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Jugendstrafverfahren Jugendstrafverfahren Grundsätze und JStPO
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Jugendstrafverfahren - Peter Aebersold, Prof. Dr. iur. · Diskrepanz der Wahrnehmungen Nicht selten gehen die Intentionen, von denen sich Mitarbeitende der Jugendstrafrechtspflege

Aug 29, 2018

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JugendstrafverfahrenJugendstrafverfahrenGrundsätze und JStPO

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Leitideen des Leitideen des JugendverfahrensJugendverfahrens

Wenn das materielle Jugendstrafrecht mit seiner täterbezogenen, spezialpräventiven Ausrichtung zum Tragen kommen soll, muss auch das Verfahren entsprechend ausgestaltet sein. Ein jugendgerechtes Verfahren sollte innert kurzer Frist und ohne unnötige Formalien abgewickelt werden, für den Jugendlichen verständlich sein und ihm das Gefühl vermitteln, ernst genommen und fair behandelt zu werden.

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Diskrepanz der WahrnehmungenDiskrepanz der Wahrnehmungen

Nicht selten gehen die Intentionen, von denen sich Mitarbeitende der Jugendstrafrechtspflege leiten lassen, und die Erwartungen der betroffenen Jugendlichen diametral auseinander. Dementsprechend können auch ihre Wahrnehmungen stark von einander abweichen.

Das zeigt eine von Hauser in Deutschland durchgeführte Untersuchung, in der Jugendrichter und von ihnen beurteilte Jugendliche zur selben Jugendgerichts-Verhandlung befragt wurden.

Harald Hauser, Der Jugendrichter – Idee und Wirklichkeit, MSchrKrim 1980, S.1 ff.;

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VerfahrensgrundsVerfahrensgrundsäätzetze

Das rechtsstaatliche Strafverfahren ist von Grundsätzen geleitet, welche die Verwirklichung des materiellen Rechts gewährleisten sollen. Da sich das materielle Recht im Jugendstrafrecht deutlich vom Erwachsenenstrafrecht unter-scheidet, müssen auch die Verfahrensgrundsätze nach jugendspezifischen Kriterien auf das Jugendstrafrecht ausgerichtet werden. Mit dieser Problematik befasst sich der folgende Teil.

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ErziehungsmodellErziehungsmodell

Das Erziehungs- oder Wohlfahrtsmodell verfolgt das Ziel, Erziehungsdefizite festzustellen und bestmöglich zu kompensieren. Es versteht die Sanktion als erzieherischen Eingriff im eigenen Interesse des Jugendlichen. Die Verantwortlichen sehen sich als pädagogische Fachleute, die dem Wohl des Jugendlichen verpflichtet sind. Das Verfahren wird bereits als Teil der erzieherischen Intention eingesetzt, es soll den Jugendlichen durch seine moralische Qualität beeindrucken. In dieser Sicht sind rechtsstaatliche Instrumente eher Störfaktoren.

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JustizmodellJustizmodell

Das rechtsstaatliche oder Justiz-Modell geht davon aus, dass jugendstrafrechtliche Interventionen trotz ihrer erzieherischen Ausrichtung Eingriffe sind, mit denen ein Übel zugefügt wird. Mit der Sanktion werden der Jugendliche und seine Erziehungspersonen auf ihre Verantwortung angesprochen. Die Strafe ist als solche keine Erziehung, aber sie soll in der Auseinandersetzung erzieherisch verarbeitet werden. Der Jugendliche wird deshalb als Rechtssubjekt verstanden, dem gleichartige Rechte zustehen wie einem Erwachsenen. Angestrebt wird Gerechtigkeit durch ein faires Verfahren.

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Umstritten ist das MittelfeldUmstritten ist das Mittelfeld

Umstritten ist, welches Modell im Mittelfeld der Sanktionen vorherrschen soll. In der Tradition der schweizerischen Jugendstrafrechtspflege findet im Mittelfeld das Erziehungsmodell Anwendung. Dagegen sollte nach den von den Menschenrechten geprägten internationalen Standards das Justizmodell schon im Mittelfeld zum Zug kommen, d.h. überall dort, wo es um Sanktionen mit Eingriffscharakter geht.

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Modelle sind IdealtypenModelle sind Idealtypen

Soweit sie am richtigen Ort eingesetzt sind, müssen beide Modelle nicht in reiner Form durchgeführt werden. So soll auch ein rechtsstaatliches Modell jugendgerecht ausgestaltet sein. Entsprechend verlangt Art.40 KRK ausdrücklich Sonderregeln für das Jugendverfahren. Umgekehrt müssen auch im Erziehungsmodell Mindestrechte verwirklicht sein, z.B.Verteidigung und Rechtsmittel.

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Jugendverfahren ist ein StrafverfahrenJugendverfahren ist ein Strafverfahren

Zum Schutz der Betroffenen müssen auch im Jugendverfahren der staatlichen Eingriffs-ermächtigung Grenzen gesetzt werden. Trotz der erzieherischen Ausrichtung ist das Jugend-verfahren ein Strafverfahren, kein Jugendschutz-verfahren, kein Jugendfürsorgeverfahren. Vom 15. Altersjahr an werden Sanktionen angeordnet, die der Bewährung der Rechtsordnung dienen und massive Eingriffe in die Entwicklung und in die Freiheit der Jugendlichen darstellen können.

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Prinzipien des StrafverfahrensPrinzipien des Strafverfahrens

Der im Jugendstrafrecht wegweisende Erziehungs-gedanke darf nicht bewirken, dass die Errungen-schaften des rechtsstaatlichen Verfahrens auf dem Altar eines wohl gemeinten pädagogischen Fürsorgedenkens geopfert werden. Die im Strafprozessrecht massgeblichen Prinzipien des Strafverfahrens, müssen deshalb weitgehend Anwendung finden, doch erfahren sie als Folge der spezialpräventiven Zielsetzung eine beson-dere Ausrichtung. Einige wichtige Prinzipien werden nachfolgend aus der speziellen Per-spektive des Jugendstrafverfahrens abgehandelt.

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OpportunitOpportunitäätsprinziptsprinzip

Schon das materielle Recht ist durchdrungen von Opportunitäts-Regeln. Deshalb muss dem Opportunitätsprinzip auch im Verfahrensrecht eine grosse Bedeutung zukommen. Das Ver-fahren soll nie als Selbstzweck durchgeführt werden und in jeder Phase ein individuelles Vorgehen, Flexibilität und rasche Erledigung ermöglichen. Es soll sich auf das Notwendige beschränken. Auch wenn es erzieherische Ziele verfolgt, sollen die Eltern möglichst weitgehend für die Erziehung verantwortlich bleiben.

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AkkusationsAkkusations--/Inquisitionsprinzip/Inquisitionsprinzip

Nach dem Akkusationsprinzip werden die Funktionen der Strafverfolgung und der richterlichen Beurteilung personell und organisatorisch getrennt. Das Akkusationsprinzip und die damit verbundene Einführung der Staatsanwaltschaft gehen zurück auf die französische Revolution und gehören zu den wichtigsten Errungenschaften der im 19.Jahrhundert vollzogenen Prozessreform. Die Trennung von Strafverfolgung und richterlicher Beurteilung hat sich im Erwachsenen-Strafrecht umfassend durchgesetzt. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass die erst im 20.Jahrhundert entstandenen Jugendstrafverfahren weitgehend wieder zum Inquisitionsverfahren zurückgekehrt sind.

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Nur bei leichten Sanktionen gerechtfertigtNur bei leichten Sanktionen gerechtfertigt

Die aus dem Erziehungsgedanken abgeleiteten Gründe überzeugen nur dort, wo es sich um Übertretungsverfahren oder um geringfügige Sanktionen mit Warncharakter handelt, also insbesondere beim Verweis, bei der persönlichen Leistung und bei leichtern Bussen. Hier steht die erzieherische Grenzziehung im Vordergrund, das Schutzbedürfnis des Jugendlichen verlangt nicht nach einer zusätzlichen Beurteilung durch ein unbefangenes Gericht.

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Unparteiische Richter gefordertUnparteiische Richter gefordert

Jugendliche sollten, soweit es um Sanktionen mit Eingriffs-charakter geht wie Erwachsene in einem fairen Verfahren ernst genommen und von einer unbefangenen richter-lichen Instanz beurteilt werden. Die Kinderrechte-Konvention, garantiert in Art.40, Abs.2 das Recht, strafrechtliche Vorwürfe „durch eine zuständige Behörde oder ein zuständiges Gericht, die unabhängig und unpar-teiisch sind, in einem fairen Verfahren ... entscheiden zu lassen.“ Personen, die zuvor für die Strafuntersuchung verantwortlich waren, erfüllen diese Anforderung nicht: „Wer den Ankläger zum Richter hat, braucht Gott zum Advokaten“, Eberhard Schmidt. Das Inquisitionsprinzip ist im Bereich von einschneidenden Sanktionen nicht mehr zeitgemäss.

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ErmittlungsprinzipErmittlungsprinzip

Nach dem Ermittlungs- oder Instruktionsprinzip liegt die Beweislast bei den Behörden. Sie sind verpflichtet, objektiv den wahren Sachverhalt zu ermitteln und die Beweise zu sammeln, die zur Beurteilung erforderlich sind. Dabei haben sie belastende und entlastende Gesichtspunkte gleichermassen abzuklären. Wenn Zweifel an der Strafbarkeit bestehen, müssen diese zu Gunsten des Angeschuldigten gewertet werden (in dubio pro reo). Dieses Prinzip muss im Jugendstraf-recht ohne Einschränkung gelten.

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UnschuldsvermutungUnschuldsvermutung

In einem engen Zusammenhang mit dem Ermittlungsprinzip steht die Unschulds-vermutung. Dass sie selbstverständlich auch im Jugendstrafrecht gilt, ergibt sich aus der Kinderrechtskonvention, Art.40.

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Rechtliches GehRechtliches Gehöörr

Der Anspruch auf rechtliches Gehör stellt sicher, dass die Beschuldigten sich am Strafverfahren beteiligen, sich verteidigen, ihre Rechte wahr-nehmen können. Er soll verhindern, dass die Betroffenen zum blossen Objekt werden. Das rechtliche Gehör umfasst den Anspruch auf volle Information, das Recht sich zu äussern, die Mög-lichkeit, an Beweiserhebungen teilzunehmen, das Recht, Beweisanträge zu stellen, und das Recht auf Akteneinsicht. Mit dem Anspruch auf Verteidigung wird abgesichert, dass der Grundsatz der Waffengleichheit gewahrt wird.

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Strafbefehl als ProblemStrafbefehl als Problem

Problematisch ist, dass gestützt auf die JStPO das Strafbefehlsverfahren als einzige Erledigungsart für alle Verfahren vorgesehen ist, die in die richterliche Kompetenz der Untersuchungsbehörde fallen. Damit werden sogar Freiheitsstrafen und Schutzmassnahmen per Strafbefehl verhängt, und das ohne zwingend vorgeschriebene Einvernahme.

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Fair TrialFair Trial

Der Grundsatz von Fair Trial wird aus EMRK 6, Zff.1 abgeleitet. Er ist in der Bundesverfassung in Art.29,Abs.1 ausdrücklich geregelt. Er garan-tiert den Verfahrensbetroffenen eine gleiche und gerechte Behandlung. Er verlangt von den Straf-verfolgungsbehörden, das Strafverfahren fair, korrekt und sachlich zu führen, die Würde der Angeschuldigten zu wahren und ihre Privat-sphäre zu schonen. Die Behörden haben die Verfahrensbeteiligten über ihre Rechte aufzu-klären und ihnen im Sinne der Waffengleichheit zu ermöglichen, diese Rechte wahrzunehmen. Gilt im Jugendstrafrecht ganz speziell.

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BeschleunigungsgrundsatzBeschleunigungsgrundsatz

Der Beschleunigungsgrundsatz verpflichtet alle Behörden der Strafrechtspflege, die Straf-verfahren ohne Verzug einzuleiten und zu Ende zu führen. Im Jugendstrafrecht hat der Grundsatz ein noch grösseres Gewicht. Jugendliche können keinen Zusammenhang mit ihrem Verhalten mehr herstellen, wenn die Reaktion verspätet eintritt. Die Sanktion sollte deshalb möglichst unmittelbar auf die Tat folgen, wenn sie eine präventive Wirkung haben soll.

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Die SchweizerischeDie SchweizerischeJugendstrafprozessordnungJugendstrafprozessordnung

.vom 20.Mvom 20.Määrz 2009rz 2009

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Schweizerische JugendstrafprozessordnungSchweizerische Jugendstrafprozessordnung

� Die JStPO regelt das Verfahren zur Beurteilung der im JStG geregelten Sanktionen und ersetzt gleichzeitig die dort enthaltenen Verfahrens- und Vollzugsregeln.

� Mit der JStPO wird das Verfahrensrecht erstmals einheitlich im Bund geregelt. Kantonal bleibt die Behördenorganisation (Jugendanwaltsmodell in der Deutschschweiz, Jugendrichtermodell in der übrigen Schweiz)

� Die JStPO ist lex specialis, sie ist gekoppelt an die für die Erwachsenen geltende StPO, die gleichzeitig in Kraft treten wird.

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VerhVerhäältnis zur StPO ltnis zur StPO

Umgekehrt als beim JStG, wo der Art.1 eine abschliessende Liste der anwendbaren Be-stimmungen aus dem StGB formuliert, sind die Regeln der Erwachsenen-StPOvom 5.10.2007 sinngemäss anwendbar, soweit die JStPO keine besondern Be-stimmungen enthält. Damit ist die Rechtslage wenig übersichtlich.

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ZweckZweck

Die Zielsetzungen und Grundsätze des materiellen Rechts sollen sich auch im Verfahren entfalten.

Mit der JStPO wird zugleich angestrebt, die im internationalen Recht vorgegebenen Mindestnormen zu erfüllen.

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EntstehungsgeschichteEntstehungsgeschichte

� Mit der Botschaft vom 21.12.05 wurde ein Entwurf vorgelegt, der auf breite Ablehnung stiess. Der Ständerat wies ihn zurück.

� Am 22.8.07 präsentierte der Bundesrat einen Ent-wurf „mit Änderungen“ (eigentlich einen neuen Entwurf). Dieser passierte die Beratung in den Räten ohne grosse Korrekturen. Streitpunkte waren die Beschleunigung und die Begleitperson.

� Die JStPO wurde am 20.3.09 verabschiedet und am 1.1.2011 in Kraft gesetzt.

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Gliederung der Gliederung der JStPOJStPO1. Gegenstand und Grundsätze Art.1-52. Jugendstrafbehörden Art.6-83. Allgemeine Verfahrensregeln Art.9-174. Parteien und Verteidigung Art.18-255. Zwangsmittel, Schutzmassnahmen,

Beobachtungen Art.26-296. Verfahren (Untersuchung, Strafbefehl,

Anklage, Hauptverhandlung) Art.30-377. Rechtsmittel Art.38-418. Vollzug von Sanktionen Art.42-439. Kosten Art.44-4510. Schlussbestimmungen Art.46-54

Gesetzesbestimmungen sind nachfolgend rot eingefärbt

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GrundsGrundsäätze Art.4tze Art.4Hauptgrundsatz (Abs.1) entspricht Art.2 JStG:

Für die Anwendung dieses Gesetzes sind der Schutz und die Erziehung der Jugendlichen wegleitend.

Weitere Grundsätze: - Entwicklungsstand und Persönlichkeitsrechte beachten- Verfahrensbeteiligung, Anhörung (mit Vorbehalt)- Eingriffe möglichst schonend- Einbezug von gesetzlicher Vertretung und VB

Allgemeines Prinzip: Erziehungsmodell bei leichten, Justizmodell bei einschneidenden Sanktionen

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Beschleunigungsgrundsatz Art.5 Beschleunigungsgrundsatz Art.5 StPOStPO

Leider konnte sich der Nationalrat nicht auf ein gegenüber dem Erwachsenenverfahren ver-schärftes Beschleunigungsgebot einigen, das als Art.4, Abs.5 hätte formuliert werden sollen.

Der allgemeine Beschleunigungsgrundsatz gemäss Art.5 der StPO gilt auch im Jugendverfahren:

Die Strafbehörden nehmen die Strafverfahren unverzüglich an die Hand und bringen sie ohne Verzögerung zum Abschluss.

Befindet sich eine beschuldigte Person in Haft, so wird ihr Verfahren vordringlich durchgeführt.

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Verzicht auf Strafverfolgung Art.5Verzicht auf Strafverfolgung Art.5

Absehen von der Strafverfolgung:� Wenn Strafbefreiungsgründe nach Art.21

JStG vorliegen (entspricht Art.7 aJStG)� Wenn ein Vergleich oder eine Mediation

erfolgreich abgeschlossen wurden(entspricht Art.8 aJStG)

� Wenn Gründe gemäss Art.8 (Erw-)StPOvorliegen (Opportunität): StGB 52-54, vor allem geringfügige Zusatzstrafen

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StrafverfolgungsbehStrafverfolgungsbehöörden Art.6rden Art.6

Strafverfolgungsbehörden sind: � die Polizei; � die Untersuchungsbehörde; � die Jugendstaatsanwaltschaft, sofern der Kanton

eine solche Behörde vorsehen muss.

Neu ist der Begriff „Untersuchungsbehörde“ für Jugendanwalt/in oder Jugendrichter/in. Damit wurde es möglich, die beiden Modelle gleich-berechtigt auszugestalten (der frühere Entwurf hatte auf dem Jugendrichtermodell aufgebaut).

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UntersuchungsbehUntersuchungsbehöörde, Art.6 Abs.2rde, Art.6 Abs.2

Die Kantone bezeichnen als Untersuchungsbehörde: a. eine oder mehrere Jugendrichterinnen oder einen

oder mehrere Jugendrichter; oder

b. eine oder mehrere Jugendanwältinnen oder einen oder mehrere Jugendanwälte.

Die Jugendrichterinnen und Jugendrichter sind Mitglieder des Jugendgerichts.

Die Jugendanwältinnen und Jugendanwälte vertreten vor dem Jugendgericht die Anklage.

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Gerichte Art.7Gerichte Art.7

Gerichtliche Befugnisse im Jugendstrafverfahren haben: a. das Zwangsmassnahmengericht; b. das Jugendgericht; c. die Beschwerdeinstanz in Jugendstrafsachen; d. die Berufungsinstanz in Jugendstrafsachen.

Das Jugendgericht setzt sich zusammen aus dem Präsidenten oder der Präsidentin und zwei Beisitzerinnen oder Beisitzern.

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Organisation Art.8Organisation Art.8

Die Kantone regeln Wahl, Zusammen-setzung, Organisation, Aufsicht und Befugnisse der Jugendstrafbehörden ...

Die Kantone können interkantonal zustän-dige Jugendstrafbehörden vorsehen.

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Verfahrensregeln: Verfahrensregeln: Ablehnung Art.9Ablehnung Art.9

Die oder der urteilsfähige beschuldigte Jugendliche und die gesetzliche Vertretung können ...... verlangen, dass die Jugendrichterin oder der Jugendrichter, die oder der bereits die Untersuchung geführt hat, im Hauptverfahren nicht mitwirkt. Die Ablehnung bedarf keiner Begründung.

Diese Bestimmung bezieht sich ausschliess-lich auf das Jugendrichtermodell. Mit ihr wird angestrebt, das Recht auf unbefange-ne und unabhängige Richter umzusetzen.

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GenGenüügt die Ablehnungslgt die Ablehnungslöösung?sung?

Die Möglichkeit der Ablehnung trägt den Inter-essen der Jugendlichen Rechnung (zumindest wenn sie verteidigt sind).

Laut Trechsel dient der Grundsatz des unbefange-nen Richters aber nicht nur dem Parteiinteresse, vielmehr handle es sich um ein öffentliches Inter-esse, indem schon der Anschein von Befangen-heit vermieden werden sollte.

Jositsch/Murer erachten die Garantie der unbefang-enen Richter als „wahrscheinlich unverzichtbar“; wenn schon, müsste der Verzicht ausdrücklich, nicht implizit erfolgen.

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ÖÖrtliche Zustrtliche Zustäändigkeit Art.10ndigkeit Art.10

Die Bestimmung ersetzt Art.38 aJStG.Für die Verfolgung von Verbrechen und Ver-

gehen ist die Behörde am Ort des gewöhn-lichen Aufenthalts (in der Regel Wohnsitz) zuständig.

Übertretungen werden am Ort der Begehung verfolgt, ausser wenn Schutzmassnahmen in Betracht kommen.

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Mitwirkung der gesetzlichen Mitwirkung der gesetzlichen Vertretung Art.12Vertretung Art.12

Die Eltern haben mitzuwirken, wenn die Behörde dies anordnet. Eine Verweigerung kann mit einer Anzeige an die Kinds-schutzbehörde oder mit einer Ordnungs-busse bis 1‘000 Franken geahndet werden. Zudem können Eltern laut Art.44 auch für die Verfahrenskosten als solidarisch haftbar erklärt werden.

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Vertrauensperson Art.13Vertrauensperson Art.13

Die oder der beschuldigte Jugendliche kann in allen Verfahrensstadien eine Vertrauensperson beizie-hen, sofern die Interessen der Untersuchung oder überwiegende private Interessen einem solchen Beizug nicht entgegenstehen.

Über diese Bestimmung bestand in den Eidg.Rätendie letzte Differenz. Die Vertrauensperson soll dem Jugendlichen den Rücken stärken und ihm helfen, das Verfahren besser zu verstehen. Sie darf aber nicht intervenieren.

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ÖÖffentlichkeit Art.14ffentlichkeit Art.14

Das Strafverfahren findet unter Ausschluss der Öffent-lichkeit statt. Die Untersuchungsbehörde und die Gerichte können die Öffentlichkeit in geeigneter Weise über den Stand des Verfahrens informieren.

Das Jugendgericht und die Berufungsinstanz können eine öffentliche Verhandlung anordnen, wenn:

a. die oder der urteilsfähige beschuldigte Jugendliche oder die gesetzliche Vertretung dies verlangt oder das öffentliche Interesse es gebietet; und

b. dies den Interessen der oder des beschuldigten Jugendlichen nicht zuwiderläuft.

Die Berechtigten müssten über dieses Recht informiert werden, in der Praxis geschieht das nicht immer.

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ÖÖffentlichkeit ffentlichkeit aJStGaJStG--JStPOJStPO

Art.14 JStPO deckt sich nicht mit dem bisherigen Art.39 aJStG, Abs.2:

„Das Verfahren ist nicht öffentlich. Die Verhandlungen vor gerichtlichen Instanzen sind öffentlich, wenn

a. Der Jugendliche dies verlangt und keine höherwertigen Interessen entgegenstehen; oder

b. Das öffentliche Interesse es erfordert.“

Art.6 Z.1 EMRK schreibt Öffentlichkeit vor.

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Informationen an Erziehungsverantwortliche?Informationen an Erziehungsverantwortliche?

Eine Lücke besteht bezüglich der Weitergabe von Infor-mationen, auf die Institutionen oder Personen für die Erfüllung eines Erziehungsauftrags und zur Beurteilung von Risiken angewiesen sind, z.B. Schulen, Pflegeeltern, Sanktionsverantwortliche.

Eine umfassende Information ist nicht sinnvoll, doch sollten Erziehungsverantwortliche über wichtige Sachverhalte informiert werden können.

Art.74 StPO regelt nur die Orientierung der Öffentlichkeit, Art.75 StPO bloss die Mitteilung an Behörden. Laut Abs.4 können die Kantone Mitteilungen an weitere Be-hörden, nicht aber an Private vorsehen.

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MediationMediation Art.17Art.17Die Untersuchungsbehörde und die Gerichte können das

Verfahren jederzeit sistieren und eine auf dem Gebiet der Mediation geeignete Organisation oder Person mit der Durchführung eines Mediationsverfahrens beauftragen, wenn:

a. Schutzmassnahmen nicht notwendig sind oder die Be-hörde des Zivilrechts bereits geeignete Massnahmen angeordnet hat;

b. die Voraussetzungen von Artikel 21 Absatz 1 JStG nicht erfüllt sind.

Gelingt die Mediation, so wird das Verfahren eingestellt.

Deckt sich mit den Art.8 und Art.21,Abs.3 aJStG: nur Kann-Vorschrift, (keine Pflicht zur Prüfung und zur Anordnung der Mediation, falls sich das Verfahren dafür eignet)

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Was ist Was ist MediaitionMediaition??

Strafrechtliche Mediation, in Deutschland Täter-Opfer-Ausgleich (TOA), in Österreich Aussergerichtlicher Tatausgleich (ATA) genannt, ist ein Mediations-Verfahren, in dem unter Anleitung durch eine Fachperson der zugrunde liegende Konflikt zwischen Täter und Opfer bearbeitet wird. Gelingt der Ausgleich (z.B. durch eine Entschuldigung und eine Wieder-gutmachungsleistung), und erklärt sich das Opfer in einer Vereinbarung als befriedigt, wird das Strafverfahren eingestellt.

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TatumstTatumstäände mnde müüssen geklssen gekläärt seinrt sein

Die ursprünglich in Art.8, Abs.1 lit.c aJStGenthaltene Umschreibung sah diese Regel ausdrücklich vor. In Art.17 JStPO ist sie nicht mehr genannt, doch gilt sie als immanente Voraussetzung auch weiterhin. Insbesondere muss eine grundsätzliche Anerkennung des Sachverhalts durch den Beschuldigten vorliegen. Ein Geständnis im prozessualen Sinn darf nicht verlangt werden, da sonst das Verbot der Selbstbezichtigung und damit die Unschulds-vermutung verletzt würde.

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Blosse KannBlosse Kann--VorschriftVorschrift

Leider ist die Mediation nur als fakultative Möglichkeit vorgesehen. Damit sie um-fassend und gleichmässig zum Tragen kommen kann, wäre ein doppeltes Obliga-torium von Nöten, indem die zuständigen Behörden verpflichtet wären, alle Ver-fahren auf ihre Eignung zu prüfen und gegebenenfalls die Mediation anzuordnen.

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Praxis in den KantonenPraxis in den Kantonen

� Seit 2002 wird Mediation in Zürich häufig angewendet. Von 213 im Verlauf von vier Jahren erledigten Fällen endeten über 95% mit einer Einigung. Pro Fall wurden durchschnittlich 1,5 Mediations-Sitzungen benötigt. Die festangestellte Mediatorin wendete nach eigenen Angaben durchschnittlich 11 Stunden für eine Mediationauf, was 618 Franken Lohnkosten entspreche. Die Kosten waren somit nicht höher, als sie im Fall der Fortführung des Strafverfahrens gewesen wären. Noch häufiger angewendet wird Mediation im Kanton Freiburg (156 Fälle in drei Jahren), etwas weniger oft in den Kantonen Genf, Wallis, Aargau, Basel-Land und Basel-Stadt. Information: Website des Dachverbands Mediation.

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WiderstWiderstäände gegen nde gegen MediationMediation

In der Jugendstrafrechtspraxis bestehen teilweise Widerstände grundsätzlicher Art. So schreibt der Berner Jugendrichter Hebeisen, Mediation sei „im Strafrecht, insbesondere im Jugendstrafrecht, nicht ganz unproblematisch“. Es bestehe die Ge-fahr, dass Strafverfahren über das Portemonnaie verhindert würden. Zudem könne nicht ausge-schlossen werden, dass auf die Opfer Druck ausgeübt werde, damit der Täter „unbefleckt“bleiben könne.

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Parteien Art.18Parteien Art.18--2222

Neben dem Jugendlichen, seinen Eltern und im gerichtlichen Verfahren dem Jugendanwalt bzw. Jugendstaatsanwalt ist auch die Privatkläger-schaft als Partei vorgesehen, allerdings mit (sinnvollen) Ausnahmen: Vorbehalt der Interessen des Jugendlichen, in der Regel keine Teilnahme an der Hauptverhandlung, Entscheid über Zivilforderungen nur, wenn dies ohne zusätzliche Untersuchungen möglich ist, Rechtsmittel nur bezüglich der eigenen Anträge.

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BGE 118 BGE 118 IaIa 81 ff.81 ff.

Das Bundesgericht hatte schon unter der Geltung des alten Jugendstrafrechts in BGE 111 Ia 81 ff. festgehalten, die auf dem Erziehungs- und Besserungsgedanken beruhenden Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens, namentlich dessen Vereinfachung und Konzentration, dürften nicht dazu führen, dem Jugendlichen den prozessualen Rechtsschutz vorzuenthalten, der dem erwach-senen Angeschuldigten zustehe. Deshalb sei bei schweren und komplizierten Fällen die Verteidi-gung, notfalls unentgeltlich, schon in der Unter-suchungsphase notwendig

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Wahlverteidigung Art.23Wahlverteidigung Art.23

Der urteilsfähige Jugendliche oder seine gesetzliche Vertretung können eine Anwältin oder einen Anwalt mit der Verteidigung betrauen. Es handelt sich wie bisher um eine Verteidigung der ersten Stunde.

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Notwendige Verteidigung Art.24Notwendige Verteidigung Art.24Die oder der Jugendliche muss verteidigt werden, wenn: a. ihr oder ihm ein Freiheitsentzug von mehr als einem

Monat oder eine Unterbringung droht; b. sie oder er die eigenen Verfahrensinteressen nicht

ausreichend wahren kann und auch die gesetzliche Vertretung dazu nicht in der Lage ist;

c. die Untersuchungs- oder Sicherheitshaft mehr als 24 Stunden gedauert hat;

d. sie oder er vorsorglich in einer Einrichtung untergebracht worden ist;

e. die Jugendanwältin oder der Jugendanwalt beziehungsweise die Jugendstaatsanwaltschaft an der Hauptverhandlung persönlich auftritt.

Der Katalog ist gegenüber dem bisherigen Art.40 JStGleicht erweitert. Eine Verletzung dieser Vorschrift bildet einen absoluten Kassationsgrund.

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Kein RKein Rüückzug des Vorbehaltsckzug des Vorbehalts

Art.40, Abs.2, lit.b (iii) der Kinderrechte-konvention verlangt, dass Jugendliche in allen Strafverfahren durch einen rechts-kundigen Beistand vertreten sein sollen. Die Schweiz hatte bei der Ratifizierung einen Vorbehalt im Hinblick auf die kantonalen Verfahrensregelungen ange-bracht. Obwohl das Prozessrecht neuer-dings vom Bund geregelt ist, kann der Vorbehalt nicht zurückgezogen werden.

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Zwangsmassnahmen Art.26Zwangsmassnahmen Art.26Die Untersuchungsbehörde ist zuständig zur Anordnung: a. jener Zwangsmassnahmen, die gemäss den

Bestimmungen der StPO durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden können;

b. der Untersuchungshaft; c. der vorsorglichen Schutzmassnahmen nach den Artikeln

12–15 JStG; d. der Beobachtung im Sinne von Artikel 9 JStG.

Umfassende Machtfülle der Untersuchungsbehörde. Beispiele für Zwangsmassnahmen (StPO 196 ff.): Vor-

ladung, Vorführung, Fahndung, körperliche Untersu-chung, Hausdurchsuchung, andere Durchsuchungen, DNA-Analysen, ED-Behandlung, Beschlagnahme, Überwachungen, verdeckte Ermittlung.

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Untersuchungshaft Art.27Untersuchungshaft Art.27Untersuchungs- und Sicherheitshaft werden nur in

Ausnahmefällen und erst nach Prüfung sämtlicher Möglichkeiten von Ersatzmassnahmen angeordnet.

(Zuständig nach Art.26: Untersuchungsbehörde; Haftvoraussetzungen sind in Art.221 StPO geregelt)

Soll die Untersuchungshaft länger als sieben Tage dauern, so stellt die Untersuchungsbehörde spätestens am 7.Tag ein Verlängerungsgesuch an das Zwangsmassnahmen-gericht. Dieses entscheidet unverzüglich, spätestens aber innert 48 Stunden nach Eingang des Gesuchs. ...

Das Zwangsmassnahmengericht kann die Untersuchungs-haft mehrmals verlängern, jedoch jeweils um höchstens einen Monat. ...

Die Art.27 f. ersetzen Art.6 aJStG

.

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Weitreichende Weitreichende UHUH--KompetenzKompetenzJugendliche sind bei der Anordnung von UH weniger

geschützt als Erwachsene.Nach Art.224 StPO entscheidet das Zwangsmassnahmen-

gericht bei Erwachsenen spätestens 96 Stunden nach der Festnahme zwingend über die Anordnung von Unter-suchungshaft.

Art.31,Abs.3 der Schweizerischen Bundesverfassung: Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden.

Garantien für eine unverzügliche Haftprüfung finden sich zudem in Art.5,Abs3 EMRK, in Art. 37,lit.d. KRK und in der Empfehlung des Europarats Rec(2006)13.

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Schutz verhafteter Jugendlicher Schutz verhafteter Jugendlicher

Um verhaftete Jugendliche besonders zu schützen, sieht Art.24 lit.c JStPO vor, dass eine Verteidi-gung eingesetzt werden muss, wenn mehr als 24 Stunden Untersuchungshaft oder eine vorsorg-liche Unterbringung angeordnet werden. Auch für Jugendliche gilt, dass die Untersuchungshaft in allen Fällen auf die Strafe angerechnet wird. Das ergibt sich aus dem Art.1, Abs.2 lit.b JStPO, der die entsprechende Regel von Art.51 StGB als anwendbar erklärt.

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Trennungsregel Art.28 Trennungsregel Art.28 JStPOJStPOUntersuchungs- und Sicherheitshaft werden in einer für

Jugendliche reservierten Einrichtung oder in einer besondern Abteilung einer Haftanstalt vollzogen, wo die Jugendlichen von erwachsenen Inhaftierten getrennt sind. Eine angemessene Betreuung ist sicherzustellen.

Die Untersuchungshaft für Jugendliche stellt in der schweizerischen Strafrechtspraxis ein dunkles Kapitel dar. Die in den verschiedensten Menschenrechts-Deklarationen geforderte Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen (CPT-Standards, Mindestgrundsätze, Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Kinderrechte-Konvention konnte bis zur Einführung des JStG nicht garantiert werden.

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BGE 133 I 286BGE 133 I 286

Das Bundesgericht legt die Trennungsvorschrift sehr streng aus, es duldet keine Ausnahmen. Deshalb hob es eine in der Baselstädtischen Jugendstrafprozessordnung enthaltene Be-stimmung auf, wonach Jugendliche ausnahms-weise in Einrichtungen für Erwachsene unter-gebracht werden konnten, wenn der Zweck der Untersuchung nicht anders zu erreichen war.

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UH in der PraxisUH in der Praxis

Eine im Jahr 2005 durchgeführte Erhebung hat gezeigt, dass von 1005 inhaftierten Jugendlichen 726 in Gefängnissen, 273 in Jugendheimen und 6 in Spitälern untergebracht waren. Von den 38 erfassten Gefängniseinrichtungen konnten nur 8 eine Betreuung durch Fachkräfte, nur 9 ein Sport- oder Freizeitprogramm, nur 3 ein Arbeits-programm anbieten. Besonders alarmierend ist die Situation in der Westschweiz. Rumo Wettstein/Kalbermatter Redmann in InfoBull 1/2007, S.3 ff.

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GestzlicheGestzliche MMäängel ngel

Bedauerlicherweise nicht ins Gesetz aufgenommen haben die eidgenössischen Räte zusätzliche Schutzbestimmungen für 10-15-Jährige und für Untersuchungshaft-Dauern von mehr als 14 Tagen, wie sie der Bundesrat in der Botschaft vorgeschlagen hatte[1]. Dass das JStG keine Mindestaltersgrenze für die Inhaftierung von Kindern und keine maximale Haftdauer vorsieht, stimmt bedenklich.

[1] Botschaft 1998, S.250

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Vollzug der UH Art.28Vollzug der UH Art.28

Vorgeschrieben sind die Trennung von Erwachsenen sowie eine „angemessene Betreuung“ (was ausgebildetes Personal voraussetzt). „Einrichtung“ oder „Abteilung“müsste bedeuten, dass Jugendliche nicht isoliert untergebracht werden dürfen.

Eine Beschäftigung ist auf Gesuch hin nur dann vorgesehen, wenn das Verfahren dadurch nicht beeinträchtigt wird und die Verhältnisse der Haftanstalt es erlauben.

Die Anforderungen an den Vollzug des Freiheitsentzugs als Strafe (JStG Art.27, Abs.2) resp. der UH klaffen weit auseinander.

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Zum Vergleich:Art.27 Zum Vergleich:Art.27 JStGJStG: Vollzug des Freiheitsentzugs: Vollzug des Freiheitsentzugs

Abs.2: Der Freiheitsentzug ist in einer Einrichtung für Jugendliche zu vollziehen, in der jeder Jugendliche entsprechend seiner Persönlichkeit erzieherisch betreut und insbesondere auf die soziale Eingliederung nach der Entlassung vorbereitet wird.

Die Einrichtung muss geeignet sein, die Persönlichkeits-entwicklung des Jugendlichen zu fördern. Ist ein Schul-besuch, eine Lehre oder eine Erwerbstätigkeit ausserhalb der Einrichtung nicht möglich, so ist in der Einrichtung selbst der Beginn, die Fortsetzung und der Abschluss einer Ausbildung oder Erwerbstätigkeit zu ermöglichen.

Eine therapeutische Behandlung ist sicherzustellen, sofern der Jugendliche ihrer bedarf und für sie zugänglich ist.

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StrafbefehlsverfahrenStrafbefehlsverfahrenAlle Verfahren werden entweder im Strafbefehls-

verfahren oder im Verfahren vor dem Jugend-gericht abgeschlossen.

Die Abgrenzung ist in Art.34 im Zusammenhang mit den abschliessend geregelten gerichtlichen Kompetenzen formuliert.

Mit Strafbefehl werden somit folgende Sanktionen angeordnet: Freiheitsentzüge bis und mit 3 Mte, Bussen bis und mit 1000 Franken, alle andern Strafarten, alle ambulanten Schutzmassnahmen.

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Rechtsnatur des StrafbefehlsRechtsnatur des Strafbefehls

Der Strafbefehl ist kein Urteil, er ist ein Vorschlag, wie das Verfahren erledigt werden kann. Er wird erst zum Urteil, wenn die Berechtigten keine Einsprache erheben (Stillschweigen oder ver-schuldete Unkenntnis gelten als Zustimmung).

Falls eine Einsprache erhoben wird, entfällt der Strafbefehl, es kommt in der Regel zum gerichtlichen (erstinstanzlichen) Verfahren.

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Allgemeine ProblematikAllgemeine ProblematikDer Strafbefehl ist im Bagatellbereich unverzichtbar,

soweit es sich um eindeutig nachgewiesene Ver-stösse handelt. Er ist bedenklich bei schwereren oder bestrittenen Verstössen, zumal nach einer Unter-suchung von Killias/ Gilliéron Fehlurteile im Zusammenhang mit Strafbefehlen häufig sind.Lit. Gwladys Gilliéron, Strafbefehlsverfahren und pleabargaining als Quelle von Fehlurteilen, Zürich 2010

Zudem ist der Jugendliche mit dem Entscheid, ob er den Strafbefehl akzeptieren soll, überfordert. Die Gründe, warum auf eine Einsprache verzichtet wird, können vielfältig sein. Nach Art.88,Abs.4 StPO gilt der Strafbefehl auch als zugestellt, wenn die Zustellung gescheitert ist. Wer auf Einsprache verzichtet, stimmt längst nicht immer zu.

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Unterschied zur Unterschied zur ErwErw--StPOStPO

In der JStPO ist der Strafbefehl in allen Fällen, die nicht in die Kompetenz des Gerichts fallen, die ordentliche und einzig mögliche Erledigungsart.

In der Erw-StPO Art.352 ist der Strafbefehl an die Voraussetzung geknüpft, dass der Sachverhalt eingestanden oder anderweitig ausreichend geklärt ist. Die Obergrenze liegt bei 6 Monaten Freiheitsstrafe. Massnahmen können nicht per Strafbefehl angeordnet werden. Der Strafbefehl ist somit bei den Erwachsenen nur für leichte Sanktionen vorgesehen.

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Vergleich zwischen Jugendlichen und Vergleich zwischen Jugendlichen und Erwachsenen am Beispiel DrogenhandelErwachsenen am Beispiel Drogenhandel

Erwachsene: Höchststrafe laut Art.19,Abs.2 BetmG:20 Jahre Freiheitsstrafe (Mindeststrafe 1J.)

Obergrenze Strafbefehl: 6 Monate = 1/40

Jugendliche: Höchststrafe für den gleichen Tatbestand:

1 Jahr Freiheitsentzug (keine Mindeststrafe)

Obergrenze Strafbefehl: 3 Monate = 1/4

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Erlass des Strafbefehls Art.32Erlass des Strafbefehls Art.32

Die Untersuchungsbehörde schliesst die Unter-suchung ab und erlässt einen Strafbefehl, wenn die Beurteilung der Straftat nicht in die Zu-ständigkeit des Jugendgerichts fällt.

Die oder der beschuldigte Jugendliche kann vor Erlass des Strafbefehls einvernommen werden.

Die Einvernahme sollte zumindest bei Freiheits-entzügen und Schutzmassnahmen zwingend vor-gesehen sein und in diesen Fällen immer durch-geführt werden (zwecks Klärung, Konfrontation, Begründung, Erläuterung)

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Einsprache gegen StrafbefehlEinsprache gegen Strafbefehl

Art.32, Abs.5: Gegen den Strafbefehl können bei der Untersuchungsbehörde innert 10 Tagen schriftlich Einsprache erheben:

a. die oder der urteilsfähige beschuldigte Jugendliche und die gesetzliche Vertretung;

b. die Privatklägerschaft hinsichtlich des Zivilpunktes sowie hinsichtlich der Kosten- und Entschädigungsfolge;

c. weitere Verfahrensbeteiligte, soweit sie in ihren Interessen betroffen sind; (Definition in Art.105 Erw-StPO)

d. die Jugendstaatsanwaltschaft, sofern das kantonale Recht dies vorsieht.

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Folgen der Einsprache StPO 355Folgen der Einsprache StPO 355

Die Einsprache führt nicht automatisch zum gerichtlichen Verfahren.

Vielmehr entscheidet die Untersuchungsbehörde nach Abnahme weiterer Beweise, ob sie

a. Am Strafbefehl festhältb. Das Verfahren einstelltc. Einen neuen Strafbefehl erlässtd. Anklage beim Jugendgericht erhebt.

Die Anklage dürfte dennoch die Regel sein.

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Gerichtliches Verfahren Art.34 ff.Gerichtliches Verfahren Art.34 ff.

In Art.34 findet sich die Grenze zwischen Strafbefehls- und gerichtlichem Verfahren:

Das Jugendgericht beurteilt als erste Instanz alle Straftaten, für die in Frage kommt:

a. eine Unterbringung; b. eine Busse von mehr als 1000 Franken; c. ein Freiheitsentzug von mehr als drei Monaten.

Es beurteilt zudem alle Anklagen im Anschluss an Einsprachen gegen Strafbefehle.

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Ausnahme im GerichtsverfahrenAusnahme im Gerichtsverfahren

Art.34, Abs.3

Die Kantone, welche Jugendanwältinnen oder Jugendanwälte als Untersuchungs-behörde bezeichnen, können vorsehen, dass die Präsidentin oder der Präsident des Jugendgerichts Anklagen im Anschluss an Einsprachen gegen Strafbefehle beurteilt, welche Übertretungen zum Gegenstand haben.

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Statistik zum AnwendungsbereichStatistik zum AnwendungsbereichDie in Art.34 genannten Sanktionen kamen nach

der Jugendstrafurteilsstatistik 2009 mit folgender Häufigkeit vor (in insgesamt 15‘064 Urteilen):

Unterbringungen: 195 UrteileFreiheitsentzüge über 3 Monate:

- mit bedingtem Vollzug 85 Urteile-mit unbedingtem Vollzug 44 Urteile

Bussen über 1000 Franken werden nicht separat ausgewiesen, kommen aber sehr selten vor.

Mehr als 98% aller Fälle wären zunächst per Straf-befehl entschieden worden, wäre die JStPOschon in Kraft gewesen.

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Rechtsmittel: Beschwerde Art.39Rechtsmittel: Beschwerde Art.39

Mit Beschwerde können alle Verfügungen und Verfahrenshandlungen angefochten werden, nach Art.43 JStPO auch Vollzugsentscheide. Art.39,Abs.2 nennt zudem einige spezielle Ver-fahrensentscheide, insbesondere die Anordnung von Untersuchungs- oder Sicherheitshaft.

Für den Entscheid zuständig ist die Beschwerde-instanz; bei Beschwerden gegen die Anordnung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft das Zwangsmassnahmengericht.

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Rechtsmittel: Berufung Art.40Rechtsmittel: Berufung Art.40

Die Berufungsinstanz entscheidet über: a. Berufungen gegen erstinstanzliche Urteile

des Jugendgerichts; b. die Aussetzung einer vorsorglich

angeordneten Schutzmassnahme.

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Vollzug von Sanktionen Art.42Vollzug von Sanktionen Art.42

1 Für den Vollzug von Strafen und Schutz-massnahmen ist die Untersuchungsbehörde zuständig.

2 Für den Vollzug können öffentliche und private Einrichtungen sowie Privatper-sonen beigezogen werden.

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Verfahrenskosten Art.44Verfahrenskosten Art.44

1 Die Verfahrenskosten werden vorerst von dem Kanton getragen, in dem das Urteil gefällt wurde.

3 Sind die Voraussetzungen für eine Kostenauflage zulasten der oder des beschuldigten Jugendlichen erfüllt (Art. 426 StPO), so können ihre oder seineEltern für die Kosten solidarisch haftbar erklärt werden.

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ÄÄnderungen im nderungen im aJStGaJStG

Aufgehoben werden folgende BestimmungenArt.1,Abs.1b (Verfahrensgrundsätze)Art.6-8 (UH, Einstellung,Mediation)Art.21,Abs.3 (Mediation)Art.38-43 (Verfahren und Vollzug)

Neu anwendbar sind laut Art.1,Abs.2,lit.n die Art.333-392 StGB (Drittes Buch).

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Redaktionelle Redaktionelle ÄÄnderung im nderung im JStGJStG

Eine redaktionelle Änderung, die nicht mit der JStPO im Zusammenhang steht, betrifft Art.1,Abs.2,lit.k JStG: Laut einer durch die Redaktionskommission der Bundesversammlung am 19.11.2009 beschlossenen Berichtigung heisst es dort nicht mehr „ .... Art.105 Absatz 1“, sondern „.... Art.105 Absatz 2“ (StGB). Damit ist die widersprüchliche Regelung behoben, wonach für Übertretungen keine Bussen mit bedingtem Vollzug angeordnet werden konnten.

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BeurteilungBeurteilung

Das neue Gesetz ist für die Praxis eine brauchbare Ordnung. Allzu viel wird sich nicht ändern.

Positiv kann Folgendes hervorgehoben werden:� Erziehungsmodell für leichte, Justizmodell für

einschneidende Sanktionen� Stärkere Umsetzung des Opportunitätsprinzips� In-Pflichtnahme der Eltern� Beschränkte Beteiligung der Privatklägerschaft

als Kompromisslösung

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KritikKritik� Kein Entscheid in der Organisationsfrage, das fragwürdi-

ge Jugendrichtermodell bleibt zulässig. Die vorgesehene unbegründete Ablehnung der vorbefassten Richter/innen trägt dem Parteiinteresse, aber nicht dem öffentlichen Interesse nach Unbefangenheit der Justiz Rechnung.

� Die Macht der Untersuchungsbehörde betreffend UH ist zu umfassend. Dadurch sind Jugendliche schlechter gestellt als Erwachsene.

� Der Anwendungsbereich des Strafbefehls, der im Baga-tellbereich ein unerlässliches Instrument darstellt, ist nach oben zu weit. Zudem ist das fehlende Obligatorium der Einvernahme bei ernsthaften Delikten problematisch. In der Folge kann bei steigender Arbeitsbelastung politi-scher Druck entstehen, Verfahren ohne Einvernahme und damit ohne die sinnvolle Konfrontation abzuschliessen.

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Ist das Verfahren jugendgerecht?Ist das Verfahren jugendgerecht?

Das Gesetz formuliert in Art.4 Grundsätze, setzt diese aber nicht konsequent um:

� Der Strafbefehl ist abgesehen von wirklichen Baga-tellen kaum jugendgerecht, vor allem wenn er nur schriftlich zugestellt wird.

� Persönliche Einvernahme und Konfrontation sind beim Strafbefehl selbst bei einschneidenden Sanktionen nicht zwingend vorgeschrieben.

� Das Beschleunigungsgebot ist ungenügend umgesetzt.� Betr. UH bestehen zu wenig Garantien für die Haft-

prüfung und eine jugendkonforme Durchführung.� Das Gesetz formuliert keine Anforderungen an die

Aus- oder Weiterbildung der Praktiker/innen.

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MerciMerci ffüürs Zuhrs Zuhöörenren

Peter Aebersold