KONJUNKTUR UND GELDPOLITIK: Die konjunkturelle Dynamik hat sich im zweiten Quartal vor allem aufgrund schwacher Produktion aus dem Industriesektor verlangsamt. Nach einem Wirtschaftswachstum von 0,4% im ersten Quartal, legte das BIP im zweiten Quartal lediglich noch um 0,2% zu. Frühindikatoren weisen auf ein anhaltend schwaches zweites Halbjahr hin. Um einen Konjunktureinbruch zu verhindern, dürfte die EZB demnächst noch expansiver werden und sogar ihre Instrumente anpassen. EURO: Während der Euro gegenüber dem US-Dollar seit Anfang Juni per Saldo nur leicht zulegt hat, notiert die Gemeinschaftswährung gegenüber dem britischen Pfund aktuell deutlich höher als noch vor zwei Monaten. Nach der Wahl von Boris Johnson zum Nachfolger von Theresa May befürchten viele Devisenhändler einen „hard brexit“ und negative Effekte für die britische Volkswirtschaft. RENTENMARKT: Der expansivere geldpolitische Kurs auf beiden Seiten des Atlan- tiks, eine schwächelnde Konjunktur, eine beharrlich niedrige Inflation sowie die er- neute Zuspitzung im Handelskonflikt zwischen den USA und China sorgten in den vergangenen beiden Monaten für stark rückläufige Renditen. Die Bundrendite no- tiert aktuell nahe eines Rekordtiefs und die Renditen von immer mehr europäischen Staatsanleihen sacken in den negativen Bereich ab. AKTIENMARKT: Die Aktienmärkte standen im Berichtszeitraum seit Anfang Juni un- ter dem Einfluss des Handelsstreits zwischen den USA und China sowie der geld- politischen Lockerung. Nach einer erfreulichen Kursentwicklung im Juni und Juli sorgten eine enttäuschende Fed-Zinssitzung und eine neuerliche Eskalation im glo- balen Handelskonflikt für einen Kurssturz an den Aktienmärkten, die sich dadurch aktuell wieder auf dem Niveau von Anfang Juni bewegen. ■ Dr. Torsten Gruber ■ Thorsten Proettel ■ Bernhard Spitz Kapitalmarktbericht Euroland Nr. 4: Notenbanken verabreichen geldpolitische Beruhigungspillen 09. August 2019
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Kapitalmarktbericht Euroland Nr. 3: Schwache europäische ... · Das Bruttoinlandsprodukt legte im Quartalsvergleich um 0,4% zu und damit stärker als von Analysten erwartet und stärker
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KONJUNKTUR UND GELDPOLITIK: Die konjunkturelle Dynamik hat sich im zweiten
Quartal vor allem aufgrund schwacher Produktion aus dem Industriesektor
verlangsamt. Nach einem Wirtschaftswachstum von 0,4% im ersten Quartal, legte
das BIP im zweiten Quartal lediglich noch um 0,2% zu. Frühindikatoren weisen auf
ein anhaltend schwaches zweites Halbjahr hin. Um einen Konjunktureinbruch zu
verhindern, dürfte die EZB demnächst noch expansiver werden und sogar ihre
Instrumente anpassen.
EURO: Während der Euro gegenüber dem US-Dollar seit Anfang Juni per Saldo nur
leicht zulegt hat, notiert die Gemeinschaftswährung gegenüber dem britischen
Pfund aktuell deutlich höher als noch vor zwei Monaten. Nach der Wahl von Boris
Johnson zum Nachfolger von Theresa May befürchten viele Devisenhändler einen
„hard brexit“ und negative Effekte für die britische Volkswirtschaft.
RENTENMARKT: Der expansivere geldpolitische Kurs auf beiden Seiten des Atlan-
tiks, eine schwächelnde Konjunktur, eine beharrlich niedrige Inflation sowie die er-
neute Zuspitzung im Handelskonflikt zwischen den USA und China sorgten in den
vergangenen beiden Monaten für stark rückläufige Renditen. Die Bundrendite no-
tiert aktuell nahe eines Rekordtiefs und die Renditen von immer mehr europäischen
Staatsanleihen sacken in den negativen Bereich ab.
AKTIENMARKT: Die Aktienmärkte standen im Berichtszeitraum seit Anfang Juni un-
ter dem Einfluss des Handelsstreits zwischen den USA und China sowie der geld-
politischen Lockerung. Nach einer erfreulichen Kursentwicklung im Juni und Juli
sorgten eine enttäuschende Fed-Zinssitzung und eine neuerliche Eskalation im glo-
balen Handelskonflikt für einen Kurssturz an den Aktienmärkten, die sich dadurch
aktuell wieder auf dem Niveau von Anfang Juni bewegen.
■ Dr. Torsten Gruber
■ Thorsten Proettel
■ Bernhard Spitz
Kapitalmarktbericht Euroland
Nr. 4: Notenbanken verabreichen
geldpolitische Beruhigungspillen
09. August 2019
KAPITALMARKTBERICHT | Nr. 4 / 2019 2 ………………………………………………………………………………………………………………………………………………....................................
EWU-Konjunktur
schwächt sich weiter
ab.
BIP-Wachstum im
zweiten Quartal bei
0,2%.
Anhaltend schwaches
Wachstum im zweiten
Halbjahr erwartet.
Konjunktur und Geldpolitik
In den vergangenen Monaten nahm die konjunkturelle Dynamik in der Eurozone
weiter ab. Besonders ausgeprägt war die Abkühlung in der Industrie. Sowohl im
April als auch im Mai – der Juniwert wird erst Mitte des Monats veröffentlicht – ver-
zeichnete der Industriesektor einen Rückgang der Produktion. Im Einzelhandel wur-
den zwar weiterhin Zuwächse erreicht, diese weisen inzwischen jedoch eine nach-
lassende Tendenz auf.
Es kam daher wenig überraschend, dass das reale Bruttoinlandsprodukt (laut der
ersten Eurostat-Schätzung) im zweiten Quartal nur um magere 0,2% gegenüber
dem Vorquartal zulegte (nach 0,4% Wachstum im Vorquartal). Die Jahresrate für
das BIP-Wachstum der Eurozone sank dadurch von 1,2% im ersten Quartal auf
1,1% im zweiten Quartal und ist damit so niedrig wie zuletzt Ende 2013. Für
Deutschland liegen noch keine Daten zum Quartalswachstum vor (erst Mitte August
werden diese veröffentlicht), aber Ökonomen gehen davon aus, dass die deutsche
Wirtschaft sogar leicht geschrumpft ist.
Für das zweite Halbjahr ist mit einem anhaltend schwachen Wachstum zu rechnen.
Die ungelösten politischen Probleme, darunter der angestrebte EU-Austritt von
Großbritannien und vor allem der globale Handelskonflikt, belasten die wirtschaftli-
che Aktivität und die Stimmung von Unternehmen und Haushalten. Zudem scheint
sich die Anfang des Jahres von zahlreichen Marktteilnehmern gehegte Hoffnung,
das Konjunkturprogramm Chinas möge nicht nur die chinesische Konjunktur bele-
ben, sondern über die Handelsbeziehungen auch die europäische Wirtschaft im
zweiten Halbjahr stützen, nicht zu erfüllen. Im zweiten Quartal sank das chinesische
BIP-Wachstum auf einen historischen Tiefstand. In der Konsequenz dieser beun-
ruhigenden Gemengelage sind die EWU-Einkaufsmanagerindizes der Firma
Markit, die die Stimmung innerhalb der Unternehmen wiederspiegeln, im Juli gefal-
len. Während sich der Index für den Dienstleistungssektor noch oberhalb der
Wachstumsschwelle von 50 Punkten behaupten kann (bei 53,2 Punkten), liegt der
KAPITALMARKTBERICHT | Nr. 4 / 2019 3 ………………………………………………………………………………………………………………………………………………....................................
Stimmungsindikatoren
für die Eurozone und
auch für Deutschland
befinden sich im
Rückwärtsgang.
Inflationsrate weiterhin
auf niedrigem Niveau.
Andere
Frühindikatoren
entwickeln sich
ebenfalls rückläufig.
Index für das verarbeitende Gewerbe nun deutlich darunter (bei 46,5 Punkten).
Schlechter war die Stimmung im verarbeitenden Gewerbe zuletzt während der eu-
ropäischen Staatsschuldenkrise 2011/2012. Würden die Stimmungsindikatoren im
August und September auf dem aktuellen Niveau verharren, würde dies laut Be-
rechnungen der Nachrichtenagentur Bloomberg (auf Basis historischer Daten) im
dritten Quartal einem BIP-Wachstum von 0,1% entsprechen.
Für Deutschland zeichnet der ifo-Geschäftsklimaindex ein zunehmend düsteres
Bild. In den vergangenen zwölf Monaten konnte sich der wichtigste Stimmungsin-
dex für die deutsche Wirtschaft lediglich zweimal verbessern. In zehn Monaten wies
das ifo-Institut dagegen rückläufige Indexwerte aus. Im Juli ist der ifo-Index erneut
gesunken. Den befragten Unternehmenslenkern macht nicht nur die zukünftige Ent-
wicklung Sorgen, sondern sie sind auch zunehmend pessimistisch was die aktuelle
Geschäftslage angeht. Wie in der gesamten Eurozone hat sich die Stimmung auch
in Deutschland vor allem im verarbeitenden Gewerbe verschlechtert. Der entspre-
chende Lageindex ging im Juli sogar so stark zurück wie zuletzt während der glo-
balen Finanzkrise 2008/2009. Im Dienstleistungssektor hielt sich der Stimmungsin-
dex dagegen vergleichsweise stabil. In den jüngsten beiden Erhebungen vom ifo-
Institut zeigte der Index für den Dienstleistungssektor allerdings Anzeichnen von
Schwäche. Es scheint, als ob sich die langsamere Gangart der deutschen Industrie
allmählich auf andere Sektoren überträgt.
Neben den Stimmungsindikatoren tendieren andere Frühindikatoren ebenfalls ab-
wärts. Die Konjunktur- und Verbraucherumfrage der Europäischen Kommission
weist beispielsweise für die Neuaufträge und die Exporterwartungen von Unterneh-
men sinkende Werte aus. Mit einem Wert von -8,1% ist die Auftragslage so ungüns-
tig wie zur Zeit der europäischen Staatsschuldenkrise. Der Wert für die Exporter-
wartungen ist ebenfalls so niedrig wie zuletzt 2012.
Ebenfalls zurückhaltend dürfte sich die Inflation in den kommenden Monaten ent-
wickeln. Darauf deuten auch die jüngsten Inflationsdaten hin. Im Juli ist die Ver-
braucherpreisinflation von 1,3% auf 1,1% gefallen. Die Kerninflation (ohne Energie
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EZB schwenkt auf
noch expansiveren
Kurs ein…
...und stellt
geldpolitische
Lockerungs-
maßnahmen in
Aussicht.
und Lebensmittel) ist von 1,0% auf 0,9% gesunken. Es fehlen Hinweise darauf,
dass sich die Kerninflationsrate von dem schon seit Monaten bestehenden Niveau
um 1,0% lösen wird. Zumindest von Seiten des Arbeitsmarkts ist nicht mit einer
nennenswerten Zunahme des Inflationsdrucks zu rechnen. Die Arbeitslosenquote
verringerte sich im Juli zwar leicht von 7,6% auf 7,5%, folgte damit jedoch lediglich
dem bestehenden Trend bei unveränderter Dynamik. Zudem sind die Inflationser-
wartungen zuletzt gesunken. Der Survey of Professional Forecasters der Europäi-
schen Zentralbank (EZB) weist für das Jahr 2019 einen erwarteten Inflationswert
von lediglich 1,3% aus.
Im letzten Kapitalmarktbericht zur Eurozone hatten wir darauf hingewiesen,
dass Sonderfaktoren (wie nachgeholte Pkw-Käufe, günstige Witterung für
den Bausektor) zu der recht kräftigen BIP-Wachstumsrate im ersten Quartal
beigetragen haben. Ohne den stützenden Einfluss dieser Sondereffekte ist
das Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal von 0,4% auf 0,2% zurückge-
gangen. Die europäische Wirtschaft ist weithin gespalten zwischen dem In-
dustrie- und dem Dienstleistungssektor. Zur Verlangsamung des BIP-
Wachstums trägt vor allem der exportlastige Industriesektor bei, während
sich die Lage im binnenwirtschaftlich orientierten Dienstleistungssektor
noch recht stabil darstellt. Eine nenneswerte Erholung der Konjunktur im
zweiten Halbjahr wird immer unwahrscheinlicher. Diverse politische Prob-
leme belasten sowohl die Stimmung als auch die Wirtschaftsaktivität und die
Hoffnung auf einen positiven Impuls durch das chinesische Konjunkturpro-
gramm schmälert sich zunehmend. Der Industriesektor dürfte daher weiter
angeschlagen bleiben. Immerhin dürften die binnenwirtschaftlich ausgerich-
teten Sektoren die Konjunktur weiterhin stabilisieren, nicht zuletzt vor dem
Hintergrund einer expansiven Geldpolitik.
Der EZB bereitet die konjunkturelle Abschwächung zusammen mit der anhaltend
niedrigen Inflation Sorgen. Daher sah sie sich veranlasst, von einem ohnehin schon
expansiven geldpolititschen Kurs auf einen noch expansiveren Kurs
einzuschwenken. Noch Ende 2018 hatte die EZB das Ende der Nettoanleihekäufe
bekanntgegeben und eine erste Zinserhöhung für Ende 2019 zumindest in Aussicht
gestellt. Von einer Zinserhöhung ist nun schon länger nicht mehr die Rede.
Stattdessen ist eine Leitzinssenkung das wahrscheinlichere Szenario geworden. Im
Juni signalisierten einzelne EZB-Ratsmitglieder wie der italienische Notenbankchef
Visco und der Franzose Villeroy, dass die EZB zu expansiven Maßnahmen bereit
sei, sollten sich die volkswirtschaftlichen Kennzahlen verschlechtern. Für eine
nennenswerte Veränderung der Markterwartungen bezüglich einer baldigen
Leitzinssenkung sorgte aber erst EZB-Präsident Draghi auf einer Konferenz von
Notenbankern im portugiesischen Sintra, als er in Aussicht stellte, die Geldpolitik
der EZB weiter zu lockern, sofern sich die konjunkturelle Lage nicht bessere. Draghi
verwies bei seinen Erläuterungen vor allem auf die Abwärtsrisiken für die
Konjunktur. Eine Rolle könnten aber auch die marktbasierten Inflationserwartungen
gespielt haben, die sich zuvor rückläufig entwickelt hatten.
Die Aussagen Draghis beflügelten die Zinssenkungsphantasien der Anleger und
mit Spannung wurde anschließend die EZB-Ratssitzung Ende Juli erwartet.
Anleger, die sich von der EZB-Sitzung eine Senkung des Einlagezinssatz erhofft
hatten, wurden allerdings enttäuscht. Der Einlagezinssatz wurde unverändert bei
-0,4% belassen. Auch auf konkrete Umsetzungspläne anderer geldpolitischer
Maßnahmen warteten Anleger vergeblich. EZB-Präsident Draghi stellte allerdings
eine baldige Lockerung der Geldpolitik in Aussicht und signalisierte die Bereitschaft
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Der Kurs der
Notenbank dürfte auch
unter Lagarde...
...und mit dem neuen
EZB-Chefvolkswirt
sehr expansiv bleiben.
der EZB, wenn nötig alle Instrumente anzupassen. Ausschüsse sollen nun
verschiedene Optionen prüfen (z.B. Wege zur Stärkung der Forward Guidance,
Größe und Zusammensetzung einer potenziellen Wiederaufnahme von
Anleihekäufe oder eine Absenkung des Einlagezinssatzes). Der EZB-Rat geht
davon aus, dass die Leitzinsen mindestens über die erste Hälfte des Jahres 2020
auf ihrem gegenwärtigen „oder einem niedrigeren Niveau“ bleiben werden. Im Juni
war der Rat noch nicht von niedrigeren Leitzinsen ausgegangen. Auch beim
Inflationsziel gab es eine Ändung der Formulierung. Statt wie bisher eine
nachhaltige Annäherung der Inflation an ein Niveau von unter, aber nahe 2% auf
mittlere Sicht sicherzustellen, wurde die Marke von 2% nun nicht mehr genannt.
Einige Marktbeobachter deuten dies als Hinweis, dass die EZB versucht, auf ein
symmetrisches Inflationsziel einzuschwenken. Damit könnten auch Inflationsraten
über 2% toleriert werden, wenn sich die Inflationsrate zuvor über einen
ausgedehnten Zeitraum unter 2% bewegt hat. Damit würde eine lange Phase sehr
expansiver Geldpolitik noch wahrscheinlicher werden.
Mit diesen Ergebnissen der Zinssitzung ist klar, dass die Geldpolitik in der Eurozone
für sehr lange Zeit sehr expansiv bleiben bzw. ab September noch expansiver
werden wird. Die Amtszeit von Mario Draghi endet zwar im Oktober, seine
designierte Nachfolgerin, die ehemalige IMF-Chefin Christine Lagarde, wird sich
jedoch an die Forward Guidance halten müssen, sofern sie an den Märkten nicht
für Turbulenzen sorgen möchte. Ohnehin ist von Lagarde kein Schwenk hin zu einer
restriktiveren Geldpolitik zu erwarten. Im Gegenteil, unter Lagarde könnte die
Geldpolitik sogar deutlich gelockert werden. Lagarde bringt für die Stelle als
höchste Notenbankerin der Eurozone keine Erfahrung innerhalb einer Notenbank
mit. Auch wenn die ausgebildete Juristin während ihrer Karriere unter anderem als
französische Wirtschafts- und Finanzministerin und Chefin des Internationalen
Währungsfonds sicherlich umfassende Kenntnisse für eine Arbeit an der Spitze der
EZB erworben hat, dürfte sie ein weniger dogmatisches Verständnis von Geldpolitik
mitbringen als viele ihrer Vorgänger. Eine strikte Ablehnung von Staatsfinanzierung
durch Notenbanken ist bei ihr weniger sicher als beispielsweise beim deutschen
Notenbankpräsidenten Jens Weidmann, der sich auch Hoffnungen auf den EZB-
Posten gemacht hatte. Insgesamt dürfte Lagarde eine gewisse Offenheit
gegenüber unkonventionellen geldpolitische Maßnahmen mitbringen. Den
berühmten Worten Draghis „whatever it takes“ (Draghi Klarstellung, dass die EZB
innerhalb ihres Mandats bereit sei, zu zun, was immer nötig sein wird, um den Euro
zu schützen) hat sie zumindest öffentlich zugestimmt.
Bereits im Juni fand ein weiterer wichtiger Wechsel innerhalb der EZB statt. Der Ire
Philip Lane löste den Belgier Peter Praet als Chefvolkswirt ab. Der Chefvolkwirt hat
eine wichtige Rolle innerhalb des EZB-Rats. In Sitzungen des Rats gibt der
Chefvolkswirt einen Einblick in die wirtschaftliche Entwicklung und macht
Vorschläge zu den Maßnahmen, die die EZB treffen sollte. Unter Praet folgte der
Rat in der Regel den Vorschlägen des Volkswirts. Auch Lane als Chefvolkswirt
dürfte es gelingen, Entscheidungen des EZB-Rats zu beeinflussen. Dafür spricht
der Ruf Lanes als international anerkannter Makroökonom. Da zudem die
designierte EZB-Präsidentin als Juristin im Gegensatz zu Lane weder über
Zentralbankerfahrung und über ökonomische Ausbildung verfügt, dürften für sie die
Einschätzungen und Handlungsvorschläge Lanes umso bedeutender sein. In der
Vergangenheit hat sich Lane für eine lockere Geldpolitik ausgesprochen und hat
alle wichtigen geldpolitischen Entscheidungen der vergangenen Jahre mitgetragen.
Daneben hat er das Konzept der European Safe Bonds (kurz ESBies) auch bekannt
als Sovereign Bond-Backed Securitues mitentwickelt. Bei ESBies werden
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Geldpolitik sorgte für
volatilen EUR-US-
Dollar-Kursverlauf.
Die Kehrtwende in
den USA – Fed
signalisiert
Leitzinssenkung –
kommt im Juni dem
Euro zugute.
Staatsanleihen verschiedener Euroländer von einer Schuldenagentur in einem
Fonds gebündelt und in unterschiedliche Tranchen zerlegt. Gerade unter den
nördlichen Euroländern sind die ESBies auf heftige Kritik gestoßen, da sie eine
abgewandelte Form von Eurobonds, also Anleihen mit gemeinschaftlicher Haftung,
darstellen, sodass der Vorschlag ESBies einzuführen schließlich abgelehnt wurde.
Zuletzt hat sich Lane Anfang Juli angesichts der hartnäckig unter der Zielrate
verharrenden Inflationsrate für ein proaktives Agieren der EZB ausgesprochen.
Angesichts der personellen Veränderungen auf den beiden wichtigsten Positionen
innerhalb der EZB ist also nicht mit einer Änderung des EZB-Kurses zu rechnen.
In den vergangenen beiden Monaten hat die EZB einen Schwenk von einer
expansiven hin zu einer noch expansiveren Geldpolitik vollzogen und auf
absehbare Zeit dürfte der Kurs sehr expansiv bleiben. Dafür spricht die
konjunkturelle Entwicklung mit sich abschwächenden Wachstumsraten und
eine verhaltenen Inflation, der von politischen Risiken geprägte unsichere
Ausblick sowie der Personalwechsel innerhalb der EZB. Unter der
designierten zukünftigen EZB-Präsidentin Lagarde könnte der geldpolitische
Kurs der EZB sogar noch expansiver werden, da sie sich als ehemalige
Finanz- und Wirtschaftsministerin politischen Einflüssen möglicherweise
noch stärker verpflichtet fühlt als ihre Vorgänger.
Euro
Die Geldpolitik der Fed und der EZB sorgten in den vergangenen Monaten für ei-
nige Volatilität beim Euro-US-Dollar Wechselkurs. Nach einer kurzen Aufwertungs-
phase für den Euro in der ersten Junihälfte sorgten die Aussagen europäischer No-
tenbanker ab Mitte Juni für Euroschwäche, vor allem als sich EZB-Präsident Draghi
auf der Notenbankkonferenz in Sintra für eine baldige Lockerung der Geldpolitik im
Falle anhaltender Konjunkturschwäche aussprach.
In der zweiten Monatshälfte erholte sich der Euro aber recht zügig, als nun auch
auf der anderen Seite des Atlantiks von der Fed eine geldpolitische Lockerung in
Aussicht gestellt wurde. Die Fed kündigte an, angemessen zu handeln, um den
Aufschwung zu unterstützten. In der Stellungnahme der geldpolitischen FOMC-
Sitzung Mitte Juni hieß es, „… die Unsicherheiten für den Ausblick haben zugenom-
men. Im Lichte dieser Unsicherheiten und des gedämpften Inflationsdrucks wird
das [geldpolitische] Komitee die Bedeutung der eingehenden Informationen sehr
genau beobachten…“. Obwohl die US-Notenbank zuletzt noch im Dezember des
vergangenen Jahres die Leitzinsen angehoben hatte und die Fed in der Vergan-
genheit selten derart zügig von restriktiver Geldpolitik auf eine geldpolitische Lo-
ckerung umschwenkte war, preisten die Märkte nach den (vergleichsweise) deutli-
chen Worten der Fed-Notenbanker eine Leitzinssenkung bei der nächsten Fed-Sit-
zung Ende Juli ein. Zwischenzeitlich lag die aus den Federal Fund Futures abge-
leitete Wahrscheinlichkeit für eine Leitzinssenkung um 50 Punkte sogar bei knapp
40%.
KAPITALMARKTBERICHT | Nr. 4 / 2019 7 ………………………………………………………………………………………………………………………………………………....................................
Die erneute Eskala-
tion im Handelsstreit
schadete dem Euro
nicht, da er immer
stärker als
Fluchtwährung
benutzt wird.
Im Juli litt der Euro
unter schwachen
EWU-Konjunktur-
daten und politischen
Nachrichten aus den
USA.
Anfang Juli kam der Euro allerdings erneut unter Druck. Zum einen stellten sich die
Konjunkturdaten aus den USA positiver dar als die entsprechenden Daten aus der
Eurozone. Während sich die europäische Wirtschaft schon seit einiger Zeit im Ab-
schwung befindet, sind es in den USA vor allem die Stimmungsindikatoren, die sich
zuletzt eingetrübt haben. Die Produktionsdaten aus den USA stellen sich mehrheit-
lich recht stabil dar und auch die BIP-Wachstumsrate von annualisiert 2,1% im
zweiten Quartal zeigten sich robust. Zum anderen einigten sich der US-Kongress
und das Weiße Haus auf eine Anhebung der Schuldenobergrenze. Der Kompro-
miss, der die Finanzierung des US-Haushalts bis nach den US-
Präsidentschaftswahlen im Herbst des kommenden Jahres gewährleisten soll, sieht
vor, dass die Ausgaben für innenpolitische Projekte gleich stark steigen sollen wie
der Militäretat. Der US-Dollar reagierte erleichtert auf die Nachricht, denn zum Jah-
resanfang hatte die US-Verwaltung aufgrund von Uneinigkeiten bei der Haushalts-
planung wochenlang stillgestanden, was für einen erheblichen wirtschaftlichen
Schaden gesorgt hatte. Die Gefahr eines erneuten „government shutdown“ scheint
mit dem nun erzielten Haushaltskompromiss vorerst gebannt (die Vereinbarung
muss nun lediglich noch formale Hürden passieren).
Nach der Fed-Sitzung Ende Juli sackte der Euro-US-Dollar Kurs sogar unter 1,11
und damit auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahren ab. Die Fed hatte zwar auf
ihrer Zinssitzung beschlossen, den Leitzins um 25 Basispunkte herabzusetzen. Ei-
nige Marktteilnehmer hatten aber mit einer stärkeren Leitzinssenkung um 50 Basis-
punkte gerechnet. Positiv auf den US-Dollar wirkte zudem die Aussage Powells,
dass die US-Wirtschaft grundsätzlich gesund sei und die Zinssenkung eine Vor-
sichtsmaßnahme gegen Abwärtsrisiken darstelle. Von einem Beginn eines länge-
rem Zinssenkungszyklus war nicht die Rede. Nachdem sich der Euro in den ver-
gangenen Tagen von der Talfahrt im Juli erholen konnte, liegt der Wechselkurs zum
US-Dollar aktuell bei 1,120 und damit etwas höher als Anfang Juni (damals lag der
Wechselkurs bei 1,117 US-Dollar). Die erneute Eskalation im Handelsstreit zwi-
schen den USA und China Anfang August schadete dem Euro nicht. Es scheint,
dass sich der Euro neben dem US-Dollar, dem japanische Yen und dem Schweizer
Franken immer mehr als safe-haven Währung etablieren kann.
KAPITALMARKTBERICHT | Nr. 4 / 2019 8 ………………………………………………………………………………………………………………………………………………....................................
Euro legt
gegenüber GBP
dank gestiegener
Brexit-
Wahrscheinlichkeit
kräftig zu.
Britische Wirtschaft
würde noch
jahrelang die
Folgen des Brexit
spüren.
Während der Euro gegenüber dem US-Dollar im Berichtszeitraum lediglich moderat
zulegen konnte, fiel die Aufwertung gegenüber dem britischen Pfund deutlicher aus.
Für Unruhe unter den GBP-Investoren sorgte die Befürchtung, Großbritannien steu-
ere auf einen ungeregelten EU-Austritt zu. Dieser „hard Brexit“ ist zuletzt wahr-
scheinlicher geworden, da im Juli mit Boris Johnson ein Brexit-Befürworter das Amt
des Premierministers übernommen hat. Zentrales Versprechen Johnsons ist es,
das Land Ende Oktober aus der EU zu führen, ob mit Austrittsvertrag oder ohne.
Diese kompromisslose Haltung macht einen ungeregelten Brexit wahrscheinlicher,
denn der von Johnsons Vorgängerin May ausgehandelte Vertrag mit der EU wurde
im britischen Parlament abgelehnt und Neuverhandlungen zum Austrittsabkommen
erteilte der scheidende EU-Kommissionspräsident Juncker bereits eine Absage.
Momentan erscheint es schwer vorstellbar, dass sich Johnson bis Ende Oktober
mit der EU auf ein Austrittsabkommen einigen wird, das anschließend auch im bri-
tischen Parlament eine Mehrheit finden wird. Die konservative Mehrheit (zusam-
men mit der Nordirischen DUP) im britischen Unterhaus liegt lediglich bei zwei Sit-
zen und einige konservative Abgeordnete lehnen einen „harten“ Brexit strikt ab.
Ein Austritt Großbritanniens aus der EU ohne Vertrag hätte weitreichende Konse-
quenzen. Die Bank of England schätzt, dass in einem „hard Brexit“-Negativ-Szena-
rio, mit erheblichen Beeinträchtigungen des grenzübergreifenden Handels und ei-
nem Vertrauensverlust an den Märkten, die Wirtschaftsleistung innerhalb eines
Jahres um 5% zurückgehen würde (vergleichbar mit dem BIP-Rückgang durch die
globale Finanzkrise). In einem weniger negativen „hard Brexit“-Szenario, das bei-
spielsweise voraussetzt, dass Großbritannien und die EU ein Verkehrschaos an
den Grenzen verhindern werden, würde der Rückgang der Wirtschaftsleistung in-
nerhalb eines Jahres immerhin noch 3% betragen. Über einen längerfristigen Zeit-
horizont rechnet das britische Finanzministerium mit einem 8% niedrigeren Brutto-
inlandsprodukt bis 2035 nach einem ungeordneten Brexit verglichen mit einem Ver-
bleib Großbritanniens in der EU. Vor dem Hintergrund dieser Berechnungen und
den neuesten politischen Entwicklungen in Großbritannien scheint die Abwertung
des britischen Pfunds durchaus nachvollziehbar.
Der Euro-US-Dollar Wechselkurs stand die vergangenen beiden Monate vor
allem unter dem Einfluss der Geldpolitik in beiden Währungsräumen. Für die
kommenden Monate rechnen wir mit einer leicht schwächeren Tendenz für
den US-Dollar. Die EZB dürfte zwar im September konkrete geldpolitische Lo-
ckerungsmaßnahmen ankündigen. Im Vergleich der Notenbanken hat die Fed
nach den graduellen Leitzinserhöhungen der vergangenen Jahre aber den
größeren Spielraum, die Geldpolitik zu lockern. US-Präsident Trump versucht
schon seit längerem, die Fed zu einem expansiveren Kurs zu drängen. Die
Unabhängigkeit der Notenbank verhindert zwar direkten Einfluss seitens der
Politik, aber aktuell sind zwei Sitze im Offenmarktausschuss unbesetzt. Sollte
es Trump gelingen, seine Wunschkandidaten im Offenmarktausschuss unter-
zubringen, könnte der Kurs der Fed noch expansiver werden. Für das EUR-
GBP Währungspaar ist entscheidend, ob es dem neuen Premierminister
Großbritanniens, Boris Johnson, doch noch gelingt, einen ungeregelten
Brexit abzuwenden. Der Devisenmarkt ist bislang skeptisch, dass der Brexit-
Hardliner der geeignete Kandidat für diese Aufgabe ist, sodass das Pfund in
den vergangenen Wochen gegenüber dem Euro an Wert eingebüßt hat, als
sich abzeichnete, dass Johnson das Rennen um die Nachfolge von Theresa
May gewinnen würde.
KAPITALMARKTBERICHT | Nr. 4 / 2019 9 ………………………………………………………………………………………………………………………………………………....................................
… und bei Anleihen
südeuropäischer
Staaten noch positive
Renditen.
…und immer mehr
langlaufende
europäische Staats-
anleihen rentieren im
negativen Bereich.
Die Rendite 10-
jähriger Bundes-
anleihem fällt auf
neues Rekordtief...
Immerhin erhalten
Anleger im ultra-
langen Laufzeiten-
bereich…
Rentenmarkt
Der bereits beschriebene Schwenk der EZB und der Fed hin zu einer geldpoliti-
schen Lockerung sowie die Eskalation im Handelsstreit zwischen den USA und
China, die den Konjunkturausblick erheblich belastet, sorgten im Berichtszeitraum
im gesamten Euroraum für einen Renditerückgang am Anleihemarkt. Die Rendite
10-jähriger Bundesanleihen sackte dadurch von -0,20% Anfang Juni auf aktuell
-0,58% Anfang August ab und erreichte in diesem Zeitraum ein neues Rekordtief
bei -0,61%.
Während 10-jährige deutsche Staatsanleihen seit Anfang Mai im negativen Bereich
rentieren, sackten in den vergangenen beiden Monaten die Renditen von immer
mehr langlaufenden europäischen Staatsanleihen in den negativen Bereich ab. Im
10-jährigen Laufzeitenbereich rentieren inzwischen die Anleihen von den Nieder-
Angaben jeweils zum Periodenende 1 Oil Brent Physical Del, US$/Barrel
Quelle: Bloomberg, Haver
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