Top Banner
Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404 Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen Blicken wir hinaus über die bisher ausgebreitete Geschichte des Musikinstrumentenbaus, der Gebrauchsmöglichkeiten, der Stim- mungen und Spielweisen von Musikinstrumenten, die sich im Zuge der Entwicklung europäischer Klangkörper zur Aufführung und Unterhaltung etablierten, begegnet uns in den Musikkulturen der Welt eine schier unübersehbare Anzahl weiterer Musikinstru- mente. Sie alle haben eine mindestens ebenso lange Geschichte und ebenso vielseitige Verwendungsmöglichkeiten. Ihre Kenntnis- nahme war einerseits bis weit in das 20. Jahrhundert hinein auf technische Darstellungen beschränkt und besonderte sich anderer- seits zumeist auf die Adaption einiger weniger von ihnen in den europäischen Bestand, sei es aus klanglichen (vgl. Effektinstru- mente), pädagogischen (vgl. Mallet-Instrumente, Orff-Instrumen- tarium) oder therapeutischen Gründen, bis hin zur virtuellen Ein- bindung als Samples in elektronisch produzierte Klangkomposi- tionen. Dies ist jedoch nur ein Einzelfall gegenständlicher kultu- reller Aneignungs- und Transformationsprozesse, die jederzeit weltweit in unterschiedlichen Dimensionen stattgefunden haben und noch immer stattfinden, und zwar auch in die andere Rich- tung: zahlreiche vorstehend beschriebene europäische Musikin- strumente sind auf ihrem Weg um die Welt auf vielfältige Weise verändert und repretoiregebunden integriert worden. Unterdessen sind im Umgang mit „außereuropäischen“ Musikinstrumenten auch gegenwärtig noch Defizite im historischen, sozialen und mu- sikalischen Verständnis zu verzeichnen, die bisweilen zu ober- flächlichen Wertungen der Musizierenden, ihres intellektuellen Anspruchs und letztlich ihrer kulturellen Leistungen führen kön- nen. Musikinstrumente waren und sind überall ergologischen und funk- tionalen Veränderungen unterworfen, doch gab und gibt es auch zeitliche, lokal oder regional bestimmte Normierungen. Dabei spielen je nach der Beschaffenheit musikalischer Artikulationswei- sen in den unterschiedlichen Kulturen andere Entwicklungspara- meter eine Rolle, aus deren näherer Kenntnis erst sinnfällige Be- schreibungen möglich sind. Die hier vorgenommene Zusammenschau soll diesen relativieren- den Aspekt berücksichtigen und sich exemplarischen Erläuterun- gen widmen, die sich zunächst an der in der Ethnomusikologie gebräuchlichen Systematik nach Hornbostel/Sachs orientieren, jedoch in stärkerem Maße soziokulturelle Funktionen, Spielwei- sen, Repertoires und Ensemblekonfigurationen hervorheben. Idiophone und Membranophone – Allgemeines Idiophone werden in der auch vorab dargestellten Systematisie- rung oft unter „Schlaginstrumenten“ gemeinsam mit den Membra- nophonen untergebracht. Sie bilden überdies zumeist den Ab- schluss allgemeiner Übersichten zur Entwicklung europäischer Musikinstrumente. Dieser Umstand hängt auf bestimmte Weise zusammen mit der historischen Verschriftlichung von Musik, die sich auf gedächtnisunterstützende Normative relativer und abso- luter Tonhöhenverläufe in ihren metrorhythmischen Formierungen konzentrierte. Die konstitutive Verwendung von „Schlaginstru- menten“, die sich auch in europäischen Kulturen vielfach nachwei- sen lässt, bedurfte über lange Zeit keiner expliziten Fixierung und wurde erst durch das schriftliche Musikschaffen und die damit einhergehende wissenschaftlich-reflexive und ästhetisierende Ent- wicklung marginalisiert. Tatsache ist jedoch, dass außerhalb dieses Interessenbereiches nach wie vor in europäischen Kulturen „Schlaginstrumente“ von ebenbürtiger Bedeutung und keineswegs als Ergänzungen, Anhängsel oder gar Überbleibsel urwüchsiger 1
62

Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde. Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jan 22, 2023

Download

Documents

Gisa Jähnichen
Welcome message from author
This document is posted to help you gain knowledge. Please leave a comment to let me know what you think about it! Share it to your friends and learn new things together.
Transcript
Page 1: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen Blicken wir hinaus über die bisher ausgebreitete Geschichte des Musikinstrumentenbaus, der Gebrauchsmöglichkeiten, der Stim-mungen und Spielweisen von Musikinstrumenten, die sich im Zuge der Entwicklung europäischer Klangkörper zur Aufführung und Unterhaltung etablierten, begegnet uns in den Musikkulturen der Welt eine schier unübersehbare Anzahl weiterer Musikinstru-mente. Sie alle haben eine mindestens ebenso lange Geschichte und ebenso vielseitige Verwendungsmöglichkeiten. Ihre Kenntnis-nahme war einerseits bis weit in das 20. Jahrhundert hinein auf technische Darstellungen beschränkt und besonderte sich anderer-seits zumeist auf die Adaption einiger weniger von ihnen in den europäischen Bestand, sei es aus klanglichen (vgl. Effektinstru-mente), pädagogischen (vgl. Mallet-Instrumente, Orff-Instrumen-tarium) oder therapeutischen Gründen, bis hin zur virtuellen Ein-bindung als Samples in elektronisch produzierte Klangkomposi-tionen. Dies ist jedoch nur ein Einzelfall gegenständlicher kultu-reller Aneignungs- und Transformationsprozesse, die jederzeit weltweit in unterschiedlichen Dimensionen stattgefunden haben und noch immer stattfinden, und zwar auch in die andere Rich-tung: zahlreiche vorstehend beschriebene europäische Musikin-strumente sind auf ihrem Weg um die Welt auf vielfältige Weise verändert und repretoiregebunden integriert worden. Unterdessen sind im Umgang mit „außereuropäischen“ Musikinstrumenten auch gegenwärtig noch Defizite im historischen, sozialen und mu-sikalischen Verständnis zu verzeichnen, die bisweilen zu ober-flächlichen Wertungen der Musizierenden, ihres intellektuellen Anspruchs und letztlich ihrer kulturellen Leistungen führen kön-nen. Musikinstrumente waren und sind überall ergologischen und funk-tionalen Veränderungen unterworfen, doch gab und gibt es auch zeitliche, lokal oder regional bestimmte Normierungen. Dabei spielen je nach der Beschaffenheit musikalischer Artikulationswei-sen in den unterschiedlichen Kulturen andere Entwicklungspara-meter eine Rolle, aus deren näherer Kenntnis erst sinnfällige Be-schreibungen möglich sind. Die hier vorgenommene Zusammenschau soll diesen relativieren-den Aspekt berücksichtigen und sich exemplarischen Erläuterun-gen widmen, die sich zunächst an der in der Ethnomusikologie gebräuchlichen Systematik nach Hornbostel/Sachs orientieren, jedoch in stärkerem Maße soziokulturelle Funktionen, Spielwei-sen, Repertoires und Ensemblekonfigurationen hervorheben. Idiophone und Membranophone – Allgemeines Idiophone werden in der auch vorab dargestellten Systematisie-rung oft unter „Schlaginstrumenten“ gemeinsam mit den Membra-nophonen untergebracht. Sie bilden überdies zumeist den Ab-schluss allgemeiner Übersichten zur Entwicklung europäischer Musikinstrumente. Dieser Umstand hängt auf bestimmte Weise zusammen mit der historischen Verschriftlichung von Musik, die sich auf gedächtnisunterstützende Normative relativer und abso-luter Tonhöhenverläufe in ihren metrorhythmischen Formierungen konzentrierte. Die konstitutive Verwendung von „Schlaginstru-menten“, die sich auch in europäischen Kulturen vielfach nachwei-sen lässt, bedurfte über lange Zeit keiner expliziten Fixierung und wurde erst durch das schriftliche Musikschaffen und die damit einhergehende wissenschaftlich-reflexive und ästhetisierende Ent-wicklung marginalisiert. Tatsache ist jedoch, dass außerhalb dieses Interessenbereiches nach wie vor in europäischen Kulturen „Schlaginstrumente“ von ebenbürtiger Bedeutung und keineswegs als Ergänzungen, Anhängsel oder gar Überbleibsel urwüchsiger

1

Page 2: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Musikpraxis zu sehen sind. Sie sollen deshalb hier nicht gänzlich ausgespart bleiben, da nur wenige Überblicksdarstellungen Hin-weise zu Idiophonen und Membranophonen enthalten, die außer den bereits genannten in den Kulturen Europas existieren. Idiophone Unmittelbar geschlagene Idiophone Gegenschlagidiophone „Klappern“ zählen zu den elementaren Idiophonen. Gerhard Ku-bik1 beschreibt ein interessantes Beispiel für sozialpräventive Funktionen von Gegenschlagstäben in Südostangola. Sie heißen Mingongi, bestehen aus dem Holz des Cryptosepalum pseudota-xus, sind etwa 25 cm lang und 2-2,5 cm im Durchmesser. Die Mingongi werden gemeinsam mit den Klangstäben Tutanga in der mukanda-Beschneidungsschule der Vambela zu langanhaltenden nächtlichen Gesängen mehrmals wöchentlich von den Initianden, Lehrern und Betreuern benutzt. Durch bestimmte Schlagtechniken, die Richtung, Intensität und leere Bewegungen variieren, und die klangräumliche Anordnung der Aktiven in einem elliptischen Kreis um die Feuerstatt herum entsteht ein vielfarbiges polymetri-sches Klangbild (Farbgruppen bezeichnen verschiedene Schlag-techniken, rote und blaue für die Mingongi, grüne für die Tutanga, unterschiedliche Tönungen entsprechen der raumklanglichen An-ordnung):

Farbliche Darstellung Originaldarstellung

|A..B..A..B..| |A.B.A.B.A.B.| |B.A.A.B.A.A.| |XX.XX.XX.XX.| |..X..X..X..X|

Die Summe der Klangvarianten erreicht in diesem 12-gliedrigen Muster 9 und ist folgendermaßen angeordnet:

|123456728496| Nach Auflösung der isolierten Initiandenausbildung werden die Mingongi wie alle anderen Utensilien verbrannt und erst wieder für die nächste Gruppe hergestellt. In anderen Zusammenhängen begegnen uns Gegenschlagstäbe und –röhren in exponierter Bedeutung als Tanzutensilien. Hans Fi-scher2 berichtet von Tanzstäben und ca. 1 m langen Bambusröh-ren, offensichtlich Waffen ersetzend, die von den Tänzern rhyth-misch koordiniert gegeneinander geschlagen werden. Tänze dieser Art sind für Mikronesien, West-Polynesien und den östlichen Rand Melanesiens belegt. Anders als Status und Rollen anzeigende Tanzutensilien, sind sie selten mit schmückenden Ornamenten ver-sehen und dienen hauptsächlich der Lauterzeugung. Die wohl bekanntesten Gegenschlaggefäße stellen Kastagnetten verschiedener Form und Dimension dar. Ein interessantes Beispiel ist das Madeirensische Brinquinho (Abb. 1), ein mechanisch in Aktion zu setzendes Kastagnettenspiel mit integrierten kleinen Becken und Rasselelementen. Es ist Bestandteil des traditionellen Madeirensischen Ensembles aus den Lauten Rajão, Braguinha, 1 Gerhard Kubik: Kognitive Grundlagen afrikanischer Musik, in: Musik in Afrika, hrsg. von Artur Simon, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Museum für Völkerkunde, Berlin 1983, S.378-380 2 Hans Fischer: Sound-Producing Instruments in Oceania – Construction and Playing Technique – Distribution and Function, hrsg. von Don Niles, Institute of Papua New Guinea Studies, Boroko 1986, S. 5-7

2

Page 3: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Viola de Arame, Rabeca und der Zylindertrommel Bombo, das zu allen Feierlichkeiten, den Festas und Romarias, in den vielen Orten des Archipels zugegen ist.

Abb. 1

Eine weitere Gruppe wohlbekannter Gegenschlaggefäße sind Becken oder Zymbeln, die in metallver- und –bearbeitenden Kul-turen eine Jahrtausende alte Geschichte haben. Im Thailändischen, Laotischen und Kambodschanischen Zeremonialensemble und teilweise auch in der unterhaltenden Mohori-Tradition kommt den kleinen Zymbeln Sing eine metrisch koordinierende Funktion zu, wohingegen die größeren Becken Seng gemeinsam mit den Trommeln Taphon bzw. Sampho und That bzw. Skor Thomm rhythmisch strukturierende Aufgaben erfüllen und durch unter-schiedliche Intensitätsgrade und Dämpfungstechniken eine Fülle von Klangvarianten hervorbringen können. Vielen bekannt mögen letztlich auch die russischen Lozhky sein, zwei Löffel aus Holz oder neuerdings Aluminium, die beide in einer Hand gehalten und mit ihren Außenseiten unter Zuhlife-nahme der anderen Hand, der Oberschenkel, Arme und gar der Mundhöhle als wandelbarem Resonator auf virtuose Weise gegen-einander geschlagen werden. Aufschlagidiophone Neben den zahlreichen einfachen Aufschlagstäben, -röhren und –platten ist die Vielfalt an Lithophonen, Metallophonen und Xylo-phonen besonders in Ost-, Südostasien, Zentral- und Ostafrika be-achtlich. Sätze von 11 bis 15 ausgesuchten oder bearbeiteten Steinplatten aus Riolit, deren Alter auf über 4000 Jahre geschätzt wird, sind auf der südvietnamesischen Hochebene gefunden worden3. Die ge-naue Anordnung und Spielweise bleibt allerdings unbekannt. Sehr präzise Kenntnisse liegen zu den Xylophonen Amadinda mit 12 Tasten, Akadinda mit 17 Tasten und Embaire mit 15 Tasten aus Uganda vor, die von jeweils mehreren Musikern in unterschiedli-chen strukturbildenden, zumeist ineinandergreifenden Funktionen gespielt werden und von Gerhard Kubik4 detailliert und beispiel-haft beschrieben worden sind. Zahlreichen einzelnen Xylophonen in Afrika ist unterhalb der Auf-schlagplatten jeweils ein Kalebassenresonator hinzugefügt, der entweder lose oder Fest mit diesem verbunden ist. Einige dieser Resonatoren besitzen eine zusätzliche Öffnung, die mit einer Membran abgedeckt ist. Von einzelnen Musikern zu spielende Xylophone und Metal-lophone begegnen uns vor allem im südostasiatischen Raum. Auf

3 in Ndut Lien Krak, Khanh Son, Bac Ai u.a., vgl. Luu Huu Phuoc: Cong trinh nghien cuu dan da Bac Ai [Forschungsprogramm zum Lithophon von Bac Ai], in: Dan da Bac Ai, hrsg. vom Kultur- und Informationsbüro der Provinz Thuan Hai, Phan Thiet 1980, S. 7-29 4 Gerhard Kubik: Xylophonspiel im Süden von Uganda, in: Zum Verstehen Afrikanischer Musik , Ausgewählte Aufsätze, hrsg. von Erich Stockmann, Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1988, S. 141-179

3

Page 4: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Bali finden sich z.B. in unterschiedlichen Gamelan-Formationen u.a. diese Stabplattenspiele (Abb. 2): a) Gambang mit vierzehn Tasten aus Bambus in der für die Gabel-schlägel günstigen Tastenanordnung, die die Figuration der Hauptmelodie erleichtert. Der Trog ist hohl. b) Gangsa, hier mit sieben Bronzetasten (es sind auch weniger möglich), die kleinste liegt neben der größten Taste zur Erleichte-rung des melodischen Spiels mit den Hämmern. Im Unterbau be-finden sich verschiedene Vertiefungen zur Resonanzverstärkung; es gibt auch Gangsa des Gender-Typs. c) Gender, hier mit fünf Eisentasten (es sind auch mehr möglich). Unter den Tasten befinden sich einfache oder abgestimmte Reso-nanzröhren aus Bambus oder anderem Holz. a) b) c)

Abb. 2

Die Stimmungen der Spiele hängen von den jeweils kulturgebun-denen Tonraumordnungen und Systemen ab, auf die sie gleicher-maßen stabiliserend zurückwirken. Dabei treten allerdings auch weite Toleranzen auf, die sich dem europäischen Verständnis von Frequenzordnungen und -hierarchien bisweilen entziehen. Eine wichtige Gruppe der Aufschlagidiophone sind Schlitztrom-meln. Sie spielen bis heute in den Kulturen Asiens, Ozeaniens, Afrikas, Mittel- und Südamerikas eine wichtige Rolle bei rituellen und religiösen Handlungen, als Ensemblemusikinstrumente mit vorwiegend metro-rhythmisch koordinierenden Funktionen, als Instrumente zur Übermittlung und Verschlüsselung von Nach-richten in der Trommelsprache oder als Signalinstrumente. Schlitztrommeln kommen in vielfältigen Formen vor, allein schon ihre Größe differiert zwischen 4 cm bei kleinen Tempelblöcken und 11 m, wie z.B. bei den riesigen Signalinstrumenten Songkong aus Assam. Bedeutsam für den Klang ist u.a. die Gestalt des Schlitzes, dessen Breite wenige Millimeter betragen kann, aber auch weite trogförmige Öffnungen bezeichnet. Am häufigsten sind einfache gerade Schlitze. Die weitere Bearbeitung der Schlitzrän-der, die je nach Form Lippen oder Zungen genannt werden und bei relativ dünnwandigem Material Lamellen ähneln können, ermög-licht Intervallabstimmungen in Abhängigkeit von Stärke der Wan-dung, Volumen der Aushöhlung und Länge der ausgeschnittenen Zungen. Bei ein- oder mehrfach geteilten Schlitzungen können primär bis zu acht verschiedene Tonhöhen auf einem Instrument erzeugt werden, deren klangliche Vielfalt sich mit verschiedenen Schlagtechniken multipliziert. Zu den einfachen Schlitztrommeln in Blockform ist der chinesi-sche Holzfisch Muyu mit seinen Entsprechungen Mokugyo in Ja-pan, Mok’tak in Korea, Mõ in Vietnam u.a. zu rechnen. Er wird mit einem einfachen oder gepolsterten Schlägel geschlagen. Die Kugel aus Kampferholz, deren Durchmesser zwischen 4 und 80 cm variiert, wird zunächst in der Mitte durchbohrt und dann zum Rand hin aufgeschlitzt. Eine spätere Entwicklung aus Holzblock und Holzfisch ist die im traditionellen südvietnamesischen Ensemble seit Ende des 19.

4

Page 5: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Jahrhunderts zur metrischen Markierung musikalischer Zeilen be-nutzte Song Lang, eine bis zur Mitte eingeschlitzte Hartholz-scheibe, an der durch einen U-förmigen Streifen aus Büffelhorn eine Aufschlagkugel befestigt ist, die in der Regel von einem er-fahrenen Ensemblemusiker beim Spiel auf einem Saiteninstrument zusätzlich mit dem Fuß bedient wird. In traditionellen chinesischen Theaterorchestern werden kleine gestimmte Röhrenschlitztrommelpaare (Abb. 3) für die Nachah-mung von Pferdegetrappel benutzt, an denen mit Draht Aufschlag-kugeln befestigt sind.

Abb. 3

Eine zweite Gruppe von einfachen Schlitztrommeln ist stark aus-gehöhlt. Ein markantes Beispiel sind die geschlitzten Holzglocken (Abb. 4) buddhistischer Tempel in Laos.

Abb. 4

Die bis zu 25 kg schweren Röhren hängen zumeist in der unteren Etage der tempeleigenen Trommeltürme und werden nur zu be-stimmten Anlässen mit einem gepolsterten Schlägel geschlagen. Natürlicherweise zählen hierzu jene aus Bambussegmenten, die mitunter mehrere Internodien umfassen können, sowie ausgehöhlte hängende, stehende und liegende Baumstämme. Oft werden mehrere Bambusschlitztrommeln als ein Instrument aufgefaßt, so z.B. das sechsteilige Kertok Buluh bzw. Gambang Tali in Westmalaysia. Auf ihm werden Proklamationen begleitet und es findet im Malay-Ensemble Verwendung. Auch eine ein-zelne Bambusschlitztrommel kann mehr als einen Spieler erfor-dern wie z.B. die Ketuk der Pakpak-Batak auf Nordsumatra, die von zwei Spielern mit je zwei Schlägeln und unterschiedlichen Spieltechniken bedient wird. Dabei werden auch die zwei über das Nodium hinausreichenden Enden miteinbezogen5. Stehende Holzschlitztrommeln, oft in Gestalt von Tieren und Per-sonen, sind häufig schon in der Herstellung mit Statusritualen ver-bunden, wie z.B. die Geschichte der Nakpéa auf Efate, Vanuatu, zeigt. Einst besaß jeder Dorfchef eine solche bis zu 5 Meter senk-recht stehende und mit einem Gesicht gestaltete Schlitztrommel, die von besonderen Spezialisten unter Einhaltung bestimmter nichtöffentlicher ritueller Handlungsfolgen hergestellt wurde. Seit

5 nach einem Fotodokument von Artur Simon: Sonang Sitakkar und Gersom Bancin beim Ketuk-Spiel (Museum für Völkerkunde Berlin, Sammler A.Simon, Pakpak-Batak, Sumatra, Indonesien 1976)

5

Page 6: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

der umfassenden Missionierung ab 1879 verfielen diese Symbole selbständigen Herrschertums. In vielen Teilen Afrikas werden Schlitztrommeln mehrheitlich als gestimmte Idiophone behandelt. Die Stimmung ist dabei relativ zu verstehen, oft geht es nur um deutlich verschieden höhere und tie-fere Töne. Zu Stimmzwecken müssen die Schlitzränder besonders bearbeitet und die Aushöhlungen entsprechend dimensioniert wer-den (Abb. 5).

Längsschlitz mit kurzen Quer-schlitzen / Öff-nungen an den Enden

aus weiten Öffnungen herausgearbeitet

einzeln ausgeschnitten oder zwei durchtrennte Längsschlitze

Abb. 5

Häufig ist die Zuweisung von personifizierten Stimmen für die verschiedenen Töne gestimmter Schlitztrommeln zu beobachten. Bei der kleineren trapezoiden Tshingufu der Lunda und Chokwe in Angola und im Kongo werden die zwei Töne Mwane (Kind) und Makwend (Frau) genannt. Sie wird mit zwei Schlägeln bedient und erklingt zusammen mit Ngoma- und Mukupiela-Trommeln zu festlichen Tänzen, Kriegs-, Jagd- und Hochzeitsliedern. Gestimmte Schlitztrommeln eignen sich besonders in Regionen, in denen Tonsprachen überwiegen, zur Übermittlung von Nachrich-ten. Bis zu 30 km weit reicht der Übermittlungsradius beim all-morgendlichen und -abendlichen Schlagen der Nkumvi bei den Luba im Kongo, die einer großen Tshingufu ähnelt. Diese Schlitz-trommel vermag durch geschickte Aushöhlung vier verschiedene Töne hervorzubringen und wird mit zwei gepolsterten Schlägeln an mit Stimmpaste markierten Punkten geschlagen6. Bemerkenswert ist eine Instrumentalpraxis in der Kwi-Gesell-schaft der Guere an der Elfenbeinküste: Der Spieler nimmt ein Mirliton in den Mund und unterhält sich zunächst mit der von ihm geschlagenen Schlitztrommel Gule, bevor er zur rhythmischen Begleitung der Tänze übergeht. Die bekannte präkolumbianische Schlitztrommel Teponaztli der Azteken Mittelamerikas gehört ebenfalls zu den Zungenschlitz-trommeln. Sie sind in der Regel reich verziert und gelten als wert-volle Kultgegenstände, die nur zu bestimmten Feierlichkeiten ver-wendet werden. Jüngere Instrumente weisen zwei H-förmige Schlitzungen auf, so daß durch unterschiedliche Schlitzlängen vier verschieden gestimmte Zungen erklingen können. Gongs und Gongspiele sind eine weitere wichtige Gruppe der Auf-schlagidiophone, deren Verbreitungsgebiet sich weitgehend mit dem der Metallophone deckt. Hier sei eine besondere Spielweise von Flachgongs angeführt, die sich Bengbong nennen und von den Brau im Grenzgebiet zwischen Laos und Kambodscha gepflegt wird. Zwei Spieler bedienen je zwei lange Stoßschlägel in folgen-der Anordnung (Abb.6): 6 J.Gansemans/ B.Schmidt-Wrenger: Zentralafrika, Musikgeschichte in Bildern, Bd.1: Musikethnologie/ Lieferung 9, Leipzig 1986, S. 132-133

6

Page 7: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 6

Auch hier werden metrorhythmisch ineinandergreifende Schlag-muster produziert (siehe Amadinda und Akadinda) und durch spe-zielle Anschlag- und Dämpfungstechniken übergreifende melodi-sche Strukturen erzeugt7. Entscheidend für die Deutlichkeit des Klangs ist die Qualität der Bronze. Ein anderes Beispiel ist das Khongvong in Thailand, Laos und Kambodscha, das in verschiedenen Dimensionen mit 8 (Abb. 7) bis zu 18 Buckelgongs existiert und in bestimmten traditionellen Ensembles gemeinsam mit Xylophonen und Metallophonen so-wohl stationär als auch zu Prozessionen gespielt wird. Das umlau-fende Gestell ermöglicht jederzeit ein virtuoses Spiel. Der Khong-vong-Spieler ist nicht selten auch der Lehrmeister des betreffenden Ensembles.

Abb. 7

Ein besonders prächtiges Beispiel für die kunstvolle Gestaltung von Flachgongs sind die aus der Dong-Son-Kultur überkommenen und noch von wenigen Völkerschaften Indochinas in Gebrauch befindlichen „Regentrommeln“, die traditionell mit einem senk-recht zur Gongplatte (Abb. 8) geführten Reisigbündel geschlagen werden. Die aus der Platte gearbeiteten Darstellungen von alltägli-chen und rituellen Handlungen stellen wichtige historische Doku-mente über das Leben in der Region vor ca. 3000 Jahren dar8.

7 vgl. Gisa Jähnichen: Das Bengbong-Spiel der Brau in Laos, in : Musica instrumentalis...2002 8 vgl. Abrieb einer Gongschlagplatte von 79cm Durchmesser, gefunden 1893 in Nhu Trac, Ly Nhan, Ha Nam Ninh, aufbewahrt im Hanoier Nationalmuseum für Geschichte. Vgl. auch Dong Son Drums in Viet Nam, hrsg. von Pham Huy Thong u.a., The Viet Nam Social Science Publishing House 1990

7

Page 8: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 8

Glocken und Glockenspiele sind außerhalb Europas und dessen kulturellen Einflußgebieten ebenfalls in Ostasien und Indochina konzentriert. Die in buddhistischen Mahayana-Pagoden allgegen-wärtigen Hängeglocken tragen zahlreiche bedeutsame Inschriften und zählen zu den wertvollsten Gütern der Gemeinden. Sie werden nur zu bestimmten Anlässen mit einem Stoßbalken oder einem eigens hierfür reservierten gepolsterten Schlägel angeschlagen. Daneben existieren große Standglocken (Abb. 9), die auf reich verzierten Gestellen, und kleine Gebetsglocken, die auf Ringpols-tern ruhen. Sie dienen der alltäglichen Verrichtung der Gottes-dienste.

Abb. 9 Abb. 10

Glocken sind aber auch im Kleinformat oft an rituelle oder reli-giöse Handlungen gebunden, etwa bei den Katu in der Sekong-ebene des südlichen Laos. Befestigt am Griff der Schmuckschilde (Abb. 10) sollen sie deren Abwehrkraft gegen unberechenbare Geister verstärken. Weit über die Grenzen Afrikas hinaus sind die gesschmiedeten, klöppellosen Eisenglocken bekannt geworden, die als gleichgroße oder verschieden große Stielgriff- und Bügelgriff-Doppelglocken von Ghana über das westliche Zentralafrika bis hin nach Sim-babwe vorkommen9. Sie werden Gakpãvi, Tatum Gonga u.a. ge-nannt und galten noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts als Status-symbol der Häuptlinge und als Zahlungsmittel.

9 hierzu siehe Dietrich Schüller: Beziehungen zwischen west- und westzentralafrikanischen Staaten von 1482 - 1700. Eine ethnohistorische Untersuchung an Hand der Schallinstrumente in Häuptlingskult und Kriegswesen aus Grund schriftlicher Quellen, Dissertationen der Universität Wien 87, Wien 1972

8

Page 9: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Mittelbar geschlagene Idiophone Rasseln Als Attribute von Zirkuskünstlern und Straßenmusikanten, Tanz-bären und musizierenden Kindern eigneten sich Rasseln kaum für eine Entwicklung zu standardisierten Orchesterinstrumenten und zwar nicht nur ihrer Klangerzeugung wegen, die der rhythmischen Plazierungstechnik sich über Jahrhunderte hinweg entwickelnder Notationen widerstrebte. Die scheinbare Unbestimmtheit hervor-gebrachter Tonhöhen erschwerte ein Einpassen in kulturell ge-prägte Vorstellungen von musikalischer Präzision. Die wenigen bekannten Exemplare gestimmter Rasselkörper wie etwa die des Gleitrasselspiels Angklung werden mithin häufig als "höherent-wickelt" betrachtet. Das Anklung ist auf Java, Madura, Bali, Südsumatra, Zentral- und Südsulawesi, im Südwesten Kalimantans, Malaysia und Thailand verbreitet. Die 2-3 Rasselkörper pro Angklung-Element (Abb. 11) aus gedackten und angeschnittenen Bambusröhren sind entspre-chend ihrer Zugehörigkeit zu einem Angklung-Satz gestimmt und werden von mindestens drei Spielern gespielt. Die Anzahl der Spieler teilt dabei nicht das Musikinstrument in Einzelstücke, denn nur im Zusammenhang einer Mindestzahl von Elementen gilt es als verwendbares Rasselspiel.

Abb. 11

Viele Rasseln werden vorwiegend gemeinsam mit anderen Mu-sikinstrumenten gespielt und sind so als Ensemblemusikinstru-mente mit der Funktion des Repertoires verbunden, so z.B. die Gefäßrassel Engis aus Südkamerun, die zur Unterhaltung stets ge-meinsam mit 4 Xylophonen oder die brasilianische Gefäßrassel Caixixi, die zum Musikbogen Berimbau gespielt wird. Im Verlauf der Geschichte können auch Rasseln, die einst nur in Zeremo-nialensembles erschienen, in andere Ensembles aufgenommen werden, wie die Stabrassel Krindie der Baule an der Elfenbein-küste, die ursprünglich ausschließlich im Ensemble zu Initiations-riten, heute aber vorwiegend zu Unterhaltungszwecken erklingt. Andere Rasseln sind bestimmten sozialen Schichten vorbehalten, oder werden geschlechts- oder alterspezifisch zugeordnet. Einzeln verwendete Rasseln, die Gesänge und Deklamationen begleiten, werden häufig mit rituellen Bedeutungen in Verbindung gebracht oder lassen in ihren vieldeutigen Geräuschstrukturen die Ahnen zu Wort kommen. Sie sind oft reich verziert, enthalten Rasselkörper aus geheiligten Juwelen, Perlen oder gefärbte Feuersteine und sind nicht selten den religiösen Vorstellungen entsprechend geformt bzw. aus wertvollem Material hergestellt, wie z.B. die Gefäßrassel der Haida-Indianer in in Form eines Vogels mit Reiter oder die Gefäßrassel Cagado der Nakuqua-Indianer Südamerikas aus dem Panzer einer seltenen Klappschildkröte (Abb. 12).

9

Page 10: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 12

Rasseln werden auf sehr unerschiedliche Art und Weise gespielt. Schüttelbewegungen lassen sich in periodisch wiederkehrende, primäre Bewegungsabschnitte zerlegen, die gleichartig oder nach bestimmten Mustern verschiedenartig sein können, in Bewegungs-komplexen zusammengefaßt und meistens motorisch memoriert werden. Kubik beschreibt repräsentative Beispiele von Mnemo-techniken für das Spiel afrikanischer Gefäßrasseln10. Das klangliche Ergebnis setzt sich jeweils aus einer Vielzahl un-terschiedlich begründeter Bewegungsvorgänge zusammen, die sich motorisch-akustischen Parallelismen häufig entziehen. Die Struk-turierung der Bewegungsbilder erscheint verschieden von musika-lisch-rhythmischen Gliederungen. In zahlreichen Kulturen ist die Divergenz dieser Wahrnehmungskomponenten ein wesentliches Gestaltungsmittel, das durchaus präzise bestimmt und bewußt ein-gesetzt wird. Obgleich jede Rassel oder Rasselgruppe ein charakteristisches Spektrum von Frequenzen aufweist, ist das Repertoire an Klangva-rianten beträchtlich, die aus speziellen Schüttel- und Dämpftechni-ken, etwa durch Abdecken von Rahmen- oder Gefäßteilen, dem ambulanten Austausch von Rasselkörpern und aus Kombinationen mit Spieltechniken anderer Instrumente herrühren, z.B. das eigent-lich für Klappern typische Gegeneinanderschlagen der indischen Stabrasselpaare Andelu oder der paarweise im Dundun-Ensemble verwendeten Gefäßrasselspiele Aro der Yoruba in Nigeria. Es finden auch funktionale Überlagerungen statt. Das äthiopische Sistrum Tsânasâl (Abb. 13) mit Metallscheiben ist eine Stabrassel, die zur Begleitung kirchlicher Gesänge und Tänze geschwenkt wird. Es gibt aber auch bestimmte Tänze, bei denen der Rahmen absichtlich fest umfasst wird, um das Erklingen zu vermeiden, ob-gleich die Tanzbewegungen und damit das Schwenken beibehalten wird11.

Abb. 13

Kleine Klöppelglöckchen zählen zu den Pendelrasseln, die entwe-der einzeln oder als Spiel auch an Zaumzeugen, an diversen Be-kleidungsstücken oder als Türglocken verwendet werden. Tierglocken aus Holz oder Metall, die einen oder mehrer Klöppel besitzen, rechnen ebenfalls hierzu. Im Harz lebt die Herstellung solcher Tierglocken aus vollklingendem geschmiedetem Hammer-

10 Gerhard Kubik: Kognitive Grundlagen afrikanischer Musik, in: Musik in Afrika, hrsg. von Artur Simon, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Museum für Völkerkunde, Berlin 1983, S. 380-382 11 so beobachtet in Gonder, Mai 1997, vgl. Video-Sammlung 0056 des Fachreferats Musikethnologie, Museum für Völkerkunde Berlin, SMPK

10

Page 11: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

blech, genannt Liesenberg-Glocken, wieder auf. Tierzüchter be-stücken damit das freiweidende Harzer Rote Höhenvieh, um auch im Klanglichen touristischen Ansprüchen zu genügen. Tierglocken (Abb. 14) sind überall verbreitet, wo Tiere gezüchtet werden. Markante Merkmale der Tierglocken geben oft genaue Auskunft über den Besitzer der Herde, wie hier die nachfolgend abgebildeten Tierglocken aus Südwestäthiopien, darunter auch eine Rasselschnur aus Holzösen mit einem Krokodilkopf.

Abb. 14

Gefäßrasseln sind die wahrscheinlich am weitesten verbreitete Art und in ihrer Funktionsweise hinlänglich bekannt. Natürliche Materialvorräte, bestimmte Herstellungsverfahren und entwicklungsgeschichtliche Parallelen führen besonders bei einfa-chen Gefäßrasseln zu regional übergreifenden Ähnlichkeiten, wie z.B. bei den sogenannten "Floßrasseln", die bei verschiedenen Völkern in Uganda, Tanzania und Kenya einzeln und in Sätzen von unterschiedlicher Größe vorkommen und jeweils verschieden genannt werden. Vergleichbares gilt auch für Gefäßrasseln mit externen Rasselkörpern, die nur in bestimmten Regionen Schwarz-afrikas und Lateinamerikas vorkommen. In sehr vielen Kulturen und nicht nur in Europa, sind Rasseln Spielzeug für Kinder und Erwachsene, z.B. leichte windbewegte Rahmenrasseln als klingende Mobile, aber auch Warnanlage, wie z.B. Schnurrasselspiele als Türgehänge. Schraper Mit Ausnahme des arabischen Raumes und angrenzender Ein-flussgebiete von Nordafrika bis Mittelasien sind Schraper weltweit verbreitet. Viele Jahrhunderte alte Bräuche und Sitten verweisen auf die Ver-bindung von Schrapgeräuschen mit kultischen Handlungen, etwa bei Heilungszeremonien, Anrufungen der Götter, Vertreibung und Zerstörung böser Geister. Der diffuse, knatternde und stark kon-trastierende Klang scheint auch für die effektvolle Begleitung von Tänzen und Liedern geeignet. Zahlreiche Schraper spielen daher in sehr verschiedenen Kontexten eine Rolle. Die Geschichte verän-derte sie auf vielfältige Weise und spiegelt sich in ihnen. So ist der spanische Carracón, einst Ersatz für Kirchenglocken in der Oster-zeit, ein entfernter Vorfahre der heute bekannten Kinderratsche aus Plastik und Blech. Einfache Schrapstäbe sind recht selten. Sehr viel häufiger ist die lose Verbindung eines Schrapstabes mit einem Resonator, einem Holzkasten oder einem Gefäß, auf den der Schrapstab beim Spiel abgesetzt wird. Bekannt ist der gebogene Schrapstab Hiohkat der Papago im Süden Arizonas, der auf eine umgestülpte Korbschale gestellt wird. Diese Praxis ist auch in Afrika anzutreffen, z.B. der im Ensemble mit anderen Instrumenten für den Agbande-Ritus schwangerer Frauen bestimmte Schrapstab Ivuur der Tiv in Nigeria, der auch eine Schrapröhre aus Bambus bezeichnet. Der Schraper Etulu der Komo im Kongo besteht aus zwei gebogenen und gekerbten

11

Page 12: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Stöckchen, die in die Öffnung einer Schlitztrommel eingeklemmt werden. Bei den Lunda wird der ähnliche Resonator des Rindamb mit einem Ziegenfell bedeckt. Diese "Antilopentrommel" wird zu Jagdzeremonien geschrapt. Die weit über Lateinamerika verbreiteten Schraper Guáchara, der im panamesischen Cumbia-Ensemble Mejorana genannt wird, be-zeichnen sowohl solche aus perforierten Knochen, Nachfahren der aztekischen Knochenschraper, als auch Bambus- und Kalebas-senschraper, die bisweilen mit Drahtschlingen oder vorn auf-gespaltenen Stöckchen geschrapt werden. Von den kombinierten Schrapstäben sei noch die als vietnamesi-sche Münzklapper bekannte Sinh Tiên (Abb. 15) zu nennen, die Rassel-, Klapper- und Schrapelemente auf sich vereint und im Klang äußerst vielseitig ist. Der schrapende Stab ist wie auch die Unterseite des beweglichen Klapperteils gezahnt und wird ab-wechselnd mit der glatten Seite über jene Zahnung und mit der gezahnten Seite über das glatte Haltebrettchen der Klapper geführt.

Abb. 15

Die Sinh Tiên findet vor allem in der Zeremonialmusik Nord- und Mittelvietnams Verwendung und wird mit tänzerischen Bewegun-gen fast ausschließlich von Frauen gespielt. Auf dem indischen Subkontinent sind Schrapröhren aus Bambus und Metall weit verbreitet. Im Bastar-Distrikt von Madha Pradesh begleitet der Cara, eine ca. 70 cm lange geschlitzte und gekerbte Bambusröhre, seit dem 5. Jahrhundert Tänze der Maria-Ghotul-Anhänger. Die Schraper Indiens erfüllen neben tanzbegleitenden auch rituelle Funktionen, einige sind reich mit Federn und Perlen geschmückt, wie z.B. der Ragabadrajan der Saora im Süden Oris-sas, der zu Hochzeiten gespielt wird. In Lateinamerika begleiten Schildkrötenschraper kultische Hand-lungen, so z.B. die cubanische Jicotea, eine Kombination aus Schraper und Rassel. Es gibt verschiedene Reco-Reco-Varianten, die von beiden Enden her eingeschlitzt sind und unterschiedlich hohe Schraptöne ermöglichen, aber auch modernere Kreationen, wie z.B. in eine Blechröhre eingesetzte Stahlfedern, die mit einem Eisenstab geschrapt werden. Zu den Schrapgefäßen zählt in Ost- und Südostasien der Holztiger, die hölzerne Skulptur eines hockenden Tigers, in dessen Rückgrat 27 oder 28 Kerben eingebracht sind. Er wird in großen repräsenta-tiven Zeremonialensembles verwendet und in der Regel zum Ende eines Stückes vom Tigerkopf beginnend mit einem bis zur Hälfte mehrfach aufgeschlitzten Bambusrohr gleichmäßig langsam geschrapt. Das Schrapen des Tigers leitet in der Regel zu unbe-gleiteten Deklamationen über, die in der konfuzianischen Tradition eine wichtige Rolle spielen und das Kernstück der zeremoniellen Zusammenkünfte darstellen. Die Heimat der Schrapräder scheint Europa zu sein, doch haben sie sich zumeist im Zusammenhang mit Missionierungen und Auswanderungen über die Welt verbreitet und dabei verändert. Das Benutzen von Schraprädern hängt in Mitteleuropa und auf der Iberischen Halbinsel wesentlich mit dem Osterbrauchtum zusam-men. Das portugiesische Réu-Réu, das spanische Carraca und bas-kische Zirrizirri sind typische Beispiele dafür. Wenn sie auch in-zwischen seltener geworden sind, so finden sich doch ähnliche Musikinstrumente auf den Philippinen (Abb. 16). Dort sind es

12

Page 13: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

große Standschrapräder aus mächtigen Bambussegmenten, die anstelle von Kirchenglocken im Gebrauch sind.

Abb. 16

Besonders vielfältig sind die fränkischen Handschrapräder und Kastenratschen, die sich je nach Anzahl der Zungen, Art der Zun-gebefestigung, Aufschlagmechanik, Anzahl der Zähne oder Heber, Anzahl der Räder und Stellung dieser zueinander, Beschaffenheit des Rahmens oder des Aufschlagkastens und auch in der Spiel-technik unterscheiden. In Mähren, Ungarn, der Slowakei und Ös-terreich sind Schrapräder und Kastenratschen aller Art verbreitet, die ebenfalls vornehmlich zur Osterzeit betätigt werden. Reißidiophone Zu den wichtigsten Gruppen von Reißidiophonen gehören die Maultrommeln und die Lamellophone. Maultrommeln kommen überall auf der Welt vor. In einigen Re-gionen gewinnt das Maultrommelspiel gegenwärtig an Attraktivi-tät, z.B. das aus Jakutien stammende Khomuz-Spiel. Idioglotte Maultrommeln aus Bambus, Palmblättern, Messing, Eisen oder Fruchtschalen begegnen uns vor allem in Ost- und Südostasien sowie in Ozeanien (Abb. 17). Bekannt ist das Cricri, dessen Zunge aus einer Schale geschnitten wird, die zugleich den Resonanzraum bildet. Die Formenvielfalt anderer idioglotter Maultrommeln ist außerordentlich groß. Hier einige Beispiele in der Draufsicht:

Abb. 17

Für die in Südchina, Birma, Laos, Thailand und Vietnam lebenden Hmong stellt die idioglotte, bisweilen zweispitzige Maultrommel Toen (Abb. 18, oben) ein Dialoginstrument dar, auf dem text-rhythmische und intonationsgebundene Botschaften und Gedichte übermittelt werden. Perfekte Maultrommler können lange Zeit spielen, ohne sich in ihren kurzen Sätzen auch nur ein einziges Mal zu wiederholen12. Auch auf Mindanão (Abb. 18, unten) wird die Maultrommel in ähnlicher Weise von jungen Leuten zum Ver-einbaren von Verabredungen und zu Liebesbekundungen benutzt, die Außenstehenden unverständlich bleiben.

12 vgl. Gisa Jähnichen: Analytic observation, in: Research Report, Archives of Traditional Music in Laos, Vientiane/ Berlin 2001, S. 43, 79

13

Page 14: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 18

In Europa zählt die zumeist heteroglotte Maultrommel zu einem der ältesten bekannten Musikinstrumente13. Im Mittelalter wurde sie restriktiv als heidnisches Ding ob ihrer gottlosen Eigenschaften abgetan, denn sie wurde ebenfalls als musikalisches Verschlüsse-lungsmittel erotischer Botschaften genutzt. Auf der Zunftfahne der 1679 gegründeten Maultrommelbauerzunft im oberöstereichischen Molln, einer Fundstätte ältester Maultrommeln, erscheint die Hei-lige Barbara, die sich als zum Tode verurteilte Sünderin mit ihrer Maultrommel ins Leben zurück spielt. Den Zunftleuten war eine asketische Lebensweise vorgeschrieben. In Jakutien soll die eiserne heteroglotte Maultrommel Khomuz das weibliche Pendant zur männlichen Schamanentrommel darstellen. Sie ist das Werkzeug von Schamaninnen, die heilen, wahrsagen und wundertätige Geister herbeirufen. Lamellophone in Brett- oder Kammform, auch Finger- oder Dau-menklaviere genannt, sind vor allem in Afrika unter den Bezeich-nungen Sanza, Nsansi, Mbira, Likembe (Abb. links), Kalimba u.a. südlich der Sahara zu finden. Die Zungen sind meistens aufge-schnürt oder auf andere Weise mit dem Brett oder Resonanzkasten fest verbunden. Die Anzahl der Zungen und deren Stimmung kann nicht nur von Instrument zu Instrument unterschiedlich sein, sondern auch für ein einzelnes Instrument variieren. Kubik beschreibt interessante spieltechnische Übertragungen des Xylophonspiels auf das Lamellophon Timbrh im Kameruner Grasland14, deren annähernd gleichlangen Raphia-Zungen mit Wachs gestimmt werden, das hinter die Lamellenspitzen geklebt wird (Abb. 19, rechts).

Abb. 19

Die Lamellophone werden entweder nur mit dem Daumen oder mit Daumen und Zeigefinger beider Hände nach bestimmten rhythmischen Regeln angeschlagen. Je nach metrorhythmischer und dynamischer Auffassung treten dabei melodische Gestalten hervor, die wie auch beim Xylophonspiel als inhärente Pattern be-zeichnet werden können. Zur dynamischen und klanglichen Ver-änderung werden mitunter Rasselringe (Abb. 19, links) auf die

13 ausführlich zur Konstruktion und Spielweise vgl. Eichler, B.H.J.: Über die Wechselseitigkeiten von Instrumentalkonstruktion und Klangmöglichkeiten bei Maultrommeln, in: Berichte aus dem ICTM Nationalkomitee Deutschland, hrsg. von Marianne Bröcker, Bamberg 1995, S. 151-165 14 Gerhard Kubik: Kognitive Grundlagen afrikanischer Musik, in: Musik in Afrika, hrsg. von Artur Simon, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Museum für Völkerkunde, Berlin 1983, S. 345-346, 385-387

14

Page 15: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Zungen geschoben oder am Resonanzkasten(Abb. 20) ange-bracht15.

Abb. 20

Die Dimension der Lamellophone reicht von Handflächengröße bis zu Kästen von 1 m Länge, wobei die Zungen jedoch nur ge-ringfügig größer als auf kleinen Lamellophonen sind. Einige In-strumente werden auch in einer großen aufgeschnittenen Kalebasse gespielt, um den Resonanzraum zu vergrößern, z.B. die Malimba im Nsanje Distrikt Malawis16. Gleichgestimmte Lamellophone, wie z.B. Sätze von Kalimba-In-strumenten, spielen in moderneren Ensembles gemeinsam neuere Kompositionen. Abschließend sei noch ein bekanntes Beispiel für Reibidiophone genannt, das einer Zungenschlitztrommel ähnliche Lounuat (Abb. 21) der Malanggan-Religionsgemeinschaft auf Neu-Irland. Die Spieler tragen Harzmilch unterschiedlicher Bäume auf ihre Hände und reiben im Wechsel über die drei herausgearbeiteten Zungen.

Abb. 21

Als Teil der Beklagungszeremonie für bedeutende Verstorbene ist diese Handlung Frauen und Kindern nicht zugänglich. Der Klang des Instruments kann sehr voluminös sein, besonders wenn es in einem kleinen, geschlossenen Raum gespielt wird17. Membranophone Schlagtrommeln Unmittelbar geschlagene Membranophone Ergologisch werden Schlagtrommeln zunächst nach der Form ihres Korpus’ unterschieden, z.B. folgendermaßen (Abb. 22):

Abb. 22

15 vgl. Kubik, Gerhard: Kalimba, Nsansi, Mbira - Lamellophone in Afrika, Veröffentlichungen des Museums für Völkerkunde Berlin / Neue Folge / Abteilung Musikethnologie IV, Berlin 1999 16 vgl. Gerhard Kubik: Zum Verstehen Afrikanischer Musik , Ausgewählte Aufsätze, hrsg. von Erich Stockmann, Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig 1988, Bildteil Tafel 6a und 6 b 17 vgl. Gerald Florian Messner: The Friction Block Lounuat of New Ireland: Its Use and Socio-Cultural Embodiment, in: Bikmaus, Nr. 4.3, 1983

15

Page 16: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Kesseltrommeln; Röhrentrommeln: Zylindertrommel, Fasstrom-mel, Konustrommel, Doppelkonustrommel, Sanduhrtrommel, Trommel mit Fuß, Bechertrommel, Hanteltrommel; Rahmentrom-meln: mit und ohne Stiel. Das nächstwichtige Merkmal zur Be-schreibung ist die Anzahl der Felle sowie Art und Weise der Fell-befestigung. Kesseltrommeln Kesseltrommeln aller Größen sind weit verbreitet in Nordafrika, den arabischen Ländern, bis hin zum indischen Subkontinent, wo sie sich allerdings eigenständig entwickelten. Ein Wandbild aus dem 18. Jahrhundert im Dalada Maligawa (Abb. 23), dem Buddhistischen Zahntempel in Kandy, Sri Lanka, zeigt Musiker, die zur Öffnung des heiligen Schreins spielen, einer Tra-dition, die zwar noch heute in Sri Lanka bekannt ist, aber nicht mehr in der abgebildeten Weise. Neben zwei Oboenspielern ist ein Trommler mit zwei kleinen Kesseltrommeln ähnlich der arabi-schen Naqqārāt oder der indischen Duggi abgebildet, die er aller-dings mit zu Ringen gebogenen Schlagstöcken schlägt.

Abb. 23

Nicht einmal zur jährlichen Esala Perahera in Kandy, der Prozes-sion des geheiligten Zahnes, werden Kesseltrommeln verwendet, sondern Röhrentrommeln verschiedener Größe, die den indischen Mridanga und Pakhâvaj ähneln. Einzig das Trommelpaar Tham-mettama, kurze Konustrommeln mit Reifenklemmung, erinnert noch an den Gebrauch kleiner Kesseltrommelpaare. Auch sie wird mit am Ende hin zu einem Ring gebogenen Schlägeln gespielt, die Kaduppu genannt werden. Aus der Geschichte ist jedoch überlie-fert, dass schwere Tiefkesseltrommeln zu religiösen Festen, ähn-lich der indischen Nâgâra, paarweise auf dem Rücken eines Ele-fanten montiert wurden, während der Reiter, ebenfalls mit geboge-nen Schlägeln, auf deren Felle schlug. Hölzerne Tiefkesseltrommeln mit Fuß, Tindi genannt, sind bei den Tuareg in Südostalgerien anzutreffen. Das dickwandige Korpus erfüllt während der Alltagsarbeit den Zweck eines Stampfgefäßes und wird bei Bedarf mit feuchtem, enthaarten Kamelleder bezogen und von Frauen zu einem mit der Trommel gleichnamigen Fest zur Begleitung von Wechselgesängen gespielt. Die spezielle Ring-schnürung aus gedrehten Tüchern erlaubt ein schnelles Stimmen dieser Trommeln. Ein außerordentlich ähnliches Instrument ist auf einem Terrakottarelief aus Larsa zu sehen, das aus der altbabyloni-schen Zeit Mesopotamiens stammt18. Die sonst gewöhnlich sehr großen Tiefkesseltrommeln namens Nagarit der Amara Äthiopiens, die zu bedeutenden religiösen Festen geschlagen werden, bezeichnen auch kleinere hölzerne Flachkesseltrommeln (Abb. 24) und unterscheiden sich im Gebrauch von den ähnlichen Atamo (Abb. 25), die vorwiegend zur Begleitung von Tanz und Gesang verwendet werden und in deren Korpus Tonscherben oder -kugeln eingebracht sind, um zugleich einen Schnarr- und Rasseleffekt zu erzielen. 18 zu besichtigen im British Museum, London, BM 91906

16

Page 17: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 24 Abb. 25

Die im Hochland von Jemen als Haupttrommel gemeinsam mit der mirfac ausdauernd zu Tänzen geschlagene Ţāfa ist eine Flachkes-seltrommel mit Riemenschnürung und einem Gegenring, deren Bau Elsner ausführlich dokumentiert hat19. Eine besonders interessante Kombination aus Kessel- und Rah-mentrommel ist indes die jemenitische Şahfa, deren zwei Stiele antipodisch in die Seiten der zumeist aus Ton gefertigten, unten offenen Schale eingelassen sind. Das Fell wird durch Riemen ebenfalls an einem Gegenring gestrafft, die etwa 10-15 cm große untere Öffnung dabei freilassend. Beim Spielen wird ein Stiel in den Hosenbund gesteckt. Während die rechte Hand das Fell schlägt, führt die linke Hand am herausragenden Stiel Druckbewe-gungen zum Körper hin aus, um den Klang und die Tonhöhe zu verändern. Ein anderes interessantes Beispiel ist die kleine metallene Kessel-trommel der nordamerikanischen Peyote, die vor dem rituellen Beziehen mit einem Fell und dem Verknoten desselben mit Wasser gefüllt wird. Das dadurch geschmeidige und durch Handruck auf die Oberfläche stimmbare Fell wird zur Begleitung von Sologe-sängen mit den Händen geschlagen20. Röhrentrommeln Röhrentrommeln existieren in unzähligen Formen und Dimensio-nen überall auf der Welt. Unterdessen unterscheiden sich von Re-gion zu Region die Art und Weise der Fellbefestigung und die De-korierung der Trommeln. Bei den in Ostasien und Indochina gebräuchlichen überdimensio-nalen Fasstrommeln, die in beinahe allen religösen Zusammen-hängen des Mahayana-Buddhismus eine Rolle spielen, und in klei-nerer Dimension auch in den traditionellen Theaterensembles Verwendung findet, wird das Fell zumeist in mehreren Reihen mit Holzstiften oder Metallzwecken aufgenagelt, es bedarf daher einer vorherigen gründlichen Behandlung. Ebenso ist die Auswahl und genaue Einpassung der Fassdauben von Bedeutung (Abb.26, Abb. 27), denn beim Spiel, sowohl im Theater als auch im Tempel, wird mit den kräftigen, kurzen Schlägeln ebenso auf das Korpus ge-schlagen.

Abb. 26 Abb. 27

19 vgl. Videosammlung: Jürgen Elsner/Jemen 1998, Fachreferat Musikethnologie, Völkerkundemuseum Berlin, SMPK 20 vgl. hierzu Kommentar von Willard Rhodes in Paul Collaer: Amerika, in: Musikgeschichte in Bildern, Band I, Lf. 2, hrsg. von Heinrich Besseler und Max Schneider, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1967, S.80-81

17

Page 18: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

In den laotischen Theravada-buddhistischen Tempeln sind ver-schiedene Riemenschnürungen mit Spannkeilen gebräuchlicher. An der Art und Weise der Verbindung von Fell und Schnur, der Knotentechniken und der Einbringung von Spannligaturen kann man auf ganz bestimmte lokale Traditionen schließen, die Her-kunft einer Tempeltrommel und deren Alter genauer bestimmen (Abb. 28). Rechts unten in der Abbildung sehen wir gar eine kon-struktionstechnische Übernahme von moderneren europäischen Landsknechttrommeln. Dieser Typ ist heute vor allem entlang des Mekong anzutreffen.

Abb. 28

Er ist im Zuge der Kolonisierung und Missionierung auch sehr weit in Süd- und Mittelamerika verbreitet worden und dominiert neben weiteren Formen mit Ringspannung und ähnlichen mecha-nischen Spannvorrichtungen in zahlreichen Variationen in den urbanen Instrumentalensembles. In Nordostafrika werden die meisten Röhrentrommeln mit den Händen geschlagen, wie z.B. die bei vielen Völkern Äthiopiens verbreitete Kebero mit Netzschnürung und mit Spannligaturen, die sowohl zu kirchlichen Festen als auch zu Familienfesten eine zent-rale Rolle spielt. Die gleichnamigen Instrumente unterscheiden sich in beiden Bereichen jedoch sowohl in der Form (Abb. 29) als auch in der Spielweise und dem Status der Trommler. Kinder er-lernen hier das Trommelspiel, sobald sie laufen können, doch nur zu sekulären Festen sind Mädchen (Abb. 30) als akzeptierte Trommlerinnen anzutreffen.

Abb. 29 Abb. 30

In Südäthiopien und Somalia begegnen uns in ähnlicher Funktion zahlreiche Konustrommeln mit dichter Schnur-Fellspannung, die mit verschiedenartigen Tierfellen bezogen sind. Nichtenthaarte Tierfelle wie z.B. hier das Zebrafell (Abb. 31), weisen einen be-sonders dumpfen Klang auf und werden zur Begleitung von De-klamationen geschlagen. Dazu zählte dereinst auch das Verkünden von fürstlichen Erlässen und Gesetzen.

18

Page 19: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 31

Röhrentrommeln mit Hantelkorpus und Ringspannung sind vor allem in Ozeanien verbreitet. Fischer21 hat viele von ihnen ausführ-lich dargestellt, davon zahlreiche mit ausgeprägter Ornamentik und Darstellungen von Vögeln und Eidechsen, die als Hantelgriff fungieren. Das Verbreitungsgebiet von Sanduhrtrommeln deckt sich teilweise mit dem der Kesseltrommeln, reicht jedoch weiter gen Osten bis hin nach Ozeanien. Hier treffen sie auf einen historisch anderen Typ, der mit kürzeren Doppelkonustrommeln in Verbindung zu bringen ist, auf denen man während des Schlagens reitet oder die man schräg zwischen den Oberschenkeln hält, um sich gleichzeitig bewegen und die Hände zum Spiel freihaben zu können. Diese Spielweise ist übrigens auch für viele afrikanische Kulturen aus-führlich belegt, so etwa für die Meru Nordkenias, deren Trommler mit den in dieser Weise gehandhabten Trommeln akrobatische Tänze darbieten und Bodenrollen vollführen können. Sanduhrtrommeln mit Schnurspannung können so gespielt werden, dass während des Spiels die Stimmung des Fells durch Zusam-mendrücken der Schnürung um die Trommeltaille veränderbar ist, wie etwa die mit sehr elastischem Hundefell bezogene koreanische Changgo und kleinere Trommeln dieses Typs, die vor allem in Ostasien verbreitet sind. Bei Sanduhrtrommeln mit aufgeklebtem, aufgeschnürtem oder aufgenageltem Fell, wie sie in Ozeanien an-zutreffen sind, ist dies nicht möglich. Ein weithin bekannter Typ von Bechertrommeln ist der der Dara-bukka Nordafrikas. Die ihr verwandte Tarciğa, die aus Ton gefer-tigt und teilweise reich verziert ist, wird wie andere kleinere Trommeln zumeist von Frauen gespielt im Gegensatz zu den großen Kesseltrommeln, die mit wenigen Ausnahmen, etwa in der Westsahara zur Begleitung des Stocktanzes22, von Männern geschlagen werden. Das Schlagen der nordindischen Tablâ (Abb. 32), die stets gemein-sam mit der kleinen Kesseltrommel Bâyâ gespielt wird, gilt als hohe Kunst und erfordert oft jahrelanges Training. Es existiert ein ausgefeilter Kanon von Silbenbezeichnungen für jede Anschlagart, die für metrorhythmischen Zuordnungen innerhalb der Stücke eines bestimmten Repertoires vorgeschrieben sind. Die Tablâ kann durch Ringklemmung mit zusätzlicher Riemschnürung exakt ge-stimmt werden und durch das Aufbringen von Paste aus verschie-denen Gemischen bestimmte Klangbereiche auf dem Fell aufwei-sen. Ein weitere Methode der gesamtheitlichen Stimmung der Trommel ist das Einbringen und bedarfsweise Verschieben der zumeist kurzen dicken Knebel.

21 Hans Fischer: Sound-Producing Instruments in Oceania – Construction and Playing Technique – Distribution and Function, hrsg. von Don Niles, Institute of Papua New Guinea Studies, Boroko 1986, S. 176-185 22 vgl. Jürgen Elsners Kommentar hierzu in Paul Collaer/Jürgen Elsner: Nordafrika, in Musikgeschichte in Bildern, Band I, Musikethnologie/Lf. 8, hrsg. von Werner Bachmann, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1983, S. 172-173

19

Page 20: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 32 Abb. 33

Der indische Einfluss auf die Kulturen Indochinas wird häufig mit der paarweisen Verwendung von in ähnlicher Weise stimmbaren Röhrentrommeln belegt (Abb. 33), wie diese Reistrommeln aus dem Bestand des südvietnamesischen Zeremonialensembles. Sie finden heute jedoch allenfalls in einigen Theaterformationen und dort häufig nur als Einzelexemplare Verwendung. In zahlreichen Musikkulturen werden in den verschiedenen In-strumentalensembles Trommeln unterschiedlichen Typs gespielt, wobei Gemeinsamkeiten oft nur in wenigen Merkmalen auszuma-chen sind, wie z.B. in der Art und Weise der Fellbefestigung. In Nordvietnam gehören zum traditionellen Ensemble des Gemein-dehauses vier Fasstrommeln, eine Flachkesseltrommel und eine Rahmentrommel mit Stiel, die aus Holz gefertigt und deren Felle jeweils aufgenagelt sind (Abb. 34).

Abb. 34

Neben der Fellbefestigung gibt es Gemeinsamkeiten in der Spiel-weise, die überwiegend das Schlagen auf die Zarge mit einbezieht. Für diese Schlagtechniken existieren ebenfalls bestimmte Silben-formeln. Trommelensembles aus einfelligen Röhrentrommeln mit Fell-Pflock-Schnürung, die mit Hakenschlägeln geschlagen werden, sind vor allem in Afrika bekannt, wie z.B. das Fontomfrom-En-semble der Ashanti in Ghana, dessen Herstellung und Gebrauch ausführlich von Bareis und A.Meyer23 dokumentiert wurde. In Burundi ist das Ingoma-Ensemble, bestehend aus ca. 20 unten ge-schlossenen Konustrommeln mit Fell-Pflock-Schnürung und ent-sprechend ihrer Funktion unterschiedlichen Bezeichnungen kaum noch in Gebrauch. Es gibt zahlreiche weitere afrikanische Trom-melensembles aus jeweils typgleichen Trommeln, bei denen indes nicht nur Funktionen der musikalischen Strukturbildung, sondern auch der soziale Status der sie zu bedienenden Musiker stark diffe-renziert wird. Allein der Besitz eines solchen Trommelensembles konnte in der Geschichte Macht und Herrschaft begründen, so nimmt es nicht Wunder, dass musikalisch-strukturelle Hierarchien auch auf Personen übertragen wurden. Dahingegen erfreuen sich die aus traditionellen Formen hervorge-gangenen japanischen Trommelgruppen ständig größerer Beliebt-

23 vgl. Urban Bareis/Andreas Meyer: Fontomfrom - Drum making among the Ashanti in Ghana, Museums Collection, AV 2, Staatliche Museen zu Berlin, Berlin 1994

20

Page 21: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

heit, und zwar nicht nur in Japan selbst. Das Spielen dieser Trom-melensembles, die zumeist aus einer größeren Anzahl von Röh-rentrommeln unterschiedlicher Dimension mit aufgenageltem Fell bestehen, erfordert außerordentlich gute Kondition und ist verbun-den mit zahlreichen akrobatischen Übungen. Es wird besonders von Jugendlichen in Formationen als Sport betrieben und zur Un-terhaltung sowie zu Wettkämpfen vorgeführt. Rahmentrommeln Rahmentrommeln spielen eine wichtige Rolle in Kulturen mit aus-geprägten Gesangstraditionen verschiedener Schichtungen. In den Kulturen des Vorderen Orients war die Rahmentrommel lange Zeit den Frauen als Begleitinstrument zu ihren Gesängen und Tänzen vorbehalten, doch setzte sich auch ein künstlerisch höchst anspruchsvolles Spiel von Männern, z.B. im Taht-En-semble, durch. Der arabische Riqq (Abb. 35), je nach Anzahl der Schellenpaare und Höhe der Zarge in einigen Regionen auch Tar genannt, von ca. 20 cm Durchmesser und mit Fisch- oder Ziegen-hautfell bespannt, trägt zudem 10 Schellenpaare in der Zarge und wird beim Spiel auch am Rahmen geschlagen. Die präzise Kennt-nis des Repertoires und der entsprechenden rhythmischen For-meln24 sowie die Kunst individueller Gestaltung vorgegebener Muster machen den Meister aus, der damit wesentlich für das künstlerische Gelingen der gesamten Gruppe verantwortlich zeichnet.

Abb. 35

Der etwas größere Duff mit weniger Schellenpaaren, der auch weit in Zentral- und Südasien verbreitet ist, wird zusätzlich gegen den Körper geschlagen und geschüttelt. In Indien begleitet er z.B. das Lautenspiel der Wandermönche. Die schellenlose Rahmentrommel Mizhar von ca. 60 cm Durch-messer ist zu religiösen Zeremonien einiger Sufi-Sekten und in der Moschee in Gebrauch. Ebenso die Rahmentrommel Bandir bzw. Bendir, unter deren Fell zwei oder drei Schnarrseiten angebracht sind. Andere Rahmentrommeln tragen anstelle der Schnarrseiten überkreuzte Stäbe mit Klöppelglöckchen oder es sind an der In-nenseite der Zarge Rasselringe angezweckt, wie z.B. bei der mit-telasiatischen Doira. Die großen tuwinischen Schamanentrommeln dieses Typs sind zusätzlich reich mit Tierfedern, Stoffbändern und Lederstreifen geschmückt. Das Repertoire an difizilen Anschlagtechniken ist außerordentlich groß. Einfellige Rahmentrommeln in ähnlicher Funktion sind auch bei den Völkern Nordamerikas zu finden. Zweifellige Rahmentrommeln begegnen uns z.B. in Zeremonial-ensembles Ostasiens und Indochinas. Auf hohen Gestellen ruhend werden sie bisweilen paarweise gespielt, wobei die jeweils höhere als männliche, die tiefere als weibliche Trommel bezeichnet wird. Im traditionellen chinesischen Theater wird mitunter die einfellige Rahmentrommel Bangu (Abb. 36) geschlagen, deren Korpus in solcher Weise geformt ist, dass das Fell nur in der Mitte frei schwingen kann.

24 vgl. Habib Hassan Touma: Die Musik der Araber, erw. Neuausgabe, Florian Noetzel Verlag, Wilhelmshaven 1989, S.165

21

Page 22: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 36

Die Schläge auf der Bangu sind von durchdringendem Klang. Dem Trommler kommen wesentliche Aufgaben der musikdramatischen Organisation zu. Auch Rahmentrommeln mit Stiel sind in Ostasien weit verbreitet. Einige Rahmen bestehen indes nur aus einem schmalen Reif, der die Membran hält. Interessant sind die verschiedenen individuellen Formen der Schlägel, die jeweils nur für eine bestimmte Trommel hergestellt werden, wie z.B. die Tàipínggǔ, die uigurische Shǒugǔ oder die tibetische Zàngzú (Abb. 37, v.l.n.r.).

Abb. 37

Darüberhinaus kommen Rahmentrommeln auch in Europa vor, vornehmlich auf der iberischen Halbinsel und in Südeuropa. Bi-belillustrationen aus dem 15. Jahrhundert zeigen zahlreiche Abbil-dungen von Tar-ähnlichen Instrumenten. Mittelbar geschlagene Schlagtrommeln Rasseltrommeln können sowohl interne als auch externe, an Schnüren befestigte Kugeln als pendelnde Rasselkörper besitzen, deren Gefäß bzw. angeschlagener Gegenstand aus Membranen besteht, die in Schwingung versetzt werden. Es gibt aber auch Formen von Rasseln, deren Gefäße aus Tierblasen oder dem ge-trockneten Schlund eines Vogels hergestellt werden, z.B. die li-tauische Barškutis, die zweifelos membrane Eigenschaften aufwei-sen, jedoch zu den gewöhnlichen Gefäßrasseln zu rechnen sind. Ein typisches Beispiel sind die indische Damaru oder die bengali-sche Dugdugi, kleine zweifellige Sanduhrtrommeln, an deren Riemen Schnurenden mit kleinen Hartholzkugeln befestigt werden können. Wenn die Trommeln rasch geschwenkt werden, schlagen die Kugeln auf die beiden Felle. In Tibet sind kostbare Ras-seltrommlen aus zwei an der Spitze zusammengesetzten Schädel-decken mit aufgeschnürten Fellen und einem Griff aus zusammen-gedrehten Stoffstreifen in Gebrauch. Sie werden in Klöstern und Tempeln zur Verrichtung der Andachten und zur Strukturierung von Deklamationen benutzt. In Europa gehören Rasseltrommeln zum Instrumentarium der Osterbräuche. Sie sind relativ leicht und ähneln den zweifellige Rahmentrommeln mit Stiel. Die Kugelschnüren sind antipodisch am Rahmen befestigt. Wird der Stiel zwischen den Handflächen

22

Page 23: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

wie ein Quirl hin- und hergedreht, schlagen die Kügelchen auf die Membrane. Als Zupftrommeln werden Trommeln bezeichnet, deren Felle durch das direkte oder indirekte Bewegen einer Saite zum Schwin-gen gebracht werden. Beispiele sind aus Indien bekannt, z.B. Eka-tantri bzw. Tuntuni und Gopiyantra. Reibetrommeln sind auch in Europa beliebte Musikinstrumente, so z.B. der Brummtopf. Ein Reibestab ist dabei auf einen mit Fell bespannten Topf gebunden, der mit einem rauhen Lappen im Rhythmus gerieben wird, damit der Topf brummt. Neben diesen Reibetrommeln mit aufgebundenem Stab gibt es aber auch zahlrei-che andere mit durchgestecktem Stab, z.B. die spanische Zambola (Abb. 38), deren Stab unbeweglich ist.

Abb. 38

In Afrika existieren Reibetrommeln, bei denen der Stab das ent-sprechend stabile und elastische Fell reibt. Die Kwita der Chokwe, die das Hauptinstrument der traditionellen, heute aber mit moder-nem Repertoire befassten Kalukuta-Ensembles darstellt, wird nicht nur auf diese Art gespielt. Zusätzlich können durch rhythmisches Drücken des Fells verschiedene Klänge erzeugt werden und ein zweiter Spieler das Korpus schlagen, das einst aus Holz bestand, nun aber aus Metalltonnen gefertigt wird25. Den Zweck eines Stabes kann auch eine Schnur erfüllen. In Eu-ropa ist die freischwingende Schnurreibetrommel als Waldteufel bekannt, der in seinen Grundzügen folgendermaßen konstruiert ist (Abb. 39):

Abb. 39

Eine Membran ist auf ein Zylinderstück, vorzugsweise aus Ton, aufgeklebt oder vernietet. Wird das Stöckchen so geschwungen, dass die Trommel an der Schnur um das Stöckchen kreist, entsteht ein sirrender Ton, der auf- und absteigt, je nachdem, wie intensiv die ausgeführte Bewegung ist. Der Waldteufel ist ein beliebtes Kinderspielzeug in Mittel- und Osteuropa, war aber einst in größeren Exemplaren auch als Ab-schreckungsmittel gegen wilde Tiere gedacht.

25 vgl. Kommentar von Barbara Schmidt-Wrenger in J.Gansemans/ B.Schmidt-Wrenger: Zentralafrika, in: Musikgeschichte in Bildern, Bd. I, Lf. 9, hrsg. von Werner Bachmann, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1986, S.186

23

Page 24: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Ansingetrommeln sind eher seltene Musikinstrumente. Bekannt ist das Verwenden von Pergamentpapier, das zum Kammblasen über die Zinken gefaltet wird. Im Prinzip ist das Aufbringen eines Mir-liton auf die Bohrung zwischen Anblas- und Grifflöchern der chi-nesischen Querflöte Dizi von ähnlicher Wirkung. Der Klang wird dadurch schnarrend und voluminöser. So verhält es sich auch mit Kalebassenresonatoren, in die ein Mirliton eingefügt ist. Interessant ist ein Beispiel aus Alaska26. Die Nuwungmiut gebrau-chen eine flache hölzerne Rahmentrommel mit Griff von ca. 60 cm Durchmesser, die mit Rentierfell bespannt ist. Während sie ge-meinschaftlich singen, hält ein jeder die Trommel in der linken Hand, das Fell frontal zum Gesicht zeigend, und schlägt mit einer dünnen Rute von hinten gegen den Rahmen. Durch die schwin-gende großflächige Membran verändern sie Klang und Volumen des Gesangs. Chordophone und Aerophone – Allgemeines Saiten- und Blasinstrumente außereuropäischer Kulturen erfreuen sich allgemein größeren Interesses, da sie dem historisch gewach-senen Verständnis zu musikalischer Befähigung und ästhetischem Anspruch näher zu liegen scheinen, z.B. durch die unbestrittene Möglichkeit, melodische Gestalten hervorzubringen. Große Aufmerksamkeit wird daher den Stimmungen der Musikin-strumente, dem Ambitus und ihrer tonalmelodischen Potenzen gewidmet, eine Beobachtung, die auch zu stimmbaren Idiophonen zu machen ist, etwa an Hand der Studien zu südostasiatischen Gongspielen. Im Glauben, sich hier auf sicherem, weil fassbarem, Terrain zu befinden, wurden nicht selten weit übergreifende Ver-gleiche und Systematisierungen entworfen, die sich auf bisweilen leichtfertige Quantifizierungen von Tonräumen stützen. Der Schein ist jedoch oft trügerisch. Die Mehrzahl der Musikinstru-mente ist stark an ganz konkrete Repertoires gebunden, in denen sich nicht nur spezifische Musikauffassungen und Spielweisen entwickeln, sondern auch ideelle Konzeptionen, die Hierarchien und Toleranzen beinhalten, deren Zugang nicht selten durch sche-matische Vereinfachungen blockiert wird. So mag uns z.B. das Feststellen einer eigenartigen Intervallik – nicht nur in Bezug auf unsere eigene, sondern auch auf die von anderen Zeugnissen einer bestimmten Kultur oder gar ein und desselben Musikers als gültig abstrahierte – „unsauber“ erschei-nen, doch andersherum kann es sein, dass eben dieser Musiker schon geringe Tempoveränderungen oder unscheinbare spieltech-nische Manieren als gänzlich unerträglich empfindet. Ebenso lie-fern Bundpositionen bei Lauten oder Grifflochanordnungen bei Blasinstrumenten nur im Zusammenhang mit der jeweils konkre-ten Spielpraxis indikative Hinweise zu Tonraumvorstellungen. Oft stehen erst an zweiter Stelle Fragen zu klanglichen Eigen-schaften und Differenzierungsmöglichkeiten, sowie zu strukturbil-denden Funktionen in zugeordneten Ensembles, Kriterien, deren Untersuchung zukünftig noch größerer Sorgfalt bedarf. In den folgenden Ausführungen zu Chordophonen und Aeropho-nen sollen sowohl einige typische als auch besonders interessante und bislang allgemein weniger bekannte Musikinstrumente exem-plarische Erwähnung finden.

26 vgl. hierzu Kommentar von Willard Rhodes in Paul Collaer: Amerika, in: Musikgeschichte in Bildern, Band I, Lf. 2, hrsg. von Heinrich Besseler und Max Schneider, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1967, S.54

24

Page 25: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Chordophone Einfache Chrodophone oder Zithern Stabzithern Zu den einfachen Chordophonen oder Zithern zählen zunächst die Stabzithern, von denen die ein- bis dreisaitigen Musikbögen die wohl bekanntesten sind, die in weiten Teilen Afrikas, Südostasiens und Ozeaniens verbreitet sind. Einige wenige Exemplare existieren auch in Amerika. Es gibt Musikbögen, deren Saiten aus dem Mate-rial des Bogens gewonnen werden, wie z.B. die abgehobene Faser aus der Mittelrippe eines Sago-Blattes, ein monochorder Musikbo-gen, der für den Osten Neuguineas belegt ist und bis zu 2m lang sein kann27. Bei anderen Musikbögen bestehen die Saiten aus fremdem Material, wie z.B. bei der Nkutu Kubidi der Luba in der kongolesischen Provinz Shaba (Abb. 40), ein sehr einfaches, heute nicht mehr häufig gespieltes Saiteninstrument, das der Selbstun-terhaltung dient und deren Bogen mit einem Ende im Erdboden steckt.28

Abb. 40

Der aus dem Erdreich gehobene Resonanzraum kann auch durch ein Gefäß, neuerdings auch durch eine Konservendose ersetzt werden. Während des Schlagens der Saite mit den Fingern oder einem Stück Holz oder Kalebasse kann die Spannung der Saite durch Bewegen des Bogens verändert werden. Als Bogen eignen sich auch aus dem Erdreich herausragende Wurzelenden, die be-sonders elastisch sind. Musikbögen werden auf sehr verschiedene Art und Weise gespielt. In Ozeanien trägt der Musikbogen Pingoru der Orokaiva denselben Namen wie die Maultrommel, weil sie in ähnlicher Weise gespielt wird. Entweder wird die Saite oder der Bogen an einem Ende in den Mund genommen, um durch Veränderungen der Mundhöhle, die als Resonanzraum dient, verschiedene Partialtöne hervortreten zu lassen, während die Saite lediglich mit leichten Schlägen zum Schwingen gebracht wird. Eine andere Möglichkeit ist das Anbringen eines Resonators aus Kalebasse oder erstazweise eine Konservendose an die Saite oder den Bogen, wie z.B. bei diesem Okambulumbumbwa der namibi-schen Ovambo (Abb. 41). Wie einige andere afrikanische Musik-bögen verfügt er über eine Stimmschlinge, die die Grundtonhöhe reguliert. Zur Begleitung seiner epischen Gesänge kann der Spieler in der dargestellten Spielposition Intervalle mit der linken Hand abgreifen und bestimmt damit zugleich den Tonraum seines Ge-sangs29.

27 Hans Fischer: Sound-Producing Instruments in Oceania – Construction and Playing Technique – Distribution and Function, hrsg. von Don Niles, Institute of Papua New Guinea Studies, Boroko 1986, S. 70 28 vgl. Kommentar von J. Gansemans in J.Gansemans/ B.Schmidt-Wrenger: Zentralafrika, in: Musikgeschichte in Bildern, Bd. I, Lf. 9, hrsg. von Werner Bachmann, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1986, S.130 29 vgl. Sabine Zinke / Reiner Kluge: Zum Verhältnis von Vokal- und Instrumentalpart in einem Gesang aus Namibia, Vortrag auf der Tagung der ICTM

25

Page 26: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 41

Bei abgegriffener Terz ergibt sich folgender Tonraum (Abb. 42):

Abb. 42

In einigen Teilen Afrikas sind außerdem Plattstabzithern verbrei-tet, die über drei ausgearbeitete Abgreifbünde verfügen30. Andere Stabzithern verfügen über einen Stimmpflock, der durch das Ende eines Stabes oder eines wenig elastischen Bogens hin-durchführt und die Saite spannt. Ein Beispiel ist der Musikbogen der kalifornischen Yokuts aus Madera31, ein Musikinstrument der Schamanen, der aber auch zur abendlichen Unterhaltung genutzt wird. Interessant ist eine andere Variante mit Stimmpflöcken aus dem zentralen Hochland Indochinas, das von vielen Mon-Khmer-Völ-kern gebraucht und von den Katu K’ny (Abb.43) genannt wird. Die stammfremde Saite wird hier über die Befestigung am Pflock hinaus verlängert und trägt am Ende eine kleine Metallscheibe. Einst wurden Muschelschalen oder Lochmünzen dafür verwendet. Die Scheibe wird in den Mund genommen und mit den Zähnen festgehalten, während der Spieler mit der rauhen Seite eines schmalen Bambusscheits über die gespannten Teile der dadurch zweigeteilten Saite streicht.

Abb. 43

Eine andere typische Stabzither dieser Region ist die Champitau (Abb. 44) der Ôi in der laotischen Provinz Attapeu. Auf dem Stab sind 5 Wachsbünde angebracht, deren Position veränderbar ist. Die Kalebasse wird stärker oder schwächer gegen den Oberkörper

Study Group On Analysis and Classification, September 1990, Santiago di Compostella 30 siehe hierzu ausführlich Ulrich Wegner: Afrikanische Saitenisntrumente, Veröffentlichungen des Museums für Völkerkunde Berlin, Neue Folge 41, Abteilung Musikethnologie V, Berlin 1984, S. 29-35 31 vgl. hierzu Kommentar von Willard Rhodes in Paul Collaer: Amerika, in: Musikgeschichte in Bildern, Band I, Lf. 2, hrsg. von Heinrich Besseler und Max Schneider, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1967, S.70

26

Page 27: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

gedrückt, während die kürzere Saite mit der linken Hand abgegrif-fen wird und der kleine Finger der rechten Hand, die in Webstel-lung das obere Ende des Stabes hält, direkt vor der gemeinsamen Saitenhalterung beide Saiten anschlägt. Die Saiten sind in der Regel in einer Quarte oder Quinte zueinander gestimmt.

Abb. 44

Zwei- und dreisaitige Stabzithern sind außer in Südostasien vor allem in Ozeanien anzutreffen. Verbreitet ist außerdem die Verwendung von Stegen zor Vestär-kung des Klangvolumens und zur Teilung der Saite in zwei Spiel-bereiche, z. B. auf dem seltenerweise etwas konvex gebogenen ca. 2m langen Stab einer einsaitigen Zither der in Kalifornien leben-den Maida32. Für idiochorde Stabzithern sind vereinzelt auch Stimmringe in Gebrauch. So z.B. bei der Mvet der Bulu in Zentralafrika (Abb. 45). Die Mvet ist eine Kerbsteg-Harfenzither und daher auch eine Kombination aus Harfe und Zither mit vier oder fünf Saiten, die aus der Außenhaut des Stabes gewonnen werden. Aus Bast sind Ringe um die in gleicher Länge ausgehobenen Saiten geschoben, um sie zu stimmen.

Abb. 45

Das Spiel auf der Mvet erfordert professionelles Können und ist nur ausgewählten33 talentierten Musikern gestattet. Röhrenzithern In klimatisch günstigen Regionen spielt Bambus als Material für den Instrumentenbau eine wichtige Rolle. Er ist hervorragend für Vollröhrenzithern unterschiedlicher Dimensionen und Saitenan-zahl geeignet. Typische Beispiele sind die idiochorden Röhrenzithern im Zentra-len Hochland Indochinas, wie die einsaitige Chingding mit Steg und die viersaitige Gongding mit kleinen Stimm- und Spannungs-klötzchen. Die Chingding (Abb. 46) wird mit dünnen Ruten ge-schlagen und die Saite, z.B. bei den Brau, in einer übermäßigen Quarte gestimmt, eine Praxis die für sie auch an mehrteiligen Gongsätzen zu beobachten ist. Die Gonding (Abb. 47) wird ge-zupft. Von ihren vier Saiten werden drei in Halbtonschritten und die vierte ca. eine Quarte über der tiefsten Saite gestimmt. Beide Instrumente spielen eine wichtige Rolle bei der Gestaltung von Zeremonien und Dorffesten, die durchgehend von den Klängen der Röhrenzithern begleitet werden.

32 vgl. hierzu Kommentar von Willard Rhodes in Paul Collaer: Amerika, in: Musikgeschichte in Bildern, Band I, Lf. 2, hrsg. von Heinrich Besseler und Max Schneider, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1967, S.70, Abb. 20 33 vgl. Kommentar von Benoit Quersin und Pierre Sallée in J.Gansemans/ B.Schmidt-Wrenger: Zentralafrika, in: Musikgeschichte in Bildern, Bd. I, Lf. 9, hrsg. von Werner Bachmann, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1986, S.114

27

Page 28: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 46 Abb. 47

Einige heterochorde Röhrenzithern der Region verfügen über einen zusätzlichen Resonator aus Kalebasse und Stimmpflöcke. Moderne Exemplare weisen bis zu 14 Saiten auf, wie die Gongde (Abb. 48) der im Bergland lebenden Mon-Khmer-Völker.

Abb. 48

Dieses Musikinstrument wird jedoch vorwiegend zu Repräsenta-tionszwecken in Folkloreensembles genutzt und ist annähernd diatonisch gestimmt. Weiter entwickelte heterochorde Vollröhrenzithern mit Kalebas-senresonatoren finden sich in Indien. Zu erwähnen seien hier einige Formen der Vîna in Nordindien, die ausführlich beschrieben sind34. So besteht die Rudra-Vîna aus einem langen Holzrohr, auf welchem Steg, Bünde und Wirbel, sowie an den zwei Endberei-chen unterständig zwei Kalebassenresonatoren befestigt sind. Eine der Kalebassen ruht auf der linken Schulter, die andere auf dem recheten Oberschenkel. Die Besaitung weist vom Körper weg. Die vier schwach gespannten Saiten werden mit der linken Hand auf den Bünden gegriffen und zur Ausformung der Tonstufen seitlich gezogen. Rechter Zeige- und Mittelfinger tragen Ringplektren aus Metall und führen Wechselschläge aus. Die Rudra-Vîna gilt als eines der am schwersten zu spielenden Musikinstrumente in der nordindischen Tradition. Neben den Vollröhrenzithern sind vor allem die zumeist hetero-chorden Halbröhrenzithern weithin bekannt, besonders die ost-asiatischen heterochorden Instrumente vom Typ der chinesischen Wölbbrettzithern Qin und Zheng, die es in vielen Varianten gibt. Sie unterscheiden sich nicht nur durch verschiedene Saiten-materialien wie Seide, Darm und Metall, Saitenzahlen, -befesti-gungen und -stimmungen, sondern auch durch unterschiedliche Stimmvorrichtungen und Spielweisen.

34 siehe hierzu B.C. Deva: Musical Instruments, National Book Trust, New Delhi 1977, S. 71-106; weiterführend zu empfehlen ist Artur Simon (Hrsg.): Musik für Vina (Schallplatte), mit Kommentar von Pia Srinivasan Buonomo, Museum Collection Berlin (West), Nr. 8, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1980

28

Page 29: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Die chinesische siebensaitige Guqin bzw. Quxianqin fand vieler-orts als eines der hochangesehenen Musikinstrumente wohlhaben-der Gebildeter Beachtung und ist ausführlich beschrieben35, vor allem deshalb, weil in China selbst zahlreiche historische Doku-mente vorliegen und ein umfangreiches in Zeichen notiertes Re-pertoire existiert. Im Unterschied zu ihr verfügen die der Zheng verwandten Wölbbrettzithern (Abb. 49), wie die koreanische Ka-yagum oder die japanische Koto über A-förmige Stimmreiter, die ambulant verschiebbar sind und es ermöglichen, die Tonhöhen angerissener Saiten durch Druck auf sie jenseits der Stimmreiter zu verändern.

Abb. 49

Zugleich können durch verschiedene senkrechte und parallele Anreiß- bzw. Anschlagtechniken gedämpfte und freischwingende Klänge erzeugt werden, die je nach Spielbereich für die rechte Hand ihre Klangfarbe ändern, wie z.B. auf der vietnamesischen Tranh, die mit Ringplektren für Daumen und Zeigefinger (Abb. 50), manchmal zusätzlich für den Mittelfinger, gespielt wird. Einige Musiker lassen sich auch die Fingernägel entsprechend lang wachsen.

Abb. 50

Während diese relativ kostbaren Wölbbrettzithern, die sowohl solistisch als auch im Ensemble mit anderen Saiteninstrumenten gespielt werden, fast ausschließlich in Asien vorkommen, sind idiochorde Floßzithern, die aus aneinandergereihten Rohrab-schnitten bestehen und bisweilen mit zusätzlichen Kalebassenre-sonatoren und Rasselelementen ausgestattet sind, mit wenigen südasiatischen Ausnahmen in West- und Zentralafrika zu finden. Interessant ist die Vielfalt an Spielhaltungen36. Wird die Floßzi-ther, deren bis zu 18 Saiten zumeist in Saitengruppen zu zweit oder zu dritt zusammengefasst und aufeinander abgestimmt sind, mit den Saiten zum Körper gespielt und mit den Fingern gehalten, reißen die Daumen die Saiten an. Zeigen die Saiten vom Körper

35 vgl. Kaufmann, Walter: Ch'in Tablature, in: Musical Notations of the Orient: Notational Systems of East, South and Central Asia, Part 3, Zither Tablatures, Indiana University Press, Bloomington 1967, S.267-296 Mitani, Yoko: Some melodic features of Chinese qin music, in D. Widdess and R. Wolpert (Hrsg.) Music and Tradition: Essays on Asian and other musics presented to Lawrence Picken,Cambridge University Press 1981, S.123-142 36 vgl. Gerhardt, Ludwig: Lingusitische und musikethnologische Zusammenhänge bei den Floßzithern Nordnigerias , in: Musik in Afrika, hrsg. von Artur Simon, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Museum für Völkerkunde, Berlin 1983, S.72-83

29

Page 30: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

weg, halten die Daumen das Instrument und die Finger spielen zugleich mehrere Saiten an. Zusätzlich können durch Druck auf die Kalebasse Klangvarianten erzielt werden. Doch es existieren auch Floßzithern, deren Saiten mit dünnen Ruten geschlagen wer-den und höhere, die Saiten teilende Stege aufweisen. Brettzithern Eine vertraute Form der Zithern in Europa ist die Brettzither, ins-besondere die zahlreichen Kastenzithern, die weiter geordnet wer-den nach ihrer Spielweise z.B. als Streich-, Zupf- und Schlagzi-thern bzw. Hackbretter. Ein anderes Ordnungsmerkmal ist das Vorhandensein von Griff-brettern, wie bei der norwegischen Langleik oder der schwedi-schen Hummel im Unterschied zu den vielfältigen griffbrettlosen Psalterien. Weitere Ordnungsprinzipien folgen der Form des Bret-tes bzw. des Kastens37. Brettzithern, deren historisches Ausgangsgebiet in Westasien zu suchen sein dürfte und sich in verschiedenen Formen manifestie-ren. Zu nennen sei z.B. der 72-78 saitige und dreichörig angeord-nete halbtrapezförmigen Qānūn der arabischen Kulturen Nordafri-kas bis Südasiens, der annähernd diatonisch gestimmt und mit zusätzlichen Umstimmvorrichtungen ausgerüstet ist. Eine andere ebenso weithin verbreitete Kastenzither ist die mit Schlegeln ge-spielte und vierchörig besaitete Sanţūr, die in vier Spielbereiche gegliedert ist. Dieser Typ findet sich in veränderter Form in Süd-ost- und Ostasien. Einfache Brettzithern sind auch in Afrika ver-breitet. Ein seltenes Exemplar einer dreisaitigen gestrichenen Kastenzither wird letztlich auch den Inuit auf der nordamerikani-schen Insel Baffin im Nordosten Kanadas zugeordnet, die mögli-cherweise auf einst intensivere Kontakte zu asiatischen Kulturen hinweist38. Eine einfache Brettzither sei erwähnt, die tanzanische Kipango mit sechs Saiten und Kalebassenresonator. Kubik beschreibt die Über-tragung von Spieltechniken für die rechte Hand von der europäi-schen Gitarre auf dieses Instrument39, während die linke traditio-nell jeweils drei der sechs Saiten stoppt. Die Kipango wird zur Begleitung von Unterhaltungsgesängen gespielt. Die Spieltechniken der verschiedenen Brett- und Kastenzithern sind ein wichtiges klassifikatorisches Indiz. Kastenzithern weisen oft verschiedene Spielbereiche auf, die durch querlaufende Stege gegliedert sind. Dabei können beide Hände verschiedene Aufga-ben des Anreißens, Zupfens oder Abgreifens erfüllen. Mit Schlä-geln gespielte Zithern sind weit verbreitet als Ensemblemusikin-strumente in der Funktion der Tonraumausfüllung. Besonders im 20. Jahrhundert fanden sie in Ostasien und auf dem südostasiati-schen Festland in dieser Weise Anwendung und wurden Mitte des Jahrhunderts nach vielfältigen Erweiterungen der chorischen Be-saitung und der Einführung strapazierfähigerer Wirbelhalterungen auch zur europäisierten Orchestrierung genutzt. Traditionelle No-tationsweisen blieben jedoch daneben weiterhin erhalten, wie hier auf einer Tam-thap-luc oder Sanshiliu der in Saigon-Cholon le-benden Kantonesen (Abb. 51).

37 vgl. hierzu ausführlicher Andreas Michel: Zithern, Musikinstrumente zwischen Volkskultur und Bürgerlichkeit, Musikinstrumenten-Museum der Universität Leipzig, Katalog, Verlag des Musikinstrumenten-Museums der Universität Leipzig, Leipzig 1995 38 vgl. hierzu Kommentar von Willard Rhodes in Paul Collaer: Amerika, in: Musikgeschichte in Bildern, Band I, Lf. 2, hrsg. von Heinrich Besseler und Max Schneider, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1967, S.70 39 vgl. Kommentar von Gerhard Kubik in: Gerhard Kubik: Ostafrika, in: Musikgeschichte in Bildern, Band I, Lf. 10, hrsg. von Werner Bachmann, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1982, S. 216-217

30

Page 31: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 51 Abb. 52

In das zentraljavanische Gamelan hat die Zither Celempung (Abb. 52) mit 13 Doppelchören erst relativ spät Eingang gefunden. Die Spielweise entspricht der der ostasiaitschen Wölbbrettzithern mit Fingerplektren und Abgreiftechniken für die linke Hand. Eine sehr alte Form hingegen ist die vietnamesische einsaitige Kastenzither Bâu (Abb. 53), die entfernt mit dem Musikbogen verwandt ist. Besonders interessant ist die Spieltechnik der rechten Hand. Während ein kleiner, schmaler polierter Bambusscheit zwi-schen Daumen und Zeigefinger gehalten wird, ruht die Handkante genau auf dem Punkt der Saite, der sie in die Hälfte, die Hälfte der Hälfte usw., teilt und den Obertondistanzen entspricht, die zu-nächst tiefer als der gewünschte Ton liegen. Mit dem Anreißen der Saite wird die Handkante abgehoben, damit die gesamte Saite schwingt. Die linke Hand reguliert indes an einem in den Kasten gesteckten Hebel aus elastischem Büffelhorn die Spannung und damit die exakten Tonhöhenverbindungen. Der Ambitus kann bis zu drei Oktaven umfassen.

Abb. 53

Ebenso interessant sind moderne Formen in Japan, die sich bis nach Westasien ausbreiteten, wie die Taishōgoto aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hier ersetzt eine Mechanik mit Tasten das Abgreifen der Saiten, während die rechte Hand mit einem Plektrum schnell hin- und herstreicht. In Belutschistan wird dieses sechssaitige Bānjo mit zusätzlichen Bordunsaiten zur Begleitung epischer Lieder benutzt. Zu den Brettzithern dieser Region zählt auch die nordvietnamesi-sche Erdzither Trông quân (Abb. 54). Sie ist das Begleitinstrument gleichnamiger Wechselgesänge zwischen Jungen und Mädchen, die die dichterische Improvisationskunst in bestimmten vorgege-benen Versmaßen herausfordern. Die beiden Gruppen sitzen sich gegenüber, in der Mitte die Erdzither, und schlagen im entspre-chenden Metrum rhythmische Variationen auf der durch einen hohen Bambussteg geteilten Saite, die durch Druck zusätzlich in der Spannung verändert werden kann.

31

Page 32: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 54

Die erforderliche Erdgrube wird in den letzten Jahrzehnten häufig durch einen abgedeckten Kübel ersetzt. Schalenzithern Bekannte Beispiele für zumeist heterochorde Schalenzithern sind vor allem im östlichen Zentral- und in Südafrika zu finden40, wie diese Trogzither der Zinza in Tanzania (Abb. 55).

Abb. 55

Die Formen des Troges, der mitunter mehrere Schalllöcher auf-weist, variieren sehr stark und kennzeichnen zugleich bestimmte Kulturgebiete. In Spielweise und –haltung gibt es zahlreiche Ähn-lichkeiten zu den Floßzithern. Zahlreiche Trogzithern werden über einer breit aufegschnittenen Kalebasse gespielt bzw. sind direkt mit einer Kalebasse am Schallloch verbunden. Ergologisch zählen zu den Schalenzithern auch idiochorde Ex-emplare in Südostasien, deren internodialen Bambussegmente bis zur Halbröhre aufgeschnitten sind, wie das Đǐngđơng (Abb. 56) einiger Thai-Völker in Südchina und auf dem südostasiatischen Festland.

Abb. 56

Das mit Schlägeln gespielte Instrument erklingt zu Tänzen und stationären Feiern ähnlich dem Chingding der Mon-Khmer-Völker und zeigt zugleich, dass Musizieranlässe in den Kulturen oft ein-deutigere Ordungskriterien für Musikinstrumente abgeben als ergologische Merkmale. Rahmenzithern Rahmenzithern, deren Saitenträger aus starren oder gebogenen Stäben bestehen, mitunter durch einen Kalebassenresonator ver-stärkt, sind eher seltene Instrumente. Ein Beispiel sei erwähnt, die Rahmenzither Do der Guere an der Elfenbeinküste (Abb. 57).

40 vgl. Ulrich Wegner: Afrikanische Saiteninstrumente, Museum für Völkerkunde Berlin, Veröffentlichungen des Museums für Völkerkunde, Neue Folge 41; Abtlg. Musikethnologie V, Berlin 1984, S. 65-75

32

Page 33: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 57

Die Kalebasse wird gegen den Körper gedrückt und der Rahmen von beiden Händen zugleich gehalten. Die stoppenden und anrei-ßenden Spielfunktionen der Hände sind wie bei einigen Brettzi-thern geteilt. Zusammengesetzte Chordophone: Lauten und Harfen Bogenlauten Bogenlauten kommen in Zentral- und im östlichen Westafrika vor und zählen zu den traditionellen Musikinstrumenten, denen in den verschiedenen Kulturen hohe rituelle Bedeutung beigemessen wird. Sie erklingen entweder solistisch oder gemeinsam mit ande-ren rituell genutzten Musikinstrumenten, wie z.B. bestimmten Insignientrommeln und Schrapern, um lebenszeitliche Ereignisse wie Geburt, Initiation, Heilung und Tod in prophezeiender Weise zu begleiten. Ein typisches Beispiel ist die große dreisaitige Lo-kombi der Bolia im Kongo41, deren Saiten über eine in einen halb-rund ausgehöhlten Baumstamm gesteckte Decke laufen und über einen Steg führen (Abb. 58). Das Instrument muß wegen seines Gewichtes und seines Umfangs an einem Hüftgürtel getragen werden, während die dadurch freien Hände des Spielers die Saiten mit der einen Hand stoppen und mit der anderen Hand überstrei-chen.

Abb. 58

Andere, kleinere Exemplare weisen mehr Saiten auf und werden zumeist mit dem Resonanzkasten zum Körper hin gehalten, wobei mitunter dem Lamellophon-Spiel ähnliche Spieltechniken zu er-kennen sind. Jochlauten oder Leiern Leiern begegnen uns bereits auf Jahrtausende alten Darstellungen zur sumerischen Kultur42. Heute sind Schalen- und Kastenleiern vor allem im nördlichen Ostafrika bis nach Uganda verbreitet. Typische Beispiele sind die Leiern vom Typ der Begena und des Krar, die in vielfältigen Formen und unter unterschiedlichen Be-

41 vgl. hierzu Kommentar von Pierre Sallée und Jos Gansemans in: J.Gansemans/ B.Schmidt-Wrenger: Zentralafrika, Musikgeschichte in Bildern, Bd.1: Musikethnologie/ Lieferung 9, Leipzig 1986, S. 120 42 siehe Subhi Anwar Rashid: Mesopotamien, in: Musikgeschichte in Bildern, Bd.II: Musik des Altertums/ Lfg. 2, hrsg. von Werner Bachmann, Leipzig 1984, S. 28-41

33

Page 34: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

zeichnungen43 erscheinen und vor allem als Begleitinstrument zu Unterhaltungsgesängen genutzt werden.

Abb. 59 Abb. 60 Abb. 61

Der Resonanzkörper des äthiopischen 5-saitigen Krar kann aus einem lederbespannten Gerüst (Abb. 59), aus einer mit Fell abge-deckten Schale und Schalllöchern, Augen genannt (Abb. 60), oder aus einem gezimmerten Kasten, die Saiten aus Darm, gedrehten Pflanzenfasern oder Metalldraht bestehen. Die Spielhaltung (Abb. 61) erlaubt ein virtuoses Spiel. Mit den Fingern der linken Hand werden die Saiten gestoppt, die nicht erklingen sollen. Dabei über-nimmt der Ringfinger die tiefste untenliegende Saite, der Daumen die beiden obenliegenden nächsten Saiten, der Zeigefinger und der Mittelfinger die mittleren Saiten. Die rechte Hand streicht in schneller Folge über die Saiten, bisweilen werden auch kontrahie-rende Zupftechniken angewandt. Die Stimmungen entsprechen den Haupttönen der Modi44 und unterscheiden sich z.B. folgender-maßen:

Daumen d d e des des Daumen (Zeigefinger)

e es f f f

Zeigefinger (Mittelfinger)

g g g g ges

Mittelfinger (Ringfinger)

a as h as a

Ringfinger (Kleinfinger)

c’ c’ c’ c’ c’

Tritt eine sechste Saite hinzu, oktaviert sie die untenliegende Saite. In den verschiedenen Kulturen existieren unterschiedliche Finger-sätze und Stimmungen, so werden z.B. im Nordsudan alle Finger der linken Hand (in Klammern stehend) benutzt, eine Spielweise, die in Äthiopien nur Jugendlichen mit kleinen Händen eigen ist, und die Saiten sind in der angegebenen Reihenfolge z.B. auf g – f – d – c – a gestimmt. Die großen, mitunter über 1 m hohen Leiern vom Typ der Begena, die im Stehen und bisweilen mit beiden Händen in Zupf- und Überstreichtechnik gespielt werden, haben 8 bis 14 gleichartig und in nebeneinanderliegenden Oktaven gestimmte Saiten. Sie sind relativ kostbare Musikinstrumente der Gebildeten und begleiten epische Gesänge und religiöse Deklamationen. Die traditionelle Saitenbefestigung mit Spannknebeln an der Querstange (Abb. 62) entspricht derjenigen, die bereits für Leiern aus Mesopotamien belegt sind. Modernere Exemplare verfügen allerdings über Stimmwirbel.

43 vgl. Artur Simon: Dahab – Ein blinder Sänger Nubiens – Musik und Gesellschaft im Nordsudan, in: Musik in Afrika, hrsg. von Artur Simon, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Museum für Völkerkunde, Berlin 1983, S. 260-283 44 nach typischen Gesängen benannte Modi Tizita (2 Formen), Bati, Ambassel und Anchi Hoye Lene

34

Page 35: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 62

Leiern mit mehr Saiten, die weiter südlich mit beiden Händen ohne Stoppfunktion gespielt werden, weisen mitunter in Spielbereiche gruppierte Stimmabfolgen ähnlich der von Lammellophonen und Xylophonen auf. Kubik belegt eine solche Leier für Süduganda45. In Europa sind Leiern auf zahlreichen mittelalterlichen Abbildun-gen auszumachen. Die keltische Leier Crwth ist uns ebenso wie die altgriechische Kytara ein Begriff aus der Vergangenheit, indes erfreut sich die Drehleier, die ausführlich von M. Bröcker46 doku-mentiert wurde, ungebrochenen Zuspruchs. Die karelisch-finnische Jouhikko, auch Jouhikannel (Abb. 63) oder Jouhikantele genannt, stellt indes eine Entwicklung aus der nordi-schen Leier dar, deren 2 oder 3 Saiten in Quarten oder in einer Quarte und einer Quinte gestimmt werden.

Abb. 63

Spätere Musikinstrumente dieses Typs, z.B. die schwedische ge-strichene Stråkharpa mit 4 Saiten47, weisen andere Stimmungen auf. Die Bogenspielart und die damit verbundene Benutzung eines Steges soll Folge kultureller Beziehungen zum Orient in der Zeit der Wikinger gewesen sein. Stiellauten Zu den Stiellauten zählen zunächst die Spießlauten, von denen eine der bekannten die traditionelle arabische Kamānğa ist, deren Schalenresonator Schaf- oder Fischhaut bedeckt. Schalenspieß-lauten dieses Typs sind unter vielen Bezeichnungen weit in Asien und Afrika verbreitet, doch unterscheiden sie sich in der Saiten-zahl, der Wirbel- und Kopfform, der Art des Steges, der Bogen-haltung und darin, ob sie regulär über eine Stimmschlinge verfü-gen. Die typische Spielhaltung ist senkrecht mit nach außen weisenden Saiten (Abb. 64). Der Bogen wird mit den Fingern der rechten Hand gabelförmig gehalten, wobei der Mittelfinger zwischen Stab und Bespannung greift, die durch Druck gestrafft werden kann, wie hier bei der Tinh der Leu in der Region zwischen Thailand, Burma und Laos.

45 vgl. Kommentar von Gerhard Kubik in Gerhard Kubik: Ostafrika, in: Musikgeschichte in Bildern, Bd. I, Lf. 10, hrsg. von Werner Bachmann, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1982, S.108 46 vgl. Marianne Bröcker: Die Drehleier, ihr Bau und ihre Geschichte, Verlag für systematische Musikwissenschaft GmbH, Bonn - Bad Godesberg 1977 47 vgl. Styrbjörn Bergelt: On the „Stråkharpa” – an ancient bowed lyre, in: Second Conference of the ICTM Study Group on Music Archeology, Bd. 1, General Studies, hrsg. von Cajsa S. Lund, Royal Swedish Academy of Music, Nr. 53, Stockholm 1986, S. 225-235

35

Page 36: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 64 Abb. 65

In Ost- und Südostasien sind die außerordentlich vielgestaltigen Schalen- und Röhrenspießlauten mit wenigen Ausnahmen zwei-saitig (Abb. 65). In den meisten Fällen wird die Bespannung des Bogens zwischen den beiden Saiten hindurchgeführt. Der Bogen ist so konstruiert, dass diese schnell über dessen Spitze gehakt werden kann. Beim Spielen wird dann eine Saite durch Druck und die andere durch Zug gestrichen. Der Klang hängt wesentlich von der Beschaffenheit der die Schale oder Röhre überdeckenden Haut und des auf ihr ruhenden Steges ab. Als Bedeckung kommen vorzugsweise relativ starre Häute von Reptilien in Frage, ersatzweise dünne und leichte Holzplatten. Leichtes Holz, Muschelschalen, Fruchtkerne, sogar kleine Glüh-birnen liefern das Material für den Steg. Im Unterschied zu europäischen Fideln bzw. zur Violine sind Glissando- und Vibratotechniken mit senkrechtem Zug zum Stiel hin verbunden und nicht mit parallel zum Hals verlaufendem Ab-greifen. Dauraus ergibt sich auch eine differente Dynamik der Tongebung, die sich deutlich erkennen lässt. Spießlauten spielen in allen Musizierbereichen eine wichtige Rolle, so in traditionellen Zeremonialensembles, als Begleitin-strument umherziehender Sänger und im Orchester des traditio-nellen Theaters. Spießlauten mit mehr als zwei 2 Saiten und einsaitige Spießgeigen sind eher von Zentralasien bis Nord- und Ostafrika zu finden. Ein typisches Beispiel ist die äthiopische Masinqo, eine einsaitige Kastenspießlaute, die die Azmari-Gesänge begleitet. Oft sind schon Kinder im Alter von 12 Jahren als Musikanten unterwegs und bieten ihre Dienste zu Familien- und Dorffeiern an (Abb. 66). Die eine Saite der Masinqo ist aus starkem gedrehtem Darm und der Steg, der die Saite durch eine Bohrung aufnimmt, aus sehr stabilem Holz.

Abb. 66

Beim Abreifen der Saiten wird wie bei den meisten Spießlauten die Fingerbeuge, nicht die Fingerkuppe, benutzt. Der Masinqo ähnliche einsaitige Instrumente finden sich bei den Tuareg und den Berbern, insbesonder die eigenwillige Gestalt des Steges, der die Saite in ihrer Position einschließt. Zu den Spießlauten, die nicht gestrichen werden, zählen die drei-saitigen ostasiatischen Lauten, z.B. die japanische Shamisen (Abb.

36

Page 37: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

67 oben), die mit einem großen beilklingenförmigen Plektrum geschlagen wird, und die Sanxian oder Tam genannte mit Schlan-genhaut bezogene Laute chinesischer Herkunft (Abb. 67 unten), die in einigen Kulturen Indochinas zum Bestand der Zeremonial-ensembles gehört.

Abb. 67

Bei allen Spießlauten wird der aus dem Korpus herausragende Teil des Spießes zur Saitenbefestigung genutzt, ein Merkmal, dass auch bisweilen auf einige später entwickelte Halslauten durch besonders stabilisierte unterständige Saitenbefestigung übertragen wurde. Halslauten Das traditionelle Verbreitungsgebiet der Halslauten deckt sich in groben Zügen mit dem der Spießlauten, doch haben durch die Kolonisierung Mittel- und Südamerikas und Teilen Südostasiens und Ozeaniens zahlreiche Lauten weltweite Verbreitung gefunden bzw. auf bodenständige Saiteninstrumente Einfluss genommen. Dabei spielten vor allem die portugiesischen Halslauten des Typs der meist mit 5 Dopplechören besaiteten Viola, des Typs der schlichten Cavaquinho mit vier Saiten, und des Typs der größer dimensionierten Violão mit 5 Saiten eine Rolle. Als sehr erfolg-reich erwiesen sich Cavaquinho und Violão bzw. die später aus ihr hervorgegangene spanische Gitarre, die zahlreiche Umformungen erfuhr. So etwa in Lateinamerika in Form der Cuatro, Quinto und Charango, in Südafrika als Ramkie, in Hawaii als Taro-Patch Fiddle und Ukulele, die sich schließlich weiter verbreitete über die Philippinen, Japan und die Vereinigten Staaten von Amerika. In allen Kulturen fanden bestimmte Transformationen statt, die die Form des Korpus, das Saitenmaterial, die Stimmung der Saiten und Spielweisen betrafen. Die meisten Veränderungen sind indes-sen auf die unterschiedlichen Musizierweisen und Repertoires zurückzuführen. Ein interessantes Beispiel hierfür ist die südvietnamesische Ghita Phím Lőm (Abb. 68).

Abb. 68 Abb. 69

Nach mehreren Experimenten mit der Mandoline und kleiner di-mensionierten Oktavgitarren entwickelte sich Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts dieses den traditionellen Spielweisen angepasste zumeist 5-saitige Musikinstrument, dessen Bundflä-chen tief genug ausgehöhlt wurden, um bei mittelschwacher Span-nung der Metallsaiten diese um bis zu eine Quarte aufwärts ziehen

37

Page 38: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

zu können (Abb. 69). Die chromatische Bundeinteilung blieb un-verändert und wurde kreativ genutzt, um z.B. in der Theatermusik leichter transponieren zu können. Es existieren 9 verschiedene Saitenstimmungen, von denen die Dây Lai genannte Stimmung D – G – d – a – d’ die gebräuchlichste ist. Unter der Bezeichnung Rebāb und ähnlichen sind indes verschie-dene Lautentypen zu verstehen, die sich im arabischen Raum bis hin nach Zentralasien ausgebreitet haben. Darunter sind auch Kastenspießlauten, wie die einsaitige Rebāb Al-šācir zur Beglei-tung epischer Gesänge. Andere zählen jedoch zu den Halslauten und hatten u.a. viele Jahrhunderte lang Einfluss auf die Entwick-lung von Saiteninstrumenten in Europa. Die Abbildung (Abb. 70) zeigt einen marokkanischen Musiker mit der zweisaitgen Rebāb in einem Reisebericht aus dem 19. Jahrhundert48.

Abb. 70

Ähnlichkeiten zu dieser Laute finden sich bei zahlreichen Saiten-instrumenten. Der der Bogenführung zuträgliche Flankeneinzug des Korpus begegnet uns letztlich auch bei der indischen Sarangî, der bengalischen Sarinda und verwandten Saiteninstrumenten, die zusätzlich mit Aliquot-Saiten ausgestattet sind. Die dargestellte traditionelle Spielhaltung der Rebāb wird übrigens in einigen Re-gionen Nordafrikas auch auf die europäische Violine übertragen, die bereits über mehrere Jahrzehnte die Rebāb als Ensemblein-strument zu ersetzen versucht. Die arabische Schalenhalslaute cŪd in ihren verschiedenen Vari-anten der Saitenzahl und -stimmung49 verfügt in ihrer klassischen Form über einen Querriegel als Saitenbefestigung, der zugleich die schwingungsübertragende Steg-Funktion übernimmt. Dieser grundsätzliche Unterschied, der ergologisch wesentlicher als die Spielart mit oder ohne Bogen ist und die europäische Unterschei-dung zwischen Laute und Fidel ausmacht, begründet eine ganze Gruppe von Lauteninstrumenten, die in der Regel wie Langhals-lauten schräg oder horizontal vor dem Öberkörper gehalten und gezupft oder mit einem Plektrum gespielt werden. Doch nicht nur diese Eigenschaften sondern auch der relativ hochstehende soziale Status des cŪd mag zur Entwicklung handwerklich kostbarer euro-päischer Schalenhalslauten beigetragen haben. Zwischenformen stellen einige wenige Langhalslauten dar, deren Saiten zwar über einen Steg laufen, aber hernach auf der Decke des Korpus befestigt sind, wie z.B. die dreisaitige Gunbrī der ma-rokkanischen Šlūh oder die Getāra Genāwa50, die in der gleichen Haltung gespielt werden. Ein interessantes Exemplar ist die mauri-sche 5-saitige Langhalslaute Tidinīt und einige ihr verwandte In-strumente, deren Saiten an einem Spieß befestigt sind, der jedoch

48 Ausschnitt aus Abbildung in: Oskar Lenz: Timbuktu. Reise durch Marokko, die Sahara und den Sudan, ausgeführt im Auftrage der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland in den Jahren 1879 und 1880, Leipzig 1884, Bd. I, S. 150 49 vgl. Jürgen Elsners Kommentar hierzu in Paul Collaer/Jürgen Elsner: Nordafrika, in Musikgeschichte in Bildern, Band I, Musikethnologie/Lf. 8, hrsg. von Werner Bachmann, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1983, S. 84 50 vgl. Georg Hoest: Nachrichten von Marókos und Fes, im Lande selbst gesammelt, in den Jahren 1760-1768, Kopenhagen 1781, S. 261-262

38

Page 39: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

durch die Schallöffnung aus der Decke des langgestreckten Korpus heraustritt und zugleich den Steg trägt. Sie wird deshalb auch als Binnenspießlaute bezeichnet, obgleich ihr akustischer Charakter durch den andersartigen Kontakt zur Korpusdecke einem Riegelin-strument recht nahe kommt. Andere Langhalslauten mit unterständiger Saitenbefestigung, wie die zentralasiaitschen Lauten des Typs Tar, Dutar oder Sas, erfül-len wie die schon genannten die Funktion, epische Gesänge und Tänze zu begleiten. Zahlreiche Langhalslauten begegnen uns in indischen Kulturen, von denen die südindische Vîna, die Tânpurâ, die Esraj, die Sîtar und die Sarod zu nennen sind. Die Sîtar (Abb. 71) ist durch Auf-führungen Ravi Shankars in Europa bekannt geworden und löste in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts eine Welle starken Interesses an außereuropäischen Musikinstrumenten aus. Das populäre In-strument hat sieben Hauptsaiten, von denen in der Regel 3 als Bordunsaiten fungieren, während die anderen zwischen den 18-20 bügelartigen und verschiebbaren Metallbünden abgegriffen wer-den, unter denen noch bis zu maximal 20 Aliquotsaiten entlanglau-fen.

Abb. 71

Von den sieben Hauptsaiten gehen 5 von den quirlständigen Wir-beln im Wirbelbrett und 2 über eine Nagelweiche vom Hals aus, wie auch sämtliche Aliquotsaiten. Sie verlaufen über einen zwei-stöckigen Steg und sind gemeinsam mit den Aliquotsaiten unter-ständig befestigt. Mitunter wird der Sîtar noch eine weitere Kale-basse unter dem oberen Halsende hinzugefügt. Moderne Instru-mente verfügen außerdem über eine Feinabstimmungsmechanik für die Spielsaiten hinter dem Steg. Indes sind die anderen indischen Lauten51 ebenso aufregend, z.B. die sehr ähnliche kleinere Esraj, die jedoch in senkrechter Haltung mit einem Bogen gespielt wird, oder die sehr klangvolle, bundlose Sarod, die wie die südindische Vîna mit einem zusätzlichen Kale-bassenresonator unter dem Wirbelbrett ausgerüstet ist. Die indische Tânpurâ hingegen, in ihrer äußeren Form etwas größer als die Sîtar, ist ein Borduninstrument. Ihre vier Saiten werden jeweils leer angeschlagen. Sie wird in kleinen Ensembles, z.B. mit Sîtar und Tablâ, zur Begleitung von Gesängen gespielt. Interessant ist die Tatsache, dass die meisten heute in Gebrauch befindlichen indischen Halslauten unterständige Saitenbefestigun-gen aufweisen, wohingegen auf historischen Darstellungen indi-schen Musiklebens bis zum 7. Jahrhundert vornehmlich Schalen-halslauten mit Querriegelbefestigung abgebildet sind. Hier mögen vorderasiatische Einflüsse vom cŪd-Typ auf Formen des ostasiati-schen Lautentyps der Pipa getroffen sein. In beiden Fällen ist be-legt, dass diese Schalenhalslauten wertvoll und hoch angesehen waren, wohingegen verschiedene Langhalslauten den Wandermu-sikern und Theatertruppen zugeschlagen wurden. In Ostasien gehören Schalenhalslauten ebenso wie Wölbbrettzi-thern zur Tradition der Gelehrten, wie die viersaitige chinesische

51 empfehlenswert hierzu ist Norbert Beyer: Lautenbau in Südindien – M. Palaniappan Achari und seine Arbeit, Museum für Völkerkunde Berlin, Veröffentlichungen des Museums für Völkerkunde, Neue Folge, Abtlg. Musikethnologie, Berlin 1999

39

Page 40: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Pipa oder die japanische Biwa, die in der Tradition der blinden Mönche auch fünf Saiten (Abb. 72) aufweisen kann. Die Saiten-stimmungen variieren je nach Repertoire. Relativ häufig sind Quart-Sekund-Quart-Stimmungen. Die Spielhaltung (Abb. 73) und die Anschlagtechniken ähneln sich jedoch überall stark. Ein sehr alter Typ einer Schalenhalslaute ist die zwischen Thailand, Birma und Kambodscha beheimatete dreisaitige Kachappi52 (Abb. 74).

Abb. 72 Abb. 73 Abb. 74

Sie verfügt jedoch heute nicht mehr über einen Querriegel, da sie inzwischen mit Metallsaiten versehen wird. Andere gleichnamige dreisaitige Lauten der Region sind allerdings Langhalslauten mit traditionell unterständiger Saitenbefestigung (Abb. 75).

Abb. 75

In der Spielpraxis ähnlich der traditionellen Kachappi mit schalen-förmigem Korpus, existieren besonders in Südostasien Bootslauten mit länglich ausgehöhlten Korpus in vielfältigen Formen, die so-wohl gestrichen als auch gezupft werden können. Auf Nordsu-matra begegnen uns ebenso aus dem Sanskrit stammende Instru-mentenbezeichnungen wie Hasapi, Husapi, Kucapi und Kulcapi, ein Indiz langwährender interregionaler Beziehungen53. Die Anzahl der Wirbel zeigt bei einigen asiatischen Lauten nicht immer die tatsächlich genutzte Saitenanzahl. Häufig fungiert der freie Wirbel als Ersatz-Einzugsplatz für den Fall, dass eine Saite während des Spiels reißt. Neben der Schalenhalslaute des Pipa-Typs existieren eine Reihe weiterer Halslauten mit unterschiedlich geformten Querriegeln, so die Yueqin, Yangqin und Qinqin (Abb. 76), die in zahlreichen kleineren Ensembles zur Unterhaltung gespielt werden.

52 In historischen indischen Traktaten erscheint die Bezeichnung Kachappi für eine gezupfte Laute 53 vgl. Artur Simon: The Terminology of Batak Instrumental Music in Northern Sumatra, in: Yearbook for Traditional Music, Bd. 17, hrsg. von Dieter Christensen, 1985, S.113-145

40

Page 41: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 76 Abb. 77

Eine Laute mit besonders langem Hals ist die nordvietnamesische Đây (Abb. 77). Durch die Länge der drei in Quarten gestimmten Saiten und die hohen konvex gewölbten Bundstege ist es möglich, durch zum Hals parallelen Abgreifzug in beide Richtungen zwi-schen diesen Töne nicht nur zu erhöhen, sondern auch zu vertie-fen. Sie wird ausschließlich zur Begleitung professioneller Sänge-rinnen gespielt und kann diese durch ihre besondere Eigenschaft intonatorisch an die oft langen und komplizierten Texte erinnern. Harfen Früheste Abbildungen von Harfen finden sich bereits auf mesopo-tamischen Piktogramme n die inzwischen älter als 5000 Jahre sind.

Abb. 78

Die hier abgebildete Winkelharfe54 aus der altbabylonischen Zeit (Abb. 78) ist bereits eine Weiterentwicklung der älteren Rundhar-fen mit 7 Saiten und senkrecht aufgestellter Resonanzschale. Die-sem Typ folgten große, stehende Winkelharfen mit untenliegen-dem Resonanzkasten. In späteren indischen Darstellungen über-wiegen allerdings Bogenharfen mit Schalenkorpus. Heute begegnen uns außerhalb Europas Harfen in weiten Teilen Afrikas, Zentral- und Südasiens. In Ostasien und in Amerika hin-gegen sind Harfen sehr selten mit Ausnahme nachkolumbianischer Adaptionen und Transformationen von europäischen Rahmenhar-fen in Mittelamerika. Besonders bemerkenswert sind die Harfen-spieltraditionen Venezuelas. Kubik55 beschreibt ausführlich die ugandische 8-saitige Bogen-harfe Ennanga (Abb. 79), die zur Begleitung epischer Gesänge erklingt. Interessant ist die Methode der Klangverstärkung durch 54 Zeichnung nach einem Terrakottarelief im Iraq-Museum, Bagdad, Inv.Nr. IM 21459 55 vgl. Gerhard Kubiks Kommentar hierzu in Gerhard Kubik: Ostafrika, in: Musikgeschichte in Bildern, Band I, Musikethnologie/Lf. 10, hrsg. von Werner Bachmann, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1982, S. 174S. 78

41

Page 42: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

das Anbringen von Schnarrringen unterhalb der Saitenbefestigung am Flankenwirbel, die aus mit Eidechsenleder bezogenen Faser-stricken bestehen und mit kleinen Holzkeilen in Position gebracht werden. In der Resonanzschale verläuft unterhalb der Felldecke ein Stab, an welchem die durch ein kleines Loch hineinführenden Saiten Halt finden. Die ineinandergreifenden Spieltechniken der linken und rechten Hand auf der Ennanga ähneln denen der auf Lamellophonen und Xylophonen in dieser Region. Das Korpus wird während des Spiels auf dem Schoß gehalten, die Saiten sind innenliegend.

Abb. 79

Genau andersherum wird die 12-saitige maurische Winkelharfe Ārdīn gehalten (Abb. 80). Der im stumpfen Winkel aus der Reso-nanzschale ragende Bügel ruht im Sitzen auf der rechten Schulter, während die Arme die Saiten umfangen. Die Ārdīn wird von pro-fessionellen Musikerinnen gespielt, die die Gesänge der Griot genannten Geschichtenerzähler begleiten, die selbst auf der Lang-halslaute Tidinīt spielen. Auch hier spielen Schnarreffekte eine Rolle. Am Ende des außenliegenden Saitenhaltestabes sind zwei Metallscheiben befestigt, die während des Spiels je nach Intensität mitklirren. Bisweilen schlagen die Musikerinnen zur Markierung der Vortragsabschnitte auch auf die Decke der Resonanzschale56. Kleinere Winkelharfen sind auch zur Begleitung von Tänzen und als Soloinstrumente in Kleinasien verbreitet. Ein typisches Bei-spiel ist die traditionelle grusinische Changi mit 6 bis 9, bei voller Saitenzahl annähernd diatonisch gestimmten, Saiten verschiedener Stärke (Abb. 81).

Abb. 80

Exemplare unterschiedlicher Größe mit chromatischer Stimmung werden heute in grusinischen Folkloreensembles gespielt. Eine Sonderstellung nehmen letztlich die Stegharfen ein, die aus-schließlich in Westafrika vorkommen. Hier führen die Saiten von einem Hals, der nur leicht gebogen oder starr und schräg in ein Korpus eingesteckt ist, zu einem senkrecht auf dessen Decke ge-stellten Steg mit Kerben oder Löchern, an dem sie entweder befes-tigt sind oder dem unmittelbar eine Halterung folgt, die unterstän-

56 vgl. Charles Duvelles Kommentar hierzu in Paul Collaer/Jürgen Elsner: Nordafrika, in Musikgeschichte in Bildern, Band I, Musikethnologie/Lf. 8, hrsg. von Werner Bachmann, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1983, S. 174

42

Page 43: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

dig am Korpus befestigt ist. Die Spielsaitenebene verläuft damit nicht parallel zur Korpusdecke, sondern senkrecht und zwar mit zwei parallelen Saitenebenen, die durch die beidseitige Führung entlang des Stegrandes entstehen. Beziehungen zu kleineren Bo-genharfen, besonders in der Spielhaltung, zu Musikbögen mit Kerbsteg und zentraler Kalebasse, hier durch das Vorhandensein von durch den Steg geteilter Spielbereiche, sowie zu Binnen-spießlauten sind unverkennbar. Entscheidend ist jedoch die har-fengemäße Spielweise und die relativ hohe Anzahl von Saiten von bis zu 24, die durch den hohen Steg aufgenommen werden kann. Bekannt wurden Stegharfen durch die Jali genannten Preissänger der Bevölkerungsgruppe Manding, die zwischen anderen entlang der Westküste von Guinea bis Senegal lebt57 und die ihre anspruchsvollen Gesänge auf der Kora, einer Stegharfe, begleiten. Aerophone Freie Aerophone Ablenkungsaerophone Zu den wenigen so genannten Ablenkungsaerophonen zählt die knallende Peitsche und die geschwungene Säbelklinge, die bis-weilen in traditionellen ostasiatischen Theateraufführungen musi-kalische Funktionen erfüllen können. Ergologisch hier einzuordnen ist auch das frische Blatt (Abb. 81), auf dessen schneidenförmigen Rand ein starker Luftstrom geblasen wird. Es gibt unzählige verschiedene Techniken des Blattblasens und Vorlieben für bestimmte Blattsorten. In weiten Teilen Asiens exisiteren zudem unterschiedliche Repertoires, die in den letzten Jahrzehnten durch Folkloredarbietungen verändert und bekannt gemacht wurden. Bei den Hmong in der Region zwischen Südchina, Vietnam und Thailand werden bestimmte junge Bananenblätter bevorzugt, deren Rand zugleich ein wenig gewellt, aber unversehrt und fest ist (Abb. 82).

Abb. 81 Abb. 82

Das Blattblasen wird sowohl von Männern als auch von Frauen zur Verständigung über große Distanzen und zum intonatorisch umgesetzten Vortrag bekannter poetischer Texte betrieben. Die dynamische Vielfalt und der enorme Tonumfang wird durch diffi-ziles Bewegen und Spannen der Blattschneide, durch Mundraum-veränderungen ähnlich denen beim Maultrommelspiel und durch die gekonnte Steuerung der Lippenmuskulatur erzielt. Unterbrechungsaerophone In Europa begegnet uns bisweilen das Blasen auf einen gefalteten Blatt oder auf einem gespaltenen Grashalm. Ergologisch handelt es

57 vgl. Ulrich Wegner: Afrikanische Saiteninstrumente, Museum für Völkerkunde Berlin, Veröffentlichungen des Museums für Völkerkunde, Neue Folge 41; Abtlg. Musikethnologie V, Berlin 1984, S. 175-184

43

Page 44: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

sich dabei um freie, selbstklingende Unterbrechungsaerophone mit Gegenschlagzungen. Diesem Prinzip ensprechen einige zylindrische Röhren Ozeaniens aus Bamubs oder Schilf. Sie weisen einen länglichen Spalt auf, der kurz hintern dem Blasloch beginnt und sich bis zum offenen Ende der mitunter bis zu 60 cm langen Instrumente hinzieht. Während des Hineinblasens wird dieser Schlitz periodisch mehr oder weni-ger zusammengedrückt, wodurch schnarrende Pfeiftöne entstehen. Freie Aufschlagzungeninstrumente sind eher rar. Die Urua ge-nannten Musikinstrumente einiger Völker im brasilianischen Mato Grosso können als solche bezeichnet werden. Sie werden einzeln in Gruppen von mehreren Musikern oder in Paaren von je zwei Musikern sowohl zu unterhaltenden als auch zu rituellen Tänzen gespielt. In ein Septum der bis zu 5 cm im Durchmesser starken Röhren aus grünem, schwerem Bambus wird ein kurzes Rohr mit Zungenaufschnitt von ca. 1,5 cm Durchmesser senkrecht versenkt. Der Raum oberhalb des Nodiums dient als Windkapsel, in die hineingeblasen wird. Die restlichen Septa der Röhren werden entfernt58. In einigen außereuropäischen Musikkulturen sind die in diese Kategorie fallenden freien Durchschlagzungenspiele, auch Mund-orgeln genannt, besonders interessant.

Abb. 83

Während die traditionelle chinesische Sheng mit 17 (Abb. 83) bis 21 in einzelne Röhren eingesetzten Durchschlagzungen vielerorts bereits durch Aufführungen bekannt ist, fanden die vielen anderen in der Region verbreiteten Instrumente dieses Typs relativ wenig Beachtung, oblgeich sie in den betreffenden Kulturen von großer, wenn nicht gar indikativer Bedeutung sind. So verwenden die Akha im Norden Thailands, in Birma und Laos einen langhalsigen Flaschenkürbis, der zugleich Anblasstück und Windkammer darstellt. In ihm ruhen im stumpfen Winkel zum Anblasstück 5 verschieden lange und verschieden starke Röhren aus weitknotigem Bambus (Abb. 84), in die je eine Durchschlag-zunge eingebracht ist. Vier der Röhren besitzen ein Verschluss-loch, das mit den Fingern abgedeckt werden muss, um den Luft-strom auf die entsprechende Zunge zu leiten. Die fünfte Durch-schlagzunge klingt ständig mit. Nach diesem Prinzip funktionieren die meisten Mundorgeln, die entweder in der Region von vielen Völkern entweder Khen oder Pi genannt werden, auch die Khen der Ôi mit sechs Röhren (Abb. 85) und sechs Verschlusslöchern in ihren zwei unterschiedlich großen Ausführungen, die jeweils ge-meinsam gespielt werden. Die aufgesetzte Kalebasse auf der lan-gen Mundorgel bewirkt hier lediglich eine Klangveränderung. Die

58 vgl. hierzu Kommentar von Paul Collaer in Paul Collaer: Amerika, in: Musikgeschichte in Bildern, Band I, Lf. 2, hrsg. von Heinrich Besseler und Max Schneider, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1967, S. 160-163

44

Page 45: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Pi der Sila bzw. Safor, ein Borduninstrument, nutzt hingegen eine aufgesetzte Kalebasse anstelle der Verschlusslöcher.

Abb. 84 Abb. 85

Zu besonders hoher Meisterschaft im Mundorgelspiel brachten es die Laoten und einige verwandte Völker. Hier sind gleichstarke Röhrenpaare in eine hölzerne Windkammer, die aus zwei Hälften besteht, eingeschoben und mit weichem Wachs an ihr befestigt. Jede Röhre trägt eine Durchschlagzunge und verfügt über ein Verschlussloch. Sollen Röhren ständig mitklingen, werden sie mit Wachskügelchen aus dem reichlichen Vorrat an der Windkammer-befestigung verschlossen. Es sind fünf-, sieben- und achtfüßige Mundorgeln zu unterschei-den (Abb. 86 sieben, Abb. 87 acht mit Vorderansicht und fünf), deren Windkammern unterschiedliche Formen aufweisen und annähernd diatonisch gestimmt sind. Beim Spielen wird das In-strument mit dem Handballen an der Windkammer etwas schräg zum Körper gehalten, die Finger ruhen locker auf oder neben den Verschlusslöchern.

Abb. 86 Abb. 87

Die Mundorgeln erklingen hauptsächlich zur Begleitung von Ge-sängen und Tänzen während der zahlreichen Dorf- und Familien-feste oder im Anschluss an Tempelzeremonien. Solistische Vor-träge nehmen erst in den letzten Jahrzehnten einen Aufschwung.

Abb. 88

Die Mundorgel der Hmong (Abb. 88) besitzt indes ein sehr langes, aus zwei Hälften zusammengesetztes Anblasstück und sechs Röh-

45

Page 46: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

ren unterschiedlicher Stärke, von denen traditionell mindestens zwei Röhren mit je zwei Durchschlagzungen ausgestattet sind. Bei neueren Instrumenten betrifft dies jede Röhre. Mundorgeln spre-chen sowohl auf Blas- als auch auf Zugluftstrom an. Die Mundor-gel der Hmong ist so konstruiert, dass jeweils eine der beiden Durchschlagzungen nur auf Blas- oder Zugluft reagiert. Dadurch werden ensprechend verschiedene Töne gespielt. Die Stimmungen sind lokal sehr unterschiedlich. Während des Mundorgelspiels werden bestimmte tänzerische Bewegungen ausgeführt, die sich bisweilen ins Akrobatische steigern59. Bei den Hmong wird die Mundorgel ausschließlich von Männern gespielt. Zur Gruppe der Mundorgeln sind schließlich auch Harmonikas in allen ihren Formen zu zählen. Andere freie Aerophone klingen nicht selbst, so z.B. das Schwirr-holz, das die sie umfließende Luft in Schwingung versetzt. Schwirrhölzer begegnen uns vor allem in Ozeanien, in Teilen Afrikas und in den traditionellen Kulturen Amerikas. Während Schwirrhölzer in Europa als Kinderspielzeug, höchstenfalls als Geräuscherzeuger zur Abschreckung gelten, sind Schwirrhölzer in jenen Kulturen von hoher ritueller Bedeutung und begleiten zahl-reiche Jagd-, Lebensabschnitts- und Ahnenzeremonien. Bei den Chokwe Angolas heißt das Schwirrholz Ndumba Mwela, was Löwengebrüll bedeuten soll. Es ist ein geheimes Musikin-strument, das nur von wenigen Erwachsenen in den Initiations-schulen benutzt werden darf. In Ozeanien finden sich besonders viele Formen von Schwirrhöl-zern, die aus Holz oder Fischbein geschnitzt sind (Abb. 89 oben rechts). Die ausgezackten Ränder sind auch typisch für die Schwirrhölzer einiger Inuit im Norden Canadas, die sie in großer Zahl zugleich verwenden. Sie können bis zu 35 cm lang sein und sehr laute Klänge erzeugen.

Abb. 89

Ein ganz einfaches Schwirrblatt als Klangspielzeug ist für diese Region belegt, das aus einem mittleren gefalteten Palmblattaus-schnitt besteht, aus welchem die abgelöste Mittelrippe zu einem Haltebogen geformt und an ein Stück Pflanzenfaser gebunden ist (Abb. 89 oben links). Je nach Gewicht können damit verschieden laute, in der Tonhöhe variierende Klänge hervorgebracht werden. Ein anderes interessantes Musikinstrument ist die neuseeländische Surrscheibe (Abb. 89 unten) mit zwei Bohrungen, durch die eine Schlaufe führt. Sie läßt die Luft erklingen, wenn mit der Schlaufe Fingertwist gespielt wird und sie dabei durch entspannende, rasche Aufdreh- und Zwirbelbewegungen kreist.

59 vgl. hierzu Gisa Jähnichen: Mundorgel-Akrobatik der Hmong in Xiengkhuang und Huaphan, in: Berichte des Nationalkomitees Deutschland im ICTM, Bd. 11, hrsg. von Marianne Bröcker, Bamberg 2002, S. 75-89

46

Page 47: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Eigentliche Blasinstrumente Flöten Flöten ohne Kernspalte Längsflöten Zu den einfachsten Schneideninstrumenten zählen offene Längs-flöten ohne Kernspalte und ohne Grifflöcher. Einzelinstrumente sind vor allem zwischen Südasien und Ostasien verbreitet. Die durch Überblastechniken erzeugten Tönhöhen können zusätzlich variiert werden, indem durch die hohle Hand oder einzelne Finger das untere Schallaustrittsloch in Teilen verdeckt oder geöffnet wird. Der angeblasene Rand kann verschieden weit bearbeitet sein, wobei Variante 1 und 2 (Abb. 90) ein schräges Halten der Flöte empfiehlt. Varianten 3 und 4 erlauben eine gerade Haltung. Sätze von grifflochlosen Längsflöten kommen u.a. in zahlreichen Kulturen Südostasiens und Afrikas vor. Bei den Mbre in Zentralaf-rika blasen 6 Spieler je eine Ngala genannte Längsflöte. Die melo-dischen Strukturen greifen nach einem gemeinsamen Grundrhyth-mus im Hoquet-Verfahren ineinander. Die Randbearbeitung (Abb. 90) entspricht in anderen Regionen, etwa bei einigen Völ-kern in Tanzania, der Variante 1, doch hier der Variante 4, die auch für die Kabangmai oder Tutut genannten Flötensätze der Talieng und Nghe der Sekongebene im Südosten von Laos typisch sind. Ihre 5 gedackten Flöten sind z.B. auf b – c’ – d’ – es’+ - g’ oder a – c – d – e – g gestimmt. Sie spielen polyrhythmische osti-nate Klangmuster zu denen sie sich im Sitzen (Abb. 91) oder beim Gehen im Kreis mit dem Oberkörper vor- und zurückbewegen.

Abb. 90 Abb. 91

Die in Äthiopien gebräuchliche sehr lange grifflochlose Embilta wird in Sätzen zu dritt gespielt, die z.B. auf c – d – f gestimmt sind. Sie werden zweifach überblasen und bilden Melodiereihen nach polymetrischen Mustern, die beim Gehen im Kreis durch unterschiedliche Schrittfolgen markiert werden, und erklingen zu Hochzeiten und anderen Zeremonien zur Unterhaltung der Gäste. Der besondere Reiz besteht in der klangräumlichen Aufteilung musikalischer Gestalten. Ergologisch zählen zu den einzeln gespielten Flöten auch offene und gedackte Stampfröhren, die bei vielen Völkern Asiens, Ozea-niens, Lateinamerikas, aber auch in Europa vorkommen, z.B. die baskischen Txalaparta. Durch das Aufschlagen der offenen oder gedackten Seite auf einen dumpfen Grund, festen Erdboden oder auf Holzbohlen, wird die Luft in den Röhren in Schwingung ver-setzt. Sie werden häufig paarweise pro Spieler gestampft, wobei einem jeden spezielle melodiebildende Aufgaben innerhalb fest-gelegter rhythmischer Muster zukommen. Die Klangfarbe und Lautstärke verändert sich je nach Verweildauer auf dem Auf-schlaggrund. Als Panflöten in Reihen oder Bündeln zusammengefasste Röhren begegnen uns fast überall auf der Welt. Die abgebildeten Exemp-lare (Abb. 92) stammen aus Südäthiopien, links sind es 3 Zweier-

47

Page 48: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

bündel, in der Mitte ein Dreierbündel und rechts eine fest verbun-dene Reihe mit 13 Röhren.

Abb. 92

Ebenso vielfältig sind die Panflöten Ozeaniens und Amerikas. Die Röhren einer Panflöte können offen oder gedackt sein. Sie werden durch ensprechendes Kürzen auf die gewünschte Länge oder durch Auffüllen der gedackten Röhren mit Sand gestimmt, eine Technik, die besonders für Panflötensätze wichtig ist. In Ozeanien werden einige gedackte Einzelflöten auch durch das Einlassen von Wasser gestimmt. Daher ist es nicht immer ratsam, durch Vermessen der Instrumente auf Stimmungen oder gar auf Tonsysteme schließen zu wollen. Eine besonders große Ausführung ist der Klongput oder Dingbut genannte Flötensatz der Bahnar und Sedang im annamitischen Hochland, dessen Röhren einen Durchmesser bis zu 4,5 cm auf-weisen. Das traditionelle Instrument besteht aus 5 bis 6 losen offe-nen und gedackten Röhren aus weitknotigem Bambus, die einzeln oder paarweise auf einem flachen Holzgestell ruhen. Die Spieler hocken an den offenen Enden und drücken die Luft durch Zusam-menschlagen der hohlen Hände stoßweise in die Röhren. Durch ineinandergreifende Schlagmuster entstehen melodische Gestalten, ähnlich einiger afrikanischer Xylophon-Spielweisen. die Stim-mung der Röhren ist von Ort zu Ort unterschiedlich. Mitunter werden die Röhren auch im Sitzen zwischen den Unterschenkeln gekreuzt aufgestellt, so dass die offen Seite etwa in Höhe des Knies endet. Zum Spielen schlagen sich Musiker mit der hohlen Hand auf den Oberschenkel, wobei das gleiche Resultat erzielt wird.

Abb. 93

Neuere Instrumente, die vornehmlich in den Städten gespielt wer-den, sind chromatisch gestimmt (Abb. 93). Sämtliche Röhren werden dabei auf einem gemeinsamen Gestell untergebracht und von nur einem Spieler im Stehen durch entsprechendes Händeklat-schen vor den Rohröffnungen zum Klingen gebracht60. Längsflöten mit Grifflöchern sind ebenfalls auf der ganzen Welt verbreitet. Älteste Zeugnisse sind Knochenflöten aus Funden in China, von denen einige, über 8000 Jahre alte Exemplare 7 Griff-löcher aufweisen.

60 vgl. auch Gisa Jähnichen: "Die Klong-put-Nummer" - Exotismus in der Präsentation nationaler Musiktraditionen, in: Bericht über die Tagungen des Nationalkomitees der Bundesrepublik Deutschland im ICTM , hrsg. von Marianne Bröcker, Bd. 2, Bamberg 1993, S.69-89

48

Page 49: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Die in Amerika verbreiteten Knochenflöten hingegen zeigen mit-unter Merkmale von Spaltflöten und besitzen in der Regel weniger Grifflöcher. Die hier abgebildete Knochenkerbflöte (Abb. 94) wurde 1905 bei den Tukano in Brasilien gefunden.

Abb. 94

Sie waren bei einigen Kulturen sowohl Musikinstrumente der Priester und Schamanen als auch der die Zeremonien der Herr-scher begleitenden Untertanen. Die nachgewiesenen Stimmungen sind nicht nur von Ort zu Ort, sondern auch innerhalb einer lokalen Kultur recht unterschiedlich. Die wohl am besten bekannte traditionelle offenen Längsflöte ohne Kernspalte ist die arabische Nāi mit 6 vorderständigen und einem hinterständigen Griffloch, die aus Bambus oder Schilfrohr, heute auch manchmal aus einem Plastikrohr gefertigt ist. Sie wird solistisch und im klassischen Ensemble ausschließlich von Männern gespielt und exisitert in verschiedenen Größen, die nach dem jeweiligen im Arabischen eindeutig benannten tiefstmögli-chen Ton benannt sind. Die Stimmung der Nāi ist so beschaffen, dass es durch verschiedene Griff- und Anblastechniken möglich ist, alle erforderlichen Tonstufen der verschiedenen Modi hervor-zubringen. Ensembles von zwei bis drei randgeblasenen Flöten des Nāi-Typs sind in einigen Regionen Nordafrikas verbreitet. Sie begleiten unterschiedliche Gesänge, treten aber auch solistisch in Erschei-nung. Ihnen wird ein beruhigender, aber auch klagender Charakter zugeschrieben. Ähnliches gilt auch für die Washint der äthiopischen Amara und Tigray. Sie besitzt vier vorderständige und ein hinterständiges Griffloch. Wie die Nāi wird sie schräg angeblasen (Abb. 95) und exisitert in verschiedenen Größen (Abb. 96 links).

Abb. 95 Abb. 96

Dabei erscheinen zwei Varianten der Randbearbeitung (Abb. 96 rechts). Die erste ist nur eine schwache Abschleifung und Schär-fung des Rohres auf etwa einem Drittel des Rohrumfangs, die zweite ist ein tiefer Ausschnitt, der mit einem Leder- oder Stoff-band abgeschlossen wird, um das Aufspalten des Rohres zu ver-hindern. In beiden Fällen wird jedoch in schräger Haltung gegen den Öffnungsrand geblasen. Die Washint ist das Instrument der Hirten, die sich selbst und die mitziehenden Jugendlichen durch ihr Flötenspiel unterhalten. Die japanische Shakuhachi ist ein weiteres populäres Beispiel mit vier vorderständigen und einem hinterständigen Griffloch für den Daumen. Traditionell ist sie das Musikinstrument einiger buddhistischer Mönche und dient der meditativen Übung von Klangwahrnehmung und Atmung, deren Geräuschhaftigkeit Be-

49

Page 50: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

standteil der Musik ist. Erst mit der Öffnung Japans im 19. Jahr-hundert und dem wachsenden Interesse von außen rückte die Sha-kuhachi mehr in den Mittelpunkt japanischer Musiktraditionen und wurde schrittweise in die klassische Ensemblemusik aufgenom-men. Querflöten Querflöten exisiteren ebenfalls mit oder ohne Grifflöcher, in offe-ner und gedackter Form. Typisch für grifflochlose Querflöten ist das Blasloch in der Mitte der Röhre, wie bei der Rupong Adrong der Katu in Indochina. Durch Öffnen und Schließen der beiden offenen Rohrenden mit den Händen und Drehen des Anblaswinkels können weitere Ton-höhenveränderungen vorgenommen werden, die die Schritte zwi-schen den überblasenen Partialtönen ausfüllen. Die Tot der Khmu ist eine gedackte Röhre, vor deren Nodien links und rechts je ein Griffloch eingebracht ist. Nacheinander abgegrif-fen ergibt sich beim Spiel daraus eine Quarte und die darüberlie-gende Quinte, also die Oktave des tiefstmöglichen Tones, die jeweils mehrfach überblasen werden können. Das Instrument (Abb. 97) kann sowohl mit den Lippen als auch mit den Nasenlö-chern geblasen werden, eine Technik, die auch für zahlreiche Längsflöten der Region bekannt ist.

Abb. 97

Andere gedackte Querflöten besitzen nur ein Anblas- und ein Griffloch je vor den Nodien des Rohres. Interessant ist die Spielweise einer anderen ebenfalls Tot genann-ten, aber offenen Querflöte der Khmu mit vier Grifflöchern, die nacheinander abgegriffen z.B. die ungefähre Stimmung f’ – g’ – d“ – f“ aufweist. Während des Spiels werden im Wechsel Töne gebla-sen und einzelne Vokale oder sehr kurze Textabschnitte gesungen, an den Abschnittsenden erklingen Flöte und Stimme gemeinsam. Diese Spielpraxis der Frauen ist auch bei einigen Hmong-Völkern bekannt. Aus Ostafrika sind einige kurze Querflöten bekannt, z.B. die Chi-voti der Giriama mit 4 oder 5 Grifflöchern und einem rechteckigen Blasloch. Sie sind in der Stimmung sehr unterschiedlich, doch stellen sich durch die spezielle melodische Strukturierung der von Knaben und jungen Männern gespielten Flötenweisen verbindliche Merkmale her61. Die klassische ostasiatische Querflöte ist die chinesische Dizi mit 6 Grifflöchern in einer Ebene. Zwischen Blasloch und erstem Griffloch befindet sich ein weiteres Loch, das mit einem Mirliton abgedeckt wird und den Klang in bestimmter Weise färbt. In der südlichen Tradition sowie bei der indischen Muralî wird kein Mir-liton verwendet.

61 vgl. Gisa Jähnichen: Die Chivoti der Giriama, in: Berichte des Nationalkomitees Deutschland im ICTM, Bd. 6/7, hrsg. von Marianne Bröcker, Bamberg 1998, S.149-172

50

Page 51: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 98

Die Querflöten können aus vielerlei Arten Bambus und Holz her-gestellt werden, so z.B. aus Ebenholz (Abb. 98, unten) oder Teak-holz (Abb. 98, 2.v.u.), die zusätzlich mit kunstvollen Einlegear-beiten aus Perlmutt verziert sind. Einige Spieler bevorzugen lang-knotigen und dünnwandigen Bambus, der durch Lackmalereien verschönert werden kann (Abb. 98, 3. und 4. v.u.), exklusive Ex-emplare sind in mühevoller Schleifarbeit sogar aus Marmor gefer-tigt (Abb. 98, im Kasten). Für den praktischen Alltagsgebrauch sind allerdings robuste, dickwandigere Bambusflöten beliebt (Abb. 98, 3. und 4. oben), die in 7 verschiedenen Größen und unter-schiedlichen Stimmungen hergestellt werden. Einige Exemplare sind neuerdings auch chromatisch gestimmt (Abb. 98, 1. oben). Zu den besonderen Spieltechniken aller Querflöten ohne Klappen zählt das Ab- und Zustreichen der Grifflöcher, wobei sich die Tonhöhen bruchlos mit relativ konstanter Tonstärke verändern lassen. Eine Vielzahl der Gefäßflöten, die uns als Okarina ein Begriff sind, gehören ergologisch zu Schneideninstrumenten ohne Kern-spalt. Die ältesten bei Grabungen im chinesischen Banpo bei Xian gefundenen Gefäßflöten stammen aus der Yangshao-Kultur und sind ca. 6800 Jahre alt. In Ozeanien finden sich Gefäßflöten aus Kalebassen und anderen Fruchtgehäusen mit unterschiedlich vie-len Grifflöchern62. Interessant ist der in der Region verwendete Brummkreisel, ein aus Fruchschalen zusammengesetztes Gefäß, das einen geraden angespitzten Stock umschließt und 1 bis 3 Boh-rungen aufweist. Ähnlich der Surrscheibe existiert auch eine Surr-nuss mit mehreren Bohrungen, die zwischen zwei Fadenenden hängt und um deren Achse geschleudert wird. Ihr werden magi-sche Möglichkeiten zugeschrieben. Viele andere Gefäßflöten sind aus Ton gefertigt und stellen zugleich Skulpturen in Frucht-, Tier- oder Menschengestalt dar. Allerdings sind diese häufig mit Kernspalt und entsprechendem Aufschnitt versehen und gehören zu den Spaltflöten. Spaltflöten Spaltflöten sind zwar etwas weniger häufig als andere Flöten, doch existieren sie in vielen Kulturen Asiens, Europas und Amerikas. Einige Knochenflöten in Mittelamerika sind durch kleine Bohrun-gen in die Gelenkkapsel zu Außenspaltflöten konstruiert worden (Abb. 99, 1.v.o.). Einem ähnlichen Prinzip folgen die zumeist Pi K’lia genannten Längsflöten einiger tibetoburmanischen und Bergthaivölker, die von Männern und Frauen zur Unterhaltung gespielt werden. Über die obere Außenkannte wird ein etwas stärker gewölbtes Bambus-plättchen geschoben, das einen bandschmalen Spalt freilässt (Abb. 99, 2.v.o.). Das Bambusplättchen kann bei recht kleinen Exempla- 62 vgl. Hans Fischer: Sound-Producing Instruments in Oceania – Construction and Playing Technique – Distribution and Function, hrsg. von Don Niles, Institute of Papua New Guinea Studies, Boroko 1986, S. 124-127

51

Page 52: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

ren auch durch eine mit dem Finger abgedeckte Rille ersetzt wer-den.

Abb. 99

Innenspaltflöten, die im Prinzip den wohlbekannten Blockflöten ähneln, sind hingegen nicht nur in Europa sehr viel häufiger. Der Block kann dabei aus Holz, Fruchtmark, Wachs, Harz, Metall, Ton, Gummi u.a. bestehen und unterschiedlich steil angeschrägt sein. Die sehr lange, als männlich geltende und im Durchmesser bis zu 5 cm starke Blockflöte der Piaroa in Venezuela hat keine Grifflö-cher. Sie wird gemeinsam mit Querflöten, einer als weiblich gel-tenden Kerbflöte und Rindentrompeten zu gemeinschaftlichen Zeremonien geblasen. Das korrekte Anblasen kann mit aufegbun-denen Lederstreifen am Aufschnitt korrigiert werden63. Eine dem Material Bambus naheliegende Herstellung von Innen-spaltflöten ist das Durchbohren der Außenwand auf gleicher Höhe des Nodiums (Abb. 99, 3.v.o.). Dadurch ensteht ein schmaler Ka-nal in der Zwischenwand, durch die der Luftstrom geleitet wird. Bei den Muong und den Bergthaivölkern im Norden Indochinas, die diese Flöten Ôi oder Pí nennen, wird der obere Teil des Lochs mit einem Band verschlossen, das im Bedarfsfall nachreguliert werden kann. Die Stimmung der Flöte mit zumeist 4 weit auseinanderliegenden Grifflöchern ist so beschaffen, dass die Überblastonreihe nicht mit der tiefsmöglichen Grundreihe identisch ist. Für die Papago Amerikas ist eine sehr ähnliche Flöte mit drei Grifflöchern belegt. Hier wird die Fingerkuppe des Zeigefingers der linken Hand zum Abdecken des oberen Lochteils benutzt64. Andere Innenspaltflöten ähneln dem Blockflötentyp, wobei der Aufschnitt sich entweder unterhalb, wie bei vielen osteuropäischen und asiatischen, oder oberhalb des Rohrs, wie bei den meisten amerikanischen Blockflöten befinden kann (Abb. 99, die zwei unteren). Auch die weltweit benutzte Trillerpfeife gehört in diese Kategorie (Abb. 99, unten rechts). Die frei im Lufstrom fliegende Kugel, die vor dem Einfügen des Blocks in das fortlaufende ge-dackte Rohr eingeschlossen wird, verändert bei starkem Anblasen periodisch die Fläche des Schallaustrittsloches am Aufschnitt und erzeugt dadurch das Trillern. Trillerpfeifen werden von einigen Bantu-Völkern Ostafrikas, z.B. von den Kikuyu in Kenia, auch zur Begleitung und Koordination von zumeist kriegerischen Tänzen eingesetzt. 63 vgl. hierzu Kommentar von Paul Collaer in Paul Collaer: Amerika, in: Musikgeschichte in Bildern, Band I, Lf. 2, hrsg. von Heinrich Besseler und Max Schneider, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1967,S.154 64 vgl. Frances Densmore: Papago Music, Bulletin of the Bureau of American Ethnology, Nr. 90, Washington 1929, S..3

52

Page 53: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Ein interessantes Pfeifenspiel (Abb. 100) stammt von der Nord-westküste Amerikas und ist im „Museum of the American Indian“ in New York zu besichtigen.

Abb. 100

Diese Viertonpfeife bringt in kleinen Sekunden nebeneinanderlie-gende Töne hervor und wurde wahrscheinlich als Signalinstrument verwendet. Schalmeien Oboen Die einfachsten und zudem die wenigen idioglotten Doppelrohr-blattinstrumente begegnen uns in Ozeanien. Ein konisch zusam-mengedrehter langer Streifen eines trockenen Palmblattes mag bereits genügen, wenn das enge Ende beim Blasen zusammenge-drückt zwischen die Lippen genommen wird (Abb. 101).

Abb. 101

In einer Legende von Hawaii wird berichtet, dass der Klang des Instruments einst eine melancholische Prinzessin nach langer Zeit wieder zum Lachen gebracht haben soll65. Sehr viel ernsthafter ist indes die Oboe in weiten Teilen Asiens und Afrikas in Gebrauch. Sie gehört zu zahlreichen Musiken-sembles ritueller und religiöser Zeremonien, wie z.B. die nepalesi-sche Śahanāī (Abb. 102), deren konische Röhre wie ein Horn ge-schwungen ist, oder die beiden häufig gemeinsam zu Beerdigun-gen und Totentagen gespielten, unterschiedlich großen und aufein-ander in einer Oktave abgestimmten südvietnamesischen Saranais (Abb. 103) mit loser hölzerner Stürze. Sie werden wie die meisten Oboen in Asien mit Zirkularatmung gespielt, eine Technik, deren Beherrschung ausdauernden Trainings bedarf. In der Regel besit-zen sie 6 vorderständige und ein hinterständiges Griffloch für den Daumen. Dies gilt auch für die indische Shahnâi mit Metallstürze, die häufig von der grifflochlosen Oboe Sûr, die beständig den Grundton mitspielt, begleitet wird. Ein weiterer Wirkungsbereich sind Militärmusikkapellen.

65 vgl. Helen H. Roberts: Ancient Hawaiian Music, Bishop Museum Bulletin, Nr. 29, S. 44

53

Page 54: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 102 Abb. 103

Heteroglotte Schalmeien, darunter auch Oboen maurisch-spani-scher Herkunft, gelangten mit den spanischen Eroberern nach Mittelamerika und begleiteten gemeinsam mit Landsknechttrom-meln lange Zeit die Boten der neuen Herrscher bei der Ausrufung erlassener Gesetze. Seither spielt sie dort auch bei der Gestaltung religiöser Feste eine wichtige Rolle. Die türkische Zurna durfte bislang bei keinem bedeutenden Fest in den anatolischen Dörfern fehlen, wird jedoch gerade in letzter Zeit häufig von der europäischen Orchesterklarinette vertreten. Im südlaotischen Zeremonialensemble wird die Pikeo genannte Oboe ohne Stürze und nur schwach konischer Bohrung zu beson-deren Anlässen wie Prozessionen und Einleitungen von Opferfes-ten mit einem Vierfachrohrblatt, also dem doppelt gefalteten Blatt einer speziellen Palmenart, bestückt (Abb. 104, rechtes Rohrblatt). Dadurch wird die Lautstärke enorm erhöht. Während des Spiels im Pavillon der buddhistischen Würdenträger genügt jedoch ein ein-faches Doppelrohrblatt (Abb. 104, linkes Rohrblatt).

Abb. 104 Abb. 105

Deutlich zu sehen ist auch die Befestigung der Rohrblätter an einem Schaft, der vorzugsweise mit starken Seidenschüren um-wickelt ist, der dann fest in die Röhre gedrückt wird. Andere Dop-pelrohrblätter werden z.B. auf ein Zwischenstück aus Messing gestülpt, das in die Röhre eingesetzt wird (Abb. 105). Oboen im Verbund mit Trommeln sind weit vom Norden bis zur nördlichen Westküste und wieder entlang der Ostküste Afrikas verbreitet. Ihre Verwendung hängt hier mit der Islamisierung zu-sammen, die in den einzelnen Regionen unterschiedlich verlaufen ist66. So gehören einige der Algaita genannten Oboen an der West-küste zu den Hofensembles lokaler Fürsten, an der Ostküste treten sie aber auch als Musikinstrumente zur Tanzbegleitung und Unter-haltung der Dorfgemeinschaften in Erscheinung. Klarinetten Zahlreiche Aufschlagzungeninstrumente aus Bambus oder Schilf-rohr sind idioglott. Aufgebundene Zungen sind eine sehr späte

66 Artur Simon: Islam und Musik in Afrika, in: Musik in Afrika, hrsg. von Artur Simon, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Museum für Völkerkunde, Berlin 1983, S. 297-312

54

Page 55: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Errungenschaft, die hauptsächlich die europäischen Orchesterin-strumente betrifft. Dabei sind zwei Arten des Zungenschnitts zu unterscheiden, der in Blasrichtung nach unten offene und die der Blasrichtung entge-gengestellte oben offene Schnitt. Letzterer erlaubt ein Abgreifen der Zunge mit den Lippen und ermöglicht somit klangliche Mani-pulationen während des Spiels. Die nach unten offene Zunge kann nur unter Zuhilfenahme zusätzlicher Vorrichtungen, etwa Abbin-dungen oder Unterlegungen in ihrer Wirkungsweise verändert werden.

Abb. 106 Abb. 107

Gedackte Klarinetten ohne Grifflöcher begegnen uns bei Völkern im amerikanischen Amazonasgebiet (Abb. 106, links). Sie werden in abgestimmten Gruppen zu mehreren Spielern bei der abendli-chen Unterhaltung geblasen, von denen jeder nur einen Ton in den produzierten melodischen Reihen erzeugt. Die exakte Tonhöhe und Stärke des Klangs kann durch die Verschnürung oder durch Lippendruck auf die Zunge reguliert werden. Andere grifflochlose, aber offene Klarinetten sind die Mangtong (Abb. 106, rechts) der Iu-Mien und Deng in Südchina. Hier steckt eine kleine mit Aufschlagzungenschnitt im Septum einer größeren Bambusröhre. Während der Spieler in die kleine Röhre, die er mit der rechten Hand festhält, kräftig hineinbläst, bewegt er mit der anderen Hand die große Röhre auf und ab, um verschiedene Ton-höhen zu erzeugen. Die Mangtong existieren in vier verschiedenen Größen und werden in Paaren zur Unterhaltung von Männern und Frauen gespielt. Die längste Mangtong kann bis zu 1,60 m lang sein und muss beim Spielen auf dem Boden abgesetzt werden. In diesem Fall verschiebt der Spieler die kleine Röhre im Septum, wobei er den Schwingungsabschnitt der Zunge und damit den Klang beeinflussen kann. Wohlbekannt sind dagegen die ägyptischen Doppelklarinetten Zummāra mit gleichartiger Grifflochanordnung, die Entsprechun-gen bis weit nach Ostasien findet, (Abb. 107, 1.v.l.) und die beiden mit Bordunröhre versehenen Doppelklarinetten Qurma mit gleichlangen Röhren bzw. die Arġūl oder Ţilţāy mit verschieden langen Röhren. Die Bordunröhre eines großen Arġūl kann mit allen Ansatzstücken, die es ermöglichen, den Bordunton zu verän-dern, über 2,30 m lang sein. Das Verändern des Borduntones ist

55

Page 56: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

bei der Qurma nur durch Einbringen von verschließbaren Stimm-löchern möglich und eher selten67. Ägyptische Klarinetten, die nicht nur zu religiösen Anlässen, son-dern vor allem als Tanz- und Gesangsbegleitung unterhaltender Art erklingen, existieren in recht unterschiedlichen Größen. Die Zummāra ist schließlich auch als Melodiepfeifenpaar des ägypti-schen Dudelsacks in Gebrauch, der u.a. Mizmār Quirba genannt wird, obgleich mit Mizmār ansonsten die Oboe bezeichnet wird. Das Vorkommen von Klarinetten in Ozeanien, die vorwiegend zur Unterhaltung gespielt werden, beschränkt sich auf ein relativ klei-nes Gebiet in Mikronesien und Polynesien. Hier sind die Zungen jeweils generell der Blasrichtung entgegengestellt nach oben offen aufgeschnitten (Abb. 107, Mitte). Die Klarinetten besitzen drei oder vier jeweils vorderständige Grifflöcher, einige Exemplare aus zwei ineinandergesteckten Röhren lassen sich teleskopartig zu-sammenschieben und dadurch in ihrer Stimmung verändern68. Ähnliches gilt für die Klarinetten einiger Mon-Khmer-Völker Süd- und Indochinas. Sie können aus bis zu 7 Teilen bestehen, wie die der Khmu (Abb. 107, rechts). Die Grifflöcher sind auf dem vor-letzten und im Durchmesser stärksten Teil angebracht. Ein Haar oder ein plattgedrückter Halm wird einerseits zum Abheben der nach unten offenen Zunge und anderseits zum Stimmen benutzt und dort auch während des Spiels belassen. Indes existieren auch einige wenige quergeblasene Aufschlagzun-geninstrumente, wie z.B. die Sanai genannten Ruf- und Signalin-strumente der Völker entlang des mittleren Mekong. Als Röhre dient die Spitze eines polierten Büffelhorns, in die eine seitliche Bohrung eingebracht ist und der aufgeschnittene Außenwandauf-schnitt eines Bambusrohres (Abb. 108).

Abb. 108

Um diesen Abschnitt zu befestigen und zugleich eine Distanz zur Zunge zu schaffen, wird eine Mischung aus Wachs und Teer ver-wendet. Beim Blasen dient die Mundhöhle als Windkammer, manchmal wird auch die linke Hand zur Vergrößerung derselben wie ein schräger Trichter um Lippen und Wulst gelegt. Mit der rechten Hand schließt oder öffnet der Spieler das offene Ende des Horns und erzeugt dadurch unterschiedliche Tonhöhen und Klang-farben. Außer in seiner Funktion als Rufinstrument für Rinder-, Schaf- und Ziegenherden tritt es als Ensemblemusikinstrument zu Prozessionen und Opferfesten, besonders in der Umgebung von Savannakhet, in Erscheinung.

67 vgl. Jürgen Elsners Kommentar hierzu in Paul Collaer/Jürgen Elsner: Nordafrika, in Musikgeschichte in Bildern, Band I, Musikethnologie/Lf. 8, hrsg. von Werner Bachmann, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1983, S. 68 vgl. Hans Fischer: Sound-Producing Instruments in Oceania – Construction and Playing Technique – Distribution and Function, hrsg. von Don Niles, Institute of Papua New Guinea Studies, Boroko 1986, S. 128-129

56

Page 57: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 109

Eine andere, ebenfalls Sanai genannte Schalmei ist traditionell mit einer Durchschlagzunge (Abb. 109) versehen, die mit festem hel-len Wachs in die Seitenwand eines längeren Büffelhornabschnitts eingebracht ist. Das Horn ist zu beiden Seiten hin offen, erklingt jedoch nur, wenn mit der Hand eine der beiden Seiten geschlossen wird und zwar jeweils in unterschiedlichen Tonhöhen. Das hier abgebildete Instrument ist bereits mehr als 100 Jahre alt und dient noch immer den Elefantenführern zum Rufen und Warnen der Arbeitselefanten. Die kostbar verzierten Hörner werden innerhalb der auf Elefantentraining und –führung spezialisierten Familien vererbt. Das Beispiel zeigt, dass in der Praxis ergologische Merkmale sel-ten ausschlaggebend sind, auch wenn sie bisweilen wichtige kultu-relle und historische Indikatoren darstellen. Im Fall der hier einzuordnenden Sackpfeifen bzw. Dudelsäcke verhält es sich ganz ähnlich. Erst aus heutiger und aus vielen un-terschiedlichen Quellen gewonnenen Übersicht stellen sich gewis-sermaßen ästhetisierende Fragen der klanglichen oder spielprakti-schen Bevorzugung der vielen unterschiedlich gebauten und zu unterhaltenden oder militärischen Zwecken gespielten Dudelsäcke, sowie Fragen konstruktiver Veränderungen und weiterer Verfeine-rungen. Indes besitzen Dudelsäcke in ihren Kulturen definitive Wirkungsfelder, die zwar oft von individuellen Entwicklungen beeinflußt werden, welche an bautechnischen Merkmalen festzu-machen sind, aber dennoch selten, und wenn, dann nur sehr lang-sam diese Wirkungsfelder verlassen. So haben die traditionellen Dudelsäcke in der Mittelmeerregion bis hin nach Saudi-Arabien ein strikt anderes Repertoire als die im Zuge der Kolonisierung eingeführten repäsentativen schottischen Instrumente. Eine letzte Gruppe der Schalmeien sind die Durchschlagzungenin-strumente mit Grifflöchern, die vornehmlich auf dem südostasiati-schen Festland vorkommen. Sie werden zunächst wie Querflöten konstruiert und weisen in den verschiedenen Kulturen zumeist auch die gleiche Anzahl von Grifflöchern wie diese auf. Anstelle des Blaslochs, das sich in der Regel direkt unter dem abschließen-den Nodium befindet, wird jedoch eine rechteckige Bohrung ein-gebracht, auf die eine Durchschlagzunge aus Messing gepaßt und befestigt wird. Dies kann durch einen spitzwinkligen Einschnitt erfolgen (Abb. 110), der manchmal zusätzlich mit zwei kleinen Stäbchen oder einem einschiebbaren Bambusplättchen, in das ein die Zunge exakt freilassendes Loch geschnitten ist, stabilisiert werden kann. Die Zungespitze weist stets in Blasrichtung. Wird die Schalmei längs geblasen, schützt ein schmaler Bügel den Spieler vor dem Kontakt mit der Zunge (Abb. 111, 1.v.l.). In dieser Form werden auch einige Instrumente mit zusätzlicher Bordun-röhre gebaut. Andere und im Durchmesser bis zu 2,5 cm starke Schalmeien, die nur quer geblasen werden, können bis zu 8 Griff-löcher besitzen, davon zwei seitenständige für den Daumen der linken Hand und den kleinen Finger der rechten Hand (Abb. 111, 2.v.l.).

57

Page 58: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Abb. 110 Abb. 111

Quer zu blasende Instrumente, die in der Regel größer und damit tiefer sind, lassen sich allgemein schwerer spielen, weil das An-blasstück fest an die Lippen gedrückt werden muss. Zugleich er-fordert das Ansprechen der in der Röhre eingeschlossenen Luft einen sehr starken Luftstrom. Ist der Luftstrom zu schwach, klingt die Durchschlagzunge frei wie bei einer Mundorgel. Dieser Effekt wird jedoch bisweilen genutzt, um klangfarbliche Veränderungen zu erzeugen.

Abb. 112

Bei den Leu in Nordthailand, Birma und Laos spielen jeweils zwei Musiker gemeinsam. Ihre Spielhaltung ist eine Kombination aus Quer- und Längsblasen, da ihre Instrumente keinen Bügel besitzen (Abb. 112). Sie begleiten solistisch vorgetragene, epische Gesänge von Frauen und Männern, die ihnen gegenüber mit einem Fächer vor dem Gesicht Platz nehmen, gegen den sie singen und der sie von den Musikern trennt. In Südchina existieren auch kleine, längsgeblasene Durchschlag-zungenschalmeien mit Mirliton, das mit einer Wachs-Teer-Mi-schung besonders stark befestigt wird, um dem Luftdruck standzu-halten. Bei einer gewöhnlichen chinesischen Dizi genügt das An-feuchten eines Stückes Pergament, um es ausreichend zu befesti-gen. Einige bearbeitete, zumeist zylindrische Röhrentrompeten Ozea-niens mit halbkugelförmigem Abschluß, in den das Blasloch ein-gebracht ist, weisen einen länglichen Schlitz von wenigen Milli-metern auf, der kurz hintern dem Blasloch beginnt und sich bis zum offenen Ende der mitunter mehr als 1 m langen Instrumente hinzieht. Während des Blasens wird dieser Schlitz mehr oder we-niger zusammengedruckt, wodurch schnarrende Vibrati erzeugt werden. Naturtrompeten Allein ausgehend von der äußeren Form lassen sich unbearbeitete Naturtrompeten in einigen Kulturen nur schwer bestimmen, da Trompeten in diesem Sinne eher eine Blastechnik denn eine Klasse von Musikinstrumenten bezeichnen. Bestimmte Bambusröhren oder Holztuben können bisweilen als Schneideninstrumente oder auch als Trompeten benutzt werden. Außerdem dienen nicht we-nige, besonders trichterförmige Kalebassenabschnitte oder zu-sammengedrehte Rindenstreifen als Megaphone, in die hineinge-sungen oder gerufen wird. Zu anderen Gelegenheiten können die-selben Instrumente mundstücklose Trompeten darstellen. Manch-mal werden defekte Durchschlagzungenschalmeien als quergebla-

58

Page 59: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

sene Trompeten weiterverwendet, denn die Blastechnik beider Instrumente unterscheidet sich nur unwesentlich. So sind neben dem Vorhandensein eines Mundstücks in erster Linie soziale Funktionen und komplexe Musizieranlässe zuverlässigere Indizien der Zuordnung. In Afrika existieren zahlreiche bauchige, flaschenförmige Kalebas-seninstrumente mit einer kleineren und einer etwas größeren Boh-rung, die eindeutig als längsgeblasene Trompeten benutzt werden, so z.B. die Mbela der Ngombe im Kongo69, die als Zeichen der Machtstellung des Musikers mit einem Leopardenfell umwickelt ist. Sie erklingt in der Hand des Vortänzers zu gemeinschaftlichen Tanzzeremonien als organisatorisch führendes Musikinstrument. Ganz sicher zählen jedoch längs durchbohrte Schneckengehäuse zu den Trompeten. In Indien und in buddhistischen Kulturen sind sie eng mit religiösen Zeremonien verbunden. Die Shankha u.ä. genannte Schneckentrompete wird in der Regel ohne Mundstück bei Prozessionen und zu Tempelzeremonien geblasen. Ihre sakrale Bedeutung ist in zahlreichen historischen Schriften erwähnt. Ver-schiedene Anblastechniken erlauben subtile klangliche Verände-rungen, mitunter wird dabei auch Zirkularatmung angewendet. Besonders fein gearbeitete und geschmückte Schneckentrompeten begegnen uns im Tibet, in Tuva und der Mongolei. Einige Ex-emplare, wie das hier abgebildete (Abb. 113), verfügen über ein kurzes Mundstück, das im Inneren leicht konisch verläuft, und eine aufgesetzte Stürze.

Abb. 113

In Ozeanien begegnen uns zahlreiche Schneckentrompeten und Schneckenhörner, von denen die meisten aus Fusinsus- und Strombus-Meeresschnecken70 hergestellten sowohl quer als auch längs, diejenigen aus Cassis-Schnecken jedoch nur längs geblasen werden. An quergeblasenen Schneckenhörnern wird das Blasloch in die zweite, seltener in die dritte Spirale der Schnecke gebohrt. Das Schallaustrittsloch liegt mit wenigen Ausnahmen auf dersel-ben Seite wie das Blasloch. Mundstücke sind selten und bestehen aus Bambus- oder Holzröhren, die in die Blaslochbohrung einge-schoben und an der Muschel festgebunden werden. Auf Fiji sollen längsgeblasene Cassia-Schneckentrompeten existie-ren, die mit einem oder zwei Grifflöchern ausgestattet sind, um verschiedene Tonhöhen zu produzieren. Ein Überblasen der Schneckentrompeten ist jedoch nicht möglich.

69 vgl. hierzu Kommentar von Jos Ganseman in J.Gansemans/ B.Schmidt-Wrenger: Zentralafrika, in: Musikgeschichte in Bildern, Bd. I, Lf. 9, hrsg. von Werner Bachmann, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1986, S. 92 70 zusammengefasst unter Charonia tritonis, vgl. Hans Fischer: Sound-Producing Instruments in Oceania – Construction and Playing Technique – Distribution and Function, hrsg. von Don Niles, Institute of Papua New Guinea Studies, Boroko 1986, S. 135

59

Page 60: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

In den meisten Kulturen Ozeaniens soll der Klang der Schnecken-trompeten Gefahren bannen und Geister fernhalten. Sie werden daher vorwiegend in kritischen Situationen zu hören sein. Bei den Tucana im Amamzonasgebiet exisiteren u.a. Rindentrom-peten von bis zu 2 m Länge, einige Megaphone sollen sogar 6 m lang sein. Die Buburé (Abb. 114) genannte Rindentrompete wird nur von Männern zu bestimmten nächtlichen Initiationsfesten und als Signalinstrument geblasen.

Abb. 114

Um die gerollte Rinde zu stabilisieren, ist sie an einen über das Instrument hinausragenden Stock gebunden, der beim Spielen auf einen überhöhten Gegenstand, z.B. einen Baumstumpf, abgesetzt wird. Die Buburé wird gewöhnlich unter Wasser aufbewahrt, um die Rinde besser zu erhalten71. Bei den Ipuriná werden ähnliche Trompeten nicht nur einzeln, sondern auch in Sätzen von bis zu 20 Instrumenten zu bestimmten Festlichkeiten gespielt. Röhrentrompeten dieses Typs sind auch die bekannten Alphörner ohne Mundstück. Die Holz- und Bambustrompeten Ozeaniens können auch aus mehreren Teilen bestehen, etwa einem zylindrischen Blasrohr und einem angesetzten konischen Holztrichter. Andere Blasrohre wer-den beim Spielen in ein weites Holzgefäß gerichtet, um den Klang zu färben. Eine Trompete mit halbkugelförmigem Abschluß aus einer halben Kokosnußhälfte, in die das Blasloch eingebracht ist, weist wie die Spaltröhren einen länglichen Schlitz auf, der zur Veränderung der Tonhöhen abgegriffen werden kann. Darüber hinaus existieren auch Doppeltrompeten aus Bambus. Zu den Röhrentrompeten zählt schließlich auch das populäre Didgeridoo oder auch Yedaki der australischen Aborigines, ein von Termiten ausgehöhlter Baumstamm aus Eukalyptusholz. Die meisten Instrumente haben ein Mundstück aus festem Bienen-wachs, das verformbar ist, um sich individuell anpassen zu lassen. Es wird mit Zirkularatmung gespielt und gibt einen röhrenden, obertonreichen Klang ab. Begegnungen mit dem Didgeridoo in Europa, vor allem über Pop- und Rockbands, führten in den letzten Jahrzehnten zu einer enormen Nachfrage, zur Gründung von Klubs und zur Austragung von Festivals, die spirituelle Nachahmungen traditioneller Riten bisweilen miteinbeziehen. In Europa benutzte Didgeridoos werden zumeist aus Ulme, Esche, Robinie, Ahorn oder Linde hergestellt. Ein Beispiel für zylindirsche Längstuben ist die Meleket in Äthio-pien. Sie wird zumeist in Dreiergruppen unterschiedlicher Größe und zu ähnlichen Anlässen wie die grifflochlose Längsflöte Em-bilta gespielt, verfügt über ein kurzes Kesselmundstück und eine Stürze. Die Meleket ist allerdings das vornehmere Instrument und erklingt außer zu religiösen Festen auch zu Hochzeiten in hochste-henden Familien, besonders in der Region Shewa. Traditionell ist die Längstube aus Holz, das Mundstück aus Messing und die Stürze aus Kuhhorn oder einer kleinen Kalebasse. Neuere Instru-mente sind durchgehend aus Metall. Sie kann maximal zweifach überblasen werden. Eine andere, bereits in zahlreichen historischen Berichten er-wähnte, langgestreckte und mitunter nur schwach konische

71 vgl. hierzu Kommentar von Paul Collaer in Paul Collaer: Amerika, in: Musikgeschichte in Bildern, Band I, Lf. 2, hrsg. von Heinrich Besseler und Max Schneider, Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1967, S. 148

60

Page 61: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

Längstrompete mit Mundstück ist die Nafīr bzw. Nafari persisch-arabischen Ursprungs, die mehrfach überblasen werden kann. Sie ist aus besonders dünnwandigem Metall und daher sehr leicht. Ihr helltönender Klang diente nicht wenigen Armeen als Signal, doch wurde sie in jüngerer Zeit von europäischen Blasinstrumenten verdrängt, die mit der britischen Kolonisierung bis nach Indien gelangten. Die Signalwirkung ihres Klangs hat sich allerdings in der Benutzung durch Marktschreier erhalten. Besonders schwere Längstrompeten mit Mundstück sind die lan-gen Râmashringa (Abb. 115), die von tibetischen Mönchen zu Opferfesten und anderen religiösen Feierlichkeiten in Paaren aus-dauernd gespielt werden.

Abb. 115

Ob ihres Gewichtes werden sie mit der Stürze auf dem Erdboden abgesetzt. Das Mundstück wird mit einer gegabelten Hand an die Lippen gepresst. Die Beherrschung der Zirkularatmung ist unbe-dingte Voraussetzung zum Spielen dieser Längstrompeten. Namensähnlich, aber dennoch beträchtlich verschieden sind die indischen Längshörner Ranashringa in S-förmiger Gestalt. In ihren hohlen Teilungsringen befinden sich Kugeln aus Metall, die bei jeder Bewegung mitklingen. Die Ranashringa sind die traditio-nellen indischen Kriegshörner, die sich im Klang deutlich von dem der Nafari unterscheiden, aber dennoch ebenso selten wie dieser geworden ist. Signalhörner, die immer auch gemeinschaftlich organisierende und zeremonielle Funktionen erfüllen, sind fast auf der ganzen Welt verbreitet. Außerhalb dieser Funktion dienen sie als Trophäen und Schmuckstücke, wie die hier abgebildeten vietnamesischen Kèn Trâu (Abb. 116) aus polierten und bisweilen mit Perlmuttintarsien verzierten Büffelhornspitzen, deren Mundstück skurrilerweise aus Gewehrpatronen gefertigt ist.

Abb. 116 Abb. 117

Die in den Bergregionen Indochinas lebenden Thaivölker verwen-den Signalhörner zwischenzeitlich als Maßgefäße (Abb. 117) zum Auffüllen von Krügen mit gegärtem Hochlandreis. Die Auffüll-menge, pro Gast ein Horn, ist das Maß, das gemeinschaftlich aus langen Bambusröhren abgetrunken werden muss, um den Gastge-ber zu segnen. Beim Auffüllen werden im Gegenzug gute Wün-sche gesungen, die solange intoniert werden, bis der Wasserstrahl

61

Page 62: Jähnichen, Gisa (2004). Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde.  Kassel: Gustav Bosse Verlag, pp. 351-404.

Jähnichen, Gisa: Manuskriptvorlage zu Musikinstrumente in außereuropäischen Kulturen, Handbuch der Musikinstrumentenkunde, begr. durch Erich Valentin, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2004 :351-404

aus dem seitenständigen Blasloch versiegt. Durch den Umweg über das Horn gewinnt es damit eine rituelle Bedeutung, die es als reines Signalhorn nicht hätte. Bei den Maasai in Ostafrika zählen die ebenfalls quergeblasenen Kuduhörner neben den recht selten benutzten Schnurrasseln zu den einzigen Musikinstrumenten ihrer Kultur überhaupt. Es wird nur von hochrangigen Männern zu bestimmten Lebensabschnittszere-monien geblasen und kennzeichnet zugleich den aktuellen sozialen Status des Spielers. Der Große Kudu kommt nur in einem sehr kleinen Gebiet am Bogoriasee oder noch weiter nördlich an der ugandisch-sudanesischen Grenze vor, also viele hundert Kilometer vom Siedlungsgebiet der Maasai entfernt. Das öffentliche Anrecht auf das Horn ist daher weitaus wensentlicher als seine musikali-sche Potenz. Ähnlich verhält es sich mit einigen anderen Quertrompeten und Querhörnern in Zentral- und Ostafrika. Die Tshitavu genannte Quertrompete der Chokwe im Kongo ist wie das Schwirrholz ein geheimes Instrument zur Erziehung der Initianden. Ebenso geheimnisvoll sind heute die ruhmvollen, Siwa genannten Querhörner (Abb. 118), die einst an der Swahiliküste als Insig-nieninstrumente weit verbreitet waren und denen schon Vasco da Gama begegnet sein soll. Die aus Hartholz, Elfenbein oder Bronze gefertigten Querhörner von bis zu 2,30 m Länge bestehen aus drei miteinander durch Stifte verbundenen Teilen, von denen nur der untere als Horn funktioniert. Die äußerst schweren Hörner trugen die Musiker, die als Sklaven komplett zum Besitz des kostbaren Instruments gehörten, an einer eisernen Kette, die vom Mundstück zur Stürze reicht.

Abb. 118

Die beiden reich verzierten Aufsätze sind insofern rätselhaft, als das die Herstellung dieser für die Region auch historisch nicht belegt werden kann. Inzwischen existieren nur noch wenige Exemplare, die zu nationalen Kulturdenkmälern erklärt wurden und im Museum von Lamu in Kenya zu besichtigen sind. Ähnlich bedeutungsvolle und recht große Querhörner, wenn auch ungleich kunstvoll aus Baumwurzeln gearbeitet, wurden noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts zur Beerdigung hochstehender Persön-lichkeiten bei den Bwende im Kongo benutzt. Allerdings weisen sie in Spielhaltung mit der Öffnung nach oben. Sie gehören zu einem Ensemble aus mindestens 3 Querhörnern und weiteren zy-lindrischen Megaphonen, die in Form menschlicher Gestalten geschnitzt sind und senkrecht vor den Körper gehalten werden72. Es existieren jedoch eine Anzahl bemerkenswerter Ensembles sowohl von Querhörnern als auch von Längstrompeten, die zur Unterhaltung im Zusammenhang mit Zeremonien gespielt werden und deren klanglichen Merkmale sehr wohl von entscheidender Bedeutung sind. Sie spielen u.a. im Hoquetusverfahren angelegte musikalische Gestalten und alternieren zwischen Instrumental- und Vokalabschnitten.

72 vgl. Ragnar Widman: Le culte du „niombo“ des Bwendé, in: Arts d’Afrique noire, Nr. 2, 1972, S. 13-41

62