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Struktunnodelle des SelbstbewutseinsEin systematischer
Entwurf
Klaus Dsing (Kln)
Die Begrndung einer Theorie des Selbstbewutseins oder der
Subjektivittsteht heute einerseits in der Tradition der bedeutenden
und hochkomplexenSubjektivittstheorien der klassischen deutschen
Philosophie von Kant berFichte bis zu Hegel sowie in der Tradition
des Neukantianismus und derPhnomenologie, insbesondere der
transzendentalen Phnomenologie imfrheren zwanzigsten Jahrhundert.
Andererseits mu sie dem reienden Stromzahlreicher Kritiken
standhalten, der seit Machs Diktum schon vor ber hun-dert Jahren,
das Ich sei unrettbar,! immer heftiger angeschwollen ist.Zwar
beginnt sich seit kurzem das philosophische Interesse fr ein
Begreifenvon Selbstbewutsein und Subjektivitt wieder zu regen; aber
der Chor derKritiker ist nach wie vor dominant, wenn auch in sich
dissonant. So wird inder positivistischen und in der analytischen
Philosophie die Annahme eineseigenstndigen Selbstbewutseins oder
gar eines transzendentalen Ich durch-weg kritisiert, wenn auch seit
krzerer Zeit diese Kritik partiell gemildert wirdund einzelne
eigene positive Schritte versucht werden. Ebenso weist
diedialektische oder die systemtheoretische Sozialphilosophie und
Gesellschafts-theorie die Konzeption eines eigenstndigen, erst
recht eines transzendentalenSelbstbewutseins zurck; und in
vergleichbarer Weise leugnet ontologischeKritik die Selbstndigkeit
oder gar den Prinzipcharakter von Selbstbewutseinund ordnet es der
Sphre des Objekts oder dem von sich her aufgehendenSeienden in
seinem Sein nach. Die Gltigkeit aller dieser Kritiken setzt die
1. E. Mach: Die Analyse der Empfindungen und das Verhltnis des
Physischen zum Psychi-schen (zuerst: 1886). Mit einem Vorwort zum
Neudruck von G. Wolters, Dannstadt 1985, 20. Inhnlicher Weise
erklrt Wittgenstein z.B. 1936: Die Vorstellung des Ich, das einen
Krperbewohnt, mu aufgegeben werden (s. ders.: Notes for Lectures on
>Private Experience< and>Sense Data
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8 Klaus Dsing
Gltigkeit jener Theorien und ihrer Prmissen voraus, die
untereinander kaumkompatibel sind.2
Ein grundstzlicher Einwand ist jedoch immanent und beruht
offenbarnicht auf der Gltigkeit von Prmissen einer bestimmten
philosophischenTheorie; er tritt in den beiden Versionen einer
unendlichen Iteration derVoraussetzung des Ich in der
Selbstvorstellung bzw. eines Zirkels in der de-finitorischen
Bestimmung von Selbstbewutsein auf. Beide Einwandversionenmssen
ausgerumt werden, wenn eine Theorie des Selbstbewutseins oderder
Subjektivitt mglich sein soll.
Daher sei in einem ersten Teil dieser Einwand mit seinen beiden
Versionenin Orientierung an Fichte errtert und gezeigt, da der
Geltungsbereich diesesEinwandes durchaus begrenzt ist und da weder
die von Fichte konzipierteintellektuelle Selbstanschauung des Ich
noch die gestuften Selbstbewutseins-bestimmungen einer
idealistischen Geschichte des Selbstbewutseins davonwesentlich
betroffen sind. Im Anschlu daran soll in einem neuen Entwurfeine
Sequenz von Strukturmodellen des Selbstbewutseins umrissen
werden,und zwar in einem zweiten Teil Modelle mit Typen einfacher,
unmittelbarerSelbstbeziehung des Ich, die von jenem Einwand nicht
tangiert sind, und ineinem dritten Teil komplexere, hher
entwickelte Selbstbewutseinsmodelle,von denen zu zeigen ist, da
auch sie jenem Einwand nicht erliegen. DieseAbfolge soll sich als
Idealgenese eines Konstitutions- und Entwicklungsrno-delIs von
Selbstbewutsein erweisen.
I. Der Zirkeleinwand und der Einwand der unendlichen Iteration
in derSelbstvorstellung
Der Zirkeleinwand, der behauptet, da die Bestimmung des
Selbstbewutseinsunvermeidlich in einen Zirkel fhre, ist ein
methodischer Einwand. Unmittel-barer zugnglich ist der Vorwurf der
unendlichen Iteration des Ich, die sich indessen Selbstvorstellung
als solcher ergeben soll. Auf diesen Vorwurf fhrtletztlich, wie
sich zeigen wird, der Zirkeleinwand zurck.
Der Einwand der unendlichen Iteration des Ich in der
Selbstvorstellungkann auf der Subjekt- und auf der Objektseite
entwickelt werden. Auf derSubjektseite entwickelt, lautet er
folgendermaen: Das Selbstbewutsein oderdas Ich, was hier
bedeutungsgleich sein soll, sucht vollstndig sich selbst als
2. Diese Kritiken und Entgegnungen auf sie sollen in einem
greren Zusammenhang entfal-tet werden, in dem auch der folgende
Entwurf weiter ausgefhrt wird.
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Struktunnodelle des Selbstbewutseins 9
thematischen Vorstellungsinhalt zu betrachten, um darin sich als
das, was esist, zu erfassen und sich als Vorstellendes mit sich als
Vorgestelltem inhaltlichzu identifizieren. Dies kann ohne
Bedeutungsverschiebung dahingehend inter-pretiert werden, da das
vorstellende Ich als Subjekt sich im vorgestelltenObjekt, das nur
sein thematischer Vorstellungsinhalt ist, vollstndig zu erfas-sen
sucht. Subjekt und Objekt bilden hierbei eigenstndige, wiewohl
korrelati-ve Bedeutungsinstanzen. Thematisch erfat ist hierbei aber
nur das Ich-Ob-jekt. Das Ich-Subjekt als Acteur jenes Aktes der
Selbstvorstellung ist hierbeizunchst unthematisch und insofern
verborgen. Da der Acteur dieses Aktsaber Vollzugsich sein soll, dem
als Ich wesentlich zukommt, sich selbstvorzustellen und zu
erfassen, mu dieses Vollzugsich sich nun seinerseitseigens
thematisieren und sich inhaltlich ganz als Ich-Objekt vorstellen,
umsich mit diesem zu identifizieren. Da dieser Selbsterfassung
zweiter Ordnung,die hier auf der Subjektseite stattfindet, aber
wiederum als Acteur ein verbor-genes Vollzugsich zugrunde liegt,
wird der gleiche Proze der Selbstthemati-sierung auf hherer Ebene
wieder erforderlich usf. ins Unendliche. Darausfolgt: Nie gelingt
wirkliche Selbsterfassung des Ich.
Man kann die unendliche Iteration auch auf der Objektseite
entwickeln;dann ergibt sich: Das Ich erfat sich selbst und ist
darin als thematisierterInhalt oder als Objekt das
Sich-Vorstellende und Sich-Erfassende. Fragt mannun, was hierbei
das >Sich< bedeutet, so lautet die Antwort: das eigene
Ich.Wird dieses nun seinerseits vorgestellt, so zeigt es sich
erneut als das Sich-Vorstellende usf. ins Unendliche; immer wieder
tritt das Ich bei solcherwiederholten Thematisierung auf der
Objektseite in unvernderter inhaltlicherBedeutung als das
Sich-Vorstellende auf; nie gelangt es zur endgltigenErfassung
seiner selbst.
Die andere Einwandversion besteht im Zirkeleinwand. Er betrifft
denVersuch, Selbstbewutsein theoretisch zu bestimmen, genauer: zu
definieren.Will man nmlich auch nur begrifflich oder nominal
definieren, was Selbst-bewutsein bedeutet, so mu man in den
definierenden Bestimmungen bereitsTermini vorstellender
Selbstbezglichkeit verwenden. Der vorstellendenSelbstbeziehung als
Definiendum gehen also Termini derartiger Selbstbezg-lichkeit als
Definientia in der gleichen Bedeutung voraus. Wollte man nun
diedefinierenden Termini, die schon Selbstbezglichkeit in ihrer
Bedeutungenthalten, ihrerseits definieren, so mten wieder Termini
mit der Bedeutungsolcher Selbstbezglichkeit vorausgehen usf. ins
Unendliche. Da dies zukeinem Ende fhrt, Selbstbewutsein also nicht
bestimmt wird, bleibt dieAuffassung, da diese Selbstbezglichkeit
eben ursprnglich und nicht ausanderem herleitbar ist; dann aber
mirt jene Begriffsdefinition von Selbst-
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10 Klaus Dsing
bewutsein zu einem Zirkel in der Definition. Wie man sieht,
wiederholt sichbeim Versuch, Selbstbewutsein zu definieren, die
soeben dargelegte unendli-che Iteration in der Selbstvorstellung
auf methodischer Ebene, und der Zirkel-einwand ist nur eine
Folgerung daraus.
Die Formel von einem Zirkel in der Semantik der >ichich
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Strukturmodelle des Selbstbewutseins 11
tungsbereich dieses Vorwurfs auf alle sogenannten traditionellen
Selbst-bewutseinstheorien, die die Selbstvorstellung als dem
Selbstbewutseininterne Leistung zu erklren suchen-; vielmehr msse
alle Analyse der Bedeu-tung von Selbstbewutsein von der Analyse des
Sprachgebrauchs ausgehen,was Henrich seinerseits zurckweist.4 - Wie
sich oben schon zeigte, wirdaber der Geltungsbereich des
Zirkeleinwandes in dieser Auseinandersetzungentschieden berschtzt,
da dieser Einwand spezifisch vom Modell der Selbst-beziehung des
Selbstbewutseins als symmetrischer
Subjekt-Objekt-Beziehungausgeht.
Der Einwand der unendlichen Interation der Voraussetzung des Ich
indessen Selbstvorstellung, gelegentlich auch als Einwand eines
unendlichenRegresses bezeichnet, ist in der Geschichte der
Philosophie bis in die Gegen-wart immer wieder erhoben worden. Die
unendliche Iteration des Ich auf derObjektseite stellt Herbart dar.
In immer weiterer Einschachtelung erweist dasIch sich auf der
Objektseite als das Sich-Vorstellende, da nmlich das >SichIch
denke
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14 Klaus Dsing
Selbstgewiheit dieses reinen Ich vertritt Fichte zugleich eine
der klassischgewordenen Positionen transzendentaler
Prinzipientheorie.
Doch nicht nur das Prinzip des reinen Ich, auch die konkreteren
Bestim-mungen des Ich mssen die unendliche Iteration des Ich in der
Selbstvorstel-lung und den Zirkel vermeiden. Solche konkreteren
Bestimmungen werden inder von Fichte konzipierten, von Schelling
und Hegel dann fortgefhrtenidealistischen Geschichte des
Selbstbewutseins entwickelt. Die idealistischeGeschichte des
Selbstbewutseins, die fr Fichte in der Grundlage von1794/95 zunchst
nur einen Teil der Wissenschaftslehre, innerhalb der
Wis-senschajtslehre nova methodo aber im Prinzip den ganzen
transzendentalenIdealisnlus ausmacht, vermeidet sowohl das bloe
Nebeneinanderstellen derVermgen wie in der empirischen Psychologie
des 18. Jahrhunderts, somitden Sack voller Vermgen9, wie Hegel
spottet, als auch die Schilderungeiner lediglich
empirisch-zeitlichen Entwicklung eines Vermgens nach demanderen wie
etwa im Sensualismus Condillacs als auch die apriorische stati-sche
Systematik der Vermgen, wie Kant sie aufstellt. Die
idealistischeGeschichte des Selbstbewutseins soll fr Fichte als
transzendentalphilosophi-sche Fundierung von Anthropologie und
Psychologie vielmehr die dynami-sche ideale Genesis erfllten
Selbstbewutseins aufzeigen. Dabei hat sie zweigrundlegende Aufgaben
zu bewltigen: Sie mu zum einen die verschiedenenVorstellungsvermgen
und -leistungen in systematisch geregeltem Zusammen-hang
stufenweise idealgenetisch entwickeln, bis komplexe, erfllte
Selbstvor-stellung erreicht ist. Sie mu zum anderen zwischen dem
betrachtenden,vollstndig entwickelten philosophischen Ich
einerseits und dem betrachtetenIch, das entwickelt wird,
andererseits prinzipiell unterscheiden und in derExplikation der
Entwicklung der Vermgen zeigen, wie das betrachtete Ichoder das
Ich-Objekt sich im Fortgang zunehmend mit Bestimmungen
derSubjektivitt anreichert, bis es die Struktur des
vollentwickelten Ich unddessen Selbstvorstellung erreicht, so da
sich dieses im Ich-Objekt vollstndigwiederfindet. Die systematische
Kombination beider Aufgaben findet sichdann deutlicher in
Schellings System des transzendentalen Idealismus und inHegels
Phnomenologie. 10
9. G.W.F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd. 4, 237; vgl. auch Bd. 9,
169.10. Zum Programm der idealistischen Geschichte des
Selbstbewutseins bei Fichte vgl. X.
Tilliette: Geschichte und Geschichten des Selbstbewutseins, in:
Annalen der internationalenGesellschaft fr dialektische
Philosophie. Societas Hegeliana, Jg. 1983, Kln 1983, 92ff. und
E.Dsing: Intersubjektivitt und Selbstbewutsein. Behavioristische,
phnomenologische und idea-listische Begrndungstheorien bei Mead,
Schtz, Fichte und Hegel, Kln 1986, bes. 260ff.; fernermag der
Hinweis auf Untersuchungen des
Verl.s~~~b~~~:~i~l:!!I~ul}~lg'!fLuncls~lbslbewu-- _
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Strukturmodelle des Selbstbewutseins 15
Im Grundri des Eigentmlichen der Wissenschaftslehre von 1795, in
demFichte detailliert diese Geschichte des Selbstbewutseins ber die
Grundlagevon 1794/95 hinaus fr das theoretische Ich zu entfalten
sucht, geht er nocheinseitig vom Reflexionsmodell von
Selbstbewutsein aus. Das Ich ist danachin der Ausbung eines
bestimmten Actus selbstverloren und gewinnt erst inder Reflexion
auf diesen Actus ein Wissen von sich. Durch Reflexion istfreilich
die Art des Sich-Gewahrens des Ich noch nicht bestimmt; Fichtenimmt
vielmehr an, durch jeweilige Reflexion auf verschieden gestufte
Akteergeben sich verschiedenartige Leistungen und Vermgen des Ich
mit jeweilssich weiterentwickelnder Selbstvorstellung. So ist das
empfindende Ich selbst-verloren; durch Reflexion darauf gewinnt es
ein Selbstgefhl, durch erneuteReflexion auf diesen Actus wird es
innerlich und uerlich anschauendes Ichusf. Doch bleibt der Abschlu
offen. Gegen diese Theorie lt sich der Ein-wand der unendlichen
Iteration erheben; prinzipiell kann man solche Re-flexionsstufung
mit jeweils neuer Voraussetzung eines agierenden, aber
selbst-vergessenen Ich ins Unendliche treiben. Der im Versuch einer
neuen Darstel-lung der Wissenschaftslehre dargelegte Einwand der
unendlichen Iterationmu nicht nur fr das Ich-Prinzip, sondern auch
fr die konkreten Bestim-mungen des betrachteten Ich auf seinen
jeweiligen Entwicklungsstufen ver-mieden werden. Dies ist um so
schwieriger, als Fichte an der Bedeutung derReflexion fr den
Entwicklungsgang des Ich generell, wenn auch nicht
mehrausschlielich festhlt. - Aus seiner Darlegung lt sich
allenfalls implizitentnehmen, da zwar betrachtendes und
betrachtetes Ich als Subjekt undObjekt angesehen werden, da aber
dC:\s Sich-Gewahren und die Selbstbezie-hung des Ich, gerade weil
sie von Stufe zu Stufe komplexer entwickelt wer-den, nicht dem
Modell symmetrischer Subjekt-Objekt-Beziehung unterstehen;die
jeweils erreichte Selbstbeziehung ist vielmehr asymmetrisch. Dann
abergeht im betrachteten Ich-Objekt, auf welcher Stufe auch immer,
dem gewu-ten Ich nicht wieder ein Ich-Subjekt in der gleichen
Bedeutung voraus, wie esim Vorwurf der unendlichen Iteration
angesetzt ist und wie es auf methodi-scher Ebene der Zirkeleinwand
besagt. So lt sich auch die idealistischeGeschichte des
Selbstbewutseins und das Programm einer Idealgenese deskonkreten
erfllten Ich prinzipiell in einer Weise entwickeln, die jenen
Ein-wnden nicht ausgesetzt ist.
Die im Folgenden skizzierte Sequenz von Strukturmodellen des
Selbstbe-wutseins knpft partiell an diese idealistische Geschichte
des Selbstbewut-
tes Dasein beim frhen Fichte, in: Kategorien der Existenz. W.
Janke zum 65. Geburtstag,Wrzburg 1993,61-76 und vom Verf.: Hegels
Phnomenologie und die idealistische Geschichtedes Selbstbewutseins,
in: Hegel-Studien 28 (1993), 103-126.
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16 Klaus Dsing
seins an; sie gilt demgem grundlegenden Bestimmungen nicht des
Ich-Prin-zips, sondern des konkreten Selbst. Gemeinsam mit jenem
Programm ist demfolgenden Entwurf die Darlegung einer idealen
Genesis von komplexem, jaerflltem Selbstbewutsein ber
Selbstvorstellungsstufen. Eine realgeschicht-liche Schilderung der
Bildung von Selbstbewutseinsmodellen ist nicht nurdeshalb
schwierig, weil uns zu wenig ur- und frhgeschichtliche Fakten
zurVerfgung stehen; sie mte auch, wenn sie gelnge, eine Konzeption
solcherSelbstbewutseinsmodelle als Grundlage schon voraussetzen, um
derartigeModelle und deren Entwicklung dann in concreto
realgeschichtlich aufweisenzu knnen. Ferner kann dieser Entwurf
auch als philosophische Grundlegungvon Teilen der Anthropologie und
Psychologie gelten, freilich nur mit Rekursauf idealtypisch
gedeutete Basiserfahrungen. Anders als in der
idealistischenGeschichte des Selbstbewutseins werden keine Vermgen
und ihnen gemeLeistungen des menschlichen Geistes untersucht,
sondern nur Selbstvorstel-lungs- und Selbstbeziehungsweisen.
Auerdem wird nicht mehr ein determi-nierendes teleologisches
Prinzip des Ich vorausgesetzt, das die systematischeEntwicklung
reguliert. Vielmehr ist zumeist in einem Struktunnodell
vonSelbstbewutsein der Mglichkeit nach das folgende schon angelegt,
abernicht festgelegt; so bleiben PJternativen ebenso wie Krisen
mglich; der Aus-gang ist kein endgltiger Abschlu. Vor allem aber
orientiert sich der folgen-de Entwurf weder einseitig am Modell der
Selbstbeziehung als Subjekt-Objekt-Beziehung noch am
Reflexionsmodell von Selbstbewutsein; es sollvielmehr erwiesen
werden, da es sich bei jenen Modellen nur um begrenztgltige Modelle
handelt, die jedoch auch nicht - wie es in der Kritik auf-grund
jener Einwnde oder in der henneneutischen bzw. analytischen
Philoso-phie oft geschieht - einfach verworfen werden sollen.
II. Strukturmodelle von einfacher, unmittelbarer
Selbstvorstellung
Im Folgenden sollen nun Struktunnodelle von Selbstbewutsein in
einem ide-algenetischen Zusammenhang entworfen werden. Diese sind
keine reinenKonstruktionen; sie stellen vielm~hr zum einen
ermglichende Grundlagen darfr empirische Anthropologie und
Psychologie; und sie rekurrieren zum ande-ren selbst auf einfache
Grunderfahrungen, die freilich idealtypisch interpretiertwerden und
in dieser Weise eine Basis fr jene Struktunnodelle bilden.
Dabeisoll zugleich ein Spektrum von Selbstbewutseinsphnomenen
wiedergewon-nen werden, das in der gegenwrtigen, neuerdings
vorwiegend analytisch
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Strukturmodelle des Selbstbewutseins 17
beherrschten Diskussion allzusehr verengt wurde. l1 - Die
Bedeutung derIntersubjektivitt sei hier jeweils nur am Rande
vermerkt, auch wenn siebestimmte Typen des Sich-Gewahrens und der
Selbstbeziehung mitkon-stituiert, 12 da hier nur die
Strukturmodelle solcher Selbstvorstellungs-
undSelbstbeziehungsweisen in ihrem genetischen Zusammenhang
skizziert werdensollen.
Grundlage insbesondere des ersten und einfachsten, noch
rudimentrenSelbstbewutseinsmodells ist nun der Unterschied und die
Beziehung vonBewutsein und Selbstbewutsein. Bewutsein ist immer
Bewutsein vonetwas und bedeutet ein Gewahren und klares
Gegenwrtighaben von Umwelt-gegebenheiten und eine Orientierung in
ihnen. Vermge des Bewutseinsfinden wir uns immer schon in einer
Umwelt, die uns umgibt; es ist umwelt-erschlieend und ermglicht
wenigstens im Prinzip, da wir uns darin irgend-wie zurechtfinden.
Selbstbewutsein dagegen bedeutet in ganz allgemeinemSinne, da der
Bewutseiende zugleich nicht etwas anderes, sondern sichselbst
vorstel~t. Diese vorstellende Selbstgegenwrtigkeit oder
Selbstbeziehungdarf man nicht sogleich nach dem Modell der
Subjekt-Objekt-Relation bestim-men, da dann die Vielfalt der
Erfllungsmglichkeiten verlorengeht. DieseKennzeichnung des
Selbstbewutseins bleibt allgemein, weil alle Konkretisie-rung zu
den bestimmteren Stufen der Selbstbewutseinsmodelle gehrt. Ausdem
jeweiligen Typ der Selbstbeziehung ergibt sich auch erst der
jeweiligespezifische Charakter der Relata.
Solches Selbstbewutsein beruht nun immer auf Bewutsein; es kommt
nureinem Wesen zu, dem durch Bewutsein seine Umwelt erschlossen ist
unddas sich als in ihr befindlich wei. 13 Das menschliche Bewutsein
aber, demseine Umwelt durch Wahrnehmungen und Stimmungen
erschlossen ist, bleibt
11. Insbesondere das immer wiederholte Wittgensteinsche
Beispiel: Ich habe Zahnschmer-zen ist kein eindeutiges Beispiel fr
Sich-Gewahren eines Selbstbewutseins oder einer ihrerselbst bewuten
Person; Zahnschmerzen knnen auch Hunden oder Katzen widerfahren. -
Fernersind die beliebten Untersuchungen zu Stzen ber seit
Wittgenstein so bezeichnete
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18 Klaus Dsing
nicht vllig selbstverloren; der Bewutseiende ist dabei seiner
zugleich ineiner ersten Weise irgendwie inne; dies ist nach dem
phnomenologischenHorizontmodell von Selbstbewutsein, wie es genannt
werden soll, nher zubestimmen.14 Das Bewutsein eines Wahrnehmenden
ist intentional auf be-stimmte Dinge gerichtet, z.B. auf dieses
Fenster, und zwar zumeist in be-stimmten praxisorientierten
Situationen, etwa um es zu ffnen. Nun hatHusserl in vielen
Deskriptionen gezeigt, da der Wahrnehmende dabei immerder
horizonthaften Umgebungen mitbewut ist, z.B. da das Fenster zu
die-sem Hrsaal gehrt, da dieser Hrsaal in einem Universittsgebude
liegt,da sich die Universitt in einer groen Stadt befindet usf.;
dies alles ist alsHorizont jener klaren thematischen
Wahrnehmungsgegebenheit in vielleichtabnehmenden Graden der
Deutlichkeit unthematisch mitbewut. - DieseEinsicht lt sich nun
auch auf das Verhltnis von Bewutsein und Selbst-bewutsein anwenden,
was Husserl nicht tat. Dann ergibt sich, da jemandein klares und
abgehobenes Bewutsein von etwas hat, z.B. dieses Fensterwahrnimmt
und dabei seiner selbst als Horizont dieser Wahrnehmung
unthe-matisch inne ist. Das Selbst bleibt hierbei also nicht
verborgen, wird aberauch nicht eigenes Vorstellungsthema; es wird
im intentional auf andereGegebenheiten gerichteten Bewutsein am
Rande mitgegenwrtig, liegt so-zusagen im >Halbschatten des
Aufmerksamkeitslichtkegels
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Struktunnodelle des Selbstbewutseins 19
durch die Signale aus dem linken Wahrnehmungsfeld im
wesentlichen alleinin die rechte, in der Regel subdominante
Gehirnhlfte bennittelt werden, istsie sich nicht bewut; sie kann
darber keine Auskunft geben, und sie erfhrtmit Befremden die
Mitteilung anderer, da sie gleichwohl wahrgenommenhat. Es ist eine
philosophische Aufgabe, die Art der Selbstgegenwrtigkeit inden
Wahrnehmungen nher zu bestimmen, deren die Person sich bewut undin
denen sie ihrer zunchst unthematisch mitbewut ist. Die
Selbstgegenwr-tigkeit und das Bewutsein seiner selbst sind hier
nach dem phnomenologi-schen Horizontmodell zu denken, das zugleich
die Mglichkeit enthlt, jeder-zeit zu einer thematischen Vorstellung
des Selbst von sich berzugehen.
Auf dieses phnomenologische Horizontmodell hat Heidegger in
seinerKantinterpretation in den Marburger Vorlesungen hingedeutet,
indem er derreinen Apperzeption in deren intentionaler Konstitution
von objektivem Seien-den ein unthematisches Mitenthlltsein des
Selbst zuschrieb. 15 Als eigenesSelbstbewutseinsmodell fhrte er
dies jedoch nicht aus. - Es bedarf keinerlangen Ausfhrungen, da
dies phnomenologische Horizontmodell nicht dersymmetrischen
Subjekt-Objekt-Relation folgt und daher auch nicht dem Ite-rations-
oder Zirkeleinwand unterliegt.
Was nur horizonthaft mitbewut ist, kann eigens thematisiert
werden; diesfhrt, wenn das Selbst seiner zuerst thematisch
unmittelbar bewut ist, auf dasModell der thematischen
Unmittelbarkeit der Selbstbeziehung. Die Selbstvor-stellungsart
kann hierbei verschieden sein; sie kann a. holistischeGestimmtheit,
b. psychophysisches Selbstgefhl und c. intuitive oder imagina-tive
Selbstgegebenheit sein.
a. In holistischer Gestimmtheit ist ein Selbst von einer
Stimmung ganzergriffen und darin sich gegenwrtig;
Selbsterschlossenheit und Umwelter-schlossenheit bilden hier ein
Ganzes. Solche grundlegenden Gestimmtheitensind z.B. Freude oder
Schwennut, so da das Selbst sich insgesamt entwederals freudig
erschlossen ist, dem in seiner Umwelt alles leicht wird, oder
aberinsgesamt als schwenntig erschlossen ist, dem in seiner Umwelt
alles lastendwird. In solcher Selbstrelation der Gestimmtheit sind
erfahrendes und erfahre-nes Selbst unmittelbar eins als gestimmtes
Selbst. Was in solcher grundlegen-den Gestimmtheit als ein Ganzes
erlebt wird, nlu die Theorie freilich als eineursprngliche Relation
bestimmen. Die gestimmte Selbstgegenwrtigkeitenthlt die
unmittelbare, "einfache Relation, da ein Selbst fr sich ist;
dieRelata sind hier jedoch nicht selbstndig, sondern einbehalten in
die Grund-gestimmtheit als fluides Ganzes. Auf solche ursprngliche,
einfache, unmittel-
15. Vgl. M. Heidegger: Gesamtausgabe. Bd. 21, 339, vgl. Bd. 24,
224.
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20 Klaus Dsing
bare Selbstbeziehung, die thematisch ist, findet das Modell der
Subjekt-Objekt-Relation keine Anwendung; denn diese bedeutet eine
Relation zweierunterschiedener, bedeutungsmig selbstndiger, wiewohl
korrelativer, thema-tisch vorgestellter Relata, was hier nicht der
Fall ist. Deshalb gibt es auch frdie anfangs geschilderten Einwnde
der unendlichen Iteration oder des Zirkelshier keine
Ansatzpunkte.
b. Eine andere Weise thematischer unmittelbarer Selbstbeziehung
ist daspsychophysische Selbstgefhl. Hierbei erfhrt das Selbst, das
auf seine eige-nen krperlichen Ttigkeiten und Leistungen aufmerksam
ist, seinen eigenenZustand und seine Fhigkeiten. Dies geschieht z.
B. bei einem Genesenden,der seine Krfte und damit seine
Mglichkeiten wiederkehren fhlt, oder beieinem Gesunden, der etwa
Ausgleichssport treibt und darin seine Krfte undseinen Zustand
sprt. In solchen Vorgngen geht das Selbst nicht einfach auf,wie es
bei Tieren offensichtlich der Fall ist; das Selbst erfhrt sich in
ihnenvielmehr in eigener Selbstgegenwrtigkeit. Auch in diesem
psychophysischenSelbstgefhl erlebt das Selbst sich als unmittelbare
Einheit; theoretisch mues bestimmt werden als thematische,
unmittelbare, einfache Relation desFrsichseins, deren Relata im
Ganzen des Selbstgefhls einbehalten bleiben;es erfolgt keine
Aufteilung in ein selbstndiges, fr sich vorgestelltes Subjektund
ein selbstndiges, fr sich vorgestelltes Objekt.
c. Eine dritte Weise thematischer unmittelbarer Selbstbeziehung
ist dieintuitive wahrnehmungsmige oder auch imaginative
Selbstgegebenheit. Diesist z.B. beim Hren der eigenen Stimme der
Fall, wenn der Betreffendeunmittelbar erkennt, da es die eigene
ist, und er sich damit unmittelbargegenwrtig ist, oder beim
Betrachten des eigenen Bildes etw~ im Spiegel.Auch wenn solche
Selbstwahmehmung von Verfremdungserlebnissen begleitetsein kann,
etwa dem Erschrecken ber die eigene Stimme oder das eigeneAussehen,
ist die Selbsterkenntnis hierin unmittelbar intuitiv. Imaginativ
wirdsolche Selbstgegebenheit, wenn das Selbst ein unmittelbares
anschaulichesZukunftsbild von sich unwillkrlich entwirft etwa als
Wunschbild oder wennihm unwillkrliche Erinnerungen an eigene frhere
Erlebnisse aufsteigen.Obwohl das Selbst sich in solchen
Vorstellungen schon gegenbersteht, erlebtes sich doch mit seinem
Vorgestellten als anschaulich oder imaginativ eins. Inder Theorie
freilich erweist sich diese unmittelbare thematische
wahmeh-mungsmige oder imaginative Selbstvorstellung als
unmittelbare Relationeines Frsichseins, in der die Relata bereits
eine anschauliche oder imaginati-ve Unterschiedenheit gewinnen; sie
bleiben jedoch auch hier als unselbstndi-ge einbehalten in das
Ganze dieser intuitiven oder imaginativen Selbstgege-benheit. So
werden die Relata auch hier nicht als selbstndige, fr sich vor-
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Struktunnodelle des Selbstbewutseins 21
zustellende Bedeutungsinstanzen verstanden, wie es bei der
Subjekt-Objekt-Relation der Fall ist. Alle drei Weisen dieser
thematischen unmittelbarenSelbstgegenwrtigkeit werden also zwar
holistisch erlebt; die Theorie mudiese Selbstgegenwrtigkeit jedoch
jeweils als ursprngliche, unmittelbare,einfache Relation bestimmen,
die ihre Relata noch nicht in eine je eigeneselbstndige Bedeutung
entlt. Diese Relata befinden sich zudem inhaltlicheindeutig in
asymmetrischer Beziehung, da das Ich der Grundgestimmtheit,des
Selbstgefhls sowie des intuitiven und imaginativen Sich-Gewahrens
auchim eigenen Bewutsein ber reichhaltige Mglichkeiten verfgt, die
berdasjenige hinausgehen, als was es sich jeweils in diesen Weisen
thematischunmittelbar vorstellt.
Solche Modelle unthematischer oder thematischer unmittelbarer
Selbstbe-ziehung in ihren verschiedenen Grundarten, die sich schon
bei Dilthey oderbeim frhen Heidegger abzeichnen, wenn auch nicht
spezifisch als Selbstbe-wutseinsmodelle, haben ihre eigene
Berechtigung innerhalb des Aufbauseiner Subjektivittstheorie. Durch
sie ist es aber nicht gerechtfertigt, kom-plexere
Selbstbewutseinsmodelle, insbesondere intellektuelle Formen
vonSelbstbeziehung zu verwerfen.
111. Komplexere Selbstbewutseinsmodelle
Die bisher dargelegten Selbstbewutseinsmodelle sind auf Sprache
als Fun-dament nicht notwendig angewiesen;' ihre
Selbstbeziehungsweisen knnenauch vorsprachlich zustande kommen. Die
Sprache erweitert und differenziertallerdings nicht nur in
entscheidender Weise Umwelterfahrungen, sondernebenso
Selbstvergegenwrtigungsarten; sie liegt gerade Modellen von
kom-plexerer, vermittelter Selbstbeziehung ermglichend
zugrunde.
Das erste komplexere Modell dieser Art ist das Modell der
partiellenSelbstidentifikation. Es bedeutet, da ein Selbst sich
eine bestimmte dauerhaf-te Eigenschaft oder Fhigkeit zuschreibt und
darin in bestimmter Weise vonsich wei. Dies geschieht in der Regel
in Aussagen. Vier Konstituentien sinddazu erforderlich:
1. Das Selbst mu eine Synthesis bestimmter Erlebnisse vornehmen,
diezumindest basal schon durch eine thematische unmittelbare
Selbstbeziehunggeprgt sind. So kann das Selbst von sich z.B. sagen:
Ich bin ein Melan-choliker oder Ich bin ein guter Bergsteiger.
Jeweils liegen unmittelbareSelbstbeziehungserlebnisse entweder der
holistischen Gestimmtheit oder despsychophysischen Selbstgefhls
zugrunde. Die hierbei zusammengefgten
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22 Klaus Dsing
Erlebnisse sind diskontinuierlich; der Bergsteiger etwa ist nur
von Zeit zu Zeitam Berg ttig; viele andere Erlebnisse, die
ebenfalls zum Selbst gehren, sindeingestreut.
2. Aufgrund der vollzogenen Synthesis solcher Erlebnisse, die
schon un-mittelbare Selbstbeziehung enthalten, mu das Selbst seiner
als eines identi-schen in diesen verschiedenen diskontinuierlichen
Erlebnissen bewut werden.Das Wissen des Selbst von sich in ihnen
erfordert somit eine eigeneIdentifikationsleistung.
3. Das Selbst wei sich darin aber nicht nur berhaupt als
identisches,sondern als eines und dasselbe in einer spezifischen
Bestimmtheit. Es schreibtsich eine dauerhafte Eigenschaft oder
Fhigkeit zu. Sie wird artikuliert imPrdikat der Aussage einer
partiellen Selbstidentifikation; sie hatte zugleichschon
unausdrcklich Leitfadenfunktion in der selektiven Synthesis
bestimm-ter diskontinuierlicher Erlebnisse.
4. Hingewiesen sei nur darauf, da die Genesis solcher
Selbst-zuschreibungen, unbeschadet der hierzu erforderlichen
eigenen Aktivitt desSelbst, intersubjektiv mitkonstituiert ist.
Doch dies sei lediglich genannt, da eshier nur auf die innere
Struktur dieser Art von Selbstbeziehung ankommt.
Auf dies Selbstbewutseinsmodell treffen der Iterations- und der
Zirkel-einwand nicht zu; denn zum einen wird auch hier
Selbstbeziehung nicht nachdem Muster der Subjekt-Objekt-Beziehung
gedacht; es handelt sich bei derSelbstzuschreibung nicht um zwei je
selbstndige Bedeutungsinstanzen; viel-mehr ist die zugeschriebene
Eigenschaft oder Fhigkeit von unselbstndigerBedeutung, eine vom
Selbst abhngige Variable; das Umgekehrte aber giltnicht. Zum andern
ist die Selbstrelation hier eindeutig asymmetrisch; dasSelbst, das
noch viele andere Eigenschaften oder Fhigkeiten hat, schreibtsich
nur eine bestimmte zu.
Wird nun etwa auf solche Selbstzuschreibung eigens reflektiert,
so ge-schieht dies nach dem Reflexionsmodell von Selbstbewutsein.
Die Reflexionkann auch auf andere Arten der Selbstbeziehung
erfolgen, z.B. auf themati-sche unlnittelbare Selbstbeziehung; doch
richtet sie sich oft auf Selbst-zuschreibungen. Daraus ersieht man,
da Reflexion schon selbstbezglicheErlebnisse voraussetzt und nicht
allererst Selbstbeziehung zustande bringt. Siestellt jedoch
strukturell eine hherstufige Weise von Selbstbeziehung dar, z. B.in
dem Satz: Ich wei, da ich Kenner der antiken rmischen
Geschichtebin. Hier kann das Verhltnis des reflektierenden zum
reflektierten Ich alseine Subjekt-Objekt-Relation verstanden
werden. Dennoch stellt sich auch hiernicht zwangslufig der
Iterations- oder Zirkeleinwand ein. So kann man z. B.sagen: Ich
sehe mich als Kenner der antiken rmischen Geschichte an. Ich
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Strukturmodelle des Selbstbewutseins 23
erinnere mich, da ich Kenner der antiken rmischen Geschichte
war. Ichwei, da ich mich erinnere, ein solcher Kenner gewesen zu
sein. Ich wei,da ich wei, da ich mich erinnere [...] usf. Dreierlei
ist in diesem Beispielaufschlureich: 1. Schon im ersten Akt wird
eine partielle Selbstidentifikationvorgenommen, die durch die
folgenden gestuften Reflexionsakte keineswegsungltig wird. 2. In
den Stzen, die Reflexionen hherer Ordnung ausdrckenwie: Ich wei, da
ich mich erinnere [...], ich wei, da ich wei, da ich[...] usf. wird
die weitere Iteration inhaltsleer; sie fhrt zu keinem
neuenSelbstbeziehungsgehalt mehr. Die Iteration wird blo formal 16;
inhaltlich wirdallein die Beziehung eines reflektierenden auf ein
reflektiertes Ich ausge-drckt. 3. Auf den ersten beiden Stufen ist
das Verhltnis des reflektierendenzum reflektierten Ich
asymmetrisch: Ich erinnere mich, da ich Kenner derantiken rmischen
Geschichte war und es heute evtl. nicht mehr bin. DerIterations-
oder Zirkeleinwand aber wendet sich, wie gezeigt, gegen
eineSelbstbeziehung als symmetrische Subjekt-Objekt-Relation.
In der partiellen Selbstidentifikation und dem reflexiven Wissen
darbersind die Horizonte weiterer Selbstzuschreibungsmglichkeiten
und des Wis-sens ber sie enthalten. Werden solche weiteren
Selbstzuschreibungen vor-genommen, kann dies zum epistemischen
Intentionalittsmodell von Selbst-bewutsein fhren. Zunchst
unterscheidet das Selbst unter seinen Eigen-schaften wesentliche
von unwesentlichen oder zuflligen; zufllig ist dieEigenschaft, wenn
es z. B. von sich sagt: Ich bin Fugnger. Diese Eigen-schaft kann
ihm zukommen, aber auch fehlen oder zuweilen zukommen,zuweilen
nicht. Wesentlich oder unabdingbar im eigenen Verstndnis desSelbst
sind zumindest drei Grundarten von Attributen, wobei hier offen
bleibe,ob das Selbst ontologisch als Substanz zu denken sei und ein
Wesen, eineEssentia habe oder nicht; hier wird nur das eigene
ursprngliche Selbstver-stndnis des Selbst untersucht. Danach hat
das Selbst als wesentliche und esdauerhaft prgende Bestimmungen 1.
generelle Persnlichkeitseigenschaften,etwa da es sein eigener Herr
und nicht Sklave eines anderen sei, da es einRecht auf Leben habe,
da es brgerlich frei sei und dergleichen. 2. DasSelbst verfgt vor
allem als bleibende Eigenschaften ber Charakterzge, z. B.wenn es
von sich sagt: Ich bin langmtig, nicht nachtragend, besonnen u..3.
Schlielich kommen dem Selbst als bleibende Attribute auch
Kulturkreis-eigenschaften und -fhigkeiten zu, etwa wenn seine
Muttersprache Deutschist, wenn sein Denken von der klassischen
deutschen Literatur geprgt ist undVergleichbares.
16. Vgl. hierzu z.B. E. Husserl: Erste Philosophie (1923/24),
in: Husserliana Bd. VIII, 88ff.
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24 Klaus Dsing
Das Selbst schreibt sich jedoch nicht nur solche einzelnen
Attribute zu,deren Erfahrungsbasis immer unmittelbare
Selbstbeziehungsweisen impliziert,wie bei der partiellen
Selbstidentifikation gezeigt wurde; es synthetisiert sie,um sich zu
erkennen, d.h. um sich in einem Persnlichkeitsbild zu
erfassen.Dabei begreift es sich nicht blo als Agglomerat jener
Attribute, auch nichtlediglich als Ganzes der Eigenschaften und
Fhigkeiten, die ihm zukommen,ferner nicht nur als statisches
Spontaneittszentrum, sondern als dynamisches,sich entwickelndes,
Verstehen konstituierendes Spontaneittszentrum seinerEigenschaften
und Fhigkeiten. - Nicht immer bringt ein Selbst ein
solcheskomplexes Persnlichkeitsbild von sich wirklich zustande;
nicht immer wirddies Selbstbewutseinsmodell im ganzen realisiert;
dann bleibt oft - wietheoretisch etwa im Sozialbehaviorismus und
seinen Fortsetzungen bis heutefestgeschrieben wird - nur die
Auffassung vom Selbst als im wesentlichenpassivem Kreuzungspunkt
gesellschaftlicher Einflsse und Rollenangebote.Ein solches
Menschenbild ist reduktionistisch. Es kann auch sein, da
diesSelbstbewutseinsmodell in Identittskrisen nicht realisiert
wird. Diese mgenzwar - so wie die Bildung eines
Persnlichkeitsbildes - intersubjektivverstrkt oder veranlat sein,
wie insbesondere Erikson zeigt; aber es handeltsich doch wesentlich
um Selbstverstndigungsprobleme, die durch Distanzie-rung von
frheren Selbstverstndigungen entstehen; und es kann geschehen,da
der Versuch der Konstitution eines neuen komplexen
Persnlichkeitsbil-des scheitert.!?
In diesem epistemischen Intentionalittsmodell kann zwar das sich
verste-hende Selbst als Subjekt und das verstandene als Objekt
gedeutet werden;aber das hier intendierte epistemische
Selbstverstndnis ist keine einfacheSubjekt-C)bjekt-Relation mehr,
die, wie sich wohl gezeigt hat, ohnehin nur einformales Schema und
keine ursprngliche Selbstbeziehungsweise ist. Dasverstehende Selbst
ist fr sich zweifaches intentionales, d.h. bewutseinsim-manent
bleibendes Objekt in weitem Sinne als thematischer
Vorstellungsin-halt; es erkennt sich in Attributen, wie es sie
gegenwrtig erreicht hat, und esentwirft sich in seiner
Selbstdeutung in weiteren Attributen, wie es sich selbsterstrebt.
Dies Verhltnis ist komplexer als die einfache
Subjekt-Objekt-R~lation; und es ist asymmetrisch, da das sich
deutende Selbst inhaltlich in der
17. Vgl. E. H. Erikson: Identitt und Lebenszyklus. Drei Aufstze.
Aus dem Amerikanischenbersetzt von K. Hgel, Frankfurt a.M. 1973. -
Die Mglichkeit des Scheitems eines Persnlich-keitsbildes und einer
Lebensanschauung zeigt generell Kierkegaard in seiner Stadienlehre
auf; vgl.dazu E. Dsing: Krisen der Selbstgewiheit in Kierkegaards
Konzeption der Existenz-Stadien,in: Kategorien der Existenz. W.
Janke zum 65. Geburtstag, Wrzburg 1993, 213-240.
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Struktunnodelle des Selbstbewutseins 25
Regel vom zweifach gedeuteten Selbst verschieden ist. Der
Iterations- oderZirkeleinwand trifft also auch dies
Selbstbewutseinsmodell nicht.
Wird die Differenz von erreichtem und erstrebtem
Persnlichkeitsbild mitdem Impuls verbunden, durch eigene Handlungen
vom einen zum anderen zugelangen, wie dies im epistemischen
Intentionalittsmodell der Mglichkeitnach angelegt ist, so ergibt
sich das Selbstbewutseinsmodell der volunta-tiven Selbstbestimmung.
Hier deutet das Selbst sich nicht nur in jenem zweifa-chen
intentionalen Objekt, d. h. im erreichten und erstrebten
Persnlichkeits-bild, sondern es will darber hinaus das erstrebte
durch eigene Handlungenrealisieren. Dabei entwirft das Selbst in
praktischer Absicht ein Ziel seinesLebens, ein Bild seiner
Persnlichkeit, die es durch eigene Handlungen erstwerden will. Hier
sind ethische Sinn- und Zielvorstellungen sowie Vorstel-lungen ber
die auszubildenden Haltungen ethischen Selbstverstndnisses,nmlich
ber die altertrrllich so bezeichneten Tugenden impliziert. Dies
seihier nur genannt; Grundstze dazu gilt es, in einer eigenen
subjektivittstheo-retischen Ethik auszufhren, die an Kants und
Fichtes Ethik anknpft. Ebensobildet dies Modell der voluntativen
Selbstbestimmung die allgemeine Grund-lage fr hochkomplexe Welt-
und Selbstdeutungen in Kunst, Religion undPhilosophie. - Es ist wie
schon das epistemische Intentionalittsmodell, vondem es ausgeht,
komplexer als die einfache Subjekt-Objekt-Beziehung undenthlt eine
voluntative, asymmetrisch bleibende Selbstbeziehung in derSpannung
des erreichten und erstrebten, gewollten Persnlichkeitsbildes.
DerIterations- und der Zirkeleinwand finden also auch hier keine
Anwendung. -Doch kann es geschehen, da auch dies
Selbstbewutseinsmodell von Perso-nen nicht realisiert wird, sei es
aufgrund staatlicher Repression, sei es auf-grund von
Identittskrisen oder aufgrund eigener persnlicher Verfehlung.
DasPersnlichkeitsbild, das unter Verzicht auf die Realisierung
voluntativerSelbstbestimmung entworfen wird, ist jedoch defizient
oder reduktionistisch.
So hat sich wohl gezeigt, da auf der Basis von unbestreitbaren
Selbstbe-wutseinsphnomenen eine Abfolge 'idealtypischer
Struktunnodelle vonSelbstbewutsein als Grundlage besonderer
Erfahrungen des Selbst von sichdargelegt werden kann. In der
Realisierung komplexer Selbstbewutseinsmo-delle bleiben dabei die
Selbstbeziehungen gem einfacheren Selbstbezie-hungstypen in Kraft.
Auch etwa das sich nach dem epistemischen Inten-tionalittsmodell
erkennende Selbst bleibt ein gestimmtes oder sich psycho-physisch
selbst fhlendes Ich. Zwar werden die komplexeren
Selbstbewut-seinsmodelle nicht immer oder nicht immer vollstndig
realisiert; gerade inihnen aber erlangt das Selbst jeweils
bestimmte Erfllung. Dieser dynamischeAufbau oder diese Idealgenese
eines internen Zusammenhangs der Selbstbe-
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26 Klaus Dsing
wutseinsmodelle fhrt nun auf die allgemeine Konzeption eines
Konsti-tutions- und Entwicklungsmodells von Selbstbewutsein; dies
ist nicht einModell neben den anderen; vielmehr ist es ein
integratives Selbstbewut-seinsmodell, das den Ermglichungsgrund
dafr darstellt, da die genetischgestufte Abfolge aller anderen
skizzierten Selbstbewutseinsmodelle und da-mit eine Erfllung des
Selbstbewutseins in seinen grundlegenden Selbstbe-ziehungsweisen
zustande kommen kann. Fr den Iterations- und den Zirkel-einwand
gibt es auch hier keine Ansatzpunkte. - So drfte sich
erwiesenhaben, da eine Theorie der Strukturmodelle von
Selbstbewutsein, in denendas konkrete Selbst entwickelt wird, d. h.
eine Theorie der konkreten Subjekti-vitt und mit ihr berhaupt eine
Subjektivittstheorie mglich und sinnvolldurchfhrbar ist.