l~._~,~ Rezension [[)rnwo~ [[)o[[)rncu(Q)u = rnow [?oow~rnw~[pcuöD[XJrnw[[)rncu ~(Q)[P[? Die Gedanken des Enzyklopädisten Denis Diderot Rechtzeitig zum 300. Geburtstag von Denis Diderot (1713-1784) und zum er- sten Mal in deutscher Sprache er- scheint dieser Tage eine Diderot-Apho- rismensammlung, herausgegeben von dem Tübinger Humanisten und Philo- sophiehistoriker Werner Raupp. Damit setzt er seine Diderot- Veröffentlichun- gen fort und stellt seine profunde Kenntnis der Materie wieder unter Be- weis. Diderot wird nicht nur als Her- ausgeber und Mitverfasser der Enzyklopädie dargestellt, son- dern auch als Philosoph und Literat - weniger bekannte Aspekte seines Wirkens. Dem Zitatenschatz wird zuerst eine anspruchsvolle literarische Biogra- fie vorangeschickt. Entsprechend seiner eigenen humanistischen Grundphilosophie stellt Raupp Dide- rot als einen Vertreter der um 1750 einsetzenden "anthropologischen Wende" vor, d.h. der "Orientierung am Naturrecht und der Hinwendung zum ganzen Menschen", welche die Aufklä- rung und besonders das Siecle des Lu- mieres prägten. Diderots Jugend und in- tellektueller Werdegang werden lebhaft skizziert, wobei die Wechselhaftigkeit, die ihn sein Leben lang charakterisieren sollte, hervorgehoben wird. Erfreuli- cherweise wird auch nur insoweit auf Diderots Familienerfahrungen einge- gangen, als diese für sein späteres intel- 140 Werner Raupp Denis Diderot - ein funkensprühender Kopf. 100 Gedanken. Ein Mosaik zum 300. Ge- burtstag des französischen Philosophen. Marburg: Tectum 2013 Seiten: 154 Seiten ISBN: 978-3-8288-3164-3 Preis: € 8,95 lektuelles Wir- ken prägend waren - etwa, dass seine Schwester ins Kloster gegangen war, deren Schicksal ihn später zu dem Roman »Die Nonne« inspirierte, der neuerdings als Grundlage für eine Ver- filmung mit u.a. den namhaften Schau- spielerinnen Martina Gedeck und Isa- belle Huppert gedient hat. Wir lernen Diderot auch als Übersetzer, Autor eines erotischen Romans (Die ge- schwätzigen Kleinode) und Verfasser WOD 0612013 ~ BUCHBESPRECHUNG "ketzerischer Schriften" kennen. CI' war alles andere als ein asketischer Gelehrter oder betulicher "SchreibtischWter" - vielmehr wird sein Leben von deutlich pikaresken Zügen gekennzeichnet - er leidet Hunger, ist verschwenderisch, landet wegen seiner aufrührerischen Schriften im Gefängnis, wird von der Polizei als "außerordentlich gefährlicher Junge" bezeichnet und hat nach eigenem Bekunden "das Frauenzimmer zu sehr geliebt". Dabei war sein Denken zu- kunftsweisend - er nahm die Tiefenpsy- chologie von Sigmund Freund und die Evolutionslehre von Charles Darwin vorweg. Es ist dem Herausgeber also nicht nur gelungen, Diderots Größe, sondern auch seine Menschlichkeit darzustellen. Na- türlich steht Diderots Arbeit an der En- zyklopädie im Mittelpunkt, aber auch seine Tätigkeit als Dramaturg, Kunst- und Musikkritiker wie auch als Vorden- ker der Demokratie wird geschildert und dokumentiert. Durch die Vielseitigkeit seines Denkens kann Diderot zu den an- deren Universalgelehrten seiner Epoche, etwa Goethe oder Benjamin Franklin, eingereiht werden. Wie das ganze Buch ist auch die Einleitung reichhaltig mit zeitgenössischen Illustrationen versehen - Gemälde, Stiche, Textfaksimiles. Den Hauptteil des Bandes bilden natür- lich die Aphorismen. Wie vom Heraus- geber selbst beschrieben, werden hier nicht nur kurze, prägnante Sprüche zi- tiert, sondern auch längere, besinnliche Auszüge aus Romanen und Briefen. Diese Gedanken werden unter acht Ru- briken präsentiert. Gleich das erste Ka- WOD06120J3 pitel stellt mit der Überschrift "Ein Vor- läufer von Wikipedia - die Enzyklopä- die" einen aktuellen Bezug her und die obligatorischen Auszüge aus diesem Monumentalwerk werden mit dem Zitat eingeleitet: "Tatsächlich zielt eine Enzy- klopädie darauf ab, die auf der Erdober- fläche verstreuten Kenntnisse zu sam- meln, das allgemeine System dieser Kenntnisse den Menschen darzulegen, mit denen wir zusammenleben, und es den nach uns kommenden Menschen zu überliefern". Unter Überschriften wie "Von Gott und Religion", "Von Philoso- phie, Aufklärung und Vernunft" oder "Die humane Gesellschaft" sind mar- kante Sprüche wie "Nehmt einem Chris- ten die Furcht vor der Hölle und ihr nehmt ihm seinen Glauben", eine Des- cartes-Paraphrasierung: Ich denke, ich fühle, ich empfinde, ich handle, ich er- finde, ich sterbe - also bin ich", oder tiefsinniges, wie etwa: "Kein Mensch hat von der Natur das Recht erhalten, den anderen zu gebieten. Die Freiheit ist ein Geschenk des Himmels und jedes Individuum von derselben Art hat das Recht, sie zu genießen, sobald es Ver- nunft besitzt." Vielleicht lässt sich Diderots ganzes Wirken durch seine überlieferten letzten Worte resümieren: "Der erste Schritt hin zur Philosophie - das ist der Unglau- be" - zitiert in dem Kapitel "Von Philo- sophie, Aufklärung und Vernunft". Im Anhang befindet sich eine Chronik von Diderots Leben sowie ein bibliogra- fischer Apparat. Walter H. Nilson 141