Top Banner
Mitteilungen des Regensburger Verbunds für Werbeforschung – RVW 4/2016 Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW … und andere Beiträge über Werbung und Werbung nach der Werbung
78

Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Mar 11, 2023

Download

Documents

Khang Minh
Welcome message from author
This document is posted to help you gain knowledge. Please leave a comment to let me know what you think about it! Share it to your friends and learn new things together.
Transcript
Page 1: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Mitteilungen des Regensburger Verbunds für Werbeforschung – RVW

4/2016

Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW

… und andere Beiträge über Werbung und Werbung nach der Werbung

Page 2: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Impressum

Mitteilungen des Regensburger Verbunds für Werbeforschung – RVW http://www.werbeforschung.org

Im Auftrag des RVW herausgegeben vonBernhard J. Dotzler und Sandra Reimann

ISSN 2198-0500

Elektronische Veröffentlichung Universität Regensburg, Publikationsserver http://epub.uni-regensburg.de/rvw.html

Bezugsbedingungen CC BY-SA 3.0 DE

Anschrift der Herausgeber Regensburger Verbund für Werbeforschung PD Dr. Sandra Reimann · Universität Regensburg 93040 Regensburg [email protected]

Einreichung von Beiträgen Unaufgefordert eingesandte Beiträge sind grund-sätzlich willkommen und werden von den Heraus-gebern oder geeigneten Fachreferenten geprüft.

Redaktion, Layout & Satz Christine Fraunhofer M. A.

Page 3: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Inhaltsverzeichnis

5 ……………………….………………………………………………………………………………….……………….……....…………….... Editorial

7 ……………………….……………….………………….……....…………….... Vermischung von Werbung undSachinformation aus dem Blickwinkel

der SprachwissenschaftAlbrecht Greule

16 ….……………………………………………….………….….………………….. Psychologische Betrachtungenzur Werbewirkung

Martin Sauerland

23 …………………….....……………….….…..…………….... Online- und Wahl-Werbespot-Archivein Italien

Silvia Verdiani

29 ………………………………………..……….….…………………...... „Carosello“ – Werbung „all’italiana“Sabine Heinemann

38 …..…………………………………………………………………………………………………………..………………... WerbeslogansKathrin Steyer & Janja Polajnar

40 …..………………………………………………………... Anmerkungen zur ALDI-Kampagne 2016Gunther Hirschfelder & Markus Schreckhaas

Page 4: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

………………………………………………………………………………………….………….……….... Jubiläum: 10 Jahre RVW

50 .…....…………….……………………………………….…....……....……....……....…….....….……....………………... Programm

51 ….…...………………………………………………….…....……....……....……....…….....….……....………………...... GrußworteAndré Schüller-Zwierlein | Volker Depkat | Sandra Reimann

56 ..….………………………………………………….……………….... Festvortrag: Bye bye Baron Rocher.Werbeforschung in Zeiten der

Werbung nach der WerbungGuido Zurstiege

66 ….…………………………………………………………………………....……….…………….... Bildstrecke: Geschichtedes RVW – eine Ausstellung

74 .......................................................................................................................................... Notizen

Page 5: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

EditorialSandra Reimann

Unser Jubiläumsheft zum 10. Geburtstag desRegensburger Verbunds für Werbeforschung enthältneben der (sprachlichen und visuellen) Doku-mentation der Festveranstaltung thematisch freieBeiträge von Albrecht Greule, Martin Sauerland,Silvia Verdiani, Sabine Heinemann, Kathrin Stey-er & Janja Polajnar und Gunther Hirschfelder &Markus Schreckhaas: Albrecht Greule befasstsich mit der Vermischung von Werbe- und Sach-information u. a. bei Lebensmittelverpackungenaus sprachwissenschaftlicher Sicht, der Psycholo-ge Martin Sauerland nähert sich der – gemeinhin– schwierigen Frage, ob, wie und warum Werbungwirkt. Silvia Verdiani und Sabine Heinemann ge-ben Einblicke in das (historische) italienischeWerbefernsehen. Das Autorinnenteam KathrinSteyer und Janja Polajnar stellt eine lexikograf-sche, korpusbasierte Onlinedokumentation zuWerbeslogans vor. Die KulturwissenschaftlerGunther Hirschfelder und Markus Schreckhaasnehmen schließlich die aktuelle „Einfach istmehr“-Kampagne von ALDI in den Blick, ordnensie in den gesellschaftlichen Kontext ein und be-fassen sich zudem mit Ernährung/Essen und derSicht der Konsumenten darauf im Wandel derZeit.

Die Veranstaltung „10 Jahre Regensburger Ver-bund für Werbeforschung“ am 12. Juli 2016, aufdie unser Schwerpunktthema in diesem Heft zu-rückgeht, wurde auf unterschiedliche Weise un-terstützt.

Mein herzlicher Dank gilt:für die Finanzierung dieser Jubiläumsfeier

den Lehrstühlen Medienwissenschaft (ProfessorDotzler), Medieninformatik (Professor Wolff),Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschafts-recht (Professor Fritzsche), Deutsche Sprach-wissenschaft (Professor Rössler) und der Uni-versitätsbibliothek (Direktor Dr. André Schüller-Zwierlein),

für die aufwendige Arbeit an der Plakataus-stellung und die im Rahmen der Veranstaltungdurchgeführte Filmvorführung („Das RAW“)den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 5

Abbildung 2: Von links: Prof. Dr. Udo Hebel (Präsident der Universität Regensburg), Prof. Dr. Albrecht Greule (Ehren-vorsitzender des RVW), Prof. Dr. Volker Depkat (Dekan der Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften der Universität Regensburg), PD Dr. Sandra Reimann (Sprecherin des RVW), Dr. André Schüller-Zwierlein (Direktor der UB Regensburg), Prof. Dr. Guido Zurstiege (Festredner, Institut für Medienwissenschaft der Universität Tübingen). Quelle: Referat II/2, Alexander Woiton.

Abbildung 1: Prof. Dr. Udo Hebel (Präsident der Universität Regensburg) (Bildausschnitt). Quelle: Christian Wolff.

Page 6: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Editorial Reimann

Universitätsbibliothek (namentlich Frau GerberM. A. , M. A. (LIS), Frau Dipl.-Dolm. Grundl,Herrn Dipl.-Kfm. , Dipl.-Volksw. Gorski, HerrnHartmann und Herrn Kreuzer) sowie ChristineFraunhofer M. A. und den Studentischen Hilfs-kräften aus der Medienwissenschaft,

Elena Stutika aus der Medienwissenschaft undSusanne Klinger aus der Medieninformatik diesich um das Büffet gekümmert haben,

und schließlich unserem Mitglied PD Dr. Do-ris Gerstl, die die Stifter am Nachmittag durch dieStadt begleitet hat.

Mein besonderer Dank gilt darüber hinaus allen,die in den vergangenen zehn Jahren zum Gelin-gen der Projekte und Aktionen des RegensburgerVerbunds für Werbeforschung beigetragen haben.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 6

Abbildung 3: Publikum des Festakts. Von vorne links: u. a. Prof. Dr.Jörg Fritzsche (Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht), Prof. Dr. Udo Hebel (Präsident der Universität Regensburg), Prof. Dr. Volker Depkat (Dekan der Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften der Universität Regensburg), Prof. Dr. Guido Zurstiege (Festredner, Institut für Medienwissenschaft der Universität Tübingen).Quelle: Christian Wolff.

Page 7: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Zu Risiken und Nebenwirkungenfragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!

Vermischung von Werbung und Sachinformationaus dem Blickwinkel der Sprachwissenschaf

Albrecht Greule

Vorwort

ie Sprache ist eine Sache, eine andere die Fak-ten, auch wenn wir beides häufig verwechseln.

Rovira & Miralles (2011).D

Zum Frühstück erlaube ich mir ab und an den Ge-nuss einer Mandel-Tonka-Creme als Brotaufstrich.Die Creme befindet sich in einem 9 cm hohenGlas, das rundum – in recht kleiner Schrift – be-schriftet ist. Deutlich abgehoben vom „Kleinge-druckten“ ist der sachlich formulierte Produktna-me „Mandel-Tonka-Creme“, darüber der Firmen-name, darunter die Benennung des Inhalts, näm-lich „cremiger Brotaufstrich“ (mit Abbildung).

Das Kleingedruckte enthält detailliert die wichti-gen Informationen zu den Inhaltsstoffen, Min-desthaltbarkeitsdatum, Gewicht und Hersteller-adresse. Zweimal an prominenter Stelle, auf demVerschlussdeckel und auf einem grünen Band amFuß des Gläschens, erscheint die Aufschrift: „Wirmachen Bio aus Liebe.“ – Wie soll ich diesen Teil-text verstehen? Ist das eine Sachinformation?Worüber wird informiert? Wer ist „wir“? Oder istmit dem Satz „Wir machen Bio aus Liebe“ einWerbe-Slogan unversehens in eine Produktauf-schrift hinein geraten, die ich als gesundheitsbe-wusster Käufer lese um mich zu informieren?

1 Einführung

Worauf will ich mit dem Beispiel hinaus? Siewerden mir bei meiner Einschätzung, dass heut-zutage alles mit Werbung beschriftet und bebil-dert werden kann und wird, nicht widersprechen.Von der Druckfläche über den Bildschirm bis hinzu Tieren (z. B. Milka-Kuh) und zum menschli-chen Körper wird heute alles als Werbefläche, alsWerbeträger genutzt. Das scheint, wenn man indie Geschichte der Werbung schaut, nicht neu zusein. Neu ist aber die Vermischung von „reinerWerbung“ und Informationen, die für die Ein-nahme von Lebensmitteln und Medikamentennotwendig bzw. lebenserhaltend sein können. Eskommt zu einer Vermischung von unterschiedli-chen Sprechakten, von Information und Kaufap-pell, und zu einer Verwischung der Grenzen zwi-schen Werbung und Nicht-Werbung.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 7

Abbildung 1: Mandel-Tonka Creme von Rapunzel (Bildausschnitt). Quelle: nchenga (CC BY-NC 2.0)(Zugriff: 16.10.2016).

Page 8: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Vermischung von Werbung und Sachinformation aus dem Blickwinkel der Sprachwissenschaf Greule

Um bei meinem Beispiel oben zu bleiben: DieVerpackung als Werbeträger ist in der Wahrneh-mung der Werbe-Forschung bislang zu kurz ge-kommen, möglicherweise auch gar noch nichtrichtig wahrgenommen worden. Dabei scheinenmir bei zunehmender Skepsis der Käuferinnenund Käufer gegenüber dem, was wir essen undtrinken und als Medikament zu uns nehmen,„sachdienliche“ Informationen wichtiger denn jezu sein.

Ich leite aus diesem „Befund“ die Notwendigkeiteiner neuen Kritik der Werbesprache bzw. derGestaltung der Werbung ab, die ich im Folgendenauf der Grundlage der bisherigen Analytik derWerbesprache zu entwickeln versuche. Dabei sol-len Texte, die primär entweder als Produktauf-schriften oder als Werbung, besonders als Werbe-anzeigen oder als Werbespots, rezipiert werden,ins Visier genommen werden. Und ich kon-zentriere mich folglich auf Nahrungsmittel, vor-züglich auf Produkte, die mit dem Label Bio wer-ben, und auf Nahrungsergänzungsmittel bis hinzu Medikamenten.

Mein Ziel ist es herauszuarbeiten, durch welchesprachlichen Mittel sich Nicht-Werbung vonWerbung unterscheidet. Die Überlegungen, dieNina Janich zu „Werbung und Kommunikations-maxime“ (Janich 2012:226 f.) anstellt, setzen vor-aus, dass „Werbung“ und „Nicht-Werbung“ klarvoneinander getrennt sind, so dass der Rezipientleicht erkennt und weiß: „Das ist ja Werbung, dar-über kann ich mich amüsieren; es ist nicht allesernst zu nehmen, was da zu lesen steht und wasich höre.“

Nach einer Würdigung der Leistung, die dieSprachwissenschaft für die Erforschung der Wer-besprache erbracht hat, will ich an Beispielen zei-gen, wie Werbung und Nichtwerbung textolo-gisch aufeinander bezogen bzw. vermischt sind.Damit ziele ich auf eine Didaktik ab, in die die Er-rungenschaften der bisherigen Werbesprachfor-schung einbezogen werden und als Basis dafürdienen sollen, wie Werbung und Nichtwerbung

bei der Rezeption des Texte voneinander getrenntwerden können.

2 Kurze Würdigungder bisherigen Werbe-sprachforschung

Was die sprachwissenschaftliche Analyse derWerbesprache anbelangt, stehen wir heute auffestem Boden. Das sehe ich fast täglich, wenn ichReferate der Studierenden höre und die Ausar-beitungen dazu lese. Dass wir sprachwissen-schaftlich über eine gesicherte Analytik verfügen,verdanken wir Nina Janichs Theorie von den Bau-steinen der Werbung, die sie zuerst 1999 in ihremArbeitsbuch vom „Mikrokosmos Anzeige“ vorge-stellt hat und in den späteren Auflagen nur nochan die Werbung im Fernsehen, Hörfunk und In-ternet anzupassen brauchte (Janich 2010:53–109).Textologisch handelt es sich bei den „Bausteinen“um Teiltexte, die je nach Werbeträger zusammenmit Bildelementen vorkommen. Mit der Lokali-sierung und Benennung der Bausteine werden dieWeichen für mögliche Analyseperspektiven ge-stellt: Die Werbung kann bzw. sollte aus sprach-wissenschaftlicher Sicht – primär – pragmatisch,lexikalisch-onomastisch, phraseologisch, syntak-tisch, textgrammatisch, rhetorisch, varietäten-spezifisch und (typo-)grafisch beschrieben wer-den, um letztendlich die Werbestrategie erfassenzu können. All dies wird von namhaften Fachleu-ten, wissenschaftlich auf dem neuesten Stand ge-bracht, im „Handbuch Werbekommunikation“vertieft und um zahlreiche spezifisch sprach-wissenschaftliche und interdisziplinäre Zugängeerweitert, so dass eigentlich keine Wünsche offenbleiben.

Zwischenspiel„TV-Spots unter der Lupe“

Nicht schlecht gestaunt habe ich, als mir bei derSuche nach werbekritischen Äußerungen in der

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 8

Page 9: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Vermischung von Werbung und Sachinformation aus dem Blickwinkel der Sprachwissenschaf Greule

Zeitschrift feminin & fit (2013/2:71) unter der Ru-brik „TV-Spots unter der Lupe“ eine kritischeAuseinandersetzung mit dem Werbespot für dashomöopathische Arzneimittel DESEO in dieFinger kam. DESEO soll laut Werbung „Frauen beisexueller Unlust und Männern bei Erektionsstö-rungen helfen“. Der anonyme Verfasser der Kritikrückt genau den Punkt in den Vordergrund, umden es mir geht:

Davon, dass Deseo sie (die Erektionsstörun-gen) behebt, ist mit keinem Wort die Rede –

obwohl der unbefangene Fernsehzuschauer natürlichgenau das heraushört, was ja wohl die Absicht derFilmproduzenten ist.“

„Und weiter:

Was heißt schon ‚die Lust wieder neu entde-cken?‘ Und was heißt ‚aktives Liebesleben‘? Da

kann sich jeder vorstellen, was er will. Solche Formu-lierungen deuten an, bleiben aber trotzdem schwam-mig genug …“

„Wir müssen also „schwammige“ Äußerungen inder Werbung ins Auge fassen und sprachwissen-schaftlich klären, was „schwammige“ Äußerun-gen sind.

3 Werbung und Nichtwerbung aufder Verpackung

Im Wesentlichen geht es bei der folgenden Analy-se darum herauszuarbeiten, ob und wie werbende(appellative) und sachinformative Textteile bzw.werbende und sachinformative Äußerungen ver-mischt sind bzw. voneinander getrennt werdenkönnen (z. B. deutlich getrennte Textteile vs.Werbe-Appell und Sachinformation geschickt ineiner Äußerung vermischt). Als Werbeträger neh-me ich Verpackungen, Anzeigen und das Fernse-hen ins Visier und es geht mir um Nahrungs- undArzneimittel.

3.1 Beispiel Eier im Karton

Produzent: Legegemeinschaft Die Biohennen (mitLogo), Sachinfo: 6 Bio-Eier aus ökologischer Er-zeugung, Verfallsdatum 16.10./L, „Aus Familien-betrieben ‚Aktiver Tierschutz‘“, Verbraucherhin-weis, Verpackung „aus 100 % Altpapier“ – Wer-bungs-Sprüche: „Aus traditionell bäuerlicherAuslaufhaltung!*“, (grün unterlegt) „Die Biohen-nen sind wir alle: Hühner, Bauern, die Natur undSie.“ „Mehr Infos? Code scannen …“ – Wohin ge-hört der Produkt-/Firmenname: Zwitterstellung?

3.2 Beispiel Bio-Kefir in Plastikfläschchen

Mit dreisprachiger Aufschrift (deutsch, italie-nisch, französisch). Produzent: Milchwerke Berch-tesgadener Land. Das Fläschchen ist auf vier Seitenbeschriftet: Sachinfo in Großbuchstaben auf derVorderseite: „Fettarmer Bio Kefir mild, pur, Fett1,5 %“. Auf der rechten Seitenfläche als Kleinge-drucktes in drei Sprachen: Inhaltsstoffe, Gewichtund Volumen. Auf der linken Seitenfläche: Wer-betext nur in deutscher Sprache, vermischt mitvermeintlichen Sachinformationen wie: „Kefir –eine vitale Milchspezialität.“ – „ist erfrischendund bekömmlich“, – „hergestellt mit biologischaktiven Biogarde- und Kefirspezialkulturen. Her-kunft, die man schmeckt.“ – „hergestellt aus bes-ter fettarmer Demeter Milch“, – „aus biologisch-dynamischer Landwirtschaft“, – „von Bauernhö-fen aus dem Alpengebiet“.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 9

Abbildung 2: Eierkarton von „Die Biohennen“. Quelle: Sandra Reimann.

Page 10: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Vermischung von Werbung und Sachinformation aus dem Blickwinkel der Sprachwissenschaf Greule

Die Rückseite entspricht in der Gestaltung derVorderseite mit wenigen Abweichungen: EinigeInformationen finden sich nicht in deutscher,sondern italienischer Sprache („grasso“ statt„Fett“); ebenso finden sich nicht die voran- undnachgestellten adjektivischen Attribute „Fettar-mer“ und „mild“, sondern der nachgestellte Zu-satz „latte fermentato“.

3.3 Beispiel Vollwert-Schnittbrot

Produzent: Hammer Mühle – Produktname Vital-brot-Mix. Von den sechs Flächen des Würfels sindvier beschriftet. Die Sachinfo zum Inhalt („Voll-wert-Schnittbrot 2-fach sortiert mit Sonnenblu-menkernen oder Leinsamen, 500 g. , glutenfrei,laktosefrei, eifrei“) steht gut leserlich auf derDeckseite und auf einer Außenseite. Das Kleinge-druckte gibt – auf dem Boden der Verpackung –

genauestens die Inhaltsstoffe und Mengen infünf Sprachen an. – Ein Werbespruch befindetsich ebenfalls auf der Deckseite: „Bewusst ernäh-ren. Bewusst leben.“ (blau unterlegt). Auf derzweiten Außenseite meldet sich, im Porträt mitUnterschrift abgebildet, die Inhaberin der Ham-mer Mühle zu Wort. Ihr Text ist reine Werbeprosa:„Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Ihnenbestmögliche Produkte für eine bewusste Ernäh-rung anzubieten und damit ein Mehr an Lebens-qualität.“

3.4 Beispiel Bio-Tee

Wie wir sehen, ist auch die Verpackung von alsBio-Produkte ausgewiesenen Lebensmitteln nichtfrei von „schwammigen“ Werbesprüchen, auchwenn im folgenden Beispiel die Sachinformatio-nen – gut lesbar – auf dem Boden der Teebeutel-schachtel vorhanden sind: Alnatura Kräuter-Früchteteemischung (Bio) Nana-Minze mit Apfelund Blüten, mit Zubereitungshinweis, Mengen-und Gewichtangabe sowie Hersteller-Adresse. –Der Werbespruch „Augenblicke der Freude“ istauf vier der sechs Seiten der Verpackungs-schachtel abgedruckt.

4 Werbung und Nichtwerbung inder Werbe-Anzeige

Wenn wir uns nun von der Verpackung von Le-bensmitteln weg den Werbeanzeigen zuwenden,dann kehren sich die Perspektive und das Ver-

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 10

Abbildung 5: Früchteteemischung Nana-Minze mit Apfel und Blüten von Alnatura. Quelle: Sandra Reimann.

Abbildung 3: Kefir von Berchtesgadener Land (Vorderseite, und rechte Seite). Quelle: Sandra Reimann.

Abbildung 4: Kefir von Berchtesgadener Land (linke Seite und Rückseite). Quelle: Sandra Reimann.

Page 11: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Vermischung von Werbung und Sachinformation aus dem Blickwinkel der Sprachwissenschaf Greule

hältnis von Werbung zu Nichtwerbung bzw.Sachinformation um. Ich würde bei der Anzeigeim Unterschied zur Verpackung erwarten, dassder Werbetext gegenüber Sachinformationen, dieman aber dort doch auch erwarten darf, do-miniert und er als solcher auch redaktionell aus-gewiesen ist.

Beginnen will ich mit einem nicht alltäglichenBeispiel: In der Zeitschrift Andechser Bergecho, dieFreunden des Klosters Andechs in Oberbayernund der Abtei Sankt Bonifaz in München zuge-schickt wird, findet sich in der ersten Ausgabe2013 – nicht als Werbung gekennzeichnet – halb-seitig(!) ein Laib Brot abgebildet. Über dem Bildstehen das Logo der Hofpfisterei München und ingroßer Schrift: „Genuss und Natürlichkeit. Einebayerische Brotzeit beginnt mit einem AndechserDunkel aus der Hofpfisterei“. Das heißt: Der Slo-gan „Genuss und Natürlichkeit“ wird untermau-ert durch einen als Feststellung verbrämten, indi-

rekten Sprechakt des Aufforderns, in dem zusätz-lich eine Sachinformation versteckt ist, nämlichdass der abgebildete Brotlaib „Andechser Dunkel“heißt. Die Feststellung „Eine bayerische Brotzeitbeginnt mit einem Andechser Dunkel aus derHofpfisterei“ erinnert mich fatal an generischeAusdrucksweisen wie „Die deutsche Frau rauchtnicht.“

In dem „TV-Magazin für die ganze Familie“, na-mens GONG (2013/36), befindet sich (auf Seite 15)als Spalte rechts außen ein – nicht als Anzeigeausgewiesener – Text mit der Abbildung des Arz-neimittels Crataegutt. Während auf der Verpa-ckung der Weißdorn-Dragees in vorbildlicherWeise nur Sachinformationen zu lesen sind, bie-tet die Anzeige mit fünf Teiltexten eine inter-essante Vermischung von Sachtext und Werbe-text: Die Sachinformationen stehen als kleinge-druckter Teiltext am „Fuß“ der Anzeige. Den„Kopf“ bildet der Slogan: „Mehr Kraft fürs Herz.Mehr Kraft fürs Leben“ (= Teiltext 1), daruntereine Art Testimonial-Bild, das durch eine Anspie-lung auf das Märchen „Rotkäppchen“ gedeutetwird: „Rotkäppchen“ fragt seine fitte Großmutter:„Warum kannst Du so gut mithalten?“ Großmut-ter gibt darauf keine Antwort, sondern erklärtausführlich die Wirkungsweise von Crataegutt:„Crataegutt stärkt das Herz und hält die Gefäßeelastisch …“ usw.

Diese Aussage wird in Teiltext 3 zusammenge-fasst: „Crataegutt ist hoch dosiert …“ usw. AlsTeiltext 4 folgen unterhalb der ProduktabbildungLogo, Slogan und Web-Adresse. – Als potentiellerKäufer des Medikaments muss ich die Teiltexte 2und 3 als Sachinformationen wahrnehmen, ob-wohl deutliche Signale „Achtung Werbung“ im-pliziert sind. Teiltext 2 schließt mit „Spürbarmehr Lebenskraft – auch für Großväter!“ DerAusdruck Lebenskraft ist zudem eine Umformulie-rung von „mehr Kraft fürs Leben“ im Slogan. Teil-text 3 schließt mit der indirekten Aufforderung„Volle Wirkkraft bei Langzeitanwendung!“.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 11

Abbildung 6: Werbung der Hofpfisterei. Quelle: Andechser Bergecho (2013/1:13).

Page 12: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Vermischung von Werbung und Sachinformation aus dem Blickwinkel der Sprachwissenschaf Greule

5 Werbung und Nichtwerbung inTV-Werbespots

Bei den Werbespots im Fernsehen, die wiederumin einer anderen Situation rezipiert werden alsVerpackungsaufschrift und Anzeige, stellt sichmir die Frage: Gibt es hier überhaupt Sachin-formation? Und kann sie, wenn der Gesichtssinnsowohl bewegtes Bild als auch Schrift in Sekun-den erfassen muss und zum Gehörten in Bezie-hung setzen soll, überhaupt vollständig rezipiertwerden? Oder ist Sachinformation bei Arznei-mitteln nicht vielmehr salvatorisch in die All-round-Formel „Lesen Sie die Packungsbeilage … fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ ausge-lagert?

Dazu will ich kurz den TV-Spot zu TAUMEA alsBeispiel analysieren.

KurzprotokollTV-Spot Taumea „Schwindel“ [Video file] (2014).

1. Bild(Testimonial weiblich spricht, zuersttaumelnd):(1) Früher litt ich unter Schwindel.(2) Alles drehte sich.(3) Die Erde wankte.(4) Angst zu fallen.(5) Das war mein Alltag. (Pause)(6) Dann habe ich Taumea entdeckt –(7) Und der Schwindel war weg.

2. Bild (Schädel mit Graphik): Off-Stimme männlich:(8) Der Taumea-Dual-Komplex löst den

Schwindel da, wo er entsteht.(9) Gut verträglich.

3. Bild (tanzendes Paar)Off-Stimme weiblich: (10) Taumea – für ein Leben ohne Schwin-

del.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 12

Abbildung 7: Werbung für Crataegutt. Quelle:GONG (2013/36:15).

Page 13: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Vermischung von Werbung und Sachinformation aus dem Blickwinkel der Sprachwissenschaf Greule

4. Bild (Produktabbildung)Off-Stimme männlich(11) Jetzt neu!(12) Taumea – rezeptfrei.

Ich habe den Spot durch die Bildfolge in vier Bild-Teiltexte gegliedert. Teiltext 1 wird als Berichtoder Erzählung, geradezu biblisch als Heilungs-erlebnis, einem weiblichen Quasi-Testimonial inden Mund gelegt. Die Inszenierung ist perfektund die Schauspielerin überzeugend, der Identi-fikationsgrad sehr hoch, das kann ich aus eigenerErfahrung mit Drehschwindel sagen. Zweck derÜbung ist eine durch ein Testimonial scheinbargesicherte Sachinformation über die eindeutigpositive Wirkung des Medikaments. Allerdingssollte man durch die Fiktionalität der Inszenie-rung gewarnt sein: Das Heilungserlebnis ist nurvorgespielt. – Mit Bild und Teiltext 2 wird die In-szenierung von der Ebene der individuellen Er-fahrung auf die medizinische, scheinbar objekti-ve Sachebene gehoben. Die Heilung durchTAUMEA-Einnahme findet im Kopf statt: Dasist eine Behauptung, die ich als Betroffene/r ger-ne glaube bzw. glauben muss. Teiltext 3 ist ein„klassischer“ Werbespruch, der letztendlich denAppell impliziert: „Ihr, vom Schwindel Befalle-nen, kauft TAUMEA!“, während Teiltext 4 end-lich, wohl gemerkt am Schluss, kurz und knappzwei Sachinformationen entspricht, nämlich:TAUMEA ist neu auf dem Markt und rezeptfrei zukaufen.

Es folgen weitere Werbesprüche des Typs „Tau-mea – für ein Leben ohne Schwindel“ die EndeSeptember 2013 im ZDF ab 18 Uhr gesendet wur-den und die ich selbst protokolliert habe, auch umzu sehen, was im Kurzeitgedächtnis hängenbleibt. Meist tönen sie aus dem Off oder sind Tes-timonials in den Mund gelegt:

- Arla Kærgården „verbindet besten But-tergeschmack mit unvergleichlicherStreichfähigkeit, und zwar direkt ausdem Kühlschrank. Natürlich, lecker undgesund! Der Natur ein Stück näher.“

- Thermacare „wärmt Schmerz weg“

- Doc Schmerzgel „wirkt auf der Stelle. Präzi-se, schnell, verträglich“

- Voltaren Salbe „wieder Freude an Bewe-gung“ – Voltaren Schmerzgel: „Doppeltkonzentriert, um den ganzen Tag durch-zuhalten“ – Voltaren dolo: wirkt da, wo’sdrückt.

- Finalgon (Wärmecreme): „heizt ein – tutgut“

- Eucerin: „Medizinische Kompetenz fürSchönheit“

- Granufink: „Für eine starke Blase“

- Vitasprint: „Energie auf Knopfdruck fürKörper und Geist“

- Vaprino „wirkt schnell gegen akutenDurchfall, ohne den Darm zu hemmen“

- Laxoberal (Testimonial): „schonend abfüh-ren, ganz nach meinem Bedarf“

- Neurexan (Testimonial:) „Ich habe Neurex-an entdeckt.“ „Für alle, die unter nervöserUnruhe leiden. Entspannen und gutschlafen“

- Biolectra „stoppt Wadenkrämpfe und Ver-spannungen, für vitale Muskeln“

- Thomapyrin „wirkt auf den Punkt“

- Bergader Almkäse „der aus frischer Alpen-milch. Das ist ein Genuss“.

- Multivitamin… „Für alle, die mehr erwar-ten“.

- Baldriparan: „Stark für die Nacht. Hilftganz natürlich beim Einschlafen“

- Buscopan „nimmt den Schmerz“

- Magnesium Verla: „Drageequalität ist unse-re Stärke“

- Mon Chéri: „Weisheiten, die das Leben ver-süßen“

- Dr. Oetker Marmor: „fertige Kuchen –sofort genießen“.

- Gerolsteiner: „So gut kann Wasser sein. DasWasser mit dem Stern.“

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 13

Page 14: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Vermischung von Werbung und Sachinformation aus dem Blickwinkel der Sprachwissenschaf Greule

- Baldrian forte (Klosterfrau): „Wissen, wasNatur kann“

6 Sprachwissenschaft-liche Perspektiven

Werbesprüche kann man – wie Slogans und Pro-duktnamen auch – als eigenen Textteil einer Wer-bung verstehen. An der Liste der am Fernsehgerätprotokollierten Werbung erkennen wir:

Syntaktisch handelt es sich bei den Werbesprüchenum (kurze) Setzungen oder besser um Ellipsen,die zur Vervollständigung der Aussage auf denProduktnamen, der das Subjekt stellt, bezogenwerden. Sie sind entweder mit dem Slogan iden-tisch oder sind wie Slogans unter Zuhilfenahmerhetorischer Mittel formuliert, z. B. das Trikolon„präzise, schnell, verträglich“ (Janich 2010:191–202). Semantisch handelt es sich durchgängig um positivkonnotierte Aussagen, besonders um so genannteHochwertwörter, z. B. Doc Schmerzgel „wirkt aufder Stelle. Präzise, schnell, verträglich“. Fernergeht es um Behauptungen, in die sporadisch eineSachinformation eingestreut ist, z. B. Vitasprint:„Energie auf Knopfdruck“, womit über die Art desGebrauchs informiert wird.

Als „schwammig“ können Formulierungen cha-rakterisiert werden, wenn sie keine exakte, nach-prüfbare Referenz ermöglichen, sondern vage,teils generalisierend referieren und objektiv nichtnachprüfbare Behauptungen aufstellen bzw. Ver-sprechungen machen, deren Erfüllung nichtüberprüft werden kann.

Wir müssen zu unterscheiden lernen zwischenTextteilen mit Werbe-Appellen einerseits undSachinformation andererseits. Wenn sich Sach-informationen und Werbung relativ deutlich aufverschiedene Textteile verteilen, geht es für den

potentiellen Käufer nur darum, die Textteile alssolche zu identifizieren.

Eine andere für die ungeschulten Leser schwer zuerkennende Strategie ist die oben bereits bei derVitasprint-Werbung angedeutete: „Energie aufKnopfdruck für Körper und Geist“. Die Sachin-formation, dass auf den Verschluss gedrückt wer-den muss, um Vitasprint zur Wirkung zu bringen,und Werbung, die behauptet, dass Vitasprint„Energie für Körper und Geist sei“, werden ge-schickt in einer Äußerung vermischt, oder bessergesagt: Die Werbung vereinnahmt die Sachin-formation, wenn sie positiv konnotierbar ist.

Wie sich in der Werbeanzeige für Crataegutt mitder Anspielung auf das Märchen „Rotkäppchen“schon andeutet, arbeitet Werbung, besondersausgeprägt bei der Werbung mit Filmen, mitFiktionalität, die es von der harten Realität derBenennung von Erzeugungstechniken, Inhalts-stoffen, Einnahmebeschränkungen und negati-ven Wirkungen abzutrennen gilt.

7 Plädoyer für eine Didaktik der Werbesprach-Kritik

Bei meinem letzten Kapitel will ich nicht in diekulturkritische, im Oktober 2013 bekannt gewor-dene Pisa-Studie und das Lamento, dass dieerwachsenen Deutschen unterdurchschnittlichschlecht einfache Texte verstehen können, ein-stimmen. Aber der Test, in dem interessanter-weise ein Beipackzettel zu lesen und zu verstehenwar, bestärkt mich doch in meinem Schlussplä-doyer: Wo immer sich eine didaktische Plattformfindet, z. B. im Germanistik-Studium oder in derSchule, sollte im Rahmen des Textstudiums auchdie Kritikfähigkeit, Werbetextteile von sachin-formierenden Textteilen auseinanderhalten zukönnen, vermittelt werden.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 14

Page 15: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Vermischung von Werbung und Sachinformation aus dem Blickwinkel der Sprachwissenschaf Greule

Das setzt voraus, dass in die sprachwissenschaft-liche Analyse von Werbung, deren Vorzüge ich inKapitel 2 bereits gerühmt habe, eine didaktischorientierte, sprachkritische Komponente einge-baut wird, die die Rezipienten und Rezipientin-nen von Werbung befähigt, werbefunktionaleSprechakte, wie auffordern, versprechen, behaupten,von sachinformativen Textstellen zu trennen.Ziel der Didaxe müsste es sein, dass der Rezipientvon Werbung oder die potentiellen Käufer in derLage sind, auf Grund der Sprache, ohne Verfüh-rung durch die Graphik und Schrift bzw. durchgeschickte Inszenierung und verführerische Fik-tion, zu erkennen: Was ist Werbung, was ist Sach-information und wo sind beide vermischt. DieseZielsetzung fügt sich gut in den von IngeloreOomen-Welke (2012:362) gesteckten Rahmen, derbesagt, dass das Ziel des Unterrichts über Werbe-kommunikation „der aufgeklärte und selbstbe-

stimmte Umgang mit Werbung im Rahmen einerumfassenden Medienkompetenz“ ist.

Literatur

Janich, Nina (2010). Werbesprache. Ein Arbeitsbuch. 5. Auf-lage. Tübingen: Narr.

Janich, Nina (2012). Werbekommunikation pragmatisch. In: Janich, Nina (Hg.): Handbuch Werbekommunikation. Sprachwissenschaftliche und interdisziplinäre Zugänge. Tü-bingen: UTB Francke. S. 213-228.

Oomen-Welke, Ingelore (2012). Werbekommunikation di-daktisch. In: Janich, Nina (Hg). Handbuch Werbe-kommunikation. Sprachwissenschaftliche und interdiszipli-näre Zugänge. Tübingen: UTB Francke. S. 351-364.

Rovira, Àlex & Miralles, Francesc (2011). Einsteins Verspre-chen. Berlin: List.

Taumea „Schwindel“ [Video file]. [RichardHoefler] 14.8.2014 URL: https://vimeo.com/103410838 – Zugriff: 19.8.2016.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 15

Page 16: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Psychologische Betrachtungen zur WerbewirkungMartin Sauerland

Die Frage, ob Werbung wirkt, ist, sofern sie indieser pauschalen Form überhaupt sinnvoll be-antwortet werden kann, aus psychologischer Per-spektive keineswegs trivial. Um die Frage beant-worten zu können, müssten beispielsweise zu-nächst Indikatoren angegeben werden, mit denendie Werbewirkung valide und reliabel erfasstwerden kann. Solche Indikatoren könnten z. B.ökonomischer Art sein: So könnte der Werbungimmer dann Wirkung attestiert werden, wenn siebeispielsweise den Gewinn eines Unternehmenssteigert, wenn sie imstande ist, den Umsatz oderdie Marktanteile des Unternehmens zu vergrö-ßern. Solche ökonomischen Kennzahlen für denWerbeerfolg sind jedoch zumeist hochgradigdurch andere Variablen konfundiert – z. B. durchEinkommensveränderungen, Werbekampagnender Wettbewerber, andere Werbeaktionen dessel-ben Unternehmens im Marketingmix, weltwirt-schaftliche Veränderungen, den Wandel von Wer-ten und Normen oder sogar Time-Lags, die biszum Kauf des beworbenen Produkts vergehen.Absatzveränderungen können daher selten ein-deutig einer bestimmten Werbekampagne zuge-schrieben werden. Durch die so genannte ABAB-Strategie, bei der eine Werbeaktion für eine be-stimmte Periode durchgeführt wird, dann wiederabgesetzt wird, daraufhin erneut eingesetzt wirdusw. , könnte die Validität einer entsprechendenAussage über die kausalen Wirkbeziehungenzwischen Werbung und Absatz o. Ä. zwar gestei-gert werden, allerdings ist diese Strategie höchstimpraktikabel, da eine Werbemaßnahme i. d. R.nicht modifiziert wird, wenn der Gewinn oderder Umsatz eines Unternehmens gerade im Stei-gen begriffen ist. Außerdem könnten dabei mög-liche Depoteffekte der Werbewirkung (Time-Lags,die bis zum Kauf eines beworbenen Produktsvergehen) nicht adäquat erfasst werden.

Eine Lösung dieser Messproblematik könnte inder Verwendung psychologischer Wirkparameterbestehen. Auch wenn die Werbung letztlich aufdie Erreichung ökonomischer Ziele gerichtet ist,so kann es von werbungtreibenden Unternehmendoch intendiert sein, eher psychologisch relevan-te Ziele ins Visier zu nehmen, da es naheliegt,dass ein Kaufakt durch psychologische Variablenmediiert wird (z. B. durch den Aufbau einer posi-tiven Einstellung zum beworbenen Produkt). Sol-che psychologischen Parameter sind dem kon-kreten Kaufverhalten zumeist (wenn auch nichtimmer) vorgelagert, so dass sie weniger starkdurch andere Variablen konfundiert sind. Sokönnte beispielsweise gemessen werden, ob eineWerbung imstande ist, die Aufmerksamkeit derKonsumenten auf sich zu ziehen, ob sie es ver-mag, Interesse zu wecken, ob die Werbebotschaftverstanden wird, ob sie bestimmte Emotionenauslöst, ob sie zu einer Einstellungsänderungführt, ob sie im Gedächtnis haften bleibt, ob siedas Wahlverhalten beeinflusst oder ob sie in eineKaufintention mündet. Auch solche psycholo-gisch orientierten Messungen der Werbewirkungsind nicht unproblematisch. Unbeschadet derTatsache, dass allgemein jeder Messeingriff inein Messsystem den zu messenden Prozessverändert (vgl. z. B. Aufmerksamkeitsmessungenmittels Eye-Tracker), geht jede der entsprechendenspezifischen Methoden zur Messung der psy-chologischen Parameter auch mit je eigenenEinschränkungen der Aussagekraft bezüglich desinteressierenden Sachverhalts einher. Ob die sogewonnenen Befunde letztlich auf ungestörte,reale Rezeptions- und Kaufsituationen übertrag-bar sind, bleibt häufig zweifelhaft. Überdies istder Zusammenhang zwischen einzelnen psycho-logischen Variablen und den oben genanntenökonomischen Variablen nicht sehr stark (s. u.).

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 16

Page 17: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Psychologische Betrachtungen zur Werbewirkung Sauerland

Darüber hinaus ist hervorzuheben, dass solcheMessungen der Werbewirkung nur in Bezug aufein Referenzmodell sinnvoll sind. Ein solches Re-ferenzmodell müsste z. B. von dem entsprechen-den werbungtreibenden Unternehmen erfragtwerden. Das Kommunikationsziel einer be-stimmten Werbekampagne müsste bekannt sein,um überhaupt prüfen zu können, ob die Werbungdie intendierte Wirkung entfaltet hat. Oder ausder Perspektive der Werberezipienten müsste be-kannt sein, welchen Effekten sie ausgesetzt odergerade nicht ausgesetzt sein wollen, um prüfen zukönnen, ob Werbung solche Effekte zu erzielenvermag. Liegen solche Angaben nicht vor, stehenansonsten wahllos viele Referenzmodelle zurVerfügung, die mit unterschiedlicher Wahr-scheinlichkeit einer Werbung Wirkung attestie-ren würden: Die Möglichkeit, Werbeeffekte nach-zuweisen, ist beispielsweise sehr hoch, wenn alsWirkung jede beliebige Reaktion eines Rezipien-ten akzeptiert wird und seien dies bloß die Wir-kungen, die von der Werbung auf die Sinnesre-zeptoren des Rezipienten ausgeübt werden. DieWahrscheinlichkeit, einer Werbung Wirkung zu-sprechen zu können, ist auch dann hinsichtlichder meisten Wirkparameter recht hoch, wenn dasReferenzmodell lediglich in der Abwesenheit vonWerbung besteht, d. h. , wenn es darin besteht,anstelle der zu prüfenden Werbung keine Wer-bung zu betreiben. Die Schwelle für den Nachweiseiner Werbewirkung wird hingegen recht hochsein, wenn das Referenzmodell für eine Werbungdarin besteht, besser zu sein als sämtliche Kon-kurrenzwerbung. Dazwischen liegen moderatstrenge Referenzmodelle, die beispielsweise ander Frage orientiert sind, ob eine Werbung besserwird, wenn sie ein Element Y anstelle eines Ele-ments X enthält (z. B. ein hochattraktives Modelanstelle einer Identifikationsfigur).

Nicht ohne Grund wird der Werbung gelegentlichdie Wirkung komplett abgesprochen (vgl. Degen,2004; Gleich & Groebel, 1993; Klein-Bölting,2002; McGuire, 1986). Dies ist durchaus nicht un-berechtigt, allerdings ist zu bedenken, dass sichdies auf Befunde bezieht, in denen eben auf die

hochgradig konfundierten ökonomischen Krite-rien rekurriert wird, in denen z. B. Time-Lags nichtberücksichtigt werden (es dauert eben einige Jah-re, bis ein neues Auto gekauft wird) oder die amMaßstab sehr strenger Referenzmodelle beurteiltwerden.

Es liegen durchaus einige empirische Untersu-chungen vor – beispielsweise von der Gesellschaftfür Konsumforschung (GfK) –, aus denen in rechtnachvollziehbarer Weise geschlossen werdenkann, dass eine Erhöhung des Werbedrucks aufTestmärkten durchaus die intendierte Wirkungbis hin zum Kaufverhalten entfalten kann. Esliegen überdies zahlreiche Studien vor, in denengezeigt werden konnte, dass bestimmte Gestal-tungsvarianten einer Werbeanzeige anderenVarianten hinsichtlich der eingeschätzten Sym-pathie, hinsichtlich ihrer Überzeugungskraft,hinsichtlich der Erinnerungsleistung etc. überle-gen sind (vgl. dazu z. B. Felser, 2007). Auch eine ei-gene von meinem Forscherteam durchgeführteUmfrage brachte zum Vorschein, dass beinahealle Befragten sich an ein Ereignis erinnern konn-ten, bei dem sie sich direkt nach der Betrachtungeiner Werbung in ein entsprechendes Kaufhausbegaben, um das beworbene Produkt zu kaufen.Folgende Ausführungen der Befragten seien ex-emplarisch aufgeführt:

Zum Beispiel Mascara für extralange Wim-pern. Es war der feste Glaube daran, dass das

Produkt viel besser ist als die bisherigen, die man be-reits verwendet hat“,

„Mascara/Wimperntusche. Habe der Werbunggeglaubt, dass das Produkt noch viel besser

ist als die anderen auf dem Markt wären; obwohl esviel teurer war, habe ich es gekauft – und war sehrenttäuscht“,

„Habe die Werbung bestimmt schon 100malgesehen und dachte, ich müsste es endlich

einmal ausprobieren, bevor es es nicht mehr gibt“,

„Etwas seltsam, aber vor ca. einem Jahr muss-te ich den Swiffer Staubmagnet haben, nach-

dem die Werbung so überzeugend war. Eine ungelieb-te Tätigkeit versprach ganz einfach zu werden. Naja,von selbst verschwand der Staub dann doch nicht“,

„Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 17

Page 18: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Psychologische Betrachtungen zur Werbewirkung Sauerland

Knorr Vie! Wollte es trotzdem einfach malausprobieren, obwohl ich schon davon aus-

ging, dass es nicht den von der Werbung versproche-nen Nutzen bringen würde – hätte ja dennoch gutsein können“,

„Mein letzter Handyvertrag kam nur zustan-de, weil es hieß, dass es das Angebot nur noch

einen Tag geben würde, ich keine festen Kosten hätteund die anbietende Firma zwar eine Tochterfirma vonmobilcom wäre, aber eigenständig wäre. Das Angebotgab es natürlich länger. Ich hatte Mindestkosten imMonat, für die ich frei-sms erhielt. Und die Rechnungbekam ich von mobilcom“.

„Gesetzt den Fall, Werbung kann potenziell Wir-kung entfalten, so lässt sich diese Wirkung durcheinige interessante psychologische Wirkmittelerzeugen. Diese Wirkmittel schließen sich nichtwechselseitig aus. Es kann an dieser Stelle keinevollständige Auflistung gegeben werden. Es sol-len zur Veranschaulichung lediglich die gängigs-ten psychologischen Effekte dargestellt werden(für eine ausführliche Darstellung, vgl. Felser,2007):

(1) Werbung i. A. könnte Wirkung entfalten,weil durch den Einsatz von Sex-AppealAufmerksamkeit auf das Produkt oderdie Werbung per se gelenkt werden konn-te. Erotische Elemente sind wegen ihrerevolutionsbiologischen Relevanz in derWerbung sicherlich sehr erfolgreich beider Ausrichtung der Aufmerksamkeit.Der Einsatz attraktiver Werbemodellekann überdies auch dem Kommunikati-onsziel dienen, glaubhaft zu machen,durch das beworbene Produkt einem so-zial erwünschten Idealbild näher kom-men zu können. Darüber hinaus kannnackte Haut auch i. S. des Konditionie-rens (als unkonditionierter Stimulus) mitdem zu bewerbenden Produkt gekoppeltwerden (s. u.).

(2) Werbung i. A. kann somit auch deshalbWirkung entfalten, weil das beworbeneProdukt mit einem in der Werbung si-multan auftretenden angenehmen Reiz

(z. B. Musik, Landschaften, attraktivePersonen) affektiv konditioniert wurde.

(3) Möglicherweise suchen Personen be-stimmte Werbereize sogar auf, weil sie imSinne des operanten Konditionierens– z. B. wegen einer ästhetisch anspre-chenden Werbe- oder Produktgestaltung– positiv verstärkt wurden.

(4) Wirkmöglichkeiten ergeben sich für dieWerbung auch dadurch, dass Rezipientenerfolgreich an (Werbe-)Modellen lernenkönnen. Die Werbemodelle werden i. d. R.durch die Anwendung oder den Konsumdes Produkts verstärkt (z. B. ein Ausdruckdes Genusses, ein Lob des Partners, Be-wunderung von Kollegen). Personenmüssen nicht unbedingt selbst positiveErfahrung mit einem Produkt sammeln,um es anwenden zu wollen – es genügtggf. die Beobachtung einer stellvertreten-den Belohnung für ein Werbemodelldurch das Produkt.

(5) Werbeerfolge können sich auch deshalbeinstellen, weil das beworbene Produktoder die Werbung per se durch den Ein-satz Gedächtnisleistung steigernder Stra-tegien vertrauter wird oder überhaupt inErinnerung behalten wird. Solche Strate-gien sind z. B. die Verwendung bildhafterDarstellungen, die Vermeidung von In-terferenzen zu anderen Werbungen (z. B.durch intrusive Spots inmitten einer Sen-dung oder durch die so genannte Split-Screen-Werbung, die oft am Anfang oderEnde eines Werbeblocks erscheint), dieStimulanz zur Anwendung von Mnemo-strategien (z. B. 01013 – null Zehen, dreiZehen) oder die Verwendung vonElaborations- und Selbstgenerierungs-techniken, wie z. B. Frappierung, Ergän-zungsaufforderungen (z. B. des Slogans),rhetorische Fragen, Imaginationsverfah-ren oder die Darstellung unvollendeterBewegungen, die im Geist der Rezipien-ten vollendet werden.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 18

Page 19: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Psychologische Betrachtungen zur Werbewirkung Sauerland

(6) Wenn erfolgreich psychologische Reak-tanz induziert wurde, kann dies ebenfallszu unmittelbarer Werbewirkung führen.Reaktanz bezeichnet dabei einen innerenWiderstand, der zumeist mit einer Moti-vation einhergeht, eine eingeschränkteFreiheit wiederherzustellen. Reaktanzkann in der Werbung durch die Vorgabevon Deadlines bzw. Zeitlimits (z. B. zeit-lich begrenzte Aktionen), Exklusivität,scheinbare Zensur oder die Suggestionvon Ressourcenknappheit (z. B. durch dieSignalisierung einer hohen Nachfrageoder den Hinweis darauf, dass die Auflagelimitiert ist) induziert werden.

(7) Personen entscheiden sich häufig für be-kannte Markenprodukte. Sie sind dannsogar bereit, deutlich mehr Geld auszuge-ben als für entsprechende No-Name-Pro-dukte. Diese Bereitschaft geht i. d. R. aufein Vorurteil zurück, dass durch den pro-totypischen Aufbau eines positiven Mar-kenimages zustande gekommen ist.

(8) Auf gesättigten Märkten erscheinen Pro-dukte den Konsumenten oft austausch-bar. Die Darstellung der stofflich-techni-schen Vorzüge eines Produkts ist somitnicht sonderlich effektiv, da zumeist auchdie Produkte der Wettbewerber dieseLeistungen erbringen können. Effektiv istWerbung somit immer dann, wenn sieeinen relevanten (möglicherweise ideel-len) Zusatznutzen kommuniziert.

(9) Eine Werbung kann aber auch ganzeinfach deshalb wirksam sein, weil kon-sumrelevante Motive induziert, angeregtoder auf ein bestimmtes Produkt kanali-siert werden konnten.

(10) Möglicherweise werden in der Werbungauch überzeugende Argumente präsen-tiert. Diese Werbestrategie ist bei innova-tiven Produkten sehr wirksam, da sie einenachhaltig positive Einstellung zum Pro-dukt aufzubauen vermag.

(11) Die Einstellung der Werberezipientenkann aber auch durch das Mittel der so-zialen Bewährtheit zugunsten des bewor-benen Produkts verändert werden. Perso-nen orientieren sich bei unsicheren Ent-scheidungen oft an anderen Personenund gehen mit deren Verhalten dannauch konform. Die Information, dass z. B.80 % der Deutschen bereits ein Produktder beworbenen Art verwenden, kann so-mit sehr erfolgreich sein.

(12) Durch den Einsatz von Celebrities kann derso genannte fundamentale Attributions-fehler ausgenutzt werden. Dieser Fehlerbesagt generell, dass situative Faktorenbei der Erklärung von Verhalten unter-schätzt und dispositionelle Faktorenüberschätzt werden. In Bezug auf dieWerbung kann dies bedeuten, dass derEinfluss von Honoraren auf die von Cele-brities geäußerten Werbebotschaften un-terschätzt wird. Es liegen zwar i. d. R.Kenntnisse darüber vor, dass Personen,wie Thomas Gottschalk oder GüntherJauch, für ihre Werbeaktivitäten bezahltwerden, es wird offenbar dennoch oft derSchluss gezogen, dass diese bekanntenPersönlichkeiten doch wohl nicht für dasProdukt werben würden, wenn es ihnenselbst nicht gefiele.

(13) Die Glaubwürdigkeit von Werbein-formationen kann durch den Einsatzzahlreicher Psychotechniken gesteigertwerden. Beispielsweise werden Tiereni. d. R. keine Täuschungsabsichten unter-stellt, so dass ein Tier, das sich einem Pro-dukt annähert, offenbar häufig als ver-trauenswürdig eingeschätzt wird. Auchdie Nutzung von Mithöreffekten, bei de-nen der Werbeappell oder die Werbebot-schaft nicht an den Werberezipientendirekt, sondern an ein anderes Werbemo-dell gerichtet wird (z. B. die Tochtergibt der Mutter einen Rat), kann dieGlaubwürdigkeit von Werbeinformatio-nen steigern. Diese Strategie mindert

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 19

Page 20: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Psychologische Betrachtungen zur Werbewirkung Sauerland

offenbar Abwehrreaktionen, eventuelldeshalb, weil man einer Tochter nicht un-terstellen würde, ihre Mutter täuschen zuwollen. Durch geschickte Slice-of-Life-Dar-stellungen können ähnliche Effekte er-zielt werden (vgl. z. B. die alltagsnahenSituationen, die in der Fielmann-Werbunggenutzt werden). Die Glaubwürdigkeiteiner Werbeinformation kann auch durchden Einsatz zweiseitiger Argumenta-tionsstrategien enorm gesteigert werden.Dabei werden neben den positiven Eigen-schaften eben auch negative Merkmaledes beworbenen Produkts genannt. DieseStrategie kann sehr erfolgreich sein,wenn die Konkurrenzprodukte ebenfallsmit dem Mangel behaftet sind und dieseTatsache den Werberezipienten ohnehinbekannt ist.

(14) Mit Werbeappellen ist i. d. R. beabsich-tigt, ein bestimmtes Verhalten herbeizu-führen, d. h. zu motivieren. Verhaltenkann nun dadurch motiviert sein, dassPersonen etwas Positives anstreben oderetwas Negatives vermeiden. Furchtappel-le informieren über die negativen, schäd-lichen Konsequenzen von bestimmtenVerhaltensweisen. Furchtappelle sollensomit durch die Information, dass rele-vante Werte (wie z. B. Gesundheit, Eigen-tum) bedroht sind, Gefahren abwen-dendes Verhalten motivieren. Unter be-stimmten Bedingungen kann durch dieDarstellung negativer Konsequenzen(z. B. ein Hausbrand ohne Rauchmelderoder ein Autounfall ohne Versicherung)somit tatsächlich erfolgreich Werbungbetrieben werden.

(15) Durch den Einsatz von Humor könnendie Sympathien für das Produkt bzw. dieWerbung nachweislich gesteigert werden.Humor kann auch eine täuschende Wer-bebotschaft maskieren.

(16) Es gelingt gelegentlich auch, in Werbe-spots eine der von Cialdini (2002) be-

schriebenen und auf ihre Wirksamkeithin überprüften Compliance-Strategien(Door in the Face, Foot in the Door, That’s notall, Low Balling oder Reziprozität) umzuset-zen, auch wenn diese primär in Verkaufs-gesprächen zur Anwendung kommen.

(17) Durch geschickte Darstellungen könnenauch die so genannten Verfügbarkeits-,Repräsentativitäts- oder Rekognitions-heuristiken in der Werbung ausgenutztwerden: So neigen Personen beispiels-weise dazu, die Wahrscheinlichkeit zuüberschätzen, selbst von einem Scha-densfall betroffen zu sein, wenn ein sol-cher Fall in der Werbung adäquat darge-stellt wird. Personen schließen auch vonder Bekanntheit von Marken auf derenBedeutung oder Güte.

(18) Durch den Einsatz von Testimonials – zu-meist allgemein bekannte und beliebtePersonen der Öffentlichkeit, die sich – als„Selbstnutzer“ – für die Verwendung ei-nes Produkts aussprechen, können Kon-sum- oder Kaufhemmungen bei den Wer-berezipienten abgebaut wurden.

(19) Die Angabe von Preisen in der Werbungkann auf mehrfache Weise Effekte ent-falten. Einer der „durchschlagendsten“Effekte besteht darin, dass ein Preis nied-rig erscheint, weil zuvor ein hoher An-kerbetrag genannt wurde. Sogar die„99er-Preise“ entfalten nachweislich Wir-kung – sie erscheinen subjektiv deutlichbilliger als die entsprechend gerundetenPreise.

(20)Durch die Angabe überzogener Preisekönnen auch bestimmte Inferenzen überdie Qualität des beworbenen Produktsprovoziert werden. Dieser Effekt kommtvermutlich durch die Anregung derKaufheuristiken „was teuer ist, ist auchgut“ oder „Qualität hat ihren Preis“ zu-stande. Die Tatsache, dass die Angabe vonPreisen in der Werbung Wirkung entfal-ten kann, mutet zunächst trivial an. Die

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 20

Page 21: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Psychologische Betrachtungen zur Werbewirkung Sauerland

Etikettierung von Produkten mit Preisenkann jedoch auch paradoxe Effekte ha-ben. In einer eigenen Untersuchung fandunser Forschungsteam beispielsweise he-raus, dass die Korrelation, d. h. der linea-re Zusammenhang zwischen den Varia-blen Produktqualität laut Stiftung Waren-test und Preis oft gegen Null geht bzw.teils sogar negativ ist. Es scheint so zusein, dass der Preis von Werberezipientenhäufig als Informationsquelle benutztwird, um auf die Qualität eines Produkteszu schließen. Diese Heuristik wird vonWerbungtreibenden offenbar sehr oftausgenutzt, indem für minderwertigeProdukte überzogene Preise angesetztwerden. Zum Beispiel lag der beschrie-bene Korrelationskoeffizient in unsererUntersuchung bei der ProduktkategorieInlineskates bei r = - .59, bei Olivenöl beir = - .03 und im Falle von Handys beir = - .02.

Bei allen aufgeführten Strategien sind nachvoll-ziehbarerweise einige Bedingungen zu berück-sichtigen, damit eine entsprechend gestalteteWerbung auch tatsächlich Wirkung entfaltenkann. Einige psychologische Effekte greifen auchunter Bedingungen, die der beiläufigen Werbere-zeption sehr ähnlich sind, wenn also Personenihre Aufmerksamkeit nicht auf die entsprechendangebotene Werbeinformation richten. DieseEffekte sind für die Beantwortung der Frage, obEpisoden beiläufig rezipierter Werbung wirkenkönnen, von Interesse. Im Folgenden werden die-se Effekte beschrieben, die auch unter den Bedin-gungen der beiläufigen Werberezeption Wirkungentfalten könnten (vgl. dazu Sauerland, 2008):

(1) Konditionierung. Beim affektivenKonditionieren wird ein zunächst neutralbewerteter Stimulus (z. B. ein Produkt aufeiner Werbeanzeige) gemeinsam mit ei-nem unbedingten Reiz präsentiert, dereindeutig positiv (oder negativ) bewertetwird (z. B. eine Landschaft im Hinter-grund einer Werbeanzeige). Als Resultat

einer mehrfachen Kopplung dieser Reizekann erwartet werden, dass der zuvorneutrale Stimulus ebenfalls positiv (bzw.negativ) bewertet wird. Reize können imSinne dieses affektiven Konditionierenssogar dann miteinander verknüpft wer-den, wenn sie subliminal i. e. S. (d. h. un-terhalb der absoluten Wahrnehmungs-schwelle) präsentiert werden. Es ist somitplausibel, von der Annahme auszugehen,dass solche Konditionierungsprozesseauch mit Reizen möglich sind, die ledig-lich präattentiv verarbeitet werden, dadieser Verarbeitungsmodus weit wenigerAnforderungen an den „kognitiven Ap-parat“ zu stellen scheint als derjenige dersubliminalen Wahrnehmung. Wenn sol-che Konditionierungseffekte sowohl beiaufmerksamer wie auch bei subliminalerErfassung der entsprechenden Reizenachweisbar sind, dann ist kein Grundersichtlich, warum solche Effekte nichtauch bei präattentiver Verarbeitung auf-treten können.

(2) Mere-Exposure. Auch der Mere-Expo-sure-Effekt könnte unter den Bedingun-gen der beiläufigen Werberezeption Wir-kung entfalten. Die Mere-Exposure-Hypo-these besagt simplifiziert, dass ein Reiz(z. B. eine Werbeanzeige) für Personenumso sympathischer wird, je häufiger ih-nen der Reiz begegnet. Vertrautheitscheint Reize somit attraktiv zu machen.Der Mere-Exposure-Effekt kann gleicher-maßen bei aufmerksamer und bei subli-minaler Informationsverarbeitung auf-treten. Es ist somit davon auszugehen,dass er auch unter Beiläufigkeitsbedin-gungen durch die präattentive Reizanaly-se Wirkung entfalten kann.

(3) Priming. Vereinfacht dargestellt bedeu-ten Priming-Effekte, dass bei der Verarbei-tung eines präsentierten Reizes auch se-mantisch mit diesem Reiz verwandteKonzepte aktiviert werden. Ein Priming-Effekt kann sehr einfach illustriert wer-

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 21

Page 22: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Psychologische Betrachtungen zur Werbewirkung Sauerland

den: Wenn Personen gebeten werden,sich einen Eisbären, Schnee und einHochzeitskleid vorzustellen, und darauf-hin die Frage beantworten sollen, waseine Kuh trinkt, dann neigen Personendazu, die Antwort „Milch“ zu geben.Offenbar werden durch die zuvor präsen-tierten Begriffe (primes, weiße Objekte)bestimmte semantische – im Beispiel ver-mutlich farbbezogene – Netzwerke vor-aktiviert (priming), was in dem Beispielzur Nennung der falschen Lösung „Milch“führt (Priming-Effekt) – das Gehirn suchtnämlich bei der Beantwortung der Fragebevorzugt nach einem weißen Getränk.Priming-Effekte könnten auch dann auf-treten, wenn der entsprechende Reiznicht mit Aufmerksamkeit belegt wurde.Priming kann in diesem Sinne verstandenwerden als die unbewusste Aktivierungkomplexer konzeptueller Strukturen(z. B. Stereotype, Emotionen, Motive,Ziele, Normen) mit Hilfe interner oderexterner Reize. Da also auch Motive un-bewusst geprimed werden können, kannangenommen werden, dass auch präat-tentiv wahrgenommene Werbereize dazuimstande sind, Konsummotive oder diedazugehörigen Emotionen anzuregen.

(4) Inzidentelles Lernen. InzidentellesLernen bezeichnet eine Form des Ler-nens, die ohne die Intention oder ohneden bewussten Willen einer Person zu-stande kommt, eine Information in Erin-nerung zu behalten. Es konnte mehrfachnachgewiesen werden, dass die Absicht,Informationen zu lernen, beinahe uner-

heblich für die Lern- und Gedächtnisleis-tung ist, wenn nur bestimmte Reizmerk-male tief verarbeitet werden, wie diesz. B. bei einer emotionalen Bewertung pe-ripherer Merkmale eines Reizes (etwa einästhetisches Gefallen der Farbgestaltungeiner Werbung) der Fall ist.

Werbung wirkt also, und zwar durch vielepsychologische Effekte, die von Werbetreibendensystematisch eingesetzt werden. Wie deutlichgemacht wurde, ist diese Aussage jedoch durch-aus relativ.

Literatur

Cialdini, Robert B. (2002). Die Psychologie des Überzeugens. Bern: Huber.

Degen, Rolf (2004). Lexikon der Psychoirrtümer. Warum der Mensch sich nicht therapieren, erziehen und beeinflussen lässt. Frankfurt/M.: Eichhorn.

Felser, Georg (2007). Werbe- und Konsumentenpsychologie. Heidelberg: Springer.

Gleich, Uli & Groebel, Jo (1993). Werbeforschung: Neue Befunde zu Wirkungsvoraussetzungen. In: Media Per-spektiven, 5. S. 229–233.

Klein-Bölting, Udo (2002). Markenmanagement für die effiziente Steigerung des Unternehmenswertes. In: Mattenklott, Axel & Schminansky, Alexander (Hg.). Werbung: Konzepte und Strategien für die Zukunft. Mün-chen: Vahlen. S. 106–129.

McGuire, William J. (1986). The myth of massive media impact. Savings and salvagings. In: Public Communica-tion and Behavior, 1. S. 173–257.

Sauerland, Martin (2008). Macht und Ohnmacht der Wer-bung. Aachen: Shaker.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 22

Page 23: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Online- und Wahl-Werbespot-Archive in ItalienSilvia Verdiani

In diesem Bericht haben wir einige italienischeOnline-Werbespot- und Wahl-Werbespot-Archi-ve gesammelt, die sich mit Produktwerbung undpolitischer Werbung beschäftigen. Hier sind eini-ge Details zu finden über die Materialien, die abEnde der Fünfziger Jahre bis heute in Italien imkommerziellen und politischen Bereich produ-ziert worden sind. Die Webseiten und einige Bei-spiel-Recherchen sind über die Links erreichbar,die in den Fußnoten genannt sind.

Online-Werbespot-Archive

Die „Teche Rai“, Rai-Schaukästen

Die Teche Rai (Rai-Schaukästen)1 sind Archive vonallem, was in den italienischen nationalen Sen-dern ab 1954 bis zum heutigen Tag ausgestrahltwurde: Dokumente, Bilder und Töne, durch die esmöglich ist, die Geschichte des zwanzigsten Jahr-hunderts und der ersten Jahrzehnte des neuenJahrtausends zu rekonstruieren. Sie sind einewichtige Quelle, sowohl für die historische Doku-mentation als auch für den didaktischen Zweck,auf die man für groß angelegte Forschungen zu-rückgreifen kann. Die Teche Rai ermöglichen eineschnelle Benutzersuche in den Archiven. Die Ka-talogisierungsbereiche sind: die Multimedia-Katalogisierung des Radio- und Fernsehmateri-als, die Speicherung der Nutzungsrechte der ein-zelnen Produkte, das Management der Biblio-und Mediatheken und der Help-Desk. Seit eini-gen Jahren ist der Offene-Schaukasten-Service ver-fügbar. Er stellt der Öffentlichkeit die Nutzungder Rai-Archive zur Verfügung – dank der Digita-lisierung der Materialien und den in der Biblio-Mediathek gespeicherten Dokumenten, die ausGründen des Urheberrechts nicht in vollem Um-fang im Internet veröffentlicht werden können.

1 http://www.teche.rai.it/ (Zugriff: 16.10.2016).

Dieser Katalog ist nur innerhalb der Rai-Gebäudezu konsultieren; er enthält alles, was ab dem Jahr2000 gesendet wurde, einschließlich des Materi-als, von dem die Rai die Urheberrechte nicht be-sitzt.

Die hochwertige Digitalisierung der teca stori-ca, des historischen Schaukastens – dabei geht esum die audiovisuellen Materialien, die zwischen1954 und 2000 ausgestrahlt wurden –, die imRahmen des Projekts durch den Vorstand Rai imFebruar 2014 genehmigt wurde, sieht die Restau-rierung und Aufbewahrung historischer Materia-lien von bedeutender Wichtigkeit vor und istnoch nicht abgeschlossen.

Die Katalog-Suche ist in Italien an verschiede-nen Standorten möglich: in der Bibliothek in Via-le Mazzini in Rom, in der Bibliomediateca Rai desRai-Produktionszentrums in Turin und in allenregionalen Zentralen des Regionalfernsehens derRai. Die Katalog-Suche ist in Italien an verschie-denen Standorten möglich: in der Biblioteca Cen-trale Paolo Giuntella, im Comunicazioni di massa undim Centro di documantazione giornalistica in Rom so-wie in der Bibliomediateca Dino Villani des Rai-Pro-duktionszentrums in Turin und in allen regiona-len Zentralen des Regionalfernsehens der Rai. ImEinvernehmen mit dem Kulturministerium wur-den außerdem Terminals für die Mediateca-Kata-log-Suche in der Mediateca Braidense in Mailandplatziert, auch Mediateca di Santa Teresa genannt,die sich in der ehemaligen Chiesa di Santa Teresabefindet, sowie an der Discoteca di Stato (Staats-schallplattensammlung) und der Bibliothek derAccademia di Santa Cecilia in Rom.

Studenten, Forscher, Dozenten und alle, diedie Materialien für Forschungszwecke und fürNon-Profit-Veranstaltungen brauchen, könnensich mit dem Kundendienst der Teche Rai in Romin Verbindung setzen. Das Material ist auch fürden Verkauf durch die Firma Rai verfügbar (über600 Titel in DVD veröffentlicht). Die Website des

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 23

Page 24: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Online- und Wahl-Werbespot-Archive in Italien Verdiani

Teche Rai bietet keinen vollständigen Katalog derArchive, sondern nur eine Auswahl von Bei-spielen und alle Informationen an, wie man aufdas Material vor Ort zugreifen kann; sie zeigtauch eine chronologische Zeittafel der Fernseh-programme und eine Auswahl an Video- und Au-dioclips, mit denen man die Geschichte desFernsehens und Radios rekonstruieren kann.2

Über den Mediathek-Katalog sind 9500 nachMarken sortierte Werbespots verfügbar.3

Zwanzig Jahre „Carosello“4

Wie Edmondo Berselli schreibt, wurde Carosello5

in den späten fünfziger Jahren als Kompromisszwischen dem Markt und den Familien entwor-fen. Um neun Uhr abends, nach den Abendnach-richten, öffnete sich der Vorhang und, zwischenTrompeten und Mandolinen, kam die beste Wer-bung des italienischen Wirtschaftsbooms auf dieBühne. Generationen Italiener sind mit den Idio-men, der sprachlichen Kreativität, den komi-schen Erfindungen, den Wortspielen von Caroselloaufgewachsen. Aber

[b]ald hätte auch die Werbung ihre Unschuldverloren, sie hätte sich von den Erzählungen

„2 Rai Teche (2015).

3 Beispiel-Suche Pippopotamo (Zugriff: 16.10.2016).

4 Vgl. dazu Heinemann (2016; in dieser Ausgabe).

5 Siehe auch: Giusti (1995).

und der Skizze emanzipiert, und am Ende wäre sieeinfach sich selbst geworden, ohne Schleier“6

In den Teche Rai-Archiven sind die audiovisuellenDokumente der zwanzig Jahre von Carosello auf-bewahrt.7 Die Medienbibliothek enthält über9500 Werbespots, alphabetisch nach den Namender Firma sortiert, die die Urheberrechte besitzt.Innerhalb dieser Auswahl sind auch die Carosello-Werbespots zu finden.8

Carosello wurde am 3. Februar 1957 zum erstenMal ausgestrahlt. Die Erkennungsmelodie wurdevon Luciano Emmer und Caesare Taurelli ent-worfen und umgesetzt. Die Zeichnungen der Vor-hänge wurden von Nietta Vespignani, der Fraudes Malers Renzo Vespignani, und Gianni Polido-ri entworfen.9 Der Titelsong von Carosello wurdein einer Nacht gefilmt und direkt am nächstenTag ausgestrahlt. Seit 3. Februar 1957 und bis 1. Ja-nuar 1977 wird Carosello täglich ausgestrahlt, au-ßer am Karfreitag und Allerseelen (2. November).Jede Woche werden 28 bis 35 Szenen gesendet.Eine Szene/Episode dauert 2'15" (inkl. maximal35" Werbung, auch ‚Zopf‘ genannt) und kostet1.500.000 Lire. Jeden Abend zeigt Carosello vierEpisoden (ab 1974 sechs). Am 31. Dezember 1956gibt es 366.161 Rai-Abonnenten. Carosello verdient1.639.302.039 Lire. Alle Episoden mussten inschwarz-weiß und in 35 mm-Format sein.

Die Unternehmen schicken ihre Filme in35 mm an SACIS10, die sie zu einem Programmzusammenfügt und von jeder Serie eine Episodeaufbewahrt. Es wird geschätzt, dass im Jahr 1965das Publikum Carosellos mehr als 10 MillionenZuschauer beträgt. 1969 wurde Carosello wegendes Massakers an der Piazza Fontana für drei

6 Croce (2008).

7 Beispiel-Suche Carosello (Zugriff: 16.10.2016).

8 Im Gegensatz zu anderen Multimedia-Materialien ge-hören die Rechte der Werbung und vor allem von Caro-sello den Kunden.

9 Siehe Carosello (La Sigla) Video & Audio Restaurati ♫ ♪ ♫HD [Video file] (2011) und CIRIO (2013).

10 Das Unternehmen, das für den Verkauf in den auslän-dischen Märkten von Rai-Produkten und für die Quali-tätskontrolle der Werbesendung von RAI verantwort-lich war.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 24

Abbildung 1: Beispiel-Suche Carosello. Quelle: Rai Tech e (Zugriff: 16.10.2016).

Page 25: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Online- und Wahl-Werbespot-Archive in Italien Verdiani

Tage ausgesetzt. Auf Initiative der Società ItalianaPubblicità Radiofonica (SIPRA) wurde eine Auswahlvon Carosello am 5. September 1971 im Museum ofModern Art (MoMA) in New York präsentiert.1977: Am 1. Januar wird das letzte Mal Caroselloausgestrahlt.11

Die „Mediateca del museo della pub-blicità del Castello di Rivoli“

Mit dem Erwerb der Sammlungen Rai SIPRAgründet das Museum für gegenwärtige Kunst desCastello di Rivoli im Jahr 2002 das Museum fürWerbung.12 Ziel dieser neuen Abteilung ist dieDarstellung von Werbung unter besonderer Be-rücksichtigung künstlerischer Ausdrucksformenund deren Einfluss auf das soziale Umfeld undLebensstil. Das Museum bietet einen Einblick indie Kultur und Kommunikationsstrategien derWirtschaftswelt. Die Sammlung umfasst mehr als2000 Plakate und Originalskizzen von den 30erJahren bis zu den 80er Jahren, die ein wertvolleskünstlerisches und kulturelles Zeugnis der italie-nischen Produktion darstellen.

Die Rai-Sammlung, ehemaliger SIPRA-Besitz,besteht weitgehend aus dem Nachlass der DinoVillani Familie, von Severus Pozzati (mit demKünstlernamen Sepo), des Plakatdesigners Nico

11 Siehe auch: Giusti (1995).

12 Castello di Rivoli Museo d'Arte Contemporanea

(2016 b).

Endel und umfasst Werke von Künstlern wie Du-dovich, Cassandre, Armando Testa, Gino Boccasi-le sowie Poster von ENIT (Ente Nazionale Italianoper il Turismo, italienische Zentrale für Tourismus)und von anderen öffentlichen Einrichtungen ausverschiedenen Epochen. Neben den berühmtenCaroselli-Episoden, die ein wichtiges Zeugnis deritalienischen kulturellen Sitten und Bräuche sind,umfasst das audiovisuelle Material der Samm-lung Werbespots für Kino und Fernsehen,einschließlich der vollständigen Sammlung vonFilmen, die Auszeichnungen auf internationalenFestivals in Cannes und Venedig seit 1954 gewon-nen haben.

Die Mediathek

Die Mediathek, mit einer modernen Software im-plementiert und von der Rai verwaltet, speichertund stellt die besten italienischen und internatio-nalen Beispiele in Sachen Werbekreativität zurVerfügung. Bis heute hat das Museum für Wer-bung etwa 30.000 Werbekampagnen gesammelt,einschließlich TV-Spots, Print-Anzeigen undPlakaten, die die Zeit von den frühen fünfzigerJahren bis heute darstellen. Davon wurden etwa8.000 in die Management-Software katalogisiertund eingetragen.

Die Auswahl umfasst etwa 2.000 Caroselli-Produktionen, unter anderem Figuren, die zumkollektiven Erinnerungsschatz der Italiener abden fünfziger Jahren bis heute gehören. Etwa die

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 25

Abbildung 3: Imagefilm (Screenshot) Museo della pubblicità des Castello di Rivoli Museo d'Arte Contemporanea. Quelle: Museo della pubblicità [Video file] (2012).

Abbildung 2: Bildausschnitt aus der Titelsongsequenz von Carosello. Quelle: Magistro & Creativi Associati (Zugriff: 16.10.2016).

Page 26: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Online- und Wahl-Werbespot-Archive in Italien Verdiani

historischen Werbespots Martini & Rossi mit Erne-sto Calindri und Franco Volpi für das neugebore-ne italienische Fernsehen oder auch die Réclamedes Caffè Paulista von Armando Testa13 – mit Cabal-lero und Carmencita.

Auch die Gewinner des Grand Prix und der Löwenbeim Cannes Advertising Festival von 1954 bis 2008sind als Material zugänglich. Unter diesen Kam-pagnen sind einige von hohem sozialem Wert,oder auch für den Umweltschutz, die Aids-Prä-vention und die Straßensicherheit. Im Bereichder Werbeplakate steht die komplette Serie derBenetton-Kampagnen United Colors zur Verfügung,von denen viele von Oliviero Toscani entworfenwurden sowie alle Kommunikationskampagnen –wie zum Beispiel das Projekt Look of the City – fürdie XX. Olympischen Winterspiele in Turin 2006.

Die Konsultation erfolgt über PC-Arbeitsplät-ze mit Hilfe der Mitarbeiter des Museums wäh-rend der Öffnungszeiten des Museums nach Ver-einbarung von Dienstag bis Freitag von 10 bis 17Uhr.

Das Archivio Nazionale del Cinema Impresa (ANCI)

Im Jahr 2006 wurde in Ivrea das l'Archivio Nazio-nale Cinema Impresa (ANCI)14 eröffnet, in Ab-

13 Castello di Rivoli Museo d'Arte Contemporanea(2016 a).

sprache mit dem Centro Sperimentale di Cinemato-grafia (CSC), der Region Piemont, der Stadt Ivreaund der italienischen Telecom. Das ANCI ist fürdie Erhaltung und Popularisierung von visuellenDokumenten im Bereich der Unternehmen zu-ständig. Das Archiv, im ehemaligen Kindergartendes italienischen Unternehmers Olivetti unterge-bracht, wurde von Mario Ridolfi entworfen. Esenthält etwa 72.000 Filmrollen, aus den frühenJahren des zwanzigsten Jahrhunderts, die vonUnternehmen wie Borsalino, Bosca, Breda, Innocen-ti, GTT, GFT, Montecatini, Montedison, Edison, Fiat,Ferrovie dello Stato, Olivetti15, Recchi, Martini & Rossi ,Ferrero, Galbani, Marzotto, Necchi, Rancilio, Aurora,Italgas, Birra Peroni, Aem Milano, Venchi Unica pro-duziert wurden.

Die Filmproduktion der Großindustrie stelltevon den dreißiger bis zu den achtziger Jahreneinen wichtigen Sektor ihrer Geschäftspolitik darund umfasst tausende Dokumentarfilme, dieheute ein wertvolles Erbe sind, um die wirtschaft-liche und soziale Geschichte Italiens zu rekon-struieren. Die Sammlung umfasst Filme, Werbe-spots16, technische Dokumentarfilme17, Doku-mentarfilme über das Unternehmen im sozialenKontext18, Familienfilme, Berichte über offizielleBesuche von Politikern oder Prominenten19, Lehr-filme20 und politische Werbung. Alle Materialiensind von einer kurzen Beschreibung und einerSynopse begleitet.

14 CSC (2008).

15 Beispiel-Suche auf dem YouTube - Kanal des ANCI nach Olivetti (Zugriff: 16.10.2016).

16 Darunter auch Carosello (Liste auf de m YouTube - Kanal des ANCI (Zugriff: 16.10.2016), z. B. Carosello – Dario Fo e Franca Rame – Agip – Punti di vista (Zugriff: 16.10.2016).

17 Z. B. La sicurezza continua (Zugriff: 16.10.2016).

18 Z. B. Inaugurazione della sede del dopolavoro Fiat e celebrazioni al merito (Zugriff: 16.10.2016) und Divertimento for Olivetti machines, 16 voices, percussion, and … (Zugriff: 16.10.2016).

19 Z. B. Visita del presidente Tito alla Fiat Mirafiori (Zu-griff: 16.10.2016).

20 Z. B. La grammatica della massaia – Parte III – L'alimentazione (Zugriff: 16.10.2016).

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 26

Abbildung 4: Caballero e Carmencita (1963), Bild aus einer Kampagne für Caffè Paulista Lavazza. Quelle: i-Italy (Zugriff: 16.10.2016).

Page 27: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Online- und Wahl-Werbespot-Archive in Italien Verdiani

Die Wiederentdeckung der Industrie-Archive er-möglicht außerdem auch längst vergessene Pro-duktionsbereiche des italienischen Kinos aufzu-werten, sie ermöglicht auch die Wiederherstel-lung der Filmografie wichtiger Filmemacher mitden Werken, die sie für den Unternehmensfilmgeschaffen haben. Das Archiv enthält u. a. Werkevon Michelangelo Antonioni, Alessandro Blasetti,Paolo und Vittorio Taviani, Bernardo Bertolucci,Luciano Emmer, Dino Risi, Valentino Orsini undErmanno Olmi.

Das ANCI in Ivrea und die Generaldirektion derArchive des Ministero dei beni e delle attività culturali(MiBAC) haben einen Youtube-Kanal zum Unter-nehmenskino, CinemaimpresaTV21 erstellt. DasHauptziel ist, über das Internet den großen Be-stand der Wirtschaftsarchive zu verbreiten. For-scher, Studenten oder einfach nur Wissbegierigekönnen heute die Online-Suche audiovisuellerDokumente aktivieren, die von grundlegenderBedeutung sind, um die soziale und wirtschaftli-che Geschichte des letzten Jahrhunderts Italienszu rekonstruieren.

Die Fondazione Pubblicità Progresso, Stiftung Pubblicità Progresso

Für viele Menschen ist Pubblicità Progresso22 einSynonym für soziale Werbung und wird mit denKampagnen identifiziert, die sie in mehr als 40

21 Archivio Nazionale CinemaimpresaTV CSC (Zugriff: 16.10.2016).

22 Fondazione Pubblicità Progresso (2007).

Jahren Tätigkeit gemacht hat, obwohl sie heute,neben sozialen Kampagnen, integrierte Kommu-nikationsprojekte und viele andere Aktivitätenentwickelt. Die Stiftung wollte nicht ihren Namenändern, weil er eine wichtige Referenz in der ita-lienischen Kultur ist. Seit 1971 aktiv (zunächst alsVerein und dann seit 2005 als Stiftung) fördertsie immer noch die soziale Kommunikation aufQualitätsniveau und zeigt damit den Nutzen pro-fessioneller Mitarbeit im Bereich der sozialenKommunikation. Mit Absicht die Kultur der so-zialen Kommunikation zu verbessern hat dieStiftung auch eine Mediathek der bedeutendstensozialen Kampagnen erstellt. Um das Online-Archiv zu befragen, ist eine Registrierung erfor-derlich.

Das „Archivio degli Spot Politici“

Das Archivio degli Spot Politici23 – übrigens das erstein Italien – stellt ein historisches Zeugnis nichtnur der Politik und Kommunikation, sondernauch der Gesellschaft und der Kultur Italiensdar.24 Das Archiv ist eine dokumentierte Samm-lung von Filmen, Slogans, Wahlkampagnen,Wahlen, Referenden sowie Wahlkampfvideos. Siewurden von Parteien, Bürgerlisten, politischenSpitzenpolitikern, Parteigruppen, Bewegungenund Verbänden erstellt und geben durch ihredetaillierte Beschreibung ein interessantes Ab-bild der soziokulturellen Landschaft der italieni-schen Gesellschaft ab.

Die Website wurde im Jahr 2008 von der Uni-versità Roma Tre, im Rahmen eines National InterestResearch Project (PRIN) erstellt, das sich mit der

23 Archivio degli Spot Politici (Zugriff: 16.10.2016).

24 Beispiel-Suche Leader (Zugriff: 16.10.2016).

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 27

Abbildung 6: Entwicklung des Markenzeichens von Pubblicità Progresso. Quelle: Pubblicità Progresso (Zugriff: 16.10.2016).

Abbildung 5: YouTube-Kanal (Screenshot) des Archivio Nazionale CinemaimpresaTV CSC. Quelle: Archivio Nazionale CinemaimpresaTV CSC (Zugriff: 16.10.2016).

Page 28: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Online- und Wahl-Werbespot-Archive in Italien Verdiani

Popularisierung und den neuen Formen po-litischer Kommunikation beschäftigte. An demvom italienischen Ministerium für Bildung fi-nanzierten Projekt nahmen ebenfalls die Uni-versität Perugia, die Universität Mailand La Stata-le und die Universität Turin teil. Das Forschungs-projekt der Università Roma Tre, von EdoardoNovelli geleitet25, befasst sich schwerpunktmäßigmit politischen Werbespots, die in Italien von denParteien und den wichtigsten Verbänden und in-stitutionellen politischen Parteien seit den siebzi-ger Jahren bis heute produziert wurden. Sie kön-nen als wichtiges Dokument der Politik,Kommunikation, der Gesellschaft und Kultur Ita-liens betrachtet werden. Die erste Forschungs-phase beschäftigte sich mit der Sammlung undWiederherstellung von Spots, die sich in Archi-ven, Stiftungen und Parteien befanden; danachfolgte die Klassifizierung und Analyse der ge-sammelten Materialien.

Die Website enthält mehr als 450 gesammelte,analysierte und katalogisierte Werbespots. Es istdas erste italienische Archiv, das diesen speziel-len audiovisuellen Dokumenten gewidmet ist.Alle audiovisuellen Materialien der Website – au-ßer den ausdrücklich von den Archiven markier-

25 Siehe auch Archivio degli Spot Politici – Rassegna Stampi (Zugriff: 16.10.2016).

ten – wurden zur kostenlosen Nutzung frei gege-ben, jedoch mit der Bitte, bei Gebrauch die Quelleanzugeben. Die Forschungsergebnisse des Pro-jekts zur „Popularisierung der Politik“ sowie diezentralen Beiträge der beteiligten Universitätenwurden bereits in der Zeitschrift ComunicazionePolitica (2012) 3(XII), herausgegeben von Il Mulino,veröffentlicht. Im September 2013 wurde auchder internationale Teil der Website eröffnet, dereinen Überblick über politische WerbespotsGroßbritanniens anbietet.26

Literatur

Carosello (La Sigla) Video & Audio Restaurati HD♫ ♪ ♫ [Video file]. [flaniman2] 12.4.2011 URL: https://www.you -tube.com/watch?v=3em4jVxniqk – Zugriff: 16.10.2016.

Castello di Rivoli Museo d'Arte Contemporanea (2016 a). Armando Testa. URL: http://www.castellodi rivoli.org -/mostra/armando-testa/ – Zugriff: 16.10.2016.

Castello di Rivoli Museo d'Arte Contemporanea (2016 b). Museo della pubblicità. URL: http://www.castello di -rivoli.org/museo-della-pubblicita/ – Zugriff: 16.10.2016.

CIRIO (Conserve Italia Soc.coop agricola) (2013). Spot e din-torni. URL: http://www.cirio.it/spot-cirio-carosello.php – Zugriff: 16.10.2016.

Croce, Guia (Hg.) (2008). Tutto il meglio di Carosello 1957- 1977. Torino: Einaudi. S. VII–XXII.

CSC (Centro Sperimentale di Cinematografia) (2008).Archivio Nazionale Cinema Impresa (CIAN). URL: http://www.fondazionecsc.it/context.jsp?ID_LINK=16& – Zugriff: 16.10.2016.

Fondazione Pubblicità Progresso (2007). URL: http://www.pubblicitaprogresso.org – Zugriff: 16.10.2016.

Giusti, Marco (1995). Il grande libro di Carosello. Milano: Sperling & Kupfer.

Museo della pubblicità [Video file]. [Castello di Rivoli Museo d'Arte Contemporanea] 22.4.2012 URL: https://www.you tube.com/watch?v=VAtMNsqtzJw– Zugriff: 16.10.2016.

Rai Teche (2015). Chi Siamo. URL: http://www.te che.rai.it -/chi-siamo-2/ – Zugriff: 16.10.2016.

26 Politische Werbespots des UK auf Archivio degli Spot Politici (Zugriff: 16.10.2016).

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 28

Abbildung 7: Webseite des Archivio degli Spot Politici.Quelle: Archivio degli Spot Politici (Zugriff: 16.10.2016).

Page 29: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

„Carosello“ – Werbung „all’italiana“Sabine Heinemann

Das italienische Fernsehwerbeformat Carosello1 isteines der weltweit ungewöhnlichsten. Währenddie übrigen industrialisierten Länder von Anbe-ginn an TV-Werbespots von 30 (USA) oder 35 Se-kunden Länge (Großbritannien) sendeten undvielfach auch reminder von 7–15 Sekunden Dauerwie erheblich längere Spots erlaubt waren,nimmt sich Italien in der Entwicklung einzelnerWerberubriken als einzigartig aus (Falabrino2007:32 ff.). Carosello – die Bezeichnung stammtaus dem Neapolitanischen, wichtig war in ersterLinie eine Anknüpfung an die Tradition (Falabri-no 1989:63) – war eine eigenständige, als Pro-grammpunkt firmierende Rubrik, die eine kurzeUnterhaltungssequenz mit einem Werbespot ver-knüpfte. Sie wurde vom 3.2.1957 bis 1.1.1977 täg-lich (mit Ausnahme von Karfreitag und Allersee-len) auf dem zunächst einzigen, später ersten Ka-nal der Rai (am 14.1.1954 auf Sendung gegangen)ausgestrahlt. Die Länge der einzelnen caroselli wardabei vorgegeben: Die kurze Unterhaltungsein-heit (komische Szenen, Parodien, Gesang,Schauspiel, Zeichentrickfilm, Film mit stop mo-tion-Technik) war 1'40'' lang (in der Anfangsphase1'45''), danach folgte der vielfach als codino(‚Schwänzchen‘) bezeichnete eigentliche Werbe-spot, der 35 Sekunden dauerte (s. zu den gering-fügigen Änderungen der Länge im Laufe der Jah-re Ballio & Zanacchi 2009:163). Zwar durfte zuBeginn ein Verweis auf das Sponsoring der nach-folgenden „Sendung“ durch das jeweilige Unter-nehmen gebracht werden – hier wurde ein Ele-ment aus dem Radio übernommen, das sichdurch häufig gesponsorte Sendungen auszeich-nete (Dorfles 1998:13 ff. , Falabrino 1989:60 f. ,Falabrino 2007:16, Codeluppi 2008:19 ff. , Pittèri2006:37, Ceserani 1988:180 ff.) –, in der Unterhal-tungssequenz selbst durfte aber nicht auf das im

1 Für eine erste Orientierung sei verwiesen auf https://it.wikipedia.org/wiki/Carosello (Zugriff: 16.10.2016).

codino beworbene Produkt Bezug genommen wer-den. Zudem durfte das Produkt im Werbeteilselbst auch lediglich höchstens sechs Mal münd-lich und schriftlich insgesamt angeführt werden(Ballio & Zanacchi 2009: 39 ff. , Dorfles 1998:15 ff.;ähnliche Beschränkungen gelten für die späterenWerberubriken, s. Falabrino 1989:72). Am erfolg-reichsten haben sich in der 20jährigen Geschich-te des Carosello solche Kurzfilme erwiesen, dieeinen möglichst natürlichen und logischenÜbergang vom Unterhaltungs- zum Werbeteilleisteten.

Da die nächste Ausstrahlung eines carosello zu ei-nem bestimmten Produkt erst wieder nach zehnTagen erfolgte und eine Wiederholung nur inAusnahmefällen erlaubt war – damit sollte dieNeuheit gewährleistet und das Interesse für dieRubrik erhalten bleiben –, war das Publikum ge-genüber der Werbung nicht nur positiv einge-stellt, vielmehr freuten sich v. a. die Kinder aufdie nächste Geschichte, Carosello wurde schnell zueinem Ritual (Falabrino 1989:66, Pittèri 2006:71,123). Die wiederholende Struktur von Erzählun-gen und die Einprägsamkeit der Erkennungsme-lodie lösten eine starke Bindung aus, ähnlich wiedies bei Märchen und anderen Geschichten für

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 29

Abbildung 1: Screenshot aus dem Vorspann zu Carosello.Quelle: http://carosellomito.net/la-storia/ (Zugriff: 16.10.2016) unter „Variazioni“.

Page 30: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

„Carosello“ – Werbung „all’italiana“ Heinemann

Kinder der Fall ist (Ballio & Zanacchi 2009:16, 43;Falabrino 2007:37, Ceserani 1988:182). Dabei warim carosello das Happy End vorprogrammiert, daja positive Produkteigenschaften hervorgehobenwerden sollten, die ein bestimmtes Problem odereine schwierige Situation lösen halfen. Carosellolebte trotz der filmischen Sequenzen stark vonseinem verbalen Charakter (Dorfles 1998:81,91 ff.). Was zunächst als Kuriosum galt, entwi-ckelte sich also letztlich zum Erfolgsfaktor vonCarosello: Die Unterhaltungssequenz am Beginntransferierte alle Werte der Beliebtheit, Komik,Sympathie etc. der Protagonisten auf den Werbe-teil und damit auf die Marke (Falabrino 2007:36,Ballio & Zanacchi 2009:13).

Entstehung der Werberubrik „Carosello“

Seine Basis hat dieses auffällige Werbeformat ineiner jahrzehntelang währenden Polemik derZeitungsverleger und Journalisten gegen dieexzessive Radiowerbung und später auch gegendas Fernsehen allgemein. Die Verlage befürchte-ten Verluste für ihre Medien, Einbußen in denAuflagenzahlen ließen sich jedoch nicht feststel-len (Falabrino 2007:17). Auch seitens der Verant-wortlichen gab es moralische und intellektuelleBedenken gegen Werbung an sich, da die Raiwie die deutschen öffentlich-rechtlichen Sendereinen Bildungsauftrag verfolgten und dieser sichmit der Sendung von Werbespots schlecht zuvereinbaren schien (Testa 2007:54). Gleichzeitigspiegelt sich in dieser Haltung auch der in den50er und 60er Jahren spürbare Anti-Amerikanis-mus wider, der mit der Vorstellung von Profit,Konsum und negativem Einfluss auf zwischen-menschliche Beziehungen verbunden war. Zu-gleich übten die in- wie ausländische Konsumgü-terindustrie und das Handelsministerium zuneh-mend Druck auf die Rai aus, Sendezeiten fürWerbung freizugeben, und auch die Rai selbst waran der Einführung einer Werberubrik interes-siert, da die Rundfunkgebühren für die Entwick-lung neuer Programme nicht ausreichten (Ballio

& Zanacchi 2009:12 f. , 35, 39). Entsprechendmusste eine Formel gefunden werden, die die ei-gentliche Werbung mit einem Unterhaltungspro-gramm verschmolz, woraus die Erfindung des„strano ircocervo“ (‚merkwürdiges Mischmasch‘;Falabrino 2007:33) Carosello resultiert, dasgewissermaßen einen Gegenentwurf zur ur-sprünglichen – wenig innovativen – Idee darstell-te, Werbebotschaften wie im Radio von Ansage-rinnen vorlesen zu lassen. Außerdem befürchteteman, dass man den Fernsehzuschauer mit „nor-malen“ Werbebotschaften abschrecken könnte, ersollte unterhalten werden, d. h. , die Unterhal-tungssequenz sollte so gleichzeitig die Härte derWerbebotschaft abmildern (Falabrino 1989:61).Interessant ist hier auch die Verpflichtung z. B.von Mike Bongiorno, der zu jener Zeit die erste,sogleich außerordentlich erfolgreiche Quizsen-dung im italienischen Fernsehen, Lascia o raddop-pia (‚lass’ es oder verdopple es‘), moderierte undschon in der Anfangsphase von Carosello ein testi-monial für shampoo DOP (L’Oréal) war. Gleichesgalt für Ende der 50er Jahre erfolgreiche Film-und Theaterschauspieler, Sänger oder aus demRadio bekannte Persönlichkeiten. Hier wird alsoeine Brücke geschlagen zu „normalen“ Unterhal-tungsprogrammen, wodurch die Werbebotschaftin den Hintergrund gedrängt scheint (vgl. auchPittèri 2006:65 ff.).

Die Entwicklung von Carosello bedeutet nunaber nicht, dass es keine „klassischen“ Werbe-spots in der Anfangsphase des italienischenFernsehens gegeben hätte: Ergänzend zu Caroselloals erster Werberubrik wurden bereits ab 1959weitere Rubriken eingeführt (Gong, Break, Giroton-do, Tic Tac, Arcobaleno, Doremì), die in der Längedem international verbreiteten Modell folgten –bei den hier gezeigten Spots handelte es sich imÜbrigen vielfach um die ursprünglichen codini dercaroselli, es lag also kein abweichendes Konzeptfür den Werbespot selbst vor (Ballio & Zanacchi2009:27). Der wirtschaftliche Nutzen dieser Ru-briken war allerdings aufgrund der Dominanzvon Carosello vernachlässigbar (Falabrino 1989:61).Wie Carosello wurden sie zu festen Tageszeiten ge-sendet. Die Bezeichnungen für die meisten Ru-

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 30

Page 31: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

„Carosello“ – Werbung „all’italiana“ Heinemann

briken wurden im Laufe der Zeit aufgegeben, fürCarosello, das als Konstante des Abendhauptpro-gramms galt, wurde der Name aber bis zumSchluss beibehalten2 (Dorfles 1998:20, Ballio &Zanacchi 2009:124 f.).

Die einzelnen caroselli wurden als Gruppe vonvier (ab 1960–1962 und dann ab 1964 wieder fünf,ab 1974 gar sechs) Sequenzen allabendlich um21.30 Uhr zwischen der Hauptabendnachrichten-sendung (Telegiornale) und dem Abendprogrammausgestrahlt (ab 1973 um 21:00 Uhr). Vom umge-benden Programm wurde Carosello durch Ein-blendung eines stilisierten Theatervorhangs, spä-ter durch die Einblendung italienischer Plätze,von einer fanfarenartigen Musik3 begleitet abge-setzt, im Abspann wurde der Carosello des Folge-tages angekündigt. Ein solcher zehnminütigerWerbeblock zu den jeweiligen Produkten durfteallerdings nur alle zehn Tage gesendet werden.Wie bereits diese Angaben zeigen, war Carosellostark reglementiert.

Verantwortlich dafür war die SIPRA (SocietàItaliana Pubblicità Radiofonica e Affini; seit 2013 RaiPubblicità), die Vertretung der Rai für den Verkaufvon Werbezeiten zunächst im Kino und Radio, abden 50er Jahren dann auch im Fernsehen.4 Gene-rell durfte jedes Unternehmen nur in einem Caro-sello-Zyklus (bestehend aus sechs mal zehn Tagen)werben, größere Unternehmen in zweien undKonzerne schließlich in dreien, wobei hier dieZyklen auf Tochterunternehmen aufgeteilt wur-den – so warb die Unternehmensgruppe Unileverim Frühling über Lever für das Waschmittel Omo,im Sommer mit dem Unternehmen Sagit für Eis(Algida) und im Herbst über Vand der Bergh fürMargarine (Gradina). Von den sechs caroselli, dieein Unternehmen innerhalb eines 60tägigen Zy-klus senden durfte, mussten fünf einen jeweilsanderen Unterhaltungsteil haben. Lediglich ein

2 Die einzige weitere Rubrik, deren Bezeichnung erhal-ten blieb, ist Intermezzo, die seit 1962 auf dem zweiten, seit 1961 sendenden Kanal der Rai ausgestrahlt wurde.

3 Bei der Musik handelt es sich um eine neapolitanische Tarantella aus dem frühen 19. Jh. (s. hierzu z. B. http://carosellomito.net/la-storia/ (Zugriff: 16.10.2016) unter „La storia della musica di Carosello“).

4 Zur Geschichte der SIPRA s. Castagnoli (1996).

carosello durfte also wiederholt werden, was fürdie Produktion mit enormen Kosten verbundenwar und entsprechend kleinere Unternehmen be-nachteiligte sowie für die Produzenten der sehrerfolgreichen Zeichentrickfilme und mit stop mo-tion-Technik gefilmten Sequenzen erheblicheZeitprobleme bedeutete. Auch allgemein bemän-gelten die Werbetreibenden Schwierigkeiten inder Umsetzung der Unterhaltungsprogramme,v. a. wegen der Kürze der Sequenzen und der An-bindung der eigentlichen Werbespots. Das weit-gehende Verbot der nochmaligen Ausstrahlungeines bereits gesendeten carosello führte schließ-lich dazu, dass in den 20 Jahren von Carosello 7.261Episoden produziert und gesendet wurden.Gleichzeitig konnten natürlich so auch z. T. sehrerfolgreiche Miniserien entstehen, die im Laufeder Zeit Kultcharakter erlangten (Dorfles 1998:15 ff. , Ballio & Zanacchi 2009:65).

Auch was die zu bewerbenden Produkte be-traf, gab es Einschränkungen: Autos durften nichtbeworben werden (was für FIAT als Marktführerdurchaus günstig war), Luxusprodukte ebenfallsnicht (Juwelen, Boote), auffälligerweise wurdenaber Alkoholika häufig beworben (Falabrino2007:40). Auch Werbung für Damenunterwäsche,Toilettenpapier und Hygienebinden war zumin-dest zu den Essenszeiten unzulässig. Mädchen imBadeanzug durften nicht gezeigt, Schimpfwörtersowie Wörter wie Schweiß, Schuppen, Depilation, De-odorant etc. nicht benutzt werden (Dorfles 1998:19,51, Pittèri 2006:67 f.). Entsprechend verwundertes nicht, dass auch Abführmittel als solche nichtbenannt werden durften – was den (Erfolg des)Slogan(s) für ein entsprechendes Präparat be-dingt: „Falqui. Basta la parola“ (‚Falqui. Das Wortgenügt‘).

Die SIPRA nutzte ihre Macht darüber hinausaus, indem sie Druck auf die Unternehmen aus-übte: Wollte ein Unternehmen sein Produkt imRahmen von Carosello bewerben, musste es zu-sätzlich in der Regel mehr Radiowerbesendeplät-ze kaufen als beabsichtigt und v. a. wenig inter-essante Anzeigenseiten in politischen Zeitungenund Zeitschriften – dadurch wurden letztlich dieentsprechenden Parteien finanziert (s. z. B. Il Po-

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 31

Page 32: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

„Carosello“ – Werbung „all’italiana“ Heinemann

polo der Democrazia Cristiana, l’Unità des partitco co-munista) und der monopolitische Autoritarismusder SIPRA sichtbar. Ein weiteres Kontrollorgander Rai war und ist die 1955 gegründete SACIS(Tochterfirma der SIPRA), zu deren Aufgaben derAn- und Verkauf von Programmen für die Rai so-wie die Zensur der Texte von Radio- und Fernseh-werbesequenzen gehörte. Auffällig ist, dass dierigorosen Normen der SACIS erst 1975 veröffent-licht wurden (Ballio & Zanacchi 2009:163, Fala-brino 1989:69 ff.).

„E dopo Carosello …tutti a nanna!“

Wie gesehen kamen parallel zu Carosello weitereWerberubriken auf. Das führte allerdings keines-wegs zu einer Modifizierung von Carosello – spä-testens mit der Einführung von Zeichentrickfil-men und solchen mit Puppen noch Ende der 50erJahre wurde Carosello zu einem typischen Unter-haltungsprogramm für die ganze Familie, wassich auch in dem Ausspruch „E dopo Carosello …tutti a nanna!“ (‚Und nach Carosello … alle in dieHeia!‘) widerspiegelt, d. h. , auch Kinder zähltenzu den wichtigen Zuschauern. In einer Gesell-schaft, in der Kinder schon immer einen sehr ho-hen Stellenwert hatten und als sekundäres Publi-kum (neben den Müttern als primärem Publi-kum) einen hohen Einfluss auf die Kaufentschei-dungen in der Familie hatten, war die Nutzungauch „kindertauglicher“ Unterhaltungssequenzenpsychologisch wichtig. Die Produktion von Zei-chentrickfilmen in diesem Kontext reflektiert dasintuitive Verständnis der Werbetreibenden fürdie Rolle der Kinder in diesem Kontext – Ende der60er Jahre waren ca. 40 % der caroselli Zei-chentrick- oder mit stop motion-Technik produ-zierte Filme (Falabrino 2007:46, Falabrino1989:67). Gleichzeitig spricht dieses Modell das„Kind im Erwachsenen“ an; die Geschichten sindeinfach, vielfach klischeehaft und an volkstümli-chen Traditionen orientiert (Pittèri 2006:73). MitBlick auf die Kinder als Publikum wurde Carosello

v. a. seitens Intellektueller heftig kritisiert, eswürde zum Konsum erziehen. Interessanterweisebeurteilten die meisten Eltern (über 90 %) bis indie 70er Jahre Carosello positiv, Kritik bezogsich hier auf die Sendezeit, die Oberflächlichkeitder Inhalte und die gezeigten Verhaltensmo-delle (Falabrino 2007:46, Ballio & Zanacchi2009:97 ff.).

Wichtig war v. a. in den 50er Jahren, in denenItalien noch eine stark agrarisch geprägte Gesell-schaft war, dass der Bevölkerung über Caroselloder Zugang zur Konsumwelt eröffnet wurde. Sorichtete sich Carosello v. a. an die typische Haus-frau (lediglich 20 % waren berufstätig); die Wer-bung zeigte, wie man im Ausland und in derGroßstadt lebte, wie sich das Land veränderte etc.Zudem erlaubte die Einführung qualitativ hoch-wertiger Markenprodukte eine gewisse Freiheit –der Einkauf von Lebensmitteln war nicht mehrtäglich erforderlich, sondern es genügte, nurmehr zweimal pro Woche einzukaufen (Dorfles1998:37 f.).

Regisseure, Schauspieler, Musiker – und „Carosello“

Die Bedeutung von Carosello auch unter künstleri-schem Aspekt zeigt sich an der Vielzahl der Kino-regisseure, Schauspieler oder Sänger, die an derProduktion von caroselli mitgewirkt haben, sowieder Einbindung namhafter Werbeagenturen. Zuden auch über die italienischen Grenzen hinausbekannten Regisseuren, die für diverse Filmse-quenzen verantwortlich zeichnen, gehören Fede-rico Fellini, Sergio Leone, Dino Risi oder auch dieBrüder Taviani. Luciano Emmer gar wandte sichfür längere Zeit gänzlich vom Kino ab und produ-zierte fast nur mehr caroselli. Für die Kategorie derSchauspieler seien etwa Totò, Eduardo De Filippo,Vittorio Gassman, Alberto Sordi, Nino Manfredi,Virna Lisi, Ugo Tognazzi, Renzo Arbore, auchDario Fo (in ungewohnter Rolle) oder die interna-tionalen Schauspieler Fernandel, Frank Sinatraund Jerry Lewis genannt (Falabrino 2007:38). Ei-ner der wenigen bedeutenden italienischen

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 32

Page 33: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

„Carosello“ – Werbung „all’italiana“ Heinemann

Schauspieler, der sich aus Angst vor Imageeinbu-ßen einer Mitwirkung bei Carosello verweigerte,war Marcello Mastroianni. Die Karriere vielerSchauspieler nahm vielmehr ihren Ursprung inder Mitwirkung bei verschiedenen caroselli. Unterden z. T. bis heute aktiven, vielfach aber v. a. inItalien bekannten Sängern finden sich Namenwie Rita Pavone, Patty Pravo, Gianni Morandioder Mina, die mit den caroselli für Barilla Endeder 60er Jahre eine Millionengage erhielt (Fala-brino 2007:40, Ballio & Zanacchi 2009:83). Unterden Kreativen seien hier insbesondere die BrüderNino und Toni Pagot, Paul Campani sowieArmando Testa genannt (Ballio & Zanacchi2009:101 ff.). Während die Brüder Pagot schonzuvor als Comiczeichner und Zeichentrickfilmeraktiv waren, war Armando Testa einer der weni-gen, die von der Plakat- und Printwerbung kom-mend die Vorteile der filmischen Werbung imFernsehen erkannten und äußerst erfolgreichumsetzten (Pittèri 2006:34). Bereits 1929 war Zei-chentrick in der Kinowerbung verbreitet; dane-ben traten Filme, die mit stop motion-Technik pro-duziert wurden.

Beide Filmkategorien wurden für Carosellosehr wichtig, so sind einige Figuren, die ihren Ur-sprung in Carosello haben, darüber hinaus auchüber die Grenzen Italiens bekannt geworden:

Neben etwa Angelino (Waschpulver Supertrim),Topo Gigio (Kekse Pavesini), dem Omino coi baffi(‚Männchen mit dem Schnurrbart‘, KaffeekocherBialetti) seien hier Caballero und Carmencita (caféPaulista, Lavazza), Papalla (Elektrogeräte Philco,beide Armando Testa) genannt, aber besondersauch La linea (Schnellkochtopf Lagostina, Abb. 2)5

und Calimero (Waschpulver Ava, Abb. 3), diedurch Zeichentrickserien bekannt geworden sind(Falabrino 2007:42 ff. , Ceserani 1988:187 ff.).

Italienische Werbung heute – das Erbe von „Carosello“

Durch das spezifische Werbeformat ist die italie-nische Werbung z. T. bis heute stärker filmisch-erzählerisch geprägt als die anderer Länder – Bei-spiele hierfür sind etwa die viele Jahre laufendenWerbespotserien für die italienische Telefonge-sellschaft SIP bzw. Telecom Italia (mit Massimo Lo-pez, 1993–1999) oder die Paradies-Kampagne vonLavazza (aktuell mit Tullio Solenghi und EnricoBrignano, seit 1995, Abb. 4), deren Spots vielfacheine Minute lang sind. Beide Kampagnen arbei-ten mit einem „umorismo casereccio“ (‚haus-

5 La linea ist in den 80er Jahren als Zeichentrickfigur in Deutschland bekannt geworden und ist seit einigen Jahren in einer Werbekampagne zu Faktu akut, einer Salbe gegen Hämorrhoiden, zu sehen.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 33

Abbildung 3: Calimero (Brüder Pagot), Werbefigur fürdas Waschmittel Ava. Quelle: Screenshot aus CaroselloMiralanza 11 [Video file] (2012).

Abbildung 2: La linea (‚die Linie‘; Osvaldo Cavandoli), Werbeikonefür den Hersteller von Kochtöpfen Lagostina. Quelle: Screenshot aus Carosello Lagostina „Mister Linea“ 1969 [Video file] ✿(10.12.2011).

Page 34: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

„Carosello“ – Werbung „all’italiana“ Heinemann

gemachter Humor‘; Ballio & Zanacchi 2009:21,Pittèri 2006:204 f.), zeigen also eine starke kultu-relle Rückbindung (s. auch die Verwendung vonElementen der commedia all’italiana).

Wenig verwunderlich ist entsprechend der ge-ringe Erfolg bei internationalen Festivals (Code-luppi 2008:22, 29 ff.). Ein Beispiel für die heuteeher seltene Nutzung von Zeichentrickfilmen inder Werbung ist die aktuelle Kampagne von Ponti(Essighersteller, Abb. 5), die wie die Lavazza-Kam-pagna von Armando Testa verantwortet wird.

Weniger auf den Humor als auf Tradition, Natur,Heimatgefühl oder Familie stellen andere Spotsab, wie etwa diejenigen von Barilla (ebenfalls viel-fach mit Überlänge; Pittèri 2006:151 ff.). Italiensetzt so nach Jahrzehnten die mit Carosello be-

gründete spezifische Art des storytelling fort; auchwurde in den 90er Jahren auf Figuren und Moti-ve zurückgegriffen, die zu Zeiten von Carosello er-folgreich waren (s. z. B. Calimero oder die Blondi-ne von Peroni6 etc.; Pittèri 2006: 173 ff.).

Das Ende von „Carosello“ …

Die Gründe für die Aufgabe von Carosello warenvielfältig – so war das Format stark von den Krea-tiven und weniger von den Werbetreibenden ge-prägt, was sich daran zeigt, dass die jeweiligenProtagonisten und die Geschichten der Unterhal-tungssequenzen vielfach bekannter waren als dasProdukt selbst. Carosello wurde zunehmend zu ei-nem Rückzugsort für das Handwerk und war da-mit nicht mehr ausreichend für eine raschwachsende Wirtschaft (Codeluppi 2008:23), wor-auf die SIPRA schon früh mit der Einführungkurzer Spots reagiert hatte. Der italienische Wer-bemarkt war moderner und dynamischer gewor-den, die Produzenten setzten sich ungern denzeitlichen Beschränkungen seitens der SIPRAaus, die pädagogische Aufgabe der Rai rückte mitBlick auf die Werbung in den Hintergrund, dasPublikum hatte sich in den zwanzig Jahren eben-falls verändert und schließlich war Carosello nichtvereinbar mit standardisierten Werbestrategieninternationaler Konzerne.

… und „Carosello Reloaded“

Wie sehr Carosello das italienische Werbefernse-hen geprägt hat, wird neben aktuellen Tendenzenauch an Shows zu Carosello und insbesondere Ca-rosello Reloaded sichtbar. Nach der Ausstrahlungeiner modernisierten Fassung jeweils samstags

6 Peroni ist eine Biermarke, die in ihren Werbekampa-gnen häufig mit Ambiguität spielt; mit der Einbindung einer blonden Frau als testimonial wird die Polysemie von it. bionda (‚Blondine‘, ‚Pils‘) für die Werbung ge-nutzt.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 34

Abbildung 4: Enrico Brignano als neuer Bewohner und Tullio Solenghi als Hl. Petrus in der Paradies-Kampagne des Kaffeeherstellers Lavazza. Quelle: Screenshot aus Lavazza A Modo Mio 2015 – Astronauti 40'' [Video file] (2015).

Abbildung 5: Screenshot aus der aktuellen Kampagne cibi tem-pestosi des Essigherstellers Ponti. Quelle: http://www.ponti.com -/cibi-tempestosi / (Zugriff: 16.10.2016).

Page 35: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

„Carosello“ – Werbung „all’italiana“ Heinemann

nach dem Telegiornale auf Rai 1 im Herbst 1997 –ein offensichtlich recht erfolgloser Versuch, dasFormat „wiederzubeleben“, da zeitnah wieder auf-gegeben – wurde mit Carosello Reloaded ein klaresZiel verfolgt. Intention des Direktors der SIPRA,Fabrizio Piscopo, war es, die Krise in der Kreativ-branche aufzubrechen und über das Angebot desso beliebten, alten Werbeformats den Werbe-agenturen die Möglichkeit zu geben, neue Ideenzu entwickeln und die Aufmerksamkeit wiederstärker auf die Werbung zu lenken. Carosello Re-loaded war v. a. mit den beiden Zyklen 2013 inter-essant – eine Sendung umfasste jeweils 3 Spots,die Gesamtdauer betrug 210 Sekunden, d. h. , procarosello standen immerhin 70 Sekunden zur Ver-fügung. Die Idee einer kurzen Unterhaltungsse-quenz und der eigentlichen Werbung wurdeebenso adaptiert wie der Sendeplatz unmittelbarnach der Hauptnachrichtensendung und dieKlammer durch den eingeblendeten Vorhangzu Beginn und zum Ende der Spotabfolge sowiedie (leicht modernisierte) Erkennungsmelodie(siehe auch die Werbeanzeigen in Printmedien,Abb. 67).

7 „Siamo andati a letto senza per 35 anni. Ora basta.“ – ‚Wir sind 35 Jahre ohne ins Bett gegangen. Jetzt reicht’s.‘ Hier wird natürlich auf die bis heute bekannteWendung „E dopo Carosello … tutti a nanna!“ Bezug genommen. Auf die außerordentliche Beliebtheit des Programms wird im kleingedruckten Text hingewie-sen.

Nach dem großen Erfolg (hohe Werbeeinnahmen,Begrüßung der Idee seitens der Werbeindustrie,positive Einschätzung seitens der Zuschauer)wurde das Konzept 2014 gänzlich verändert undeinzelne Spots von 15–30 Sekunden durch Se-quenzen einer ursprünglich französischen (!)short-com durchbrochen (Genitori – Istruzioni perl’uso ‚Eltern – eine Gebrauchsanweisung‘) – eineAnbindung an das traditionelle Modell war sokaum möglich. Entsprechend wurde Carosello Re-loaded nach dieser Änderung wieder aufgegeben.

Neben der Produktion von modernen caroselliwar Carosello Reloaded zugleich ein auf multi-mediale Angebote angelegtes Experiment, d. h. ,der Konsument sollte einbezogen werden – nebender Ausstrahlung auch in über 500 Kinosälen undim Radio, ergänzende Angebote über die Inter-netseiten der Rai (täglich über 10 Millionen Zu-griffe) sowie unterschiedliche Möglichkeiten derInteraktion über Smartphone und Tablet sollteein größeres Projekt in Kooperation mit denWerbetreibenden verfolgt werden (Virtuani2013; s. die unterschiedlichen Artikel aufhttp:// www.pub blic itaitalia.it (Zugriff: 16.10.2016):O.A. 2013 a–i, Zonca 2014 a–c; Rai Cultura 2016).Mit einem neuen brand entertainment sollte er-reicht werden, Geschichten (auch etwa Web-Seri-en) um eine Marke zu kreieren und damit (wie-der) eine enge(re) Bindung zum Zuschauer bzw.Konsumenten aufzubauen. Diese advertainment-Idee ist letztlich wiederum im Carosello der Früh-phase der italienischen Fernsehwerbung an-gelegt.

Die Unterhaltungssequenzen zeigten bereitseine Art storytelling ante litteram, gleichzeitig hatteCarosello den Vorteil, dass das Medium Fernsehenwie die Werbung selbst neu war und sich die Ge-sellschaft infolge des Wirtschaftsbooms in den50er Jahren parallel weg von einer agrarisch ge-prägten hin zu einer Konsumgesellschaft entwi-ckelte und über die Werbung erstmals mitbestimmten Produkten in Kontakt kam: Über Ca-rosello wurden zuvor unbekannte Produkte itali-enweit verbreitet, neue Marken wurden einge-führt, Konsum- wie Lebensgewohnheiten nach-haltig verändert, weiter wurden Werte wie

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 35

Abbildung 6: Zeitungsanzeige für Carosello Reloaded. Quelle: http://www.arsenale23.com/rai-carosello-reloaded/ (Zugriff: 16.10.2016).

Page 36: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

„Carosello“ – Werbung „all’italiana“ Heinemann

Gesundheit, Schönheit oder auch Weiblichkeitals solche vermittelt, was insbesondere fürsüditalienische Frauen wichtig wurde (Falabrino1989:64 ff.).

Material

Neben der Vielzahl alter caroselli, die auf YouTubeverfügbar sind, gibt es weitere Quellen, die einenEinblick in die Heterogenität und die Entwick-lung der caroselli bieten. So gibt es zum einen di-verse DVDs, die klassische caroselli mit Kultstatuszusammenstellen. Die diversen VHS-Kassettenund DVDs, die im Handel erschienen sind,z. T. als Beilage zu Zeitschriften, sind auf dersehr informativen Seite http://carosellomito.net/(Zugriff: 16.10.2016) unter „pubblicazioni“ zu-sammengestellt. Eine Publikation von Buch undDVD sind Ballio & Zanacchi (2009) und Croce,Berselli & Nove (2008). Auf den Seiten der Raifinden sich leider lediglich Auszüge einzelner ca-roselli.8 Was den Vor- und Abspann von Carosellobetrifft, so sei auf Sigle Tv: Carosello degli anni ’50,’60 e ’70 [Video file] (2008) sowie den YouTube-Kanal Il mondo di Carosello (Zugriff: 16.10.2016)verwiesen; auf den Seiten der Rai findet sich derVor- bzw. Abspann zu Carosello Reloaded.9

Eine detaillierte Übersicht zu den einzelnenüber 7.000 caroselli gibt Giusti (1995), der einenKatalog bietet: Der Autor führt für jede Markesämtliche caroselli an und gibt eine Liste der je-weils verantwortlichen Regisseure und Werbe-agenturen, der Schauspieler, Zeichentrickauto-ren, Musiker; weiter gibt er Kurzdarstellungendes Inhalts, ergänzt um das Ausstrahlungsjahr,sowie weitere Informationen zu einzelnen Episo-den, z. T. wird auch Bildmaterial abgedruckt. Dieim Aufbau befindliche Seite http://carosello -mito.net/la-storia/ (Zugriff: 16.10.2016) möchteeine Erweiterung zu Giusti (1995) liefern, indemdie für einige Serien fehlenden Titelangaben, die

8 http://www.teche.rai.it/programmi/carosello/ (Zugriff: 16.10.2016).

9 http://www.media.rai.it/articoli/carosello-reloaded/20750/default.aspx (Zugriff: 16.10.2016).

auch bei den DVDs nicht genannt werden, er-gänzt werden, um dem Interessenten die Orien-tierung zu erleichtern. Interessant ist aber hierv. a. die Sammlung der caroselli, die zumindestz. T. im Archiv der Seite abgerufen werden kön-nen. Aktuell ist das Archiv nur nach Listen (Serie,Marke, Schauspieler, Regisseure) durchsuchbar,künftig sollen auch freie Suchen über Schlüssel-wörter möglich sein.

Literatur

Ambrosino, Paola; Cimorelli, Dario & Giusti, Marzo (Hg.) (1996). Carosello: Non è vero che tutto fa brodo. 1957–1977. Ci-nisello Balsamo (MI): Silvana Editoriale.

Ballio, Laura & Zanacchi, Adriano (2009). Carosello Story. La via italiana alla pubblicità televisiva. Roma: Rai Radiote-levisione Italiana Editoria Periodica e Libraria.

Bazzoffia, Americo (2014). Qualche dubbio in merito a Caro-sello Reloaded: Dal „Carosello“ al „Brand Entertainment“, un visionario viaggio verso le nuove frontiere della pubblicità tele-visiva. URL: http://www.donnainaffari.it/rub -riche/comunicazione/3492-qualche-dubbio-in-merito-a-carosello-reloaded – Zugriff: 19.8.2016.

Canova, Gianni (2004). Dreams: i sogni degli italiani in 50 annidi pubblicità televisiva. Milano, Bruno Mondadori.

Carosello Lagostina „Mister Linea“ 1969✿ [Video file]. [inde-ep67] 10.12.2011 URL: https://www.youtube.com -/watch?v=EunT4-7ftxo – Zugriff: 19.8.2016.

Carosello – 50 anni. [videoregistrazione] (2007). Milano: Avo Film.

Carosello Miralanza 11 [Video file]. [resistenteagliurti] 15.6.2012 URL: https://www.youtube.com/watch?v=A6iPaRVlS0M – Zugriff: 19.8.2016.

Castagnoli, Adriana (1996). La storia della SIPRA. In: Am-brosino, Paola; Cimorelli, Dario & Giusti, Marzo (Hg.). Carosello: Non è vero che tutto fa brodo. 1957–1977. Cinisello Balsamo (MI): Silvana Editoriale. S. 13–34.

Ceserani, Gian Paolo (1988). Storia della pubblicità in Italia. Roma: Laterza.

Codeluppi, Vanni (2008). Pubblicità. 2. Auflage. Bologna: Zanichelli.

Croce, Guia; Berselli, Edmondo & Nove, Aldo (2008). Tuttoil meglio di Carosello 1957–1977. Lo spettacolo più amato dagli italiani (mit DVD). Torino: Einaudi.

Dorfles, Piero (1998). Carosello. Bologna: il Mulino.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 36

Page 37: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

„Carosello“ – Werbung „all’italiana“ Heinemann

Falabrino, Gian Luigi (1989). Pubblicità serva padrona. Prot-agonisti, strategie e battaglie del mercato italiano. Milano: Il Sole 24 ORE.

Falabrino, Gian Luigi (2007). Storia della pubblicita in Italia dal 1945 a oggi. Roma: Carocci.

Giusti, Marco (1995). Il grande libro di Carosello. Milano: Sperling & Kupfer.

Lavazza A Modo Mio 2015 – Astronauti 40'' [Video file]. [Lavazza] 17.11.2015 URL: https://www.youtube.com -/watch?v=20g_rOibNYc&index=2 &list=PLDGzUwG -Px0070JzsJ2OohV4y0I7mFSvni – Zugriff: 19.8.2016.

O.A. (2013 a). Alex Brunori: „I vizi della comunicazione italiana legati al Carosello“ (6.5.2013). URL: http://www.pubblicitaitalia.it/201305066682/creativity/alex-brunori-i-vizi-della-comunicazione-italiana-legati-al-carosello – Zugriff: 19.8.2016.

O.A. (2013 b). Aldo Biasi firma il Carosello di Conad (7.5.2013). URL: http://www.pubblicitaitalia.it/2013 05076854 -/creativity/aldo-biasi-firma-il-carosello-di-conad– Zugriff: 19.8.2016.

O.A. (2013 c). Rai 1 raddoppia i numeri con Carosello (7.5.2013). URL: http://www.pubblicitaitalia.it/2013050769 30 -/media/rai-1-raddoppia-i-numeri-con-carosello– Zugriff: 19.8.2016.

O.A. (2013 d). Dove Real Beauty Sketches approda al Carosello Reloaded (10.5.2013). URL: http://www.pubblicita -italia.it/20130 5107298 /creativity/dove-real-beauty-sketches-approda-al-carosello-reloaded – Zugriff: 19.8.2016.

O.A. (2013 e). Algida racconta la propria „Vita da vaschetta“. Fir-ma Tbwa\Italia per Carosello Reloaded (14.5.2013). URL: http://www.pubblicitaitalia.it/201305147524/creativity/algida-racconta-la-propria-vita-da-vaschetta-firma-tbwaitalia-per-carosello-reloaded – Zugriff: 19.8.2016.

O.A (2013 f). Piscopo: „Soddisfatti di Carosello, ma ci vuole più creatività“ (14.6.2013). URL: http://www.pubblicita -italia.it /201306049229/media/piscopo-soddisfatti-di-carosello-ma-ci-vuole-piu-creativita – Zugriff: 19.8.2016.

O.A. (2013 g). Carosello torna a settembre. La raccolta adv supe-ra i 9 milioni (16.7.2013). URL: http://www.pubblicita -italia.it/2013071612499/media/carosello-torna-a-settembre-la-raccolta-adv-supera-i-9-milioni – Zu-griff: 19.8.2016.

O.A. (2013 h). Ogilvy & Mather Italy firma per Galbani il primo quiz in dialetto su Carosello Reloaded (4.11.2013). URL: http://www.pubblicitaitalia.it/2013110417937/creativity/ogilvy-mather-italy-firma-per-galbani-il-primo-quiz-in-dialetto-su-carosello-reloaded – Zugriff: 19.8.2016.

O.A. (2013 i). Rai Pubblicità promuove il Natale di Carosello e lancia due ricerche per la misurazione (22.11.2013). URL:

http://www.pubblicitaitalia.it/2013112219019/media/rai-pubblicita-promuove-il-natale-di-carosello-e-lancia-due-ricerche-per-la-misurazione – Zugriff: 19.8.2016.

O.A. (2014). Carosello reloaded riparte e punta sull’advertain-ment (21.3.2014). URL: http://www.pubblicita italia. it -/2014 032123900/media/carosello-reloaded-riparte-e-punta-sulladvertainment – Zugriff: 19.8.2016.

Sigle Tv: Carosello degli anni ’50, ’60 e ’70 [Video file]. [festi-valsanremo2008] 13.5.2008 URL: https://www.you -tube.com/watch?v=teesLCwpbfo – Zugriff: 19.8.2016.

Testa, Annamaria (2007). La pubblicità. Bologna: il Mulino.

Virtuani, Paolo (2013). Carosello Reloaded: la reputazione aziendale attraverso nuovi format pubblicitari. In: In-vernizzi, Emanuele & Romenti, Stefania (Hg.). Progetti di comunicazione per la reputazione aziendale. Milano: Fran-co Angeli. S. 319–337.

Wikipedia-Carosello (6. September 2016). In: Wikipedia – l’enciclopedia libera. URL: https://it.wikipedia.org/w -/index.php?title=Carosello&oldid=83060939– Zugriff: 8.9.2016.

Wikipedia- Carosello Reloaded (28. April 2016). In: Wikipe-dia – l’enciclopedia libera. URL: https://it.wiki -pedia.org/w /index.php?title=Carosello_Reloaded& -oldid= 80473810 – Zugriff: 8.9.2016.

Wikipedia-Pubblicità televisiva (1. September 2016). In: Wikipedia – l’enciclopedia libera. URL: https://it.wiki -pedia.org /w /index.php?title=Pubblicit%C3%A0 -_televisiva&oldid=82964827 – Zugriff: 8.9.2016.

Wikipedia-Rai Pubblicità (22. August 2016). In: Wikipedia –l’enciclopedia libera. URL: https://it.wikipedia.org/w -/index.php?title=Rai_Pubblicit%C3%A0&oldid -=82735490 – Zugriff: 8.9.2016.

Wikipedia-SACIS (26. März 2016). In: Wikipedia – l’enciclo-pedia libera. URL: https://it.wikipedia.org/w/index.php?title=Sacis&oldid=79804091 – Zugriff: 8.9.2016.

Zonca, Valeria (2013 a). Carosello ritorna, il mercato risponde (16.4.2013). URL: http://www.pubblicita -italia.it/201304165227/creativity/carosello-ritorna-il-mercato-risponde – Zugriff: 19.8.2016.

Zonca, Valeria (2013 b). Carosello, Lorenzo Marini: „Il nuovo funziona se ha dentro qualcosa di vecchio“ (22.4.2013). URL: http://www.pubblicitaitalia.it/201304306248/creativity/carosello-lorenzo-marini-il-nuovo-funziona-se-ha-dentro-qualcosa-di-vecchio – Zugriff: 19.8.2016.

Zonca, Valeria (2013 c). Carosello, Gitto: „Una finestra in più per le agenzie“. Biasi: „Gli italiani guardano indietro“ (30.4.2013). URL: http://www.pubblicitaitalia.it/2013 -04225691/creativity/carosello-gitto-una-finestra-in-piu-per-le-agenzie-biasi-gli-italiani-guardano-indietro – Zugriff: 19.8.2016.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 37

Page 38: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

WerbeslogansNeues Modul im elektronischen OWID-Sprichwörterbuch

Kathrin Steyer & Janja Polajnar

Das Online-Sprichwörterbuch in OWID amInstitut für Deutsche Sprache in Mannheim (s.Abb. 1 und Abb. 2), ist um das Modul„Werbeslogans“ erweitert worden (Zitierweise s.Steyer & Polajnar 2015). Hierbei handelt es sichum die lexikografische Beschreibung des Korpus-gebrauchs von Slogans aus der Werbung, die be-reits Einzug in die Allgemeinsprache gefundenhaben. Da diese Slogans ähnlich wie Sprichwörterfunktionieren, wurden sie nach demselben Mo-dell beschrieben. Die Artikel zeigen, wie lebendigund variabel Werbeslogans in außerwerblichenKontexten sind, wozu Sprecher sie benutzen unddass die Werbesprache eine moderne Quelle fürdie Entstehung neuer Sprichwörter darstellt.

Wie das Sprichwörterbuch selbst ist auch dasneue Modul die erste empirisch abgesicherte undnach Kriterien der wissenschaftlichen Lexiko-grafie erarbeitete Onlinedokumentation aktuellgebräuchlicher verfestigter Sätze, hier aus derWerbung kommend. Diese Dokumentation wirdmithilfe systematischer empirischer Erhebungen

auf der Basis des Deutschen Referenzkorpus(DeReKo) erarbeitet und stellt somit keine Fort-schreibung tradierter Wörterbücher dar.

Es wurden nur solche Slogans in die Stichwort-Liste aufgenommen, die sich bereits von ihremUrsprungskontext (Produktwerbung) entfernthaben und eine Tendenz zum »Weisheitssatz«aufweisen. Die empirischen Untersuchungen ha-ben gezeigt, dass Slogans oft, aber nicht immereine auffällige sprachliche Struktur aufweisenwie Wohnst du noch oder lebst du schon?. In einigenFällen basieren sie durchaus auf völlig regulären,strukturell eher unspektakulären Sätzen (z. B. Ichliebe es, Nichts ist unmöglich oder Ich bin doch nichtblöd). Erst durch die Verknüpfung mit einem Pro-dukt und vielfaches Wiederholen treten sie ausdem Fluss der Kommunikation heraus. DieSprachgemeinschaft entscheidet dann schließlichdarüber, ob der Slogan genug »Spruch-Potenzial«hat, also Alltagssituationen, Verhaltensweisenund Normen plastisch kommentiert und auf denPunkt bringt, und damit die Chance besitzt, inden Sprachbestand auf Dauer überzugehen.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 38

Abbildung 1: OWID-Startseite (Screenshot). Quelle: Online-Wortschatz-Informationssystem Deutsch (OWID) (Zugriff: 18.10.2016).

Abbildung 2: OWID-Sprichwörterbuch (Screenshot). Quelle: OWID Online-Sprichwörterbuch (Zugriff: 18.10.2016).

Page 39: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Werbeslogans Steyer & Polajnar

Die korpusbasierte Beschreibung umfasst basie-rend auf dem Modell von Steyer & ur o (2013)Ď čund angelehnt an die OWID-Sprichwortartikelfolgende Bausteine: Kernform, Basiskomponen-ten, Äquivalente in anderen Sprachen (falls vor-handen), Suchanfragen im Korpus, Geschichte,Bedeutung, Gebrauchsbesonderheiten, Formvari-anten, Ersetzung von Komponenten, TypischeVerwendung im Text und Vorkommen in Nach-schlagewerken.

In der ersten Version des Slogan-Moduls wur-den folgende Kandidaten bearbeitet:

Literatur

Polajnar, Janja (2011). „Da weiß man, was man hat“ Wie Formelhaftes zu Werbeslogans wird und Werbeslogansformelhaft werden. Eine korpusbasierte Untersuchung bekannter Werbeslogans im elektronischen Zeitungs-korpus des DeReKo. In: Muttersprache, 121(4). S. 248–274.

Polajnar, Janja (2013). Quadratisch, praktisch, saugudd : Variation von rekontextualisierten Werbeslogans. Eine korpusbasierte Untersuchung bekannter deutscher Werbeslogans im elektronischen Zeitungskorpus des DeReKo. In: Albert, Georg & Franz, Joachim (Hg.). Zei-chen und Stil. Der Mehrwert der Variation. Festschrift für Bea-te Henn-Memmesheimer. (=VarioLingua, Bd. 44). Frank-furt/M.: P. Lang. S. 125–141.

Polajnar, Janja (2016). Recontextualisation of internatio-nal advertising slogans and their equivalents in diffe-rent European languages. In: Pozna Studies in Conń -temporary Linguistics. [Online ed.], 52(1). S. 85–117.

Steyer, Kathrin (Hg.) (2012). Sprichwörter multilingual. Theo-retische, empirische und angewandte Aspekte der modernen Parömiologie. (= Studien zur Deutschen Sprache 60).Tübingen: Gunter Narr Verlag.

Steyer, Kathrin & ur o, Peter (2013). Ein korpusbasiertesĎ čBeschreibungsmodell für die elektronische Sprich-wortlexikografie. In: Benayoun, Jean-Michel; Kübler, Natalie & Zouogbo, Jean-Philippe (Hg.). Parémiologie. Proverbes et formes voisines. Band 3. Sainte Gemme:Presses Universitaires de Sainte Gemme. S. 219–250.

Steyer, Kathrin (2015). Proverbs from a Corpus Linguistic Point of View. In: Hrisztova-Gotthardt, Hrisztalina; Aleksa Varga, Melita (Hg.). Introduction to Paremiology. A Comprehensive Guide to Proverb Studies. Berlin/Boston: De Gruyter. S. 206–226.

Steyer, Kathrin & Polajnar, Janja (2015). Sloganliste. In: Sprichwörterbuch (OWID). URL: http://www.owid.de/ -wb/sprw/start.html – Zugriff: 18.10.2016.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 39

Abbildung 3: OWID-Sloganliste (Screenshot). Quelle: OWID Online-Sprichwörterbuch (Zugriff: 18.10.2016).

Page 40: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

„Einfach ist mehr“Anmerkungen zur ALDI-Kampagne 2016

Gunther Hirschfelder & Markus Schreckhaas

Im September 2016 haben die Lebensmittel-Dis-counter ALDI-Nord und ALDI-Süd erstmals ge-meinsam ihre neue Werbekampagne „Einfach istmehr“ gelauncht. Auf sämtlichen Kanälen – aufWerbeplakaten und sogar erstmals in einem län-geren TV-Spot – wird der Claim vom Einfachenklar transportiert.1 Der Plot des TV-Spots und derWerbemotive ist rasch erzählt: Kleinkinder undjunge Menschen zeigen dem erwachsenen Ver-braucher durch ihre natürlich-infantile Sicht aufdie Welt auf, wie einfach das Leben sein kann.

„Warum nicht?“ könnte man im ersten Mo-ment denken, denn Kleinkinder sind in der Wer-bung ebenso wie Tiere oder erotische Themen er-probte Pullfaktoren mit hohem Wirkungsgrad.2

Interessant scheint deshalb die quasi einstimmi-ge Negativkritik seitens prominenter Vertreterder Werbebranche. Blickt man beispielsweise aufeinen Beitrag des bekannten Online-Dienstes derMarketing- und Werbe-Plattform Horizont, indem diverse Stimmen zu Wort kommen, so fälltdas Urteil der Experten eindeutig aus. Es ist voneiner „[. . .] inhaltsleeren, austauschbaren Kom-munikation [. . .]“ die Rede (Andreas Pogoda,Brandmeyer Markenberatung), davon, dass ALDI et-was sein will „[. . .] was es nicht ist“ (Tobias Ah-rens, Grabarz und Partner) oder sogar „Rückschrittund Konsumverweigerung“ (Andreas Heim,Brandoffice) propagiert.3 Tatsächlich kann manden Kritikpunkten im Einzelnen betrachtet kaumwidersprechen. Möglicherweise sind die Perspek-tiven der Fachleute aber auch etwas eng geführt,nämlich dann, wenn wir versuchen, den wichtigs-ten Akteur in dieser Kampagne zu konsultieren

1 Vgl. die offizielle Pressemappe zur Kampagne (Zugriff: 6.11.2016).

2 Vgl. exemplarisch die Kampagne „baby&me“ (Zugriff: 6.11.2016) von Evian aus dem Jahr 2008.

3 Vgl. Saal (2016).

und zu verstehen. Für die Vergleichende Kultur-wissenschaft ist dies immer der Mensch, in die-sem Fall sind es also die Verbraucher, die ALDI-Kunden.4

Versuchen wir also bestehendes Verbraucher-verhalten zu dekonstruieren, und zwar vor demHintergrund des gegenwärtigen Zeitgeistes, dannerkennen wir eine Logik, die diese Kampagnenachvollziehbarer macht. Darüber hinaus habenwir es mit einfachen, marktstrategischen Überle-gungen zu tun, die ALDI gerade zum Handelnzwingen. Marktanteile der Discounter gingen imniederen einstelligen Bereich in den letzten Jah-ren an die Konkurrenz von EDEKA und REWEverloren. Ein Trend, der sich fortsetzen könnte,denn wie es scheint, sind die großen Supermarkt-ketten besser auf die Bedürfnisse eines komplexhandelnden und anspruchsvolleren Verbraucherseingestellt. Ebenfalls ist anzumerken, dass dieanderen Discounter LIDL und Penny bereits inpunkto TV-Vermarktung vorgelegt haben und so-mit den größten deutschen Vertreter in Zug-zwang brachten. Dass diese Kampagne stattfin-det, verwundert also kaum. Interessant ist jedochdie Botschaft, die man transportieren möchte.

Die Welt des 21. Jahrhunderts ist unübersicht-licher geworden und hat sich in Bezug auf Alltagund Kommunikation aus vielen analogen, geo-grafischen, politischen wie auch sozialen Bezü-gen des Industriezeitalters gelöst. Die Spielregelndes neuen Zeitalters ändern sich fast täglich.Einfache und damit auch operable Antwortengibt es kaum mehr. Aber genau danach bestehtein Bedarf, der geradezu physiologisch, psycholo-gisch und anthropologisch eingraviert ist, denndas menschliche Gehirn ist auf klare Strukturenkonditioniert. Komplexe Unordnung versucht es

4 Vgl. zur Perspektive unseres Faches Hirschfelder (2012).

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 40

Page 41: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Anmerkungen zur ALDI-Kampagne 2016 Hirschfelder & Schreckhaas

sofort zu kategorisieren, zu systematisieren.Letztlich zielt die ALDI-Kampagne genau auf die-ses Phänomen ab, das ja auch eine kulturelle Ent-sprechung hat. Herbert Marcuse beschrieb dasbereits 1964 mit seiner Theorie vom „Eindimen-sionalen Menschen“5: Je mehr Freiheiten und Op-tionen dem Individuum zur Verfügung stehen,desto weniger macht es davon Gebrauch undnutzt diese. Typisch Herdentier? Möglicherweise.

Hinzu kommt aber noch eine weitere Ebene,die eng mit der menschlichen Psyche verknüpftist, aber nur in sozio-kulturellen Kontexten dar-stellbar wird, nämlich die der Esskultur. Blicktman hier auf die gegenwärtige Gemengelage, soerkennen wir Verunsicherungen seitens der Ver-braucher. Diese Orientierungslosigkeit wird zumeinen gespeist durch regelmäßig auftretendeFood-Skandale und Schlagwörter wie Zusatzstoffe,Laktose, Gluten oder Gentechnik, andererseits aberauch durch die Tatsache, dass wir in einer Zeiten-wende leben, die von einer Fülle unterschied-lichster Lebensstile geprägt ist. Die alten Leitper-spektiven des 20. Jh. haben sich innerhalb weni-ger Jahre entweder aufgelöst oder sie werden neuverhandelt.

Das Dilemma des Normalverbrauchers in der Lebensstilgesellschaft

Die Diskussionen um den Konsumenten und da-mit auch das strukturell antiquierte Verbraucher-leitbild kreisen um einen idealtypischen Ver-braucher, den es zu identifizieren und dann auchzu schützen gilt – ein Muster, das im 20. Jahr-hundert durchaus seine Berechtigung hatte. 1953hatte der Soziologe Helmut Schelsky die Theseentwickelt, moderne Gesellschaften würden zur„Nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ tendie-ren.6 Diese Zeit relativer Stabilität und „Normali-tät“, unreflektierter konservativer Ruhe und ge-

5 Marcuse (1964).

6 Vgl. Braun (2014). Zur Reflexion neuer Verbraucher-leitbilder vgl. Möstl (2014).

sellschaftlicher Stagnation begann in der BRDnach den Wirren des Zweiten Weltkriegs: OttoNormalverbraucher war mehr als ein Topos, dieEinkommensunterscheide waren überschaubarund Schnitzel, Bier, Erbsensuppe, Grünkohl oderButterbrot auf den meisten Tellern verbreitet. Al-lerdings dynamisierten die Studentenunruhendes Jahres 1968 und der Beginn der Ökologiebe-wegung um 1980 die Situation. Von der etablier-ten Kultur emanzipierte sich eine Gegenkultur7,gerade auch im Bereich der Ernährung.

Die Jahre um 1989/90 markieren dann einetiefe Zäsur. Der Wegfall des Ost-West-Konfliktsbrachte ein Ende des ideologischen Zeitalters,Globalisierung und Digitalisierung begannen, dieGesellschaft tiefgreifend zu transformieren. Zu-dem erlebte Mitteleuropa eine beispiellose De-industrialisierung und den Wandel zur Dienst-leistungsgesellschaft. Der Wendezeitcharakter istso stark, dass Soziologie und Gesellschafts-wissenschaften ein neues Zeitalter ausgerufenhaben: Martin Albrow spricht vom „globalenZeitalter“8, und Ulrich Beck, Anthony Giddens so-wie Scott Lash formulierten die Idee einer „Risi-kogesellschaft“9 der „Zweiten Moderne“.10 DieFolge: Nicht mehr Schicht und Klasse fungierenals Leitperspektiven der Gesellschaft. Vielmehrwerden die Identitäten in einer Zeit immer weni-ger stabiler Biografien und zunehmender Mobili-tät über Lebensstile gebildet. Diese Lebensstilesind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht nurkürzere Zyklen haben als die alten Schichtzuge-hörigkeiten, sondern dass sie hochdynamischsind, Moden unterliegen und vor allem auch plu-ral sind.11 Zu einer der wichtigsten Ausdrucksfor-men der Lebensstile ist seit einigen Jahren die Er-nährung geworden; hiervon legen beispielsweiseEntwicklungen hin zu gesundheits- oder ver-zichtsbasierten Ernährungsstilen wie Vegetaris-mus, Veganismus oder Detox Zeugnis ab. Diesenfallen dabei verschiedene Funktionen zu: Sie

7 Vgl. Warneken (2006:298–330).

8 Albrow (2007:270).

9 Beck (1986).

10 Beck (1996:11).

11 Vgl. Katschnig-Fasch (2004); Otte (2004).

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 41

Page 42: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Anmerkungen zur ALDI-Kampagne 2016 Hirschfelder & Schreckhaas

kommen dem Individualitätsbedürfnis des post-modernen Menschen entgegen, ermöglichen aberdennoch die Verortung innerhalb sozialer Grup-pen über gemeinsame Wertigkeiten und schaffendurch Komplexitätsreduktion Orientierung in-nerhalb einer unüberschaubaren globalisiertenWelt. Aus der Sicht der Konsumenten stellt sichdieser Prozess folgendermaßen dar: Sie sehensich in einer komplexen Gesellschaft täglich neu-en Spielregeln ausgesetzt, und auf Normen undWerte kann man sich kaum mehr einlassen, dennsie werden als fluide wahrgenommen. Dadurchist Esskultur zum verminten Gelände geworden.Neue Ernährungskonzepte von der Paleo-Diät biszu Frutariern liegen im Trend. Resultat ist ein zu-tiefst verunsicherter Verbraucher, der versucht,Identität über kurzlebige Lebensstile zu verwirk-lichen. Daraus lässt sich die erste These ableiten,dass Ernährungsstile in hohem Maß heterogeneLebensstile abbilden und Verbraucher damitnicht mehr als homogene Masse adressierbarsind.

Die Illusion der Freiheit und die faktische Determination

Aus der Perspektive der Konsumenten ist Frei-heit ein hohes Gut. In einer überregulierten Ge-sellschaft gehört die Ernährung zu den letztenFreiheitsinseln: Der Lebensmittelmarkt sugge-riert unbegrenzte Auswahl, und weder der Quali-tät und der Quantität noch der Struktur des Ver-zehrs werden im öffentlichen wie im privatenRaum Grenzen gesetzt. Faktisch hat aber einebreite Palette von Bedingungsfeldern maßgebli-chen Einfluss darauf, was, wie, wann und wo wiressen. Diese Palette reicht vom Wetter über diemodernen Medien und die Zyklen der Konjunk-tur bis zur Religion. Allerdings sind die meistendieser Bedingungsfelder kaum im Bewusstseinder Konsumenten, da sich die Logik der Esskulturnur aus einer gewissen Distanz entschlüsselnlässt. Daher klafft in der Regel eine breite Lücke

zwischen dem Wissen der Menschen um dieNahrung und der täglichen Praxis der Ernährung.Diese Lücke folgt spezifischen kulturellen Mus-tern: Auf der einen Seite stehen genügend In-formationen und Produkte für eine optimale Er-nährung zur Verfügung. Auf der anderen Seitesteht die Alltagskost häufig in einem absurdenWiderspruch zu den Ergebnissen der Wissen-schaft.

Um die Frage zu beantworten, welche Fak-toren die Nahrungsaufnahme determinieren, istdie Feststellung zentral, dass das grundsätzlicheBedürfnis Hunger und dessen Befriedigung (Es-sen und Trinken) primär kulturell verbundensind, und zwar durch das System der Esskultur.12

Nicht zuletzt sind Traditionsmuster auch für Vor-stellungen von Verbrauchersicherheit verant-wortlich:13 Wein gilt in Deutschland als relativunbedenklich, und Weinexpertise ist sogar in ho-hem Maße sozialkapitalbildend – aber in islami-schen Ländern mit Prohibition ist jeder Alkohol-konsum hochriskant. Und auch in der heutigenZeit beschleunigten kulturellen Wandels gilt: Beider Wahl der Nahrungsmittel sind Menschen ver-gleichsweise konservativ, weil Essen, gerade un-ter Stress, emotionale Sicherheit vermittelt. Ne-ben der Tradition ist die Psychologie eben derstärkste Ordnungsfaktor: Ernährung ist kognitivgesteuert – wir wissen durchaus, was gesund ist –,

12 Vgl. Hirschfelder (2011).

13 Vgl. zur juristischen Sicht Brustbauer (2007).

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 42

Abbildung 1: Kulturelle Bedingungsfaktoren der Esskultur. Quelle: Gunther Hirschfelder.

Page 43: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Anmerkungen zur ALDI-Kampagne 2016 Hirschfelder & Schreckhaas

aber Essen ist primär emotional gesteuert.14 Dar-aus lässt sich These zwei ableiten: Der moderneKonsument lebt in der Illusion grenzenloser Frei-heit, aber diese Freiheit ist stark determiniert,ohne dass der Verbraucher es merkt.

Angst in Zeitender Sicherheit

Im geografischen und diachronen Vergleichkommt man um die Feststellung nicht umhin,dass Lebensmittel kaum jemals so sicher warenwie in Deutschland am Beginn des 21. Jahr-hunderts. Diese stoffliche Sicherheit ist aus derPerspektive von Gesetzgeber und Handel klar de-finierbar. Aber der Kunde fühlt sich unsicher.Kam am Übergang zum 21. Jahrhundert dasSchlagwort der consumer confusion auf, so ist dieKonfusion inzwischen einer tiefgreifenden Angstgewichen: einer neuen Angst vor vermeintlichemGift in Lebensmitteln, wobei die Palette der alsungesund und gefährlich definierten Substanzenlang ist und von chemischen Stoffen wie etwa Ac-rylamid bis hin zum „Dickmacher“ Zucker reicht.Diese neuen Ängste unterliegen Thematisie-rungskonjunkturen und sind nicht zuletzt Resul-tat einer permanenten medialen Skandalisierungdes Essens. Derzeit werden etwa Milch und Wei-zen einseitig unter dem Aspekt allergieauslösen-der Bestandteile diskutiert – Lebensmittelherstel-ler reagieren hierauf mit den Verpackungslabe-lungen laktose- und glutenfrei, obwohl etwa derProzentsatz der an Zöliakie, also Glutenunver-träglichkeit, leidenden Personen in Deutschlandunter einem Prozent liegt. Werbungen, die längstnicht mehr „mit“ ihren Inhaltsstoffen, sonderndurch die Begriffe „ohne“ und „frei von“ beste-chen, bilden die Unsicherheiten von Ver-brauchern ab, die den Inhalten der Lebensmittelnicht mehr trauen.

These drei: Viele Konsumenten haben beimLebensmitteleinkauf Angst. Sie befinden sich in

14 Vgl. zur Ernährungspsychologie Pudel & Westenhöfer (2003).

einer Vertrauenskrise, die sie als Qualitätskriseerleben.

Ernährung: Die Ideologie der Postmoderne

Reale und vor allem mediale Diskussionen überErnährung sind heute emotional und oft auchideologisch aufgeladen. Die neuen Ideologienwerden nicht mehr wie im 20. Jahrhundert überdie Gegensätze Ost/West oder rechts/links ausge-richtet; vielmehr wird die Fragen nach passendenWeltordnungen immer stärker auf Ernährungs-stile reduziert. Hier scheinen sich zwei Deu-tungskomplexe herauszubilden: die Ernährungentweder als Mittel, die Welt zu verbessern oderaber als Strategie, den eigenen Körper oder daseigene Wohlbefinden zu optimieren (Weltverbesse-rer versus Selbstoptimierer). Hinzu kommen jene,welche die Ernährung als Instrument einer Tradi-tions- und Verhaltensbewahrung nutzen. Alledrei Felder können Schnittmengen aufweisen.Die Verkürzung von Argumenten und deren ideo-logische Selektion wird im digitalen Zeitalter zu-sätzlich begünstigt, zumal die Verbraucher ihreInformationen in erster Linie aus virtuellen Er-nährungsblogs und -foren beziehen, die häufigFehlinformationen weitertradieren.

Das führt zur vierten These: Ernährungsstilesind zum Teil Bausteine neuer Ideologien. Dahererschweren sie sachliche Kommunikation überErnährung und führen auch zu neuen Inhalten inder Werbung.

Werbung und Verbraucherverhalten als politische Instrumente

Entwicklungen wie etwa die Verdoppelung derVeganer- und Vegetarierzahlen innerhalb der

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 43

Page 44: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Anmerkungen zur ALDI-Kampagne 2016 Hirschfelder & Schreckhaas

letzten acht Jahre15 sind kaum als Modeerschei-nungen, sondern in immer stärkerem Maße alsgesellschaftliche Bewegung zu deuten. Innerhalbdieser Bewegungen ist der Lebens- bzw. Ernäh-rungsstil selbst zum Politikum geworden, denndiese sind in einer kapitalistischen Weltordnunguntrennbar mit einer spezifischen Konsumhal-tung verbunden. Flächen- und Ressourcenknapp-heiten, Umwelt- und Klimaproblematiken, Ver-teilungsungerechtigkeiten und Tierleid werdenimmer deutlicher als Folgen einer einseitig wirt-schaftlich orientierten Politik wahrgenommen.Die daraus resultierende Verbraucherverantwor-tung wird – anders als über die tradiertenpolitischen Spielflächen des 20. Jahrhunderts –von der Generation der Digital Natives über neueSchauplätze wie Internetforen, Blogs und Smart-phones vielfach diskutiert, kommuniziert und ge-deutet.16 Die derzeitige Konjunktur der Fragenach der richtigen Ernährung bildet daher imGrunde eine übergeordnete Diskussion um re-flektierten beziehungsweise unreflektierten Kon-sum ab. Der Bürger wird dabei nicht mehr primärüber die Abgabe eines Stimmzettels am Wahl-abend, sondern über den täglichen Ausdruck sei-nes Kassenbons zum politischen Entscheidungs-träger.17 Diese Entwicklung resultiert aus der ge-sellschaftlichen Wahrnehmung, dass beipolitischen Entscheidungen Wirtschaftsinteres-sen häufig vor Verbraucherinteressen rangieren.Neue Werbekampagnen instrumentalisieren die-se Mechanismen und heben auf sie ab. Wenn esum Einfachheit, Regionalität oder Nachhaltigkeitgeht, werden diese terminologischen Geschützein Stellung gebracht, aber nicht als politisch de-klariert.

15 Während der Vegetarierbund Deutschland von etwa 8 Mill. Vegetariern und Veganern ausgeht, schätzt eine Studie der Universität Hohenheim deren Anzahl auf etwa 3,7 Prozent. Auch Letztere geht jedoch von einer Verdoppelung der Zahlen seit 2006 aus. Vgl. v ebu : Anzahl der Vegetarier in Deutschland (Zugriff: 9.11.2016) (neuere Zahlen liegen nicht vor) und Cordts & Spiller et al. (2013).

16 Vgl. weiterführend Hirschfelder (2014).

17 Zu Aufgaben und Verantwortung der Verbraucher vgl. Strünck & Arens-Azevêdo (2012).

These 5: Die Verunsicherung des Verbrauchersbildet auch eine Krise des Vertrauens in diePolitik ab, die derzeit vielschichtig instrumentali-siert wird.

Die ALDI-Kampagne – Start zu einer neuen food-Kommunikation

Inmitten dieser beschleunigten Unordnung, dieoft als unübersichtliche Gemengelage wahrge-nommen wird, bringt ALDI nun ein entgegenge-setztes Bild, das wir vom Discounter nichtgewohnt sind: Eines der Kampagnenmotive18

zeigt beispielsweise ein fröhliches Kleinkind, dasmit einem Nudelsieb spielt und die Spaghetti aufKopf, Tisch und Gesicht verteilt hat. Darunter istzu lesen: „Einfach, weil es keine rechtsdrehendePasta aus dem Himalaya gibt, sondern Spaghetti.“Diejenigen Verbraucher, die sich in neuen Le-bensstilen versuchen, dies aber eigentlich garnicht wollen, verstehen die Botschaft sofort. „Hi-malaya“ verweist auf das trendige Salz aus demalten Hochgebirge, denn das gute, jodhaltigeKochsalz aus bayrischen Stollen genügt nichtmehr. Beim Begriff „rechtsdrehend“ denken Ver-

18 Sämtliche hier diskutierten Motive wurden der offizi-ellen Bilddatenbank zur Kampagne von ALDI -Süd ent-nommen (Zugriff: 12.11.2016).

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 44

Abbildung 2: „Einfach ist mehr“ – Kampagnenmotiv Spaghetti. Quelle: ALDI- Süd (Zugriff: 6.11.2016).

Page 45: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Anmerkungen zur ALDI-Kampagne 2016 Hirschfelder & Schreckhaas

braucher eher an physikalische Eigenschaftenvon Milchsäure, die sie aber nie wirklich verstan-den, sondern als „den besseren Joghurt“ abge-speichert haben. Alleine an diesen beiden Grund-nahrungsmitteln – Salz und Joghurt – erkenntman, dass es je nach Peergroup möglich seinkönnte, „falsch“ zu handeln, indem man sichnicht für das richtige Produkt entscheidet. Ver-braucher nehmen diese multioptionale Konsum-welt letztlich als ermüdend wahr. Genau hiersetzt die Botschaft des Kampagnenmotivs an,denn sie drückt aus: Es ist in Ordnung, zu altbekann-ten Produkten zu greifen. Konsumiere so, wie du es vonfrüher kennst, es gibt keine Fehltritte.

Ein weiteres Motiv zeigt einen Jungen, der in ei-ner hellen Küche, vor einer Arbeitsfläche steht. Inden Händen hält er einen Schnitz Zitrone, in dener gerade gebissen hat, denn er verzieht sein Ge-sicht auf typische Weise. Es ist zunächst einmalein gut gewähltes Bild, denn dieser gustofazialeReflex, der bei ungewohnt sauren oder bitterenGeschmackswahrnehmungen automatisch aus-gelöst wird, ist allen Menschen gleichermaßenbekannt, unabhängig von Herkunft und Soziali-sation. Betrachtet der potenzielle ALDI-Kundealso dieses Motiv, so versteht er sofort undgewissermaßen instinktiv, was sich hier geradeabspielt. Im Vordergrund ist zu lesen: „Einfach,weil man keine 10 Zitronen-Sorten braucht, son-dern einfach nur Zitronen.“ Tatsächlich findensich in keinem herkömmlichen Supermarkt zehn

verschiedene Sorten Zitronen. Vermutlich sindim Durchschnitt nicht einmal mehr als ein knap-pes Dutzend Agrumenfrüchte insgesamt dauer-haft im Produktportfolio gelistet. Doch was dieWerbetexter hier augenzwinkernd und überspitztformulieren, holt den überforderten Verbraucherals Akteur in einer postfaktischen Welt perfektab.19 Die Message hier ist als Einladung zu verste-hen, Komplexität zu reduzieren und sich daraufzu besinnen, was im Wesentlichen wichtig ist.

Ein letztes Motiv thematisiert nicht die Produkte,also Lebensmittel selbst, sondern zielt auf eineganz grundlegend-essentielle Ebene des Bedürf-nisses nach Sicherheit ab, nämlich auf die ökono-mische Sicherheit. Wie versucht die Kampagnedies umzusetzen? Wir sehen zunächst eine jungeFrau auf einem Fahrrad sitzend, beide Beine sindangewinkelt und erhoben, ihre Füße drücken ge-gen den Lenker, was dem Betrachter ein nonkon-formistisch-jugendliches Moment vermittelnwill. Geschickt wurde eine ALDI-Tüte, die amLenker hängt, so platziert, dass sie den Blick aufden eigentlich obszön-voyeuristisch ausgerichte-ten Intimbereich versperrt. Auf erotisierendeElemente in der Werbung wurde ja bereits ein-gangs hingewiesen. Im Vordergrund ist aber dannzu lesen: „Einfach, weil die Antwort auf die Frage,ob ich mir das leisten kann, immer ja ist.“ Um wenkönnte es sich bei der gezeigten Person handeln?

19 Zur aktuellen Diskussion des gegenwärtigen postfak-tischen Zeitgeist vgl. Wißmann (2016).

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 45

Abbildung 3: „Einfach ist mehr“ – Kampagnenmotiv Zitrone. Quelle: ALDI-Süd (Zugriff: 6.11.2016).

Abbildung 4: „Einfach ist mehr“ – Kampagnenmotiv Fahrrad. Quelle: ALDI-Süd (Zugriff: 6.11.2016).

Page 46: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Anmerkungen zur ALDI-Kampagne 2016 Hirschfelder & Schreckhaas

Möglicherweise um eine junge Auszubildende,eine Studentin? In jedwedem Fall funktioniert sieals Stellvertreterin der Generation Y, also jenerDigital Natives, die gerade den Sprung in die Er-werbswelt geschafft haben oder kurz davor ste-hen. Für sie ist die Frage nach ökonomischer Rea-lisierbarkeit eine viel präsentere als bei der Gene-ration der saturierten Best-Ager. Da ökonomischeHandlungsspielräume aber letztlich für jede Ge-neration auch mit Freiheitsräumen gleichgesetztwerden können, spricht dieses Motiv grundsätz-lich jeden Verbraucher an, für den wirtschaftli-ches Handeln zum festen Bestandteil der Alltags-praxis geworden ist. Die vermittelte Botschaftwill also sagen, dass bei ALDI der Preis immerstimmt und jeder problemlos einfach mit einervollen Einkaufstüte nach Hause kommt. Ein Ein-kauf bei ALDI ist für jeden Geldbeutel realisier-bar und um die damit an anderer Stelle gewonne-nen Freiheiten ging es den Machern dezidiert:

Bei ALDI konzentrieren wir uns auf das We-sentliche, lassen das Unnötige weg und erzie-

len so eine Entlastung – und schaffen neue Frei-räume. Einfachheit ist der Luxus unserer Zeit“,

„so eine der Geschäftsführerinnen von ALDI-Süd.20

Diese drei exemplarischen Werbebotschaften ausder Kampagne greifen aber letztlich lediglicheinen bekannten und immer noch anhaltendenTrend auf, den wir in vielen Bereichen des Alltagsfeststellen können. Es ist der Trend, neue Bewäl-tigungsstrategien zu finden, um in der Unüber-sichtlichkeit der momentanen Zeitenwende dieOrientierung nicht zu verlieren: In deutschen Un-ternehmen wird längst auf die work-life-balanceder Mitarbeiter geachtet, Mails am Wochenendezu beantworten gilt gar als verpönt und Burnoutsmachen sich tatsächlich auch volkswirtschaftlichbemerkbar. Gleichzeitig haben sich Yoga und Jog-ging zu absolutem Breitensport entwickelt. Ent-schleunigung ist nicht nur ein gesellschaftlicherMegatrend, sondern vor allem ein Bedürfnis.21

20 Vgl. die offizielle Pressemappe zur Kampagne(Zugriff: 6.11.2016).

21 Vgl. Götz (2014).

Allein in der Esskultur – und deshalb auch imKonsumverhalten – ist von Entschleunigungnichts zu spüren, und Slow food ist eher diskursi-ver Trend als esskulturelle Realität. Bei der tägli-chen Ernährung ist fast alles möglich und erlaubt,eine unglaublich dynamische Gleichzeitigkeit, daLebensstile ihren Ausdruck heute vor allem alsErnährungsstile finden. Unter diesen Gesichts-punkten scheint es doch eigentlich verwunder-lich, dass Deutschlands größter Discounter erstjetzt die „neuen alten“ Bedürfnisse der Konsu-menten verstanden hat und den Wunsch nacheinfachen und klaren Strukturen bedienen will.

Die ALDI-Kampagne „Einfach ist mehr“ willletztlich keine konkrete Verbrauchergruppe an-sprechen, sondern eine Emotion, die im lauten,von Lebensstilen geprägten Alltag zwischen denDingen zu schweben scheint und die von einerwachsenden Bevölkerungsmehrheit wahrgenom-men wird. Diese abstrakte Emotion lässt sich mitden Labeln Sehnsucht nach Klarheit, Wunschnach Orientierung oder eben Einfachheit annähe-rungsweise umschreiben. Im reizüberflutetenRaum ist gewissermaßen ein emotionales Vaku-um entstanden. Mittendrin steht unser überfor-derter Verbraucher. Die Macher von Ogilvy &Mather und Oliver Voss, die hinter der Kampagnestecken,22 haben dieses Vakuum identifiziert undes ist zu sehen, dass das menschliche Grundbe-dürfnis nach Sicherheit konzeptuell gut reflek-tiert und geschickt umgesetzt wurde.

Bilanz

Den Verbraucher schlechthin gibt es nicht mehr,da in der modernen Lebensstilgesellschaft diver-se Verbrauchergruppen nebeneinander existie-ren, die die Ernährung, aber auch die Konsum-landschaft insgesamt unterschiedlich reflektierenund bewerten. Verbraucher, Handel und Mediensind dabei heute mit so vielen Informationenkonfrontiert, haben so viele Parameter zu berück-sichtigen, dass sich kaum mehr konsistente Lö-sungsmodelle entwickeln lassen. Ernährungs-

22 Vgl. Weber (2016).

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 46

Page 47: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Anmerkungen zur ALDI-Kampagne 2016 Hirschfelder & Schreckhaas

kommunikation und Lebensmittelhandel, das isteine Gleichung mit zu vielen Unbekannten. ImAlltagsleben der Verbraucher wird dieses Dilem-ma als Orientierungslosigkeit wahrgenommen,das Überangebot an Optionen schafft letztlichemotionale Leere. Die hier diskutierte Kampagnesetzt an genau diesem Punkt an: Sie lässt sich alsVersuch lesen, Verbraucher daran zu erinnern,dass sie sich nicht einem drohenden Food-Burn-out hingeben müssen. Aus dieser Perspektive er-scheint die Kampagne als strategisch innovativ,denn sie reflektiert einen neuen gesellschaftli-chen Trend: den nach einer bewussten Komplexi-tätsreduktion. Dieser Trend begegnet in weitenBereichen des Alltags – von jüngsten Wahlergeb-nissen in Europa und den USA bis eben zum Er-nährungsalltag.

Und noch in einem weiteren Punkt erweistsich die Kampagne als weitschauend. Mit der zu-nehmenden Einsicht in die Problematik grenzen-losen Konsums hat sich seit dem frühen 21. Jahr-hundert eine Gegenbewegung gebildet, die einenideologiefreien Konsumverzicht propagiert unddie den materiellen Wohlstand durch immateriel-le Strategien der Lebensstandardsteigerung zuoptimieren sucht. Inzwischen ist diese Bewegungsogar in konservativen think tanks angekommen,wovon etwa das von dem Ökonomen MeinhardMiegel geleitete Projekt denkwerkzukunft zeugt.23

Die ALDI-Kampagne zeigt unter diesem Blick-winkel schließlich auf, dass die Spirale der über-individualisierten Lebensstile sich nicht mehrweiterdrehen lässt, sie ist damit auch Indikatorfür einen neuen Trend auch in der Gesamtgesell-schaft: „Einfach ist mehr“.

Literatur

Albrow, Martin (2007). Das globale Zeitalter. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Beck, Ulrich (1986). Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine an-dere Moderne. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

23 Vgl. http://www.denkwerkzukunft.de/ (Zugriff: 16.11.2016). Vgl. auch Miegel (2010).

Beck, Ulrich; Giddens, Anthony & Lash, Scott (Hg.) (1996). Reflexive Modernisierung. Eine Kontroverse. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Braun, Hans (1989). Helmut Schelskys Konzept der nivel-lierten Mittelstandsgesellschaft und die Bundesrepu-blik der 50er Jahre. In: Archiv für Sozialgeschichte, 29.S. 199–223.

Brustbauer, Konrad (2007). Abgrenzung von sicheren undunsicheren Lebensmitteln. In: Die Ernährung/Nutrition, 6(31). S. 273–275.

Cordts, Anette & Spiller, Achim et al. (2013). Fleischkon-sum in Deutschland. Von unbekümmerten Fleisch-essern, Flexitariern und (Lebensabschnitts-)Vegetari-ern. In: FleischWirtschaft, 7. URL: https://www.uni-hohen heim.de/uploads/media/Artikel _Fleisch -Wirtschaft_07_2013.pdf – Zugriff: 9.11.2016.

Götz, Uschi (2014). Wie Unternehmen E-Mails aus Urlaub und Feierabend verbannen. URL: http://www.deutschland -funk.de/kommunikation-wie-unternehmen-e-mails-aus-urlaub-und.769.de.html?dram:article_id=294518 –Zugriff: 9.11.2016.

Hirschfelder, Gunther (2014). Das Bild unserer Lebens-mittel zwischen Inszenierung, Illusion und Realität. In:Leible, Stefan (Hg.). Lebensmittel zwischen Illusion und Wirklichkeit (Schriften zum Lebensmittelrecht, Bd. 30). Bayreuth: P.C.O-Verlag. S. 7–34.

Hirschfelder, Gunther (2011). Mahlzeit macht Gesell-schaft. In: Ernährung im Fokus, 11. S. 398–403.

Hirschfelder, Gunther (2012). Europäischer Alltag im Fo-kus der Kulturanthropologie/Volkskunde. In: Coner-mann, Stephan (Hg.). Was ist Kulturwissenschaft? Zehn Antworten aus den „Kleinen Fächern“. Bielefeld: transcript. S. 135–173.

Katschnig-Fasch, Elisabeth (2004). Lebensstil als kultu-relle Form und Praxis. In: List, Elisabeth & Fiala, Erwin (Hg.). Grundlagen der Kulturwissenschaft. Interdisziplinäre Kulturstudien. Tübingen: Francke.S. 301–321.

Marcuse, Herbert (1964). One-Dimensional Man. Boston: Beacon Press.

Miegel, Meinhard (2010). Exit. Wohlstand ohne Wachstum. Berlin: Propyläen Verlag.

Möstl, Markus (2014). Wandel des Verbraucherleitbilds? Eine Positionsbestimmung aus lebensmittelrechtlicherPerspektive. In: Wettbewerb in Recht und Praxis, 8. S. 906–910.

Otte, Gunnar (2004). Sozialstrukturanalysen mit Lebensstilen. Eine Studie zur theoretischen und methodischen Neuorientie-rung der Lebensstilforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Pudel, Volker & Westenhöfer, Joachim (2003). Ernährungs-psychologie. Eine Einführung. Göttingen: Hogrefe.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 47

Page 48: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Anmerkungen zur ALDI-Kampagne 2016 Hirschfelder & Schreckhaas

Saal, Marco (2016). Aldis TV-Debüt fällt bei Experten durch. URL: http://www.horizont.net/market ing/nach -richten/Debuet-im-Werbeblock-Aldi-faellt-bei-Experten-durch-142696 – Zugriff: 9.11.2016.

Strünck, Christoph & Arens-Azevêdo, Ulrike et al. (2012). Ist der „mündige Verbraucher“ ein Mythos? Auf dem Weg zu einer realistischen Verbraucherpolitik. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats Verbraucher- und Ernährungs-politik beim BMELV. Berlin: BMELV.URL: https://www.alo enk.tu-berlin.de/file admin -/fg165/Aktu elles/2012_12_Muen diger Verbraucher.pdf – Zugriff: 9.11.2016.

Warneken, Bernd Jürgen (2006). Leitmotiv Widerständig-keit. In: Warneken, Bernd Jürgen (Hg.). Die Ethnographie popularer Kulturen. Eine Einführung. Stuttgart: UTB.S. 270-330.

Weber, Markus (2016). Aldi Süd entscheidet sich für Ogilvy undOliver Voss. URL: http://www.wuv.de/agen turen /aldi -_sued_entscheidet_sich_fuer_ogilvy_und_oliver_voss– Zugriff: 9.11.2016).

Wißmann, Constantin (2016). Willkommen in der postfak-tischen Welt. URL: http://www.cicero.de/salon/politik-und-wahrheit-willkommen-in-der-postfaktischen-welt – Zugriff: 9.11.2016.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 48

Page 49: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Jubiläum:10 Jahre RVW

Page 50: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Programm

Der Dank für finanzielle Unterstützung des Festakts gilt:

Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht (Prof. Dr. Jörg Fritzsche)Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft (Prof. Dr. Paul Rössler)Lehrstuhl für Medieninformatik (Prof. Dr. Christian Wolff)Lehrstuhl für Medienwissenschaft (Prof. Dr. Bernhard Dotzler)Universitätsbibliothek Regensburg (Dr. André Schüller-Zwierlein)

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 50

Page 51: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

GrußwortAndré Schüller-Zwierlein

Wer Erfolg haben will, muss für seine Zwecke werben –Werbung ist ein ganz wesentliches kulturellesPhänomen, auch jenseits des Kommerzes.

Die Geschichte der Werbung geht weit zurück– schon die Sophisten bei Platon machten für ihreZwecke Werbung, ebenso wie die Buchhändlerin der frühen Neuzeit mit ihren Motti und Aus-hängeschildern; die Schilderungen von FriedrichNicolai zum Werbejahrmarkt der FrankfurterBuchmesse im 18. Jahrhundert sind legendär, inder zweiten Hälfte des 19. und ersten Hälfte des20. Jahrhunderts wuchs sich die Anzeigenwer-bung in Zeitschriften enorm aus und ist längstGegenstand der kulturwissenschaftlichen For-schung. Und dies geht natürlich weit über die ge-druckten Medien hinaus – von Radio und Fern-sehen bis zum Internet.

Der Regensburger Verbund für Werbeforschung bil-det diese Medienvielfalt ab, er basiert wesentlichauch auf den Sammlungen des Werbearchivs derUniversitätsbibliothek Regensburg: Bibliotheken– dies wird oft vergessen – archivieren die ver-schiedensten Medien, von der Schallplatte biszum Mikrofilm, von der Porträtsammlung bis zurVideokassette, vom Tonband bis hin zu Daten-banken und Dateien. Oft erfordert es hohen Auf-wand diese Medienformen zu erhalten und sie inmoderne, einfach nutzbare Medienformen zukonvertieren und damit für die Nachwelt zugäng-lich zu machen. Die langjährige enge Zusammen-arbeit mit dem Lehrstuhl für Medienwissenschaftrund um diese universitäre Sammlung sowie imRahmen des Multimediazentrums der Uni-versitätsbibliothek war hier – für beide Seiten, sodarf ich hoffentlich sagen – immer befruchtendund informativ. Hierfür möchte ich mich andieser Stelle einmal ausdrücklich bei Ihnen, Prof.Dotzler, und Ihnen, PD Dr. Reimann, bedanken.Auch die jüngste Ergänzung der Sammlung durcheine Reihe von Tonbildschauen wurde von Ihneninitiiert.

Die Werbeforschung ist jedoch nicht nur von denrelevanten Medien her äußerst vielfältig: Von derPsychologie bis zur Literatur- und Kulturwissen-schaft, von der Sprachwissenschaft bis zurMedieninformatik, von der Wirtschafts- bis zurRechtswissenschaft ist hier auch ein breites diszi-plinäres Spektrum beteiligt. Der Regensburger Ver-bund für Werbeforschung gehört damit zu den bes-ten Beispielen interdisziplinärer Verbundfor-schung an der Universität Regensburg.Und so kann man nach 10 gelungenen und ar-beitsintensiven Jahren guten Gewissens feststel-len: Der Regensburger Verbund für Werbeforschunghat sich nicht nur wissenschaftlich etabliert undzukunftsfähig gemacht, sondern er ist auch einesehr gute Werbung für die Universität Regens-burg!

Eine Ausstellung hier im Foyer gibt Ihneneinen Überblick über die Geschichte des Ver-bundes – ganz herzlichen Dank für die Vorberei-tung auch an Frau Gerber und Frau Grundl vomMultimediazentrum und unseren Ausstellungs-koordinator Herrn Gorski.

Ihnen allen danke ich für Ihre Aufmerksamkeitund begrüße Sie ganz herzlich in der Universi-tätsbibliothek Regensburg!

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 51

Abbildung 1: Dr. André Schüller-Zwierlein (Direktor der UB Regensburg) (Bildausschnitt). Quelle: Referat II/2, Alexander Woiton.

Page 52: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

GrußwortVolker Depkat

Es ist mir eine große Freude, dem RegensburgerVerbund für Werbeforschung im Namen der Fakultätfür Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaftenalles Gute zum 10. Geburtstag zu wünschen.

Der RVW kann auf zehn überaus erfolgreicheJahre Arbeit in Forschung, Lehre und Transferzurückblicken.

Die universitären Mitglieder des Verbunds,die aus verschiedenen wissenschaftlichen Diszi-plinen kommen, haben in den vergangenen Jah-ren zu Fragen der Werbeforschung breit und viel-fältig publiziert. Die Liste der auf der Webseitedes RVW zusammengetragenen Forschungspu-blikationen ist so lang wie beeindruckend. In die-sem Zusammenhang ist der RVW auch selbst alsHerausgeber von Forschungsliteratur in Erschei-nung getreten. Besonders erwähnen möchte ichhier den Auftaktband „Wissen schaf(f)t Werbung“aus dem Jahre 2010, der einen schönen Einblickin das Spektrum der im RVW vertretenen For-schungsinteressen und -ansätze zur Werbefor-schung liefert.

Auch in der Lehre haben die Mitglieder desRVW die Werbeforschung in den vergangen zehnJahren breit verankert. Das gilt einerseits für diebunte Vielfalt von disziplinären Lehrveranstal-tungen zur Werbeforschung in den einzelnen Fä-chern, das gilt andererseits für die vom RVW er-probten innovativen interdisziplinären Lehrfor-mate. Ich persönlich denke noch gerne an dasgemeinsame Seminar „Werbung analysieren“ imSommersemester 2009 zurück, als sich verschie-dene Seminare, die während des Semesters in denverschiedenen Fächern getagt hatten, zu einemeintägigen interdisziplinären Abschlusswork-shop trafen, auf dem die einzelnen Gruppen dieErgebnisse des Semesters den anderen präsen-tierten.

Darüber hinaus hat der RVW zusammen mitPraktikern aus der Werbe-, Film- und Medien-

wirtschaft, die ebenfalls zu den Mitgliedern zäh-len, zahlreiche nationale und internationaleFachtagungen sowie Vortragsreihen zu inter-essanten Aspekten von Werbung organisiert.Stellvertretend für die vielfältige Vortrags- undTagungstätigkeit erwähnt seien hier nur die Ver-anstaltungen der letzten Jahre „Aufgetischt. Per-suasion und Information bei der Vermarktungvon Nahrungs- und Genussmittel“ (2015), „Wiesicher ist die Werbung mit der Sicherheit?“, 2013in Zusammenarbeit mit der VHS Regensburg or-ganisiert, oder die internationale Fachtagung„Europäische Werbesprachenforschung“ an derAlpen-Adria-Universität Klagenfurt im Jahr2014. Geradezu visionär war die Vortragsreihe„Gesund und fit – ein Werbehit. Wie Werbung fürMedizin funktioniert“ im Jahr 2013.

Das ist alles sehr beeindruckend und wirklich einGrund zum Feiern. Allerdings möchte ich zu-gleich meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dassdiese Veranstaltung heute nur eine Zwischensta-tion sein möge und dass der Verbund seine er-folgreiche Arbeit auch in den kommenden Jahrenweiterführt, so dass wir dann auch das 15. , das 20.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 52

Abbildung 1: Prof. Dr. Volker Depkat (Dekan der Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kultur-wissenschaften der Universität Regensburg)(Bildausschnitt). Quelle: Christian Wolff.

Page 53: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Grußwort Depkat

und das 25. Jubiläum noch miteinander feiernkönnen.

Der RVW steht der Fakultät für Sprach-, Lite-ratur- und Kulturwissenschaften nämlich gut zuGesicht, bringt er doch einige ihrer Stärken be-sonders schön zur Geltung.

Die Fakultät hat einen Schwerpunkt in denMedien-, Informations- und Kommunikations-wissenschaften, der in besonderem Maße imInstitut für Information, Medien, Sprache und Kultur(I:IMSK) verankert ist, aber doch weit in die ande-ren Fächer ausstrahlt. Im I:IMSK wird die Reise inZukunft in Richtung „information behavior“ imdigitalen Zeitalter gehen, und ich kann mir gutvorstellen, dass da einiges für die Werbefor-schung dabei ist, genauso wie umgekehrt dieWerbeforschung ihrerseits dazu beitragen kann,diesen Forschungsschwerpunkt mit auszugestal-ten. Das I:IMSK ist in den Reihen des RVW jaauch breit vertreten.

Darüber hinaus bringt der RVW die besonderekulturwissenschaftliche und kulturgeschichtlicheKompetenz der Fakultät zu Geltung, genau wie erumgekehrt auch im besonderen Maße von dieserProfillinie der Fakultät profitiert.Aber Werbung – das zeigen nicht zuletzt Ihre Ar-beiten, liebe Frau Reimann, lieber Herr Greule –ist auch von sprachwissenschaftlichem undsprachhistorischem Interesse.

Darüber hinaus hat sich die Fakultät in beson-derem Maße die Interdisziplinarität zueigengemacht, und auch die Werbeforschung drängt –wie die Arbeit des RVW belegt – ins Interdiszipli-näre. Es ist schön, dass der RVW Ernst macht mitder Interdisziplinarität, und zwar mit einer In-terdisziplinarität, die ihre disziplinäre Veranke-rung nicht vergisst. Interdisziplinarität ohne dis-ziplinäre Grundierung landet meines Erachtensim Nirgendwo. Demgegenüber eröffnet der inter-disziplinäre Austausch in disziplinärer Absichtmit klar definierten Gegenständen und Erkennt-niszielen für alle Beteiligten weitreichende neueErkenntnismöglichkeiten. Die wissenschaftlicheAuseinandersetzung mit Werbung, wie sie derRVW betreibt, ist hier geradezu vorbildlich.

Schließlich ist da noch der Transfer vonWissenschaft in die Öffentlichkeit und der fort-laufende Dialog zwischen Wissenschaft und Pra-xis. Auch hier beackert der RVW ein neues Feld,denn die Zusammenarbeit zwischen Wissen-schaftlern und Praktikern aus der Werbe-, Film-und Medienwirtschaft ist geradezu ein Grün-dungscredo des Verbunds. Auch das steht derFakultät sehr gut zu Gesicht und verleiht ihrStrahlkraft in die Region und darüber hinaus.

In diesem Sinne noch einmal: HerzlichenGlückwunsch zum 10-jährigen Bestehen und al-les Gute für die weitere Arbeit des RegensburgerVerbunds für Werbeforschung.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 53

Page 54: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

GrußwortSandra Reimann1

Alles begann mit Schenkungen. Neben dem Histo-rischen Werbefunkarchiv (HWA) finden sich mittler-weile viele weitere Sammlungen im RegensburgerArchiv für Werbeforschung (RAW). So geht auchzunächst mein Dank an die anwesenden Stifterbzw. Schenker: Von Anna Katharina Pfützner undJohannes Koop aus Essen bzw. Frankfurt stam-men international prämierte Tonbildschauen der1960er bis 1980er Jahre aus dem beruflichenNachlass von Frau Anne Hadem, einst Eigentü-merin der Firma DOC in Frankfurt, ThomasSchulze aus Berlin hat uns 700 Werbeschallplat-ten zur Digitalisierung überlassen; weitere 500Werbeschallplatten stammen von ChristianSpremberg (ebenfalls Berlin). Unsere ersteSammlung – das HWA mit 50.000 Hörfunkspotsaus den Jahren 1949 bis 1986 – wird heute vonSoetkin Wintermeier (aus Rothenburg), einstTontechnikerin bei E. H. Geldmacher, und HerrnUlrich Andree, dem Neffen von Herrn Geldma-cher, der eine Datenbank zum HWA entworfenhat, vertreten.

Professor Albrecht Greule – Ehrenvorsitzen-der und Mitbegründer des RVW –, der KanzlerDr. Christian Blomeyer und der damalige Uni-versitäts-Bibliotheksdirektor Herr Dr. FriedrichGeißelmann standen quasi am Anfang des Regens-burger Archivs für Werbeforschung und somit auchdes Regensburger Verbunds für Werbeforschung, dersich vor zehn Jahren um die Werbebestände her-um gegründet hat: Ihnen ist es zu verdanken,dass die Hörfunkwerbesammlung vom Bayeri-schen Rundfunk, wo Professor Geldmacher sie ein-gelagert hatte, nach Regensburg geholt werdenkonnte. Der räumliche Beginn des RVW – diekonstituierende Sitzung – war am 28. Juni 2006im 2. Stock des PT-Gebäudes der Universität imBüro von Professor Greule, damals Leiter desLehrstuhls Deutsche Sprachwissenschaft. Anwe-

send waren damals – ich zitiere aus dem Protokollzur ersten Sitzung – Prof. Dr. Bernhard Dotzler,Prof. Dr. Daniel Drascek, Dr. Friedrich Geißel-mann, Gabriele Gerber M. A. , M. A. (LIS), Prof.Dr. Albrecht Greule, Prof. Dr. Marianne Ham-merl, Prof. Dr. Bernhard Hofmann, Dr. Naoka Iki(heute: Werr), Dr. Sandra Reimann, Dr. MartinSauerland, Diplom-Volkswirtin Julia von Wester-holt und Prof. Dr. Christian Wolff.

Unter Tagesordnungspunkt 3 heißt es im damali-gen Protokoll u. a.:

Die Beteiligten äußern sich zu den Möglich-keiten der Zusammenarbeit. Herr Hofmann

sieht hier zwei Ansätze: einen analytisch-histori-schen im Kontext von Produktion und Rezeption so-wie einen empirischen (Rezeptionsforschung). […]Herr Wolff fragt nach mit der Auswertung des Histo-rischen Werbefunkarchivs vergleichbaren Projektenin Deutschland. Soweit den Teilnehmerinnen undTeilnehmern bekannt ist, gibt es dergleichen nichtund Herr Greule weist in dem Zusammenhang nocheinmal auf das Alleinstellungsmerkmal des HWA fürdie Universität Regensburg hin.“

1 Das Original wurde für die schriftliche Fassung leichtabgeändert.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 54

Abbildung 1: PD Dr. Sandra Reimann (Sprecherindes RVW) (Bildausschnitt). Quelle: Referat II/2, Alexander Woiton.

Page 55: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Grußwort Reimann

Ich darf aus heutiger Sicht anführen, dass wirdieses Alleinstellungsmerkmal in den vergange-nen Jahren kontinuierlich ausgebaut haben undweiter dafür sorgen werden, dies zu tun.

Unter 4. ist dann im Protokoll festgehalten:

Man beschließt die Gründung des ‚Regens-burger Verbunds für Werbeforschung‘ (RVW)

und eine künftige interdisziplinäre Zusammenar-beit.“

„Wir können auf viele schöne Projekte zurückbli-cken – Tagungen, Ringvorlesungen und Vortrags-reihen, interdisziplinäre Block-Lehrveranstal-tungen, Buchpublikationen und seit 2013 habenwir auch eine eigene Online-Zeitschrift mit demNamen „Mitteilungen“ (Redaktion: ChristineFraunhofer M. A.).

Für 2017 – das Jubiläumsjahr der UniversitätRegensburg – ist eine Ringvorlesung über „Un-gewöhnliche Werbemittel“ in Planung. Undpünktlich zum 10. Geburtstag des RVW ist – dankunserem Mitglied Christoph Pfeiffer M. A. – auchunsere neue Website fertig geworden.Ich darf nun unseren Festredner, Herrn ProfessorZurstiege, Medienwissenschaftler an der Uni-versität Tübingen, herzlich begrüßen. Die Wer-bung gehört – neben der Unternehmens-kommunikation, Medienkultur, Medien- und

Kommunikationstheorie sowie Rezeptions- undWirkungsforschung – zu seinen Forschungs-schwerpunkten. Aus seinen Publikationen greifeich exemplarisch „Werbeforschung“ (2007) und„Medien und Werbung“ (2015) heraus. Seine Dis-sertation wurde 1998 mit dem Titel „Mannsbilder– Männlichkeit in der Werbung“ veröffentlicht.Mehrere aktuelle drittmittelgeförderte For-schungsprojekte zur Werbung kann Herr Zurstie-ge vorweisen, z. B. das DFG-Projekt „Ethik derWerbung in Zeiten des medialen Wandels“. Au-ßerdem ist er Mitglied und teils auch Mitbegrün-der diverser – teils internationaler – Forschungs-und Fachgruppen zur Werbung.

Der Kontakt zum Regensburger Archiv für Werbe-forschung besteht schon länger: Herr Zurstiege hatsich bereits vor einigen Jahren Hörfunkspots ausunseren Beständen schicken lassen – und ist so-mit einer der mittlerweile über 700 registriertenNutzern.

Der Titel des Festvortrags lautet: „Bye bye Ba-ron Rocher. Werbeforschung in Zeiten der Wer-bung nach der Werbung“. Es geht – das erlaubeich mir vorwegzunehmen – um Werbung in Zei-ten der voranschreitenden Programm-Integrati-on, Personalisierung und Entgrenzung der strate-gischen Kommunikation.

Wir sind gespannt und freuen uns auf IhrenVortrag.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 55

Page 56: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Bye-bye Baron RocherWerbeforschung in Zeiten der Werbung nach der Werbung

Guido Zurstiege

Panikherz, Stärker alsdie Zeit

Anfang dieses Jahres ist das neue Buch von Ben-jamin von Stuckrad-Barre (2016) erschienen. „Pa-nikherz“ lautet sein Titel. Der Kiepenheuer & WitschVerlag bringt es auf den Markt und verlangt fürdieses spannende Buch zu Recht 22,99 Euro.Stuckrad-Barre, Freund und Intimus Udo Lin-denbergs sagt hier, man könne die Seele Udo Lin-denbergs eigentlich nur summend wirklich rich-tig ergründen. Diese Beobachtung erzeugt Reso-nanz und deckt sich vermutlich mit demmusikalischen Talent vieler seiner Fans. „de dededa dede deep dada“ – summend, so beginnt auchder erste Song auf dem neuen Album Udo Lin-denbergs (2016), das ebenfalls Anfang dieses Jah-res erschienen ist. „Stärker als die Zeit“ heißt dasAlbum, „Durch die schweren Zeiten“ der erste vonvielen großartigen Songs. Stuckrad-Barres Buchbeginnt mit einem geradezu grandiosen Berichtdarüber, wie er, Stuckrad-Barre, in Begleitungseines Freundes Udo Lindenberg in die USAeinzureisen versucht. Lindenberg schlurft in So-cken, dafür jedoch mit Hut, Sonnenbrille und ei-ner Art Fantasie-Uniform gekleidet, lässig mit ei-ner angezündeten Zigarre in der Hand auf denGrenzbeamten zu, der an diesem Tag besondersschlechte Laune zu haben scheint. Dies ereignetesich übrigens im Bundesstaat Kalifornien undnicht etwa in North Carolina, weswegen die bei-den nach einiger Zeit und etlichen Rückfragenunter größtem Gelächter des Grenzbeamten ein-reisen durften.

„Panikherz“ handelt von dem KokainabsturzStuckrad-Barres, es handelt aber auch ganz we-sentlich von seiner Freundschaft zu Udo Linden-

berg, der ihn durch die schweren Zeiten getragenhat, ganz so, wie es eben auch im ersten Titel desfamosen Lindenberg-Albums heißt, jenes Al-bums, das kurz nach dem Buch von Stuckrad-Barre in diesem Jahr erschienen ist.

Dieser Doppelpack von „Stuckiman’s“ neuemBuch und Udos neuer Scheibe war natürlich keinZufall. Die Publikation beider Titel erfolgte imwahrsten Sinne des Wortes orchestriert, im Hin-

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 56

Abbildung 1: Prof. Dr. Guido Zurstiege (Festredner, Institut für Medienwissenschaft der Universität Tübingen) (Bildausschnitt). Quelle: Christian Wolff.

Page 57: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Werbeforschung in Zeiten der Werbung nach der Werbung Zurstiege

tergrund vermutlich bis ins Kleinste geplant undgesteuert. Hier wirbt das Buch für das Album unddas Album für das Buch. In den Charts stehenbeide seit Wochen auf den ersten Plätzen. Sie ver-danken dies einer umwerfenden Werbekampa-gne, die im Prinzip ohne auch nur eine einzigeAnzeige, ein einziges Plakat oder einen einzigenSpot auskommt. Und diese Verschränkung, diese„kommunikationsstrategische Verklammerung“ –um einen Begriff von Baerns (2004) zu verwen-den – steht heute in weiten Teilen der werbetrei-benden Wirtschaft auf der Tagesordnung, und sieist charakteristisch für das, worum es in diesemBeitrag geht. Sie ist charakteristisch für einen ge-radezu fundamentalen Wandel in der Art undWeise, wie Werbung heute erfolgt.

Bye-bye Baron Rocher

Viele der Konzepte, mit denen wir Medien-und KommunikationswissenschaftlerInnen lan-ge ganz selbstverständlich gearbeitet haben, sindim Zuge der voranschreitenden Digitalisierung inden zurückliegenden Jahrzehnten gewisserma-ßen prekär geworden. Was ist Massenkommuni-kation? Was ist ein Programm? Was ist Fernse-hen? Was ist Radio? Was ist ein Autor? Was istJournalismus? Was ist eine Zeitung? Was ist einBuch? Und eben auch: Was ist Werbung? Und wieist dies alles heute? Die Arbeit an diesen und vie-len anderen unserer basalen Begriffe istgewissermaßen zu einer Art Daueraufgabegeworden. So verstehe ich diesen Aufsatz, alseinen Beitrag zu dieser Daueraufgabe. WelcheHerausforderungen stellen sich der Werbefor-schung in einer Zeit, in der sich die Werbung fun-damental verändert?

Freilich muss man zunächst einmal sehr vor-sichtig sein, wo immer wie im Titel und im Ansin-nen dieses Beitrags vom „Ende der Werbung“ dieRede ist. Die Werbung, so hat Bachtin (2003) ein-mal mit Blick auf die Reklame des mittelalterli-chen Marktplatzes gesagt, hat stets über vieles ge-lacht, aber immer eben auch über sich selbst. Siehat sich zu jeder Zeit geradezu notorisch selbst

aufs Korn genommen, sich auf diese Weise übersich selbst hinweggesetzt – sich selbst überwun-den. Man kann sagen: Die Werbung lebt geradezuvon der kreativen Zerstörung – auch von derkreativen Zerstörung der eigenen Inventare. Indiesem Sinne ist Werbung immer nach der Wer-bung. Werbung ist notorisch am Ende bzw. amAnfang, wie man es nimmt (Schmidt, 2004).

Dies mahnt also zur Vorsicht, dass man nichtallzu voreilig eine neue Ära ausruft und damit derWerbung für die Werbung auf den Leim geht.Viele der Befürchtungen, die von Werbeprakti-kern und Werbeforschern in die Welt hinauspo-saunt werden, sind nämlich nicht eingetroffen.Und man muss kein Prophet sein, um zu sehen,dass sie in naher Zukunft auch nicht eintreffenwerden. Noch immer gibt es klassische Werbung.Noch immer gibt es Zeitungen und Zeitschriften,mit Anzeigen darin. Noch immer schauen vieleMenschen fern (immerhin rund 3 Stunden täg-lich). Und dennoch, seit den 1980er Jahren, also inetwa seit jener Zeit, als sich der im Titel diesesBeitrages genannte kauzige Baron Rocher zum er-sten Mal die süße Kugel gab, ist Werbung in Zei-tungen und Zeitschriften, im Fernsehen oder aufPlakaten, schleichend immer mehr zu demgeworden, als was sie gerade im Vorbeigehen sa-lopp etikettiert worden ist – eben zu „klassischer“Werbung. Wenn man mit Werbern ins Gesprächkommt, was ich im Rahmen meines von der DFGgeförderten Projekts zur „Ethik der Werbung inZeiten des Medienwandels“ getan habe, dannsind die Zwischentöne kaum zu überhören, mitdenen sie von „der Klassik“ sprechen: nostalgisch,aber irgendwie hat man das Ganze überwunden,hat etwas anderes „den Lead“, die Führung über-nommen. Und das hat viele verschiedene Ursa-chen, die ich kurz darstellen möchte, bevor ichder Frage nachgehe, welche Konsequenzen dieserWandel für die Werbeforschung hat.

Das Ende der LOP-Theory

Was sind also die Ursachen des Wandlungssyn-droms im Feld der Werbung? Eine Antwort auf

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 57

Page 58: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Werbeforschung in Zeiten der Werbung nach der Werbung Zurstiege

diese Frage erhält man, wenn man die spätestensseit den 1980er Jahren immer mehr Raum grei-fende Debatte um Werbereaktanz und Werbever-meidung näher ins Auge fasst. In etwa seit den1980er Jahren gewinnt diese Debatte in der Wer-belandschaft – man muss sagen: erneut – anFahrt, denn es hat sie eigentlich als Grundton desgesamten Werbediskurses vermutlich schon im-mer gegeben. Das Leitmotiv dieser Debatte hatbereits einer der Begründer der Zeitungskunde inDeutschland, der Leipziger Nationalökonom KarlBücher, vor rund 100 Jahren so ausgedrückt: Wer-bung, sagt Bücher (1917:476), begegne uns stetsals „Nebenzweck“, der „einem bestimmten Kreisvon Menschen wider ihren Willen aufgenötigt“werde. Kein Mensch, heißt das, kauft eine Zei-tung wegen der Werbung. Kein Mensch schaltetden Fernseher ein wegen der Werbung. KeinMensch betritt die Straße wegen der Werbung.Überall hier streben wir nämlich nach anderem:Wir wollen Nachrichten lesen, einen Filmschauen oder eben spazieren gehen.

Diese in der Medien- und Kommunikations-wissenschaft, in der Werbewirkungsforschung,aber auch in der Praxis der vergangenen Jahr-zehnte vorausgesetzte Prämisse ist so etwas wieein ehernes Gesetz der klassischen Werbung. Esist also kein Wunder, warum es bereits in den1980er Jahren gewiss schon längst keinen Mangelmehr an gut dokumentierten Belegen dafür gab,dass und warum Werbung nicht gesehen wird:Switching, Flipping, Channel Hopping, Grazing, Jum-ping, Arrowing, Leaving und natürlich Zapping. Solauteten die verzweifelten Wehrufe, mit denender Untergang der Werbung in düsteren Farbenan die Wand gemalt wurde. Dann passierten je-doch in den 1980er und 1990er Jahren zwei Din-ge, die diese Diskussion erneut befeuerten:

Die erste Entwicklung setzt etwa seit Beginnder 1980er Jahre ein. Damals hielten das Kabel-fernsehen und der Videorekorder Einzug in dieHaushalte in Deutschland. Das verstärkte eineEntwicklung im Fernsehen, die bereits in denfünfziger Jahren eingesetzt hatte und auf die Ein-führung einer Technologie zurückzuführen war,die irreführenderweise unter dem Namen „Lazy

Bones“ (zu deutsch: Faulenzer) in den USA ver-marktet wurde. Lazy Bones – so hieß nämlich dieerste Fernsehfernbedienung der Welt, die das Pu-blikum allerdings eben nicht zu „Faulenzern“machte, sondern im Gegenteil zu sehr aktivenGestaltern ihres eigenen Fernsehprogramms.Mitte der 1990er Jahre trat dann eine neue Tech-nologie auf den Plan: die DVD. Im Verbund habendiese Technologien die Grundlagen dafür gelegt,wie wir heute audiovisuelle Medienangebote nut-zen, wie wir fernsehen. Plötzlich konnte manganze Serien in einem handlichen Schuber kau-fen und konsumieren. Serienfans konnten die be-gehrten Inhalte nun an einem Stück genüsslichverschlingen, ohne ihre Leidenschaft für siebenlange Tage auf Eis legen zu müssen. Das Star Trek-Wochenende und die lange Ally McBeal-Nacht wa-ren geboren. Das exzessive „Watching Programs“trat so allmählich neben das habitualisierte „Wat-ching Television“.

Die zweite Entwicklung betrifft eine weiteretechnologische Innovation: Ende der 1990er Jahrebetrat aus Sicht der Werbung ein Spielverderberersten Ranges die Bühne: Ein digitaler Festplat-tenrekorder namens TiVo. Die aus Sicht der Wer-bung gefährlichste Funktion TiVos bestand darin,dass man bei der zeitversetzten Nutzung der zu-vor aufgezeichneten Angebote Werbung direktüberspringen konnte. Die Berichterstattung derBranchenpresse überschlug sich: TiVo war das„Rettungsboot vor der Werbeinsel“, der „ultimati-ve Zapper“, der „Antichrist der Werbung“. TiVobesaß das Potenzial, das gesamte Werbegeschäftauf den Kopf zu stellen. Die Prognose lautete,dass der neue Souverän im Mediensystem – seineHoheit, das Publikum – als erstes die wertlosenBestandteile im Programm der Medien wie dieWerbung aus seinem Reich verbannen würde. Da-mit schien das Ende der reichweitenstarken Wer-bung und der werbefinanzierten Medien in Sicht.TiVo war rückblickend betrachtet zumindest inDeutschland keine so disruptive Technologie wiezunächst befürchtet. Dessen ungeachtet kannman ganz sicher sagen, dass sich die Werbebran-che etwa seit Mitte der 1980er Jahre vor dem Hin-tergrund dieses wie auch immer gerechtfertigten,

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 58

Page 59: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Werbeforschung in Zeiten der Werbung nach der Werbung Zurstiege

in seinen Folgen jedoch sehr weitreichenden Kri-sendiskurses auf die Suche nach neuen Formender Werbung, nach neuen Strategien begeben hat,ein allgemein im Mediensystem gestiegenes äs-thetisches Anspruchsniveau mit ihren Appellenbefriedigen zu können.

Die Fernseh-Angebote der 1970er Jahre – dieArzt- und Polizei- und Heile-Welt-Serien – warenso unendlich trivial und haben keinen Intellektu-ellen hinter dem Ofen hervorgelockt. Das Gleichegalt für die Fernseh-Werbung jener Zeit, die sichverstohlen in die Nischen des Programms ge-drängt hat. In etwa so wie der Zahnbelag, den dieintelligente Zahnbürste von Dr. Best mit einemflexiblen Kopf durch defensive Mundhygiene(„die klügere Zahnbürste gibt nach“) zu entfernenversprach. Die Fernsehserien, die diese Werbungrahmten, waren nicht viel intelligenter. Sie warenein Massenprodukt und bedienten in aller Regelden kleinsten gemeinsamen Nenner des Publi-kumsgeschmacks. Dies war die Zeit der soge-nannten LOP-Theory. Deren Erfinder Paul Klein,seines Zeichens Vize-Präsident der einflussrei-chen National Broadcasting Company (NBC), vertratdie Auffassung, dass Fernsehzuschauer im Grun-de nicht sehen, was ihnen gefällt, sondern, wasihnen am wenigsten missfällt: Least objectionableprogramming (LOP), lautete die daraus abgeleiteteZielvorgabe für die Programmplanung. ZuDeutsch: Bloß niemanden abschrecken. DasFernsehen fungierte als eine Art kulturelles Fo-rum in der Mitte der Gesellschaft. Dieses Forumwar für alle zugänglich. Hier wurden in einem ab-solut zuverlässigen Rahmen kollektiv gültige Ge-schichten erzählt. Derrick, Dallas, Schwarzwaldkli-nik. Damit konnte jeder etwas anfangen. DerKommissar löste jeden Fall. Der Schurke wurdeniemals ehrlich. Der Chefarzt konnte immer hel-fen. Woche für Woche. Ganz sicher.

Es ist geradezu atemberaubend zu sehen, wiedie genannten technologischen Entwicklungendie Art und Weise der Nutzung von Fernsehange-boten so grundsätzlich verändert haben. Es istatemberaubend, wie sich etwas, das in der kultu-rellen Nahrungskette so lange so weit unten ran-giert hat wie Fernsehserien, in so wenigen Jahren

geradezu zur Leibspeise vieler Intellektuellergewandelt hat. Je mehr Verfügungsgewalt Rezipi-enten durch Programmangebote, Fernbedienung,Festplattenrekorder oder DVDs erhalten haben,desto komplexere Plots und Charaktere fragtensie nach, wie sie uns in aktuellen Erfolgsserienwie Homeland, Lost, Mad Men, Breaking Bad oderGame of Thrones begegnen. Die Werbung hat dieseEntwicklung sehr aufmerksam verfolgt und hatauf sie reagiert. Aktuelle Werbung ist in vielenFällen auf spektakuläre Art und Weise mehr alsklassische Werbung. Sie erzählt Geschichten diebewegen, hoch ästhetisch, dabei die klassischeWerbeästhetik über Bord werfend. Aktuelle For-men der Werbung sind an anderer Stelle aberauch radikal weniger als die klassische Werbung.Keine hochglänzende ansprechende Ästhetikzeichnet sie aus, keine ideologisch aufgeladenenstereotypen Bilder, sondern einfach nur die Ant-wort auf eine Google-Suchanfrage. Werbung heu-te muss in einem stärkeren Maße als jemals zuvorakzeptiert und gewollt werden.

Auf der Suche nach neuen Strategien orientie-ren sich die Werbetreibenden dabei im Wesentli-chen an zwei Leitwerten: Dies ist erstens der Leit-wert der voranschreitenden Personalisierungwerblicher Medienangebote sowie zweitens derLeitwert der voranschreitenden Integration vonWerbung und Programm (siehe dazu modellhaftdie sog. IP-Matrix von Siegert & Brecheis 2010).Beide Strategie-Optionen waren ein Reflex aufdie zunehmend als Bedrohung wahrgenommeneDigitalisierung der Medien. Sie waren und sindbis heute zugleich – und das ist wichtig – aberüberhaupt erst aufgrund der Digitalisierungmöglich geworden.

Personalisierung und Integration

Der aktuell zu beobachtende Werbewandel istkein revolutionärer Wandel, der alles auf denKopf stellt, sondern ein Wandel, der uns in einemgesteigerten Maße bringt, woran die Werbungschon immer ausgerichtet war. Auch deswegen ist

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 59

Page 60: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Werbeforschung in Zeiten der Werbung nach der Werbung Zurstiege

historisch fundierte Werbeforschung so wichtig,weil sie zeigt, dass es bei allen disruptiven Verän-derungen im Feld der Werbung eine ganz enormeKontinuität im Werbewandel gibt. Das Thema derpersonalisierten Kommunikation ist ein gerade-zu mustergültiges Beispiel dafür. Denn Personali-sierung in der Werbung ist keine Erfindung derdigitalen Medien, sie kommt aber durch diesegewiss zur vollen Blüte. Werbung war schon im-mer exklusive Kommunikation, sie hat schon im-mer auf der Basis einer sozialen Ausblendungs-regel vor allem denen Wunscherfüllung verspro-chen, die sich die Erfüllung ihrer Wünsche leistenkonnten. Es gibt ganz viele aktuelle wie histori-sche Beispiele für diese grundsätzliche Orientie-rung der Werbung an lukrativen Zielgruppen: Dieim 19. Jahrhundert einsetzende lokale und the-matische Spezialisierung der Massenpresse warAusdruck einer zunehmenden Orientierung anspezifischen Zielgruppen. Die bis heute ungebro-chene Tradition lokaler Anzeigenblätter, die ihrgroßes know how über die soziodemographischenCharakteristika ihrer Verbreitungsgebiete bis aufStraßenebene hinunter vermarktet, ist Ausdruckder gleichen Orientierung. Die große ökonomi-sche Bedeutung von Postwurfsendungen belegt,dass es in der Werbung schon lange um genaueMilieu-Kenntnisse geht. Plakate und andere For-men der Außenwerbung wurden seit jeher aufder Grundlage sehr genauer Kenntnisse lokalerPublika vermarktet. Auch Erfindungen der jün-geren prä-digitalen Mediengeschichte wie daswerbefinanzierte Kabelfernsehen, das Lokalradiomit thematisch bzw. lokal hochspezialisiertenAngeboten belegen den historisch gewachsenenStellenwert des Nischen-Marketings (Turow,2006).

All dies ist Ausdruck der Tatsache, dass dieGeschäftsmodelle der Werbung schon seit jeherauf die möglichst genaue Identifikation der Be-findlichkeiten und Mentalitäten, der Wünscheund thematischen Vorlieben, der mentalen Land-karten und realen Adressen des Publikums aus-gerichtet waren. Onlinebasierte Medien habenunter dem starken Einfluss der werbetreibendenWirtschaft in den vergangenen Jahren die indivi-

dualisierte Adressierbarkeit von Medienangebo-ten nun zu einer Art Leitwert im Quadrat erho-ben. Von Seiten der werbetreibenden Wirtschaftwerden die Rezipienten heute in einem bisherungeahnten Ausmaß vermessen, erforscht, sor-tiert und zielgenau adressiert.

Neu ist vor allem, dass die Medien, die wirheute nutzen, allesamt einen Rückkanal haben.In der Print- und Fernsehära wurden Reich-weiten, demographische und psychographischeCharakteristika des Publikums vergleichsweisegrobmaschig durch Befragungen und telemetri-sche Verfahren bei zuvor definierten „Access-Panels“ ermittelt. In digitalen Medienumgebun-gen ist gleichsam jeder Mediennutzer Teil diesesPanels, denn er hinterlässt in aller Regel zumin-dest technisch seine Datenspuren. Anfang 2015sorgte eine erstaunliche Pressemitteilung desElektronikkonzerns Samsung für Schlagzeilen. ImRahmen der Markteinführung seines neuen in-ternetfähigen Smart-TV-Modells warnte der Kon-zern die Besitzer vor dem eigenen Gerät. Zwarnehme man die Privatsphäre der Konsumentenernst. Allerdings müssten Zuschauer, die vor demFernsehgerät über private Dinge redeten, beden-ken, dass das Gerät mithilfe seiner Spracherken-nungssoftware imstande sei mitzuhören.

Nicht nur in den digitalen Medien werdenKonsumenten systematisch beobachtet und ver-messen. Auch viele Konsumorte entwickeln sichzu einer Art Schnittstelle, an der sich reale undvirtuelle Identitäten im wahrsten Sinne des Wor-tes Auge in Auge gegenüberstehen. Unlängst ver-kündete Microsoft das Jahr des personalisiertenShoppings. Mit Hilfe der Kinect Technologie sollenin Zukunft schlaue Einkaufsregale, sogenannteSmart Shelfs, erkennen, wer wie lange welche Pro-dukte betrachtet und am Ende auch kauft. DieTechnologie kann Männer von Frauen unter-scheiden, Junge von Alten, Dunkelhäutige vonHellhäutigen. Sie unterscheidet Menschen mitguter Laune von Menschen mit schlechter Laune.

Jeder erscheint auf dem Radar der werbetrei-benden Wirtschaft. Das trifft auch auf Kinderund Jugendliche zu. Ich habe mit meinen Studie-renden im Rahmen eines kleinen Lehrfor-

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 60

Page 61: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Werbeforschung in Zeiten der Werbung nach der Werbung Zurstiege

schungsprojekts in den vergangenen Semesternverstärkt Online-Spieleseiten im Netz unter dieLupe genommen. Auf der bei Kindern sehrbeliebten Online-Spieleseite http:// www.spiel -affe.de etwa analysieren nicht weniger als 41 un-terschiedlicher Tracker das Verhalten der jungen„Onliner“ im Alter von 6 bis 13 Jahren.1 Die neues-

1 Die Zahlen basieren auf Daten, die im Sommersemes-ter 2014 im Rahmen eines M. A. Lehrforschungspro-jekts am Institut für Medienwissenschaft der Uni-versität Tübingen erhoben wurden. Untersucht wurdendie folgenden Online-Spieleseiten für Kinder, die in Klammern stehenden Zahlen geben die Anzahl an Trackingprogrammen an, die zum Zeitpunkt der Un-tersuchung auf der Seite aktiv waren: http:// www.spielaffe.de (41), http:// www.jetztspielen.de (23), http:// www.bildspielt.de (17),http:// www.toggolino.de (15),http:// www.spielen.de (14),http:// www.kinderspiele.de (10), http:// www.freispiel.de (9), http:// www.cartoonnetwork.de (6), http:// www.spielkarussell.de (6), http:// www.kostenlose-kinder-spiele.com (4), http:// www.kinderspielothek.de (3), http:// www.kinderspiele.net (3), http:// www.onlinespiele-pc.de (3), http:// www.kinderspiele-spiele.de (2), w http:// ww.kinderspiele.de (1), http:// www.spielzwerg.de (1).Auf den 16 untersuchten populären Spieleseiten wur-den insgesamt 158 Tracker gezählt, mit denen 77 unter-schiedliche Unternehmen das Online-Verhalten von Kindern protokollierten. Auf den ersten vier Plätzen stehen Unternehmen, die im Besitz von Google sind: DoubleClick, Google Adsense, Google Analytics, Google+ Plattform. Weitere Unternehmen waren: Criteo, Facebook Connect, INFOnline, OpenX, ADTECH, AppNexus, Google Tag Manager, Improve Digital, PubMatic, Rubicon, Score-Card Research, Yandex.Metrics, Yieldlab, Zanox, AdServer, Bid Manager, Casale Media, Chango, GroupM Server, Quis-ma, redvertisment, ScoreCard Research, Sizmek, SMART, Twitter Button, ADAOS, ad4mat, AddThis, adNEt.de, Adro-lays, AdScale, AdTiger, Advertising.com, Alenty, Amazon As-sociates, Audience Science, BidSwitch, Bizo, BlueKai, Cedexis Radar, ChartBeat, Contaxe, DataXu, Digilant, DoubleClick Spotlight, EQ Advertising, eXelate, Facebook Exchange (FBX),Facebook Social PlugIn, Google AdWords Conversion, Inter-net BillBoard, Komoona, Krux Digital, Magnetic, Media Op-timizer (Adobe), MediaMath, Netmining, Neustar AdAdvi-sor, Ominute, Omniture (Adobe Analytics), Optimax Media Delivery, Optimizely, Outbrain, Platform161, RealVu, Rocket Fuel, Semasio, SiteScout, Turn, Twitter Badge, Usabilla,

te Generation der bei vielen Mädchen noch im-mer beliebten Barbie-Puppe, die „Hello Barbie“von Mattel2, kann lauschen und den Kindern beimSpielen zuhören: Denn sie überträgt die liebevol-len Worte ihrer Spielkameradinnen per W-LANan einen weit entlegenen Server, auf einem ande-ren Kontinent, wo umgehend eine Antwort auto-matisch generiert wird, die Barbie dann von sichgibt.

Google hält übrigens ein entsprechendes Pa-tent für einen intelligenten Teddy-Bären (UnitedStates Patent and Trade Mark Office, Patent#: US20150138333, Pub. Date: May 21, 2015). Da-mit werden Daten in bisher ungeahnter individu-eller Granularität geschaffen. Keine noch so pro-fessionelle Marktforschung der vergangenenJahrzehnte, keine konsumpsychologische Analy-se, keine soziologische Milieustudie wäre dazu imStande gewesen. Wo immer wir im Internet mitanderen ins Gespräch oder ins Geschäft kommen,wo immer wir uns im Kontext digitaler Medieneinschließlich digital aufgerüsteter Gegenständein unserer Lebenswelt mit anderen austauschen,hören heute Werbetreibende ganz selbstver-ständlich mit und integrieren die Informationen,die sie dergestalt über ihre Zielgruppen erhalten,in ihre Werbestrategien.

Die Integration werblicher Medienangeboteist in den vergangenen Jahren in zwei verschiede-nen Ausprägungen vorangetrieben worden.

Die erste betrifft natürlich die voranschreiten-de Integration von Werbung in das Programm vorallem der audiovisuellen Medien. Vor dem Hin-tergrund eines unermüdlichen Lobbyings ver-schiedener Industrien – auch der Medienindus-trie – hat diese Strategie-Variante ihren Ausdruckin der zunehmenden Liberalisierung der rechtli-chen Regelungen etwa für Split-Screen-Werbung,für Sponsoring und vor allem für Product-Placementgefunden. Mit dem Hinweis auf die verstärkteMedienkonkurrenz haben Werbetreibende und

Veruta, Xaxis. Das Projekt wurde bearbeitet von Anja Ambrosius, Jacqueline Andres, Cristina Rodriguez Co-breros, Vera Makarenko und Elena Arkaykina.

2 Siehe http://hellobarbiefaq.mattel.com/meet-hello-barbie/.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 61

Page 62: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Werbeforschung in Zeiten der Werbung nach der Werbung Zurstiege

Rundfunk-Medien im Verbund sich in den ver-gangenen Jahren deutlich mehr Spielräume fürdie Entwicklung neuer Formate erstritten, überdie sie zumindest ebenso viel Gestaltungsmachtbesitzen, wie sie die Waschmittelhersteller in derSturm- und Drangphase des amerikanischen Ra-dios auf die sogenannten Seifenopern hatten. ImFernsehen ist es eine herrschende und vongroßen Teilen des Publikums heute wie im US-amerikanischen Radio der 1930er Jahre nicht imGeringsten hinterfragte Strategie, Produktbot-schaften und Unterhaltungsangebote aufs Engstemiteinander zu verweben. Germany’s Next Topmo-del ist die Seifenoper der Kosmetik-Industrie, dieFashion Show der Fernseh-Catwalk der Mode-Industrie. Bei Deutschland sucht den Superstar ver-marktet die Musik-Industrie ihre großen Starsund ihre kleinen Sternchen. Wetten dass .. .? warüber viele Jahre der Verkaufssalon der deutschenAuto-Industrie. Alle diese Industrien bieten hierganz selbstverständlich im regulären ProgrammUnterhaltung an – für alle Beteiligten, die Pro-grammmacher, die Stars und die Zuschauer ist esscheinbar das Normalste auf der Welt. Dies ist dieerste Erscheinungsform der voranschreitendenIntegration von Werbung und Programm – sievollzieht sich im Programm der klassischenMedien.

Die zweite Spielart der Integration von Wer-bung und Programm erfolgt gar nicht mehr imProgramm der klassischen Medien, sondern da-neben. Was das heißt, hat vor einiger Zeit eine derführenden Branchenzeitungen der werbetreiben-den Wirtschaft – die Zeitschrift Horizont – auf denPunkt gebracht. „Unternehmen werden Medien-häuser“, titelte die Zeitschrift. Immer weiterstreuen werbetreibende Unternehmen ihre Wer-beausgaben heute. Der bezahlte Werberaum inden klassischen Massenmedien (paid media) spieltnach wie vor eine große Rolle. Immer wichtigerwerden darüber hinaus öffentlichkeitswirksameEvents, mit denen sich werbetreibende Unter-nehmen Werberaum in den klassischen Massen-medien gleichsam verdienen (earned media). Im-mer wichtiger wird aber auch der eigene Werbe-raum, über den Werbetreibende ganz frei

verfügen, etwa in Form von Webseiten, Social Mo-vies oder YouTube-Kanälen (owned media). Frühergaben Unternehmen ungefähr ein Drittel ihrerWerbebudgets für die Produktion ihrer Werbungund rund zwei Drittel für die Distribution ihrerWerbung in den klassischen Medien aus. Heuteist das Verhältnis in vielen Fällen umgekehrt, undzwar deswegen, weil viele werbetreibende Unter-nehmen heute gewissermaßen ihre eigenenMedien besitzen, nämlich Webseiten, Facebookund Twitter Accounts und von dort aus Kampa-gnen lancieren. Edeka beglückte so vor einigerZeit die Nation mit einem Supergeilen Song,BMW hat schon vor vielen Jahren Filme mit GuyRichie, Madonna, James Brown und anderenStars über ihre eigene Webseite distribuiert, Tos-hiba und Intel haben unlängst eine Reihe vonKurzfilmen mit Harvey Keitel in der Hauptrolleproduziert und frei ins Netz gestellt, um nur eini-ge Beispiele zu nennen.

Die Tatsache, dass werbetreibende Unterneh-men immer häufiger selbst zu Anbietern attrakti-ver Inhalte werden, die ohne „Werbe-Rahmen-programm“ auskommen, ist gleich in zweifacherWeise dem Prozess der Digitalisierung imMediensystem geschuldet: einmal direkt, weil dieDigitalisierung werbetreibende Unternehmen inder zuvor beschriebenen Weise medial ermäch-tigt hat. Die Entwicklung zu mehr Unterhal-tungsorientierung in der Werbung ist darüber hi-naus indirekt dem Prozess der Digitalisierung ge-schuldet – vermittelt über die Arbeitsmärkte derKreativwirtschaft. Die Internet-Ökonomie, so hates einer der bekanntesten Apologeten der neuendigitalen Medienwelt, Chris Anderson (2009),einmal gesagt, ist eine Ökonomie des „radikalenPreises“. Fast alle digitalen Inhalte im Netz, heißtdas mit weniger Euphorie, sind begehrt und zu-gleich chronisch unterfinanziert. Die Ökonomiedes radikalen Preises betrifft alle Produzenten at-traktiver Angebote im Netz. Ob Musik oder Film,ob TV-Serie, journalistischer Inhalt oder Litera-tur, dies alles ist in den digitalen Medien heiß be-gehrt und zugleich schlecht bezahlt.

Immer mehr Menschen nennen sich Journa-list – immer weniger können vom Journalismus

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 62

Page 63: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Werbeforschung in Zeiten der Werbung nach der Werbung Zurstiege

leben. Immer mehr Menschen nennen sichMusiker, immer weniger können von ihrer Musikleben. Immer mehr Menschen nennen sich Autor,Schauspieler und Regisseur, immer weniger kön-nen ausschließlich von ihrer Kunst leben. Wir hö-ren immer mehr Musik: Aber dennoch hat dieUS-amerikanische Musikindustrie im Jahr 2000rund $ 14 Mrd. Jahresumsatz gemacht, währendes 2015 nur noch $ 6 Mrd. waren (Kroker 2016).Serien und Filme sind in der kulturellen Nah-rungskette aufgestiegen. Aber dennoch ist laut ei-ner Umfrage der amerikanischen Authors Guilddas durchschnittliche Einkommen von Autorenund Autorinnen von $ 25.000 im Jahr 2009 aufrund $ 17.000 im Jahr 2015 um rund 30 % zurück-gegangen (The Authors Guild, 2016). Das Gleichegilt für die Lohnverhandlungen kommenderJournalisten-Generationen. Wenn man sich allei-ne diese Arbeitsmarktzahlen einer zunehmend –wie man mit Bourdieu (1998) sagen kann – flex-ploiteten Generation an Kreativen anschaut, istes kein Wunder, dass in der Kommunikations-praxis immer stärker auf hybride Formate ge-setzt wird, mit denen sich im Spannungsfeld zwi-schen Information, Unterhaltung und Persuasionein Leben finanzieren lässt.

Was folgt für die Werbeforschung?

Integration und Unterhaltungsorientierung, Per-sonalisierung und Entgrenzung, so lauten nocheinmal zusammengefasst die Leitlinien, an denensich die Werbung nach der Werbung orientiert.Was sind die Folgen dieser unterschiedlichenEntwicklungen? Was bedeutet das für die Werbe-forschung?

Als Erstes muss die Werbeforschung offen-sichtlich ihren Begriff ändern von dem, was Wer-bung ist, und was Werbung tut. Mit Blick auf das,was heute alles unternommen wird, um folgen-reiche Aufmerksamkeit zu produzieren, er-scheint der Begriff „Werbung“ reichlich anti-quiert. Werbetreibende bedienen sich inzwischeneiner Vielzahl von Maßnahmen, die über sehr un-

terschiedliche Kanäle distribuiert werden. Vordem Hintergrund dieser Kanalproliferation über-nehmen Agenturen heute immer stärker Inte-grations-Aufgaben. In der Fachdiskussion findetdies seit den frühen 1990er Jahren vor allem inder Beschäftigung mit Integrated Market Communi-cation (IMC) ihren Niederschlag. Große, interna-tional tätige Full-Service-Agenturen bieten immermehr unterschiedliche Services an, die sie dannaber in der Folge auch systematisch orchestrierenmüssen. Daher gewinnt in der Agenturpraxis derStrategie-Begriff immer stärker an Bedeutung.Agenturen und Agenturkunden haben dabei zu-weilen recht unterschiedliche Vorstellungen, werdie Steuerung des gesamten IMC-Prozesses über-nimmt. In gleicher Weise bestehen auch inner-halb einer Agentur unterschiedliche Vorstellun-gen darüber, welcher der beteiligten Kommuni-kationsexperten die Führung übernimmt. Mit derAusweitung des Leistungsspektrums von Agen-turen nimmt die Komplexität des Entscheidungs-prozesses zu, werden solche „turf battles“ wahr-scheinlicher, wird Überblickswissen immer wich-tiger und die (Selbst-)Zuschreibung von Strategie-Kompetenz für die Agenturen zu einer erfolgs-kritischen Zielgröße. Auch aus diesem Grundbetonen die meisten Agenturen inzwischen Stra-tegiebildung als eine ihrer zentralen Aufgaben:Wer die Strategie entwickelt, übernimmt die Füh-rung und versammelt die taktischen Maßnahmenunter seiner Schirmherrschaft. Die Praxis ist ausden genannten Gründen schon lange von dem zu-nehmend als eng empfundenen Begriff „Wer-bung“ abgerückt. Die Forschung sollte ihr auf die-sem Kurs folgen. Diese begrifflich-konzeptionelleHerausforderung kommt aus Sicht der kommuni-kations- und medienwissenschaftlichen Werbe-forschung freilich zu einem eher ungünstigenZeitpunkt: nämlich genau in dem Moment, indem sie beginnt, Konturen anzunehmen. Aus-gerechnet in diesem Moment muss sie sich vondem für sie zunächst einmal doch identitätsstif-tenden begrifflich-konzeptionellen Herzstückemanzipieren. Anderenfalls würde sie Gefahrlaufen, gleich zum Beginn ihrer Karriere bereitsveraltet zu sein. Zugleich muss sie jedoch ihren

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 63

Page 64: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Werbeforschung in Zeiten der Werbung nach der Werbung Zurstiege

Gegenstandsbereich sowie den Fundus ange-messener Theorien und Methoden klar benen-nen, um sich gegenüber nah und weit entferntenNachbarn erfolgreich behaupten zu können. DieEntgrenzung der Werbung stellt freilich nicht nurwissenschaftspolitische Herausforderungen andie Werbeforschung. Denn ein weiterer Begriffdessen, was Werbung alles ist, stellt auch einegroße Herausforderung für die historische Doku-mentation und Systematisierung des Materialsdar. Erschwerend kommt hinzu, dass die „alles-speichernden“ digitalen Medien in Sachen Wer-bung möglicherweise vergesslicher sind als dieklassischen Medien. In Zeitungen und Zeitschrif-ten wurde über Jahrhunderte das vemeintliche„Rauschen im Programm“ der Medien (Rühl1999:62) unweigerlich mitarchiviert. Angesichtsder kulturellen Bewertung der Werbung als zuvernachlässigenden „Nebenzweck“ im Programmder Medien ist davon auszugehen, dass Archiveder digitalen Medien dieses identifizierbare Rau-schen technologisch identifizieren und aus demGedächtnis eliminieren.

Zweitens muss eine sich kritisch verstehendeWerbeforschung ihren Adressatenkreis erwei-tern. Viele der Probleme, die unsere Bewertungerfordern, resultieren heute nicht mehr aus-schließlich aus der Tatsache, dass Kommunikati-onsstrategen Grenzen überschreiten. Viele Pro-bleme resultieren heute in einem ganz starkenMaße auch aus dem Verhalten des Publikumsselbst. Jeder Fernseher von Samsung, jede HelloBarbie, jeder Facebook-Account, jedes Google-Kontowird genutzt im Einvernehmen zwischen Indus-trie und Kunde. Alle sind bei Facebook, Google,Amazon, Dropbox, aber keiner liest die Geschäfts-bedingungen, alle klicken weiter, mit einer Mi-schung aus neun Teilen Bequemlichkeit und ei-nem Teil Systemvertrauen. In einer Zeit, in derRezipienten geradezu massenhaft die „Selbstauf-gabe ihrer Grundrechte“ (Doctorow 2011) betrei-ben, muss Werbeforschung stärker als zuvor Pu-blikumsaufklärung betreiben. Denn es häufensich die Hinweise, dass viele Rezipienten, wie Ja-mes (2014) festgestellt hat, in ethischer Hinsicht„disconnected“ digitale Medien nutzen. In der

analogen Ära galt für alle Paranoiden der folgen-de Satz: „Die Tatsache, dass ich paranoid bin, be-deutet nicht, dass ich nicht verfolgt werde!“ Diesezutreffende Feststellung wird einer Reihe von Ur-hebern zugeschrieben. Darunter Curt Cobain,Kurt Vonnegut oder – meiner Meinung nach mitder besten inhaltlichen Passung – Woody Allen.In Zeiten globaler Programme zur Überwachungund Auswertung digitaler Medien durch staatli-che Geheimdienste, in Zeiten der ubiquitärenteilnehmenden Überwachung (Poster 1990), in ei-ner Zeit, da jeder jeden googelt, buchstabiert sichdie Neurose ganz genau andersherum: „Die Tat-sache, dass ich verfolgt werde, bedeutet nicht,dass ich paranoid werden muss.“ Für das hinterdieser Feststellung stehende Verhalten hat sichder Begriff „Privacy Paradox“ etabliert. Er be-schreibt die merkwürde Beobachtung, dass sichzwar rund 90 % aller „Onliner“ um ihre Privat-sphäre Sorgen machen, aber zugleich zu dentreuesten Nutzern von Facebook, Google und Ama-zon zählen. Früher galt: Wer „enteignet Springer“ruft, liest nicht die Bild-Zeitung! Wer heute gegenFacebook, Google, Amazon und Apple wettert, kanndurchaus deren Stammkunde sein, ohne in Wi-derspruch zu seiner Position zu geraten.

Dies leitet über zu der dritten und letztenSchlussfolgerung. In gewisser Hinsicht hat unsdie Bequemlichkeit und die Faszinationskraft derdigitalen Medien, haben uns die polierten Ober-flächen von Smartphones, Tablets und Laptopsmit Apfel-Logo zu ironischen Betrachtern unse-rer Selbst gemacht. Nach dem gleichen Musterwie Chouliaraki (2013) es für aktuelle Formen derSolidarität mit Notleidenden gezeigt hat, heißtdas: Viele Mediennutzer leben heute in einer Artironischen Distanz zu ihrer enthusiastischenKritik an den Machenschaften der „bösen“ Kon-zerne der digitalen Wirtschaft. In einer Gesell-schaft, in der aber die ironische Distanz zum Ge-genstand der Kritik das dominante Merkmal derKritik ist, kann die wissenschaftliche Reflexions-instanz dieser Praxis nicht mehr auf Ironie alsDistinktionsmerkmal setzen. Dort, wo sich dasMedienpublikum zwar rhetorisch erhitzt, in sei-nen Handlungen aber an chronischer Unterküh-

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 64

Page 65: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Werbeforschung in Zeiten der Werbung nach der Werbung Zurstiege

lung leidet, muss sich nicht auch noch dieMedien- und Kommunikationswissenschaft zu-rückziehen und im Modus der kalten FaszinationDistanz wahren – sie darf es nicht, sondern, siemuss heiß laufen. Sie muss stärker als in vor-angegangenen Zeiten euphorisch Position bezie-hen, bewerten, sich einmischen – auch, wenn esihr schwerfällt. Hier muss eine kritische Werbe-forschung als wahrnehmbare Stimme im öffentli-chen Diskurs in Aktion treten. Für den Regensbur-ger Verbund für Werbeforschung (RVW), damitmöchte ich schließen, gibt es also aller Voraus-sicht nach auch in den kommenden 10 Jahren undweit darüber hinaus viel zu tun.

Literatur

Anderson, Chris (2009). Free: the future of a radical price. New York: Hyperion.

Bachtin, Michail (2003). Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. 3. Auflage. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Baerns, Barbara (Hg.) (2004). Leitbilder von gestern? Zur Trennung von Werbung und Programm. Wiesbanden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Bourdieu, Pierre (1998). Gegenfeuer. Wortmeldungen im Diens-te des Widerstands gegen die neoliberale Invasion. Konstanz: UVK.

Bücher, Karl (1917). Die wirtschaftliche Reklame. In: Zeit-schrift für die gesamte Staatswissenschaft, 73. S. 461–483.

Chouliaraki, Lilie (2013). The ironic spectator: solidarity in the age of post-humanitarianism. Cambridge, UK/Malden, MA: Polity Press.

Doctorow, Cory (2011). Little Brother. Reinbek: rororo.

James, Carrie (2014). Disconnected: youth, new media, and the ethics gap. Cambridge, MA: MIT Press.

Kroker, Michael (2016). Totale Disruption: So stark hat die digi-tale Transformation die Musikindustrie getroffen. URL: http://blog.wiwo.de/look-at-it/2016/01/07/totale-disruption-so-stark-hat-die-digitale-transformation-die-musikindustrie-getroffen/ – Zugriff: 10.5.2016.

Lindenberg, Udo (2016). Stärker als die Zeit [CD]. New York: Warner Music.

Poster, Mark (1990). The mode of information: poststructura-lism and social context. Chicago: University of Chicago Press.

Rühl, Manfred (1999). Publizieren und Publizistik - kommuni-kationswissenschaftlich beobachtet. In: Publizistik, 44(1). S. 58–74.

Schmidt, Siegfried J. (2004). Die Werbung ist vom Anfang an am Ende. In: Kemmler, Sebastian et al (Hg.). Die De-pression der Werbung: Gespräche von der Couch. Göttingen: BusinessVillage. S. 53–77.

Siegert, Gabriele & Brecheis, Dieter (2010). Werbung in der Medien- und Informationsgesellschaft. Eine kommunikations-wissenschaftliche Einführung. 2. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Stuckrad-Barre, Benjamin v. (2016). Panikherz. Köln: Kie-penheuer & Witsch.

The Authors Guild (2016). An open letter to members of the As-sociaton of American Publishers from the Authors Guild, members of the Authors Coalition, and members of the Inter-national Authors Forum. URL: https://www.authors -guild.org/wp-content/uploads/2016/01/AAP-Open-Letter_Final-UPDATED-With-Logos1.pdf – Zugriff: 10.5.2016.

Turow, Joseph (2006). Niche envy: marketing discrimination in the digital age. Cambridge, MA: MIT Press.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 65

Page 66: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Geschichte des RVW – Dokumentation einer Ausstellung12. Juli – 12. September 2016

Im Foyer der UB Regensburg

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 66

Page 67: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Geschichte des RVW – Dokumentation einer Ausstellung

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 67

Page 68: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Geschichte des RVW – Dokumentation einer Ausstellung

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 68

Page 69: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Geschichte des RVW – Dokumentation einer Ausstellung

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 69

Page 70: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Geschichte des RVW – Dokumentation einer Ausstellung

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 70

Page 71: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Geschichte des RVW – Dokumentation einer Ausstellung

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 71

Page 72: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Geschichte des RVW – Dokumentation einer Ausstellung

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 72

Page 73: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Geschichte des RVW – Dokumentation einer Ausstellung

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 73

Page 74: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Notizen

Rückblicke

Tagung: „Wahlkampf ist Wortkampf: Präsidentschaftswahlkampagnen aus sprachwissenschaftlicher Sicht“

11.–12. Oktober 2016, Universität Kassel(Organisation: Sandra Issel-Dombert & AlineWilders-Lohéac, Institut für Romanistik)

Schwerpunkt der interdisziplinären Tagung wardie persuasive Kraft, die nicht nur Präsident-schaftskandidaten in ihren Reden, sondern denunterschiedlichen, im Wahlkampf eingesetztenMedien zukommt. Im Fokus standen Fragen nachThemen des politischen Diskurses, den einge-setzten sprachlichen Mitteln oder auch etwaigenUnterschieden von Wahlkampfstrategien im in-ternationalen Vergleich und damit ihre jeweiligenationale Rückbindung, die natürlich auch durchdie dominierenden politischen Themen bestimmtist. Gleichzeitig wird über Wahlwerbung ein Bildder Gesellschaft wie der politischen Kultur einesLandes vermittelt. Die Vorträge behandelten zumeinen politische Kommunikation unter demBlickwinkel diskurslinguistischer Theorien (z. B.Franz Lebsanft, Eröffnungsvortrag „Sprache undPolitik“; Judith Visser: „Twitter im Wahlkampfvon Marine Le Pen: Politolinguistische Analyseeines populistischen Diskurses“), zum anderenwurden Strategien aus dem Bereich der Wirt-schaftswerbung vergleichend herangezogen (Sa-bine Heinemann: „Der Cavaliere zwischen Medi-en und Politik“). Dabei wurden die unterschiedli-chen Ebenen der Kommunikation berücksichtigt,etwa Plakat- oder Fernsehwerbung (s. hier mitBetonung des Text-Bild-Bezugs, z. B. SybilleGrosse & Verena Weiland: „Slogans französischerPräsidentschaftskandidaten auf Wahlplakatenund deren Umsetzung in politischen Reden“), TV-Duelle wurden ebenso analysiert wie die Auftritteder Parteien und ihrer Kandidaten in den sozia-

len Netzwerken (Nadine Rentel (Zwickau): „ ‚Sar-kozy sort aussi son livre torche-cul présidentiel!‘.Entwürfe alternativer, digitaler Öffentlichkeitenim Kontext des französischen Präsidentschafts-wahlkampfs 2017“). Im Mittelpunkt standenWahlkampfstrategien in Frankreich (Sarkozy, LePen; Thea Göhring: „Die diskursive KonstruktionEuropas durch den Front National“; Sandra Issel-Dombert & Aline Wieders-Lohéac: „Au nom dupeuple – La campagne électorale de Marine LePen pour les Présidentielles 2017“), auch etwaunter Berücksichtigung ihrer Bearbeitung inComedy- und Unterhaltungssendungen (MarcBlancher: „Präsidentschaftswahlkampagnen inFrankreich: Wenn die Wortwahl der Kandidatin-nen und Kandidaten zum Objekt von Sketchenwird“), weiter in den USA (Obama; Trump vs.Clinton, vgl. Patricia Yazigi: „Der US-amerikani-sche Präsidentschaftswahlkampf 2012 auf Twit-ter. Eine korpusgestützte Untersuchung zu Face-work in politischer Kommunikation“; Chris-topher Forlini: „Make America Great Again“),Deutschland, Italien (Berlusconi) oder auch Ko-lumbien (Dinah Leschzyk: „Politische Online-Kommunikation im kolumbianischen Präsident-schaftswahlkampf 2010“). Stärker auf dersprachlichen Ebene verortet waren Beiträge zuTopikalisierungsprozessen (Merkel vs. Stein-brück, Annamária Fábián: „Dislocation als Mittelder Persuasion im deutschen Bundestagswahl-kampf – ein diskursgrammatischer Ansatz“), me-tasprachlichen Elementen (zu spanischen Wahl-kämpfen, Uta Helfrich & Paula Bouzas: „Meta-sprachliches im politischen Diskurs“) oder auchzur Nutzung von Somatismen und sensomoto-risch basierten Verben im politischen Diskurs(Liane Ströbel: „Die Rolle von Somatismen & sen-somotorisch basierten Verben als Simulations-und Imitationsstrategie im politischen Wahl-kampf“).

Sabine Heinemann

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 74

Page 75: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Notizen

VdK-Interview mit Sandra Reimann anlässlich des Jubiläums „60 Jahre Fernsehwerbung“

20. Oktober 2016

Am 3. November 1956 war Premiere im ErstenDeutschen Fernsehen: Der allererste Werbespotlief über die Mattscheibe. Der 55 Sekunden langeFilm spielt in einem bayerischen Wirtshaus.

In 60 Jahren gab es einen enormen Wandel.War es zunächst schwierig, Spots zu buchen, daes nur einen und dann lange Zeit nur zwei Sendermit kurzen Werbefenstern gab, so können dieFirmen dank des Privatfernsehens, das in den1980er Jahren entstand, inzwischen rund um dieUhr werben. Die Art der Spots änderte sich eben-falls, wie Privatdozentin Dr. Sandra Reimann,Sprecherin des Regensburger Verbunds für Wer-beforschung, erläutert: „Früher wurden tendenzi-ell mehr Geschichten erzählt. Es gab auch Serienmit bekannten Schauspielern. Heute zählt vor al-lem Emotionalisierung und ein perfektes Zu-sammenspiel von Bildern, Sprache, Musik undGeräuschen.“ (gekürzter Artikel)

Sebastian Heise

In voller Länger unter: http://www.vdk.de/bay -ern/pages/presse/vdk-zeitung/72049/mit_mahl -zeit_fing_alles_an#galerie/image/0

Das ausführliche Interview mit PD Dr. SandraReimann können Sie hier lesen:http://www.vdk.de/bayern/pages/presse/vdk-zeitung/72051/mit_stars_und_tollen_worten_fuer_aufmerksamkeit_sorgen#galerie/image/0

Tagung: „Kommunikation und Technik“

27.–29. Oktober 2016, TU Dresden

Die 16. interdisziplinäre Tagung des Forschungs-netzwerkes „Europäische Kulturen in der Wirt-schaftskommunikation“ (http://www.wirtschafts -kommunikation.net/) fand vom 27.-29. Oktober2016 an der TU Dresden statt. Das Thema in die-sem Jahr lautete „Kommunikation und Technik“und war – bewusst – weiter gefasst als die bisheri-gen Tagungen dieser europäischen Forschungs-

kooperation, in denen vorrangig Werbe- und Un-ternehmenskommunikation im Mittelpunktstanden. Neben wissenschaftlichen Beiträgenwerden stets solche aus der „Praxis“ hinzugezo-gen, um das jeweilige Thema möglichst umfas-send zu beleuchten. Veranstalter in diesem Jahrwar Prof. Florian Siems (Betriebswirtschaftsleh-re/Marketing). Die Tracks des diesjährigen Sym-posiums lauteten: „Kommunikation mit Technik“,„Kommunikation und Technik“, „Kommunikationüber Technik“, „Kommunikation Industrie 4.0“sowie „Kommunikation in den Branchen Energie,Automobil, Brauereien und Museen“. Sandra Rei-mann hielt einen Vortrag zum Thema „31.000Bürstenkopfbewegungen – Sprach- und medien-wissenschaftliche Analysen zur Verpackung tech-nischer Produkte (am Beispiel einer Schallzahn-bürste)“. Die Beiträge werden in einem Tagungs-band publiziert.

Radiobeitrag zum RAW auf Bayern 2

30. Oktober 2016

Am 30. Oktober 2016 wurde in der Sendereihe„Bayern – Land und Leute“ des Bayerischen Rund-funks (BR) ein Beitrag zum Regensburger Archiv fürWerbeforschung (RAW) ausgestrahlt.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 75

Abbildung 1: Die Ankündigung der Sendung auf den Webseiten desBayerischen Rundfunks (Screenshot). Quelle: BR.

Page 76: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Notizen

In der fast halbstündigen Sendung mit dem Titel„Und weiter nach der Werbung“, die als Aufhän-ger das Jubiläum „60 Jahre Fernsehwerbung“nahm, wurde ausführlich über Entstehungsge-schichte und Inhalt der Regensburger Werbe-sammlung berichtet. Zwischen informativenTextpassagen gab es dabei auch zahlreiche Bei-spielspots aus dem Archiv zu hören.

Die Sendung steht als Podcast auf den BR-Web-seiten noch für einige Wochen zum Download be-reit: http://www.br.de/radio/bayern2/ programm -kalender/ausstrahlung-838918.html

Gabriele Gerber & Ursula Grundl

Ankündigungen

5.–6.Dezember 2016; Montag–Dienstag

Internationaler wissenschaftlicher Workshop „Sprachliche Vermittlung wirtschaftlichen Wissens – am Beispiel des Deutschen“, Eötvös-Loránd-Universität Budapest

„Durch Sprache kann Wirtschaftswissen auchden Laien näher gebracht werden, vgl. Wissens-transfer in den Medien. In diesem Zusammen-hang sind nicht nur die Quantität und die Quali-tät der vermittelten Informationen von Belang,die der Durchschnittsbürger über die für ihn rele-vanten wirtschaftlichen Ereignisse, Sachverhaltebeim Zeitunglesen/Radiohören/Fernsehen oderim Internet erhält. Eine äußerst wichtige Rollespielt dabei die sprachliche Formulierung, da z. B.die Wortwahl/der Wortgebrauch verschiedenePerspektiven, Bewertungs- und Denkmuster ver-mitteln kann, die wiederum die Konzeptualisie-rung beeinflussen (z. B. Was bedeutet „Nachhal-tigkeit“ in der Wirtschaft, beim Umweltschutzund in anderen Bereichen?) und zur Meinungs-bildung von Laien beitragen.

Aus linguistischer Perspektive ist die Untersu-chung typischer Sprachgebrauchsmuster rele-

vant, da diese die vermittelten institutionalisier-ten Denkweisen, die wirklichkeitskonstituieren-de Praxis der Sprache (z. B. in den Medien) wider-spiegeln. In diesem Sinne wird in den Medien oftauch darüber diskutiert, welches Wort oder wel-cher Ausdruck einen bestimmten Begriff derWirtschaft angemessen benennen kann, bzw. wievorhandene Begriffe gedeutet werden sollen (vgl.Begriffe besetzen, semantischer Kampf)“ (Aus-schnitt aus dem Ankündigungstext zum Work-shop).

Im Programm finden sich Vorträge aus Wissen-schaft und Unternehmenspraxis. Sandra Rei-mann wird über das Thema „Wie funktioniertWerbekommunikation? Einblicke in Strategien,mediale Besonderheiten, Zeit- und Zielgruppen-spezifika der Wirtschaftswerbung“ sprechen.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 76

Abbildung 2: Programm des Workshops. Quelle: Lehrstuhl für germanistische Sprachwissenschaft am Germanistischen Institut der Eötvös-Loránd-Universität.

Page 77: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Notizen

25. April – 25. Juli 2017;dienstags 18–20 Uhr

Ringvorlesung SS 2017: Out of line – Zur Theorie und Geschichte ungewöhnlicher Werbemittel, Presseclub Regensburg

Dass Werbung uns auf Schritt und Tritt durch un-ser Leben begleitet, ja uns im „elektronischenZeitalter“ nachgerade verfolgt, ist kaum noch alsNeuigkeit zu bezeichnen – kein Spaziergang ohneReklameplakat, keine Fernsehserie ohne Werbe-unterbrechung und keine Google-Suche ohneAnzeige.

Gleichzeitig wird immer unabweisbarer, dassdie „klassische“ Werbung, wie sie sich von der Lit-faßsäule bis zum TV-Spot entfaltet hat, in die Kri-se geraten ist, wo nicht ihrem Ende entgegen-sieht. Immer häufiger trifft man auf Werbeflä-chen, die – à la „Hier könnte Ihre Werbungstehen“ – für nichts anderes als sich selber Wer-bung machen. So scheint sich, was man die "Epo-che der Werbung" nennen könnte, auf ihreSchließung zuzubewegen. Die Kunst der Wer-bung ist dabei, nach der Seite ihrer höchsten Be-stimmung ein Vergangenes zu werden.

Vor diesem Hintergrund – das heißt: um denaktuell zu beobachtenden Wandel weniger imSinne der Ursachenforschung als vielmehr an-gereicherter Perspektivierung zu begreifen –möchte sich die geplante lecture series in dreier-lei Hinsicht ungewöhnlichen Werbeformen zu-wenden. Gemeint sind 1. Formen der Werbung,die vormals bereits ‚ein Vergangenes‘ gewordensind; 2. Werbeauftritte, die im ersten Momentüberraschen, weil man sie vielleicht an dieserStelle oder eben in dieser Form nicht erwartethätte oder bisher einfach weniger beachtet hat; 3.aktuell sich herausbildende Machenschaften derProduktinformation, die aufgrund ihrer Neuheitnoch kaum untersucht wurden. Beispiele könntenalso Werbeschallplatten ebenso sein wie etwa diePostkarte oder Sportbekleidung oder selbstre-dend auch jüngere Fernsehproduktionen wie TV-Formate wie Germany‘s Next Topmodel und Sex andthe City oder Webserien wie Inside.

Mit Vorträgen vertretene Fächer sind Medien-und Kommunikationswissenschaft, (deutsche so-wie italienische und französische) Sprachwissen-schaft, Psychologie, Soziologie, Kulturwissen-schaft, Kunstgeschichte, Geschichtswissenschaft,Literaturwissenschaft, Werbepraxis. FolgendeWerbemittel bzw. Ausprägungen von Werbungwerden Thema sein: Die Werbeschallplatte, Vari-anten von Werbung im Zusammenhang mit Lite-ratur, die Postkarte, Sammelbilder und Reklame-marken, Sky-Writing und andere Luftwerbung,Graffiti, Tattoos, der Körper des Sportlers alsWerbefläche, Streuartikel, die italienische Werbe-sendung Carosello, die Postwurfsendung, Kunstim Schaufenster und Neueste Wege der Werbung.

Ab 2017

Erweiterung der Schallplattensammlungdes RAW

Rund 1000 Werbesingles, Flexis und tönendeBildpostkarten wird der Schallplattenhändler Jo-chen Lifka (Nürnberg/Regensburg) der Universi-tätsbibliothek Regensburg demnächst zur Digita-lisierung überlassen. Darunter finden sich Plattenzu bekannten Marken wie Lurchis Abenteuer,Grundig und Siemens sowie Beispiele aus der DDR.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 77

Abbildung 3: Werbeschallplatten „Lurchis Abenteuer“. Quelle: Jochen Lifka.

Page 78: Jubiläumsausgabe 10 Jahre RVW - Publikationsserver der ...

Notizen

Die Lifka-Sammlung wird somit einen wertvollenBeitrag zur Erweiterung des im RAW vorhande-nen Bestands an Werbeschallplatten (Spremberg-Sammlung: 500 Schallplatten, Schulze-Samm-lung: 700 Schallplatten) leisten.

Öffentlich zugänglich und recherchierbar ist bis-her die Schallplattensammlung von ChristianSpremberg: http://raw.uni-regensburg.de/ sprem -berg.php (vgl. auch den Blog von Solveig Ott-mann am Lehrstuhl für Medienwissenschaftder Universität Regensburg https://sprembergs -werbe schall platten.wordpress.com/).

Publikationen

Heiligenverehrung und Namengebung

Reimann, Sandra (2016). „Sankt Martin“ und„Sankt Mokka“. Echte und unechte Heiligenna-men als Markennamen. In: Dräger, Kathrin; Fahl-busch, Fabian & Nübling, Damaris (Hg.). Heiligen-verehrung und Namengebung. Berlin/Boston: DeGruyter, S. 271–291.

Politik – Medien – Sprache

Reimann, Sandra (2016). „Strenger Geschmackhat bei uns keine Freunde“. Griechenland in derdeutschen Werbung. In: Kaczmarek, Dorota (Hg.).Politik – Medien – Sprache. Deutsche und polnische Rea-lien aus linguistischer Sicht. ód : Universitätsverlag.Ł źS. 29–40.

Mitteilungen des RVW 4/2016 Seite 78