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Kummer. Kunst. Karl-Marx-Stadt
Eine Porträt-Collage
Von Rilo Chmielorz
Sendung: Sonntag, 12. Mai 2019, 14.05 Uhr
Redaktion: Walter Filz
Regie: Rilo Chmielorz
Produktion: SWR/DLF 2019
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"zitiert wurde aus Akten des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen
Republik“
soundsequenz collage >
kummer collage.wav 3´30 > Ansage eingebettet
Ansage:
Sprecherin 1:
Kummer. // Kunst. // Karl Marx Stadt.
Porträt-Collage //
von //
Rilo // Chmielorz
Atmo atelier deutschlandfunk.wav
jan kummer 1.wav
Ein Hinterglasbild von hinten - ich bin ja heilfroh, dass wir uns hier im Radio
befinden, sonst könnte man die Geheimnisse meiner Herstellung sofort
erkennen.
Sprecherin 1:
Jan Kummer, Jahrgang 1965, Hinter-glas-maler, Musiker, Poet,
Collageur und Club-Betreiber. Aufgewachsen in Karl Marx Stadt.
Musik: AG Geige song > „16 Stadtelegie“
jan kummer 4.wav
Das ist natürlich an Blödheit nicht zu übertreffen. // Und kann nur in einer
Diktatur gemacht werden.
AG Geige song > „16 Stadtelegie Wenn die Leute damals gefragt worden
wären, hätten die sich wahrscheinlich an den Kopf gegriffen, // warum ne
Stadt plötzlich nach Karl Marx heissen soll.
AG Geige song > „16 Stadtelegie“ >
Zumal Karl Marx nie irgendeine Beziehung zu Chemnitz hatte.
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AG Geige song > „16 Stadtelegie“ >
Das ist ja ein absurder Name gewesen.
AG Geige song > „16 Stadtelegie“ >
Sprecherin 1:
Kummer lebt und arbeitet heute in Chemnitz in einer ausgebauten
ehemaligen Textil-Fabrik-Etage.
Musik: AG Geige > 7 Schnitz
jan kummer 2.wav
Rilo: bei dieser Hinterglastechnik muss man ja eigentlich auch seitenverkehrt
denken, oder?
Jan: ja im Grunde schon - // aber das ist auch komisch, das menschliche Hirn
kann ja Leistungen vollbringen - unglaubliche Leistungen vollbringen. 7
Schnitz Mein Hirn scheint trainiert zu sein, dadurch dass ich mich schon – 7
Schnitz ja, 20 Jahre - mit der Hinterglasmaltechnik befasse, // habe ich mein
Hirn so trainiert, dass ich kaum die Bilder umdrehen muss, // um zu gucken -
wie das mit dem Seitenverkehrt auch meinen Wünschen entspricht – 7
Schnitz ich habe das so im Kopf, wie das von vorne aussieht. (Lacht) wie
gesagt: Wunderwerk Gehirn! 7 Schnitz > und jo - das ist so eine Reihe, da
geht es - wie es der Zufall so will - mal wieder um die Welt der Arbeit. 7
Schnitz bei mir geht ja Arbeitsraum und Wohnraum ineinander über ....
Sprecherin 1:
Sound: STECHUHR
Bildbeschreibung Arbeiter 1:
Arbeiter im Blaumann // hier lehmbraun // hält in jeder Hand einen
Ziegelstein // mauert eine Mauer // lehmbraunes Hochaus im Hintergrund
// türkisblauer Himmel .....
Sound: STECHUHR
jan kummer 3.wav
7 Schnitz da klebe ich von hinten Papiere auf, aber es gibt auch Farbe. Das
ist eine Mischtechnik: // von hinten sieht man dann ganz gut, dass es wie so
eine Collage ist, // was man dann von vorne gar nicht mehr so mitkriegt. 7
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Schnitz Jo - und hier mache ich zum Beispiel gar keine Farbe drauf, //
sondern da sieht man dann schon die Rückplatte durch ... scheinen. 7 Schnitz
alles so relativ mager von der Gestaltung //. Das passt doch ganz gut zur
Arbeit, finde ich. Schlicht. Nicht so opulent. 7 Schnitz
Sprecher 1:
In der nun folgenden Geschichte erlebt Atomino,
wie schwer es ein Arbeiter in einem kapitalistischen Land hat.
Wenn man – wie du – in einem sozialistischen Land lebt,
kann man sich manche Dinge,
die Atomino kennenlernt, kaum vorstellen.
Musik: AG Geige song > „16 Stadtelegie“
jan kummer 3.wav
der Penner: Mahlzeit. Ich hätt ma ne Frage. Hätten Sie mal einen Euro?
Jan: einen was?
Penner: für einen Kaffee?
Jan: en Euro auch noch gleich?
Penner: ich habe kenen Cent..
Jan: wie kommt es denn?
Penner: wissen sie, was die mir geben? Montags en Euro fuffzig
Jan: und was hätte der Karl Marx dazu gesagt?
Penner: das ist Ausbeutung!
Jan: richtig!
Penner: aber totale
Jan: dafür gibt es en Euro— ja, ja, ja
Penner: danke. Schönes Wochenende
Jan: danke gleichfalls
Das war eines der Kinder von Karl Marx. 16 Stadtelegie //
Also den hätte ich jetzt nicht als Musterbeispiel eines Karl Marx-Städters, wie
er sich so erträumt wurde, gesehen. Der hätte selbstverständlich nach einer
Mark der Deutschen Demokratischen Republik gefragt. Der hätte überhaupt
nicht nach Geld gefragt. Geld wäre abgeschafft gewesen. 16 Stadtelegie //
Sprecher 1:
Smeraldina, ich habe nachgedacht:
ich möchte arbeiten gehen und für euch Geld verdienen!
Smeraldina warnt Atomino vor den Schwiergkeiten.
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Da klingelt schon das Telefon:
„Sie suchen Arbeit, Herr Atomino?
Wenden Sie sich an die Firma Popp!“
Musik: AG Geige „ 2 glückliche Reise“
jan kummer 3.wav
Der Startschuss war das Entdecken von volkskünstlerischer Arbeit im
Sozialismus: // diese ganze Welt der DDR-Hinterglasmalbilder // und das war
dann oft so diese Südsee-Träumereien. //
Die Südsee war ein derart unerreichbarer Ort, dass die Träumerei
wahrscheinlich noch bis zum Ende der DDR bestand, dass da Leute so
abends in ihrer Wohnung so Südsee-Bilder gemacht habe. //
Und das Charmante war eben, dass die Leute dann so was gebaut haben //
so mit Alufolie genommen oder Verpackungsmaterial dann so hinterklebt
eben // oft so mit schwarzer Lackfarbe - und die ausgesparten Flächen auf
dem Bild wurden dann mit Schokoladen-Papier und ähnlichem so hinterlegt.
Damit das auch so einen Glanz hatte.
Musik: AG Geige „ 2 glückliche Reise“
Also MILKA - was weiss ich, // was es alles so gab und wurde mit dieser
schönen, glänzenden // und auch von der Farbe her viel leuchtender – als
man es hier so kannte - Verpackung beklebt.
Sprecherin 1: (gesprochener Dreiklang)
Bildbeschreibung einer androgynen Schönheit am Strand:
Glitzer-Bluse und Glitzer-Schlips // Minirock und schwarze Pumps // rote
Haare, Männer-Gesicht, no lipstick // Standbein-Spielbein // Nachts am
Strand // dunkles Meer mit Glitzerquallen // halber Glitzermond im
Meer..........
Musik: AG Geige „ 2 glückliche Reise“
jan kummer 7.wav
da findet man Sachen aus einem Entwicklungsland, aus dem Afrika
irgendwie, wo aus Bierbüchsen irgendeine Figur gebaut wurde. Die überhaupt
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angebetet wurde // - die Bierbüchse –
Sprecher 2:
Der Fetischcharakter der Ware
und sein Geheimnis nach Karl Marx
So was fand sich in der DDR auch. Dort wurden Westdeutsche Bierbüchsen
oder amerikanische auf die Schrankwand oben daraufgestellt. Oder TicTac-
Schachteln irgendwo so hingestellt - wie auf so einen Altar. // Und so ähnlich
wurde eben auch so ganz liebevoll so die ganz fernen Gestade dargestellt mit
so Schönheiten, die darauf abgebildet waren.
Sprecher 2:
Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein
selbstverständliches, triviales Ding.
Ihre Analyse ergibt, daß sie ein sehr vertracktes Ding ist,
voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken.
Musik: AG Geige „ 2 glückliche Reise“
jan kummer 8.wav
Noch mal was zur Illustrierung, da habe ich z.B. so was Typisches - es wurde
in der DDR gern flächendeckend gebastelt und zwar man hatte eine
westdeutsche Getränkebüchse //
Sprecher 2:
Die Form des Holzes z.B. wird verändert,
und die wurde - als wäre das zuhause bei einem afrikanischen
Stammesfürsten, der in seinem ganzen Leben noch nie so eine Büchse
gesehen hat - die glänzt „Mensch sieht die toll aus“ // und dann wurde die
noch mit Wäscheklammern, die auseinandergenommen wurden, ganz
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liebevoll umklebt. // Es wurde eine Öffnung gelassen, // wo man das Fabrikat
lesen konnte - also mit Wäscheklammern umfasst // und dann noch mit einer
Laubsäge ein formschöner Griff gebaut.
(läuft parallel)
Sprecher 2:
wenn man aus ihm einen Tisch macht.
Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz,
ein ordinäres sinnliches Ding. Aber sobald er als Ware auftritt,
verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding.
Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf dem Boden, sondern er
stellt sich allen andren Waren gegenüber auf den Kopf
und entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher,
als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne.
Musik: AG Geige > 22 stadtfisch
jan kummer 11.wav
Das ist ja ein zentraler Platz. Und wenn jemand hier in der Stadt eine
Demonstration machen will, ist immer die erste Wahl dieser Platz. // Es ist
eben natürlich auch ein sozialistisches Ensemble und das bedeutet eben eine
achtspurige Straße davor ist - und da ist ein großer gepflasterter Platz vor
dem Kopf. Also jede Demo, wenn sie nicht in die Tausende geht, wirkt hier ein
bisschen kläglich. // Das ist eh so ein Problem in Chemnitz bei kleineren
Demonstrationen - das wirkt alles in diesen Aufmarschstraßen, die für
Menschenmassen gedacht sind, ein bisschen kläglich -
Musik: AG Geige > 22 stadtfisch
atmo galerie.wav
jan kummer 12.wav (auftrennen)
Chemnitz war halt bis zur Wende in der Innenstadt größtenteils unbebaut,
wirklich wieso Steppenflächen. Das kann man sich jetzt gar nicht mehr
vorstellen.
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ulf kallscheidt 1.wav
es war ja auch alles grau, also vom Moos grau, also auch die schönen
Fassaden, die in den Gründerzeithäusern da - da lag so eine schwarze
Schicht oben drüber und die sind ja mittlerweile alle wieder rausgeputzt.
Sprecherin 1:
Ulf Kallscheidt, der Galerist der Galerie Borssenanger
jan kummer 12.wav
Da wurde natürlich gesagt, naja, da macht man so einen städtebaulichen Plan
// und dann kommen die Investoren und die werden dann bauen. Alles
bestens // und dann kamen keine Investoren. Das stand wahrscheinlich in
keinem Lehrbuch, // dass so was passieren kann, dass es eine Stadt gibt, //
die damals noch fast 300.000 Einwohner hatte und es interessiert einfach
keinen Investor. // und dann musste, // das ist, glaube ich, ziemlich selten, die
Stadt über ihre Wohnungsgesellschaft, eine Tochter der Stadt, selber bauen.
//
Musik: AG GEIGE 16 ich glaube
ulf kallscheidt 2.wav
..... In den letzten Jahren hat sich hier ganz viel getan. Als ich hier ankam
1994, da wurden noch Fabriken geschlossen. Also man war immer ein
bisschen spät dran hier. // Also hier hat der erste Bau erst vier Jahre später
begonnen nach der Wende. Da war der Schneider, dieser Baulöwe, in Leipzig
schon fast fertig.
Jan: der ist auch ins Gefängnis gegangen
Kallscheidt: ja, ja, der ist ins Gefängnis gegangen. Aber Leipzig ist trotzdem
toll jetzt. – Da mache ich aber kein Fass auf - das diskutieren wir auch gar
nicht .....
16 ich glaube (1´30 „wohlstand ist die Zukunft“) > RAABE
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ulf kallscheidt 3.wav
Es gibt ganz tolle Flecken hier. // Die Stadt hat sich in der letzten Krise – hat
die hier fast nichts abbekommen. Das hat damit zu tun, dass nach der
Wende/....Also es haben sich Unternehmen ausgegründet, neu gegründet
oder was übernommen von der Treuhand oder wie auch immer und die
Unternehmerinnen und Unternehmer, die haben quasi 15 Jahre das gleiche
Paar Schuhe getragen, weil sie das ganze Geld, was die verdient haben, da
immer wieder reingesteckt haben. Ganz langsam, ganz stetig gewachsen.
Und das sieht man dann eben im Gewerbesteueraufkommen. Also wir haben
so ganz klamm heimlich haben wir hier die Hoheit übernommen: Platz 1 im
Osten und haben einige gleich große Städte im Westen auch überholt. Ich
habe jetzt mal kürzlich gehört....., dass die meisten Einkommensmillionäre,
pro Kopf Einwohner, im Osten auch hier leben.
Sprecher 1:
Nur die Gesündesten und Kräftigsten
haben Aussicht auf eine Stelle im Autowerk Popp.
Über Atmominos Eigenschaften wird eine dicke Mappe angelegt.
Atomino fragt:
„Bin ich jetzt eingestellt?“
pro chemnitz ss.wav
rede abstrakt ss.wav
die linken ss.wav
jan kummer 13.wav
Das Spektrum ist ja recht breit. In Chemnitz gab es ja auch eine -
Einheitsfront zwischen ultrakonservativ bis hin zu - faschistisch oder
nationalsozialistisch. Da gab es ja hier einen Zusammenschluss – rechts im
weitesten Sinne. Das eigentlich spannende war eben, als mal kurz nach
außen sich zeigte, dass es auf der rechten politischen Seite da wirklich keine
Scheu gab miteinander in Kontakt zu treten und sich zu zeigen auch.
Der Bachmann und sein Kollege Döberitz, die passen in keine Partei. Die
werden irgendwann auch mal wieder beiseite geschoben von den Profis aus
der AFD. Aber zur Zeit sind se halt, würde ich mal denken, nützliche Idioten
und Straßenlatscher.
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.
jan kummer 14.wav
Dritte Reihe bei diesen Demonstrationen, wo eben zum Teil ganz normale
Bürger mitstanden – wo dieser Ekelfaktor zu schwach ausgeprägt war. Die
Nazi-Aktivisten, die gibt es in Ost und West. Hier war das gefährliche, dass da
eben uch irgendwelche relativ bürgerlichen Leute gesagt haben “och, nu mein
Gott” -, dass es hier weniger Scheu gibt sich dazu zu stellen.
Musik: AG Geige > 9 das scheusal (trickbeat)
ATMO Galerie
jan kummer 15.wav
Da male ich einen Arbeiter. // Ich male ja gerne Arbeiter, ne. Gerade wenn
das Wetter so ist, man guckt so raus und sagt sich, wo will man am
wenigstens sein: in der Arbeiterklasse //... bei so schönem Wetter
(parallel)
Sprecher 2:
Die durch die Zeitdauer gemeßne Verausgabung der individuellen
Arbeitskräfte erscheint hier aber von Haus aus als gesellschaftliche
Bestimmung der Arbeit selbst.
Die Arbeitszeit spielt also eine doppelte Rolle.
Ihre gesellschaftlich planmäßige Verteilung
regelt die richtige Proportion der verschiedenen Arbeitsfunktionen
zu den verschiedenen Bedürfnissen. Andrerseits dient die Arbeitszeit
zugleich als Maß des individuellen Anteils des Produzenten an der
Gemeinarbeit und daher auch
an dem individuell verzehrbaren Teil des Gemeinprodukts.
Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten
und ihren Arbeitsprodukten bleiben hier durchsichtig einfach
in der Produktion sowohl als in der Distribution.
jan kummer 15.wav
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in der Fabrik, wo viel Öl fließt und es riecht streng // und man arbeitet an so
einer Maschine, da will man eigentlich nicht sein. Und das macht dann auch
ein bisschen demütig. // Ja, grundsätzlich male ich gerne arbeitende
Bevölkerung.
Mal gucken, // bis jetzt bin ich eigentlich ganz zufrieden. Ist wirklich ein
Mensch, der in seine Arbeit vertieft ist // an einer ganz alten, schruntigen,
öligen Maschine // die ein paar schöne Teile hat, die so orange glänzend so
eine gewisse Zuversicht verbreiten.
Sound: STECHUHR
Sprecherin 1:
Bildbeschreibung Arbeiter 2:
Arbeiter im Blaumann // hier dunkelbraun // weißes Hemd und schwarzer
Schlips // korrekter Haarschnitt // gründlich gegelt // vor der öligen Maschine //
in öligem Tun //
Sound: STECHUHR
Musik: AG Geige > 11 perfekte welt
jan kummer 42.wav
naja, weil die Arbeit immer seltsam verklärt wurde in letzter Zeit // am
extremsten fand ich das auch so ums Jahr 2000 rum, wo ständig von Start-
Ups die Rede war, // von coolen Arbeitsstellen. Wo noch jemand zum Nacken
massieren auf Arbeit kommt // und die sitzen dort alle auf solchen lustigen
Sitzbällen rum // und haben einen Spaß auf Arbeit. Die wollen gar nicht nach
Hause gehen usw., wo ich dachte, um Gottes Willen, // wo wird denn das
hinführen. Diese Begeisterung, ausgebeutet zu werden sozusagen, ne ...... //
Musik: AG Geige > 11 perfekte welt
Atmo Galerie.wav.
ulf kallscheidt 4.wav
Der Arbeiter hier, der ist so sächsisch blass vielleicht. Der ist ja Mitte 50
ungefähr und trägt einen Schlips an der Maschine. Also entweder das ist ja
schon der Vorarbeiter oder der Werksmeister, .... oder auch nicht oder ist es
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jetzt der Arbeiter, der hier auch gut gekleidet ist. Die Arbeiter sehen ja alle gut
aus auf deinen Bildern.
jan kummer 16.wav
Kummer: Ich weiß nicht in welcher Gesellschaft du aufgewachsen bist?
Kallscheidt: in deiner ....
Kummer: Ich kenne Menschen, die auf Arbeit gehen, die haben sich was
Ordentliches angezogen. Und ich kenne auch ganz viele aus der älteren
Generation, wenn die auf Arbeit gegangen sind, haben die sich ganz
selbstverständlich nen Schlips umgelegt.
ulf kallscheidt 5.wav
Bei dem Bild „die Erzmaschine“, das war einfach auch ein Auftrag in dem
Sinne, dass ich eben gesagt habe, es gibt eine Ausstellung und ich möchte
dich da gerne dabei haben und da das Thema die Arbeit ist und die Wismut,
die haben in Spitzenzeiten über 100.000 Leute irgendwie gehabt.
wismut geschichte.wav
Da passt das einfach ganz toll zusammen. Sind auch die 50er Jahre, die da/
oder 60er, die so prägend waren für die Wismut und da ist mir kein besserer
eingefallen als der Jan Kummer, den da anzustacheln.
jan kummer ach ja die WISMUT.wav: Ach ja die WISMUT
Sprecher 1:
Am nächsten Tag ist auch Atomino im Strom der Arbeiter,
die zur Fabrik drängen. Das Arbeitstempo ist zu groß.
Wer´s nicht schafft, wird entlassen.
Aber Atomino ist begeistert. Mit viel Schwung beginnt er seine neue
Aufgaben. Atomino arbeitet ohne Pause.
Musik AG Geige > 4 elektrische Banane
Christoph Tannert 1.wav
Der Busbahnhof in Karl Marx Stadt war insofern ein Knotenpunkt, weil dort all
diese merkwürdigen Ikarus-Busse, die in Ungarn gefertigt worden waren, wie
die Zigarren da in ihren Haltestellen lagen // und insbesondere im Winter
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lange bevor sie überhaupt in Gang gesetzt wurden, schon unendliche gifte
Rauchschwaden aussandten.
Musik AG Geige > 4 elektrische
Sprecherin 1:
Christoph Tannert, Zeitgenosse und Kurator.
wismut geschichte.wav
Christoph Tannert 2.wav
Aber wenn ich mir vorstelle, dass die Wismut-Arbeiter nach dieser
schrecklichen Busfahrt noch irgendwie ins Bergwerk mussten, das war mir
völlig unvorstellbar // besonders grausam im Winter, wo natürlich die Straßen
auch nicht freigeräumt waren, // weil es schneite quasi immer und immer,
wenn es schneite, war keine Räumung möglich // und dann fielen die Busse
entweder aus und standen da weiter an der Stelle, wo sie standen oder sie
quälten sich über diese Bergstraßen.
jan kummer ach ja die WISMUT.wav
Ach ja die WISMUT.wav
Musik AG Geige > 4 elektrische
Christoph Tannert 3.wav
Ich wusste von meinem Vater, dass in den 50er Jahren Dissidenten mit dem
Zwang zur Arbeit ins Bergwerk eingewiesen wurden. // Also das war eine
Strafe. Insofern hatte ich höchsten Respekt vor diesen Arbeitern, die das
dann freiwillig taten. //
Sprecher 1:
„Sehr schön!“ Unternehmer Popp ist begeistert von Atomino.
Das Arbeitstempo ist unerträglich.
Und dennoch läßt Popp das Fließband schneller laufen.
6 wir lebenden > trickbeat
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ulf kallscheidt 6.wav
Kallscheidt: Und hast du eigentlich schon erzählt, wo du die Ideen daher
hast, die Vorlagen.
Kummer: Das darf ich natürlich nicht erzählen. Habe ich mich da
verplaudert?
Kallscheidt: Ja, du hast dich mal verplaudert.
Kallscheidt 6.wav (aufgetrennt):
wir waren in Köln z.B. zur Messe und dann waren ganz viele Westdeutsche,
die kannten den sozialistischen Realismus nicht. Und die haben gedacht –
genau - also das ist doch sozialistischer Realismus, wie er in der DDR immer
gewesen sei. Also bitte schön! Der Kummer malt keinen sozialistischen
Realismus. Ganz und gar nicht.
jan kummer 21.wav
Ich bin erstaunt, dass das relativ wenig dargestellt wird. Menschen bei der
Arbeit - Wahrscheinlich verbrannt durch den sogenannten sozialistischen
Realismus. //
wismut geigerzähler.wav
Christoph Tannert 4. wav:
Wenn ich dann in den 70er/80er Jahren die sozialistischen Kunstwerke, all
diese mit so viel Optimismus gepinselten großen Tafelbilder fröhlicher
Bergarbeiter und heiterer Bauern im Feld sehe, // dann ist das also so eine
eklige Sonnen beschienene Aufsockelung, // die nichts, aber auch gar nichts,
// mit der Dunkelheit des Alltags zu tun haben.
Musik AG Geige: 12 yachtclub und buchteln
jan kummer 20.wav
Mein Vater hat bei der Wismut gearbeitet. Allerdings im arbeitschemischen
Rechenzentrum der Wismut in Niederdorf bei Chemnitz. Er musste in seinem
Berufsleben nur ganz selten mal in den Schacht hinein und wenn, dann mit
irgendeinem Messgerät, um die Uranstrahlung zu messen. Ansonsten war er
schön in seinem Forschungsinstitut und ganz frühe Computertechnik:
Lochkarten, Computer usw., die er dort betätigt hat. //
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Und dann gab es hier in der Stadt – das Wismut Kaufhaus // war ich als Kind
z.B. auch und da gab es so verschiedene Verkaufsstellen - und den
berühmten Deputatschnaps.
Rilo: Kumpeltod.
Kummer: Ja, ja, der mich dann/ als ich älter wurde, dann immer mehr
interessiert hat, den haben tatsächlich nur die Leute gekriegt, die unter Tage
waren.
Musik AG Geige: 12 yachtclub und buchteln
Rilo: 32 %.
Kummer: So ein Weißkittel wie mein Vater hat leider keinen Deputatschnaps
bekommen. // Der Deputatschnaps war schwer zu konsumieren. // nur die
ganz Harten, die haben den Kumpeltod auch so pur genossen.
Sprecher 1:
Die Arbeiter sind am Ende ihrer Kräfte.
„Schluß mit dem Wahnsinn, der Popp reich macht!“
Die Arbeiter legen die Arbeit nieder. Atomino arbeitet jedoch weiter.
„Wenn alle Arbeiter zusammenhalten, Atomino,
sind wir viel stärker als Popp“.
Wenn die Arbeiter wollen, stehen alle Räder still!
Das muss auch der Kapitalist Popp einsehen.
Musik AG Geige: 1 eine Frikadelle (orgel-präludium)
frank bretschneider 2.wav
Es war nie gedacht, dass es eine Popband oder Popmusik machen - oder
irgendwie so was. // Sondern wir kamen aus der bildnerischen Kunst
Sprecherin 1:
Frank Bretschneider: Gründungsmitglied der AG-Geige, Musiker,
Komponist, experimenteller Filmemacher.
und die Einflüsse waren auch ganz anders. Es war viel improvisierte Musik.
Ein großer Einfluß war Laurie Anderson damals mit ihrer live-Show „USA“.
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Und auch diese Art von Performance mit Dia-Projektionen, Filmeinspielungen.
Das war’s, was wir wollten.
Stasi-Zitat > Sprecher 1:
27.2.1987 Abteilung XX / 931:
Mitglieder der AG Geige:
Bretschneider, Frank
Kummer, Jan
Kummer, Ina
Eckhardt, Torsten. Karl Marx Stadt.
Musik AG Geige: fischleim
frank bretschneider 2.wav
als wir uns dann entschieden hatten wirklich live zu spielen, war das Problem
der Bühnenpräsenz. // Und da war die Verkleidung einerseits eine Referenz
an die „Residents“, die kalifornische Kunst-Band, die nur kostümiert auftraten.
// Auf der anderen Seite war es auch ein Schutz für uns selbst: einfach eine
Maske aufzusetzen – dann ist man vom Publikum isoliert. //
Stasi-Zitat > Sprecher 1:
14.3.1988 Abt. XX / 5
Gespielt wird elektronische Musik eigener Komposition und meist
eigenen Texten. Keiner der Musiker kann Noten lesen
Musik AG Geige: 11 die Waldschleiereule
christoph tannert 5.wav
Von der AG-Geige habe ich erstmalig erfahren, als die Tapes, die Frank
Bretschneider in Karl Marx Stadt produziert hat über das Label Klangfarbe in
die Welt kamen. // Das waren kleine DDR-Orwo-Kassetten mit sehr schönen
siebgedruckten Labels,
die mir die Band zu Gehör gebracht haben und das war so 1986/87 mit Yacht
Club und Buchteln // Und da dachte ich, holla, // was für ein merkwürdiger
Aufruhr da aus dem Vorerzgebirge mit dieser wirklich intensiven,
spielerischen, heiteren, dadaistischen Perspektive. Das war in der DDR völlig
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neu. Ich dachte, ich traue meinen Ohren nicht, was da aus Karl Marx Stadt
kommt. Gesehen habe ich sie, ich glaube, 1989 in Karl Marx Stadt.
Stasi-Zitat > Sprecher 1:
10.2.1988 Abt. XX / 7
Bretschneider hatte 1987 eine Tonbandkassette der AG Geige an DT 64
geschickt, worauf mit ihm im Herbst 1987 ein Interview gemacht wurde
und mit Musikausschnitten im Rundfunk zur Sendung kam.
Gez.
Major Lermer
Pa-rock-tikum 1.wav und 3.wav
Musik: AG GEIGE: frühstart
Musik: AG GEIGE: 12 trombonen
jan kummer 22.wav
Es gab ja auch noch kein Internet, .... dass die Leute sofort gesehen hätten,
dass wir versucht haben auf mehreren Ebenen zu arbeiten. So hatten wir
Glück, dass wir im Rundfunk stattfanden. Das war ein großes Glück. Aber
irgendwelche Filme - und die Bühnenkostüme - das konnten wir im Radio
nicht zeigen, logischerweise. //
Musik: AG GEIGE: 12 trombonen
christoph tannert 7.wav
Also die haben mit der DDR-Realität gespielt und sie auf eine wunderbare Art
und Weise blödsinnig überholt // bzw. den Tagesblödsinn in ihren Texten und
dem elektrischen Unterfutter aufblitzen lassen.
Sprecher 1:
2.2. 1989
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Berlin
Abt. XX
Die Zielgruppe der Band sind Jugendliche und Jungerwachsene mit
ungefestigten und/oder alternativen Persönlichkeitseigenschaften.
Texte, die den Charakter der Verletzung der Straftrechtsnorm des § 220
(1) StGB besitzen, sind unserer DE bisher im Zusammenhang der o.g.
Gruppe nicht bekannt geworden.
gez.
Oberstleutnant Heß
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Musik: AG GEIGE: ZICK ZACK
frank bretschneider 5.wav
Jede Band, jeder der öffentlich aufgetreten ist in Ost-Deutschland - egal ob
das Zauberkünstler waren oder eine Musiktruppe, der brauchte ne´Prüfung, //
Und wir konnten ja gar nichts.
jan kummer 23.wav
ja, ja, so ohne irgendein Papier kann man natürlich in solchen Systemen, wie
es die DDR damals war, nicht einfach so auftreten und die Jugend verderben.
frank bretschneider 5.wav
Und da war ne normale Einstufung-Kommission, die konnten damit einfach
nichts anfangen. Och mit den Noten.
frank bretschneider 6.wav
...... „VOLKSKUNST-KOLLEKTIV”. Das war so die unterste Stufe irgendwie,
dass man überhaupt öffentlich auftreten durfte.
jan kummer 24a.wav
Egal, ob man vor über 2.000 Leuten oder vor 20 Leuten gespielt hat, man hat
diese 300, wenn ich mich richtig erinnere, DDR-Mark bekommen und da gab
es nicht mehr und nicht weniger.
Stasi-Zitat > Sprecher 1:
13.3.1987 Abt. XX 931
Bericht des IM Klaus Leim:
Am 27.2.87 fand im PNC (Pablo Neruda Club) die Einstufung der Ag
Geige statt. Großes Publikum (“eine Horde von Irren, Möchtegerne-
Künstlern, Punks, aber auch bildende Künstler”). Auftritt mit Art
kabarettistischen Programm .... B. äußerte, daß Einstufung
höchstwahrscheinlich nicht geklappt hat. Kommission habe verlangt,
daß die Texte an das Stadtkabinett für Kulturarbeit zur Begutachtung
eingeschickt werden. Kein Gedanke an Auflösung .. wollen wie bisher
weiter machen.
Musik AG Geige: 2 leysegang und ich
Christoph Tannert 9.wav
Entscheidend war zum Zeitpunkt um Mitte der 80er Jahre, mit allem
möglichen greifbaren und auch Loops und Wiederholung // und Einspielung
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und Rückspielung // und aufgesprochenen und geräuschvollen Perspektiven
zu spielen. // (mit dem sindesaiser ...)
Christoph Tannert 10.wav:
Gleichzeitig auf einem technischen Niveau, // wo man nicht gleichziehen
konnte mit dem Equipment im Westen, weil ein Korg-Synthesizer kostete
irgendwie 10.000 Ostmark. //
Musik AG Geige: 2 leysegang und ich (raabe)
Stasi-Zitat > Sprecher 1:
14.3. 1988 Abt. XX / 5
Die elektronischen Instrumente haben sie sich über Announcen in
Melodie und Rhythmus gekauft. Jan Kummer hat von seiner BRD-Reise
mit dem Schauspielensemble 1986 einen Syntheziser mitgebracht, den
er dort gekauft hat von dem Tagegeld.
Bretschneider hat sich die technischen Möglichkeiten geschaffen, auf
einem Metalltonband ein sogenanntes Urband zu produzieren. Von
diesem Urband kann er dann weitere Duplikate auf normale
Tonbandkassetten produzieren.
Bretschneider verkaufte die bespielten Kassetten bisher zum EVP von
20,- M.
gez.
Major Lermer
Musik AG Geige > 13 zwischen den
jan kummer 25.wav
Frank: Wir waren happy mit dieser Nische, die wir gefunden haben.
Jan: jo, jo - das ist eben in solchen Systemen manchmal ganz lustig.
Musik AG Geige > 13 zwischen den zeilen / raabe
es gibt beides - es gibt natürlich auch dieses „Geld spielte keine Rolle“ -
absoluten Fixkosten wie Wohnungsmiete oder ein Brot - das hat halt nicht viel
gekostet.
Musik AG Geige > 13 zwischen den zeilen
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Sprecher 1:
10.2.1988 Abt. XX / 7
Es ist ein politisch operativer Maßnahmeplan zu erarbeiten.
Gez.
Major Lermer
Musik AG Geige > 13 zwischen den zeilen
frank bretschneider 7.wav
Jan: Bei uns wäre es die Frage gewesen, wenn es noch ein paar Jahre
länger gegangen wäre, // dann hätte wahrscheinlich die Armee bei mir
angeklopft. Da hatte ich schon alles getan um das zu verhindern. Frank
hatten sie auch schon so ein bisschen auf dem Kieker staatlicherseits … //
Musik AG Geige > 13 zwischen den zeilen / raabe
Frank: das haben wir damals nicht gewusst. Da gab es Akten. Ich war so
naiv, // ich habe gedacht, das stimmt alles überhaupt nicht. Alles Käse.
Das ging schon los, als wir dann bei der staatlichen Plattenfirma AMIGA
unsere erste Platte gemacht haben. // Wo man dann so überlegen musste -
also jetzt bist du eigentlich so in diesem System angekommen // - bei ner
staatlichen Plattenfirma ne Platte machen - wie soll denn das weitergehen? //
Aber dann war ja sofort der Mauerfall da. Und da hat sich das erledigt für uns.
Sprecher 1:
Bis jetzt hat Atomino noch nichts begriffen von den Sorgen und Nöten,
denen die Arbeiter im kapitalistischen System ständig ausgesetzt sind.
Musik AG Geige > 16 ich glaube
frank bretschneider 8.wav
Wir haben ja dann gesehen, welche Ansprüche an eine erfolgreiche Band
gestellt werden, wenn du im Westen spielen willst. // Wir hatten ja auch
teilweise gespielt in der Schweiz, in Frankreich. Ne BRD-Tournee. //
Und dann gab es da die ganzen Wirrnisse.... // Was machst du denn jetzt - mit
der Band haben wir ja nie Geld verdient. Es war kein Beruf oder Broterwerb. //
Jan und der Olaf, die haben einen Plattenladen aufgemacht.
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frank bretschneider 9.wav
Jan: na ja, also das ist - eine Umbruchsituation. // man schwebte absolut im
freien Raum. //
Frank war mal in einer Werbeagentur. // Die Zeit hätte er sich vielleicht sparen
können oder wollen ....
Frank: ich habe gut Geld verdient. // Das war schon toll. Ich habe mir
Equipment gekauft ohne Ende (lacht) // da habe ich alles nachgeholt, was
man vorher vermisst hat.
Musik AG Geige > 15 yachtclub und buchteln (konsum)
jan kummer 26.wav
so eine gemäßigte Diktatur, wie es die DDR war - bietet halt auch immer
speziellen Humor. // Das steckt so drinnen // ...... über die westdeutsche
Demokratie kann man gar nicht so viel lachen wie man über so ernste
Volkspolizisten lachen konnte.
Oder diese ganze Propaganda, die dann manchmal eher unfreiwillig komisch
war und die Texte, die so verfasst wurden. Die Staatsoberhäupter Walter
Ulbricht oder Erich Honnecker - Das waren so kleine Spießer. Da wächst
auch irgendwie ein Humor drauss.
Musik AG Geige > 15 yachtclub und buchteln
jan kummer 27.wav
In solchen Gebilden - wie eben uch die DDR - ist man als Künstler auch
immer unglaublich wichtig gewesen. // Jedes Wort wurde auf die Goldwaage
gelegt.
Musik AG Geige > 15 yachtclub und buchteln (konsum)
Die konnten mit — so einer Andeutung einen Saal in ihren Bann ziehen - so
eine politische Andeutung // Auch das hat mitunter was Kurioses eben. //
Auch das hat sich dann völlig verändert mit dem Zusammenbruch der DDR:
dann waren da plötzlich die Mimen dann plötzlich auch ganz normale
Entertainer, die die Leute unterhalten müssen.
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Musik AG Geige > 15 yachtclub und buchteln
atmo dekaden. wav (im CLUB)
jan kummer 28.wav
Das Atomino gibt es seit 1999. Da standen diese Bar-Räumlichkeiten zur
Verfügung // wir haben die dann noch um einen Saal erweitert. Das war eine
leerstehende Fabrik. Och wieder so typisch 90iger Jahre. Da haben wir einen
Konzertsaal drin gehabt und unten ne Bar. Und alles andere war im Großen
und Ganzen ne leerstehende – typischweise Textilfabrik. Und das war der
Beginn vom ATOMINO.
atmo dekaden. wav (im CLUB)
ulf kallscheidt 7.wav
Es gab ja ganz viele offene Fabriken, wo kein Mensch mehr drin war und
dann ist man dort durchgelaufen. Da lag dann die aufgeschlagene Zeitung
und der Kaffeebecher. Die sind also einfach aufgestanden, wie so nach nem
radioaktiven Ding, nach so einem O.... //
Rilo: Overkill.
Das war faszinierend - wie inszeniert war das alles. Dabei war das bitterer
Ernst, dass hier jemand reingekommen ist, ab jetzt Schluss, Feierabend,
Insolvenz. //
atmo dekaden. wav (im CLUB)
jan kummer 29.wav
Der Name ATOMINO hat uns schon immer gefallen. Und ich habe gemerkt,
der ging mir nie auf den Wecker. // Atomino tauchte immer in Comic-Strips auf
in der sozialistischen Kinder- und Jugendzeitschrift „FRÖHSI“ – “fröhlich sein
und singen”. . // mit Atomino und Smeraldina. Atomino ist so ein liebenswerter
Atomkern, der auch so ein bisschen naiv ist und über große Kräfte verfügt.
Jedenfalls fand ich es immer sehr schön – so diesen Atomkern mit Beinen
und Armen und nem Kopf // - der so als liebenswerte Figur – da so die
Atomkraft - darstellt. In den falschen Händen eine große Gefahr - in guten
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Händen nur segensreich für alle. Ein Vorbild für alle. Deswegen - um dieser
Figur zu huldigen, hat das ATOMINO den Namen.
dekaden musik aus dem club ff stampfend
jan kummer 30.wav
Man erkennt Westdeutsche immer daran, dass die sagen ATOMINO //
während der Ostdeutsche mit gewissen Comic-Kenntnissen, der sagt
selbstverständlich ATOMINO. Und durch diesen Trick können wir sofort
registrieren, ob jemand aus dem Westen Deutschlands kommt, oder aus dem
Osten Deutschlands. // Das ist Atomino.
Sprecher 1:
Von nun an ging Atomino als einziger zur Arbeit in die Fabrik.
Er begriff überhaupt nicht, dass er damit den Arbeitern in den Rücken fiel
und ein richtiger Streikbrecher war.
Atomino sieht nur das Geld. Mit einem Riesengeschenkberg kommt er zu
Smeraldina. Sie freut sich zunächst riesig.
Mit dem neuen Auto fahren Atomino und Smeraldina durch die Stadt.
Ihr Weg führt sie auch bei der Firma Popp vorbei.
Die Arbeiter erzählen Smeraldina, wie sie von Popp ausgenutzt werden
und warum sie streiken. Empört verläßt Smeraldina das Auto:
„Und du hilfst Popp? – Daher das viele Geld! Da nimm deine Geschenke
zurück! Atomino ist ein Streikbrecher, dass hätte ich nie von ihm gedacht“,
sagt Smeraldina.
ATMO Galerie.wav
jan kummer 35.wav
Das sind ja alles Leute bei der Arbeit.
Sohn des Galeristen: Ja, also -
ich würde eher diese/ ich weiß nicht, was es ist,
Sound: STECHUHR
Sprecherin 1:
Bildbeschreibung Arbeiter 3:
Arbeiter im Arbeitskittel // schönes, helles Braun // dunkle Haare -
Kurzhaarschnitt // schwarze Maschine - weiße Masse // tubige Öffnung -
weißes Würstchen // fällt in braunen Holzbottich //
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rosa ist der Hintergrund //
Sound: STECHUHR
irgendeine Crememaschine oder was das sein soll, da würde ich arbeiten.
Kummer: Was kommt denn da raus?
Sohn des Galeristen: Sahne oder so was ....
Kummer: Da braucht man natürlich verantwortungsvolle Leute, die jetzt nicht
sofort den Finger in den Trog stecken.
Sohn des Galeristen: Ja, immer so einen kleinen Löffel, so, aber eben alles
wieder schön verstreichen, damit man es nicht sieht und ja, also vielleicht ist
es auch so eine Art Vorkoster, .... aber ich würde dort gerne einmal arbeiten.
Sprecher 1:
Traurig geht Atomino davon und trifft Popp, der ihn schon sucht.
Doch Atomino denkt an Smeraldinas Worte und sagt zu Popp:
„Ich bin kein Streikbrecher mehr, verstanden?“
Die Arbeiter staunen sehr, daß Atomino jetzt zu ihnen gehört.
Sie beraten, wie sie sich gemeinsam gegen Popp wehren können.
Musik AG Geige > 2 zeichen und wunder
jan kummer 36.wav
dessen bin ich mir bewusst (umstellen) // - (lacht) das hat was
Anachronistisches - aber da fühle ich mich halt wohl. // Das ist so mein
kleines Jäckchen, was ich mir da so überhänge - dazu stehe ich! Avantgarde
ist es nicht!
Da kann man mal sehen, was ich für ein Spießer bin - ist doch schön - ne -
oder?
Musik AG Geige > 2 zeichen und wunder
ich habe da so ein Faible für 50iger, 60iger Jahre ... so eine seltsame Welt. //
Ich muss gestehen, ich habe z.B. eine seltsame Angewohnheit: wenn ich in
Hamburg bin, gehe ich immer // ich weiss gar nicht, wie der Platz heisst – da
ist so ein großes Antiquariat. Und dort kaufe ich immer Zeitschriften aus den
50iger, 60iger Jahren aus der Bundesrepublik, und das taucht dann in den
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Bildern auf.
(parallel)
Sprecher 2:
Könnten die Waren sprechen, so würden sie sagen,
unser Gebrauchswert mag den Menschen interessieren.
Er kommt uns nicht als Dingen zu.
Was uns aber dinglich zukommt, ist unser Wert.
Unser eigner Verkehr als Warendinge beweist das.
Wir beziehn uns nur als Tauschwerte aufeinander.
Ansonsten beobachte ich mich selber mit Argwohn // das zieht mich magisch
an. Diese ganzen Lebensbereiche, diese schöne Werbung // und diese
hölzernen Geschichten da drinne so – ja schön.
Musik AG Geige > 2 zeichen und wunder
Sprecher 2:
Man höre nun,
wie der Ökonom aus der Warenseele heraus spricht:
"Wert" - ist Eigenschaft der Dinge,
“Reichtum" - ist Eigenschaft des Menschen.
Wert in diesem Sinn schließt notwendig Austausch ein,
Reichtum nicht.”
jan kummer 37.wav
einfach auch um mal so ein bisschen ein Gefühl zu bekommen, wie war denn
das in dieser behaglichen Bundesrepublik, wo man ewig Sozialleistungen
bekommen hat, // wenn man die Arbeit verloren hat und wo alles mit
Verständnis betrachtet wurde und im Grunde genommen ... // es auch immer
aufwärts ging eine ganze Weile.
jan kummer 38a.wav
in dem gemütlichen rheinischen Kapitalismus, wie er während der
Bundesrepublik eben Jahrzehnte dominierte, //
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jan kummer 39a.wav
Durch diesen Stress, // den es speziell auch in Sachsen gibt, zwischen rechts
und links, // wo eigentlich alles im Begriff ist, so ein bisschen ins Rutschen zu
kommen. Dieser Riss, der durch die Gesellschaft geht, Also das ist nicht so,
dass man in so einer Komfortzone sich befindet, // nur weil man ein Demokrat
ist. // Und das war eben für mich immer so die gute alte Bundesrepublik, wo
sich alle einig waren, so, der Demokrat, das ist ein netter Mensch, // das ist
ein guter Bürger und der weiß, was sich gehört, // das hat irgendwie Risse
bekommen, ja, und ich kann das nur so vom Osten aus sehen. // Ich weiss
nicht, ob das im Westen auch immer schon ein bisschen verlogen war //
Da wird natürlich dann in diesen etwas überhitzten Zeiten auch wieder
schärfer der Fokus auf Kunst und Kultur gelegt. //
Das kommt einem manchmal eben so im Ansatz vertraut vor, // wenn man
aus einer Diktatur kommt, //
Musik AG Geige > 2 zeichen und wunder / trickbeat
jan kummer 40a.wav
Rilo: kann es sein, dass Sie noch mal zur Bürgermeisterin müssen? oder zur
Polizei?
Jan: weder noch. Das ich jetzt mal auf die Uhr geblickt habe, das war nur
KONTROLLBLICK - dass ich nicht völlig aus der Zeit falle. // Die Gefahr
besteht ja immer - zumal die Uhr, auf die ich gerade gucke, eine RUHLA-
Digital-Uhr ist. Ostdeutsches Fabrikat // - das war ne Uhr, die damals nur die
größten Idioten hatten zu DDR-Zeiten. Da hat die DDR versucht, Digitaluhren
herzustellen. Die wollten modern sein – nach meinem Eindruck hatten das nur
FDJ-Funktionäre und Parteisekretäre – haben so ne Uhr gekauft. Aber
ansonsten hat doch keener – en Teenagervgleich gar nicht. Diese Looser-Uhr
wollte ich dann nach der Wende unbedingt nachkaufen. Jetzt wo das System
besiegt war .... //
2 zeichen und wunder / trickbeat
Und auf die habe ich jetzt gerade geguckt. Schon ist man vom Thema
abgeschwiffen. Und liebe Radiohörer: nicht 3´55 in der Frühe - nein 3´55
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nachmittags, keine Sorge!
Rilo: danke, Herr Kummer!
Kummer: gern.
Musik: AG GEIGE > Bubu im Käfig
Sprecherin 1:
Kummer. Kunst. Karl Marx Stadt.
eine Porträt-Collage
von
Rilo Chmielorz
mit
Jan Kummer,
Frank Bretschneider,
Ulf Kallscheidt,
Christoph Tannert
und
Henry Kallscheidt
es sprachen:
Eva Brunner
Robert Meller
Christian Schmidt
Ton und Technik:
Norbert Vossen
Johanna Fegert
Kanggestaltung und Regie:
Rilo Chmielorz
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Redaktion:
Walter Filz
eine Produktion des Südwestrundfunks mit dem Deutschlandfunk, 2019
jan kummer 41.wav
Es gibt ja arme Menschen, die schneiden dann Stunden von Material
zusammen und machen daraus ein Radio-Feature.