Insel Verlag Leseprobe Bleitner, Thomas Frauen der 1920er Jahre Glamour, Stil und Avantgarde Mit zahlreichen Fotografien © Insel Verlag insel taschenbuch 4562 978-3-458-36262-3
Insel VerlagLeseprobe
Bleitner, ThomasFrauen der 1920er Jahre
Glamour, Stil und AvantgardeMit zahlreichen Fotografien
© Insel Verlaginsel taschenbuch 4562
978-3-458-36262-3
In den ����er Jahren war vieles wagemutiger, unkonventioneller und exzessiver als heute. Keine Zeit bra�te so viel Glamour, Stil und Avantgarde hervor, und eine nie gekannte Experimentierlust eroberte Bühnen, Kunst ate l iers, den Sport und so man�es S�laf zimmer. Frauen ma�ten den Flug und Führ er s�ein, sie griffen zur Filmkamera, sie designten eine neue Mode, sie rau�ten und tranken und tanzten fröhli� am Abgrund.Thomas Bleitner stellt in diesem opulent bebilderten Band legendäre und unver glei� li�e Frauen aus Film, Fotografie, Sport, Mode und Kunst vor, die in den ����er Jahren in Berlin, Paris und New York alte Rollenmuster auf den Kopf stellten und damit für Furore sorgten.
»Als die Frauen begannen, ihre Rö�e zu kürzen und ihre Haare zu stu�en, war dies der größte Umbru� in der Ges�i�te der Mode der le�ten hundert Jahre.« New York Vogue vom �. Juli ����
Thomas Bleitner, geboren ����, hat u. a. zum literaris�en Expressionismus, zum Wiener Autor Leo Peru� und zur Hamburger Soziokultur veröffentli�t. Bei der Redaktion »Kulturelles Wort«, Hörspiel des Norddeuts�en Rundfunks, war er als freier Lektor be s�ä�igt. Er lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in Hamburg und arbeitet dort als Literatur wissens�a�ler und Bu�händler. Von ihm ist im insel tas�enbu� außerdem ers�ienen: Hamburgerinnen, die lesen, sind gefährlich (it ����).
Erste Auflage ���� insel tas�enbu� ���� Insel Verlag Berlin ����
© ����, Elisabeth Sandmann Verlag GmbH, Mün�en Alle Re�te vorbehalten, insbesondere das der Überse�ung, des öffentli�en Vortrags sowie der Übertragung dur� Rundfunk und Fernsehen, au� einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (dur� Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne s�ri�li�e Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronis�er Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Vertrieb dur� den Suhrkamp Tas�enbu� Verlag
Ums�lag, Innenseiten und Sa�: S�immelpennin�.Gestaltung, Berlin Dru�: Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg Printed in Germany ISBN �������������
Der ���� im Elisabeth Sandmann Verlag erschienene Originalband wurde für die Taschenbuchausgabe um ein Porträt gekürzt.
$ 13 4Glamour, Stil und Avantgarde
$ 24 4
Zelda Fi�gerald ���� – ����Nancy Cunard ���� – ����Dorothy Parker ���� – ����
Tamara de Lempi�a ����/�� – ����
$ 62 4
Luisa Casati ���� – ����Elsa S�iaparelli ���� – ����
Lee Miller ���� – ����
inhaLt
Literatur und Kunst
societY und Mode
cabaret und tanZ
abenteuer und sport
fotografie und fiLM
$ 94 4
Claude Cahun ���� – ����Clara Bow ���� – ��6�
Louise Brooks ���6 – ����
$ 124 4
Anita Berber ���� – ���� Kiki de Montparnasse ���� – ����
Lavinia Schulz ���6 – ����Josephine Baker ���6 – ����
$ 166 4
Amelia Earhart ���� – ����Suzanne Lenglen ���� – ����Clärenore Stinnes ���� – ����
$ 199 4Verwendete und weiterführende Literatur
PersonenregisterBildna�weis
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er Zauber der Zwanzigerjahre ist ungebro�en. Die Faszination, die von dieser kurzen Ära ausgeht, ihre Anziehungs und Strahlkra�, ist bis heute allgegenwärtig und
basiert vor allem auf dem atemberaubenden Tempo, mit dem die Gesells�a� si� damals veränderte und Konventionen über Bord gingen – niemals zuvor wurde so s�nell gelebt, so radikal erneuert und so wild gefeiert. Der Erste Weltkrieg ha�e die ›Belle Époque‹ über Na�t vers�winden lassen und eine Generation hervorgebra�t, die gegen ana�ronistis�e Werte au�egehrte und mit Vehemenz die Lo�erung sozialer Normen betrieb. Die Ver tre ter jener ›Verlorenen Generation‹ – wie sie si� in Anlehnung an eine Sentenz Gertrude Steins selbst bezei�neten – sahen ihr S�i�sal als Chance, und na� dem Mo�o »Anything goes« gestalteten sie ihr Leben unabhängig und na� eigenen Vorstellungen. In Amerika und England bra�en die ›Roaring Twenties‹ an, in Frankrei� die ›Années Folles‹ und in Deuts�land – wo Arbeitslosigkeit und Inflation am hö�sten waren und ein ökonomis�er Aufs�wung auf si� warten ließ – s�ließli� die ›Goldenen Zwanziger‹. Bei vielen jungen Mens�en entwi�elte si� zu jener Zeit ein neues Selbstbewusstsein – ein neues Lebensgefühl, denn eine Generation, die na� der Tabula rasa, die der Krieg ihr bes�ert ha�e, am Nullpunkt stand, konnte im Prinzip nur no� gewinnen: »Herrgo�, wir lebten ja in den ›Zwanzigern‹«, meinte Dorothy Parker, »und da mussten wir einfa� smart sein.«
Glamour, Stil und Avantgarde
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EinlEitung
Beim Abs�neiden alter gesells�a�li�er Zöpfe taten si� insbesondere die Frauen hervor. Die veränderten politis�en und ökonomis�en Verhältnisse na� ���� boten ihnen Räume für Emanzipation und ungeahnte neue Freiheiten. Die Ausbildungs�ancen waren gestiegen und in Deuts�land und weiteren europäis�en Ländern ha�e man neben anderen demokratis�en Grundgedanken au� das Frauenwahlre�t verwirkli�t. Zudem war die Arbeitskra� der Frauen gefragter denn je: Millionen von Männern ha�en seit ���� auf den S�la�tfeldern ihr Leben gelassen, und in Städten wie Berlin betrug das Verhältnis Frau zu Mann phasenweise vier zu eins. Notgedrungen bra�en erwerbstätige Frauen auf unters�iedli�sten Gebieten in die Domänen der Männer ein, passten ihr Freizeitverhalten den veränderten Gegeben heiten an – und entde�ten dabei die großen Vorzüge der fris� gewonnenen Autonomie: Sie bevölkerten Cafés, Bars, Clubs und Cabarets und verliehen dem Kultur und Na�tleben der Metropolen einen neuen Charakter. Das ›JazzAge‹, das in Amerika zu Beginn der Zwanziger jahre einse�te und neben der Musikri�tung, der es seinen Namen verdankt, insbesondere den Charleston populär ma�te, wogte von New York Ri�tung Europa und eroberte Paris, London und Berlin. Sein Ers�einungsbild war von jungen rebellis�en Frauen geprägt, die in wadenfreien Kleidern, mit Co�tailgläsern in den Händen – Diana Vreeland bezei�nete das JazzAge explizit als »MartiniÄra« – und Zigare�en zwis�en den Fingern zwanglos über Selbstverwirkli�ung, Sex und eigene Vorstellungen von Moral und Anstand plauderten. Im New Yorker, dem Organ der jungen Generation in Amerika, s�rieb Ellin Ma�ay, ein ��jähriges ›Girl‹ aus der High Society Manha�ans: »Moderne junge Frauen sind si� ihrer Identität dur�aus bewusst; sie hei raten, wen sie wollen, und sind zufrieden, wenn sie nur ihren eigenen An�rü�en genügen müssen. [...] Sie haben erkannt, dass ihr persönli�er Charme wi�tiger ist als Abzei�en gesells�a�li�en Ansehens, die dur� quälende Langeweile erworben werden müssen.« Wie viele andere beließ es Ellin Ma�ay ni�t allein bei Worten, sie
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handelte au�: Ungea�tet des enormen Dru�s, den ihre Eltern auf sie ausübten, und tro� eines monatelangen Spießrutenlaufs dur� die sensationshungrige Öffentli�keit heiratete die To�ter des millionens�weren katholis�en Finanziers Clarence Ma�ay den jüdis�en Komponisten Irving Berlin – ihr Vater, der gegenüber der Presse zuvor erklärt ha�e, eine eheli�e Verbindung Ellins mit dem Musiker würde »nur über seine Lei�e« zustande kommen, enterbte sie darau�in; ein S�i�sal, das sie mit so man�er Rebellin aus der Upper Class teilen sollte.
Ellin Ma�ay verkörperte den klassis�en ›Flapper‹. Der Ausdru�, der ur�rüngli� das Flügelfla�ern von Jungvögeln bezei�nete, bevor sie flügge werden, wurde zum Synonym einer ganzen Generation junger Frauen, die si� seit Beginn der Zwanziger jahre auf die Su�e na� Spaß und neuer Vitalität begab. »Flapper«, s�rieb Sco� Fi�gerald, neben seiner Frau Zelda eine der Koryphäen des JazzAge s�le�thin, »[sind] diese Art von Mäd�en, die man in s�i�en Na�tclubs sieht, stets na� der neuesten Mode gekleidet. Sie halten eisgekühlte Drinks in der Hand und tragen einen zurü�haltenden, lei�t verbi�erten Gesi�tsausdru�. Sie tanzen ausgelassen, la�en viel und haben große, traurige Augen. Junge Mäd�en mit einem Talent zum Leben.« Sie trugen Bubikopffrisuren, Glo�en oder Top�üte und gerade ges�ni�ene Charlestonkleider. Debütantinnengehabe war ihnen zuwider, und sie hegten alles andere als mü�erli�e Ambitionen, wie ins besondere die androgyne europäis�e Variante des FlapperTyps, die ›Garçonne‹, demonstriert, die dur� s�warz umrandete Augen mit eingeklemmtem Monokel und tiefrote Lippen besta� und im knielangen Ro� oder Herrenanzug die �eater, Bars und Cafés von Paris oder Berlin besu�te. Der Flapper und die Garçonne wurden zum Sinnbild der modernen Frau, mit all ihren Re�ten, und zum Symbol ihrer sexuellen Befreiung. Jede der hier Porträtierten, so vers�ieden sie in Bezug auf Herkun�, Beruf, Berufung oder Alter au� sind – Luisa Casati und Lee Miller trennt immerhin mehr als ein Vierteljahrhundert –, ist auf individuelle
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Art prototypis� für die ›neue Frau‹, die die Roaring Twenties hervorgebra�t haben.
Der gesells�a�li�e Au�ru� fand in den Städten sta�. Mehr als bei jeder vorangegangenen Ära war die Kultur der Zwanzigerjahre glei�zeitig eine Kultur der Metropolen. Für junge Mens�en, die ein freies Leben jenseits konventioneller gesells�a�li�er Normen führen wollten, besaßen sie eine gewaltige Zugkra�. Allein die Bezei�nung ›Wilde Zwanziger‹ evoziert Bilder eines Lebensstils, der mehr oder minder auss�ließli� in Großstädten anzutreffen war – und diese LifestyleMetropolen waren in erster Linie New York, Paris, Berlin und mit Abstri�en London, wo das Tempo gesells�a�li�en Wandels ni�t so ho� und das britis�e Traditionsbewusstsein verglei�sweise fest verankert war. Mit ihren �eatern, Verlagen, Zeits�ri�en, Modehäusern, Cafés und Bars repräsentierten New York und die drei europäis�en Zentren au� die Hauptstädte des amerikanis�en, französis�en, deuts�en und britis�en Kunst und Kulturbetriebs jener Zeit. Ihr liberales Klima zog �eziell avantgardistis�e Frauen an und bot ihnen die Räume zur freien Entfaltung – und zum Austaus� und geselligen Mit einander: In New York, wo nie zuvor so viel Alkohol ge trunken wurde wie während der Prohibitionszeit, propa gierten Zelda Fi�gerald, Dorothy Parker, Louise Brooks und andere den Flapper Typ und trafen si� auf PenthousePartys in der Park Avenue oder in den zahllosen ›Flüsterkneipen‹ rund um den Broadway, wo illegal Spirituosen ausges�enkt wurden. Die Londoner Boheme fand si� im West End ein: im legendären Café de Paris zwis�en Piccadilly Circus und Leicester Square oder in den vom Maler Wyndham Lewis ausgesta�eten Räumen des Eiffel Tower, dem beliebten Künstlertreff und Stammlokal Nancy Cunards, bevor sie na� Paris zog. Die Kultur szene Berlins feierte ausgelassen in den Cafés und �eatern am Kurfürstendamm. Die Stadt an der Spree war mit ihren zahl losen glamourösen Varietés das Zentrum des Tanzes s�le�thin und lo�te ihre Na�ts�wärmer zudem mit einer ausgeprägten Subkultur – Berlin galt in den Zwanzigerjahren
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als »Weltmetropole des Lasters«; allabendli� verwandelte si� die Stadt in eine raus�ende Party. »Es gab alles, Geld ha�e keinen Wert. Man musste es ausgeben, denn am nä�sten Tag würde es no� weniger wert sein«, stellte Germaine Krull fest, na�dem sie zur Inflations zeit als junge Fotografin aus Mün�en in die Hauptstadt gekommen war. Und Louise Brooks registrierte überras�t, dass in den Bars und Cabarets der Stadt »ohne S�am die kollektive Lust [tobte]«. Gerade in den zahllosen Clubs der lesbis�en Szene, wo neben anderen Anita Berber, Claire Waldoff und Marlene Dietri� legen däre Au�ri�e feierten, wurde regelmäßig bis in die Morgenstunden dur�getanzt.
Die größte Anziehungskra� übte jedo� zweifelsohne die Metropole an der Seine aus. Dass »Paris ein Fest fürs Leben« war, ha�e ni�t allein Ernest Hemingway erkannt: In S�aren zog die Stadt die Künstler, Musiker und Bohemiens der jungen Generation an und partizipierte an deren Kreativität. Coco Chanel erinnerte si�, dass �eziell die frühen Zwanzigerjahre »die glanzvollsten, die originellsten« waren, die Paris je erlebt ha�e: »London, New York, sie alle bli�ten nur auf uns, von Berlin ganz zu s�weigen, das gepeinigt war von Geld entwertung, Hungersnot und Expressionismus.« Paris war die Wiege moderner Kultur s�le�thin und
– �eziell die Kunst, Fotografie und Mode betreffend – die Keim zelle innovativer Ideen und Trends, die s�ließli� um die Welt gingen. Die umfängli�e Kolonie expatriierter Amerikaner trug den Jazz in die Bars am Montparnasse und am Montmartre, der dort euphoris� aufgenommen und verbreitet wurde. In den Ateliers der Künstler und Fotografen entstanden neue Stile, derer si� die Haute Couture
»Wir waren eigenständig. Wir taten, was wir wollten. Wir blieben na�ts lang auf. Wir kleideten uns, wie wir es mo�ten [...]. Heute mögen die Mens�en bei besserer
Gesundheit sein. Aber wir ha�en mehr Spaß.«Clara Bow
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bediente – namentli� die Rivalinnen Coco Chanel und Elsa S�iaparelli – und bahn bre�ende Designs kreierte. »Paris war eine Frau« – die populär gewordene Metapher der amerikanis�en Autorin Andrea Weiss ist so pointiert wie angebra�t: Ohne seine Mode s�öpferinnen und ohne Tamara de Lempi�a, Gertrude Stein, Lee Miller, Claude Cahun, Josephine Baker oder Kiki de Mont parnasse hä�e Paris si�erli� ni�t den Glanz entwi�elt, der die Stadt bis heute umgibt.
In den Dreißigerjahren müssen die Roaring Twenties den Mens�en als verlorenes Paradies ers�ienen sein: Im Oktober ���� löste der New Yorker Börsenkra� die Weltwirts�a�skrise aus, und die Kau�ra� des Dollars sank rapide; au� in Europa bra�en Aktien märkte und Währungen zusammen, zahllose Unternehmen gingen bankro�, und hier wie dort kam es zu einer bei�iellosen Massen arbeitslosigkeit. In den Metropolen bereiteten wa�sende poli tis�e Spannungen und fas�istis�e Ideologien dem frei sinnigen Klima der vorangegangenen Dekade ein abruptes Ende. Die Zeit der raus�enden Feste und wilden Partys war vorerst vorüber; die Goldenen Zwanziger waren Ges�i�te. Für die meisten Frauen bedeutete all das tiefe Karriereeins�ni�e und mitunter au� das Ende von Freiheit und Freizügigkeit, insbesondere in Deuts�land, wo ihnen ab ���� ein – gesells�a�li�es – Korse� angelegt wurde, das no� um einiges enger war als jenes, von dem Coco Chanel sie gerade erst befreit ha�e. »In den dreißiger Jahren zahlte man den Preis für die zwanziger«, s�rieb Arthur Miller – viele der couragierten Frauen, die das Kulturleben und die Avantgarde der Roaring Twenties geprägt ha�en, sollten dies zu �üren bekommen. Man�e konnten an die Superlative der Zwanziger anknüpfen und vollbra�ten neue Glanztaten, für andere wiederum bedeutete das Ende der Dekade au� das Ende ihres Erfolges. Und einige, wie etwa die »Vulkan tänzerinnen« Lavinia S�ulz und Anita Berber, ha�en ihre Kunst und Selbstverwirkli�ung so radikal ausgeübt, dass sie die Dreißiger jahre gar ni�t mehr erlebten.