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sogar sagen, da die Schwierigkeiten mit diesen
scheinbarenParadoxien vergleichsweise winzig sind, wenn man nur an
diekleinsten der von der relativistischen Physik
aufgeworfenendenkt. Wre Wissenschaft nicht fr vollkommen andere
Zweckeals Geisel genommen worden, so wre es nicht weiter
schwierig,das [Auftauchen und Verschwinden von Propositionen zu
beschreiben, die immer schon eine Geschichte hatternjNachdemwir nun
angefangen haben zu sehen, da die wissenschaftlichePraxis
erforschbar ist, sind wir dafr gerstet, die Motive frdiese
Geiselnahme zu finden und sogar den Unterschlupf derKidnapper
aufzuspren. Doch vorher mssen wir noch einenlangen Umweg machen,
der uns zum Meister der Umwege fhrt,zu Ddalus, dem Ingenieur. Wenn
es uns nicht gelingt, die Tech-
! nikphilosophie und den Fortschrittsmythos teilweise
umzuarbei-' ten, werden wir die moralische und politische Last
nicht abschtteln knnen, die den nichtmenschlichen Wesen von
dermodernen bereinkunft so ungerecht aufgebrdet worden
ist.Nicht-menschliche Wesen sind frei geboren, doch berall
liegensie in Ketten.
210
Ein Kollektiv von Menschen v.idnichtmenschlichen Wesen
Auf dem Wegdurch Ddalus3 Labyrinth
Die Griechen pflegten den geraden Pfad von Vernunft und
wissenschaftlicher Erkenntnis, episteme, zu unterscheiden
vomkrummen und raffinierten Pfaatechnischen Know-hows,
metis.Nachdem wir nun gesehen haben, wie indirekt, abwegig,
vermittelt, verwoben und verknpft die Pfade sind, auf denen
wissenschaftliche Fakten zirkulieren, knnen wir vielleicht auch
frtechnische Artefakte eine andere Genealogie finden. Dies
erscheint um so notwendiger, als so viel in der
Wissenschaftsforschung auf dem Begriff der Konstruktion aufbaut,
der demBereich technischen Handelns entlehnt ist. Wie wir jedoch
sehenwerden, ist die Technikphilosophie zur Bestimmung menschlicher
und nichtmenschlicher Verbindungen unmittelbar nichtbrauchbarer,
als es die Epistemologie war, und aus dem gleichenGrund: Inder
modernen bereinkunft kann die Theorie die Praxis nicht erfassen;
wieso, wird erst in Kapitel 9 klarwerden. Technisches Handeln
konfrontiert uns also mit ebenso merkwrdigenRtseln, wie wir sie
schon bei der Artikulation von Tatsachengefunden haben. Nachdem wir
dort gesehen haben, wie wenigdie klassische Theorie der Objektivitt
der wissenschaftlichenPraxis gerecht werden kann, werden wir jetzt
erfahren, da auchdie Vorstellung der technischen Wirksamkeit im
Stofflichen inkeiner Weise die Subtilitt der Ingenieure erklren
kann. Endlichwerden wir in der Lage sein, jene nichtmenschlichen
Wesen zubegreifen, die vollwertige Akteure in unserem Kollektiv
sind, wieich es von Anfang an behauptet habe. So knnen wir
schlielichverstehen, wieso wir weder in einer Gesellschaft leben,
die auf
211
Ivo FrancxHighlight
-
GlauFrageLatouseineschiecliehe
eine Naturwelt schaut, noch in einer Naturwelt, die
Gesellschaftals einen ihrer Bestandteile enthlt. Wenn
nichtmenschliche Wesen nicht lnger mit Objekten verwechselt werden,
lt sich vielleicht das Kollektiv vorstellen, in dem die Menschen
mit ihnenverwoben leben.
Im Mythos von Ddalus weichen alle Dinge von der geraden, Linie
ab. Nachdem Sdakis aus dem f_,abyrinth)des Minos ent-f kommen war,
benutzte dieser eine Ddalus wrdige List, um das
Versteck des geschickten Handwerkers zu finden und an ihm Rache
zu nehmen. Landauf, landab wurde demjenigen eine Belohnung
versprochen, der einen Faden durch das gewundene Gehuse einer
Schnecke fdeln knne. Der sich am Hofevon KnigKokalos verbergende
Ddalus ahnte nicht, da es sich um eineFalle von Minos handelte. Ihm
gelang das Kunststck, indem ersich der List Ariadnes besann. Er
befestigte einen Faden an einerAmeise und brachte das Tier dazu,
durch ein Loch in der Spitzedes Schneckengehuses indieses
hineinzugelangenundsich seinenWeg durch das winzige Labyrinth nach
drauen zu suchen. Triumphierend verlangte Ddalus seine Belohnung,
doch der gleichfalls triumphierende Minos verlangte Ddalus'
Auslieferung nachKreta.Von Kokalos imStich gelassen, gelang es
Ddalus mit seinerganzen Gerissenheit und mit Hilfe von Kokalos'
Tchtern, dasheie Wasser in der von ihm selbst angelegten
Wasserversorgungdes Palastes umzuleiten, so da Minos im Bad verbrht
wurde; alles sah nach einem tragischen Unfall aus (der Knig starb,
hartgekocht wie ein Ei). Nur fr einen kurzen Augenblick hatte
Minosseinen Meisteringenieur austricksen knnen - immer war Ddalus
seinen Rivalen eine List und einen Winkelzug voraus.
Ddalus verkrpert jene Art von Intelligenz, fr die Odysseus am
berhmtesten ist (von ihm heit es in der Ilias, er seipolymetis,
eine wahre Trickkiste) (Detienne und Vernant 1974).Sobald wir das
Reich der Ingenieure und Handwerker betretenhaben, gibt es keine
unvermittelte Handlung mehr. Mit demgriechischen Wort daidalion
wurde ein Labyrinth beschrieben,denn es steht fr etwas Gekrmmtes,
aus der Geraden Ausscherendes: raffiniert, aber geflscht; schn,
aber knstlich (Frontisi-Ducroux 1975). Und Ddalus ist ein Erfinder
technischer Apparate: Statuen, die zu leben scheinen; militrische
Roboter, dieKreta bewachen; und einer antiken Version der
Gentechnologie,
mit der Poseidons Stier Pasiphae schwngert, die dann den
Mi-notaurus zur Welt bringt - fr den Ddalus wiederum das Labyrinth
baut, aus dem er selbst nur unter Zuhilfenahme einigerMaschinen
entkommen kann und dabei seinen Sohn Ikarus verliert. So ist
Ddalus: verachtet, unentbehrlich, verbrecherisch,immer im
Kriegszustand mit den drei Knigen, die ihre Machtseinen
Machinationen verdanken. Daher ist er unser bestesEponym fr Technik
- und der Begriff daidalion unser bestesWerkzeug, um die
Entwicklung dessen zu ergrnden, was ichals Kollektiv* bezeichnet
habe und in diesem Kapitel genauerbestimmen will. Nicht nur durch
die Philosophie fhrt unserWeg, sondern auch durch einz
Pragmatogonie*,d.h., eine durchund durch mythologische Genesis der
Dinge nach Art derKosmogonien der Vergangenheit.
Die Verquickung von Menschen undnichtmenschlichen Wesen
Wenn wir Techniken - technische Mittel - und ihren Ort
imKollektiv verstehen wollen, mssen wir ebenso verschlungenenWegen
folgen wie die Ameise, an der Ddalus seinen Faden befestigte (oder
wie die Regenwrmer in Kapitel 2, die den Wald indie Savanne
bringen). Die schnurgeraden Wege der Philosophiefhren nicht weiter,
wenn es gilt, das verschlungene Labyrinthder Maschinerien und
Machinationen, der Artefakte und daidaliazu erkunden. Um ein Loch
in das Schneckengehuse zu bohrenund meinen Faden einzufdeln, mu ich
gegen Heidegger meineDefinition fr Vermittlung im Bereich der
Techniken finden. FrHeidegger ist eine Technik nie einfach ein
Instrument, ein bloesWerkzeug. Vermitteln Techniken demnach
Handeln? Nein, dennwir sind selbst zu Instrumenten geworden mit
keinem anderen Zweck als Instrumentalitt selbst (Heidegger 1991).
Dt.Mensch - der Mann, Frauen kommen bei Heidegger nicht vor -ist
von der Technik besessen, und es ist eine vllige Illusion
zuglauben, wir knnten die Technik beherrschen. Im Gegenteil,
wirsind in dieses Gestell eingespannt, das selbst wiederum eineForm
der Entbergung des Seins ist. Ist Technik der Wissenschaft
213
Ivo FrancxHighlight
Ivo FrancxHighlight
Ivo FrancxHighlight
-
Glau!FrageLatouisemeschiedliehe 1zonas.kurz vdes Nnimmob
di>"konsvi i :.
fhrtdes wden sKriegrckrBereleinenPolitder \Gehtmeindaruzu
h;scheiWill.FrsdiedenVoltsichStrgriffDergegsehtDaskonhan
und reinen Erkenntnis untergeordnet? Nein, denn fr Heideggerist
Technik bei weitem nicht nur angewandte Wissenschaft. Vielmehr
beherrscht die Technik alles, sogar die rein
theoretischenWissenschaften. Indem Wissenschaft die Natur
rationalisiert undverfgbar macht, spielt sie in die Hnde der
Technik, deren einziger Zweck die ndlose Rationalisierung und
Verfgbarmachungder Naturjjst. Technik als unser modernes Schicksal
erscheintHeidegger radikal verschieden von der poiesis, jener
Fhigkeitdes handwerklichen Verfertigens, die in der Antike noch
leben-
'dig war. Technik ist einzigartig, unberwindlich,
allgegenwrtig,berlegen, ein Monster in unserer Mitte, das seine
unwissentlichen Geburtshelfer bereits verschlungen hat. Doch
Heideggerhat unrecht. Anhand eines einfachen, wohlbekannten
Beispielswill ich zu zeigen versuchen, wieso. Es ist nmlich nicht
mglich,in unseren Beziehungen zu nichtmenschlichen Wesen von
irgendeinem Beherrschen zu sprechen, einschlielich ihrer
angeblichen Herrschaft ber uns.
Feuerwaffen tten Menschen ist eine Losungjener Leute,diesich
indenUSA fr eine Einschrnkungdes freien Waffenverkaufseinsetzen.
Darauf konterte die NationalRifle Association (NRA)mit dem Slogan:
Es sind die Menschen, die tten, nicht die Waffen. Die erste Losung
ist materialistisch: Die Waffe tut selbst etwas aufgrund ihrer
materiellen Bestandteile, die sich nicht auf soziale Eigenschaften
des Schtzen reduzieren lassen. Die Waffemacht auch einen
bravenMannundgesetzestreuen Brger gefhrlich. Dagegen bietet die NRA
einen soziologischen und politischeher fr die Linke typischen
Zugang an (amsant genug bei ihrenpolitischenZielen): Fr sich
genommen oder aufgrund ihrer materiellen Bestandteile tut die Waffe
nichts. Sie ist nur ein Werkzeug,ein Medium, ein ganz neutraler
Trger fr einen dahinterstehenden menschlichen Willen. Ist der
Waffenbesitzer ein guter Brger,so wird er die Waffe auch nur
wohlberlegt einsetzen und nur imuersten Notfalljemanden tten. Wenn
er aber ein Gangster oderIrrer ist, dann ist die Waffe, ohne dasich
an ihr etwas ndert,einfach nur ein effizienteres Ttungsmittel fr
eine Tat, die ohnehinbegangen worden wre. Was fgt die Schuwaffe zum
Schuhinzu? Fr den Materialisten alles: Die Waffe inder Hand
machtaus dem unschuldigen Brger einen Tter. Natrlich befhigt ihndie
Waffe zunchst nur, doch sie gibt auch eine Anweisung, fhrt
-...iF
die Hand, gibt den Schu ab - wer wollte nicht schon einmal
miteinem Messer inder Handdamit auch auf irgendetwas oder
irgendjemanden einstechen? Jedes Artefakt hat sein Skript und das
Potential, einen Passantenaufzuhalten undzu zwingen, inseiner
Geschichte eine Rolle zu bernehmen. ImUnterschieddazu stellt
diesoziologischere Version der NRA die Waffe als neutralen
Boteneines Willens dar, der zur Handlung nichts hinzufgt. Die
Waffespielt die Rolle eines Blitzableiters, durch den Gut wie Bse
unverndert hindurchflieen.
Natrlich habe ich die beiden Positionen karikaturhaft
bertrieben, so da sie sich in schon absurder Weise
widersprechen.Kein Materialist behauptet ernsthaft, da Schuwaffen
von alleine tten. Er behauptet vielmehr, da unser guter Brger
durchdas Tragen einer Waffe in etwas anderes verwandelt wird.
Machtihn etwas wtend, bleibt der gute Brger immer noch ein
guterBrger, der sich einfach ber etwas aufregt. Doch mit einer
Waffein der Hand kann aus ihm ein Tter werden - als htte die
Waffedie Macht, Dr. Jekyll in Mister Hyde zu verwandeln.
Materialisten machen also den beunruhigenden Vorschlag, da unsere
Eigenschaften als Subjekte, unsere Kompetenzen, unsere
Persnlichkeiten davon abhngen, was wir in Hnden halten. Indem
siedas Dogma des Moralismus umkehren, bestehen sie darauf, dawir
sind, was wir haben - jedenfalls was wir in unseren Hndenhaben.
Die Mitglieder der NRA dagegen knnen nicht ernsthaft behaupten,
die Waffe sei ein derart neutrales Objekt, um beim Aktdes Ttens
berhaupt keine Rolle zu spielen. Sie mssen wohlzugestehen, da die
Waffe etwas zur Situation beitrgt, wennauch nicht unbedingt zur
Moral dessen, der den Finger am Abzug hat. Fr die NRA ist die Moral
einer Person eine platonischeEssenz: Man wird als Krimineller oder
als guter Brger geboren,und damit basta. Insofern ist der
Standpunkt der NRA moralistisch - es kommt darauf an, was du bist,
nicht was du hast. Derganze Beitrag der Waffe liegt in der
Beschleunigung der Handlung. Mit Faustschlgen oder einem Messer zu
tten ist schlichtlangsamer, schmutziger, widerlicher. Es ttet sich
besser mit einerSchuwaffe, aber die Absicht zu tten bleibt
dieselbe, sie wirddurch die Waffe nicht tangiert. Die Soziologen
von der NRAverstren uns also mit dem Vorschlag, da wir die Technik
be-
"5
Ivo FrancxHighlight
Ivo FrancxHighlight
-
herrschen knnen, da technische Artefakte nichts weiter sindals
folgsame und gefgige Sklaven. Schon dieses schlichte Beispiel
zeigt, da technische Artefakte nicht einfacher zu begreifensind als
wissenschaftliche Fakten. Wir haben zwei Kapitel gebraucht, um
Pasteurs doppelte Epistemologie zu verstehen, undwir werden
ebenfalls lange brauchen, um genau zu verstehen,wozu Dinge uns
bringen knnen.
Die erste Bedeutung von technischer Vermittlung:Interferenz
Wer oder was ist also fr den Akt des Ttens verantwortlich?
Istdie Waffe tatschlich nur ein Stck vermittelnde Technik?
DieAntwort hngt davon ab, was unter Vermittlung* verstandenwird.
Eine erste Bedeutung von Vermittlung (ich werde insgesamt vier
vorschlagen) ist emHandlungsprogramm*, also eineAbfolge von Zielen,
Schritten und Intentionen, die von einemAgenten in einer Geschichte
wie der von Schtze und Schuwaffe beschrieben werden knnen (siehe
Abbildung 6.1). Wenndieser Agent ein Mensch ist, wtend ist, sich
rchen will undbeim Erreichen seines Ziels, aus welchen Grnden auch
immer,unterbrochen wird (er ist vielleicht nicht stark genug),
dannschlgt er einen Umweg ein, benutzt eine Umleitung, wie wir
sievon den Uberzeugungsoperationen zwischen Joliot und Dautryaus
Kapitel 3 kennen: Von Techniken wie von Wissenschaft kannman nicht
sprechen, ohne auch von daidalia zu sprechen. (Obwohl im Englischen
das Wort Technologie nach und nach dasWort Technik ersetzt, werde
ich durchgngig beide Begriffebenutzen und den belasteten Ausdruck
Technowissenschaftfr ein sehr spezifisches Stadium in meiner
mythischen Pragma-togonie reservieren.) Agent 1 greift auf Agent 2
zurck, in diesem Fall die Schuwaffe. Agent 1 rekrutiert die
Schuwaffe, mankann auch sagen: wird von ihr rekrutiert, das ist
gleich, und ausder Verschmelzung der beiden entsteht ein neuer,
dritter Agent.
Jetzt stellt sich die Frage, welches Ziel der neue
zusammengesetzte Agent verfolgen wird. Wenn er nach seinem Umweg
zuZiel 1 zurckkehrt, dann kme die NRA-Geschichte zum Tragen. Die
Waffe wre demnach ein Werkzeug, das lediglich vermittelt. Treibt es
den neuen Agenten dagegen auf Ziel 2 zu, so216
UNTERBRECHUNGAgent 1
Umweg
Agent 2 Agent 1+ Agent 2
Ziel 1
Ziel 3
Ziel 2ERSTE BEDEUTUNG VON VERMITTLUNG: ZIEL-BERSETZUNG
Abbildung 6.1
Wie schon in Abbildung 3.1 knnen wir die Beziehung zwischen
denbeiden Agenten als eine bersetzung ihrer Ziele darstellen,
woraus sichein zusammengesetztes Ziel ergibt, das von den beiden
ursprnglichenverschieden ist.
htten die Materialisten recht behalten. Intention, Wille,
Skriptder Waffe htten Intention,Willen und Skript von Agent 1
auerKraft gesetzt; menschliches Handeln wre ein bloes
Zwischenglied. Wie in Abbildung 6.1 zu sehen ist, macht es keinen
Unterschied, ob Agent 1 und Agent 2 vertauscht werden. Die
beidenMythen vom neutralen Werkzeug unter vollstndiger menschlicher
Kontrolle und vom autonomen Geschick der Technik ohnejede Chance
menschlicher Beherrschbarkeit sind symmetrisch.Doch meistens liegt
eine dritte Mglichkeit nher: die Schpfungeines dritten Ziels, das
keinem der beiden ursprnglichen Handlungsprogramme mehr entspricht
(eigentlich wolltest du nur jemanden verletzen, doch jetzt, mit der
Waffe in der Hand, hastdu dich zum Tten entschlossen). Diese
Unbestimmtheit derZiele habe ich in Kapitel 3 eine bersetzung*
genannt. Wie inzwischen klar sein sollte, geht es bei dieser
bersetzung nichtum den Wechsel von einem Vokabular zum anderen, wie
beispielsweise von einem franzsischen Wort zu einem englischen,als
ob die beiden Sprachen unabhngig voneinander
existierten.Unterbersetzung verstehe ich eine Verschiebung,
Drift,/Vermittlung und Erfindung, es ist die Schpfung einer
Verbinung,
ii
217
Ivo FrancxHighlight
Ivo FrancxHighlightIntensitt entsteht durch die Vermischung
disparater Krper!
-
GlFra;Latseirschliehzorkuide,ninob
diruni
tu!dedeKtrBteiiPc...
Gmd;zisc
Fd
die vorher nicht da war und die beiden ursprnglichen
Elementeoder Agenten in bestimmtem Mae modifiziert.
Wer ist nun also der Akteur in meiner kleinen Geschichte,
dieWaffe oder der Brger?Jemand anderes (eine Brger-Waffe,
einWaffen-Brger) Wie Techniken hergestellt und wie sie
eingesetztwerden, werden wir nie verstehen, wenn wir immer noch
annehmen, das psychische Vermgen der Menschen sei ein fr
allemalfestgelegt. Mit der Waffe in der Hand bist du ein
andererMensch. Wie Pasteur uns in Kapitel 4 gezeigt hat, besteht
Seinin Existenz, und Existenz ist Handeln. Bestimme ich dich
nachdem, was du hast (die Waffe) und nach der Reihe von
Verbindungen, in die du dich begibst, wenn du gebrauchst, was du
hast(wenndu die Waffe abfeuerst), dann wirst duvon der Waffe
verndert - mehr oder weniger, das hngt vom Gewicht deiner
anderenVerbindungen ab.
Die Ubersetzung vollzieht sich ganz symmetrisch. Mit derWaffe in
der Hand bist du jemand anderes, und auch die Waffeist in deiner
Hand nicht mehr dieselbe. Du bist ein anderes Subjekt, weil du die
Waffe hltst; die Waffe ist ein anderes Objekt,weil sie eine
Beziehung zu dir unterhlt. Nicht lnger handelt essich um die
Waffe-im-Arsenal oder die Waffe-in-der-Schubladeoder die
Waffe-in-der-Tasche, nein, jetzt ist es die Waffe-in-deiner-Hand,
gerichtet auf jemanden, der um sein Leben schreit.Was fr das
Subjekt gilt, gilt auch fr das Objekt, was fr denSchtzen, auch fr
die zielende Waffe. Der gute Brger wirdzum Schurken, der Gangster
zum Killer, der stumme Revolverzu einer abgefeuerten Waffe, der
neue Revolver zum gebrauchten, das Sportgert zum Ttungsinstrument.
Die Materialistenwie die Soziologen begehen denselben Fehler: Sie
gehen aus vonWesenheiten, dem Wesen von Subjekten oder vom
Objekten. Wiewir in Kapitel 5 gesehen haben, lt sich durch diesen
Ausgangspunkt die vermittelnde Rolle von Wissenschaft oder
Techniknicht mehr einschtzen. Wenn wir die Waffe und den
Brgerdagegen als Propositionen begreifen, bemerken wir, da
wederSubjekt noch Objekt (noch ihre Ziele) festgelegt sind. Wenn
Propositionen artikuliert werden, verbinden sie sich zu einer
neuenProposition. Sie werden jemand oder etwas anderes.
Jetzt knnen wir unsere Aufmerksamkeit auf diesen jemandanderes
richten, diesen Hybrid-Akteur aus - beispielsweise -
218
Waffe und Schtze. Wir mssen lernen, Handlungen sehr vielmehr
Agenten zuzuschreiben - auf sie zu verteilen -, als es
inmaterialistischen oder soziologischen Erklrungen annehmbarist.
Auer menschlichen gibt es nichtmenschliche Agenten (wiehier die
Waffe), und beide knnen Ziele haben (Ingenieure sprechen eher von
Funktionen). Weil es im Falle von nichtmenschlichen Wesen etwas
ungewhnlich klingt, von Agenten zusprechen, sagen wir besser
Aktanten'"1', wie bereits gesehen.Warum ist diese Nuance der
verteilten Agenten so wichtig? Weilich in meiner kleinen Geschichte
den individuellen Agenten ineinen kollektiven bersetzen knnte, also
den Mann mit derWaffe in der Hand durch eine Klasse arbeitsloser
Flerumtrei-ber ersetzen knnte. Ich knnte ihn auch in einen
sub-individu-ellen Agenten bersetzen und von unbewuten Motiven
sprechen. Auch die Waffe knnte ich neu beschreiben als etwas,
dasdie Waffen-Lobby arglosen Kindern in die Hnde gibt, undso wre
ein Objekt in eine Institution oder ein kommerziellesNetzwerk
bersetzt worden. Und schlielich knnte ich dieWaffe beschreiben als
Einwirken eines Abzugshahns auf einePatrone, vermittelt ber eine
Feder und einen Schlagbolzen,womit sie bersetzt wre ineine Abfolge
mechanischer Ursachenund Wirkungen. Diese Beispiele der Symmetrie
von Akteur undAktant zwingen uns zur Aufgabe der Dichotomie von
Subjektund Objekt, denn jiiese Unterscheidung steht dem
Verstndnisvon Kollektiven im Wege.JWeder Menschen noch Waffen
ttenVielmehr mu die Verantwortung fr ein Handeln unter den
verschiedenen Akteuren verteilt werden. Das ist die erste der
vie:Bedeutungen von Vermittlung.
Die zweite Bedeutung von technischer
Vermittlung:Zusammensetzung
Natrlich liee sich hier einwenden, da eine
fundamentaleAsymmetrie bestehen bleibt - zwar stellen Frauen
Computerchips her, doch kein Computer hat jemals eine Frau
hergestellt.Solche Einwnde des gesunden Menschenverstands fhren
jedoch hier wie schon bei der Wissenschaft nicht besonders
weit.Auch im neuen Beispiel bleibt die anhand der Schuwaffe
errterte Schwierigkeit bestehen, und die Lsung ist die gleiche:
Aus
219
Ivo FrancxHighlightDer Akteur ist ein Gefge!
Ivo FrancxHighlightIntensitt entsteht durch die Vermischung
disparater Krper!
Ivo FrancxHighlight
Ivo FrancxHighlight
Ivo FrancxHighlight
Ivo FrancxHighlight
-
zon
um
dem ersten Beweger einer Handlung wird fr uns eine neue,
verteilte und verschachtelte Serie von Praktiken. Zwar kann
mandiese zu einer Summe addieren, doch nur wenn der
Vermittlungscharakter aller Aktanten in der Serie respektiert
wird.
Um hier wirklich berzeugend zu sein, mssen wir uns
kurzklarmachen, wie wir ber Werkzeuge sprechen. Wenn jemandeine
Geschichte erzhlt ber Erfindung, Herstellung oder Gebrauch eines
Werkzeugs, sei es eine Geschichte aus dem Tieroder Menschenreich,
aus dem Labor der Psychologen, aus derGeschichte oder der
Vorgeschichte, so ist die Struktur der Erzhlung stets die gleiche
(Beck 1980). Ein Agent verfolgt ein Zieloder auch mehrere, doch
pltzlich wird der direkte Zugang, dergerade Weg zu diesem Ziel
durch jene Bresche unterbrochen, diemetis von episteme
unterscheidet. Es kommt zum Umweg, zumcLaidalion (Abbildung 6.2).
Der frustrierte Agent macht sich aneine verzweifelte und zufllige
Suche, und pltzlich, sei es durchEinsicht oder Versuch und Irrtum
oder Heureka (es gibt die verschiedensten Psychologien fr diesen
Moment), packt er einenanderen Agenten - einen Stock, einen
Partner, eine elektrischeLeitung - und kehrt, wie es immer so schn
heit, zu seinerursprnglichen Aufgabe zurck, rumt das Hindernis
beiseiteund erreicht sein Ziel. Natrlich enthalten die meisten
Werkzeug-Geschichten nicht nur ein Unterprogramm,sondern
gleichmehrere ineinander verschachtelte. Ein Schimpanse sucht
beispielsweise einen Stock, findet auch einen, doch der ist
zustumpf, woraufhin das Tier nach einer neuerlichen Krise
beginnt,ihn anzuspitzen, und so unterwegs mit einem neuen
Unterprogramm ein zusammengesetztes Werkzeug erfindet (wie weit
dieVerzweigung und Vervielfltigung solcher Unterprogramme reichen
kann, wirft interessante Fragen der kognitiven Psychologieund
Evolutionstheorie auf). Obwohl man sich viele andere Ausgnge
solcher Geschichten vorstellen knnte - zum Beispiel denVerlust des
ursprnglichen Ziels im Labyrinth der Subpro-gramme -, nehmen wir
an, die ursprngliche Aufgabe werdewiederaufgenommen.
Mich interessiert hier die Zusammensetzung, die
Bildung,Komposition der Handlung,die gekennzeichnet ist durch die
beijedem Schritt lnger werdenden Linien in Abbildung 6.2.
Wervollzieht die Handlung? Agent 1 plus Agent 2 plus Agent 3.
sowie von Forschung und Politik zur
Agent 1 Ziel
Agent 2
Agent 3
SUBPROGRAMM 1
SUBPROGRAMM 2
ZWEITE BEDEUTUNG VON VERMITTLUNG: ZUSAMMENSETZUNG
Abbildung 6.2
Wenn die Anzahl der Unterprogramme zunimmt, wird das
zusammengesetzte Ziel - hier die breite gekrmmte Linie - zur
gemeinsamen Leistung aller Agenten, die am Proze der
aufeinanderfolgenden bersetzungen beteiligt sind.
Handeln ist eine Eigenschaft von Verbindungen, von
assoziierteEntitten. Agent 1 wird von den anderen Agenten in den
Stanversetzt, befhigt, ermchtigt und autorisiert. Der Schimpan:plus
der angespitzte Stock erreichen (und nicht: er erreicht) dBanane.
Da wir einem der Akteure die Rolle des,grsten Bewgers zuschreiben,
enthebt uns nicht der Notwendigkeit, cHandlung durch die
Zusammensetzung mehrerer Krfte zu