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Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient Band,25 Italiener in Deutschland im 19. und 20.Iahrhundert Kontakte, Wahrnehmungen, Einfl üsse Herausgegeben von Gustavo Corni Christof Dipper §\1#@ =HÜ, w Duncker & Hurnblot . Berlin
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Italien auf dem Teller: Zur Geschichte der italienischen Gastronomie in Deutschland

Mar 29, 2023

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Page 1: Italien auf dem Teller: Zur Geschichte der italienischen Gastronomie in Deutschland

Schriften desItalienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient

Band,25

Italiener in Deutschlandim 19. und 20.Iahrhundert

Kontakte, Wahrnehmungen, Einfl üsse

Herausgegeben von

Gustavo CorniChristof Dipper

§\1#@=HÜ,w

Duncker & Hurnblot . Berlin

Page 2: Italien auf dem Teller: Zur Geschichte der italienischen Gastronomie in Deutschland

Italien auf dem TellerZur Geschichte der italienischen Küche und

Gastronomie in Deutschland 1900-2000

Von Patrick Bemhard

I. Zw Einfährung

. wohl nirgendwo sonst isr der Einfluss Italiens auf Deutschland in denletzten Jahrzehnten stärker spürbar als im Bereich Küche und Gastronomie.Namen wie etwa gnoccbi gehen den Deurschen mittlerweile l.i.ti uon a..zrnge, cappuccino und latte rnacchiato haben ihren festen platz u,r.h i, d.,raschen caf6s, drc pizza ist längst als Schnellgericht für d* Ab.rd.rsen vordem Fernseher etabliert und die pasta schliJßlich in all irr.." vu.iutionen isrUmfragen zufolge schon seit Jahren der Deutschen Lieblings.rr.r,.

Doch wie kam es zu diesem erstaunlichen Akkulturationsprozess? lü/elchepolitisch-wirtschafdichen und kulturellen Faktoren förderten die Italianisie-rung, welche Konstellationen behinderten sie? §flelche Rolle spieltqn beispiels-weise die italienischen Gastarbeiter, die nach 1945 inwachsender zahl-nachDeutschland kamen? G{

.es andererseits geseflschaftrich. Grupfierungen,

die_der ,,überfremdung" der eigenen KüÄe sfiderstand .r,igffir.rrr.r,weil sie einen Identitätsverlusr beftirchteten?2. §Telche n.a."t,rrigärßen dieDeutschen insgesamt dem italienischen Essen bei?

II. Es begann mit der §Taffel - das Eis als Vorboteder italienischen Gastronomie in Deutschland tg00- it+

_ - ?i. Italianisierung der deutschen Gasrronomie nahm bereits um die.[ahrhunderrwende ihren Ausgang. Freilich lesen sich di. A"ä;;; io.h sehr

'_ Y 9oy, Big Prosciutto und McFunghi, in: www.welt .de/daten/2002/og/25/og2juü52445.htx.

2 E. Barhsius / G. Neunann / H.J. Teuteberg,Leitgedankenüber die Züsammen-hänge von Identität und kulinarischer KuIrur im ei.opu ä.. r.gior*, i.,, Hj.'rrutrorrgu.a. (Hrsg.), Essen und kulturelle Identität. Europä'ische e.irp.[a*, drlro tgyt,s. L3-23.

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2L8 Patrick Bemhard

bescheiden: So gelangten zwar infolge verbesserter Straßen- rind Schienen-verbindungen und steigender Reallöhne in vermehrtem Maße Zirusfrüchte,Käse, §7ein und selbst Olivenöl auf die deutschen Märke, so dass Deutschlandbald zum wichtigsten Abnehmer italienischer §7aren in Europa aufstieg. Dochdieses relative §Tachstum ging von einem sehr niedrigen Ausgangsniveau aus

und erreichte bei den wenigsten Produkten einen nennensweften Umfang'.Allein §7ein, Frischobst und Gemüse importierte Deutschland bereits vordem Ersten Veltkrieg in größerem Ausmaß.

Dass sich die meisten italienischen Lebensmittel in dieser Zeit insgesamt

nur äußerst langsam verbreiteten, lag vor allem an den hohen Zolltarifen, die

die §7aren enorm verteuertena. Seit 1887 hatten beinahe alle europäischenStaaten mit diesem Instrument auf den Preisverfall auf den internationalenAgrarmärkten reagiert. Italienisches Gemüse und Obst konnte sich wegenseiner Konkurrenzlosigkeit durchsetzen - aus klimatischen Gränden vermoch-ten italienische Etzeuger ihre §üaren viel früher im Jahr auf den deutschenMarkt zu bringen und Südfrüchte wie Orangen wuchsen nur in wenigenanderen europäschen Staaten.

Obwohl Orangen nun für breitere Schichten erschwinglich wurden,blieben Südfrüchte eine Besonderheit. Man aß sie im Vinter, wenn es keinanderes frisches vitaminreiches Obst gaH. Auf dem Land waren Südfrüchtemeist ausschließlich §Teihnachten und anderen festlichen Anlässen vorbe-halten6. Allein wohlhabendere Deutsche konnten sich diesen Genuss öfterleistenT. Für diese standen die Südfrüchte für das Italien Johann \Wolfgang

von Goethes. ,,Das Land, in dem die Zitronen blühen" repräsentierte, wienoch im 19. Jahrhundert, das antike Italien mit seinem großen griechischenErbe.

Südfrüchte fanden, soweit sie nicht roh gegessen wurden, in Deutschlandals Zutaten für Desserts Verwendung, die auf deutschen Rezepten beruhten.Und auch das importierte italienische Gemüse wurde ausschließlich nachheimischer Art zubereitet. Eine Italianisierung der Zubereitungsweise hätteauch der Idee von der ,,deutschen Küche" widersprochen, wie sie zu Endedes 19. Jahrhunderts im Zeichen des übenchäumenden Nationalismus aufkam.

I Annuario statistico italiano L900-L%4.a I documenti diplomatici italiani, 1. Folge, Bd. 5, S. l5r., Interview des Autors mit Rudolf M. (1919) arn 27 . J:dri 2003 in Haimhausen.t M. 'Vildt, Am Beginn der ,Konsumgesellschaft". Mangelerfahrung, Lebens-

haltung, §Tohlstandshoffnung in §flestdeutschland in den fünfziger Jahren, 2. Aufl.,Hamburg 1995, Kap. 43.

7 Die Zitronenkultur Italiens, in: Konsumgenossenschaftliches Volksblatt, 8 (191r),s. 96.

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Italien aufdem Teller 219

Nach der politischen Reichseinheit von 1871 hane für viele Deutsche dieEinheit der Nation nun auch auf kulinarischem Gebiet zu erfolgens.

Aber auch die Zahl der italienischen Restaurants, die in den deutschen(]roßstädten eröffnet wurden, blieb in jenen Jahren verschwindend gering.Trotz des allgemeinen Aufschwungs, den das Restaurantgewerbe damalsnahm, existierten selbst in München, schon damals die wohl am stärlstenItalianisierte Stadt Deutschlands, bis in die frtihen 30er Jahre gerade einmalvier italienische Lokalee. Eines davon, die Osteria Bavana, in der neben derMünchener Bohöme auch Adolf Hitler verkehrte, wurde zudem noch voneinem Deutschen geleitet. Entsprechend fanden sich auf der Speisekartedes Lokals neben italienischen antipasti auch viele deutsch-österreichische§pezialitäten1o.

Die niedrige Zahl italienischer Restaurants ist vor allem auf die großenSchwierigkeiten zurückzuführen, die sich insbesondere für einen Ausländercrgaben, wenn er eine Konzession für ein Lokal erhalten wollte. Die zuBeginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland eingeführte Gewerbefreiheitwar nämlich in vielen deutschen Ländern bereits kwze Zeit später wiedereingeschränkt wordenll. Um sicherzustellen, dass bereits bestehende Geschäftein ihrer Existenz gesichert blieben, vergaben Gewerbeämter eine Neukonzes-§ion erst dann, wenn in der näheren Umgebung des geplanten Betriebs zuwenige andere Restaurants vorhanden waren und deshalb ein ,,öffendichesBedürfnis" vorlag.

Während diese Bestimmungen für jeden neuen Gastwirt galten, schlu-gen italienischen Antragstellern zudem ausländerfeindliche Ressentimentsentgegen, die bei der Bewilligung eines Restaurantbetriebes durchaus eineRolle spielten. Es waren nämlich Vertreter der deutschen Konkurrenz, dieim Konzessionsverfahren fachliche Gutachten erstellten. In Eingaben an diertädtischen Gewerbeämter wiesen Handwerksinnungen dann auch deutlichdarauf hin, dass es sich beim Anuagsteller um einen ,,Ausländer" handle.Es könne doch nicht angehen, dass dieser ein Geschäft eröffnen dürfe in

8 Deutsche Küche - eine Fiktion. Regionale Verzehrsunterschiede lm 20. Jahr-hundert, in: K. Gedricb / U. Ohersdorf (Hrsg.), Ernährung und Raum. Regionale undcthnische Emährungsweisen in Deutschland, Karlsruhe 2002, S. 47-T.

e Märichner Stadtadressbücher 1901-1920; C. Drummer. Das sich ausbreiteodeltestaurant in deutschen Großstädten als Ausdruck bürgerlichen Repräsentationsstrebens1870-1910, n: H.J. Teuteberg et al. (Htsg.), Essen und kulturelle Identität, S. 108.

r0 S. De Micbielis, Osteia Italiana. §7o die Liebe zur italienischen Küche begann,München 1998.

1r C. Boyer, Zwischen Zwangswirtschaft und Gewerbefreiheit. Handwerk inllayetn 1945-1949, München 1992.

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220 Patrick Bemhard

einer Zeit, in der ein deutscher Handwerksmeister um die Erhaltung seiner

Existenz ringel2.

Allein italienische Eisdielen fanden sich zu dieser Zeit in größerem Maße -für den verkauf von Eis war bis 19ll keine Konzession notwendig. Im Jahrt934 zählte man immeflrin 110 ,,speiseeiswirtschaften" allein in Bayern, von

denen bereits etliche in italienischer Hand warenl'. Die italienischen Eismacher

konzentrierten sich dabei nicht nur auf die großen Städte. Selbst in mitderen

und kleineren Orten gab es früh italienische Übernahrnen deutscher Kondi-

toreien. So eröffnete in §(ürzburg bereits im Jahr 1900 die Eisdiele Benitola.

Massenarbeitslosigkeit infolge der Industrialisierung hatte insbesondere

die Bewohner des Vineto, dem heutigen Zentrum der Speiseeisherstellung

in Italien, zur saisonalen §üanderung nicht zuletzt nach Deutschland gezwun-

gen. Nördlich der Alpen fanden die Immigranten günstige Bedingungen vor:

§teigender allgemeiner \ü/ohlstand und Erfindungen wie die künsdiche Kälte

hatten die Voraussetzungl für den Breitenkonsum von Speiseeis gelegt.

§flaren die italienischen Eismacher anfangs vor allem mit Eiswägelchen

während der Sommermonate auf den Straßen und in den Parks der deutschen

Städte unterwegs, wo sie bald fest zum Stadtbild gehörten, so ließen sich viele

nach derJahrhundertwende nieder und eröffneten kleine Ladengeschäfte. MitwachsenJe.r, Erfolg erwarben einige Eismacher noch andere Betriebe und

brachten es damit '-rogu,

,r, einigem \Tohlstand. Antonio Bareta etwa besaß

in Leipzig bereits Ende des 19. Jahrhunderts eine Flotte von 24 Eiswägen'

Vie auch die Sarcletti in München beschäftigten diese ,Eisdynasten" neben

den mithelfenden Familienangehörigen meist schon ein Dutzend italienischer

Angestelltel'.

III. Otangen in det Krise: Erstet §üeltkriegund §üeimatet RePublik l9l4-193,

Sowohl für den deutsch-italienischen Handel als auch für die italienische

Gastronomie in Deutschland brachte der Ausbruch des Ersten §0eltkriegs eine

enorme Belastung mit sich. Nach Kriegseintritt Italiens im Jahr 1915 wurden

12 München, Staatsarchiv (künftig StA), Gewerbeamt (künftig GA) VrK, ,969,

Brief des Verbands der Bayerisch.., Krff..hr,rtbesitzer vom 21. November 19J2.

r München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv &ünftig BayHStA), Ministerium für

Wirtschaft (künfiig tflW0, ZZO, Brief des Bayerischen \üirtschaftsministeriums vom

16. J:lrl,li 1934.1a M. Finkenberger,Mehr alsPizza und Spaghetti. Zwischen orig1r_ral und Kom'

promiss. Italiener inVürzburg, in: Schmidt §üürzburg, 19 099L),1, S. 17-19'

t5 Zr den Sarcletti: wwwsarcletti.de.

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ltalien auf dem Teller 221

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222 Patrick Bernhard

\)7ährend Deutschland damit aus innenpolitischen Motiven die heimischenAgrarproduzenten vor der starken italienischen Konkurrenz schützen, zugleichaber den Export deutscher Industriegüter nach Italien forcieren wollte, virhieltes sich auf italienischer Seite genau umgekehrt. Dort hatte man zwar größtesrnteresse am Export von Agrarprodukten2a. Jedoch wollte Rom die heimischeIndustrieproduktion vor der mächtigen deutschen Konkurrenz bewahren. Dernur unter größten Mühen zustande gekommene deutsch-italienische Handels,vertrag uon 1925 vermochte hier nur vorübergehend für einen Ausgleich zusorgen. Bedingt durch die §Teltwirtschaftskrise von 1929 schotteten sowohlItalien als auch Deutschland ihre Märkte gegenüber ausldndischen §7aren starkab. während der Export von frischem obst und Gemüse aus Italien hiervongrößtenteils ausgeschlossen blieb, weil man auf Italiens wichtigstes ExportgutRücksicht üben musste, wurden etwa ,Südweine" kaum mehr importiertä.

IV. ,rPasta" für den Volksgenossen? -Die italienische Küche im Dritten Reich zwischm Achse

und nationalistischer Selbstabgren zung 1911-1945

Für die italienische Gastronomie und Küche in Deutschland verändertesich die schwierige Situation auch nach der Machtergreifung Hitlers vorersrnicht. Das neue Regime behielt nämlich das dirigistische \x/irtschaftssystemder späten §Teimarer Republik bei und räumte Italien auch keine sonder-konditionen ein26. Dementsprechend stagnierten die italienischen Exportevon Lebensmitteln nach Deutschland auf vergleichsweise niedrigem Niveau,teils gingen sie sogar zurück.

Das galt in ungleich größerem Maß für die italienische pasta.l%4 erließdas NS-Regime aus ideologischen Gründen und auf Drängen der heimischenProduzenten eine verordnung über Teigwaren, die deutsche Eiernudeln voreifreien, meist ausländischen Konkurrenzprodukten schützen sollte. Die ,,volks-genossen" hatten ausschließlich deutsche Produkte zu kaufen und zu essen.

Auch für die italienische Gastronomie in Deutschland verschlechterte sichdie situation in den Anfangsjahren des Dritten Reichs noch einmal. um dem,,auffallend starken Überhandnehmen" der Eisdielen während der warmenJahreszeiten entgegenzu'ü/irken, die den übrigen Gastwirten unliebsame

2a R. Petri, Storia economica d'Itaha. Dalla Grande guerra al miracolo economico(1918-1961), Bologna 2002, 5. 240.

z, Die Kabinette Brüning I und II (1930-l%2), bearb. von T. Koops (Akten derReichskanzlei, \üTeimarer Republik), Boppard am Rhein L9U/l99},l Bde., hier Bd. 1,s.849.

_ 26_ M. Rieder, Deutsch-italienische §Tirtschaftsbeziehungen. Kontinuitäten undBrüche I9)6-L957 , Frankfurt a.M. 200), S. )7 .

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Italien auf dem Tellet

Konkurrenz machten, erließ das Regime l9)i elr;re eigene Verordnung über

Speiseeis2T. Danach bedurften Eisdielenbetreiber ab sofort ebenfalls einer

Konzession, Mit dieser Maßnahme erzielte das Regime den gewünschten

Erfolg: D,ieZahlder Eisdielen ging zurück. Hatte etwa Nürnberg L9)4 noch

über 14 Betriebe verfügt, so verblieben 1938 gerade einmal drei Eisdielen.

Doch diese restriktive Potitik ließ sich auf Dauer nicht durchhalten.lüenigstens in Tourismusgegenden müsse ein Mindestmaß an internationaler

Küche frir die ausländischen Gäste bestehen bleiben. Außerdem lasse sich

mit mondänen italienischen Restaurants und Eisdielen ausgezeichnet §üerbung

für das vermeintlich moderne und weltoffene ,,Neue Deutschland" machen28.

Paradebeispiel hierfür war die 1939 efiffnete Gelateria Romana in der Mün-

ehener Maximilianstraße, der exklusivsten Einkaufsstraße der Isarmetropole.

Die ,,vornehme Speiseeiswirtschaft" mit ihrem eigens von einem Architekten

konzipierten Verkaufsraum, großen einladenden Fensterrefüen und der brei-

ten Vielfalt italienischer Eisspezialitäten sollte noch stärker das internationale

Publikum in die ,,Hauptstadt der BewegunS" lockenzq. Das entschied man

im Rathaus gegen teils heftige Proteste von Besitzern umliegender Caf6s.

1 Vor allem aber musste das NS-Regime aus Rücksichtnahme gegenüber

&m faschistischen Achsenpartner die Erteilung von Konzessionen für ita-

ische Restaurants großzügiger als bisher handhaben. viele Antragsteller

ten nämlich die italienischen Generalkonsulen in Deutschland dazu,

gegenüber den deutschen Behörden für sie einzusetzen. Die ErteilunglKlnz.srion erhielt dadurch politische Brisanz. Aus bündnispolitischen

gaben Vertreter des Regimes oftmals solchen Bitten stattlo

Aos dem gleichen Grund lockerte der NS-staat auch die rigide Lizen-

ärungspra*is gegenüber Eisdielen bereits 1938. In der deutschen Bevöl-

erfreue ri.L drt Eis außerdem zunehmender Beliebtheit; es sei deshalb

nicht opportun, gegen Eisdielen vorzugehenll. Mit Kriegsbeginn

Jahr später erhielt dieses Motiv ein enormes Gewicht. ,Aus Stimmungs'

ndenl' müsse die Herstellung von Speiseeis wenigstens ,,in bescheidenem

rg" gewährleistet bleiben, entschied der Reichsminister für Ernährung

als längst die ersten Bomben auf deutsche Städte gefallen warcn)2 ' Trotz

il BayHStA, M§tri, 720, Brief des Reichswirtschaftsministers vom 22.Februar 19fi '2s BayHStA, M§üi, 2304, Brief des Bayerischen §Tirtschaftsministeriums vom

. September 1914.

2e StA, GA §fK, 8791, Niederschrift des Münchener Gewerbeamts vom 27 ' Ja'L%9.

l0 StA, GA §üK, 8162, Brief der Konditorinmrng Oberbayem vom 19. Februar 1915'

,rJr BayHStA, M§uL 72O,Bief der Regierung von oberbayem vom 22.Jult L938.

t2 BayHStA, M§fi, 720, Rundbrief des Reichsministers für Emährung vom

luni 1942.

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224 Patrick Bemhard

der zunehmend schlechten allgemeinen Versorgungslage stellte das Regime

deshalb die zur Eisherstellung benötigten Grundzutaten zur Verfügung.Selbst für dieses qualitativ meist minderwertige Eis standen viele Deutsche

in den Kriegsjahren noch Schlangd,. Erst die zunehmenden Zerstörungenvon Eisdielen infolge der alliierten Luftangriffe gegen Ende des Krieges undschließich die Verschleppung edicher italienischer Eisdielenbesitzer in die

deutschen Lager nach dem Überritt Italiens auf die Seite der Alliierten imSeptember 1943 bereiteten dem Eiskonsum ein Ende.

Schließlich erlangten auch italienische Grundnahrungsmittel eine gewisse

Rolle bei der Versorgung der deutschen Bevölkerung während des Krieges.

Schon 1917, nach dem vom Völkerbund verhängten Boykott gegen Italienwegen des Abessinienkriegs, hatten die Achsenmächte Versorgungsplänefür einen zukünftigen Krieg ausgearbeitet. Begehrt waren auf deutscherSeite insbesondere italienischer Käse und Reis, während Italien im Gegen"

zug deutsche Rohstoffe erhielt. Hinzu traten in großem Umfang Obst undGemüse, mit denen allerdings nach wie vor ausschließlich deutsche Gerichtezubereitet wurdenla.

Nach Kriegsbeginn waren die beiden Diktaturen schließlich der jeweils

engste Handelspartner des anderen. Trotz abnehmender Produktion liefertendieltaliener in immer stärkerem Maß Nahrungsmittel nach Deutschland - mitder Konsequenz, dass sich die Versorgungslage daheim rapide verschlechterteund das Regime in Rom mit großem propagandistischen Aufwand der weitverbreiteten Vorstellung entgegentreten musste, Deutschland ,sauge" Italienausr5. Deudich reduzierte Lebensmittellieferungen waren indes unvermeidlich.Doch gab es noch einen anderen Grund hierfür: Italien wollte sich nichtmit der Rolle eines reinen Agrarlieferanten zufrieden geben, sondern beab.

sichtigte vielmehr, die Industrialisierung des eigenen Landes zu forcierenl6.Auch über diesen Interessenkonflikt zerbrach die ,,Achse", bevor Italien mitdem Übertritt auf alliierte Seite das Bündnis zwischen den beiden Diktaturenformell aufkündigte.

13 T. Caltran (Hrsg.), La storia del gelato, S. 96.ra Annuario statistico italiano 1938, hrsg. von lstat-lstituto nazionale di statistica,

4. Folge,8d.5, S. 145-146.r: Rom, Archivio Centrale dello Stato, Minculpop, Gabinetto, Notiz des Ministers

vom 19. Dezember L942,b.69, sottofasc. Scambi culturali.36 M. Rieder, Deutsch-italienische §Tirtschaftsbeziehungen, S. 90-117.

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Italien auf dem Teller

V. ,,Lambrusco(( und ,rMitakoli" - die deutsche Küche zwischenZusammenbruch und §üirtschaftswundet 1945 bis Mitte der 60er jahte

Gemessen an der Lage nach dem Ersten §üeltkrieg stellte sich die Situ-ation für die italienische Küche und Gastronomie nach 1945 noch weitausschlimmer dar. In der deutschen,,Zusarnmenbruchsgesellschaft" herrschtenicht nur Jahre lang Hunger, so dass lebenswichtige Güter wie etwa der zurHerstellung von Eis notwendige Ztcker jahrelang rationiert warenl7. Hinzukam die anfangs restriktive Besatzungspolitik. So untedag der deutscheAußenhandel der völligen Kontrolle der Alliierten. Den früh einsetzenden

Versuchen einer wirtschafdichen §üiederannäherung zwischen den ehemaligen

Achsenpartnern schoben die Amerikaner aus politischen Gründen einen Riegel

vor. Lediglich für die Ernährung der deutschen Bevölkerung unabdingbare

Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln erhielten eine Einfuhrgenehmigung,obwohl die von De Gasperi angeführte italienische Regierung insbesondere

auf die katastrophale Unterversorgung der deutschen Kinder mit Obst undGemüse aufmerksam gemacht hattds.

Doch bereits wenige Jahre später änderten sich diese ungünstigen Rah-

rnenbedingungen grundlegend. Gegen den entschiedenen §üiderstand vonI deutscher Seite führten die Alliierten L949 die Gewerbefreiheit ein'e. Ab, aofort konnte jedermann ohne größere Auflagen einen Gastwirtschaftsbetrieb

'. €föffnen; die bisherige Bedürfnisprüfung entfiel vollständig1o.

; Die §üährungsreform von 1948 in §Testdeutschland und die amerikani-i ache Marshallplanhilfe, durch die sich die §/esteuropäischen Nehmerländer

luf größtmöglichsten Austausch von rü/aren verpflichteten4l, setzten den

A,langeljahren in Deutschland schnell ein Ende und schufen die Vorausset-

§ung für die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung Europas. Auf dieses

:.3iel verständigten sich schließlich auch die westeuropäischen Staaten in den

&ömischen Verträgen von 1957. Das Veftragswerk brachte im Bereich des

i.I{andels den schrittweisen Abbau innereuropäischer Zollschranken bis zum

'.Jchr 1968 mit sich42. Das mit diesen Grundsatzentscheidungen einhergehende

rtschaftswunder sorgte für einen erheblichen Anstieg der Reallöhne und

,7 Speiseeis bei uns in Deutschland, in: Die Eisdiele, 4 (1952\,3.

,s M. Ried.er, Deutsch-italienische §flirtschaftsbeziehungen, S. 4$-406,413.,e BayHStA, Staatskanzlei (künftig StK), 14537, Brief des Bayerischen §7irt-

.:§*haftsministeriums vom 3. September 1951.

:' ao l2yfl§tA, M§üi, 26116, Bilef der Verwaltung fiir §Tirtschaft des Vereinigtenpirtschaftsgebietes vom 30. September 1949.'.,,

" U. Rieder, Deutsch-italienische §Tirtschaftsbeziehungen, S. 408, 415,421.

" 42 V. Zarnagni, Dalla rivoluzione indusriale all'integrazione europea. Breve storiai€etrnomica dell'Europa contemporanea, Bologna L99t, S. T2.

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226 ParickBernhard

legte damit den Grundstein für einen Massenkonsum von bis dahin unbe-

kannten Ausmaßen.

Geradezu sinnbildhaft hierfür steht der Boom, den die Eisdielen in den

50erJahren erlebten. Ohne selbst genaue Zablen nennen zu können, sprach

der Verband der Eishersteller bereits 1950 von einer ,,großen Zahl" neu

errichteter Eiscaf6s, in die Deutsche nun zu Tausenden nach der Arbeit oder

am §üochenende strömten, um Eiskreationen mit so kunsryollen Namen wie

,,Dantebecher" zu essen oder einen original italienischen ,,Express-Kaffee"zu probierena'.

Insbesondere auf Jugendliche übten die Eisdielen große Anziehungskraft

aus. Diese verfolgten dort Fußballübertragungen vor den noch raren Fernseh-

geräten, bahnten erste Kontakte zum anderen Geschlecht an oder genossen

einfach nur in Freundesrunde bei Schlagern aus der Musikbox das neuartige

lichte Ambiente der Eisdielen mit den ausladenden Tresen, den verchromten

Espressoautomaten, den Sitzgruppen mit füren Rohrstühlen und den farben-

frohen Plastiktapetenaa.

Die Eisdiele als sozialer Ort erlangte sogar eine so große Bedeutung, dass

sie noch in den 50er Jahren Eingang in die Populärliteratur fand. Es war

aber wohl erst der nostalgisch-verklärende Blick von heute zurück auf die

50er Jahre, der die Eisdiele zu einem der zentralen Erinnerungsorte einer

ganzen Generation werden ließ. Der ,,Mythos Eisdiele" führte schließlich

iogar dazu, dass im Bonner Museum zur Geschichte der Bundesrepublik

in den 90er Jahren eine original italienische Eisdiele als Ausstellungsstück

komplett wieder aufgebaut wurdeas.

Die bereitwillige Übernahme fremder Ess- und Trinksitten erzeugte

allerdings auch Abwehrreaktionen in konservativen Kreisen. §flie das Fach'journal ,,Die Eisdiele" Meinungsäußerungen in diversen Zeitungen überspitzt

zusammenfasste, werde derzeit versucht, das simple Brauen von Kaffee in ein

,,politisch-weltanschauliches Zwielicht" zu rücken, Befürworter der traditionel"

len deutschen Kaffeekultur setzten diese mit ,,Herzenswärme und Romantik'gleich, bezeichneten es gar als ,,ehern" bewahrtes ,,altdeutsches Hausgetränk",

während der italienische espresso zum ,,gestanztenHerzglft aus der Chrom'

nickelbude" mutierte, ein ,,welsches Verderbnis, dem Ausland nachgeäfft"a6.

Mit ähnlichen Vorbehalten hatten längere Zeit auch noch die italienischen

Restaurants und Pizzerien zu kämpfen, die seit Beginn der 50er Jahre für

43

44

45

46

Überall wird Eis geschleckert, in: Die Eisdiele, 2 (1950),7.

A. Koch, Restaurants, Caf6s, Bars, Stuttgart 19)9.

Ebd.

Kaffee und Kaffeemaschinen, in: Die Eisdiele, 7 $955),9, S' 1-4

B

Page 12: Italien auf dem Teller: Zur Geschichte der italienischen Gastronomie in Deutschland

Italien auf dem Teller

Deutsche wie auch für amerikanische Besatzungssoldaten eröffneten. \7ie etwa

einPizzabäcker der ersten Stunde zu berichten wusste, seien viele Deutschen

den ,,italienischen Pfannekuchen" anfangs mehr als skeptisch gegenüber

gestanden4T. Aus Beschwerdebriefen von Anwohnern italienischer Restaurants

ergeht sehr deutlich, dass einige Deutsche weder die fremde Küche noch die

Eigenheiten der dort arbeitenden Italiener zu tolerieren bereit waren. Nichtgenug damit, dass das ganze Haus immer nach Knoblauch und olivenöl stinke.

Außerdem seien die hygienischen Zustände untragbar und wenn die Italiener

nach Betriebsschluss abspülten, komme es oftmals zu ,,mitternächtlichen,lautstarken Dialogen mit südländischem Temperament"4s. Andere Deutsche

wurden noch deutlicher und sprachen gar von ,'Spaghettifressern"4e.

Entgegen dem weit verbreiterten Klischee edebten italienische Restaurants

und Pizzerien nach 1945 keinen mit den Eisdielen vergleichbaren Aufschwung.

Im hessischen Gießen findet sich im Jahr 1960 unter 100 Gaststätten gerade

einmal ein einziges italienisches Restaurantso. Und selbst in München stieg die

zahl det italienischen Lokale von 11 im Jahr 1955 lediglich auf )7 im JahrL967 an5L. In ähnlichen Relationen verbreiteten sich aber auch französische

und jugoslawische Lokale. Hinzu kommt, dass im gleichen Verhältnis in diesem

Zeitraum &eZflaller Speiselokale anwuchs, weil ,,auswäfts essen" nach 1945

ftir breitere Bevölkerungsreile zur Normalität wurdd2. Die steigende Zahl

der italienischen Restaurants lag damit völlig im allgemeinen Trend det Zeit.

" An der wachsenden Beliebtheit der italienischen Lokale in den 60erJahren

Vermochte all das jedoch nichts zu ändern. Zwar blieb selbst der Besuch einer

bizzeia noch eine Besonderheit: Dort feierte man Geburtstage, ging mit der

abends das erste Mal schick essen und ließ, von allerlei folkloris-

Dekor urie Fischernetzen umgeben, insbesondere die Erinnerungen

den Urlaub in Italien Revue passierentr. Doch hintedießen die Besuche

*--. o, ***.* dt. de/ w /babylon/archiv/inte gr ation/beitt ag.phtml.

I, a8 StA, GA WK, 11196, Vermerk des Gewerbeamts vom 1. April 1960'

4e Y. Rieker,,,Ein Stück Heimat findet sich ja immer". Die italienische Einwan-in die Bundesrepublik, Essen 2001, S. 60'

;o S. Köhler, Internationalisierung der Verzehrsgewohnheiten in ausgewählten

ischen Ländern,,\X/eienstephan 1967, S. 26.

,1 Mänchner Stadtadressbuch, L967.

,2 M. Iacobs / P Scbolliers (Hrsg.), Eating out in Europe since tfre Late MiddlePicnics, Gourmer Dining and snacks since the Late Eighteenth century oxford

;t J. Maier / G. Troeger-Veiss, Ktiirtarische Fremdenverkehrs- und Freizeit-:ur. Freizeittrendes und Lebensstile in der Bundesrepublik, n: A. Wierlacber /Neurnann / H.l. Teuteberg, Kulturthema Essen. Ansichten und Problemfelder,

ln lg% , s . 228-241 . Analog für die schweiz und die usA: /. Tanner , ,Italierlischei-Err.." in der Schweiz. Migration von Arbeitskräften und kulinarische

Page 13: Italien auf dem Teller: Zur Geschichte der italienischen Gastronomie in Deutschland

Patrick Bernhard

bei den Deutschen meist unvergessliche Eindrücke - und das, obwohl das

Essen für den Geschmack vieler Italiener eher von mdßiger Qualität rvar'a. So

schrieb der Musiker Helmut Zacharias in das Gästebuch einer §0ürzburgerPizzeria an den Besitzer gewendet: ,,Du und Deine Spaghetti realisieren der

§7elt größtes Gottesgeschenk - Italien"".

Italiener ließen sich dagegen eher selten in den Restaurants ihrer Landsleute

sehen 6. Das galt sowohl für italienische Touristen als auch für die Gastarbeiter.

Um Geld für zu Hause zu sparen, kochten sich letztere die abendliche pasta

in ihren Unterkünften selbsttT. Auch eröffneten nur die wenigsten Gastat-

beiter ein italienisches Lokal in Deutschland, nachdem sie füre Arbeit als

Grubenarbeiter aufgegeben hatten. Dass der ehemalige ,,Kumpel" bald den

Presslufthammer wegwarf, um danach Kaninchen nach Toskanerart in den

Ofen zu schieben, entsprach mehr romantischen §flunschvorstellungen vieler

Deutscher als der Realität. Die allermeisten Besitzer von italienischen Gast-

stätten waren ausgebildete Gastronomen oder hatten zumindest mehrjährige

einschlägige Berufserfahrung in Italien oder anderswo im Ausland gesammelt,

bevor sie einen Betrieb im ,,§üirtschaftswundedand" Deutschland eröffneten.

Relativ zaghaft entwickelte sich auch der Export italienischer Lebensmittel

nach §festdeutschland in diesen Jahren. Beim lWein erreichte Italien zwar

schon 1951 die Exportzahlen der Vorkriegszeit und konnte diese bis 1967

sogar verdreifachen. Bedeutung erlangte vor allem der preisgünstige §[eißwein,

aber auch der Lambrusco, der bis heute bei vielen Deutschen wegen seiner

anfangs geringen Qualität einen schlechten Ruf besitzt. Auch verzeichneten

Orangen, Karotten oder grüne Bohnen gegenüber den Jahren vor 1945 ein

deutliches Plus58.

Doch bei vielen anderen italienischen Agrarerzeugnissen nahm der Absatz

nur sehr langsam zu. Obwohl der Verbrauch von Obst und Gemüse in der

Bundesrepublik zwischen 1957 und 1973 deutlich wuchs, ging die Menge

der verkauften italienischenZiffonen sogar nach einem anfänglichen kurzen

Aufschwung zu Mitte der 50er Jahre zurück5e. Italienischer Schinken, Käse

Traditionen, in'. H. Leuenstein, The Food Habits of european Immigrants to America:Homogenization or Hegemonization?, ebd., S. 464-472.

'a Germania occidentale e Berlino, hrsg. von Touring Club ltaliano, Mailandt970, s. 22-23.

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:e www.hdg.d e/ßlu;,aV deu/ pag$05.htm.t7 F. Dunkel / G. Stramaglia-Faggion,,Für ftinfzig Mark einen Italiener". Zur

Geschichte der Gastarbeiter in München, München 2000, S. 2L8-22L.

58 §7enn der Atna heizt, in: Feinkost-Revue, 8 (1974) l, S. 28.

,e Verbraucherwünsche in stetem §7andel, in: Feinkost-Revue,8 (1974) 9, S. 10.

Page 14: Italien auf dem Teller: Zur Geschichte der italienischen Gastronomie in Deutschland

. Italien aufdem Teller 229

und Olivenöl fehlten bis L967 ent§/eder ganz in der italienischen Exportsta-tistik oder die Ausfuhrziffern waren marginal.

Das hatte mehrere Gründe. Viele italienische Produkte waren erstens lange

Jahre auf dem europäischen Markt vor allem gegenüber den Niededanden,Spanien und Frankreich wenig konkurrenzfähig. Die Produktionskosren seienaufgrund veralteter Anbaumethoden und mangelhafter Rationalisierung zuhoch, die Qualität edicher Erzeugnisse im internationalen Vergleich dagegen zuniedrig, bemängelte etwa 1958. das italienische Handelsministerium6o. Zudemrvar das Marketing veraltet, während es findige französische Erzeuger frühgeschafft hatten, füren Käse in reicher Auswahl bis in deutsche Dorflädenhinein zu platzieren'r. Schließlich orientierten sich italienische Produzenten zuwenig an den ausländischen Verbraucherwünschen und räumten dem Inlands-mark immer deudiche Priorität ein, weil infolge des großen Nachholbedarfsnach 1945 die Nachfrage in Italien starkangestiegenwa§.

In die Lücke, die italienische Anbieter auf dem deutschen Markt hinter-ließen, stieß sehr früh die mächtige deutsche Lebensmittelindustrie hinein.§ie bot bereits Ende der 50er Jahre primär für deutsche Konsumenten eineganze Reihe italianisierter Produkte an, die der Lebensmitteleinzelhandel mit§ogenannter ,Italienwochen" aufivendig bewarb. Großformatige Fotos von derAppeninhalbinsel, italienische Tanzgruppen und jede Menge grün-weiß-roterGidanden sollten Appetit machen etwa auf industriell erzeugtes deutschesSpeiseeis mit so klangvollen Namen wie ,,Capri", seit dem fast gleichnamigendeutschen Schlager aus den 50erJahren Inbegriff des deutschen Traums vonItalienor. Selbst Nudeln aus Hartweizengrieß nahmen deutsche Produzenten inihre Produktpalette auf. Die dazu passende Fertigsoße stammte vom Pionierauf diesem Gebiet, ,,Drei Glocken". Das Unternehmen brachte bereits 1958unter dem deutsch-italienischen Zwitternamen ,,Pikanto" die erste Tomaten-Fleisch-Sauce auf den Markt«. Im gleichen Jahr folgte ,,Maggi Deutschland"mit seinen Dosenravioli in Tomatensoße, die sich binnen kürzester Zeit etner

60 Archivio Storico del Ministero degli Affari Esteri, Ministero commercio estero,Vermerk des Handelsministers betr. Agrarl«ise, o.D., Direzione generale sviluppo,Bcambi, 1958, b. 9, tasc.5l.

61 Die Agenten der Feinschmecker-Internationale, in: Feinkost-Rer,rre, 9 (1975)6, s. 14-15.

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et E. Noelle / E.P. Neurnann (Hysg.), in: Jahrbuch der öffentlichen Meinung,1957, Allensbach 1957, S. 41.

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Page 15: Italien auf dem Teller: Zur Geschichte der italienischen Gastronomie in Deutschland

230 Patrick Bernhard

enormen Beliebtheit unter den Deutschen erfreuten6r. Die Liebe zu diesenrFertiggericht ließ Deutsche sogar Eulen nach Athen tragen: Deutsche campernahmen die Dosennudeln in den Italienurlaub mit66.

Das Paradebeispiel für diese Selbstitalianisierung stellt allerdings ,,Mira^koli" dar. Es war eben kein italienischer, sondern der deutsche Zweig einesinternationalen Nahrungsmittelkonzerns, nämlich ,,Kraft Deutschland", der1961 das erste italienisierte Instant-Fertiggericht auf den deutschen Lebens"mittelmarkt brachte6T. Die eingedeutschten ,,§(/under", die das Unternehmenseinen Kunden versprach, bestanden aus einer Packung spaghetti mit Toma-tensauce. Nicht nur ließ sich mit der Kochanleitung das Gericht selbst ftirUngeübte in wenigen Minuten zubereiten. Da in einer Fackung ,,Mirakoli"nach dem Baukastenprinzip alle Bestandteile des Essens separiert waren *die Nudeln, die Instant-Tomatensauce, eine Kräutermischung und geriebenerParmesan -, konnte sich der Käufer ,,seine" Spagheti nach eigenem Gustozusammenstellen und verfeinern. Diese Freiheit macht wohl die bis heuteungebrochene Attraktivität des Produkts aus.

Allerdings dürfen die insgesamt hohen Absatzzahlensolcher Produkte nichtzu dem Schluss verführen, die Deutschen hätten ab den 50er Jahren jedenTag italienisch gegessen. Auf alle Haushalte in der Bundesrepublik gerechnet,liest sich der Konsum im Gegenteil eher bescheiden. Maggi Dosenraviolikamen nach einer Umfrage eines Markdorschungsinstitutsezu Beginn der60er Jahre bei der Hälfte aller Befragten, die sie überhaupt aßen, lediglicheinmal pro Monat auf den Tisch.

charakteristisch ist zudem, wie stark die italienische Küche abgewandeltwurde, wenn deutsche Hausfrauen selbst italienisch kochten. Spaghetti wurdenzumeist nur ,,nach italienischer Art" zubereitet. Das bedeutete in der Regel,dass man aus einem Klecks Tomatenmark eine soße anrührte, etwas Rofwei0hinzufügte und zum schluss geriebenen deutschen Hartkäse über das fertigeGeric'ht streute68. Für die italienische Küche typische Kräuter wie RosmariRfanden dagegen kaum Verwendung6e.

65 Geschmack entscheidet, in: Lebensmittel Report, B (1992) 8, S. 22.« A. Asfur / D. Osses (Hrsg.), Neapel - Bochum - Rimini. Arbeiten in

Urlaub in Italien, Essen 2001, S. 40.67 www.kraft.de/history/historyO2.html.

M. Wldt, Am Beginn der ,,Konsumgesellschaft". Mangelerfahrung, Lebenrihaltung, §Tohlstandshoffnung in \Westdeutschland in den fünfiiger Jahren, 2. Aufl,,Hamburg 1995, Kap. l5/2.

6g E. Noelle / E.P Neunann (Hrsg.), in: Jahrbuch der öffentlichent957, S. )2.

Page 16: Italien auf dem Teller: Zur Geschichte der italienischen Gastronomie in Deutschland

Italien auf dem Teller »l

schließlich war auch die Italianisierung der deutschen Hausmannskostvon edichen §Tiderständen begleitet. Regelrechten Arger konnte es sogar indeutschen Familien geben, wenn ,,iralienisch" gekocht wurde. Das sei keinrichtiges Essen für einen ,,Arbeitsmann", der brauche Kartoffeln und Fleisch,echauffierte sich beispielsweise der Großvater eines Interviewpartners regel-mäßig, wenn deutsche Eiermakkaroni mit Tomatensoße auf dem §fochen-plan standen. Allenfalls als traditionelle suppeneinlage wollte der GroßvaterNudeln gelten lassenTo.

VI. Zwischen fi"*üfrfpirra und Nouvelle Cuisine:Der Durchbruch der italienischen Küche im Srukturwandelder Konsumgesellschaft - die späten 60er und 70er Jahre

Ab den späten 60er Jahren erlebten sowohl italianisierte produkte alsauch die original italienische Gastronomie ihren Durchbruch, denn siekorrespondierten perfekt mit den allgemeinen sozialökonomischen und kul-turellen Veränderungsprozessen jener Jahre. So entsprach italienisches Esseneinerseits dem sich vollziehenden Strukturwandel der Konsumgesellschaft.Nur stichwortartig seien hier genannt: stetig wachsende Realeinkämmen, eindeutliches Mehr an Freizeir, die sozial-demographische Entwicklung hin zuEinpersonen-Haushalten, deren Zahl sich binnen kurzem verdoppelä, sowiedie zunehmende Berufstätigkeit der Frau71.

Andererseits kam es seit Mitte der 60erJahre in weiten Teilen der westlichenGesellschaften zu dem, was der soziologe Helmut Klages als ,,§Tertewandel"bezeichnet hat: Pflichtwerte wie Gehorsam verloren massiv an Bedeutungäugunsten von sogenannten Selbstentfaltungwerten. Zu denen zählte nichtauletzt ,,das Leben genießen"7z. Nun hatten die Deutschen die Fähigkeithierzu immer schon den Italienern zugeschrieben, auch wenn das zuvor meist&ls ,,Faulheit" bezeichnet worden war, wie wir aus Meinungsumfragen wissen.Die Konsequenz war, dass viele Deutsche ein deutlich positiverei Bild vonden Italienern und ihrer angeblichen Lebensweise entwiikeltenz:. Die Italie-ner wüssten einfach, wie man das Leben richtig lebt, wie man beispielsweiseden Tag bei einem opulenten Abendessen im Kreis der Familie in aller Ruhefeiere, Das sei eben der ,italienische Lebensstil"7a.

70 Interview des Autors mit Udo §f. (1949) am 29. Juh 2003 in München.

. ': 4 Sclildt / D. Siegt'ried / K. Larnrners. Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre intlen beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000.

72 H. Klages, §Tertorientierungen, S. 21..

71 E. Noelle / E.P. Neuruann (Hrsg.\, Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie,1993-1997, Berlin / New York 1997, S. 632.

7a Interview des Autors mit Peter M. (1949) arn 1.L. Januar 2004.

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232 Patrick Bernhard

. .N.du:-zog einen deutlichen §Tander der Ernährungsgewohnheiten nacrr

l*- Yr' berufstätige Frauen und alreinstehende Märinä, uu, zrrtg.ü.,d.,inlcht stundenlang in der Küche stehen konnten bzw wonten, weir sie keirr,,Lust zum Kochen hatten und in ihrer Freizeit rieber anderes unternahmerr,erlebten zum einen Fertiggerichte einen ,rg.h"rrr"n erfr.fr_rrg. Unt(:rdem conuenience food dominiert.n '.ro. ,[.* italianisierte produkte wie crieTiefkühlpizza, die der oetker-Lebensmittelkonzern erstmars 1970 auf clerrMarkt brachte. Italianisierte produkte eigneten sich nicht nur unter herstcllungstechnischen Gesichtspy:lt.l u.rrg.räi.hrr.t für Fertignah*ng. E"otir.h,Gerichte, die man aus dem udaub kur"nt., aber an die man sich serbst niemar*herangewagt hätre, konaten nun daheim bequem und preisgünrtig j;a.n r.gzubereiret werden. Im vergleich zur Dosenkort,.h-.äkt.riir.n?äg.rr.lr,.auch besser. Das,,Bequemlichkeitsargumenr der Fertigge.i.ti.;;-*.Urn,tsich ,,mit einem Gourmet-Anspruch;. Ou, sei der ,,marktentscheidenrleNachfragetrend", diagnostizierti t977 das Fachmag^ri, r.i. a.,, rrunaa *i,ueltkatessen/).

-Zum anderen gab es jedoch auch die Tendenz, original itarienisches Essen

auf hohem Niveau zu genießen. So wuchs die Zahtitalienischer Restaurant$n1n üler-Rronorrional stark an. Das Münchener Beispiel *rg hie.g;rrügen:n,1973 nandensich dort dreimal sovier itarienische Lokalä

",i. r;.tlrän2imlic.h

110' Bis-zum Ende desJahrzehnts verdopperte ,i.h di.r. Zrhr ä*" t.g* nn.heinmal77. Im gleichen zeitraum erhöhte^sich die zahlaller Gaststärtei;.aoehnur um rSY".Damit ließen italienische Gaststätenbetreiber n.. r*ra"äir.iin[:**..1r::.-.:r I",,.. {cf {m Jahl 1e73 existierten etwa t.aigti.t zz grie,chische und 11 türHsche Lokare in de, bayerischen r""a.Jrrii1äar.

v.i.l. .d.l neu gegründeten italienisch en istoranti kochten zudem auf eine&trtli^L L:,L^-^- rr;- - r r. h.

zeigte sich der.Einfluss der ,,Nouvelle Cuisine,,, di. i; J;}ärffi;";;,.;; ;;j*:ä,'ä;,,zuvor meist sehr.einfache, an den deutschen beschmack ung.furr;uri.n;Essen eine ungeheure verfeinerung

""a nti.r.rüir""il"Ji.;

Rezepte erlebte. Ablesbar ist diÄ f"t*i.ktrrrg; är;;;il:;ä;italienischer Restaurants, die von Gastronomiefülirern

""rg.r.i.i"., *,lg,u..guU.

d.r,:G1yir-.Millau Guide o"rrr.t tu"J; Ärä"?ä* ää., lrrr*nicht weniger als 100 italienische Spitzenbemiebe die bdh;;;

7' Die Kälte erschließt den Delikatessen eine neue Dimension, in: Feinkost-lt {1977),3 5.25.76 Für Gießen und Hamburg: S. Köbler,Internationalisierung, S. 24.77 Statistiken Gaststätten Ausländer, Gewerbeamt München.78 Gault Millau. Der Reiseführer ftir Gourmets, München 19g1.

Page 18: Italien auf dem Teller: Zur Geschichte der italienischen Gastronomie in Deutschland

Italien auf dem Teller D)Der Trend zur- original itarienischen Küche machre sich aber vor anemBoom bemerkbar, den-Feinkostgeschäfte errebten. u* ri.h ;;Äg"-der supermärkte abzuheben, bo"ten Derikatlssenhäuser wie Grashoff inBremen oder Käfer in München vor anem .rr.r.n. a,rsrändisJe sp.riaira,.o

an' Durch Auslandsreisen hätten ,,heute viele Bundesbürger c..i.it", t uti_narische Extras und Zutaten kennen gglernt", die sie ,; ;J b;i ihrem3:!\"1rrt:"händler vorfinden möchtei] .rkra.,. das Fachmafi., i.i, a.n

" Bedingt durch die stetig wachsende Beriebtheit Italiens ars Reiserandbegannen italienische SpeziJitäten d.n ruuo. l.utlich dominierenden fuanzö_rischen Produkten die spitzenposirion s*eitig zu machen. \x/ährend etwa derAbsatz französischen \x/eins nurmehr leicht iunuh^,r.gt. ai. ;u.ir-i.,rtr.h_land exportierre Menge itarienischen w.i* t rartig ;*;rl üb..;ä b.r.it,lu,,Br*inl der 70er Jahre die französischen Einfuhren um drs öreifa.he.§elbst beim Sekt, der bis dahin ,rrb.rmitt.nen französis.h., Oo_ar.,nahm der italienische spumante dem galischen Nachbarn k;"fd Mrrktrrr-teile abao.

Aber nicht nur beim \ü/ein brach die ,,Itarienbegeisterung,, aus81. überden Delikatessenhandel fanden nun auch noch etfi.fr'e ;;;;.rräe pro_dukte Einzug in Deutschland: Maronen, Gorgonzola, weiße tüffel aus Arbagowie der originale Parmaschinken. Ab sofort"werde es den D.utr.hä ,,ohn.§chwrerigkeiten" möglich sein, wie im urlaub ,,frische M"l;;i;'echtemParmaschinken" als Vorspeise zu essen, ,r..rprr.i, d.. H;il;;.. iäpo.,.,r.der oberitalienischen Schinkenspe ziahtat.

Flandel mit Feinkost den TrendTe.

,, ,lrr.a Norden, Mehr oder weniger Feinkosthandel?, in: Feinkost_Revue, 7 (L973),

80 Daren und Perspektiven, in: Feinkost_Revue, ll (1971) I1,, S. 27.81 Die Italienbeseisterung ist ausgebrochen, in: Feinkost_Rer,rre, 16 (19g2),7-g,\ T-25.

n, Sl'rO?#.A*enten der Feinschmecker-Intemationale, in: Feinkost-Revue, 9 (L975),

, Zusammen mit jungen findigen §Tinzern aus Italien, die ihre §7eine nicht

zuletzt mit staatlicher Hilfe qualitativ stark verbess.rt hutt*;r;;; markt_orientiert^zu günstigen preiser produzierren, birdeten a. o.iir.r*rräinna.,und die spezialimporteure die,,Agenren der Feinschm".k.r-rnt"iJonare,,,wie man sich in ironischer Ansplerung auf die R.rrirrui* Jo-to--u-nistischen Ideologie zu

_Beginn der 7oär Jahre seßst b.r.i.h*r.d Derenüberwiegend deutsche Kundschaft b.rtrnd vor anem aus ,,Newcomern,,,jungen Akademikern mit höherem Einkommen, die nur eine kreine Famirie

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234 patrick Bemhard

zu versorgen hatten und sich mehr kulinarische Lebensqualität verwirklichenwollten, die sie im Italienurlaub schätzen gelernt hattenr:.

Zu diesen Besserverdienenden gehörten zu Mitte 70er Jahre bereits auchviele ,,68er". Für die ehemaligen protestierenden bedeutete die italienischeKüche aber noch weitäus mehr als nur höhere Lebensqualität. Anders auch als

an die urlaube im Italien der 50erJahre verbunden hatte, standel n.rr, ,rrtiu.folivenöl und cbianti classico für den Traum vom sozialismus italienischer

.

Provenienz. Es waren die Kämpfe der italienischen Gevrerkschaften, die istreiks bei Fiat, die Kundgebung der hundertrausend Metallarbeiter in Rom. l,,die große Teile der studentischen Linken begeisterten, die auf der suche lwaren nach Modellen für die Umwdlzung der miefigen Bundesrepublik,,, Ischrieb einzeitzeuge dazuu. EntsprechenJha,rfig reiJen die ,,6ger,l zu den jGenossen von Lotta continua,kauften verfallene Bauernhäuse, i., d.. Toskana §als Feriendomizi auf und sangen am srand die Lieder der partisanen. auf 3die sich die italienische studentenbewegung berief, wie sich d.r .h.-J*. §studentenführer David cohn-Bendit erinnert8r. In den späten soer Iahrän §kam schließlich die Bezeichnung ,,Toskan afraktion" für dieie i"r*ir.hä;;;h Epolitisch einflussreich gewordene Gruppe ehemaliger Aktivisten auf. ..§

,ävII' Die'"1;:ä§

rä"Hi'"hrdie Breite -

§§7ährend der kulinarische Aufbruch der ,,6ger"-protestbewegung l.trtli.h dkeinenennens§,ertenÄä:::#r,:::1,,*:',XTI:iJ:::f,:ä:-Hir,,".,J

die in_den 60erJahren zum Durchbruch gelangt waren, ungehindert ro"] ro ädass die italienische Küche und Gasrronämie ln den g0ertd 90er rrhr.n §eine enorme Breitenwirkung erzielten. Das galt insbesondere für den rtund.l ämit italianisierten Fertigprodukten. Nicht zuletzt auch dank technischer N.u- .äerungen wie der Mikrowelle stieg der Absatz von ,,Fix- und Fertiggenürsen .ffialTa rtalia" weiter stetig an, so dass dieses Marktr.g.rrt in lahiillz .in .ävolumen von insgesamt einer Milliarde DM erreichte86. Immer noch. so die äErfahrungswerte der Industrie, befriedigten Fertiggerichte das ,,streber, ,^.h äitalienischem Lebensgefühl"ez.

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,rr'; 3; 1gi1,' { li{ **'n n (Hrsg'),Allensbacher Jahrbuch der Demoskoo,.,,ffi

u B. Bösche, Addio, bella Italia!, in: taz-Magazin,1. Februar, 2001, S. VI. ffi

^, ß",'r;,§:;!{:«:'2f,'?Zo;l?'r|,f ,"r:Ti**

und ihre schwierige Liebe zu karien, ts6 Tiefkühlkost heizt kräftig ein, in: Lebensmittel Report, g (1992),1, S. lg-19, ä87 Geschmack entscheidet, in: Lebensmittel Report, g (1992), g, S. 22.

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Page 20: Italien auf dem Teller: Zur Geschichte der italienischen Gastronomie in Deutschland

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Italien aufdem Teller 235

Dabei kamen die entscheidenden .üTachstumsimpulse aus dem stark expan-

e{ierenden Markt der Tiefkühlgerichte, die bald die Hdlfte aller verkauftenFertiggerichte ausmachten. Zwischen 1980 und 1990 nahm deren Absatz um262oÄ zu,bis 1998 verdoppelten sich die Zahlen sogar noch einmal. Marktbe-herrschendes Produkt \üurde die pizza. Der Absatz der belegten Fladen nahmderart stark zu, dass ein Fachjournal Anfang der 90er Jahre gar die Formel*usgab: ,,Deutschland =Pizzaland"88. Der Erfolg der deutschen Tiefkühlpizzarnachte nicht einmal vor den Landesgrenzen Halt. Anfang der 90er Jahrebegann der damalige Marktführer Dr. Oetker damit, seine Produkte unterdem Handelsnamen Cameo mit Erfolg auch nach Italien zu exportieren.

In den 80er und 90er Jahren setzte sich aber auch det Trend zur origi-nalen italienischen Küche fort. Neu v/ar, dass italienische Produzenten nunxunehmend auch in den Supermärkten vertreten waren, nachdem der Delika-tessenhandel zuvor unter Beweis gestellt hatte, dass es in der Bundesrepublikeine große Nachfrage nach hochwertigen italienischen Produkten gab. Bereits

*cit den frühen 80er Jahren nahmen Einzelhandelsketten mortadella undechten Parmaschinken, der bald zum beliebtesten Importschinken wurde,in ihr Angebot auf.

Bei den §(einen war es insbesondere der Prosecco, der bald alle Verkaufs-

rekorde brach. Der Schaumwein, mit dem die Deutschen nach Erhebungen

der Konsumforschung mehr als bei anderen Produkten italienische Leichtig-keit und Lebensfreudi verbanden, erreichte Zuwachsraten von bis zu74%o,

äo dass mitderweile ein Drittel der Gesamtproduktion in den Export nach

I)eutschland geht8e.

Andere italienische Produkte hatten es dagegen deutlich schwerer, sich

euf dem Markt durchzusetzen. Das lag primär an der ungebrochen starken

Konkurrenz anderer europäischer Staaten und der deutschen Produzenten.

§s bedurfte beispielsweise erst des großen ,Eiernudelskandals" um dieFirma Birkel Mitte der 80er Jahre, groß angelegter §üerbekampagnen undeiner aggressiven Preispolitik, ehe die italienischen Marktführer Buitoni undBarilla mit ihren eifreien Hartweizenprodukten einen immer größeren Anteilnuf dem drittwichtigsten Markt in Europa eringen konnten. \Xlar L987 ita-Iienische pasta eßt m acht Prozent auf dem deutschen Markt vertreten, so

hielten italienische Produzenten zehn Jahre später bereits über ein Drittelqo.

§fleil auch der Absatz von deutschen Nudeln deutlich zunahm, stieg der

i§hrliche Pro-Kopf-Verbrauch von Teigwaren in Deutschland merklich an.

\üährend der Konsum 1985 noch 4J Kilogramm im Jahr betragen hatte,

8s Der TK-Mark wächst weiter, in: Lebensmittel Report, 8 (1992),1, S. 15.

8e Rotwein oder Prosecco, in: Lebensmittel Report, 14 (19989, lL, S. 44.m Erfolgsnudel, in: Die Tageszeitung, 16. Mtuz 199).

Page 21: Italien auf dem Teller: Zur Geschichte der italienischen Gastronomie in Deutschland

2i6 Patrick Bemhard

Iag er L999 schon bei sechs Kilogramm.aß Nudeln mindestens ein- bis mehrmals

Über die Hälfte aller Deutschendie §7oche, ein Viertel mindestens

alle t4 Tage, weitere 11"Ä einmal im Monat und nur neun prozent selteneroder nie. zudem bauten sich bis dahin existierende regionale Gefälle imErnährungsverhalten ab. Auch 42Y" der Norddeutschen, deren Verbrauchan Nudeln immer deutlich niedriger gelegen hatte als der in der südlichenHiilfte der Republik, kochten nun mindestens einmal pro rJfoche Nudeln.Nur die Ostdeutschen, die italienische Küche bis dahin kaum gekannt hatten,Iassen seit der §Tiedervereinigung ausländischem Essen gegenüber noch eine,,gewisse Zurückh altung" erkennenel. Bei der Zubereitungsweise stellten dieMarktforscher schließlich eine gravierende Veränderung fest; Immer mehrwurde die Nudel von der Beilage zur Hauptbestandteil der Mahlzeit nachVorbild

Eine

des italienischen primo piatto.

enorme Breitenwirkung ereichte schließlich auch die weiterhinexpandierende italienische Gastronomie ab den 80er Jahren. In Gießenmachten ,,rtaliener" im Jahr 1992 44%;rller ausländischen Gaststätten aus,in Dortmund betrug ihr Anteil an allen Gaststätten sogar l6%oe2. selbst aufdem platten Land verdrängten italienische Betriebe in iinigen Regionen nunalteingesessene deutsche Dorfivirtschaften. Am eindrucksvollsten lesen sichfreilich drc ziffem für die bayerische Landeshauptstadt; Die zahl, der itali-enischen Restaurants schnellte von 2)0 zu Beginn der 80er Jahre auf nichtweniger als 600 am Ende der 90er Jahre emporer.

In den alledetzten Jahren jedoch zeichnet sich, zumindest in einigenstädten, ein gegenläufiger Trend ab. In Hamburg erwa, wo 1980 noch diemeisten ausländischen Gaststätten in italienischen Besitz gewesen waren,haben sich inzwischen griechische und türkische Restaurants an die Spitzeder ausländischen Restaurants gesetzte4. In anderen städten etablieren siit inimmer größerem Maß chinesische Lokaleer. Es bleibt abzuwarten, ob es sichhierbei nur ,m eine kulinarische Episode handelt oder um eine langfristigeTendenzwende, die der vor hundertJahren ja ebenfalls in sehr bescheidenÄAusmaß begonnenen Italianisierung der deutschen Küche und Gastronomieein Ende setzen wird.

et I. weichert, Zum Emährungs- und Mahlzeitenverhalten in Deutschland seit der§Tiedervereinigung.,Historischer Kontext und empirische untersuchungen in Erfurtund Göttingen, Doktorarbeit Hamburg, 1999.

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lunq q Zehnsky, The Roving Palate. Nonh America's Ethnic Restaurant cuisines,in: Geoforum, 16 (1,985),1, S. 5t-77.

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