Landtag Mecklenburg-Vorpommern Protokoll Nr. 43 7. Wahlperiode Sozialausschuss K U R Z P R O T O K O L L der 43. Sitzung des Sozialausschusses am Mittwoch, dem 29. August 2018, 09:00 Uhr, in Schwerin, Schloss, Plenarsaal Vorsitz: Abg. Torsten Koplin EINZIGER PUNKT DER TAGESORDNUNG Öffentliche Anhörung zu Soziale Integration von Migrantinnen und Migranten in Mecklenburg- Vorpommern im Allgemeinen sowie von Schutzsuchenden im Besonderen Torsten Koplin Vorsitzender
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Landtag Mecklenburg-Vorpommern Protokoll Nr. 43 7 ... · Iman-Jonas Dogesch (MIGRANET Mecklenburg-Vorpommern) erklärt unter Hinweis auf die schriftliche Stellungnahme (Adrs. 7/332-5),
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Landtag Mecklenburg-Vorpommern Protokoll Nr. 43 7. Wahlperiode Sozialausschuss
K U R Z P R O T O K O L L
der 43. Sitzung des Sozialausschusses am Mittwoch, dem 29. August 2018, 09:00 Uhr,
in Schwerin, Schloss, Plenarsaal
Vorsitz: Abg. Torsten Koplin EINZIGER PUNKT DER TAGESORDNUNG
Öffentliche Anhörung zu
Soziale Integration von Migrantinnen und Migranten in Mecklenburg-
Vorpommern im Allgemeinen sowie von Schutzsuchenden im Besonderen
Torsten Koplin Vorsitzender
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_______________________________ Sozialausschuss – 29. August 2018
EINZIGER PUNKT DER TAGESORDNUNG
Öffentliche Anhörung zu
Soziale Integration von Migrantinnen und Migranten in Mecklenburg-
Vorpommern im Allgemeinen sowie von Schutzsuchenden im Besonderen
Ulrike Seemann-Katz (Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e. V.) führt aus,
dass das Thema sich als sehr komplex und umfangreich darstelle, trotz der
einfachen Fragestellungen des Ausschusses. In der Präambel der allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte heiße es: „Da die Anerkennung der angeborenen
Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der
Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden
in der Welt bildet … jeder Mensch das Recht, in eine Gesellschaft aufgenommen zu
werden und zugleich die Verpflichtung, in diese sich einzubringen.“ Dieses Recht
gelte für alle Menschen und somit betreffe das Themenfeld Integration nicht nur
Personen mit Bleiberecht, sondern alle Menschen unabhängig von ihrem
Rechtsstatus. Gleiche Rechte seien entscheidend dafür, ob Menschen sich integriert
fühlten oder nicht. Allerdings gehörten für den Flüchtlingsrat zu den gleichen Rechten
auch gleiche Pflichten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Wikipedia und
die Wissenschaft böten jeweils verschiedene Definitionen für den Begriff der
Integration an, insofern falle es schwer, sich in einer Diskussion auf einen
einheitlichen Begriff zu verständigen. Das Land Mecklenburg-Vorpommern verstehe
Integration als dauerhafte Aufgabe, die zusammen mit den anderen Bundesländern,
den Kommunen, dem Bund und der Zivilgesellschaft erfüllt werde. Innerhalb des
Landes solle der Dialog ausgebaut werden. Dies sehe man als aktiven
wechselseitigen Prozess zwischen aufnehmender Gesellschaft und den Migrantinnen
und Migranten. Die Frage, wie eine bestmögliche Integration gelingen könne, lasse
sich nicht pauschal beantworten, da sie von vielen gesellschaftlichen wie auch
individuellen Faktoren abhänge. Insofern brauche man differenzierte
Integrationsangebote entsprechend der jeweiligen Voraussetzungen. Auch seien
verschiedene Phasen der Integration zu unterscheiden. Sowohl die Einbindung in die
Gesellschaft als eine strukturelle Integration unter Beachtung der Bildungsbeteiligung
als auch die Interaktion im Sinne der sozialen Integration und Identifizierung mit der
Gesellschaft spielten eine wichtige Rolle. Die angestrebten Ergebnisse einer
Integration seien in einer demokratischen Gesellschaft immer wieder auszuhandeln,
da neue Kulturen auch Veränderungen der Gesellschaft bedingten. Bei
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Integrationsmaßnahmen seien verschiedene Handlungsfelder zu unterscheiden. Dies
seien Themen wie Bildung, Wohnen, Kultur, Sport, politische Partizipation und
Gesundheit. Die Kommunen verfolgten unterschiedliche Strategien mit oder ohne
Integrationskonzept. Das Handlungsfeld Schule und Bildung sei ein zentrales Thema
der Integration. Derzeit würden Kinder im schulpflichtigen Alter in der
Erstaufnahmeeinrichtung in Stern Buchholz oder in Nostorf-Horst nicht nach Lehrplan
und nicht durch ausgebildete Lehrkräfte beschult. Vielmehr werde dieses durch
ehrenamtliche Helfer übernommen. Dies sei der Rechtsauffassung des Landes
geschuldet, dass nur Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Mecklenburg-
Vorpommern hätten, der Schulpflicht unterliegen. Es seien Fälle bekannt, bei denen
Kinder in den Erstaufnahmeeinrichtungen über 18 Monate nicht regulär beschult
würden. Das widerspreche aber der von Deutschland seit 2010 ohne weitere
Vorbehalte anerkannten UN-Kinderrechtskonvention, die ein Recht auf Bildung
vorsehe. Hierbei sei insbesondere auf den Artikel 28 der Konvention verwiesen, der
ein Recht auf unentgeltlichen Grundschulbesuch der Kinder ohne Ansehen der
Nationalität oder des Aufenthaltsstatus betone. Andere Bundesländer beschulten
diese Gruppe von Kindern regulär. Im Übrigen schreibe auch die EU-
Aufnahmerichtlinie in der Neufassung von 2013 die Beschulung von Kindern
spätestens drei Monate nach Antragsstellung für einen Schutzstatus vor. Ergänzend
verweise sie auf die schriftliche Stellungnahme (Adrs. 7/332-7).
Hans-Kurt van de Laar (Landkreistag Mecklenburg-Vorpommern e. V.) führt
ergänzend zur schriftlichen Stellungnahme (Adrs. 7/332-3) aus, dass die Integration
von den Landkreisen als Querschnittsaufgabe begriffen werde, welche langfristige
Bemühungen bedürfe. Hierzu brauche es dauerhafte Strukturen auf ehren- und
hauptamtlicher Ebene, einschließlich einer entsprechenden Finanzierung. Es komme
auf eine gute Zusammenarbeit der verschiedenen Ebenen an. Hier sei eine Stärkung
der Landkreise sinnvoll, zum Beispiel bei der Koordination von Aktivitäten und
Angeboten im Bereich der Sprach- und Integrationskurse. Der Landkreistag strebe
an, den Austausch zwischen den Integrationsbeauftragten der Landkreise zu
intensivieren. Zunächst sei ein Treffen der Beauftragten vorgesehen. Auch ein
dauerhafter Austausch sei denkbar. Die Landkreise bestätigten die Aussage des
Flüchtlingsrates, dass es sinnvoll sei, möglichst frühzeitig den Menschen
Teilhabemöglichkeiten wie eine Beschulung und insbesondere den Erwerb der
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Sprache unabhängig vom Stand des Verfahrens zu ermöglichen. Dies hätten die
Landkreise Mecklenburgische Seenplatte und Vorpommern-Greifswald sehr deutlich
hervorgehoben. Der Landkreis Vorpommern-Greifswald habe mit vielen Akteuren
über einen längeren Zeitraum ein umfängliches Integrationskonzept erarbeitet, mit
ganz konkreten und nachprüfbaren Zielen. Der Landkreis Rostock betone das Prinzip
des Förderns und Forderns. Im Rahmen des Asylverfahrens würden Angebote
gemacht, welche aber mit der Erwartung an Migrantinnen und Migranten verknüpft
seien, eigene Bemühungen wie die regelmäßige Teilnahme an den Sprachkursen zu
zeigen. Die Landkreise hätten bei der Frage des Wohnumfeldes angesprochen, dass
es für die Integration von Migrantinnen und Migranten hinderlich sei, sie in
problematischen Wohnvierteln unterzubringen. Hier brauche es bei der Verteilung
des Wohnraumes mehr Augenmaß. Der Landkreis Vorpommern-Greifswald habe
angeregt, ein frühzeitiges gemeinsames Lernen insbesondere bei jungen Menschen,
verbunden mit einem praxisbezogenen Spracherwerb, zu ermöglichen.
Simone Schmülling (Landkreistag Mecklenburg-Vorpommern e. V.) ergänzt aus
Sicht des Landkreises Ludwigslust-Parchim, dass man dort einen runden Tisch zur
Frage der Integration organisiert habe, der vierteljährlich tage. Dieses Instrument
vereine alle Akteure des Handlungsfeldes Integration von der Trägerlandschaft über
die Kirche bis zur Wirtschaft. Es gehe darum, festzustellen, was im Landkreis gut
oder nicht so gut laufe. Auch führe man eine Verweisberatung durch, an der es
ansonsten mangele. Besonders hervorgehoben gehöre, dass die Stadt Ludwigslust
nun einen Integrationsbeirat habe. Dies sei wichtig, da Ludwigslust zusammen mit
der Stadt Parchim die Mehrzahl der Migrantinnen und Migranten, auch aufgrund der
vorhandenen Gemeinschaftsunterkünfte, im Landkreis aufnehme. Die
Integrationsbeiräte unterstützten wesentlich die ehrenamtlichen Strukturen vor Ort,
zusammen mit den Mitmachzentralen.
Iman-Jonas Dogesch (MIGRANET Mecklenburg-Vorpommern) erklärt unter Hinweis
auf die schriftliche Stellungnahme (Adrs. 7/332-5), dass die Integration immer ein
beidseitiger Prozess zwischen Migrantin und Migrant und der Aufnahmegesellschaft
sei. Man müsse aber feststellen, dass sich der Migrations- und Integrationsprozess
zwischen Ost- und Westdeutschland unterscheide. Es gebe in den neuen
Bundesländern ein Nachholbedarf. Man könne von den Fehlern lernen, die in
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anderen Bundesländern gemacht worden seien. Trotz aller Schwierigkeiten sei man
jedoch in Mecklenburg-Vorpommern auf dem richtigen Wege. Ein wichtiges Problem
bleibe aber die Bekämpfung des Rechtsextremismus, insbesondere im ländlichen
Raum, da dieser eine Integration erschwere. Ebenso zu erwähnen sei die mangelnde
Bleibeperspektive von geduldeten Flüchtlingen, die einen Ausbildungsplatz besäßen
und sich u. a. durch Spracherwerb integriert hätten. Auch werde vor allem in
Westdeutschland die Frage von Migration und das Leben im Alter diskutiert.
Michael Hugo (MIGRA e. V.) schickt voraus, dass er zwar aus Rostock komme, aber
die ersten zwei Jahrzehnte seines Lebens in Chemnitz verbracht habe. Für ihn stelle
sich die Frage, wie sich die Stadt von dem Makel der negativen Ereignisse der
vergangenen Tage befreien könne. Bezüglich der Frage der sozialen Integration sei
es von größter Bedeutung, dass bei Geflüchteten eine schnellstmögliche Klärung des
Aufenthaltsstatus erfolge. Dies sei die Voraussetzung, um über Zukunftsperspektive
zu sprechen, sowohl aus Sicht der Migranten als auch der Gesellschaft. Die
bestmögliche Integration sei die Zusammenführung der einheimischen Bevölkerung
mit Menschen, die zugewandert seien, besonders im ländlichen Raum. Hier sei der
Hinweis auf das Jahr 1945 angezeigt, wo knapp die Hälfte der Bevölkerung in
Mecklenburg-Vorpommern Flüchtlinge und Vertriebene gewesen seien. Hier gehe es
darum, diese Erfahrungen mit den jetzigen Flüchtlingen auszutauschen. Ebenso sei
die Frage der Religionsausübung zu beachten. Hier seien zwei Religionen besonders
genannt, die bei den Flüchtlingen selten vorkämen. Zum einen die Bahai und zum
anderen die Christen, die aus Syrien und dem Irak geflohen seien. Es gebe in
Schwerin und Rostock interreligiöse Gesprächskreise. Die Fortsetzung des
interreligiösen Dialogs sei wesentlich, um ein friedliches Zusammenleben zu
gewährleisten. Soziale Integration könne aber nur gelingen, wenn es eine berufliche
Integration gebe. Hierbei sei eine Verbesserung des Arbeitsmarktzuganges für
Zugewanderte mit Flüchtlingsstatus erforderlich. Dies werde zurzeit unter dem
Stichwort Spurwechsel diskutiert. Man müsse akzeptieren, dass es in den nächsten 5
bis 10 Jahre schwierig bleibe, Menschen in den Irak, Syrien oder die Ostukraine
abzuschieben. Zudem gebe es einen Mangel an Arbeits- und vor allem Fachkräften.
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Thomas Letixerant (Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Nord) stellt heraus,
dass ein Aspekt der Integration in Arbeit und Ausbildung von geflüchteten Menschen
die Schlüsselkompetenz des Spracherwerbs sei. In Mecklenburg-Vorpommern gebe
es ein breites und ausdifferenziertes Spektrum an beruflichen Sprachkursen, die man
im Laufe der vergangenen drei Jahre auch immer weiter angepasst habe. Schaue
man auf die Wartezeiten in Hinblick auf die Grundbildung Sprache, also dem
Integrationskurs, so könne man festhalten, dass 54 Prozent der angemeldeten
Menschen innerhalb von 6 Wochen den Zugang dazu erhielten. Dieser Wert
entspreche ungefähr dem Bundesniveau. Allerdings könne diese statistische
Aussage die individuelle Situation einzelner Personen nicht beschreiben. So könne
es passieren, dass einige sehr viel schneller Zugang erhielten und andere wiederrum
müssten viele Monate und damit auch aus Sicht der Bundesagentur zu lange auf
ihren Kurs warten. Dieses sei teilweise den zurückgegangenen Bedarfszahlen
geschuldet, die dazu führten, dass die Zahl der angebotenen Kurse aus
Wirtschaftlichkeitserwägungen der Träger zurückgegangen sei. So brauche es
15 Kursteilnehmer, um eine Wirtschaftlichkeit sicherzustellen. Auch stelle die
Erreichbarkeit von Sprachangeboten insbesondere im ländlichen Raum für die
geflüchteten Menschen ein Problem dar. Die berufsbezogene Sprachförderung, die
mittlerweile die ESF-Sprachförderung abgelöst habe, werde in Mecklenburg-
Vorpommern ordentlich angenommen und bewege sich in den Größenordnungen,
welche die Jobcenter und Agenturen für Arbeit nach ihrer Bedarfsanalyse
vorgesehen hätten. Bei dieser Sprachförderung handele es sich um Module, welche
die Lebenswelten Arbeit und Ausbildung verzahne. Auch würden spezielle Kurse zur
Anhebung des Sprachniveaus angeboten, beispielsweise von der Stufe B1 auf B2.
Das Grundniveau, welches nach einem Integrationskurs vorliege, solle die Stufe B1
umfassen. Diese Stufe werde allerdings zurzeit nur von der Hälfte der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer erreicht. Aus Sicht der Berufsberatung der
Bundesagentur für Arbeit lasse sich beim Übergang von Schule in Ausbildung
aussagen, dass die Jugendlichen an Beratung interessiert seien. Allerdings müsse
man feststellen, dass das Wissen über das Bildungs- und Ausbildungssystem in
Deutschland bei diesem Personenkreis unzureichend sei. Die Chancen der
beruflichen Integration seien aber sehr stark von einem beruflichen Abschluss
abhängig. So seien Menschen ohne beruflichen Abschluss fünfmal so stark von
Arbeitslosigkeit betroffen wie Menschen mit einer solchen Ausbildung. Daher sei das
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Wissen über das deutsche Bildungs- und Ausbildungssystem mit entsprechender
Akzeptanz des Systems ein entscheidender Faktor der beruflichen Integration. Die
Bereitschaft in Ausbildung zu gehen, sei bisher nur unzureichend vorhanden. Diese
Bereitschaft müsse erhöht werden, hier bedürfe es auch der verstärkten Anstrengung
der anderen Netzwerkpartner. Ebenso brauche es natürlich auf der anderen Seite
einen Arbeitgeber, der diese Ausbildung zur Verfügung stelle. Grundvoraussetzung
sei dafür Rechtssicherheit in Bezug auf die Bleibeperspektive des jungen Menschen,
damit sich die Investition auf lange Sicht für den Arbeitgeber rentiere. Schaue man
auf das laufende Berufsberatungsjahr, so habe man 178 Abgänge in Ausbildung von
Jugendlichen aus den acht Hauptherkunftsländern, die den Schwerpunkt von Flucht
und Asyl ausmachten. Hinzu kämen 104 Langzeitpraktika, die sogenannte
Einstiegsqualifizierung. Ordentliche Zahlen, die aber noch steigerungsfähig seien.
Bei der Qualifizierung und Aktivierung von geflüchteten Menschen sei der Ansatz der
Agentur für Arbeit, Sprache und Arbeit respektive Arbeitsumfeld frühzeitig unmittelbar
miteinander zu verzahnen. Es sei nicht zielführend, vormittags einen Integrationskurs
zu besuchen, um dann am Nachmittag wieder in seinem bisherigen Umfeld zu
verbleiben. Dies böte keine Chance, die neue Sprache zur Anwendung zu bringen.
Dieser Ansatz könne aber auch zu Überforderungen führen, wenn am Vormittag fünf
Stunden Sprachunterricht und am Nachmittag drei bis vier Stunden Arbeit zu leisten
seien. Betrachte man die geflüchteten Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, so
könne man festhalten, dass der typische Flüchtling erstens männlich (drei Viertel der
Gesamtgruppe), zweitens jung (drei Fünftel der Gesamtgruppe seien unter 35 Jahre)
und drittens ohne formalen Abschluss nach deutschen Kriterien sei. Diese Zahlen
legten nahe, dass es sich lohne, in Qualifizierung zu investieren, da bei einer
Bleibeperspektive ein noch sehr langer Verweilzeitraum in unseren Systemen zu
erwarten sei. Idealerweise sollten diese Menschen ein integrierter und beitrags- und
steuerzahlender Bestandteil unserer Gesellschaft werden. Bezüglich der Frage nach
den Hemmnissen bei der Integration in Arbeit stelle man zunächst fest, dass man bis
Juli dieses Jahres bereits ca. 950 Abgänge bei den geflüchteten Menschen in
sozialversicherte Beschäftigung vorweisen könne. Das Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung habe herausgefunden, dass im ersten Jahr nach Ankunft ca. zehn
Prozent der geflüchteten Menschen eine Arbeit finden könnten, nach weiteren fünf
Jahren liege der Wert bei 50 Prozent. Nach zehn Jahren könne bei der
Beschäftigung der Durchschnitt der einheimischen Bevölkerung erreicht werden.
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Schaue man die bisherigen Erfahrungswerte und tatsächlichen Zahlen an, die man
bereits habe, so sei man auf einem vernünftigen aber nicht herausragenden Weg,
der sich mit den wissenschaftlich erwarteten Zahlen decke. Die Hemmnisse seien
unterschiedlich. Zu nennen sei als erstes die Erreichbarkeit von Arbeitsstellen. Dies
gelte allerdings nicht nur für die geflüchteten Menschen. Bei der Kinderbetreuung
seien auch kulturelle Hemmnisse zu erkennen, wie zum Beispiel die fehlende
Akzeptanz von Kinderbetreuung gerade auch im Familienumfeld. Dieses
Akzeptanzproblem müsse in den Netzwerken vor Ort bearbeitet werden. Defizite in
der interkulturellen Kompetenz ließen sich sowohl bei den Geflüchteten als auch auf
der Arbeitgeberseite identifizieren. Helfen könnten Betreuungsstrukturen innerhalb
der Betriebe, welche diesen besonderen Rahmenbedingungen angepasst seien.
Peter Todt (Industrie- und Handelskammer zu Schwerin) betont ergänzend zur
schriftlichen Stellungnahme (Adrs. 7/332) als Schwerpunkt, dass man Fachkräfte
benötige. Für jeden Menschen sei es eine schlimme Erfahrung, sein Land verlassen
zu müssen. Dabei spiele es keine Rolle, ob es zeitlich begrenzt oder für einen sehr
langen Zeitraum sei. Es gelte also entweder eine Zeit zu überbrücken oder für sich
selbst eine neue Zukunft aufzubauen. Dazu brauche man allerdings die
Sprachkompetenz, um sich in seinem Gastland entsprechend bewegen zu können.
Dies betreffe den Alltag, die Schule, die Ausbildung, die berufliche Tätigkeit sowie
den Umgang mit den Ämtern. Es brauche auch ein Grundverständnis der deutschen
Kultur beziehungsweise der deutschen Geschichte, um die Strukturen der
Gesellschaft, Demokratie und öffentlichen Einrichtungen verstehen zu können. Die
wirtschaftliche Entwicklung verlaufe momentan sehr positiv. 75 Prozent der
Unternehmen sagten, dass sie Fachkräfte benötigten. Dies bedeute, dass es
vonseiten der Wirtschaft eine sehr hohe Bereitschaft gebe, zugewanderte Flüchtlinge
in die Ausbildung, in die Wirtschaft, in die berufliche Tätigkeit aufzunehmen. Bei
qualifizierten Flüchtlingen und jungen Menschen gebe es vonseiten der Wirtschaft
eine hohe Bereitschaft, sie über eine Berufsausbildung fachlich zu qualifizieren. Es
müssten immer wieder Zugeständnisse gemacht werden. Die Kunden der
Unternehmen müssten ebenfalls mitmachen. Die Wirtschaft stelle in großem Umfang
Praktikums- und Ausbildungsplätze zur Verfügung. Dafür brauche die Wirtschaft
dann aber die Sicherheit, dass die Investition auch gesichert sei. Es brauche dafür
klare und transparente gesellschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen. Man
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verweise in diesem Zusammenhang auf die 3 + 2-Regelung1 oder die aktuelle
Diskussion zum sogenannten Spurwechsel2. Die IHK zu Schwerin habe auf ihren
Internetseiten die rechtlichen Grundlagen zum Themenkreis „Aufnahme einer
Berufsausbildung“ zusammengestellt. Bei einem klaren Status sei es unkompliziert.
Dieses Wissen habe sich mittlerweile in der Unternehmerschaft verbreitet. Hier
reiche ein Blick in die Papiere des Aspiranten. Dies ändere sich bei einem unklaren
Status und es ergebe sich dann die Frage: Kann man einen Vertrag abschließen und
was muss man gegebenenfalls dabei beachten? Hingewiesen sei an dieser Stelle
noch auf die Meldepflicht des Ausbildungsbetriebes bei Abbruch der Ausbildung oder
dreitägigen unentschuldigten Fehlens des Jugendlichen. Unterlasse der
Ausbildungsbetrieb dies, könne diese Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße in
Höhe von bis zu 30.000 Euro belegt werden. Wichtig sei, dass der Geflüchtete sich
mindestens genauso stark einbringe wie der Ausbildungsbetrieb. Die eigenen
Erfahrungen der IHK mit einem Flüchtling in der Ausbildung seien positiv. Bei älteren
Flüchtlingen reiche oft die Sprachkompetenz nicht aus. Jüngeren hingegen falle es
erheblich leichter, die neue Sprache zu erlernen. Die Bereitstellung von
Sprachförderung sei in Mecklenburg-Vorpommern ausreichend, aber die Flüchtlinge
sollten ihre neuen Sprachkenntnisse auch häufiger nutzen. Man habe als Industrie-
und Handelskammer im Jahr 2012 eine bundesweite Einrichtung zur Anerkennung
ausländischer Abschlüsse „Foreign Skills Approval (FOSA)“ eingerichtet. Im Jahr
2018 wurden von Flüchtlingen aus Syrien 2.595 Anträge auf Feststellung der
Qualifizierung gestellt. In der Regel könnten 50 Prozent der Anträge positiv
beschieden werden, während bei der anderen Hälfte ein Qualifizierungsbedarf
bestehe. In den drei Industrie- und Handelskammern des Landes habe man zum
neuen Ausbildungsjahr 252 Ausbildungsverträge mit ausländischen Jugendlichen
verzeichnet. Für das Kammergebiet Schwerin gebe es über alle Ausbildungsjahre
hinweg 236 Ausbildungsverträge, davon 86 Verträge mit derzeit 20 Nationalitäten für
das neue Ausbildungsjahr. Man stelle zum Thema Arbeits- und Ausbildungsangebot
auf Messen aus und führe Informationsveranstaltungen vor allem mit Unternehmen
durch. Hier stellten sich dann sehr lebensnahe und praktische Fragen.
1 Aufenthaltsrecht für eine dreijährige Ausbildung und anschließend zwei Jahre Berufstätigkeit. 2 Wechsel vom Asylverfahren zur Arbeitsmigration.
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Christian Rosenkranz (Institut für Berufsbildung und Umschulung GmbH) erklärt,
dass er aus Neustadt-Glewe komme, einer für Mecklenburg-Vorpommern typischen
Kleinstadt mit 6.800 Einwohnern, geprägt von landwirtschaftlichen Betrieben im
Umkreis. Dort habe ein Durchschnittsbetrieb 190 Mitarbeiter, aus insgesamt
27 Nationen kommend. Das Institut ist seit 27 Jahren in der Erwachsenenbildung
tätig und seit 2015 Träger der Jugendhilfe und betreibe ein Wohnheim für
unbegleitete minderjährige Jugendliche im Auftrag des Fachdienstes Jugend des
Landkreises. Man müsse in Neustadt-Glewe beim Thema Migration und Integration
deutlich unterscheiden zwischen den geflüchteten Menschen, die ab 2015
gekommen seien, und den EU-Bürgern und Nicht-EU-Bürgern, die in unserer Region
lebten, sozialversicherungspflichtig arbeiteten, Steuern zahlten und ihre Freizeit dort
gestalteten. Man habe in Neustadt-Glewe 855 gemeldete Mitbürgerinnen und
Mitbürger anderer Nationalität, von denen 661 einer sozialversicherten Tätigkeit
nachgingen beziehungsweise EU-Bürger seien. In diesem Jahr seien Kinder aus
24 Nationen in der Stadt eingeschult worden. Man habe in der Stadt kein Problem mit
Migration respektive Ausländern. Dies liege zum einen daran, dass man eine
niedrige Arbeitslosenquote habe und zum zweiten an einem breiten Konsens
zwischen den politischen Parteien, der Kirche und der Verwaltung, dass man
Integration bejahe. Das verlange von allen, sich zu verändern. Ohne diese
Bereitschaft gehe es nicht. Man habe in dem Wohnheim seit 2015 85 Kinder betreut.
Die zugelassene Kapazität betrage 16 Minderjährige. Die hohe Zahl an Kindern sei
dem Umstand geschuldet, dass mit dem Erreichen der Volljährigkeit die jungen
Menschen nicht mehr dem deutschen Jugendschutzgesetz unterlägen und somit die
Einrichtung verlassen müssten. Diese Kinder hätten alle ihre Geschichte und
gehörten nicht zu den Schwächsten, weder mental, intellektuell noch körperlich.
Jedes Kind in der Einrichtung habe von Anfang an einen Schulplatz gehabt. Morgens
um 05:30 Uhr werde aufgestanden und gefrühstückt. Mit dem öffentlichen
Personennahverkehr werde die Schule besucht. Es werde, so es gehe, gemeinsam
Mittagessen eingenommen. Dann nehme man an den Nachmittagsaktivitäten teil.
Vom Schulsport sei man befreit. Man habe seit zwei Jahren einen aus Teherean
stammenden Mitarbeiter, der ausgebildeter Sportlehrer sei. Man nutze dafür die
Sportstätten der Stadt. Die Jugendlichen hätten nach dem Sportprogramm keinen
Impuls mehr, abends in der Stadt noch unbedachte Dinge zu tun. Es gelte das
Jugendschutzgesetz. Um 22:00 Uhr habe sich daher jeder innerhalb des Hauses
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aufzuhalten. Wenn die Jugendlichen neu in die Einrichtung kämen, wären sie zum
Teil schon kriminalisiert, zum Beispiel wegen illegaler Benutzung von öffentlichen
Verkehrsmitteln. Der Landkreis werde dann als Vormund durch ein Inkassobüro der
Deutschen Bahn in Haftung genommen. Hier habe man Kosten zu tragen, die den
Wert der Fahrkarte überstiegen und das werde den Kindern vom Taschengeld
abgezogen. Zwar werde es nicht auf null reduziert, aber sie spürten sehr klar die
finanzielle Einschränkung. Auch diese Kinder hätten Bedürfnisse. Es gehe nicht
darum, das falsche Verhalten der Kinder zu tolerieren, gerade dies wolle man nicht.
Es brauche klare Regeln und deren Durchsetzung. Hilfreich sei die geplante
Einführung kostenloser Bustickets für Schülerinnen und Schüler im Landkreis. Denn
es bedeute, dass die Jugendlichen nicht mehr nur an einen Ort gebunden seien und
dass für sie das attraktive Schwerin erreichbar sei. Mobilität sei ein wichtiger Punkt
für junge Menschen. Daher sollte sich der Landtag überlegen, entsprechende Mittel
zur Verfügung zu stellen, für eine kostenfreie Schülerbeförderung im öffentlichen
Personennahverkehr. In Parchim gebe es die Gaststätte „Zum kaiserlichen Postamt“
in der ab dem 1. September eine junge Albanerin im Servicebereich arbeite. Diese
junge Frau habe zuvor einen Ausbildungsplatz gehabt, aber den Anforderungen der
Berufsschule nicht genügt und musste ihre Ausbildung abbrechen. Daraufhin habe
sie Deutschland verlassen müssen. Bei der Unterzeichnung des
Ausbildungsvertrages hatte zuvor ihr Vormund, also der Fachdienst Jugend, es
unterlassen, die Ausländerbehörde einzubeziehen und eine Zustimmung einzuholen.
In Albanien habe sie ein schwieriges soziales Umfeld erwartet. Man habe dann von
Neustadt Glewe aus mit persönlichem und finanziellem Einsatz erfolgreich für ihre
Rückkehr gearbeitet. So habe man zunächst die Schulden beglichen, die durch ihren
SGB II-Bezug vom Jobcenter in Deutschland entstanden seien. Auch habe man ihr
den Flug nach Tirana bezahlt, um die Einreise nach Deutschland beantragen zu
können. Auf diese bürokratischen Hindernisse im Bundesrecht wolle er in der
Diskussion über Fachkräftemangel hinweisen.
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Prof. Dr. Hannes Schammann (Universität Hildesheim) führt aus, dass Integration
im Wortsinne die Herstellung des gesellschaftlichen Zusammenhalts bedeute. Es
gehe daher nicht um die Prozesse einzelner Personen. Das sei dann erfolgreich,
wenn möglichst alle Gruppen innerhalb einer Gesellschaft über ihr Leben selbst
bestimmten. Erst dann entwickele sich eine positive Haltung zum gesamten System.
Dieser Sachverhalt gelte nicht nur für Zugewanderte, sondern für alle Menschen.
Gesellschaften stünden daher grundsätzlich auch ohne Migration vor der
Herausforderung der Integration. Wenn Menschen Arbeit und positive soziale
Beziehungen hätten, sowie das Gefühl vorhanden sei, dass ihre Stimme gehört
werde und eine politische Teilhabe möglich sei, dann könne sich eine Bindung zum
Großen und Ganzen entwickeln. Daher gingen Forderungen nach Identifikation, die
an Menschen adressiert seien, die sich faktisch noch außerhalb der Gesellschaft
befänden, auch fehl. Diese Menschen müssten erst in der Gesellschaft ankommen
und dann entwickele sich eine Bindung an das System. Deswegen seien
Maßnahmen gut und sinnvoll, die Menschen helfen, ihr Potenzial im Land frei zu
entfalten. Dazu gehörten Sprachkurse und der Abbau von behördlichen Hürden. Man
sollte Migranten frühzeitig gesellschaftliche Teilhabe auch im politischen Bereich
ermöglichen. Integration sei vor Ort zu gestalten. Integration sei Aufgabe aller
anwesenden Personen unabhängig vom Aufenthaltsstatus und nicht nur für eine
Teilgruppe der Gesellschaft. Forschungsergebnisse hätten gezeigt, dass Städte und
Gemeinden bei der Integration eine wichtige Rolle einnähmen, etwa beim Wohnen
oder sozialraumorientierten Projekten. Das müsse man auch bei der Umsetzung
übergeordneter Regelungen beachten, zum Beispiel der Ausbildungsduldung. Denn
wenn auf der kommunalen Ebene die Umsetzung nicht erfolge, blieben
übergeordnete Regelungen wirkungslos. Gerade im ländlichen Bereich hätten
Kommunen über Integration vieles gelernt und sich stark professionalisiert, auch
habe man vor Ort Strukturen aufgebaut. Hier gelte es, dieses als Dauerprojekt zu
begreifen. Dafür brauche es den politischen Willen. Man müsse sich über die
Zuwanderungszahlen Gedanken machen und überlegen, welche Zahlen künftig zu
erwarten seien. Die Annahme, dass die bereits erfolgte Zuwanderung ein einmaliges
Ereignis sei, erscheine unwahrscheinlich. Dies bedeute, dass weiterhin Menschen
nach Deutschland kämen. Gleichzeitig müsse man das Ankommen und mögliche
Schwankungen der Ankunftszahlen immer berücksichtigen. Studien hätten gezeigt,
dass es bei dem Zusammenwirken in der Integrationsarbeit von Landkreisen und den
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angehörigen Kommunen nicht immer reibungslos laufe. Es brauche klare
Zuständigkeiten. Der Austausch guter Praxis in der Integrationsarbeit in der
kommunalen Ebene, aber auch darüber hinaus, mit dem Ziel einer insgesamt
kohärenten Anwendung, sei sinnvoll. Ein wesentliches Hemmnis für Integration sei
eine Kluft zwischen dem, was Verwaltung und Politik als wichtige Felder der
Integration ansehen, nämlich Arbeit, Bildung und Ähnliches und dem, was ein Teil
der Bevölkerung als Schwerpunkt der Integration empfinde. Hier werde das Feld der
Identität als problematisch wahrgenommen, insbesondere die Punkte Kultur und
Religion. Dies sei insofern besonders interessant, da sich keine empirische Studie
finde, die etwa den sunnitischen Islam als Integrationshindernis identifiziere. Trotz
anderer Wahrnehmungen habe Religion relativ wenig mit Integrationsprozessen zu
tun. Politik müsse sich trotzdem diesen Bereichen der Kultur und Religion seriös und
überlegt zuwenden.
Steffen Bockhahn (Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern e. V.)
erklärt, dass Integration Motivation brauche. Für das Engagement benötige man
einen Grund. Ein positiver Punkt sei dabei das Gefühl des Willkommenseins und
hierzu gehöre eine Bleibeperspektive. Es gehe auch um die Nachvollziehbarkeit von
Abschiebegründen. Nicht einmal 2.000 Menschen seien aufgrund von Flucht in
diesem Jahr nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen. Bezogen auf die
1,6 Millionen Einwohner, die in unserem Bundesland lebten, bedeute dies eine
Anzahl, die uns nicht überfordere. Zudem lebten in den Erstaufnahmeeinrichtungen
nur 500 Menschen aus den acht Hauptherkunftsländern mit einer Bleibeperspektive.
Für Rostock könne man sagen, dass es alleine im Jahr 2017 über 160 Vermittlungen
von Flüchtlingen, die nach 2015 eingereist seien, in den ersten Arbeitsmarkt gegeben
habe. Schaue man sich an den Grundschulen und den weiterführenden Schulen um,
könne man erkennen, dass die Kinder mit Fluchthintergrund, die von Anfang an in
der Krippe oder dem Kindergarten waren, mit großer Motivation und Erfolg die
Schulen besuchten. Überall dort, wo man gute Begleitung und gute soziale
Strukturen im Umfeld anbiete, könne man positive Effekte erzielen. Hier genau sehe
man die Stärken der gemeindlichen Arbeit, also in einer Arbeit im Sozialraum mit
individualisierter Beratung. Erweitere man den Fokus und beziehe die Inklusion in die
Betrachtung mit ein, so müsse man sich davon lösen, die Migrantinnen und
Migranten nur von ihrer Herkunft aus zu beurteilen. Vielmehr müsse man nach
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zusätzlichen Hilfebedarfen zum Beispiel in den Bereichen Sprache, Ausbildung oder
auch sozialer Kompetenz fragen. Diese Begleitung müsse unabhängig von einem
Aufenthaltsstatus erfolgen. Hier brauche es Hilfen vom Land, damit die Begleitung
auch nach dem Asylverfahren weiterlaufen könne und die Kommunen nicht alleine
mit den Kosten blieben. Leider wüssten die Kommunen bis heute noch nicht, wie
hoch die Unterstützung des Landes für 2019 ausfalle, da die gesonderten
Vereinbarungen Ende 2018 ausliefen. Diese Unsicherheit in Bezug auf die
Finanzierung gefährde bestehende Strukturen. Insbesondere betreffe das die
finanzschwachen Kommunen. Insgesamt sollte bedarfsorientiert gefördert werden.
Man erlebe Abwanderung aus kleineren Gemeinden hin zu größeren Städten in
Mecklenburg-Vorpommern. Auch brauche es beim Rückbau der Strukturen eventuell
Hilfebedarf. Ebenso müsse man über die Zielgenauigkeit der vom Land
ausgegebenen Mittel nochmals sprechen. Integration und Inklusion seien keine
Einbahnstraßen. Hier müsse auch die Aufnahmegesellschaft etwas leisten. Genau
dafür brauche es zum Beispiel Gemeindezentren und soziale Arbeit und
Begegnungen in den Quartieren.
Bernd Rosenheinrich (Landesseniorenbeirat Mecklenburg-Vorpommern e. V.)
verweist auf die schriftliche Stellungnahme (Adrs. 7/332-4) und stellt klar, dass der
Landesseniorenbeirat bisher nur wenig Berührungspunkte zu Migrantinnen und
Migranten gehabt habe. Man gehe aber davon aus, dass, wie auch schon hier im
Ausschuss ausgeführt, diese Thematik zum Beispiel im Bereich der Pflege bald
erkennbar werde. Unabhängig davon müsse man festhalten, dass viele Seniorinnen
und Senioren sich bei der ehrenamtlichen Betreuung von geflüchteten Menschen
engagierten. In dieser Gruppe gebe es Zweifel am Willen der Behörden zur
Integration. In Neubrandenburg wurden Personen ausgewiesen, die bereits seit drei
Jahren hier im Land lebten und einen Arbeitsplatz gehabt hätten. Auch die
Ausweisung von jungen Menschen, die hier einen Ausbildungsplatz gehabt hätten,
stoße auf großes Unverständnis. So werde nicht zur Integration motiviert. Man habe
zusammen mit dem Landesjugendring einen Generationendialog mit Migrantinnen
und Migranten durchgeführt. Dabei sei deutlich geworden, dass viele junge
Menschen schwere Kriegs- und Fluchterfahrungen mitgebracht hätten. Hier brauche
es eine bessere Betreuung für die jungen Menschen zur Bewältigung dieser
Erlebnisse, etwa entsprechend der Betreuung von Bundeswehrangehörigen nach
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deren Einsatz in Afghanistan. Im Übrigen pflichte er Michael Hugo in Sachen
Chemnitz bei. Er habe selbst in der damaligen Karl-Marx-Stadt an der dortigen
Technischen Universität studiert und Tür an Tür mit ausländischen Studierenden
gelebt. Das, was man dort heute erlebe, könne er nicht verstehen. Noch weniger
Verständnis habe er aber für eine Partei, die die Situation dort ausnutze, um eine
Pogromstimmung zu erzeugen. Dies erinnere ihn an Ereignisse unserer Geschichte.
Abg. Prof. Dr. Ralph Weber reagiert auf die Äußerungen von Herrn Rosenheinrich
und Herrn Hugo. Das Geschimpfe über die Geschehnisse in Chemnitz entziehe sich
völlig dem, was er an Realität wahrnehme. Wenn endlich ein Teil der Bevölkerung
auf die Straße gehe, um deutlich zu machen, dass es ein Ende haben müsse mit der
Gewalt der angeblichen Schutzbefohlenen gegen die deutschen Bürger, dann sei
dies dringend notwendig und könne nur unterstützt werden. Warum sage keiner hier:
“Integration – nehmt denen erst die Messer weg“. Den Satz habe er noch nie gehört.
Dies wäre auch ein Akt aktiver Integration. Er habe große Hochachtung vor den
Bürgern, die in Chemnitz endlich Zivilcourage zeigten, auf die Straße gingen und
sagten, es reiche. Er möchte Frau Seemann-Katz fragen: Warum solle man die
knappen Mittel, die für Integration zur Verfügung stünden und auch nicht beliebig
erweiterbar seien, wenn man unsere Bevölkerung nicht weiter schröpfen wolle, für
Personen ausgeben, die keine Bleibeperspektive bei uns hätten? Das Gegenteil
erscheine ihm richtig nach dem Motto: „Fit for Return“. Man müsse die Kinder
schulen, ihre Muttersprache zu beherrschen in Wort und Schrift, damit sie dies bei
ihrer Rückkehr in die Gesellschaft, in die sie gehörten und in die sie irgendwann auch
zurückkehren müssten, weil sie keine Bleibeperspektive hätten, auch anwenden
könnten. Die vorhandenen Mittel für Integration solle man für die verwenden, die bei
uns bleiben dürften. Bezüglich der Aussage von Peter Todt, dass 50 Prozent der
Sprachkursteilnehmer das B1 Zertifikat schafften, habe er andere Zahlen und zwar
liege danach die Erfolgsquote nur bei 40 Prozent. Hier stelle sich die Frage, warum
so ein hoher Anteil diese Sprachkurse nicht erfolgreich abschließe.
Ulrike Seemann-Katz betont, dass als erstes die Rechtsfrage stehe. Kinder seien
nach internationalem und EU-Recht zu beschulen. Diese Beschulung müsse man
aus Mitteln des Bildungsbereiches und nicht aus Integrationsmitteln finanzieren. Der
Aufwand für diesen Bereich sei zudem insgesamt betrachtet relativ gering. Man
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müsse anerkennen, dass Asylverfahren unterschiedlich lange bräuchten und man
könne bei den Kindern nicht mit der Einschulung warten, bis über den Bleibestatus
entschieden sei. Diese Entscheidung erfolge zum Teil erst nach Jahren. Falls dann
am Ende des Verfahrens die Rückkehr in das Herkunftsland stehe, sei die in
Deutschland erlangte Bildung ganz sicher auch im Herkunftsland hilfreich.
Peter Todt stellt klar, dass es sich bei der genannten Zahl um die Quote der
Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse handele. Im Ergebnis könne man
nach einem aufwendigen Prüfverfahren etwa 50 Prozent der Abschlüsse
anerkennen. In Bezug auf die Ergebnisse der Sprachkurse mit dem Ziel des
Sprachniveaus B1, müsse man bei Kursen an beruflichen Schulen feststellen, dass
die Erfolgsquote unter 40 Prozent liege.
Prof. Dr. Hannes Schammann ergänzt in Bezug auf die Gründe, warum es bei den
Sprachkursen zum Nichterfolg komme, dass zu dieser Thematik das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge eine Studie bei McKinsey und Rambøll in Auftrag gegeben
habe. Hier stelle man fest, dass es Probleme bei der Erreichbarkeit der Kursorte
gerade im ländlichen Bereich gebe. Ebenso hätten Kinderbetreuung, parallele
Arbeitsaufnahme oder auch psychische Probleme als Hemmnisse identifiziert werden
können. Teilweise liege es am System, zum Beispiel Lehrkräftemangel, und teilweise
an den Personen selbst.
Abg. Maika Friemann-Jennert erklärt, dass man sich integrationspolitisch im Land
nicht verstecken müsse. Man habe gute Netzwerke und nicht solche Probleme wie
andere Bundesländer. Allerdings gebe es sicher Einzelschicksale, bei denen die
Abschiebung nur schwer erklärbar sei. Klar sei, dass Sprachvermittlung unabhängig
von der Bleibeperspektive wichtig sei, ebenso wie der Wille und die Bereitschaft der
Migranten, die neue Sprache zu lernen. Man habe heute gehört, dass sich die
Landkreise vorstellen könnten, selbst Sprachangebote anzubieten. Dem gegenüber
gebe es die Aussage, dass es Mindestgrößen in Bezug auf die Kursteilnehmer gebe.
Es komme daher durchaus zur Konkurrenz um die Teilnehmer zwischen den
Kursanbietern. Es stelle sich die Frage, ob es nicht Sinn mache, diese
Mindestgrößen zu verändern. Hinsichtlich der Migration und Alten- und Pflegeheime
stelle sich die Frage an Imam-Jonas Dogesch und Bernd Rosenheinrich, ob es für
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den Bereich konkrete Vorstellungen gebe und ob bestimmte Bedarfe, wie zum
Beispiel das Dolmetschen, erkennbar seien. Bisher sei dies nämlich noch nicht
formuliert worden. Die Frage, an welcher Stelle die berufliche Beratung der jungen
Menschen angesiedelt werden solle, sei an Thomas Letixerant gerichtet.
Hans-Kurt van de Laar führt aus, dass sich der Deutsche Landkreistag dafür
ausgesprochen habe, dass die Landkreise sich stärker bei der Koordinierung der
Sprachkurse engagieren sollten, zunächst zur Erprobung als Modellversuch. Gerade
in ländlichen Regionen erscheine es sinnvoll, die Angebote für den Spracherwerb
passgenauer zu gestalten. Dazu gehöre, die Zielgruppenansprache zu verbessern im
Hinblick auf eine berufliche Orientierung der Sprachangebote. In Mecklenburg-
Vorpommern scheine die Zusammenarbeit mit den Kursträgern nicht
hundertprozentig zu klappen. In dem Fall, dass es mehrere Kursträger gebe, könne
der Landkreis eine Koordinierungsfunktion übernehmen, die bis zu einer Zuweisung
bestimmter Migrantinnen und Migranten in Kurse reichen könne.
Ulrike Seemann-Katz stellt heraus, dass es gut sei, wenn es verschiedene Träger
für Sprachkurse gebe, da Konkurrenz das Geschäft belebe. Von Vorteil sei es, wenn
es Regelgemeinschaften vor Ort gebe, die die organisatorische, inhaltliche und