vorhandenen Hügel hin.

abb. 2 Die zentrale Bestattung in Bef. 262/263 (Planum 3).

abb. 3 Vollständiger schnur­

keramischer Becher der Nach­bestattung Bef. 262/263,

M. 1:4.

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Nähe der vier schnurkeramischen Gebäude auf der Lösshochfläche (Bauabschnitt 1), andererseits zwei größere Grabgruppen im Bereich des 3. Bau­abschnitts mit jeweils etwa 2o bzw. elf Bestattun­gen (vgl. Abb. 4). Eine kleinere Grabgruppe liegt nordwestlich der spätbronze­/früheisenzeitlichen Torsituation (siehe Beitrag »Grabensysteme in Wennungen« von A. Hüser in diesem Band). Schließlich befinden sich in unmittelbarer Nähe zu den beiden Gebäuden auf der Widerlagerfläche (Baueinrichtungsfläche A) in lockerer Streuung weitere schnurkeramische Gräber. Hervorzu­heben ist hier ein einzelnes schnurkeramisches Hügelgrab (Bef. 262/263), das von einem Graben umgeben ist. Bei der Anlage der Baustraße (B­1b) entlang der Unstruttalbrücke wurden acht weitere schnurkeramische Gräber auf der Niederterrasse der Unstrut unweit des heutigen Friedhofs der Ortschaft Wetzendorf geborgen. Auch hier konnte ein Hügelgrab in Form einer zentralen Bestattung mit umfassendem Graben dokumentiert werden (Bef. 1o15/1o16).

Das Hügelgrab (Bef. 262 u. 263) liegt im zen­tralen Teil der Baueinrichtungsfläche A. Es handelt sich um eine Bestattung, die mittig unter einem Hügelgrab bestattet worden ist. Der Befund besteht aus einem im Durchmesser etwa 6,1o m großen, ca. 5o cm breiten Graben (Bef. 263), der kreisrund um eine unregelmäßig ovale ca. 1,7o m große zentrale Grabgrube (Bef. 262) angelegt worden ist (Abb. 1). In dieser lag ein durch Tier­aktivitäten stark in seinem Zusammenhang gestörtes Skelett in Hockerlage, welches auf der linken Seite liegend, den Kopf nach Osten und Blick nach Süden ausgerichtet war (Abb. 2). Auf­fallend in dieser Grube ist die Präsenz eines zweiten menschlichen Unterkiefers. Als Beigaben lassen sich ein schnurkeramischer Becher (Abb. 3), eine fragmentarisch erhaltene Amphore und eine Feuersteinklinge nennen. Außerdem befanden sich die sehr schlecht erhaltenen Reste eines weiteren schnurkeramischen Bechers in diesem Befund. Die Präsenz des zweiten Unterkiefers sowie des zweiten schnurkeramischen Bechers

könnte für eine Nachbestattung in das bereits genutzte Hügelgrab sprechen.

Im Bereich der zum Brückenbauwerk parallel verlaufenden Baustraße B wurden vier eng beiein­anderliegende Hockerbestattungen dokumentiert (Bef. 1ooo bis 1oo3). Alle vier Bestattungen sind Südwest­Nordost ausgerichtet. Der Kopf von drei sehr wahrscheinlich als Männergräber anzuspre­chenden Bestattungen ist jeweils nach Südwest ausgerichtet und der Blick weist nach Südosten. Alle Beigesetzten liegen auf der rechten Körper­seite. Ihnen sind hauptsächlich Beilklingen aus Felsgestein (Abb. 5) bzw. Feuersteingeräte (Klin­genkratzer) beigegeben worden. Der Bestattung aus Bef. 1oo1 wurden noch eine Amphore sowie ein schnurkeramischer Becher in die Grabgrube beigelegt (Abb. 6).

Herauszuheben ist die Bestattung Bef. 1oo3: Es handelt sich wahrscheinlich um eine Frauen­bestattung. Die Tote liegt auf der linken Körper­hälfte, ihr Kopf weist nach Nordosten und der Blick ist nach Südosten gerichtet. Die Beine sind sehr stark angezogen und die Arme angewinkelt. Als Beigaben fanden sich ca. 8o an der Basis durchbohrte Eckzähne und Molare eines Caniden (Hund, Wolf oder Fuchs, Abb. 7), die vor der Toten in langen Reihen lagen. Man kann davon ausge­hen, dass die durchbohrten Tierzähne auf eine nicht mehr erhaltene Schnur aufgefädelt waren. Der ursprüngliche Fundzusammenhang der Bei­gaben ist aber durch Tieraktivitäten zum Teil gestört worden. Neben diesem Fundensemble stammen aus der Bestattung noch zwei durch­bohrte Muschelscheiben und ein Muschelknopf (Abb. 8a), auf dem eine Verzierung in Form drei paralleler, gravierter Punkt­ oder Näpfchenreihen zu erkennen ist, die vom Rand auf die zentrale doppelte Durchbohrung zulaufen. Vergleichbare Muschelknöpfe zeigen häufig eine kreuzförmige

5

6

abb. 5–6 Fundmaterial aus Bef. 1001: Steinbeile und schnurkeramischer Becher, M. 1:4.

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Verzierung (vgl. Abb. 8b–c). Kobbe/Clasen (2oo6, 277) vermuten, dass es sich bei den Vertiefungen um Reste der Herstellungsweise von Muschel­knöpfen handeln könnte. Die Vertiefungen sollen zum Entfernen der dunklen Schicht auf der Muscheloberseite gedient haben. Da es sich bei diesen Punktreihen um ein wiederholt auftreten­des Verzierungselement der Schnurkeramikkul­tur handelt und in Wennungen mehrfach belegt ist, ist eine solche Interpretation eher unwahr­scheinlich. Vielmehr handelt es sich um eine intentionelle Verzierung der Muschelknöpfe.

In die Gruppe der reich ausgestatteten endneo­lithischen Frauengräber gehört auch die Bestat­tung einer Frau (Bef. 211o), ca. 1oo m nordwestlich der vier schnurkeramischen Häuser auf der

Lösshochfläche. Zunächst konnten bei Anlage eines Profils ein fast vollständig erhaltener Topf sowie eine flächenretuschierte Pfeilspitze gebor­gen werden. In lockerer Streuung befanden sich vereinzelte, stark vergangene Reste von Knochen eines Menschen. 55 cm unterhalb des ersten Feinplanums wurde innerhalb einer länglich

7 2,5 cm

8b 8c

10

9 11

8a2,5 cm

abb. 7 Fundmaterial aus Bef. 1003: Zahnschmuck.

abb.8a Fundmaterial aus Bef. 1003: Muschelknopf.

abb. 8b–c Verzierte »Muschel­

broschen« aus Schafstädt, Saalekreis, Fundplatz 28,

Grab 2 (Länge 8,5–8,8 cm).

abb. 9 Detail der Bestattung Bef. 2110.

abb. 10 Die erste Blockbergung in Wennungen. Bef. 2110 bei der

Präparation der Bergung.

abb. 11 Detailansicht eines mit Muschelpailletten und durch­bohrten Zähnen reich bestickten Textils (?), in dem der Leichnam

eines Säuglings eingewickelt war.

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ovalen Grabgrube die Bestattung der erwähnten Frau angetroffen. Sie lag auf der linken Körper­hälfte, mit dem Kopf nach Nordosten, der Blick ist nach Südosten gerichtet. Die Arme sind ver­schränkt vor dem Unterleib abgelegt. Sie umschlie­ßen eine Konzentration von Muschelpailletten und durchbohrten Hundezähnen (Abb. 9–1o). Bei der Feinpräparation in der Restaurierungswerk­statt stellte sich heraus, dass es sich hierbei wohl um eine Decke oder ein Tuch gehandelt hat. In diesem mit dicht aneinandergereihten und durch­bohrten Muschelpailletten, Muschelscheiben und durchbohrten Zähnen reich bestickten Textil wurde der Leichnam eines Säuglings (Infans I) eingewickelt (Abb. 11).

Die reiche Ausstattung der Gräber Bef. 1oo3 und Bef. 211o legt einen Vergleich mit einer Bestattung im Sandtagebau Karsdorf, Burgen­landkreis, nahe, in dem eine junge Frau bestattet worden war, der zahllose durchbohrte Muschel­schalenpailletten beigegeben wurden (vgl. Bef. 2oo5/59; Behnke im Druck). Auch von den Aus­grabungen an der A 38 bei Esperstedt, Saalekreis, sind schnurkeramische Bestattungen mit zahlrei­chen Muschelpailletten und ­knöpfen sowie durch­bohrten Hundeeck­ und Backenzähnen bekannt. Einen direkten Vergleich stellt auch der Befund 4179 der Grabung von Esperstedt dar (Leinthaler u. a. 2oo6, 78 f.). Hier handelt es sich ebenfalls um eine Bestattung einer adulten bis maturen Frau, der etliche, teilweise dicht aneinandergereihte durchbohrte Hundezähne, Muschelknöpfe und zahlreiche Muschelpailletten mitgegeben wurden.

Zwei Gräber fallen aus dem recht einheitlichen Schema der schnurkeramischen Bestattungen heraus. Für die Gräber der Befunde 2843 und 53o7 wurden Abdeckungen aus dem lokal anstehenden Sandstein verwendet. Bef. 2843 lag singulär in dem ansonsten fast befundfreien Bauabschnitt 2. Im Planum waren zwei große Sandsteinplatten

von 1o5 cm x 8o cm bzw. 8o cm x 5o cm Größe zu erkennen, von denen die kleinere um 45 Grad verkippt lag (Abb. 12). Diese kleinere Platte war offensichtlich in eine tiefer liegende Grube abge­sunken. Unter den Steinen befand sich eine in der Längsachse Südwest­Nordost orientierte Grab­grube von 13o cm x 8o cm Größe. Auf der leicht muldenförmigen Grabsohle lag das Skelett einer, aufgrund der Ergebnisse der anthropologischen Bestimmung maturen, d. h. einer etwa 4o bis 6o­jährigen Frau (Abb. 13). Sie wurde auf der linken Körperseite in Hockerstellung, der schnur­keramischen Bestattungssitte entsprechend Ostostnord­Westwestsüd orientiert und der Blick gegen Süden gerichtet, beigesetzt. Die Beine waren stark angezogen und die Arme vor dem Bauch verschränkt. Der Toten waren keine Beigaben mitgegeben worden.

Bei Bef. 53o7 befand sich innerhalb einer 155 cm x 12o cm großen Verfärbung ein etwa 6o cm großer Sandstein, der die Grabgrube quer abdeckte. Nach Entnahme des Sandsteins wurden in dem durch Tiergänge stark gestörten kasten­förmigen Befund die Überreste der Bestattung eines Kindes gefunden. Innerhalb der Grabgrube waren nur noch Teile des Schädels erhalten. Bemerkenswert ist ein kleiner Krug mit sechs gegenständigen, quer durchlochten Henkelösen und Schnurverzierung an Gefäßhals, ­schulter und ­bauch (Abb. 14–15). Aufgrund typologischer Erwägungen gehört diese Gefäßform eher in die jüngere Phase der schnurkeramischen Kultur (Müller 1999; Furholt 2oo3).

In zwölf Fällen wurde mehr als eine Person bestattet. Bei neun Gräbern sind nach der anthro­pologischen Bestimmung Kinder (drei Infans I, vier Infans II) bzw. Jugendliche (zwei Juvenil) mit bestattet worden. Besonders eindrucksvoll ist eine Doppelbestattung (Bef. 4479; Abb. 16). Ein junger erwachsener Mann lag entgegen der üblichen

12 13

abb. 12 Abdeckung der Grab­grube Bef. 2843 durch zwei große Sandsteinplatten. abb. 13 Die Bestattung Bef. 2843 nach der Freilegung.

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schnurkeramischen Bestattungsweise auf der linken Körperseite, mit dem Kopf in der west­lichen Grubenhälfte und Blick nach Süden. Ihm gegenüber – quasi Stirn an Stirn – liegt ein Jugend­licher (Infans II), dessen Geschlecht nicht be­ stimmt werden konnte. Auch dieser liegt nicht entsprechend der schnurkeramischen »Tradition« beigesetzt, da er seinem Gegenüber ins Gesicht (und damit nach Norden) blickt und nicht eben­falls nach Süden. Beiden Toten wurde gemeinsam am nördlichen Grubenrand ein mit Schnurabdrü­cken verzierter Keramikbecher sowie eine Feuer­

steinklinge beigegeben. Am Hinterkopf des älte­ren Individuums befand sich ein Muschelknopf. Vielleicht ist die Position der Muschelscheibe als Hinweis auf eine Haartracht zu werten.

Eine Dreierbestattung (Bef. 53o5; Abb. 17) wurde im nordöstlichen Teil des 3. Bauabschnitts untersucht. Nach den anthropologischen Unter­suchungen konnte nur das Geschlecht – ein adulter (2o bis 4o Jahre alter) Mann – bestimmt werden. Das Geschlecht eines maturen, d. h. 4o bis 6o­jährigen sowie eines juvenilen, also 13 bis 2o­jährigen Individuums war nicht bestimmbar. Aufgrund der Lage der Toten in der Grabgrube sowie des geschlechtsspezifischen schnurkerami­schen »Bestattungsstandards«, mag es sich bei diesen beiden Individuen um Frauen handeln. Die drei Toten waren entlang einer Nordost­Südwest­Achse innerhalb der Grabgrube orien­tiert. Zwei der Individuen liegen mit dem Kopf im Nordosten auf der linken Körperhälfte. Dies sind die beiden möglichen weiblichen Individuen. Sie wurden aufeinandergelegt, sodass beide Schä­del wie »übereinandergestapelt« wirken. Der dritte Tote liegt auf der rechten Körperhälfte, mit dem Kopf im südwestlichen Teil der Grabgrube und blickt, wie die beiden anderen, ebenfalls nach Südosten.

Die unterste, vermutlich weibliche Tote liegt auf der linken Körperseite. Die Beine sind stark angezogen, der Rücken der Toten ist stark gekrümmt und die Arme sind seitlich parallel vor dem Oberkörper abgelegt. Das zweite, männliche Individuum liegt auf der rechten Körperseite in extremer Hockerstellung. Seine Beine sind stark bis fast vor die Brust angezogen und die Arme sind seitlich parallel vor dem Oberkörper abgelegt. Er wurde unmittelbar vor die tote Frau bzw. mit dem Oberkörper auf die Knie der Toten in die Grabgrube gelegt. Auf den Mann wurde schließlich das dritte, wahrscheinlich weibliche Individuum gelegt. Sie liegt halb auf dem Rücken. Die Arme sind auf der Brust verschränkt und die Beine

14

15

abb. 14–15 Kleiner Krug mit sechs gegenständigen, quer durchlochten Henkelösen aus Bef. 5307.

5 cm

16

abb. 16 Doppelbestattung Bef. 4479 nach der Freilegung.

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seitlich nach links verkippt. Der Kopf dieses Indi­viduums wurde ummittelbar auf den der Ersten gelegt.

Den Toten wurde nur eine Beigabe in die süd­westliche Ecke der Grabgrube mitgegeben. Es handelt es sich um eine Amphore mit zwei gegen­ständigen Henkelösen auf der Schulter (Abb. 18). Hals und Schulter sind mit sieben parallel hori­zontalen Bändern aus jeweils drei Schnurabdruck­reihen verziert. Der untere Abschluss besteht aus einer regelmäßigen Fransenverzierung, ebenfalls aus Schnurabdrücken. Eine in Form und Verzie­rung annähernd vergleichbare Amphore stammt aus Bef. 59o, den H. Jarecki (2oo7, 2o1 f.) bereits 1994/1995 bei der Untersuchung der Pfeilerstand­orte der Unstruttalbrücke geborgen hat. Der Befund datiert nach einer AMS 14C­Datierung auf Erl­4842 3967 ± 79 BP (ca. 257o–24oo cal BC).

In Verbindung mit der Doppelbestattung Bef. 4479 weist dieser Befund – insbesondere aufgrund der vorliegenden Altersstruktur der Gruppe – einige Parallelen mit der sog. »schnurkeramischen Kernfamilie« von Eulau, Burgenlandkreis, auf. Bei dieser Mehrfachbestattung konnte nach den kürzlich vorgelegten DNS­Untersuchungen eine direkte Eltern­Kind­Verwandtschaft nachgewie­sen werden (Muhl u. a. 2o1o).

Zu den eher ungewöhnlichen Beigaben im Gesamtbefund der schnurkeramischen Gräber gehört eine Reihe von neun Knochenstäbchen, die sich am östlichen Rand der Grabgrube des Befundes 5o36 fanden (Abb. 19). Die zwischen 2 cm und 12 cm langen Knochenstäbchen liegen parallel nebeneinander. Es war während der Ausgrabung nicht zu klären, welcher Funktion sie dienten. Vorstellbar wäre ein Schmuckgegen­stand, möglicherweise auf ein Textil aufgenäht. Die Knochenstäbchen wurden im Block geborgen, detaillierte Ergebnisse stehen noch aus. Sie gehö­ren zu einer Bestattung einer älteren (maturen)

Frau. Bei der anthropologischen Bearbeitung des Befundes konnten darüber hinaus noch die Reste eines weiteren Individuums, eines Säuglings, bestimmt werden. Neben den genannten Beigaben befanden sich innerhalb der Grabgrube hinter und über dem Kopf in loser Streuung zahlreiche durchbohrte Eckzähne von Hunden. Im Brust­bereich lag eine einfache unbearbeitete Feuer­steinklinge. Unterhalb der Toten hinter/unter dem Rücken befanden sich ein stark abgearbeitetes Steinbeil (Abb. 2o) sowie ein Knochenpfriem.

Innerhalb der aus elf schnurkeramischen sowie sechs endneolithischen und vier frühbronzezeit­lichen Gräbern bestehenden, nordöstlichsten Grabgruppe des 3. Bauabschnitts sticht eine beson­ders reich ausgestattete, wahrscheinliche Männer­bestattung heraus (Bef. 5351; Abb. 21). Es handelt sich um einen auf der rechten Körperseite liegen­den Hocker. Da der Befund jedoch im Block

abb. 17 Bef. 5305: Dreifachbestattung eines älteren Mannes und vermutlich zweier Frauen? Rot eingerahmt ist die Amphore (vgl. Abb. 18).

abb. 18 Amphore mit zwei gegenständigen Henkelösen aus Bef. 5305.

3 cm

abb. 19 Die Bestattung einer älteren Frau (Bef. 5036) im Zustand der Dokumentation. Detail (roter Pfeil): Knochenstäb­chen unbekannter Funktion am öst lichen Rand der Grabgrube.

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geborgen wurde, um ihn unter Laborbedingungen ausgraben zu können, wurden bisher noch keine anthropologischen Bestimmungen durchgeführt. Während der Grabung zeichnete sich eine ovale, annähernd Ost­West orientierte Grabgrube von 115 cm x 1o3 cm Größe im anstehenden Löss ab.

In einem tieferen Planum war schließlich eine regelmäßig rechteckige Westsüdwest­Ostnordost ausgerichtete Verfärbung, die mit einem hetero­genen, humusfleckigen Löss verfüllt war, zu erkennen. Auf der Grubensohle, etwa 8o cm unterhalb der Grabungsoberkante lag eine Hocker­bestattung mit dem Kopf im Westen mit Blick nach Süden. Nur der westliche Teil der Grabgrube wurde in einem weiteren Planum erfasst, weshalb sich über die genaue Beinhaltung – außer dass sie stark angezogen sind – keine detaillierte Aussage treffen lässt. Die Hände sind in den Schoß gelegt, wobei sich die Unterarme kreuzen. Besonders reichhaltig sind die Beigaben des Toten (Abb. 22). Sie befinden sich vor allem im Westteil der Grab­grube und wurden um den Kopf drapiert. Mög­liche Beigaben im Fußbereich oder in der Nähe des Oberkörpers (z. B. Applikationen auf der Kleidung des Toten etc.) sind bislang nicht bekannt. Der Tote blickte auf eine schnurkeramische Amphore mit zwei gegenständigen Henkelösen. Soweit erkennbar, weist die Amphore am Gefäß­hals eine Verzierung aus Schnurabdrücken auf, während die Schulter mit einer Fransenzier aus Schnurabdrücken versehen ist. Im Bereich des Hinterkopfes lag ein Beigabenensemble, beste­hend aus zwei schnurkeramischen Bechern sowie einigen Felsgesteingeräten (Abb. 22). Ein Becher ist unverziert, der andere weist eine regelmäßige Verzierung aus parallelen Schnurabdrücken im Halsbereich auf. Er wurde mit der Mündung nach unten in die Grabgrube gestellt. Direkt hinter dem Kopf befand sich ein etwa 2o cm langer Unter lieger eines Mahlsteins aus einem kristallinen Gestein. Der intensive Gebrauch wird durch die konkav ausgeschliffene Arbeitsfläche deutlich. Auf dem Mahlstein lag das Fragment einer Geweihstange, möglicherweise handelt es sich hierbei um einen Pfriem für das Textilhandwerk. Zwei Felsgestein­geräte, ein flaches Steinbeil und eine facettierte Steinaxt gehören ebenfalls zum Beigabenensem­ble. Die Schneide der Axt wurde scheinbar wie­derholt nachgeschliffen, wie der stumpfe Winkel im Schneidenbereich andeutet. Schließlich sind noch zwei Feuersteingeräte zu nennen: eine kan­tenretuschierte regelmäßige Klinge sowie ein nicht näher definierbares Feuer steingerät. Das Gerät weist eine Art Stiel auf und erinnert somit an Stielspitzen mit kurzem, breitem Blatt, wobei die Spitzenpartie abgebrochen zu sein scheint.

Schließlich ist noch Bef. 464o zu nennen: In der stark gestörten Grabgrube lagen die sehr fragmentarisch erhaltenen Reste eines wahr­

abb. 21 Erwachsener Mann (?) aus Bef. 5351. Der erste Eindruck einer Schädelverletzung muss während der noch folgenden Freilegungsarbeiten dieser im Block geborgenen Bestattung anthropologisch geprüft werden. abb. 22 Reiches Beigaben ensemble: Becher, Mahlstein, Axt und Beil aus Bef. 5351.

21

22

2,5 cm

abb. 20 Steinbeil aus Bef. 5036.

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23 24

abb. 23 Knochennadel und Muschelpailletten von Bef. 4640 während der Freilegung. abb. 24–27 Fundmaterial aus Bef. 4640: Muschelpailletten, Knochennadel, schnurkeramischer Becher und Keramikschale mit aufgesetzten Leisten (M. 1:2).

27

262,5 cm

30 31

28

252 cm

abb. 28–29 Knochennadel (13,1 cm Länge) vor dem Gesicht der Bestattung Bef. 5271. abb. 30–31 Die Beigaben der schnurkeramischen Bestattung Bef. 5271. Dem Toten wurden neben der Knochennnadel eine Axt (29; 16,6 cm Länge) und ein Steinbeil (30; ca. 6,5 cm Länge) mit in die Grabgrube gegeben.

29

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scheinlich männlichen Kindes (Infans I). Vor dem Gesichtsschädel befanden sich elf Muschelpaillet­ten sowie und eine etwa 2 cm große durchbohrte Muschelscheibe (Abb. 23–24). Die anthropologi­sche Ansprache wird auch durch eine Knochen­nadel mit stumpfem Ende bestätigt, die am ver­dicktem Nadelkopf zwei Durchbohrungen aufweist (Abb. 25). Knochennadeln sind in der Regel in Männergräbern vertreten und liegen hier hauptsächlich im Rumpfbereich bzw. vor dem Gesicht (Petzold 2oo5, 5). Das einzige von der Fundstelle vorliegende Vergleichsstück, eine ein­fach durchbohrte Nadel, stammt aus Bef. 5271 und wurde einem älteren Mann (Matur) nebst weiteren Beigaben (je eine Amphore, Becher, Felsgesteinaxt, Steinbeil und Knochenpfriem) in die Grabgrube mitgegeben (Abb. 28–31). Kno­chennadeln kommen tendenziell eher in der Frühphase der schnurkeramischen Kultur vor (Müller 1999, 65 ff.). Dies hat eventuell eine Bedeu­tung hinsichtlich der Altersstellung einer ca. 1o,3 cm im Durchmesser betragenden Keramik­schale mit aufgesetzten Leisten, die ebenfalls der Kinderbestattung in Bef. 464o mitgegeben wurde (Abb. 27). Die acht oder neun Leisten zeigen eine Verzierung in Form eines einfachen Tannenzweig­musters. Diese zeitliche Zuweisung in die Früh­phase der Schnurkeramikkultur würde sich auch mit der typo­chronologischen Zuweisung des schnurkeramischen Bechers mit regelmäßigen Schnurabdrücken im Bereich des Gefäßhalses decken (Abb. 26). Becher mit einer solchen Ver­zierung gehören nach M. Furholt (2oo3, 16 f.) ebenfalls in die Frühphase der Schnurkeramik­kultur vor 26oo cal BC. JFK

Bestattungen der glockenbecherkultur Zwischen dem Bibratunnelportal und der Unstrut­talbrücke wurden insgesamt 17 Befunde der Glockenbecherkultur entdeckt. 13 dieser Befunde sind als Bestattungen anzusprechen. Die Gräber liegen in kleinen Gruppen von meist zwei Bestat­tungen über das gesamte Grabungsareal verstreut.

Die mitteldeutsche Gruppe der Glockenbecher­kultur bestattete ihre Verstorbenen hinlänglich in einfachen Erdgräbern (75 % der bis dato bekannten Gräber weisen diese Form auf). Als weitere, jedoch weniger häufig vorkommende Grabform ist die Steinkiste zu nennen. Hierbei kann es sich sowohl um vollständig durch Steine eingefasste Grabgruben handeln, wie auch die Niederlegung einzelner Steine im Kopf oder Fuß­bereich des Toten. Im letzteren Fall ist nicht klar, ob es sich um einen Grabzustand nach partieller Zerstörung oder tatsächlich um rudimentäre eingebrachte Grabeinbauten handelt. In wenigen Fällen konnten Holzeinbauten für glockenbecher­zeitliche Erdgräber nachgewiesen werden. Dies hängt jedoch stark von den örtlichen Boden­ und Erhaltungsbedinungen für Holz ab. Kreisgräben oder Grabhügel sind keine typischen Grabbauten der Glockenbecherkultur und grenzen diese damit deutlich von Vertretern der Schnurkeramikkultur in Mitteldeutschland ab (Hille 2o12, 69 ff.). Als einzig bekannten Vertreter eines glockenbecherzeit­lichen Grabes mit obertägiger Kennzeichnung ist das Steinkistengrab von Langeneichstädt zu nennen. Dort befindet sich ein rund 8o cm hoher Stein auf der Kiste, wohl um diese weithin sicht­bar zu machen2.

32

34

335 cm

abb. 32 Bef. 2816 und Befund 3641. Glockenbecherzeitliche Bestattungen. abb. 33 Bef. 2816. Glockenbecherzeitliche Tasse. abb. 34 Bef. 2816. Ältester Metallgegenstand aus Wennungen: 3 cm langer und 2 mm breiter, vierkantiger Kupferpfriem mit spitzen Enden. Da Metall in der Glockenbecherkultur nur selten auftritt, spiegelt dieser Gegenstand eine gewisse Bedeutung der Toten wider.

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Als ersten Anzeiger für die Zuordnung des Grabbefundes zu einer endneolithischen Gruppe oder Kultur kann neben der Form oder Art des Grabes auch die Ausrichtung des Bestatteten herangezogen werden. Diese erfolgte in den häu­figsten Fällen entlang einer Nord­Süd­Achse. Der Tote wurde mit Blickrichtung nach Osten nieder­gelegt, wobei seine Beigaben zumeist hinter dem Rücken abgelegt wurden. Sowohl die Ausrichtung wie auch die Lage der Beigaben kann von Fall zu Fall leicht varrieren.

Betrachtet man nun die glockenbecherzeit­lichen Gräber auf dem Wennunger Sporn, so sind acht davon einfache Erdgräber. Die exakt Nord­Süd ausgerichteten Toten führten ursprünglich Keramikgefäße als Beigaben mit sich, die teils jedoch nur noch stark fragmentiert erhalten sind. Da sich diese Gräber in einem Bereich der Aus­grabungsfläche mit wenig Mutterbodenauflage (max. 3o cm) befinden, kann die weniger gute Erhaltung der Befunde auch auf Zerstörungen durch den Pflug zurückzuführen sein.

Des Weiteren sind drei Erdgräber mit Holzein­bauten (hier weicht die Ausrichtung von der Nord­Süd­Achse ab) sowie eine Steinkiste und drei Steinpackungen dokumentiert. Die Erhaltung der menschlichen Skelette und der Grabbeigaben ist ausgesprochen gut, so sie nicht durch Erosion oder den Pflug gestört wurden.

Als besonders reichhaltig ausgestattete Gräber sind zwei Grabbefunde (2816, 3641, Abb. 32) zu nennen, die dicht beieinander liegen und direkten Bezug aufeinander nehmen. Es handelt sich in beiden Fällen um erwachsene Frauen, die auf der Seite liegend, mit angewinkelten Beinen bestattet wurden. Die Bestatteten liegen mit dem Kopf im Südosten und blicken in Richtung Nordosten. Damit unterscheiden sich die beiden Toten leicht vom üblichen Ritus der glockenbecherzeitlichen Bestattungen, welche Nord­Süd ausgerichtet sind und in Richtung Osten blicken.

Das Grabinventar von Befund 2816 besteht aus zwei Gefäßbeigaben. Der Toten wurden eine Hen­keltasse (Abb. 33), die in ihrer Form bereits Anklänge der Aunjetitzer Kultur zeigt3, sowie eine unverzierte halbkugelige Schale mitgegeben. In der Schale wurde mindestens ein Tierknochen festgestellt, der als Speisebeigabe interpretiert wird. Weiterhin fand sich ein aus Kupfer bestehender Pfriem (Abb. 34) in der Grabgrube.

Befund 3641 weist ein breiteres Spektrum an Grabbeigaben auf: Hier wurden in der Grabgrube drei Gefäße, eine Silexklinge, ein Knochenpfriem, der sein Gegenstück im Kupferpfriem des Nach­bargrabes findet, sowie zwei Abschläge festge­stellt. Das Gefäßspektrum setzt sich aus zwei

37

3836 2,5 cm

abb. 35 Fundensemble der Bestattung Bef. 3641.

abb. 36 Ein verzierter Glocken­becher aus der Bestattung Bef. 4864 (14 cm Höhe). Er unter­scheidet sich durch seine ocker­farbene Erscheinung von den anderen Glockenbechern der Grabung. abb. 37 Die freigelegte Kinder­bestattung in der Steinkiste Bef. 2294. abb. 38 Unverzierter Glocken­becher aus Bef. 2294.

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Henkeltassen und einem verzierten Glocken­becher zusammen (Abb. 35).

Bei beiden Befunden war auffällig, dass im Profil eine horizontal verlaufende, schwarzbraune Verfärbung zu erkennen ist, die sich bei Befund 2816 auch im zweiten Planum verfolgen ließ. Hierbei kann es sich um Reste von Holzeinbauten handeln. Vergleiche mit Befunden der Ausgra­bungen in Oechlitz, Saalekreis4, aus den Jahren 2oo8 bis 2o1o untermauern diese Vermutung.

Interessant erscheint die nicht mehr akkurat Nord­Süd ausgerichtete Niederlegung der Toten. Hierbei scheint die Tendenz in Richtung der Grab­sitte der auf die Glockenbecherkultur folgende bzw. teils wohl gleichzeitig auftretenden Aunje­titzer Kultur zu gehen. Ein weiterer Hinweis auf eher späte Vertreter der endneolithischen Kultur ist in dem Kupfer­ oder Bronzepfriem zu erkennen.

55 m in nordöstliche Richtung wurde eine ebenfalls glockenbecherzeitliche Bestattung eines jungen Mädchens (Infans II) festgestellt (Bef.

4864). Die Tote wurde auf der rechten Körperseite in Hockerstellung beigesetzt. Ihr Kopf liegt im Südosten, die Beine im Nordwesten. Als Grabbei­gaben wurden hinter ihrem Rücken ein verzierter Glockenbecher (Abb. 36) und ein unverzierter Glockenbecher niedergelegt.

Trotz der relativen Entfernung zu den beiden Frauen aus den Gräbern Bef. 2816 und 3641 scheint die Tote aus Grab Bef. 4864 doch einer ähnlichen Grabsitte unterworfen worden zu sein, was sich hauptsächlich in der – wie oben schon erwähnt – untypischen Ausrichtung der Toten an der Südost­Nordwest­Achse ausdrückt.

Als Steinkistengräber sind die Befunde 2294 und 2359 im Bereich des heutigen Bibratunnel­portals hervorzuheben. Es handelt sich in beiden Fällen um Kindergräber, die dicht nebeneinander angelegt wurden. Im ersten Planum wurde zunächst Befund 2294 durch größere Sandstein­platten und eine schwache Verfärbung erkannt. Beim Abtiefen im Bereich der Steinsetzung wurde

40

39

abb. 41 Bef. 2085. Glockenbecherzeitliche Bestattung. abb. 42 Bef. 2085. Unverzierte Schale aus einer glocken­becherzeitlichen Bestattung.

41

422,5 cm

abb. 39 Bef. 2359. Glockenbecherzeitliche Kinder­

bestattung mit verziertem Glockenbecher als Gefäß­

beigabe.

abb. 40 Bef. 2359. Verzierter Glockenbecher

in Fundlage. Nach der Bergung zerfiel das sehr dünnwandige

Gefäß in mehrere Teile. Der Druck der Sandsteinplatte hatte

das Gefäß im Laufe der Jahr­tausende zerstört.

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ein Kindergrab freigelegt. Als Beigabe führte das Kind einen unverzierten Glockenbecher mit sich (Abb. 37–38).

Nachdem sich der Feuchtigkeitsgehalt des anstehenden Bodens geändert hatte, wurde deutlich, dass sich im Süden an das Grab ein weiteres anschließt. Hierbei handelt es sich ebenfalls um ein Kindergrab (Befund 2359, Abb. 39). Die Grabgrube war im Inneren nicht mit Steinen ausgekleidet, sondern auf dem Ober­körper des Kindes war eine Sandsteinplatte niedergelegt worden. Ein verzierter Glocken­becher, der als Beigabe im Bereich des Unterkör­pers zu liegen kam, konnte nur stark fragmentiert geborgen werden (Abb. 4o).

Die räumliche Nähe der beiden Kinderbestat­tungen und der eindeutige Bezug, den sie auf­einander nehmen, legt eine relativ kurze Abfolge der beiden Bestattungen nahe.

Neben den oben genannten Gräbern wurden auf der Trasse weitere Befunde festgestellt, die sich entweder anhand ihrer Ausrichtung und/oder ihres Inventars als glockenbecherzeitliche Bestattungen identifizieren lassen. Zu nennen sind hier drei Gräber (Bef. 2o16, 2o85 und 2o86), die sich im südwestlichen Grabungsareal (Bibra­tunnelportal) befanden. Befund 2o85 (Abb. 41) ist die Bestattung eines Jungen im Alter zwischen 7 und 12 Jahren (Infans II). Als Beigabe wurde ihm oberhalb des Kopfes eine unverzierte Schale mitgegeben (Abb. 42). Der nördliche und südliche Teil der Grabgrube ist begrenzt durch je zwei größere Gerölle; im Westteil ist ein weniger gro­ßer Sandstein am Rand der Grabgrube zu erken­nen – vielleicht liegen hier die Reste einer Stein­packung bzw. einer Steinkiste vor. Die Bestattung befindet sich in direkter Nähe einer Lehmentnah­megrube (Bef. 2o84), die sich anhand ihres Inventars in das Endneolithikum bzw. die begin­nende Frühbronzezeit datieren lässt.

Die Gräber Bef. 2o16 und 2o86 bilden eine kleine Gruppe und liegen nur ca. 3 m voneinander ent­fernt. Dem jungen Mann, der in Grab Bef. 2o16 (Abb. 43) bestattet war, wurden als Beigaben einzig drei Pfeilspitzen (Abb. 44) mitgegeben. Diese können typologisch sowohl der schnur keramischen Kultur als auch der Glockenbecherkultur zugeord­net werden. Da der Tote relativ genau Nord­Süd ausgerichtet war, kann man davon ausgehen, dass es sich um einen Träger der Glockenbecherkultur handelt. Nur wenige Meter nordnordöstlich dieser Bestattung wurde ein weiteres glockenbecherzeit­liches Grab dokumentiert. Hierbei handelt es sich um eine erwachsene Frau, die anscheinend völlig beigabenlos niedergelegt wurde. Das Grab ist stark durch Pflugeinwirkung gestört, wodurch der Oberkörper der Toten völlig derangiert vorgefun­den wurde (Bef. 2o86). Möglicherweise ist diese massive Störung auch Grund für die fehlenden Beigaben der oberflächennahen Bestattung.

abb. 44 Bef. 2016. Drei Pfeilspitzen aus Silex, die dem Toten als Beigaben mitgegeben wurden (M. 1:2).

abb. 45 Bef. 2110, Planum 2. Stark gestörte glockenbecherzeitliche Bestattung. Deutlich im Planum zu erkennen sind die Schale mit Standring sowie die flächenretuschierte Pfeilspitze.

abb. 43 Bef. 2016. Glockenbecherzeitliche Bestattung mit den drei Pfeilspitzen in Fundlage.

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In einem Fall einer glockenbecherzeitlichen Bestattung besteht die Möglichkeit, stratigrafische Beobachtungen zu machen bzw. wiederum die Grabsitten als Indiz für kulturellen Austausch heranzuziehen. So wurden mehr als einen halben Meter direkt oberhalb einer schnurkeramischen Bestattung (Bef. 211o, Abb. 45) die Reste eines glocken becherzeitlichen Grabes entdeckt. Vom Bestatteten waren nur noch einige wenige Lang­knochen erhalten. Als Beigaben führte er eine Schale mit Standring und eine flächenretuschierte Pfeilspitze (Abb. 46,a–b) mit sich. Die Schale weist in ihrer Form und den beiden umlaufenden Wüls­ten Parallelen zu Funden aus Halberstadt, Lkr. Harz (Abb. 46,c–d; vgl. Hille 2o12), auf. Interessant scheint an dieser Stelle die direkte Verbindung zwischen einer früheren schnurkeramischen Bestattung und dem direkt darüber angelegten Grab der Glocken becherkultur. Kannte man sich oder wurde später nur ein obertägig noch erkenn­bares Grab als letzte Ruhestätte genutzt? MF

Bestattungen der einzelgrabkultur

Die Hinterlassenschaften der Einzelgrabkultur sind derzeit im mitteldeutschen Raum als Aus­nahmeerscheinung zu werten. Die hauptsächlich in Nordeuropa verbreitete Kultur reichte nur in

Ausläufern in das Mittelelbe­Saale­Gebiet. Zu den typischen Vertretern zählen geschweifte Becher, die zum Teil mit Linienbündel­ und Fischgräten­muster verziert sind.

In der Literatur werden immer wieder verein­zelt Gräber dieser endneolithischen Kultur

– zumeist vergesellschaftet mit schnurkerami­schen Bestattungen – erwähnt. Jüngst beschrieb H. Jarecki einen Grabbefund der Ausgrabungen im Gewerbegebiet Halle/Queis. Dort wurde aus Befund 3o2oo ein Becher geborgen (Jarecki 2oo3, 58), der der Einzelgrabkultur zuzuordnen ist und der singulär im Fundmaterial der Grabung steht.

In Wennungen lassen sich einige Bestattungen der Einzelgrabkultur zuordnen; drei der Befunde sollen an dieser Stelle vorgestellt werden. Zwei der drei Gräber (Bef. 2112 und 4885) sind verge­sellschaftet mit schnurkeramischen Gräbern. Ein weiteres Grab konnte keiner Gräberkonzentration zugeordnet werden.

Inmitten einer Gräbergruppe von zehn Grä­bern, von denen neun der Schnurkeramikkultur zuzuordnen sind, befindet sich ein Grab, welches sich dem ersten Anschein nach gänzlich in das Bild der umliegenden Befunde eingliedert. Die Ausrichtung der Grabgrube bzw. des Bestatteten und auch die Lage der Beigaben und deren Zusammenstellung lassen nicht erahnen, dass es

b2 cm

c d

abb. 46 Beigaben in Form einer flächenretuschierten Pfeilspitze (a) und einer Schale mit Stand­

ring (b) aus dem glockenbecher­zeitlichen Grab Bef. 2110. Als Vergleichsfunde für das Gefäß

können Schalen (c–d) der Glockenbecherkultur vom Fund­

ort Halberstadt, Lkr. Harz, heran gezogen werden.

a2 cm

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sich um einen »Exoten« handeln könnte (Bef. 4642, Abb. 47). Erst nach dem Reinigen der Grab­beigaben – lange nach Beendigung der Arbeiten im Feld – wurde deutlich, dass ein sehr gut erhaltener Becher eine für die Schnurkeramik­kultur untypische Verzierung aufwies, wobei die Form des Gefäßes weniger außergewöhnlich für diese Zeit ist (Abb. 48). Die Verzierung besteht aus zwei Bändern, angelegt mit keilförmigen Einkerbungen, die leicht unregelmäßig parallel um den Gefäßhals laufen. Das sogenannte Fisch­grätmuster ist eine für die Einzelgrabkultur typische Verzierungsart, wie sie auch auf dem Becher von Halle­Queis zu finden ist (Jarecki 2oo3, 58 Abb. 11).

Die Becherform des Fundes von Queis ist jedoch eher steilwandig im Gegensatz zu den s­profilierten Bechern von Wennungen. Die »Typentafeln zur Ur­ und Frühgeschichte« zeigen jedoch auch s­profilierte Becher als Elemente der Einzelgrabkultur (Feustel 1972, Taf. N13.13). Dort finden sich auch fischgrätenartige Verzierungen, wie sie auf dem Becher aus Grab Bef. 4642 von Wennungen angebracht worden sind (vgl. auch Schuldt 1972, Taf. 71u). Aus diesem Grab stammt neben einer kantenretuschierten Feuersteinklinge (Abb. 49) weiterhin eine unverzierte, kalotten­förmige Schale mit fünf Standfüßchen (Abb. 5o). Sie ist nicht nur im Fundmaterial der Grabung singulär, sondern generell im Fundspektrum der Einzelgrabkultur sehr selten. Füßchenschalen sind eher aus der Glockenbecherkultur, der Schnurkeramik­ bzw. der Aunjetitzer Kultur

bekannt und spiegeln die enge Verzahnung der Kulturgruppen untereinander wider.

Weiterhin ist das Grab Bef. 4885 hervorzuheben (Abb. 51): In einer Gruppe von insgesamt 24 Grä­bern, in denen Vertreter des Endneolithikums und der frühe Bronzezeit zu liegen kamen, findet sich diese Bestattung, die zumindest »Bekannt­schaft« mit der Einzelgrabkultur gepflegt haben könnte. Es handelt sich um eine erwachsene Frau, die den Grabritus dreier eigentlich zu differenzie­render endneolithischer Kulturen aufweist. Würde man sie nur danach beurteilen, wie man sie in ihr Grab gelegt hat, so würde man sie für eine Ver­treterin der Glockenbecherkultur halten, denn sie ist akkurat an der Nord­Süd­Achse ausgerichtet. Sähe man ihre Grabbeigaben im ungereinigten Zustand – also nur die Gefäßformen – so würde man sagen, sie war eine Schnurkeramikerin

abb. 47 Bef. 4642. Bestattung im zweiten Planum. abb. 48–50 Bef. 4642. Das Beigabenensemble der Bestat­tung besteht aus dem fischgrätverzierten Becher (11,2 cm Höhe), einer 8 cm langen Feuersteinklinge sowie einer kalot­tenförmigen Schale mit fünf Standfüßen (15 cm Durchmesser).

47

50

48 49

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(Abb. 52–54). Schaut man jedoch auf die Art der Verzierungen auf den Gefäßen, so meint man, es könne sich um eine Vertreterin der Einzelgrab­kultur handeln.

Trotz der geringen Anzahl an auswertbaren Gräbern sind die vorgestellten Befunde ein ein­drucksvoller Beleg für die Nähe der Schnurkera­mik­, Glockenbecher­ und Einzelgrabkultur.

MF

Frühbronzezeitliche Bestattungen

Die Hinterlassenschaften der Aunjetitzer Kultur auf dem Wennunger Sporn liegen im Verbrei­tungsgebiet der Circumharzer Gruppe (Zich 1996, 26 ff.). Diese gehört in die entwickelte Phase der Aunjetitzer Kultur ab ca. 2ooo v. Chr. Der Wen­nunger Sporn entspricht dem bevorzugten Sied­lungsareal dieser frühbronzezeitlichen Kultur, die Geländelagen bis max. 3oo m ü NN mit frucht­baren Löss­ oder Schwarzerdeauflagen aufsuchte.

Die Bestattungssitten spiegeln das typische Bild dieser in ganz Mitteleuropa zum Ende des 3. Jts. v. Chr. verbreiteten Kultur wider: Hocker­bestattung, auf der rechten Körperseite liegend, keine geschlechtsspezifische Ausrichtung der Toten, Schalen als Gefäßbeigaben und Bronze­schmuck als Grabbeigabe. Auch die Niederlegung

der Toten, nicht mehr nur in einfachen Erdgräbern wie noch zu Beginn der Aunjetitzer Kultur (ca. 23oo v.Chr.), sondern in aufwendigeren Steinkis­ten bzw. Steinpackungsgräbern, weist in Richtung einer entwickelteren Phase dieser frühbronzezeit­lichen Kultur.

Im gesamten Grabungsareal zwischen Bibra­tunnelportal und dem Westwiderlager der Unstruttalbrücke wurden 22 Gräber der Aunje­titzer Kultur aufgedeckt. Die Bestattungen traten ausschließlich in Gruppen von bis zu elf Gräbern auf. Die Toten wurden in vierzehn Fällen in »nor­malen« Erdgräbern mit Gefäßbeigaben (teils mit Speisebeigaben), Bronzenadeln oder auch Kno­chenwerkzeugen bzw. ­schmuck niedergelegt. Weitere acht Bestattungen wurden in Steinkis­tengräbern niedergelegt. Diese waren in den meisten Fällen antik beraubt, sodass sich nur noch Reste des menschlichen Skelettes und Fragmente der Beigaben finden ließen.

Im Bereich des heutigen Bibratunnelportals (Ost) wurde eine Gruppe von fünf Gräbern (Bef. 2233, 227o, 2271, 2272, 2348) festgestellt. Bei den Bestatteten handelt es sich der anthropologischen Bestimmung nach um drei Frauen, einen Mann und ein Kind. Die Gräber der Erwachsenen bzw. der jugendlichen Frau waren bis auf einen größe­ren Sandstein beigabenlos, der im Bereich des

51 52

53 54

abb. 51 Bef. 4885. Die Beigaben konzentrierten

sich im Bereich des Kopfes des Bestatteten.

abb. 52–54 Die Beigaben

aus Bef. 4885 in Form eines kerbstichverzierten Bechers

(52: 13 cm Höhe), eines spitz zuge arbeiteten Knochenwerk­

zeugs (53: 11,9 cm Länge) sowie einer mehrfach durchlochten Muschelscheibe (54: 6,5 cm

Durchmesser).

Die frühbronzezeitliche Aun­jetitzer Kultur ist großflächig verbreitet zwischen Niederös­terreich über das böhmisch­mährische Gebiet bis hin in den mitteldeutschen Raum. Unterschiede in den Kultur­gütern im Verbreitungsgebiet machen eine regionale Unter­scheidung der Träger der Aunjetitzer Kultur nötig und möglich. Die Circumharzer Gruppe umfasst »das große anhaltisch-thüringische Ver-breitungsgebiet … [welches] … sich in einem breiten, nach Westen offenen Bogen um den Harz« (Zich 1996, 26) for­miert. Der Fundort Wennun­gen liegt an der östlichen Grenze der Circumharzer Gruppe.

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Rückens des Mannes niedergelegt wurde (Bef. 227o, Abb. 55). Die Bestattung des Mannes weist insofern eine weitere Besonderheit auf, als dass sein Kopf um 18o Grad gedreht auf der Halswirbelsäule niedergelegt wurde. Da keinerlei Störungen zu erkennen waren (weder Pflugspuren noch Tier­gänge), kann man davon ausgehen, dass der Kopf vor dem Verschließen der Grabgrube tatsächlich in diese Position gebracht wurde. Auffällig war weiterhin die Position der Extremitäten. Sowohl die Hand­ als auch die Fußgelenke lagen direkt übereinander. Die Hände scheinen ineinander verschränkt zu sein. Im Vergleich zu den anderen Hockerbestattungen (dort liegen die Hände und Füße leicht versetzt zueinander, meist parallel) ist auch das als Besonderheit bei dieser Bestattung zu nennen. Es entsteht der Eindruck, dass der Mann gefesselt und mit abgetrenntem Kopf bestat­tet wurde, obwohl es dafür keinen Nachweis gibt.

Diese Gruppe von frühbronzezeitlichen Grä­bern liegt nur 15 m westlich der beiden Steinkis­tengräber glockenbecherzeitlicher Kinder (s. o., Bef. 2294 und Bef. 2359) sowie etwas mehr als 7o m südwestlich der beiden Glockenbechergräber Bef. 2o86 und 2o165.

Eine weitere Gräbergruppe der Aunjetitzer Kultur findet sich im Bereich der Senke im 3. Bau­abschnitt, im Kreuzungsbereich zur von Osten kommenden Baustraße. Es wurden insgesamt elf Gräber in unmittelbarer Nähe zueinander fest­gestellt. Es handelt sich sowohl um Erdgräber (Bef. 2479, [Abb. 61], 361o, 3611, 3621 [Abb. 56–58],

44o8 [Abb. 59–6o], 44o9, 4412, 4415, 4416) als auch um Steinkistengräber (Bef. 29o5, 4411, 3622).

Neben Bronzebeigaben (Ösenkopfnadel, Arm­ringe) und Gefäßbeigaben (zumeist Kalottenscha­len) wurde in einem Grab (Bef. 3622) auch eine Knochennadel mit durchlochtem Kopf festgestellt. Im Grab Bef. 4412 wurde eine Schale mit dem Schulterblatt eines Schafes/Ziege als Beigabe mitgegeben (Abb. 62). Vergleicht man die Ausstat­tung der Gräber mit denen der Bestattungen im südwestlichen Bereich der Ausgrabung, so ist eindeutig festzustellen, dass es sich hier um deut­lich reicher ausgestattete Grabstätten handelt.

abb. 56–58 Bef. 3621. Steinpackungsgrab der Frühbronzezeit mit einer Nachbestattung im Nordteil, die einen Bronzearmring sowie einen kleinen unverzierten Becher als Beigabe enthielt.

56

572,5 cm

581 cm

abb. 55 Bef. 2270. Beigabenlose, frühbronzezeit­liche Bestattung.

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Da sich die Gräbergruppe inmitten der spät­bronzezeitlichen Grubenkonzentration befindet, jedoch keinerlei Störungen aufweist, liegt die Vermutung nahe, dass die Gräber in irgendeiner Form obertägig kenntlich gemacht waren, wodurch die späteren Nutzer des Areals anscheinend Rück­sicht auf die Bestattungen genommen haben.

7o m nördlich der frühbronzezeitlichen Gräber liegen die beiden oben erwähnten Frauen der Glockenbecherkultur (Bef. 2816 und 3641).

Im nordöstlichen Bereich der Trasse wurden fünf weitere aunjetitzzeitliche Bestattungen loka­lisiert. Diese befinden sich innerhalb einer Grä­bergruppe von insgesamt 2o endneolithischen bzw. frühbronzezeitlichen Bestattungen. Vier Befunde sind Steinkisten bzw. Steinpackungen; ein Befund ist als einfaches Erdgrab anzusprechen (Bef. 5o67). Als Beigaben sind je eine Ösenkopf­nadel (Bef. 5o65, 5o67, Abb. 63) und ein Spiralfin­gerring (Bef. 5o72) zu nennen.

Auch bei dieser Gräbergruppe liegt die Vermu­tung nahe, dass es sich um ein über längere Zeit genutztes Bestattungsareal handelt. Eine obertä­gige Kennzeichnung liegt im Bereich des Wahr­scheinlichen. Die spätere Besiedlung dieses Berei­ches lässt erneut die Gräber ungestört im Boden.

MF

Zusammenfassung

Die Vergesellschaftung sowohl der Bestattungen als auch der Hausgrundrisse des Endneolithikums (Schnurkeramikkultur) und der Frühbronzezeit sind Hinweis auf ein zeitweiliges Miteinander der Träger der Aunjetitzer Kultur und der spätneo­lithischen Kulturen der Schnurkeramik bzw. Glockenbecher.

H. Jarecki schlussfolgert aus der Belegung des Gräberfelds von Wetzendorf ein »Neben­ und Mit­einander« von Aunjetitz und Schnurkeramik für eine Dauer von etwa 5oo Jahren. Weiterhin belegt er eine Überlappung der Schnurkeramikkultur auch durch die Glockenbecherkultur (Jarecki 2oo7, 223).

abb. 62 Bef. 4412. Frühbronze­zeitliche Bestattung mit einer

Kalottenschale als Beigabe.

abb. 59 Bef. 4408. Aunjetitzzeitliche Hockerbestattung.

1 2

3

abb. 60 Beigaben im Grab Bef. 4408: eine Knochennadel (M 3:4), eine Silexklinge (M. 1:2) und eine Schale (M. 1:4).

abb. 61 Bef. 2479: Kleiner Becher mit Doppelzapfen aus einer frühbronzezeitlichen Bestattung, M. 1:2.

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Hier wird die weitere intensive Diskussion von aboluten (14C­)Daten zum besseren Verständnis beitragen. Für die hier vorgestellten Gräber von Wennungen liegen noch keine 14C­Datierungen vor. Es bleibt momentan nur eine Auswertung der Grabinventare bzw. eine vorläufige Analyse der Grabsitten. Damit wäre eine Zuordnung der Bestattungen zu einer bestimmten Epoche zwar gegeben, aber – wie an der Gräbergruppe von Wetzendorf zu sehen – kann auch eine kleine, augenscheinlich sicher zusammengehörige Gruppe von Gräbern eine unerwartet lange Zeit überspannen; im Fall von Wetzendorf ca. 8oo Jahre, die durch zehn Bestattungen belegt sind.

Der Eindruck, den die Gräber von Wennungen also momentan vermitteln – die Vergesellschaf­tung bzw. das aufeinander Bezugnehmen von endneolithischen und frühbronzezeitlichen Kul­turgruppen – kann genauso falsch sein und man lässt sich von einer räumlichen Nähe täuschen, die absolutchronologisch keine Relevanz hat. Trotz der verminderten Aussagekraft aufgrund noch ausstehender 14C­Daten können doch einige Fakten festgehalten werden:

Auf dem Wennunger Sporn ist eine Besiedlung spätestens ab der Schnurkeramikkultur belegt. Die Schnurkeramikkultur ist in mehreren Haus­grundrissen, einer Vielzahl von Bestattungen sowie großen Materialentnahmegruben oder Funktionsgruben greifbar (siehe Beitrag »Ofen­gruben in Wennungen« von J. Wüstemann in diesem Band). Ein frühbronzezeitliches Haus der Aunjetitzer Kultur überlagert zwei Häuser der Schnurkeramikkultur (vgl. Beitrag »Haus und Hof...« von J. F. Kegler in diesem Band). Siedlungs­gruben und mehrere Grabareale belegen eben­falls, dass Träger der Aunjetitzer Kultur im gesamten Bereich der Trasse gesiedelt haben. Anhand der Gräbergruppe 8 (vgl. Abb. 4) kann ebenfalls postuliert werden, dass Träger beider Kulturen über einen bisher nicht näher bestimm­baren Zeitraum ein relativ eng begrenztes Areal gemeinsam als Bestattungsplatz genutzt haben. Ob dies chronologisch nachein ander oder doch parallel miteinander erfolgte, wird zukünftig zu klären sein. Die Gräber scheinen aber zumindest obertägig gekennzeichnet gewesen zu sein, denn auch später wurden sie nicht gestört. Vertreter der Glockenbecherkultur wurden vom südwest­lichen Ende der Trasse bis zum Bereich nahe der Gräbergruppe 8 bestattet. Bis auf wenige als unsicher datiert anzusehende Gruben sind als Hinterlassenschaften dieser Kultur nur Gräber zu nennen.

Vergleicht man die neolithischen Funde und Befunde aus Wennungen z. B. mit den spätneo­lithischen und frühbronzezeitlichen Funden von Alberstedt (Leinthaler u. a. 2oo6a, 83 f.) oder Halle/

Queis (Jarecki 2oo3, 57 f.) und anderen Fundstel­len der Region, so sind auffallende Parallelen in Grabausstattung, Bestattungsweise, Formenspek­trum wie auch die kulturelle Nähe der drei großen endneolithischen und frühbronzezeitlichen Kul­turen – Schnurkeramik, Glockenbecher und Aunje titz – in Mitteldeutschland sowie ein spora­discher Einfluss der norddeutschen Einzelgrab­kultur erkennbar. Erstaunlich ist die Deckungs­gleichheit in chronologischer und geographischer Dimension. Innerhalb nur weniger Jahrhunderte hinterlassen die drei archäologischen Kulturen sichtbare Spuren, und bezeugen eine Zeit des Wandels am Ende des dritten Jahrtausends v. Chr. Aufgrund der – in archäologischen Befund erkenn­baren – »dogmatischen« Treue der Artefaktensem­bles und des Befundaufbaus, ist dem Archäologen heute möglich, diese »Kulturen« als materielle Gruppen zu fassen. Jedoch sind auch wechselsei­tige Einflüsse der Kulturgruppen untereinander erkennbar. Im räumlichen Vergleich dieser Grup­pen scheint es, als haben die Träger der archäolo­gischen Kulturen es verstanden, auf engstem Raum miteinander zusammen zu leben. Dieser Eindruck ist aber nur als eine Art Standbild des heutigen archäologischen Blickwinkels zu verste­hen. Erst genaue archäologische Untersuchungen unter Berücksichtigung von naturwissenschaft­lichen Analysen, können das hier nur skizzen artig umrissene Bild in Zukunft präzisieren.

Schnurkeramiker, die in Glockenbechermanier in ihren Gräbern liegen; Träger der Glockenbecher­kultur, die über älteren Gräbern liegen; »Aunje­titzler«, die in unmittelbarer Nähe zu glocken­becherzeitlichen Kindergräbern ihre letzte Ruhe finden und schlussendlich an anderer Stelle eine kleine Nekropole mit schnurkeramischen Gräbern bilden: Zumindest auf dem Wennunger Sporn scheint ein zeitweiliges Miteinander von drei Kulturgruppen sehr wahrscheinlich.

Während im Spätneolithikum und der frühen Bronzezeit (Aunjetitzer Kultur) im Befund regel­hafte Körperbestattungen vorkommen, löst sich dieses Bild zum Ende der Bronze­ und der begin­nenden Eisenzeit auf (vgl. Beitrag »Siedlungs­bestattungen der späten Bronze­ und frühen Eisenzeit« von A. Hüser in diesem Band). Die vor­angegangene mittlere Bronzezeit, in der die Brand­bestattung üblich wird, lässt sich nur anhand von wenigen Befunden fassen. Beispiele dafür sind die vermeintliche Brandbestattung am Westwiderlager, aus der zwei bronzene Radnadeln stammen (vgl. Beitrag »Bronze aus der Asche« von J. F. Kegler in diesem Band) bzw. eine mittelbronzezeitliche Fibel mit Kreuzbalkenkopf (vgl. Abb. 16,1 im Beitrag »Vom glockenbecherzeitlichen Pfriem zur eisen­zeitlichen Fibel...« von A. Hüser in diesem Band).

MF/JFK

abb. 63 Ösenkopfnadel aus Grab Bef. 5065.

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1968; Matthias 1974; Matthias 1982; Matthias 1987; Beier/Einicke 1994; jüngst Leinthaler u. a. 2oo6.

2 Bei dem Befund handelt es sich um ein glockenbecherzeitliches Steinkis­tengrab, welches im Jahr 196o notge­borgen wurde. Der Befund war teils

zerstört und barg noch das Skelett eines ca. 5o–6o Jahre alten Mannes mit Feuersteingeräten, Keramikgefä­ßen sowie Tierknochen als Beigabe (Hille 2o12, Kat.­Nr. 381, S. 184).

3 Vgl. Zich 1996, Taf. 67, »Milchkrüg­lein« vom Typ 6N.

4 Vgl. »Neue Gleise auf alten Wegen Band II«.

5 15o m in nordöstliche Richtung be­findet sich das Aunjetitzer Haus (vgl. Beitrag »Haus und Hof...« von J. F. Kegler in diesem Band).

A B B i L D U n g S n A c h w e i S 1 J. F. Kegler, LDA 2 U. Krumbein, LDA, bearb.

S. Kubenz, Halle (Saale) 3 U. Krumbein, LDA 4 LDA, bearb. S. Kubenz,

Halle (Saale) 5 J. F. Kegler, LDA 6 U. Krumbein, LDA 7 J. Wüstemann, LDA 8a J. Wüstemann, LDA 8b–c Matthias 1982, Taf. 1o5,3–4 9 J. Wüstemann, LDA 1o J. F. Kegler, LDA 11 Chr. Leßmann, LDA 12–14 J. Wüstemann, LDA 15 U. Krumbein, LDA 16 S. Loew, LDA 17 S. Pritsch, LDA

18 A. Hörentrup, LDA 19 S. Pritsch, LDA 2o U. Krumbein, LDA 21–22 J. Wüstemann, LDA 23 A. Hüser, LDA 24–25 A. Hörentrup, LDA 26–27 U. Krumbein, LDA 28 J. Wüstemann, LDA 29–31 A. Hörentrup, LDA 32 A. Hüser, LDA 33 U. Krumbein, LDA 34–36 A. Hörentrup, LDA 37 J. Wüstemann, LDA 38 U. Krumbein, LDA 39–41 J. Wüstemann, LDA 42 U. Krumbein, LDA 43 J. Wüstemann, LDA 44 S. Scheffler, LDA

45 J. Wüstemann, LDA 46a–b J. Lipták, München 46c Hille 2o12, Taf. 2o,4 46d Hille 2o12, Taf. 21,4 47 S. Loew, LDA 48–5o A. Hörentrup, LDA 51 S. Loew, LDA 52–54 A. Hörentrup, LDA 55 M. Fröhlich, LDA 56 S. Loew, LDA 57 U. Krumbein, LDA 58 A. Hörentrup, LDA 59 M. Fröhlich, LDA 6o A. Hüser, U. Krumbein,

S. Scheffler, LDA 61 U. Krumbein, LDA 62 M. Fröhlich, LDA 63 A. Hörentrup, LDA