Klinische Toxikologie – Symptomatik und Therapie von Intoxikationen Pharmako- und Toxikogenetik Dr. Cornelius Heß Institut für Rechtsmedizin Leitung Funktionsbereich Forensische Toxikologie I n s t i t u t f ü r R e c h t s m e d i z i n Institut für Rechtsmedizin
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Klinische Toxikologie – Symptomatik und Therapie
von Intoxikationen
Pharmako- und Toxikogenetik
Dr. Cornelius Heß
Institut für Rechtsmedizin Leitung Funktionsbereich Forensische Toxikologie
I n s t i t u t f ü r R e c h t s m e d i z i n
Institut für Rechtsmedizin
08.06.2016 Seite 2
International Classification
of Disease (ICD 10)
Akute Vergiftung = Vorübergehender Zustand nach Aufnahme von
Substanzen oder Alkohol mit Beeinträchtigung oder Veränderung der
körperlichen und/oder psychischen Verhaltensfunktionen und Reaktionen
• 1991 tödl. Vergiftungen in den USA durch mit Vit. D angereicherte Milch
Vitamin A1
für Differenzierung und Erneuerung von Epithelzellen,
Wachstum u. Reproduktion
Retinol (R=CH2OH)
u. Retinsäure (R=COOH)
08.06.2016 Seite 57
Vitamin A
• Lebertran !!!!
• Wichtig für Wachstum u. Aufbau von Haut u. Schleimhäuten, Blutkörperchen, Stoffwechsel und Sehvorgang (Mangel führt zur Nachtblindheit u. zur Verhornung der Sehzellen)
• Hypervitaminosen A:
- akute Vergiftung: nach 24 h Kopfschmerzen, Schwindel, Reizbarkeit,
- Quelle ist insbesondere Leber von einigen Fischarten (Heilbutt, Hai)
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Indirekte Schädigung
durch Vit. C
• Skorbut bei Säuglingen, deren Mutter in Schwangerschaft große Mengen
an Vit. C aufgenommen haben
• Fetus passt sich an beschleunigte Abbaurate an, was dann zu
Mangelerscheinungen bei “normaler” Zufuhr führte
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Atemgifte - CO
• farb- und geruchlos
• entsteht bei unvollständiger Verbrennung organischer Materialien, ist in
Autoabgasen enthalten und kann auch bei unvollständiger Verbrennung von
Erdgas oder Propangas entstehen,
• kann bei vergleichsweise geringen Raumluftkonzentrationen (um 0,1 %) vor
allem bei älteren oder herzkranken Personen zu letalen Intoxikationen
kommen, wobei Raumluftkonzentration und Sauerstoffverbrauch (Schlaf oder
Arbeit) die Dauer bis zum Eintreten bestimmen (Minuten- bis Stundenbereich).
• Brandleichen: erhöhte COHb-Konzentration neben Rußeinatmungen
wichtigstes Vitalzeichen. Fehlen einer Gaseinatmung spricht für ein Ableben
vor der Brandentstehung Leichenbeseitigung
Atemgifte - CO
300fach höhere Affinität zum Hb als Sauerstoff
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Atemgifte - CO
COHb Wirkungsbild
10-20 % leichter Kopfschmerz, Mattigkeit,
Unwohlsein, Herzklopfen
20-30 % Schwindel, Bewusstseinseintrübung
30-40 % Bewusstseinschwund, Atemver-
flachung, Kreislaufkollaps
40-60 % tiefe Bewusstlosigkeit, Lähmung
60-70 % Tod
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Cyanide - Quellen von
Blausäure
• Tabakrauch: erhöhte Cyanidkonzentrationen im Blut des Rauchers (durchschn. 0,04 mg/l i Vgl. zu 0,015 mg/l bei Nichtrauchern)
• cyanogene Glykoside oder Nitrile in Bittermandeln
- Amygdalin mit 0,05-0,1 % an gebundenen HCN-Anteilen
- Auch in geringeren Konzentrationen in Aprikosen-, Pfirsich-, Pflaumen- Kirsch-, Apfel- und Birnenkernen.
- Freisetzung erfolgt durch Bakterien im Magen-Darm-Trakt oder durch Enzyme, die von den entsprechenden Pflanzen selbst gebildet werden. Da diese Enzyme nur extrazellulär vorkommen, werden sie durch mechanische oder chemische Zerstörung der Zellwände freigesetzt.
- tödliche Dosis bei Kindern 5-10 Mandeln, bei Erwachsenen 60 Mandeln
• synthetisches Amygdalin ("Laetril") wird im Internet zur Krebsbehandlung empfohlen
• Peroral aus ihren Salzen KCN (Zyankali), Ca(CN)2 und NaCN
- im Magen durch Einwirkung von Salzsäure freigesetzt.
- in grossen Mengen in der metallverarbeitenden Industrie, chemischen Laboratorien und als Schädlingsbekämpfungsmittel verfügbar
• Acetonitril: Freisetzung des Cyanid-Ions nach Inhalation oder perkutaner Aufnahme
• Natriumnitroprussid: das Antihypertonikum enthält pro Molekül fünf Cyanid-Ionen, von denen im Körper vier frei werden. Toxische Cyanidspiegel können nach Überdosierung erreicht werden.
Blausäure und Cyanide -
Wirkmechanismus
• Angriff auf die Atmungskette: Blockade der Cytochromoxidase
durch Bindung an dreiwertiges Eisen
• Utilisation des Sauerstoffs aus Hämoglobin wird gehemmt
• Weiterhin: Hemmung von Enzymen mit Metallionen
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Blausäure und Cyanide
Wirkung:
• bei inhalativer Aufnahme innerhalb weniger Sekunden,
• bei niedrigerer Dosierung (grundsätzlich auch nach peroraler Aufnahme) Atemnot, Schwindel, Erbrechen,
Tachykardie, Krämpfen und ggf. Atemstillstand und Tod nach 15-60 min
• Bei genügend hoher Dosis (1-2 mg/kg Körpergewicht) nach Inhalation: Krämpfe, Atemstillstand nach Sekunden
• Laktatazidose
• Intrazellulärer Sauerstoffmangel und Erstickung auf zellulärer Ebene
• Entgiftung:
• intrazellulär zu 80 % durch Kopplung an Schwefel (langsam und begrenzt !) über das Enzym Rhodanase zum
ungiftigen Thiocynanat renale Ausscheidung
• Grund für das Ausbleiben einer chronischen Vergiftung bei langfristiger Aufnahme geringer Dosen
Therapie:
• Schwefelsubstitution (Na2S2O3)
• MetHb-Bildung, z.B. durch 4-Dimethylaminophenol (4-DMAP)
Magenspülung; Na-Sulfat; bei Krämpfen Diazepam; bei
Bradykardie Atropin
DDT verhindert das Schließen von Na-Kanälen, so dass Na-
Einstrom anhält und Aufbau des Ruhepotentials beeinträchtigt
wird; daraus resultiert eine Übererregbarkeit der Zelle
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Pyrethroide
• ursprünglich Ester der Chrysanthemsäure
• heute photostabile synthetische Produkte z. B. Pyrethrum, Permethrin
• Wirkung vgl. Organochlorverbindungen
• akute Lähmung bei Insekten, geringe Toxizität bei Säugern; starke
Übererregung des NS; Verzögerung beim Schließen von Na-Kanälen
• Symptome beim Menschen: Brennen, Juckreiz, Spannungs- u.
Taubheitsgefühl, Missempfindungen im Gesicht, bei orlaer Aufnahme
Schmerzen im Magen-Darm-Trakt, Erbrechen, u.U. Zuckungen und
Krämpfe
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Organophosphate
• Z.B. Parathion (= E605), Malathion, Dimethoat,
Bromophos, Mevinphos (Blaufärbung)
• Inhibition der Acetylcholinesterase (t1/2 = Tage): Akkomodationsstörungen, Miosis,
Sehstörungen, Tränen- u. Speichelfluss, Kolliken, Durchfall, Erbrechen,
Engstellung der Bronchien mit erhöhter Bronchialschleimproduktion, Muskelsteife,
Herzfrequenz- u. Blutdrucksenkung, Tremor, Muskelsteife, Sprachstörungen bis
hin zu Bewußtlosigkeit, Lungenödem und tödl. Atem-/Herzstillstand
• Therapie: Erhaltung der Atmung, Verhinderung der Resorption (Magenspülung,
Kohle); Blockade der Muscarinrezeptoren mit Atropin; Reaktivierung der Esterase
durch Oximgabe
Inhibition der Acetylcholin-Esterase
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Carbamate
• Z.B. Propoxur Aldicarb
• Inhibition der Acetylcholinesterase (t1/2 = Minuten):
Vgl. Organophosphate mit schnellem Abklingen und in der Regel
ohne schwerwiegende Störungen des ZNS und nicht letal
• Therapie: Erhaltung der Atmung, Verhinderung der Resorption
(Magenspülung, Kohle); Blockade der Muscarinrezeptoren mit
Atropin; Reaktivierung der Esterase durch Oximgabe
Reversible Hemmung der Cholinesterase
durch Carbamate
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Organische Lösungsmittel –
Aliphatische Kohlenwasserstoffe
• Alkane = kurzkettige Benzine oder langkettige Paraffine
• Gewinnung in Erdöldestillerien
• Inhalation: Hohe Lipophilie Überwindung der Blut-Hirn-Schranke Pränarkose nach Schnüffeln, bei Bewusstseinstrübung wird Umwelt verändert wahrgenommen Träume und Phantasien
• Bei Transport von Benzintröpfchen in die Bronchien kann als schwere Spätkomplikation eine Benzinpneumonie auftreten (Ursache ist wahrscheinlich Gefäßschädigung auch bei Einatmung hoher Dampfkonzentrationen mit Auftreten von Lungenödem
• Bei Überschreiten des Rauschstadiums: Exzitationserscheinungen, tonisch-klonische Krämpfe
• orale Aufnahme: Reizung der Magenschleimhaut Erbrechen, Glomerulopathie
• n-Hexan:
- neurotoxische Wirkung
- Metabolit 2,5-Hexandion bildet mit Aminogruppen von Proteinen in Neurofilamenten Addukte und führt so zu Degeneration von peripheren Nerven
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Organische Lösungsmittel –
Aromatische Kohlenwasserstoffe
• Benzol
- früher als Löse- und Reinigungsmittel weit verbreitet
- heute als Antiklopfmittel in Superkraftstoff
- Ausgangsstoff bei vielen Synthesen.
- Ingestion von mehr als 0,5 ml/kg oder Inhalation von mehr als 1000 ml/m3 über länger als ½ Stunde: Rauscherscheinungen mit euphorischer Komponente, Kopfschmerzen, Schwindel und später Übelkeit und Erbrechen.
- Höhere Dosen: Krämpfe, Bewusstlosigkeit, Herzrythmusstörungen und Tod durch zentrale Atemlähmung oder Kreislaufversagen.
- rasche Erholung von Intoxikation
- wiederholte, langandauernde oder gar einmalige, eher massive Einwirkung: Hemmung der Erythropoese, Leukopoese und Thrombopoese kommen irreversible Chromosomenaberrationen
• Toluol
- wird anders metabolisiert und ist frei von blutschädigender Wirkung und auch nicht kanzerogen
- Narkotisierung mit möglicherweise geringgradig nephrotoxischen Eigenschaften.
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Organische Lösungsmittel –
Chlorierte Kohlenwasserstoffe
• Tetrachlorkohlenstoff (CCl4)
- Modellsubstanz für Hepatotoxizität.
- Umsatz über Cytochrom-P450-Reduktase zum CCl3-Radikal
- Bildung des Peroxidradikals durch O2-Anlagerung
- H-Abstraktion aus ungesättigten Fettsäuren Umlagerung des Radikals zum Dien Radikalkettenreaktion
- Lipid-/Membranschädigungen mit irreversiblen Folgen, Zellnekrosen
- Verschlucken: eintägige Latenz Leberdystrophie und Nierenschädigung, Leberzirrhosen
• Chloroform (CHCl3)
- früher Narkosemittel
- Radikalbildungen werden ebenfalls als hauptsächlich toxischer Anstoß für Leberschädigungen angesehen
• Dichlormethan (CH2Cl2)
- Leberschäden
- Verstoffwechselung zu Phosgen wie auch zu CO ist möglich, wobei eine entsprechende CO-Symptomatik bei resultierenden CO-Hb-Konzentrationen < 15 % in der Regel unbedeutend ist.
» Trichlorethylen (C2HCl3)
- chemischen Reinigungen oder in der Metallentfettung,
- gelegentlich zu Rauschzwecken psychische Abhängigkeit („Tri-Sucht“).