©bluraz, Fotolia Die Lage der Berufstätigen in der reichen Schweiz STRESS PRÄMIENLAST LOHNDRUCK UND UNSICHERE ARBEITSPLÄTZE
Apr 06, 2016
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Die Lage der Berufstätigen in der reichen Schweiz
STRESSPRÄMIENLAST
LOHNDRUCK
UND UNSICHERE ARBEITSPLÄTZE
Inhalt
Die Schweiz so reich wie nie nur eine Minderheit profitiert _________1
Die Lohnschere öffnet sich _____________________________________4
Krankenkassenprämien belasten Normalhaushalte _________________8
Unsichere Arbeitsplätze hohe versteckte Erwerbslosigkeit _______ 12
Stress und lange Arbeitszeiten ________________________________ 16
Veralteter Arbeitnehmerschutz ________________________________ 19
Weiterlesen _______________________________________________ 23
Der SGB __________________________________________________ 25
Daniel Lampart
David Gallusser
Daniel Kopp
Kristina Schüpbach
Oktober 2014
INHALTSVERZEICHNIS
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
01 DIE SCHWEIZ SO REICH WIE NIE NUR EINE MINDERHEIT
PROFITIERT
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Jede und jeder Berufstätige erarbeitet heute im Durchschnitt
Franken pro Jahr das ist so viel wie noch nie.
Die Schweiz so reich wie nie nur eine Minderheit profitiert
erwirtschaftete jede berufstätige Person in
der Schweiz letztes Jahr im Durchschnitt. Die Schweiz ist damit so reich
wie nie zuvor. Dank der Berufstätigen. Das Land könnte sich also
problemlos leisten, dass es allen gut geht.
Wertschöpfung pro ArbeitnehmerIn in Franken, Preise von 2013, Vollzeitäquivalente
Quelle: BFS, Berechnungen SGB
Leider schlägt sich dieser zunehmende Reichtum bei vielen nur
ungenügend im Portemonnaie nieder. Die Entwicklung in der Schweiz
geht in die falsche Richtung: In den letzten 20 Jahren haben sich
Arbeitgeber und Topverdiener ein immer grösseres Stück vom
Wohlstandskuchen abgeschnitten. Viele Berufstätige sind hingegen
170'000.-
0.-
40'000.-
80'000.-
120'000.-
160'000.-
200'000.-
1950 60 70 80 90 00 13
02 DIE SCHWEIZ SO REICH WIE NIE NUR EINE MINDERHEIT
PROFITIERT
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
nahezu leer ausgegangen. Sie leiden unter grösserer Unsicherheit und
häufigem Stress und erhalten dennoch einen viel zu bescheidenen
Anteil am gesellschaftlichen Wohlstand. Dabei haben diesen höheren
Wohlstand doch alle Erwerbstätigen geschaffen, nicht bloss die
Oberschicht.
Immerhin konnten die Schweizer Gewerkschaften dank ihrem starken
Engagement Schlimmeres verhindern. Im Unterschied zu anderen
Ländern hat sich die Tieflohnproblematik hierzulande beispielsweise
nicht verschärft. Und wegen den stark verbesserten Lohnkontrollen ist
es für Arbeitgeber schwieriger geworden, die Löhne zu drücken. In
anderen Bereichen befindet sich die Schweiz im internationalen
Vergleich aber im Rückstand. So haben viele Leute mit tiefen und
mittleren Einkommen finanzielle Probleme, nicht zuletzt deshalb, weil
unsere Krankenversicherung über unsoziale Kopfprämien finanziert
wird. Und auch die versteckte Arbeitslosigkeit ist in der Schweiz leider
beunruhigend hoch. Schliesslich leiden Erwerbstätige in der Schweiz
häufiger unter Stress bei der Arbeit als in den meisten anderen Ländern.
Eine zusätzliche Bedrohung für die Erwerbstätigen stellt die
Abschottungspolitik der falschen Patrioten aus der SVP und dem
national-konservativen Lager dar. Diese Politik gefährdet Löhne und
Arbeitsplätze. Denn wenn die bilateralen Verträge mit der EU wegfallen,
wird der Export von Schweizer Produkten ins Ausland schwieriger. Und
diese Politik gefährdet auch den Grundsatz gleiche Löhne für gleiche
Arbeit am gleichen Ort. Dürften Arbeitskräfte ohne Schweizer Pass
diskriminiert werden, würde das allen Arbeitnehmenden in der Schweiz
schaden. Heute leisten Personen mit ausländischem Pass rund ein
Drittel aller Arbeitsstunden. Könnte ein Schweizer Arbeitgeber Löhne
und Arbeitsbedingungen seines ausländischen Personals drücken,
03 DIE SCHWEIZ SO REICH WIE NIE NUR EINE MINDERHEIT
PROFITIERT
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
gerieten früher oder später alle Löhne und Arbeitsbedingungen unter
Druck.
Die Schweiz braucht eine wirtschaftspolitische Wende. Damit alle
Berufstätigen vom Wohlstand profitieren. Sie brauchen gute
Einkommen, sichere Arbeitsplätze, gute Arbeitsbedingungen sowie
Arbeitszeiten, mit denen sie Beruf, Familie und Freizeit unter einen Hut
bringen können. Nur eine soziale, gerechte und offene Schweiz hat
Zukunft. Der Königsweg dorthin sind gute Gesamtarbeitsverträge (GAV)
mit guten Mindestlöhnen. Denn überall, wo es GAV gibt, sind die
Lohnverhältnisse gerechter. Der Lohn- und Arbeitnehmerschutz muss
den heutigen Realitäten angepasst werden. Vollbeschäftigung ist der
beste Schutz gegen Arbeitsplatzunsicherheit: Nationalbank, aber auch
Bund, Kantone und Gemeinden müssen deshalb mit ihrer Geld- und
Finanzpolitik dazu beitragen, dass die Erwerbslosigkeit sinkt. Grossen
Handlungsbedarf gibt es bei der Steuer- und Abgabenpolitik. Bund und
Kantone müssen die Prämienverbilligungen substanziell aufstocken.
04 DIE LOHNSCHERE ÖFFNET SICH
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Die Lohnschere öffnet sich: Die Löhne der Gut-verdienenden sind seit 2002 viel stärker gestiegen als die der Normal- und Wenig-verdienenden.
Die Lohnschere öffnet sich
In der Schweiz hat sich die Lohn- und Einkommensschere weiter
geöffnet. Die Löhne der obersten 10 Prozent sind von 2002 bis 2012
nach Abzug der Teuerung um knapp 16 Prozent oder monatlich -
Franken gestiegen. Die mittleren und tiefen Löhne wurden abgehängt.
Die mittleren stiegen um knapp 7 Prozent oder um 375.- Franken pro
Monat. Die tiefen um knapp 3 Prozent oder 102.- Franken. Das zeigt die
genaueste Lohnstatistik der Schweiz, die Lohnstrukturerhebung des
Bundesamtes für Statistik 2012.
Wachstum der preisbereinigten Löhne nach Lohnklassen
Quelle: BFS, Berechnungen SGB
+15%
+7%
-4%
0%
+4%
+8%
+12%
+16%
2002 04 06 08 10 12
Unterste 10 Prozent
Oberste 10 Prozent
Mittlerer Lohn
+ 3%
05 DIE LOHNSCHERE ÖFFNET SICH
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Heute gibt es 13 Mal mehr Lohnmillionäre als zu Beginn der 1980er Jahre.
Am stärksten sind die Spitzenlöhne gestiegen. Mittlerweile kassieren
mehr als ehalt von über einer halben
Million Franken. Das sind über 7 Mal mehr als in den 1980er Jahren.
Die Zahl der Lohnmillionäre liegt sogar 13 Mal höher als noch vor 30
Jahren.
Anzahl Personen mit mehr als 1 Million Franken Jahreslohn zu Preisen von 2012
Quelle: BSV, AHV-Beitragszahlerstatistik
Dieser massive Anstieg der Spitzenlöhne hängt mit der
Individualisierung der Lohnpolitik und der zunehmenden Bedeutung
von Bonuszahlungen zusammen. Denn die Kader beglücken sich lieber
gegenseitig mit Boni als Angestellten zu
gewähren. Den Grossteil der Boni erhalten deshalb Kader und
Spezialisten also genau diejenigen Lohnklassen, die ohnehin schon
hohe Saläre beziehen. Auf der Strecke bleiben die Normal- und
2'579
0
500
1'000
1'500
2'000
2'500
3'000
1982 87 92 97 02 07 12
06 DIE LOHNSCHERE ÖFFNET SICH
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Niedrigverdiener. Zwar konnten die Gewerkschaften mit einem aktiven
Einsatz für gute Mindestlöhne und Gesamtarbeitsverträge den
Lohndruck in zahlreichen Branchen abwehren, beispielsweise in der
Hotellerie und Gastronomie. Doch in Sektoren und Berufen ohne
branchenweite Gesamtarbeitsverträge sieht es bedeutend schlechter
aus. Arbeitgeber können hier ungestraft Löhne und Arbeitsbedingungen
drücken.
In Branchen mit einem hohen Anteil gewerkschaftlich organisierter
Angestellter trotzen die Arbeitnehmenden den Arbeitgebern bessere
Anstellungsbedingungen ab. Das zeigen die Statistiken. Würden sich
die Arbeitnehmenden noch stärker in den Gewerkschaften engagieren,
könnten noch bessere und mehr Gesamtarbeitsverträge durchgesetzt
werden. Bis auf die Spitzenverdiener würden dann alle mehr verdienen.
Denn in Gewerkschaften organisiert, müssen die Arbeitnehmenden ihre
Interessen nicht mehr alleine vertreten, sondern können gemeinsam
höhere Löhne fordern. Die Arbeitgeber können so die Beschäftigten
schlechter gegeneinander ausspielen und einschüchtern.
Dank der Arbeit der Gewerkschaften sind in den letzten 10 Jahren auch
die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern zurückgegangen.
Die Arbeitgeber unternahmen aber kaum etwas, um die
Lohndiskriminierung zu bekämpfen. Von der Lohngleichheit sind wir
deshalb noch weit entfernt. Frauen verdienen im Mittel nach wie vor
18.9 Prozent weniger als Männer. Den erwerbstätigen Frauen entgehen
alleine wegen der direkten Diskriminierung jährlich 7.7 Milliarden
Franken Lohn.
07 DIE LOHNSCHERE ÖFFNET SICH
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Bis auf die Topverdiener erhalten alle Arbeitnehmer mehr Lohn, wenn die Gewerkschaften stärker werden.
Frauen verdienen nach wie vor deutlich weniger als Männer.
Anstieg der Löhne nach Lohnklassen, wenn ein zusätzliches Prozent aller Arbeitnehmenden Gewerkschaftsmitglied wird
Quelle: Fournier/ Koske (2012), OECD Economics Department Working Papers, N°930
Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern Differenz der Medianlöhne in % des Männer-Medians
Quelle: BFS, Berechnungen SGB
+0.36%
+0.14%
+0.06% +0.06%
-0.03% -0.15%
0%
+0.15%
+0.30%
+0.45%
Unterste10 %
Unterste30 %
MittlererLohn
Oberste30 %
Oberste10 %
-18.9%
-22%
-21%
-20%
-19%
-18%
-17%
-16%
1998 00 02 04 06 08 10 12
08 KRANKENKASSENPRÄMIEN BELASTEN NORMALHAUSHALTE
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Unsoziale
Kopfprämien:
Die Kantone
sparen bei den
Prämien-
verbilligungen.
Krankenkassenprämien belasten Normalhaushalte
Wie viel vom Lohn im Portemonnaie bleibt, hängt stark von Steuern,
Sozialversicherungsabgaben und -leistungen oder Krankenkassen-
prämien ab. Dafür ist die Politik zuständig. Leider konnte sich bei der
Steuer- und Abgabenpolitik in den letzten Jahren vor allem die
Oberschicht durchsetzen. Die von den Gewerkschaften erkämpften
Lohnfortschritte bei den tiefen und mittleren Einkommen wurden
dadurch zunichte gemacht. Diese Einkommenskategorien werden
heute stärker belastet als vor 10 Jahren.
Wachstum der Prämien, Prämienverbilligungen pro Kopf und Löhne preisbereinigt, ohne Verbilligungen zu EL/Sozialhilfe, CH-Durchschnitte
Quelle: BAG, BFS, Berechnungen SGB
Prämien +90%
+36%
Löhne
+9%
-20%
0%
+20%
+40%
+60%
+80%
+100%
1997 00 03 06 09 12
Prämien-verbilligungen
09 KRANKENKASSENPRÄMIEN BELASTEN NORMALHAUSHALTE
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Steuer- und Abgabenpolitik: Normal- und Wenigverdiener weiter belastet Topverdiener entlastet.
Am stärksten schlagen die Kopfprämien bei der Krankenversicherung
zu Buche. Die Kantone haben die Prämienverbilligungen längst nicht
dem Prämienanstieg angepasst. Stattdessen haben die Kantone die
Einkommens- und Vermögenssteuern, aber auch die Gewinnsteuern
der Unternehmen gesenkt. Davon haben vor allem Reiche und
Gutverdiener profitiert. Die Haushalte mit tiefen und mittleren
Einkommen leider dagegen unter dieser unsozialen Steuer- und
Abgabenpolitik von Bund, Kantonen und Gemeinden.
Auswirkung der Steuer- und Abgabenpolitik von 2002 bis 2012 nach Lohnklasse Verheiratete mit 2 Kindern, in Franken von 2012, pro Monat
Mehrbelastung durch Krankenkassenprämien (inkl. Verbilligung)
Entlastung durch Steuer- & Abgaben-senkungen
Auswirkung total:
Mehrbelastung
Entlastung
Quelle: Berechnungen SGB (Methode: s. Verteilungsbericht 2012)
+250.- +280.- +300.- +300.-
-80.-
-170.-
-290.-
-450.-
+170.- +110.-
+10.-
-150.-
-600.-
-400.-
-200.-
+200.-
+400.-
Unterste10 %
MittlereLöhne
Oberste10 %
Oberstes 1 %
10 KRANKENKASSENPRÄMIEN BELASTEN NORMALHAUSHALTE
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
.
Topverdiener
profitieren
Einkommens-
rückgang unten.
Ausgerechnet diejenigen, die auf jeden zusätzlichen Franken
angewiesen sind, haben noch weniger Einkommen zur Verfügung. Das
Verfassungsprinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit wird zunehmend ausgehöhlt. Mittlerweile müssen die
tiefen Einkommen praktisch den gleichen Anteil ihres Einkommens für
staatliche Zwangsabgaben zahlen wie die Grossverdiener.
Verschärft wird die Situation durch die Mieten, die gerade in den
Zentren und Agglomeration in den letzten Jahren stetig gestiegen sind.
Bund, Kantone und Gemeinden sind dafür mitverantwortlich: Seit den
1990er Jahren haben sie ihre Beiträge an den gemeinnützigen
Wohnbau mehr als halbiert (gemessen an den Gesamtausgaben).
Veränderung der verfügbaren Einkommen zwischen 2002 bis 2012 Monatseinkommen nach Lohnklassen, in Franken von 2012
Quelle: Berechnungen SGB (Methode: s. Verteilungsbericht 2012)
-200.- -30.-
+680.-
+1'930.-
-190.-
+100.-
+1'020.-
+2'680.-
-500.-
+500.-
+1'000.-
+1'500.-
+2'000.-
+2'500.-
+3'000.-
Unterste10 %
MittlereLöhne
Oberste10 %
Oberstes1 %
Alleinstehende Verheiratete mit 2 Kinder
11 KRANKENKASSENPRÄMIEN BELASTEN NORMALHAUSHALTE
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
In der Schweiz
haben viele
Mühe, mit dem
Geld über die
Runden zu
kommen.
Unter dem Strich bleibt heute in vielen Haushalten nach Abzug von
Steuern, Prämien und Mieten nur wenig mehr Geld zum Leben übrig als
vor über zehn Jahren, im Jahr 2002. Es ist eine Schande für die
wohlhabende Schweiz und ein Armutszeugnis für die Politik, dass
zahlreiche Haushalte Mühe haben, finanziell über die Runden zu
kommen. Im Vergleich zu anderen einkommensstarken Ländern in
Europa schneidet die Schweiz diesbezüglich schlecht ab. Wäre die
Krankenversicherung sozialer finanziert, würde das anders ausschauen.
Anteil aller Haushalte, die mit ihrem Geld nur schwer über die Runden kommen 2012
Quelle: Eurostat
8.6%
0%
2%
4%
6%
8%
10%
12%
14%
16%
18%
12 UNSICHERE ARBEITSPLÄTZE HOHE VERSTECKTE
ERWERBSLOSIGKEIT
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Hohe versteckte
Arbeitslosigkeit
Unsichere Arbeitsplätze hohe versteckte Erwerbslosigkeit
Viele Berufstätige machen sich heute Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Das
war bis Ende der 1980er Jahre noch ganz anders. Damals lag die
offizielle Arbeitslosenquote unter 1 Prozent. Heute beträgt sie rund 3.2
Prozent. Doch in Wirklichkeit sind viel mehr Menschen davon betroffen.
Beispielsweise die ausgesteuerten Arbeitslosen oder Menschen, die aus
anderen Gründen keinen Anspruch auf Arbeitslosen-Taggelder haben.
Quote der Erwerbslosen und der registrierten Arbeitslosen in Prozent aller Erwerbspersonen
Quelle: BFS, Seco
0%
1%
2%
3%
4%
5%
1980 85 90 95 00 05 10
Registrierte Arbeitslose Erwerbslose
13 UNSICHERE ARBEITSPLÄTZE HOHE VERSTECKTE
ERWERBSLOSIGKEIT
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Erwerbslosigkeit:
Deutsche
Bundesländer
überholen die
Schweiz.
Zählen wir auch sie mit, so sind heute in der Schweiz
Menschen oder 4.7 Prozent ohne Erwerbsarbeit. Das ist auch im
Vergleich zum Ausland nicht mehr tief. Deutschland und Österreich
liegen mit Quoten um rund 5 Prozent nur unwesentlich über der
Schweiz. Die deutschen Bundesländer Baden-Württemberg oder
Bayern stehen mit Quoten um 4 Prozent mittlerweile sogar besser da als
die Schweiz. Hauptursache dieser Verschärfung ist der überbewertete
Franken. Die Berufstätigen in der Schweiz müssen nun für die
zögerliche Politik der Nationalbank zahlen.
Erwerbslosenquote: Schweiz, Baden-Württemberg und Bayern im Vergleich
Quelle: BFS, Bundesagentur für Arbeit
3.9% 4.4%
6.7%
4.1%
6.1%
3.8%
0%
2%
4%
6%
8%
1994 2013
Schweiz Baden-Württemberg Bayern
14 UNSICHERE ARBEITSPLÄTZE HOHE VERSTECKTE
ERWERBSLOSIGKEIT
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Unfreiwillige
Teilzeitarbeit
versteckte
Arbeitslosigkeit
Obwohl die Erwerbslosenquote ein genaueres Bild der tatsächlichen
Arbeitslosigkeit gibt, ist auch diese Statistik noch unvollständig.
Beispielsweise sind Personen, die sich entmutigt aus der Stellensuche
zurückgezogen haben, nicht enthalten. Ebenfalls nicht mitgezählt
werden Personen, die unfreiwillig Teilzeit arbeiten und eigentlich auf der
Suche nach einem grösseren Stellenpensum sind. In der Schweiz sind
zu den übrigen
einkommensstarken Ländern schneidet die Schweiz diesbezüglich
sogar besonders schlecht ab. Gemessen an der Bevölkerung gibt es
nur in Irland und im Vereinigten Königreich mehr unfreiwillig Teilzeit-
Arbeitende.
Teilzeitbeschäftigte, die ein höheres Stellenpensum suchen 2013, Anteil an der Erwerbsbevölkerung im Alter von 15 bis 74 Jahren
Quelle: Eurostat
5.7%
0%
1%
2%
3%
4%
5%
6%
7%
15 UNSICHERE ARBEITSPLÄTZE HOHE VERSTECKTE
ERWERBSLOSIGKEIT
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Mehr Sorgen
um den
Arbeitsplatz
insbesondere
bei älteren
Berufsleuten.
Auffallend ist, dass sich heute vor allem die berufstätigen Männer ab
einem Alter von 50 Jahren mehr Sorgen machen, ihre Stelle zu
verlieren. Heute befürchtet jeder Siebte regelmässig, dass er seinen
Arbeitsplatz verlieren könnte. Ein Grund ist, dass es für ältere
Arbeitnehmende deutlich schwerer ist, eine Stelle zu finden, wenn sie
einmal arbeitslos geworden sind. Mehr als ein Viertel der über 50-
jährigen Arbeitslosen sind länger als ein Jahr arbeitslos, nämlich 27
Prozent.
Sorge um die Sicherheit des Arbeitsplatzes Männer, die sich häufig oder gelegentlich sorgen
Quelle: BFS
12.3% 13.3%
11.7%
14.5%
0%
2%
4%
6%
8%
10%
12%
14%
16%
2007 2012
30 - 49 Jahre 50 - 64 Jahre
16 STRESS UND LANGE ARBEITSZEITEN
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Stress:
Trauriger
Spitzenplatz der
Schweiz.
Stress und lange Arbeitszeiten
Erschreckend ist die Arbeitsbelastung der Berufstätigen in der Schweiz.
Das Arbeitstempo und der Termindruck sind hoch. Rund ein Drittel aller
Berufstätigen ist häufig oder sehr häufig gestresst. Kein Wunder haben
viele Gesundheitsprobleme. Etwa die Hälfte der Berufstätigen leidet
unter Kopf-, Schulter-, Nacken- oder Rückenschmerzen. Rund ein Viertel
beklagt sich über Schlafstörungen. Im Vergleich zum Ausland schneidet
die Schweiz auch hier sehr schlecht ab. In ganz Europa findet sich
kaum ein vergleichbares Land, in dem der Stress grösser ist. Und auch
bei den einzelnen gesundheitlichen Beschwerden liegt die Schweiz
durchwegs über dem EU-Durchschnitt.
Anteil Arbeitnehmende, die immer oder häufig gestresst sind
Quelle: Eurostat
33%
0%
10%
20%
30%
40%
17 STRESS UND LANGE ARBEITSZEITEN
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Besorgnis-
erregende
Gesundheits-
probleme der
Berufstätigen
in der Schweiz.
Arbeitnehmende mit spezifischen Gesundheitsproblemen in Prozent aller Erwerbstätigen, 2010
Quelle: Krieger et al. 2012
43%
46%
39%
30%
18%
14%
9%
9%
8%
6%
6%
5%
55%
49%
47%
31%
27%
18%
17%
11%
11%
8%
7%
9%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60%
Muskelschmerzen in denSchultern, im Nacken
Rückenschmerzen
Kopfschmerzen/Überanstrengung der Augen
Muskelschmerzen in denunteren Gliedmassen
Schlafstörungen
Magenschmerzen
Verletzungen
Depressionen/Angstgefühle
Hautprobleme
Atembeschwerden
Hörprobleme
Herz- und Gefässkrankheiten
EU 27 Schweiz
18 STRESS UND LANGE ARBEITSZEITEN
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Nirgendwo in
Europa muss
länger
gearbeitet
werden als in
der Schweiz.
Verschärfend zum Stress am Arbeitsplatz kommen noch die überlangen
Arbeitszeiten dazu. In keinem anderen europäischen Land müssen die
Arbeitnehmenden so viele Arbeitsstunden pro Woche leisten, nämlich
nahezu 43. Dazu kommt noch eine Dunkelziffer. Kontrolliert werden die
Arbeitszeiten in der Schweiz ohnehin kaum. Und jede oder jeder
Sechste erfasst ihre oder seine Arbeitszeit gar nicht.
Effektive Wochenarbeitszeit in Stunden
Quelle: Eurostat
42.8
33
35
37
39
41
43
19 VERALTETER ARBEITNEHMERSCHUTZ
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Höhere GAV-
Abdeckung in
schwierigem
Umfeld dank
guter
gewerkschaft-
licher Arbeit.
Veralteter Arbeitnehmerschutz
Im Vergleich zu anderen Ländern hat die Schweiz einen wenig
ausgebauten Arbeitnehmerschutz. Mindestlöhne kennt unser Land nur
in Gesamtarbeitsverträgen. Positiv ist immerhin, dass die GAV-
Abdeckung in den letzten Jahren dank guter gewerkschaftlicher Arbeit
gestiegen ist. Damit gehört die Schweiz zu den wenigen Ländern auf
der Welt, in denen heute mehr Berufstätige durch einen GAV
abgesichert sind als vor 20 Jahren.
Veränderung GAV Abdeckung 2000/01 bis 2009/12 in Prozentpunkten
Quelle: ICTWSS database 4.0
+3%
-20%
-15%
-10%
-5%
0%
+5%
20 VERALTETER ARBEITNEHMERSCHUTZ
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Nur rund die
Hälfte der
Erwerbstätigen
ist durch einen
GAV geschützt.
Trotzdem ist nur rund die Hälfte der Erwerbstätigen in der Schweiz
durch einen GAV geschützt. Die politischen Hürden unter anderem
die hohen Quoren für die Allgemeinverbindlich-Erklärung der Verträge
erschweren eine bessere GAV-Abdeckung und einen besseren GAV-
Schutz. Auch weigern sich viele Arbeitgeber beharrlich, mit den
Arbeitnehmervertretungen überhaupt über einen GAV zu verhandeln.
GAV-Abdeckung im internationalen Vergleich in Prozent
Quelle: ICTWSS database 4.0/Berechnungen SGB
21 VERALTETER ARBEITNEHMERSCHUTZ
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Starker Anstieg
der Temporär-
arbeit
Atypische Arbeitsverhältnisse wie befristete Arbeitsverträge und die
Temporärarbeit sind in der Schweiz äusserst schwach reguliert. Der
Bund hat die Temporärarbeit in den späten 1990er Jahren sogar noch
erleichtert. Damals erlaubte er Schweizer Temporärbüros, auch
Grenzgänger und Kurzaufenthalter an Schweizer Firmen zu verleihen.
Seither ist der Anteil Temporärarbeitender massiv angestiegen.
Anteil Temporärarbeitende am Schweizer Gesamtarbeitsvolumen
Quelle: Seco, Berechnungen SGB
Dabei zeigt sich immer wieder, dass Temporärarbeitende deutlich
schlechter verdienen und zusätzlich auch massiv geringere Chancen
auf eine Aus- oder Weiterbildung haben als ihre festangestellten
Kolleginnen und Kollegen. So ist es denn auch alles andere als
überraschend, dass rund zwei Drittel aller Temporärangestellten
2.3%
0.0%
0.5%
1.0%
1.5%
2.0%
2.5%
1995 97 99 01 03 05 07 09 11 13
22 VERALTETER ARBEITNEHMERSCHUTZ
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
eigentlich eine feste Anstellung bevorzugen würden und damit der
Kategorie der unfreiwillig Temporärarbeitenden zugerechnet werden
müssen.
Auch einen Kündigungsschutz, der diesen Namen verdient, sucht man
in der Schweiz vergebens: Über die relativ kurzen Kündigungsfristen
hinaus gibt kaum einen nennenswerten Schutz, nicht einmal für
gewerkschaftliche Vertrauensleute.
Bei den für die Erwerbstätigen relevanten Sozialversicherungen bietet
die Schweizer Arbeitslosenversicherung zwar einen relativ hohen
Lohnersatz. Doch ist die Rahmenfrist, während der die Versicherung
Taggelder ausbezahlt im Vergleich zu anderen Ländern
unterdurchschnittlich kurz. Der massive Abbau bei der
Arbeitslosenversicherung im Frühjahr 2010 hat denn auch zahlreiche
Betroffene in die Sozialhilfe gedrängt.
Beim Arbeitnehmerschutz positiv zu vermerken ist, dass es den
Gewerkschaften gelungen ist, dank den Flankierenden Massnahmen in
der Schweiz erstmals umfassende Lohnkontrollen zu verankern.
23 WEITERLESEN
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Weiterlesen
Über die Löhne:
SGB-Dossier 95: GAV in der Schweiz: Probleme, Handlungsbedarf,
Lösungen.
SGB-Dossier 97: Boni und wachsende Lohnschere. Wie Manager
und Spitzenverdiener von der Individualisierung der Löhne
profitieren.
SGB-Dossier 104: Was für die Lohngleichheit zu tun ist. Eine
Analyse der Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern und
der politischen Gegenmassnahmen.
Über die Verteilung des Reichtums:
SGB-Verteilungsbericht 2012. www.verteilungsbericht.ch
Reto Föllmi und Isabel Martinez: Volatile Top Income Shares in
Switzerland? Reassessing the Evolution between 1981 and 2008.
https://www.alexandria.unisg.ch/publications/225135
The World Top Income Database. Datenbank zur steigenden
Einkommensungleichheit weltweit.
topincomes.parisschoolofeconomics.eu
24 WEITERLESEN
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Über die Arbeitsbedingungen:
SECO: Stress-Studie 2010.
www.seco.admin.ch/aktuell/00277/01164/01980/?msg-id=40970.
SGB-
Entzauberung eines Mythos.
SGB: Lohndruck und ungerechte Verteilung. Die finanzielle Lage
der Arbeitnehmenden in der Schweiz Analyse und
Handlungsmöglichkeiten.
www.sgb.ch/aktuell/arbeitnehmer-bericht/
Alle SGB-Dossiers sind auf www.sgb.ch/publikationen/dossier/
verfügbar.
25 DER SGB
Schweizerischer Gewerkschaftsbund / Union syndicale suisse / Unione sindacale svizzera
Der SGB
Schweizerischer Gewerkschaftsbund
Monbijoustrasse 61, Postfach, 3000 Bern 23
Tel. 031 377 01 01
Fax 031 371 08 37
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