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Superlative umgaben Albert Man-gelsdorff (1928 - 2005) schon
zuLebzeiten wie einen Nimbus. Ido-latrie hat er abgelehnt,
Anerkennungallerdings erwartet. Denn Albert Man-gelsdorff wurde
seit 1964 nicht nur na-tional und international öfter als
jederandere Jazz-Musiker aus Deutschland
ausgezeichnet, sondern er war auch stetseine kulturell
integrative Persönlichkeit.Seine respektierte Autorität wirktedurch
fundierte Kompetenz.
Individualität im Jazz hat PosaunistAlbert Mangelsdorff wörtlich
verstan-den, nämlich als beharrlichen Antriebzur Entwicklung seines
Personalstils –
unabhängig davon, dass Ten-denzen des Jazz aus dem
Her-kunftsland USA nach demZweiten Weltkrieg in Europawie normative
Ideen rezipiertwurden: »Erstens ist es nichthier gewachsen,
zweitens istes ja eine Musik, von der maneigentlich weg wollte.
Wasman als Jazz-Musiker will, istdoch immer die eigene Mu-sik«,
sagte er einst im Ge-spräch mit Joachim Ernst Be-rendt (in: »Ein
Fenster ausJazz«). Doch Folklore, ebensowie seine klassische
Ausbil-dung, war nur bedingt einThema für Albert Mangels-dorff, wie
Wolfram Knauer inseinem Essay »Zum Umgangvon Jazz-Musikern mit
deut-scher Musiktradition« (in:»Tension«) dessen minde-stens
skeptische Haltung be-schrieb. Mangelsdorff be-kannte sich
ostentativ dazu,»dass die eigentlichen Ele-mente des Jazz nicht
verges-sen werden«. Durch seinekritische Abgrenzung vonImitationen,
nicht aber dieAblehnung der afro-amerika-nischen Tradition, und
seineHinwendung zu eigenenRessourcen gab Albert Man-gelsdorff
entscheidende undnachhaltige Impulse für dieEmanzipation des
europäi-schen Jazz.
Eigenes entstand für ihnzunächst einzeln, und zwardurch seine
legendärenÜbungsstunden im Jazzkel-ler Frankfurt. Von diesen
täg-
lichen Exerzitien war Albert Mangels-dorff »abhängig, einfach um
denStandard zu halten« für möglichst di-rekte Realisierungen von
musikalischenGedanken. Spontane Komposition inEchtzeit blieb ihm
deshalb sowohl soloals auch im Kollektiv lebenslang einIdeal. Und
diese disziplinierte Arbeit war
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Albert Mangelsdorff
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Berufung in die Newport Festival YouthBand (USA) im März 1958,
»fast ein Ein-schnitt in meiner Entwicklung, alleinschon durch die
vielen Musiker, denenman begegnete«, wie er Bruno Paulot er-zählte.
Zum anderen erfolgte im Maidesselben Jahres die Gründung des
Jazz-ensembles des Hessischen Rundfunks(HR), hervorgegangen aus den
AlbertMangelsdorff German All Stars, dessenLeitung ihm übertragen
wurde und dieer bis zu seinem Tod innehatte. Damiteröffneten sich
ihm durch die Gelegen-heit und die Zeit für Experimente
neueDimensionen, nämlich »eine originelleStimme im europäischen
Jazz« zu sein,wie Jürgen Schwab in seiner Untersu-chung zum
HR-Jazzensemble feststellt.(in: »Tension«).
Regelmäßiger (gleichwohl schmaler)Verdienst und wachsende
Reputationförderten die Selbständigkeit in den (zu-meist mit dem
HR-Jazzensemble perso-nalidentischen) Albert MangelsdorffBands, und
zwar von einer stilistischenBindung an den Cool Jazz und Hardbopzu
freieren, auch von anderen Genresbeeinflussten Spielpraktiken.
Diese Mu-sik ohne genaue thematische und har-monische Strukturen
visierte er etwa ab1964 in seinem Quintett mit Heinz Sau-er
(Tenorsax), Günter Kronberg (Alto-sax), Günter Lenz (Bass) und Ralf
Hüb-ner an und setzte sie in temporärerZusammenarbeit mit den
Free-Jazz-Pio-nieren Peter Brötzmann (Saxophon),Fred van Hove
(Piano) und Han Ben-nink (Perkussion) sowie als Mitglied imGlobe
Unity Orchestra von Alexandervon Schlippenbach fort. Der Verzicht
aufprädisponierte Kompositionen, also dieabsolute Spontaneität,
wurde für AlbertMangelsdorff zur Utopie, »die ich wirk-lich für
ungeheuer wichtig halte« undwendete seine eigentlich
introvertierteMusik zur »emotionalen Befreiung« dervon ihm
empfundenen Zwänge.
Sein Personalstil änderte sich aller-dings nicht so radikal, wie
es den An-schein hatte: Er brachte die träge Beweg-lichkeit der
Posaune auf Trab, erweitertedas Tonregister um extreme Höhen
und
für ihn ein notwendiger Tribut, seineIdentität als Jazz-Musiker
stets neu zufinden und zu behaupten.
Ohnehin blieb seine GeburtsstadtFrankfurt – dort wurde er am 5.
Sep-tember 1928 geboren – für Albert Man-gelsdorff das Alpha und
Omega, auchnachdem sein künstlerischer Radiusweit darüber hinaus
ausgedehnt war.Das Musikinteresse kam aus der Fami-
lie. Der Vater war Buchbinder und hörtezu Hause Klassik aus dem
Radio. Dochweil sein älterer Bruder Emil bereits aufsKonservatorium
ging, waren kaum fi-nanzielle Reserven da, als auch Albertdie
gleichen Ambitionen hegte. Hilfekam von Brüdern seines Vaters:
Siewaren Musiker, und bei einem von ih-nen – er war Konzertmeister
am Theaterin Pforzheim – lernte Albert anderthalbJahre lang
Violine. Im Zweiten Weltkriegmusste er die Ausbildung jedoch
abbre-chen. Über seinen Bruder Emil kam Al-bert zum Jazz, hörte
erste Jazz-Schall-platten, lernte autodidaktisch Gitarreund erhielt
1947 einen Job als Gitarrist ineiner Big Band. Der Wechsel zur
Posau-ne erfolgte im Alter von zwanzig Jahren,eher zufällig, doch
hatte ihn »das In-strument fasziniert, weil es der mensch-lichen
Stimme so ähnlich ist«. Und: Po-saunisten waren rar, Hoffnungen
aufeine professionelle Karriere somitdurchaus berechtigt. Diese
begann 1949in Frankfurt bei der Joe Klimm Combo,setzte sich 1955 im
Willy Berking Tanz-und Unterhaltungsorchester fort undfestigte sich
1957 im Entschluss, ein Le-ben als freiberuflicher Jazz-Musiker
zuversuchen.
Zwei Ereignisse begünstigten bald dieöffentliche Wahrnehmung von
AlbertMangelsdorff: Zum einen war dies seine
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Posaunen-Weltstar aus
Deutschland: Albert Mangels-
dorff, Begründer des
»Frankfurt Sound«.
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le, wenn sie lang wird.« Wobei vokaleund motivisch-melodische
Passagen»für den Hörer feste Strukturen« (Ek-kehard Jost, zitiert
in: »Tension«) unddann doch einen Bezug zur eigenen Tra-dition
schaffen.
Auf dieser Basis ergaben sich für Al-bert Mangelsdorff Optionen,
seinengenuinen »Frankfurt Sound« mit euro-päischen und
US-amerikanischen Trio-Kollegen wie Palle Danielsson (Bass)und
Elvin Jones (Drums) oder Jaco Pa-storius (Bass) und Al Mouzon
(Drums)und auch im Duo mit Wolfgang Dauner(Klavier) zu verfeinern.
Darüber hinauskonnte er sich ohne Identitätsverlust umdie
Integration anderer Stilbereichekümmern, jammte mit der Klaus
Lage(Rock-)Band, schloss sich dem UnitedJazz & Rock Ensemble
(1977 bis 2002)an und war in dem Zusammenhangauch Mitbegründer des
unabhängigenMood-Labels.
Aus dem Bewusstsein seiner sozialenHerkunft übernahm Albert
Mangels-dorff politische Verantwortung, formellals Mitglied der
SPD, praktisch als Ini-tiator der Union Deutscher Jazzmusiker
Tiefen, sodass er große Intervalle, ja ge-radezu
Intervallspagate in fließenden Li-nien gestalten konnte, und
Motivkettenwurden mit abrupten Signalen kontra-stiert. Diese
Erfahrungen transformier-te Albert Mangelsdorff dann in
den1970er-Jahren in der Entdeckung mehr-stimmiger Intonation, den
sogenanntenMultiphonics, indem er simultan zu
einem gespielten Toneinen anderen Inter-vallton singen
konnte,wodurch Obertönegebildet und Akkordehörbar wurden. Dieseaus
dem klassisch-ro-mantischen Reper-toire für Horn be-kannte
Spieltechnikentwickelte AlbertMangelsdorff für dieJazz-Posaune bis
zurvorher unerreichtenPerfektion, von ihmdamals zunächst
inSolokonzerten vorge-stellt.
Die frei schweben-de Linearität seiner Musik wandelte sichdurch
die Gewichte Akkorde vertikalund Rhythmus horizontal, denn»Rhythmus
oder Swing ist überhauptdas Wichtigste am Jazz«. Dabei könntesich
Albert Mangelsdorff auf folgendenAphorismus des kauzigen
PhilosophenGeorg Lichtenberg berufen: »Die gradeLinie ist nicht die
beste Linie für die Zei-
Die Opa Hirchleitner Story (mit dem Jazzensemble des HR)Bear
Family Records 16331 (1958)
Tension (Quintett)L+R Records 71002/Bellaphon (1963)
Now Jazz Ramwong (Quintett)L+R Records 71001/Bellaphon
(1964)
Elements (mit Peter Brötzmann, Fred van Hove, Han Bennink)FMP 30
(www.fmp-online.de; 1971)
Never Let It End / A Jazz Tune I Hope /Triple EntenteMPS
529090-2 (2 CDs) Universal (1970/1979/1983)
The Wide Point / Trilogue /Albert Live In MontreuxMPS 519 213-2
(2 CDs)Universal (1975/1977/1980)
Art Of The Duo (mit Lee Konitz)Enja 5059-2/Soulfood (1983)
Live im Schützenhaus / Live in Berlin (United Jazz & Rock
Ensemble)Mood/ in-akustik 0164601 (1977/1981)
Purity (Solo)Mood 33.631 (www.mood-records.de; 1989)
Hut Ab! / Two Is A Company (Mangelsdorff & Dauner Quintett
& Duo)Mood/ in-akustik 0164609 (1997/1982)
Plays Albert Mangelsdorff (United Jazz & Rock Ensemble)Mood
6552 (www.mood-records.de; 1998)
Old Friends (mit W. Dauner, E. Weber, K. Doldinger, M. Schoof,
W. Haffner)ACT 9278-2/Edel Kultur (2000)
Music For Jazz Orchestra (mit der NDR Bigband)Skip
9039-2/Soulfood (2003)
Triplicity (mit Arild Andersen &Pierre Favre)Skip
9052-2/Soulfood (2005)
… zum Lesen
Wiederentdecken, was Jazz in Wirklich-keit ist; Ein Gespräch mit
A. Mangelsdorffin: Joachim Ernst Berendt: Ein Fenster aus
JazzFischer TB Verlag (1978), ISBN 978-3596230020
Bruno Paulot: Albert Mangelsdorff – GesprächeOreos Verlag
(1993), ISBN 978-3923657421
Jürgen Schwab: Der Frankfurt Sound; Eine Stadt und ihre
Jazzgeschichte(n)Societäts Verlag (2004), ISBN 978-3797308887
Wolfram Knauer (Hrsg.): Albert Mangels-dorff – Tension /
SpannungWolke Verlag (2010), ISBN 978-3936000054
Diskographische Übersichten: www.albert-mangels-dorff.de
(1953-2010) und www.discogs.com/ar-tist/albert-mangelsdorff (bis
2008). Eine von Man-gelsdorff kommentierte Diskographie (bis
1992)enthält das Buch von Bruno Paulot.
Albert Mangelsdorff: Empfehlenswerte Aufnahmen
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(UDJ), deren Vorsitzender er von 1973bis 1983 war. Ihm zu Ehren,
wegen sei-ner Verdienste zur Förderung (explizit)individueller
Kreativität des Jazz inDeutschland, wird von der UDJ und
derGEMA-Stiftung seit 1994 der Albert-Mangelsdorff-Preis an
herausragendedeutsche Jazz-Musiker vergeben.
Seine eigene, stilistisch äußerst weitgespannte Kreativität hat
Albert Man-gelsdorff auf mehr als hundert Albenveröffentlicht. Er
wurde ein Posaunen-Weltstar, blieb aber, trotz mehrfacher
Angebote aus den USA, »in Frankfurt –da fühle ich mich zu
Hause«. SeinenNachlass (Albert Mangelsdorff starb am25. Juli 2005)
hat die Stadt Frankfurt vonseiner Witwe Ilo Mangelsdorff
erhalten,um ein Jazz-Archiv mit seinem Namenaufzubauen. Zum
Gedenken an dengroßartigen Musiker wurde sein Portraitder
»Frankfurter Treppe«, einem Wand-mosaik von Stephan Huber mit 56
Per-sönlichkeiten des 20. Jahrhunderts imHauptfoyer des Main
Towers, hinzuge-fügt. Hans-Dieter Grünefeld ■
Albert MangelsdorffLive At Audimax Freiburg,June 22, 1964
Jazzhaus 101706 (Naxos) Collector
Zurück von einer erfolgreichen Asi-en-Tournee im Auftrag des
Goethe-Instituts, präsentierte das Albert Mangels-dorff Quintett
sein von kulturell externenBegegnungen geprägtes Repertoire
unteranderem »Live At Audimax Freiburg1964« in Deutschland. Bei
dieser bisherunveröffentlichten Aufnahme aus demArchiv des
Südwestrundfunks (SWR)wird unmittelbar bewusst, warum das Ni-veau
dieses Jazz-Ensembles damals ein-zigartig war: wegen stabiler
Gleichbe-rechtigung der Musiker und perfekterSound-Balance. Den aus
Thailand adap-tierten Tanzmustern des »Now Jazz Ram-wong« geben die
Bläsersolisten auf demvon Ralf Hübner (Drums) und GünterLenz (Bass)
in flexibler Konstanz gehalte-nen Rhythmus je individuelle
Akzente:Heinz Sauer (Tenosax) expressiv, GünterKronberg (Altosax)
variativ und Mangels-dorff, indem er das Skalenthema in
wech-selnden Druckpunkten sozusagen kne-tet. Einzeln profilieren
sich Lenz undHübner im phantastischen Bass-Drum-Ballett »Raknahs«,
Sauer mit Sopransax-Kadenzen zum japanisch beeinflussten»Okaka«,
Mangelsdorff beim Ravi-Shan-kar-»Theme From Pather Panchali«
undKronberg in »Set ‘em Up« durch kernigePhrasen. Die Klangfiesta
»Es sungen dreiEngel« rundet das phänomenale Konzertab. Hans-Dieter
Grünefeld
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© monomedia Verlag, Schwabstraße 4, D-71106 Magstadt, Telefon
07159 / 949853, Fax 949530, www.monomedia.dehifi & records
erscheint viermal jährlich, Jahres-Abonnement Inland v 46, Ausland
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