er in seinen Opern immer mit einem Fuß in der alten und mit dem anderen in unserer Zeit zu stehen. Das Wann der Handlung seiner Figuren ist durch diesen Spagat nicht festlegt. Die Zeit ist, wie es im »Ham- let« heißt, aus den Angeln gehoben, in »Macbeth Underworld« ganz und gar, hier herrscht die immerwährende Nacht. Die Nacht ist ständig anwesend und dennoch kann niemand mehr schlafen. Macbeth hat den Schlaf gemordet, und es gibt kein Entrinnen aus diesem Alptraum. Er hat aus Angst gemordet und wird weiterhin aus Angst morden. Aber es wäre kein Nachdenken über die Menschheitsgeschichte, wenn es nicht ne- ben Mord und Machtgier auch Zärtlichkeit, Sinnlichkeit, Humor und Liebe gäbe. Auch wenn die Lady kein Gewissen hat, sie liebt ihren Mann und auch Macbeth, der Mör- der, zeigt sich gegenüber seiner Frau voll Zärtlichkeit. Es ist ein Klassiker, Mordtaten aus Liebe zu einem anderen Menschen. Shakespeare kannte sich eben aus. Aber bei diesem Paar hat die Lady die Ho- sen an, sie ist der Mann in der Beziehung. Ein Paar mit einem sexuellen Trauma, das wahrscheinlich kinderlos blieb oder dessen Kinder – wie auch immer – gestorben sind. Am Ende öffnet sich das Tor zur Hölle. Macbeth hofft, dass der Tod das Ende be- deutet, das Ende seiner Bluttaten, das Ende seiner Nacht. Aber die Toten halten sich nicht mehr daran, wie dereinst, auf dem Schlachtfeld gemordet, einfach tot zu sein, sie kehren wieder, sie stehen auf. Macbeth wird klar, dass der Tod nichts ändert. Die Schuld bleibt und er kann nichts anderes als morden. MACBETH UNDERWORLD Oper in acht Kapiteln Libretto von Frédéric Boyer nach »Macbeth« von William Shakespeare Musik von Pascal Dusapin BESETZUNG Lady Macbeth Dshamilja Kaiser Macbeth Peter Schöne Weird Sister 1 Maria Carla Pino Cury Weird Sister 2 Valda Wilson Weird Sister 3 Carmen Seibel/Melissa Zgouridi* Child Bettina Maria Bauer/Marie Smolka* Ghost Hiroshi Matsui Porter Algirdas Drevinskas *Mehrfachbesetzungen in alphabetischer Reihenfolge Das Saarländische Staatsorchester Damen des Opernchores des Saarländischen Staatstheaters Statisterie des Saarländischen Staatstheaters Mit freundlicher Unterstützung durch die Freunde des Saarländischen Staatstheaters e.V. Musikalische Leitung Justus Thorau Inszenierung Lorenzo Fioroni Bühnenbild Paul Zoller Kostüme Katharina Gault Licht Karl Wiedemann Einstudierung Chor Jaume Miranda Dramaturgie Renate Liedtke Bühnenrechte: Dusapin MACBETH UNDERWORLD. Verlagsrechte Editions Salabert Paris, vertreten durch G. Ricordi & Co., Bühnen- und Musikverlag GmbH, Berlin. Technischer Direktor Ralf Heid Künstlerische Leitung Beleuchtung Karl Wiedemann Organisatorische Leitung Beleuchtung Daniel Müller Leiter Tonabteilung Walter Maurer Leitung der Requisite Andrea Gießelmann Bühneninspektoren Christoph Frank, Philipp Sonnemann Technische Produktionsleitung Nicole Martini Technische Einrichtung und Theatermeister Christian Fischer Ton Andreas Fuchs, Birgit Kessler, Josef Gregori Requisite Gabriela Stein, Ina Reichert Leitung der Werkstätten Nadine Breit Leitung Dekorationsabteilung Christoph Foss Malsaalvorstand Alexandra Hein Leitung Schlosserei Fabian Koppey Leitung Schreinerei Armin Jost Kostümdirektor Markus Maas Gewandmeisterinnen Christiane Hepp, Bettina Kummrow, Martina Lauer, Kerrin Kabbe Ankleider*innen Nicole Buchheit, Larissa Maurer, Mira Schmidt, Christine Sesselmann, Kaja Vanden Berg, Volker Fischbach, Silke Weiland Kostümbearbeitung Mira Schmidt Hutmacherei Sabrina Neukirch Schuhmacher Thomas Seibold Chef- maskenbildnerin Birgit Blume Maske Pina Böhler, Susanne Schunck Leiter Statisterie Andreas Klußmann Kostümassistenz Sina Puffay Bühnenbildassistenz Faveola Kett Übertitelinspizienz Andrej Meschwelischwili Übersetzung der Übertitel ins Französi- sche Bettina Hanstein Wir machen darauf aufmerksam, dass in dieser Produktion Stroboskop-Effekte (Lichtblitze) zum Einsatz kommen. Unter Umständen können diese bei entsprechender Veranlagung für Epileptiker gefährdend sein. Was den historischen Macbeth (wahr- scheinlich 1005 geboren) betrifft, so weiß man nicht, ob man ihn ob seines Wer- degangs zu einem Mythos beklagen soll oder nicht. Was immer er in seinem Leben tat – auch er ist wie die meisten Könige vor ihm nur über blutige Wege an die Herrschaft gekommen – so galt Macbeth doch als ein Mann, der Ruhe ins Land brin- gen wollte, der sich für das Wohl seiner Untertanen einsetzte und der um die Si- cherung der Grenzen Schottlands bemüht war. Dank Raphael Holinsheds Chronik von England, Schottland und Irland, und Shakespeares Drama, der diese Chronik u.a. als Vorlage nutzte, wurde Macbeth jedoch zum Sinnbild des blutrünstigen Tyrannen. Die Mystifizierung, die Macbeth und seine Lady ausgehend von Shakespe- ares »Tragedy of Macbeth« (wahrschein- lich 1606 uraufgeführt) in Literatur und Musik durchmachten, lassen sie uns auch heute noch als ein Beispiel für unstillbares Verlangen nach Macht und Gewalt er- scheinen. Vielleicht auch deshalb, weil der Mensch dieses Gewaltpotential nach wie vor in sich trägt und es bis in die heutige Zeit nicht abzustreifen vermochte. Kein Lebewesen sonst auf dieser Erde ist zu einer derartigen Zerstörungswut in der Lage wie der Mensch. Kein Lebewesen zerstört selbst das, was es nährt, so ge- dankenlos – und damit sich selbst – wie der Mensch. Kein Lebewesen ist gegen- über seiner eigenen Art so grausam wie der Mensch. Gewalt erzeugt ein Gefühl von Macht und Unverwundbarkeit. Macbeth will Macht, Allmacht, und das Versprechen der Hexen, scheinbar un- verwundbar zu sein, gibt ihm das Gefühl, den Tod überlisten zu können. Macbeth schützt sich vor dem Tod, indem er tötet. Pascal Dusapin und sein Librettist Frédéric Boyer haben das Paar Macbeth und seine Lady dazu verflucht, ihre Geschichte, die Geschichte von Mord und Machtgier, seit sie auf Shakespeares Bühne kam, in der Unterwelt wieder und wieder zu erleben bzw. zu spielen. Es ist eine Art Murmel- tiertag, Unsterblichkeit als Marter, ein immerwährender Alptraum vor der Pforte der Hölle, vor der sich inzwischen in unse- rem Bühnenbild der ganze Seelenmüll der Menschheitsgeschichte angesammelt hat. Der Fluch der Schlaflosigkeit als Strafe. In der Geschichte der Menschheit, seit Kain aus Neid seinen Bruder Abel erschlug, sind die Morde aus Neid und Machtgier scheinbar nicht auszurotten. Nichts hat sich geändert in der Welt. Und so ist der Pförtner vor dem Höllentor auch der Hüter unserer Hölle und unseres Gewissens. Ist die Menschheitsgeschichte wirklich ein einziges Verbrechen, wie Jean Baudrillard es formulierte, und hatte Shakespeare über Alternativen nachgedacht? Nein. Helmut Schäfer erklärt im Gespräch mit Frank M. Raddatz (Philosophisches Theater, Lettre Winter 2020), warum Shakespeare gerade darum noch von Interesse ist: »Weil ihm jede Illusion fremd ist und er mit kaum zu übertreffender Nüchternheit in großen Metaphern ein Bild vom Menschen nachzeichnet, das vollkommen frei ist von Utopien, von Gedanken, wie es besser sein könnte. Sein nüchterner Blick auf die pure Realität des Menschen lässt ihn dessen un- terschiedlichste Formen und Wandlungen entfalten, bis zu seinem Verfall ...« Die Werke Shakespeares entlassen uns so mit einem ganzen Sack voll Fragen. Und auch wenn wir diese nicht zur Gänze beantworten können, die Tatsache, dass diese Fragen beunruhigen, ist viel wert. Und ohne die ganz wichtige Frage, die nach dem Zustand des Menschen in seiner Zeit, ist Theater nun einmal nicht denkbar. Wir wissen, dass der Mensch kein von Natur aus böses Wesen ist, sondern vor allem ein in seinem Denken freies. Nutzen wir das Denken zum Nachdenken und zum Erkenntnisgewinn. Dusapin sagt, dass wir in einer Oper über das singen, was uns alle beunruhigt. Da spiegelt sich seine Sorge um unsere Zeit wider. Lassen wir uns beunruhigen. Die Geschichte in »Macbeth« ist undurchsichtig wie ein Alptraum, in dem alle versinken … Man watet durch einen Alptraum, der bis an die Kehle steigt … Die ganze Welt ist in Blut getaucht. Jan Kott Dusapin wählt für seine Opern immer Texte aus der Antike oder Mythologie. So scheint MACBETH – EINE GESCHICHTE VON MACHTGIER, MORD UND LIEBE oben und Titelbild: Peter Schöne SST_Programmheft_2021_Macbeth Underworld_RZ.indd 10 SST_Programmheft_2021_Macbeth Underworld_RZ.indd 10 09.04.21 12:22 09.04.21 12:22