ANZEIGE Am kreiskolbenförmigen Holz- tisch des Clubhauses von Kurt Hofstetter, dem Garagisten mit Mazda-Vertretung, sind gleich mehrere Koryphäen der einst blühenden Wankelszene ver- sammelt. Sie alle haben natür- lich gehörig Benzin im Blut. Doch damit nicht genug: aus- serdem weisen ihre roten Blut- körperchen nämlich Kreiskol- benform auf. NSU- und Mazda-Freunde haben sich unter dem gemein- samen Wankeldach gefunden. In separaten Clubs organisiert, teilen sie die Freude am Wan- kelmotor und treffen sich regel- mässig zu geselligen Anlässen, natürlich immer begleitet von technischen Fachsimpeleien. Lauter rotierende Teile Überzeugt von der Idee der kreisenden Scheibe, die an Stel- le von stampfenden Kolben für Drehmoment sorgen sollte, ge- lang es Felix Wankel zu Beginn der 50er-Jahre, im Kreis der so- wieso innovationsfreudigen NSU-Ingenieure für Begeiste- rung zu sorgen. Soviel Begeiste- rung, dass man sich in Neckar- sulm entschied, den neuarti- gen Motor zur Serienreife zu bringen. Und nachdem Wan- kels revolutionärer Rotations- kolbenmotor im Frühjahr 1957 in modifizierter Ausführung seinen ersten Testlauf auf dem Prüfstand erfolgreich hinter sich gebracht hatte, hielten nicht nur die am Versuch betei- ligten NSU-Motorenentwickler die neue Maschine für eine wegweisende Alternative zum schon damals betagten Hub- kolbenmotor. Voller Enthusias- mus machten sie sich daran, das erste Auto auf die Strasse zu bringen. NSU Prinz als Vorreiter Die Ehre, das erste mit Wankel- motor ausgestattete Strassen- fahrzeug zu sein, fiel im Jahr 1960 dem NSU Prinz zu. Sein 250-cm 3 -Motor sorgte mit ex- Vor 50 Jahren hatte der Wankel-Motor seinen ers- ten Auftritt, in den 60er-Jahren wurde er vor- übergehend zum Star, heute fristet er ein Schat- tendasein. Aber: Er ist noch immer da – und hätte durchaus Entwicklungspotenzial. ■ STEPHAN HAURI trem hohen Drehzahlen von bis zu 13000/min und vorher nicht gekannter Laufruhe bei den Testfahrern für Furore. Dem drei Jahre später lancierten ers- ten Serienmodell mit Wankel- Triebwerk, dem von Bertone entworfenen Spider, blieb je- doch ein grosser kommerzieller Erfolg versagt. Offenbar wäre mit einer «ausgewachsenen» Limousine mehr Verkaufs- potenzial vorhanden gewesen. Dass das vollständig neue Motorenkonzept aber Entwick- lungsingenieure aller Ausrich- tungen interessierte, zeigte die lange Liste der Unternehmen der ersten Stunde, die Lizenz- verträge unterzeichen wollten: Nach Curtiss Wright und Fich- tel & Sachs waren darunter so bekannte Automobil- und Mo- torenhersteller wie Toyo Kogyo (nach 1984 besser bekannt als Mazda), Daimler-Benz, Alfa Romeo, Porsche, Perkins, Klöckner Humboldt Deutz und Krupp. Allerdings beschränkte sich die Baugrösse eines Wankel- Motors nicht auf Personenwa- gendimensionen: Modellbauer rüsteten kleine Flugzeuge mit Kreiskolbenmotoren aus, Kom- pressorenspezialist Ingersoll Rand baute einen erdgasbetrie- benen 41-L-Zweischeibenmo- tor, dessen 1100 PS Maximal- leistung dem Antrieb schwerer Kompressoren zur Rohölförde- rung dienten. Daneben trieb der Wankel- Motor auch Motorräder, Boote, Motorschlitten, Rasenmäher, Motorsägen und Go-Karts an. Den neusten Auftritt hatte er in Gestalt einer Briefmarke: Das 1.45-€-Wertzeichen für Post- sendungen aus Deutschland ist dem 50-Jahre-Jubiläum gewid- met. Darauf dargestellt sind ein schematisierter Schnitt durch den Motor sowie ein Ro 80. Musterknabe Ro 80 Die grosse Wankel-Sensation und gleichzeitig auch eine klei- ne Revolution im Automobil- bau allgemein verkörperte der NSU Ro 80, der 1967 auf der Frankfurter IAA Premiere feier- te (vgl. Fahrbericht Seite 27). Die Messebesu- cher strömten in Massen auf den NSU-Stand, die Zeitung mit den vier grossen Buch- staben vermutete gar, NSU könnte mit die- sem Fahrzeug «die deut- sche Auto-Ehre retten», und selbst «der Spiegel» rückte dieVerdienste des Erfinders Fe- lix Wankel mit Titelbild und grosser Story ins Rampenlicht. Der Ro 80 war schon bald der unangefochtene Star der auto- mobilen Avantgarde. Technik- freaks konnten sich seiner Anzie- hungs- kraft kaument- ziehen, Prominen- te querbeet schmückten sich gerne mit dem beispiel- haft fortschrittlichen und auf alle Fälle PR-wirksamen Fahr- zeug. Film-, Fernseh- und Sport- grössen der Epoche wie Erik Ode, Dieter Borsche, Wim Tho- elke und Bubi Scholz liebten es, mit den «wankelnden» Fahr- zeugen abgelichtet zu werden. Nicht weiter überraschend ist deshalb auch, dass es in Ne- ckarsulm schon bald auch eine Felix-Wankel-Strasse gab. Vom DKM zum KKM In den Anfängen entwickelte Wankel Drehschieber, die an Stelle der konventionellen Ein- und Auslassventile die Gas- wechsel des Hubkolbenmotors steuerten. Damit waren zwar deutlich höhere Drehzahlen realisierbar, doch traten im Au- tomobilbereich schwerwiegen- de thermische Probleme auf, die sich nur in Flugmotoren lö- sen liessen. Wankels Originalmo- tor, der 1954 noch ein ver- gleichsweise komplizier- ter Drehkol- benmotor (DKM) mit vielen Teilen war, ver- wandelten die NSU-Ingenieure unter der Leitung von Hanns Dieter Paschke in den Kreiskol- benmotor (KKM), wie er auch heute noch bei Mazda, aber auch in diversen Entwicklings- abteilungen funktioniert. Im Wesentlichen wurde bei die- sem Schritt der Aussenläufer «stillgelegt», also mit dem Mo- torgehäuse unverschiebbar verbunden. Deshalb musste in dieser Anordnung der Mittel- punkt des Innenläu- fers kreisen, da- mit die für das 4-Takt-Arbeits- prinzip notwen- dige veränderli- chen Räume erzeugt werden konnten. Wankel jedoch hatte keine Freude an dieser Weiterentwicklung des Automobilbauers. In seinen Au- gen war da- mit «aus dem Renn- pferd ein Ackergaul» ge- worden. Allerdings drängte sich diese techni- sche Verände- rung wohl als Notwendig- keit auf, um den Motor über- haupt se- rienproduktions- fähig zu machen. Mit dieser Weiterentwicklung der NSU-Leute gingen Ende 1957 die Abkehr Wan- kels und die Gründung der «Wankel GmbH» einher. Laufruhig, durstig Es fällt nicht schwer, eine Liste der Vorteile des Wankel- Motors zu erstellen: Das Aggre- gat ist leicht, platzsparend, ar- beitet vibrationsarm und dreht fast so mühelos wie ein Elektro- motor. Gegenüber einem leis- tungsgleichen Hubkolbenmo- tor darf mit einer Gewichtsver- ringerung von etwa 33% und ei- nem um praktisch die Hälfte reduzierten Raumbedarf ge- rechnet werden. Aber natürlich fehlt es auf der Negativseite ebenfalls nicht an Erwähnenswertem: In sei- nen frühen Ausführungen hat sich «derWankel» den Ruf eines Problemmotors eingehandelt, weil er von Startschwierigkei- ten, Zündungsproblemen und vorzeitigemVerschleiss (Ratter- spuren, defekte Dichtleisten) geplagt wurde und ausserdem eine auffallende Drehmoment- schwäche sowie – vor allem – einen nicht gerade bescheide- nen Benzinverbrauch aufwies. Die meisten Nachteile konnten mit der Weiterentwicklung des Aggregates behoben werden. Neben den erwähnten Li- zenznehmern beschäftigten sich im Laufe der Jahre auch Citroën, Mercedes-Benz, Nis- san, General Motors und natür- lich Mazda mit dem Wankel- Aggregat. Als aufsehenerregen- de Vertreter der Drehmaschi- nenkategorie könnten der Citroën GS Birotor, der Merce- des C111, der Chevrolet Cor- vette Z-Rotor und natürlich der Mazda Cosmo 110 Sport ge- nannt werden. Vielen Herstellern gab die Erdölkrise der ersten Hälfte der 70-Jahre den Rest. Sie wandten sich vom rotierenden Arbeits- prinzip ab, das ihnen beson- ders hinsichtlich Treibstoffver- brauch und Abgasqualität im- mer grössere Sorgen zu berei- ten drohte. Da versprach der weniger risiokobehaftete Weg mit dem Hubkolbenmotor in technischer und wirtschaftli- cher Hinsicht schnellere und nachhaltigere Erfolge. Der in Kennerkreisen legen- däre KKM 871, der den weiter- entwickelten Ro 80, aber auch den Audi 100 und eventuell den Citroën CX antreiben sollte, wurde mit seitlicher Beatmung und zwei 750-cm 3 -Kammern für Höchstleistungen bis rund 200 PS ausgelegt. Von VW wur- de der Motor aber aus Kosten- gründen auf Eis gelegt. Mazda weiter am Ball So ist heute Mazda der letzte verbliebene Autohersteller, der den Kreiskolbenmotor weiter- entwickelt. Mit der nun eben- falls 40-jährigen Erfahrung im Bau von Serienfahrzeugen die- ser Antriebsform und selbst- verständlich mit dem 1991er Le-Mans-Sieg im Palmares ste- hen die Japaner als anerkannte Kreiskolbenspezialisten da. Und dass das Thema Wankel- Motor dort ernst genommen wird, belegt die Entwicklungs- arbeit an der wasserstoffbetrie- benen Version dieses Aggrega- tes (vgl. «Wankel lebt weiter !»). Zwar hat die technische Wei- terentwicklung dem Wankel- Motor in fast allen Belangen zu einem hohen Technikniveau verholfen, doch wird er trotz- dem seinen Exotenstatus be- halten. Dankwart Eiermann, der mit dem Kreiskolbenmotor so vertraut ist wie nur wenige Zeitgenossen, sieht den ver- fehlten Durchbruch dieses Prinzips durchaus pragma- tisch: «Eigentlich hat es ihn im Automobilbau halt einfach nie wirklich gebraucht, weil der konventionelle Verbrennungs- motor dort schon auf einem sehr hohen Niveau war.» Natür- lich sehen das noch heute viele Fans ein bisschen anders. Mazda ist heute der einzige Auto- hersteller, der den Kreiskolben- motor in einem Serienauto instal- liert. Allerdings ist zu bemerken, dass sich der Motor des RX-8 auf einem hohen Entwicklungsni- veau befindet, das heisst, dass praktisch sämtliche Schwächen der ersten Generationen ausge- merzt werden konnten. Im Wei- teren setzt Mazda grosse Hoff- nungen in die Weiterentwicklung des Triebwerkes in Richtung Wasserstoffbetrieb. Erprobungs- fahrzeuge des Typs RX-8 Rotary Hydrogen mit bivalentem Ben- zin-Wasserstoff-Motor sind be- reits auf der Strasse. Aber auch andernorts wird der Wankel-Motor weiterentwickelt. Bei der Wankel Supertec GmbH in Cottbus widmet sich Entwick- lungschef und CEO Dankwart Ei- ermann mit einem 12-köpfigen Team einer neuen, modular auf- gebauten Turbomotorenfamilie in 1- bis 4-Rotor-Bauweise. Cha- rakteristisch für diese Triebwer- ke, die – zumindest vorläufig – nicht in Autos zum Einbau kom- men werden, sind die Common- Rail-Direkteinspritzung sowie die zusätzliche Fremdzündung, spe- ziell ausgelegt für den Betrieb mit unterschiedlichen Treibstoffen – von Diesel/Biodiesel über Ben- zin/Kerosin bis Gas. Mit dieser Baureihe sollen sich Leistungen bis gegen 400 kW (über 500 PS) realisieren lassen. «Der erste Komplettmotor in 1-Rotor-Ausführung», berichtet Wankel-Routinier Eiermann, «lief schon Anfang 2006 auf dem Prüfstand und befindet sich seit- her in der Entwicklung mit allen notwendigen Schritten für eine Optimierung.» In kleinen Flugzeugen könnte der Kreiskolbenmotor ebenfalls ein gutes Einsatzfeld finden. Jeden- falls beschäftigt sich die im Jahr 2001 gegründete Genfer Firma Mistral Engines zusammen mit Hochschulinstituten und Indust- riepartnern mit der Verfeinerung des Wankel-Motors. Als Lizenznehmerin betreibt die US-amerikanische Firma L-3 Communications Combat Propul- sion Systems ein eigenes Weiter- entwicklungsprogramm für den Kreiskolbenmotor in speziellen Anwendungen. SHA INSIDE Im Kreisverkehr Wankel lebt weiter ! Felix, der Glückliche Der 1902 in Lahr geborene, 86 Jahre später in Heidelberg ge- storbene Felix Wankel hat wäh- rend der 50er- und 60er-Jahre in Motorenbauerkreisen für reichlich Wirbel gesorgt. 1951 gründete er die Techni- sche Entwicklungsstelle Lin- dau und widmete sich dort der Idee vom Motor, der aus- schliesslich aus drehenden Tei- len bestand. Den herkömmli- chen Hubkolbenmotor hielt er für eher primitiv und nannte ihn deshalb Schüttelhuber. Obwohl der gelernteVerlags- kaufmann kein promovierter Ingenieur war – den «Dr. Ing.» erhielt er 1969 von der TH Mün- chen ehrenhalber –, gelang es ihm und einem Team von Tech- nikern, «seinen Rotationskol- benmotor» zu realisieren. NSU- und Mazda-Ingenieure brach- ten den Motor schliesslich in Serienautos. Dies zum Techniker Wankel. Vom Menschen Wankel wissen die bestandenen Mannen des Ro-80-Clubs, aber auch die Techniker, die inWankels klei- ner, aber feiner Entwicklungs- firma angestellt waren, die eine oder andere Anekdote zu er- zählen. Etwa dass er in seinem – selbstverständlich nach eige- nen Plänen entstandenen – Pri- vathaus in Gstaad zum Teil glä- serne Bodenplatten einsetzte, die dem Tageslicht erlaubten, das Haus zu durchfluten und ausserdem manche interessan- te Perspektive auf Besucher im oberen Stock eröffnete. Wankel, übrigens bekennen- der Tierfreund und -schützer, trat stets in perfekter Kleidung an die Öffentlichkeit. Eine Kra- watte fehlte selten, erzählen seine früheren Mitarbeiter, ein Anzug nie. Hans-Peter Lang, der Präsident des NSU-Ro-80- Clubs der Schweiz, berichtet, Wankels Gang sei «aufrecht wie ein Caran-d’Ache-Bleistift» ge- wesen. Dass Felix Wankel nie einen Führerschein besass und er- wiesenermassen auch nie Auto fahren gelernt hatte, hinderte ihn nicht daran, dem Fahrer vom Beifahrersitz aus genaue Fahranweisungen zu geben. Hans Portele, ehemaliger Be- triebsleiter im Werk Lindau, er- innert sich mit einem Grinsen an solche Fahrten. Ebenfalls nur als Beifahrer erlebte Wankel deshalb die Fahrten mit seinem Mercedes SL, in den er 1972 einen 4- Scheiben-Rotationskolbenmo- tor mit Bosch-Einspritzung in- stallieren liess. Mit der Leistung von 320 PS konnte das Auto, das gegenüber der Basisversion rund 60 Kilogramm leichter war, in für jene Zeiten bemer- kenswerten 6,9 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 be- schleunigt werden. SHA 18. JULI 2007 AUTOMOBIL REVUE NR. 29 DRIVE STYLE 25 24 DRIVE STYLE 18. JULI 2007 AUTOMOBIL REVUE NR. 29 Aktuell von Wankel Supertec: 2-Scheiben-Motor für Dieselbetrieb. Mazdas Prototyp RX-8 Hydrogen RE läuft wahlweise mit Benzin oder Wasserstoff. Mit zwei Turbos: 280-PS-Motor des 1990er Mazda Eunos Cosmo. Wankel-Aggregat im Suzuki-Motorrad. (Fotos: Patrick Corminbœuf) Sammlung Hofstetter: fast alle Schweizer Wankel-Fahrzeuge. Vertreter der Wankel-Gemeinde, am Kreiskolbentisch versammelt. Fans erkennt man an Details. Kreiskolben an jeder Ecke. Felix Wankel (l.) mit Mazda- Chairman Kenichi Yamamoto. Nach den Anfängen in Fahrzeu- gen von NSU wurde der Wankel-Motor vor allem von Mazda weitergepflegt. (Foto: Werk)