Auf der Saitenstraße Loreena McKennitt in der Jahrhunderthalle Frankfurt FRANKFURT. Es heißt, dort beginne die Ewigkeit, wo sich zwei parallel verlau- fende Linien berühren. Was scheinbar so unmöglich scheint: Mit Linien – was ja letztlich auch Straßen, Flüsse, Saiten sein können – hat die Wirklichkeit viele Beispiele, dass es immer wieder Wege in die Ewigkeit gibt. Brian Hughes an seinen Gitarren, der Oud und der Bouzouki, Hugh Marsh an- der Violine streichen zwei solche paralle- le Linien mit ihren Saiteninstrumenten und der Berührungspunkt ist dort, wo Loreena McKennitt die Töne in ihrer el- fengleichen Stimme bündelt und sie in Klangkaskaden in den Raum ergießt. So ist denn das Konzert der kanadischen Bardin mit ihrer Band am Montag in der ausverkauften Jahrhunderthalle Frank- furt eines für die Ewigkeit: weil sich über dem basslastigen Fundament von Ben Grossman (Hurdy Gurdy) und Tim Land- ers (Bass) die beiden Eckpunkte Hughes und Marsh – jener mit Unterstützung von Caroline Lavelle am Cello und Sokratis Sinopoulus mit Lyra und griechischer Laute – mit ihren Saitenspielen immer wieder aufeinander zu bewegen, obwohl jeder der beiden für sich selbst in Harmo- nie versinkt und eine Klanglinie von nachhallender und nicht endend wollen- der Schönheit zeichnet. Neun Jahre nach ihrer grandiosen »Book-of-secrets«-Tour also ist die im Februar 50 Jahre alt gewordene Har- fenistin, Pianistin und Akkordeonspiele- rin Loreena McKennitt wieder auf Kon- zertreise. Nach dem Titel ihres neuen Al- bums »An ancient muse« beschreitet sie – nach mehreren Todesfällen in der Fami- lie und dem darauf folgenden Rückzug ins Private – nun den Weg auf der aus Sagen gewobenen und Kulturen verbin- denden Seidenstraße aus dem Nahen in den Fernen Osten: aus dem Nichts der seelischen Leere mit fein gesponnenen Mythen und Märchen in die Unendlich- keit der Klangwelten und selbst bei den stillen Passagen vom lebensmutigen Dur geprägt. Und obwohl die Kulisse der aktuellen Tournee der nahezu eine Dekade zurück- liegenden bis ins Detail gleicht – sogar die Musiker haben wieder ihre Plätze auf der Bühne –, ist »An ancient muse« als Ge- samtkunstwerk doch in sich geschlosse- ner, geradliniger, stringenter. Das be- gründet sich vor alle in dem größeren Freiraum, den McKennitt ihren neun Mitmusikern lässt: Die Kompositionen geraten so im Live-Spiel nicht zuletzt durch den wuchtigen Einsatz der Schlag- werke – Tal Bergman, Rick Lazar und Do- nald Quan an den Trommel und Perkus- sions-Batterien – energetischer, körper- betonter, im ursprünglichen Wortsinn die Saiten der Empfindungen berühren- der. Und doch ist es letztlich die Komponis- tin, die die Linien der Musik und der da- rin verborgenen Philosophie zusammen- führt: die Zeitlosigkeit keltischer, osma- nischer und maghrebinischer Rhythmen mit indianischem Schamanengesang, eu- ropäischem Barock und Metal-Beat eint und so eine universelle Mäanderland- schaft schafft, in der einem lebenden Or- ganismus alles auseinanderfließt und im Saitenspiel und Trommelpuls wieder zu- sammenströmt. So sicher ist Loreena McKennitt sich denn ihres Weges, dass sie nach einem orgiastisch aufbrausenden »The old way« aus einem frühen Album mit einem an Lautmalerei mählich versickernden »Ne- ver ending road« des aktuellen »Ancient- muse«-Albums das Konzert beenden kann – und mit dem Shakespeare-Zitat als Zugabe, alles auf dieser Welt werde zu Staub zerfallen, denn alles Sein sei ver- gänglich. Die Wirklichkeit aber ist manchmal ei- ne ganz andere: Dieser Abend beispiels- weise ist für die Ewigkeit, weil aus der Parallelität von Melodien und Gefühlen ein Gleichklang entstand. Mehr – und das ist selten genug – kann Musik nicht leis- ten. Stefan Reis B Loreena McKennitt: An ancient muse, CD 2006 – Live in Paris and Toronto 1998, Dop- pel-CD (beide (Quinlan Records) Helmut Massenkeil und seine Schwei- ne: Der 1949 in Oberlahnstein ge- borene Künstler lebt und arbeitet seit 1980 in Aschaffenburg. 2006 erhielt der Bildhauer gemein- sam mit seiner Lebensgefährtin Andrea Müller den Kulturpreis der Stadt Aschaffen- burg. In der Johannesberger Galerie Metzger entwirft er derzeit eine Installation in einem alten Schweinestall (oben). Dazu hat der Künstler jede Menge Keramiken in Schweineform in dem Raum ver- teilt (unten). Fotos: Bettina Kneller Schwein(e) gehabt Helmut Massenkeil baut Installation in Galerie Metzger JOHANNESBERG. Schweine, wohin das Auge blickt: Auf dem Boden, in den Trö- gen, an den Wänden des ehemaligen Stalles tummeln sich die Tiere. Mal als gebrannte Keramik, mal als Abdruck auf dem Fußboden oder als Eisenguss: Das Borstenvieh bevölkert das Entrée der Galerie Metzger in Johannesberg. »Pig- Home Home-Pig« nennt der Aschaffen- burger Künstler Helmut Massenkeil sein entstehendes Raumbild, das er anläss- lich des zehnjährigen Bestehens des Kunstraumes vor Ort entwickelt. »Ich will dem Publikum bewusst ma- chen, was das hier mal früher war: ein Schweinestall. Gemauert, stabil, jedem Wetter trotzend, ein Gebäude mit Cha- rakter und einem Gesicht. Heutige Ställe sehen doch alle gleich aus – aus Stahl- oder Kunststoffkonstruktionen. Eben praktisch, aber glatt und kalt. Mit meiner Installation möchte ich auch die heutigen Haltungsbedingungen von Schweinen, überhaupt von Nutztieren, unter einem kritischen Blickwinkel betrachten«, er- klärt der Bildhauer. Massenhaltung in viel zu engen Ställen mit Spaltböden ge- hört heute zur Regel in der konventionel- len Schweinezucht und -mast. Das ist zwar hygienisch, aber meilenweit von der Natur und einer artgerechten Tierhal- tung entfernt, weil die Tiere einem extre- men Stress ausgesetzt sind. In dem Schweinestall von früher war noch Beschaulichkeit angesagt, die Tiere konnten sich bewegen, sich suhlen und Kontakt mit den anderen pflegen, wie sie wollten. Diese Gemütlichkeit konter- kariert Massenkeil mit den vielen kleinen Keramikschweinchen, die auf den Sand- steinmauern hocken, in Kästen einge- sperrt sind und auf Haufen von Bau- schaum sitzen, die sich in den alten Sand- steintrögen auftürmen. Unappetitlich quillt die Kunststoffmasse über den Rand der Tröge – wie krank machende Futter. »Vielleicht färbe ich es giftgrün ein, mal sehen, wie das aussieht«, erläutert der Künstler. Alles ist im Werden, im Entstehen, aber die Grundidee ist schon gut zu erkennen. Weiße Abdrücke von Schweinehälften ziehen sich wie ein selt- sames Muster über den Boden aus ge- brannten Lehmziegeln. Massenkeil hat hierfür Hasenleim mit Champagnerkrei- de vermischt, die er durch eine Schablone malt. Die Rückwand des Stalles ist mit rosa Schweinen bemalt, die sich in rosa- roten Wolken auflösen– Träume von glücklichen Rüsseltieren. »Das Ganze soll subtil wirken, das ist mir wichtig, et- was mit dem Holzhammer vermitteln zu wollen ist nicht meine Art«, sagt er. Als er das erste Mal vor Ort war, wusste er, dass er etwas Anderes, etwas Neues machen musste. »Ich konnte da nicht einfach so mein Zeug reinstellen, dafür war der Raum zu eigen«, erklärt der Künstler. Schweinehälften – rosa, braune, schwarz-weiß gescheckte oder getüpfelte – sind in einer kleinen Holzkiste mit durchsichtigem Deckel eng zusammen- gepfercht: Massenkeils zarter Hinweis auf das knallharte Geschäft mit dem Fleisch der Tiere – und auf deren Leiden- weg bis zum Schlachttag. Von einem Band hört man Grunzen, Kauen, Schnorcheln, Wiehern: tierische Laute, die Massenkeil zu einer eigen- artigen Toncollage verfremdet hat. Selbst die klingen nicht mehr wie in der Natur, sondern wie aus einer Konserve. Und sind zusätzlich ein Verweis auf die ur- sprüngliche Funktion des Ortes. Leise Melancholie macht sich breit, wenn man den Stall betritt. Früher grunzten hier wirklich mal zufrieden Schweine an den Trögen, heute dient der Stall als Galerie- raum. Helmut Massenkeils unaufdring- liche Installation erinnert an die Vergan- genheit des Ortes – ohne die Gegenwart in Frage zu stellen. Bettina Kneller B Eröffnung der Ausstellung am 22. April, 11 Uhr mit einer Einführung von Brigitte Schad. Bis 15. Mai geöffnet jeweils Mittwoch 15 bis 19 Uhr, Samstag 15 bis 17 Uhr, Sonntag 11 bis 17 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung unter 06021/460224; Gang durch die Ausstellung mit Helmut Massenkeil am Mittwoch, 16. Mai, um 18 Uhr. Donnerstag, 15. März 2007 KULTUR KUL02