7/24/2019 Joachim von Fiore und die Krise desMittelalters
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SONDERDRUCK US
~ t o t t ~ t f c b t r b t u b t n k t t
EIN ZYKLUS
T INGER V O R L S U ~ G N
Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins
Tbingen und Stuttgart
MONUMENT GERM NI E
HISTORI C
Bibliothek
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Von Augustin bis zum
hohen
Mittelalter ist ein weiter Weg. Er fhrt
aus
der
christlichen Sptantike ber die Vlkerwanderung, sieht als
ihr Ergebnis den Untergang des westrmischen Reiches, die allmh
liche Entstehung
der
romanisch-germanischen Vlker, die germani
schen Staatsgrndungen mit ihren Landeskirchen, mit einem Wort:
das Abendland. Aus diesen strmischen Jahrhunderten ist uns kaum
geschic:P,tliches Denken und geschichtliche Reflexion berliefert.
Auch
nach dem germanisch-rmischen Imperium Karls des Groen
sind
es
nur
gelegentliche Anstze, von denen wir
Kunde
haben.
Erst
die groe Reform des
n Jahrhunderts
bringt in ihrer geistigen Aus
wirkung das eigentliche Mittelalter hervor: das sogenannte Hohe
Mittelalter mit dem tragenden Grundgedanken des Ordo,
~ r
rech
ten
Ordnung in
Welt
und
Kirche. Das Geschichtsdenken dieses Mit
telalters fehlt hier in der Ringvorlesung;
es
wre ein vermessener
Gedanke, den weiten geistigen Raum etwa einleitungsweise um
schreiten zu wollen.
Nur
ein paar Bemerkungen seien beim ber
gang zum spten Mittelalter
zum
Verstndnis des groen Sprunges
vorausgeschickt.
Wenn ie Forschung auch neuerdings von divergierenden Krften
im Geschichtsbild des lz.Jahrhunderts zu berichten wei, so ist doch
die herkmmlich e christlich-universale Betrachtungsweise noch all
gemeine Voraussetzung. Eine Geschichtsanschauung, die dem ge
schichtlichen Ablauf selbst entnommen oder aus der Reflexion ber
das Geschehen stammte, also in irgendeinem Sinne empirisch wre,
gibt es nicht. Alle Geschichtsbetrachtung ist durch ie Inhalte der
Offenbarung und Tradition bedingt und daher wohl als philoso
phisch-konstruktiv zu bezeichnen. Im Verlauf des Geschehens wird
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KARL AUGUST
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nur das wiedergefunden was nach der christlichen Geschichtsauf
fassung vorhanden sein mu. Grundstzlich
ist
die Weltgeschichte
mit Christus eigentlich schon abgeschlossen; man steht am
Ende
des
irdischen Geschiehtsahlaufes
und
das Gottesreich die Parousie ist
nahe Zukunft. Zahlreich sind von ~ n Anfngen an die Versuche
trotz des Herrenwortes vom Nichtwissen
von
Tag und Stunde dieses
bevorstehende Ende
zu
bestimmen und zu berechnen. So ist bei die
ser endzeitliehen Denkweise die Frage nach dem Ende nie ver
stummt wenn auch
in
verschiedener Strke gestellt worden da all
mhlich weitere Kreise sich an die Dauerhaftigkeit dieser vergehen
den Welt Zll gewhnen pflegten. Nachdem seit dem sechsten nach
christlichen Jahrhundert die Zeitrechnung praktisch auf die Zeiten
wende umgerechnet wurde ist die nachchristliche Zeit die letzte
Weltzeit als das sechste Weltzeitalter bezeichnet wenn man wie fast
allgemein blich das Sechstagewerk zugrunde legte. Nur ber die
Einteilung der
Zeit
vor
Christus konnte man verschiedener Ansicht
sein. Politisch formuliert heit das also da das Imperium Roma
num das rmische Weltreich das letzte Reich hinieden ist; das r
misch-christliche Reich: denn Christus war ja unter Augustlils gebo
ren und damit irgendwie Rmer geworden und umgekehrt wurde
dieses rmische Reich dann christlich. Dante hat mit seinem be
rhmten Worte: Quella Roma onde Cristo eRarnano > in eindrck
licher Weise einen Gedanken gefat der
bis
heute
in
der
christlich
rmisch-kurialen Reichsdeutung von groer Lebendigkeit und von
groem Nachhall geblieben ist So lassen sich auch aus dem Bedrf
nis nach Kontinuitt trotz uerlich anscheinend verschiedener
Ent-
wicklungsformen die Theorien ber die translatio imperii verstehen;
denn das rmische Reich ist eben das letzte vor dem Ende. Im Ge
schichtsdenken des Mittelalters beginnen die Differenzierungen schon
im
12
Jahrhundert;
die eigentliche Krise aber ist verbunden mit
dem Namen des Joachim von Fiore dem deutsche und italienische
Forscher seit zwei Jahrzehnten ihre besondere Aufmerksamkeit ge
schenkt und damit diese eindrucksvolle Gestalt zu neuem Leben
erweckt haben.
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JOACHIM VON FlORE
Joachim von Fiore (de Flore)
ist
gegen die Mitte des xz.Jahrhun
derts
in
Celico in der Nhe von Cosenza
in
Kalabrien geboren,
in
einer auch heute noch verlassenen und beinahe unbekan11ten Gegend
des schnen Italien. Damals war die groe Einsamkeit der fast unzu
gnglichen Hochebenen
mit
ihren reichen Pinien-
und
Kastanien
wldern
nur
da und
dort von
klsterlichen Siedlungen unterbrochen.
Der
Landstrich
von
wilder Schnheit,
der
viele Jahrhunderte unter
dem Einflu der griechis-chen Kultur
und
der byzantinischen Kirche
gestanden, dessen .Ksten oft von den Sarazenen heimgesucht, sah
im xz.Jahrhundert den vollen Ausbau
der
stolzen normannischen
Herrschaft. Die Probleme der Kultur:msammenhnge sind in neue
ster Zeit durch die grndlichen Forschungen des hochverdienten
Historikers
und
Kunsthistorikers Paolo Orsi untersucht
und
be
leuchtet worden. Waren noch bis ins u Jahrhundert die auch kunst
g ~ s h i h t l i h
so bedeutsamen Klster
der
Basilianermnche herr
schend, so setzte sehr bald, noch seit der Mitte dieses n Jahrhun-
derts, die Rckfhrung der kirchlichen Organisation zur lateinischen
Kirche ein als Folge
der
groen Reform der rmischen Kirche und
Kurie seit den deutschen Ppsten, ein Proze, der m wesentlichen
m xz Jahrhundert
zum
Abschlu gekommen ist fr den ganzen
Sden Italiens war diese Relatinisierung von groer Bedeutung und
von
erheblichen Folgen. Sicher verbrgte Kenntnis ber die Her
kunft
Joachims haben
wir
nicht. Man
hat
ihm normannisches Blut
nachgesagt, man hat seine merkwrdige Geistigkeit
mit
abendlndi
schen Faktoren allein nicht meinen erklren zu knnen, sondern
die
Hilfe zu den uralten Quellgrnden griechischer Kirchenweisheit ge
nommen. Das alles sind Vermutungen und Deutungen, die aus den
berlieferten Quellen
nicht
in jeder Hinsicht belegt werden knnen.
Im Dunkelliegt so auch die Geschichte seiner Jugendjahre. Reisen
in
den Orient, nach Byzanz und dem hl. Lande hat
er
wahrschein
lich unternommen, bevor er
in
den neuen Orden der Zisterzienser
in
der Abtei
von Sambudna
eintrat;
von
dem berwltigenden Sieges
zug unter Bernhard
von
Clairvaux legen die Ruinen zisterziensi
scher
Grndungen m
entlegenen Kalabrien noch heute ein beredtes
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KARL AUG
UST
FINK
Zeugnis ab. In jungen Jahren wurde er Abt des Zisterzienserklosters
in
Corazzo, trennte sich dann bald
vom
Orden und grndete nach
kurzem Eremitenleben in Floris eine eigene Abtei
und
Genossen
schaft, die auch die ppstliche Besttigung erhielt und von der stau
fisch-normannischen Herrschaft wohlwollend gefrdert wurde. War
J oachim als Mnchsvater
und
asketische Persnlichkeit - eine
von
den vielen des
1
z. Jahrhunderts - zu seinen Lebzeiten zwar nicht
unbekannt, so beruht seine geschichtliche Bedeutung doch
auf
ande
ren Qualitten: in seiner
von
Ppsten angeregten
und
gebilligten
Schrifterklrung, die
ihn
aber erst nach seinem Tode
zu
einer der
am
meisten umstrittenen Gestalten des
hohen und
spten Mittelalters ge
macht hat. Die
Neuheit seiner Anstze und das Revolutionre seiner
Gedankengnge sind
ihm
selbst
wohl nicht immer
ganz klar gewor
den. Seine nicht mehr vollstndig erhaltenen uerungen zur Trini
ttslehre hat schon das IV Laterankonzil verworfen, und Thomas
vonAquin
SeinenAnschauungen ber die
Trinitt
die schulgerechte
Widerlegung der scholastischen Wissenschaft entgegengestellt. Eine
ppstliche Kommission hat
in
Anagni
um
die Mitte des
I; Jahrhun-
rlerts, also etwa
50
Jahre nach seinem Tode, sich mit seinen Schriften
grndlich befat aus einem Anla, den
wir
noch kennenlernen wer
den,
und
einiges zurckgewiesen. War er so immerhin nach seinem
Tode verdchtigt
und
berprft, andererseits in seinem
Orden
als
beatus Joachim, spiritu dotatus prophetico, decoratus intelligentia
errore
procul
haeretico, dixit futura
ut
praesentia gefeiert, so sind
weder
das e :i.ne noch das andere zutreffende Kategorien fr diesen
Mann der prophetischen Schau und theologischen Geschichtsdeu
tung.
it
der eigentlichen Aufgabe des Theologen und Geistesmannes,
nmlich mit der Erklrung und Deutung der hl. Schrift hat er sich in
lebenslanger Bemhung
und
~ e d i t t i o n
beschftigt.
Ihr
sind seine
Hauptwerke gewidmet: Concordia Novi
et
Veteris Testamenti,
E:x:-
positio
in
Apocalypsim, Psalterium decem cordarum, Tractatus super
quatuor
evangelia.
In
diesen Schriften finden wir zunchst Stil und
Formen der
mittelalterlichen Schrifterlqrung. Wem mittelalterliches
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JO CHIMVON
FlORE
Denken
und theologisches Spekulieren nicht gelufig sind, wer sich
nicht hineinzustellen vermag in die geistige Welt des mittelalterlichen
Menschen und Theologen, dem erscheinen die exegetischen Werke
des
Sehers aus Kalabrien l) gar nicht interessant, sondern eher lang
weilig,
von
ermdender Breite und angefllt mit abstrusen Einzel
heiten und willkrlichen Zahlenspielereien. Die Studien ber
Jo-
achim
von
Floris
von
Grundmann haben in scharfsinniger Analyse
die Kenntnis
und
die Vertrautheit des Abtes mit der mehr als tau
sendjhrigen hermeneutischen Tradition der christlichen Wissen
schaft aufgezeigt. Alle gelufigen Formen der patristischen und
mittelalterlichen Schrifterklrung, die allegorische, tropologische,
typologische sind bei
ihm
vertreten, sind von ihm souvern ange
wandt, ausgestaltet und umgeformt, ihre Anwendung selbst hat
er
in
subtiler Weise beschriebeq. Sehr bezeichnend beschrnkt sich
J oachim fast ausschlielich
auf
die geschichtlichen Bii_cher der hl. :7 r fe.. .'
Schrift: Historie
in
seinem Sinne der Heilsgeschichte ist ja sein ur-
eigenstes Anliegen. Wenn man verstanden hat, da er aber ber das
Mittelalter weit hinausgreifend den Entwicklungsgedanken in seine
Geschichtstheologie einfhrt, dann wird das ganze System der Zu
sammenhnge
und der
Entsprechungen geschichtlicher Epochen
klar, oder besser: aus dem scheinbar zgellosen Symbolismus
von
grter
Virtuositt, aus
der
endlosen Hufung geschichtstrchtiger
Vorbilder des einen status fr den folgenden.
und ihn
ablsenden, aus
der
Konstruktion phantastischer Beziehungen, die geradezu Orgien
feiert, aus der Flle immer
neuer
Bilder,
an
denen
er
sich berauscht:
aus diesem scheinbar so wirren Durcheinander erhebt sich wirklich
ein System neuer Geschichtsdeutung.
Wie viele Geschichtsdeuter des Mittelalters beschftigt sich auch J o
achim mit der Endzeiterwartung, ohne da man
ihn
deshalb, wie
fters
und
auch neuerdings npch geschehen, einen Chiliasten nennen
darf. n dem Pflogsterlebnis unbekannten Jahres whrend eines
lngeren Aufenthaltes
in
der Zisterzienserabtei von Casamari in der
Campagna wird sein langes Bemhen durch pltzliche Erleuchtung
gelohnt,
und
so der Anla
und
die Einsicht
fr
das Psalterium de-
IOI
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KARL AUGUST FINK
cem cordarum gegeben. Solche wundersam erscheinenden Vorgnge
sind
als
Frucht instndiger Meditation
in
der Geschichte des Geistes
lebens wohl bekannt. Der Vorgang wiederholt sich whrend einer
Osternacht und f iihrt zum jahrelang gesuchten Verstndnis einer
Stelle der Apokalypse und
zur
Zusammenschau der hl. Schrift.
Er
selbst
hat
es uns also beschrieben: Inmitten der nchtlichen Stille,
wohl
zur Stunde,
da
unser Lwe aus dem Stamme
Juda
auferstanden
ist, empfing ich nach kurzem Meditieren Erleuchtung, die
mit
strah
lender Helligkeit die Augen des Geistes ffnete, ber die ganze Flle
der Weisheit dieses Buches
und
ber den ganzen Zusammenhang des
Alten und des Neuen Testamentes (Expositio
in
Apoc. fol. 39 c).
, Jetzt hat
er
die so lange gesuchte Concordia oder Konkordanz zwi
schen den Epochen der Heilsgeschichte gefunden: eine neuartige
Deutung von groer Konsequenz fr ihn und sein System und
von
noch greren Folgen fr die Geschichtsdeutung des spten Mittel
alters.
Er
geht
aus
von
der
Trinitt.
Den
drei gttlichen Personen:
Vater, Sohn und Hl. Geist entsprechen drei Zeitalter: Altes Testa
ment, Noues Testament und das Zeitalter des hl. Geistes oder des
Geistes ganz allgemein.
Der
Heilsplan wiederholt sich also in hn
lichen und
deshalb voraussehbaren Zyklen, die zueinander
in
viel
seitiger Parallelitt stehen, aber so, da die fortschreitende Entwick
lung
gleichsam spiralenf.rmig
in
die
Hhe
fhrt, der eine status
Vorbild ist, der folgende Erfllung. F r diese
in
aller Krze formu
lierte Theorie geben seine Schriften
in
oft ermdender Breite
und
scheinbar endloser Wiederholung Stellen, Belege und Vergleiche:
Auf
d rei Weltordnungen - status weisen uns die Geheimnisse der
hl. Schrift: auf die erste,
in
der wir unter dem Gesetz waren,
auf
die
zweite,
in der
wir unter der Gnade sind, auf die dritte, welche wir
schon aus de r Nhe erwarten,
in
der wir unter einer reicheren Gnade
sein werden, weil Gott, wie J ohannes sagt, uns Gnade fr Gnade
gab, nmlich den Glauben fr die Liebe und beide gleicherweise.
Der
erste status also steht in der Wissenschaft, der zweite in der teil
weise vollendeten Weisheit, der dritte in der Flle der Erkenntnis.
Der
erste in der Knechtschaft der Sklaven, der zweite in der Knecht-
IOZ
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K RL
UGUST FINK
ihre Normen, ihr Recht, i r ~ Institutionen. Das
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JOACHIM
VON FlORE
Hierarchie des Klerus
und
der Prlaten; an deren Stelle treten
im
dritten status die
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KARL AUGUST FINK
eines reinen Toren, in weiten Kreisen zu seinen Lebzeiten und
auch
in
den Jahrzehnten nach seinem Tode kaum bekannt; und
von
denen, die davon erfuhren, in seinem tiefen Gehalte und seiner gro
en Gefhrlichkeit kaum erfat.
Das Wort Nietzsches
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JOACHIM VON FlORE
jetzt von
dem
Franziskaner Gerhard von
Borge
San Donnino
in
die
1 Wttklichkeit umgesetzt: nichts anderes als die drei Hauptschriften
J oachims selbst sind nachihm das evangelium aeternum ;
mit
einem
liber introductorius versehen wird es von der Kommission
von
Anagni verurteilt und ist bald verschollen. Es ist
die
felsenfeste ber
zeugung dieser ekstatischen Gruppe: das
Ende
des zweiten Weltzeit
alters ist gekommen der Anbruch des dritten status steht unmittel
bar
bevor
in den Jahren zwischen 1150 und u6o ganz so wie Jo-
achim es vorausgeschaut und vorherverkndet. Alle Zeichen spre
chen dafr: der ordo iustorum des hl. Pranz die
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KARL
AUGUST FINK
die Kardinle den ppstlichen Stuhl bestieg, wollte man in ihm den
vorhergesagten Hirten des dritten status sehen;
zu
lebendig war die
Idee des
Engelpapstes
als da man
nicht
nach seiner Abdankung,
nach einer uerlich vllig milungenen Regierung von
nur
wenigen
Monaten, immer noch das Idealbild in der Gestalt dieses einfachen
Mnches verkrpert wute.
Im
Geschichtsbild Dantes,
von
dem ein eigener Vortrag handelt,
spielt]oachim eine grere Rolle als sein einmaliges Auftreten ahnen
lt: m 2.. Gesang des Paradiso, im Sonnenhimmel unter den Theo-
logen und Philosophen in geheimnisvoller Anordnung: Il Calabrese
abate Gioacchino i spirito profetico dotato (nach der liturgischen
Formel seines Ordens). Von neueren Forschern wird sein Einflu
sehr stark unterstrichen in den Figuren des Veliro und des Dux. Ein
Joachim selbst zugeschriebener libro delle figure knnte, wenn
die Zuweisung richtig ist, in Dante deh genialen Ausgestalter der
]oachitischen Schriften und prophetischen Gesichte erkennen lassen.
Den Versuch, Ideen ]oachims und der Spiritualen in die Politik um-
zusetzen, zeigt die rtselvolle Persnlichkeit des Volkstribunen Cola
di Rienzo, candidatos spiritus sancti miles >> Kein Zufall, da zu Be-
ginn der.Reformation die wichtigsten Schriften Joachims in Venedig
zum
erstenmal im Druck erscheinen. Hat schon das I 3 ]ahrhundert,
das klassische]ahrhundert der abendlndischen Kirchengeschichte>>,
seit ]oachim seine.. gefhrlichen Verlautbarungen, so fhrt das
14.
Jahrhundert zur
ausgesprochenen Krise des Geschichtsdc::nkens und
der Geschichtsdeutung. Es genge hier der Hinweis auf die Theo-
rien zum Kirchenbegriff und auf die skularisierte Staatslehre der
Publizisten dieser Zeit. Das spte Mittelalter
ist
voll von dieser Pro-
blematik. Nur aus dem Zusammenbrechen des eigentlich mittelalter-
lichen Geschichtsbildes ist es wohl zu verstehen, da man eine solche
Katastrophe wie das groe abendlndische Schisma in seiner langen
Dauer innerlich ertragen konnte. Indifferenz und Neutralitt gegen
das Papsttum: eine Kirche ohne erkennbares rechtmiges Papst-
tum das bedeutet eine starke Resignation der vornehmsten Institu-
tion der Kirche gegenber. Aber immer wird
n
Zeiten der Krise und
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JOACHIM VON
FlORE
der Enttuschung der Gegensatz zwischen Sein und Sollen, zwi-
schen Ideal und Wirklichkeit im Christentum besonders stark emp-
funden werden.
Auf
spirituelle Fundamente allein ist freilich keine
irdische Institution zu begrnden. Jede irdische Kirche ist an die
Gegebenheiten des menschlichen Lebens gebunden, zu diskutieren
bleibt nur der Umfang dieser Bindung. Die Geschichte ist nicht die
Verwirklichung der reinen Ideen, sondern eine oft sehr bittere Rea-
litt.
Der
vielgepriesenen Harmonie des Mittelalters war, wen,n
es
sie ber-
haupt gegeben hat,
nur
eine kurze Lebensdauer beschieden. Nach
kritischen Versuchen des
1
z Jahrhunderts zerbricht J oachim immer-
hin als erster das anscheinend so wohlgefgte Gebude der traditio-
nellen mittelalterlichen Geschichtsanschauung. Zwar ist
es
oft nur
Theorie, aber eine neue Theorie gegenber der immer mehr der Ge-
schichte sich entfremdenden Scholastik, die Interesse nur daran zu
haben schien,. wie die Dinge sein sollten, aber nicht wie sie in Wirk-
lichkeit waren. Darin beruht das Eigenartige, wenn man will Mo-
derne, da er dem Ordo und der Statik die religise irdische Ent-
wicklung gegenberstellt; nicht gilt mehr frderhin die perennitas
des philosophischen Weltbildes fr das Geschichtsdenken, sondern
die n
der
geschichtlichen Realitt fortschreitend manifest werdende
transfiguratio. So bietet der
~ h r
aus Kalabrien einen einzigartigen
Aspekt im Rahmen der mittelalterlichen Geschichtsdeutung: durch
ihn ist das Mittelalter radikal durchbrachen und in gewisser Hinsicht
auch e e n d ~ t worden. Er der in mystischer Versunkenheit die Ge-
heimnisse des knftigen Reiches Gottes geschaut, hat nicht gesiegt.
Und
es
war vielleicht
gut
so. Deswegen ist aber der Feuerb+and, den
er mit dem heien Atem seiner eigenartigen Apokalyptik entfacht
hat, doch nicht erloschen. Immer wird die
ecclesia spiritualis >, die
geheime, die kommende Kirche das Ideal innerlicher Menschen sein
knnen;
ihr
wird die
groe
Liebe aller derer gehren, die in der Ge-
schichte des Christentums nicht nur die Statik der Institutionen, son-
dern
auch die Dynamik des Heiligen Geistes sehen.
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ANMERKUNG
Die wichtigste Literatur sei hier kurz angefhrt:
H Grundmann, Studien ber Joachim von Floris
(1927),
besonders wichtig sind
die Ausfhrungen
~ r
die Schriften Joachims, die handschriftliche berlieferung
und die Drucke; Neuausgabe der wichtigsten Schriften ist von Grundmann ge
plant. Von demselben: Dante urld Joachim von Fiore, Deutsches Dante-Jahr
buch
14 (1932).
E Benz, Ecclesia spiritualis
(1934).
] Chr. Hllt k, Joachim von
Floris
und
die Joachitische Literatur
(1938). E Buonaiuti,
Gioacchino da Fiore
(1931);
von demselben herausgegeben: Tractatus super quatuor evangelia
(1930)
=Fonti
per
Ia storia d ltalia
67,
und
De
articulis fidei
(1936)
= Fonti per Ia storia
d Italia
78;
neueste Zusammenfassung von Buonaiuti in Storia dd Cristiane
simo
T (1943)
cap.
XIV
Il
messaggio Gioacchimita.
W.Nigg,
Das Ewige Reich
(1944).
Die
neuen italienischen Werke
von
F
Foberli,
Gioacchino
da
Fiore e
l
Gioacchinismo antico e moderno
(1942)
und
L.Tondelli,
Illibro delle figure dell
abate Gioacchino da Fiore (Beziehung zu Dante) konnte
ich
noch nicht einsehen.
Zum mittelalterlichen Geschichtsdenken: H Grundmamz, Die Grundzge der
mittelalterlichen Geschichtsanschauungen, Archiv fr Kulturgeschichte
24 (1934).
]
Sprl, Grundformen hochmittelalterlicher Geschichtsanschauung
(1935)
und
F
Baelhgen, Der
Engelpapst
(1943).
11