Ist der Monotheismus wirklich aus dem Polytheismus entstanden? – Eine Nachzeichnung Humes an biblischen Stellen Von Timo Schmitz, Philosoph Einleitung In der Naturgeschichte der Religion zeichnet der Empirist David Hume die Entstehungsgeschichte der Religion nach, wobei er allgemein zu dem Fazit kommt, dass der Polytheismus auf der ganzen Welt der Ursprung der Religion sein müsse und der Monotheismus erst später aus dem Polytheismus entstanden sei. Im ersten Abschnitt verdeutlicht er dies, indem er davon ausgeht, dass der Gott des Polytheismus unvollkommene Charakterzüge besitze, während der Monotheismus dagegen vollkommen sei und anders als der Polytheismus von einem vollkommenen Schöpfer ausgehe. 1 Im Laufe des Werkes versucht Hume jedoch immer wieder aufzuzeigen, dass der vollkommene Monotheismus eigentlich gar nicht vollkommen sei und bringt damit eine versteckte Religionskritik an. In der vorliegenden Arbeit möchte ich an einigen ausgewählten Passagen nachprüfen, ob Humes Einwand berechtigt ist, und dies mit biblischen Stellen vergleichen. So werde ich zuerst beweisen, dass Humes Grundannahme, dass der Monotheismus aus dem Polytheismus entstanden sei, völlig korrekt ist. Dafür werde ich das henotheistische Moment der Mehrzahl Gottes in der hebräischen Bibel heranziehen. Da henotheistische Traditionen immer einen in der Mehrzahl existierenden Gott vereinheitlichen oder vereinen wollen, muss zwangsläufig ein Polytheismus vorausgegangen sein. Es wird jedoch zu klären sein, inwiefern dieser Gott dann wirklich noch Schöpfer ist. Schließlich möchte ich dann weiter gehen und untersuchen, ob Gott für das Böse auf dieser Welt verantwortlich sein kann, da Hume im zweiten Abschnitt einen schizophrenen Gott zeichnet, der den Menschen wieder jenes wegnimmt, was er ihnen einst gegeben hat. In Zuge dessen muss auch betrachtet werden, ob Gott eine abstrakte Macht oder eher dem Menschen ähnlich ist. Methodisch betrachtet ziehe ich sowohl eine deutschsprachige Bibel aus dem Jahr 1965 als auch die englische King James Bible hinzu. In meiner Analyse möchte ich mich zudem auf das 1 Hume, 2000, S. 2 f.
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Ist der Monotheismus wirklich aus dem Polytheismus entstanden? –
Eine Nachzeichnung Humes an biblischen Stellen
Von Timo Schmitz, Philosoph
Einleitung
In der Naturgeschichte der Religion zeichnet der Empirist David Hume die
Entstehungsgeschichte der Religion nach, wobei er allgemein zu dem Fazit kommt, dass der
Polytheismus auf der ganzen Welt der Ursprung der Religion sein müsse und der
Monotheismus erst später aus dem Polytheismus entstanden sei. Im ersten Abschnitt
verdeutlicht er dies, indem er davon ausgeht, dass der Gott des Polytheismus unvollkommene
Charakterzüge besitze, während der Monotheismus dagegen vollkommen sei und anders als
der Polytheismus von einem vollkommenen Schöpfer ausgehe.1 Im Laufe des Werkes versucht
Hume jedoch immer wieder aufzuzeigen, dass der vollkommene Monotheismus eigentlich gar
nicht vollkommen sei und bringt damit eine versteckte Religionskritik an. In der vorliegenden
Arbeit möchte ich an einigen ausgewählten Passagen nachprüfen, ob Humes Einwand
berechtigt ist, und dies mit biblischen Stellen vergleichen. So werde ich zuerst beweisen, dass
Humes Grundannahme, dass der Monotheismus aus dem Polytheismus entstanden sei, völlig
korrekt ist. Dafür werde ich das henotheistische Moment der Mehrzahl Gottes in der
hebräischen Bibel heranziehen. Da henotheistische Traditionen immer einen in der Mehrzahl
existierenden Gott vereinheitlichen oder vereinen wollen, muss zwangsläufig ein
Polytheismus vorausgegangen sein. Es wird jedoch zu klären sein, inwiefern dieser Gott dann
wirklich noch Schöpfer ist. Schließlich möchte ich dann weiter gehen und untersuchen, ob Gott
für das Böse auf dieser Welt verantwortlich sein kann, da Hume im zweiten Abschnitt einen
schizophrenen Gott zeichnet, der den Menschen wieder jenes wegnimmt, was er ihnen einst
gegeben hat. In Zuge dessen muss auch betrachtet werden, ob Gott eine abstrakte Macht oder
eher dem Menschen ähnlich ist.
Methodisch betrachtet ziehe ich sowohl eine deutschsprachige Bibel aus dem Jahr 1965 als
auch die englische King James Bible hinzu. In meiner Analyse möchte ich mich zudem auf das
1 Hume, 2000, S. 2 f.
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Alte Testament beschränken. Zum einen ist das Alte Testament zeitlich früher anzusetzen und
daher im Vergleich auf polytheistische und monotheistische Momente interessanter. Zum
anderen fehlt mir ein tieferes Hintergrundwissen zum Neuen Testament, da ich eher der
jüdischen Tradition zugeneigt bin und mir daher fundamentales Wissen über das Christentum
fehlt. Da ich einige angelesene Kenntnisse der hebräischen Sprache besitze sind alle Wort- und
Grammatikerklärungen direkt von mir, sodass ich hier keine externen Quellen benutzt habe.
Das hebräische Alte Testament ist gemeinfrei und kann in Datenbanken gesichtet werden. Ich
orientiere mich hierbei am masoretischen Text.
1. Gott in der Mehrzahl
Im dritten Abschnitt zeigt Hume auf, dass der Polytheismus zuerst existiert haben muss, da er
die Mannigfaltigkeit der gesamten Natur widerspiegelt2, welcher – so Hume dann im fünften
Abschnitt – kein geistiges, sondern menschliches Wesen darstellt, der einer unsichtbaren
intelligenten Macht entgegenläuft.3 Dass es sich nicht nur um einen Menschen, sondern um
mehrere, also einen poly-theistischen Ansatz handelt, zeigt er in den Widersprüchen der Natur,
die einem Krieg ähneln. So macht er im zweiten Abschnitt deutlich, dass Einer unmöglich am
zweiten Tag zerstört, was er am ersten Tag schafft4, und im fünften Abschnitt untermauert er
dies, indem er die Heldenverehrung als Quelle der Götterbildung sieht5. Humes Ansatz wird in
der Theologie als evolutionärer Ansatz gesehen.6 Demgegenüber steht Yehezael Kaufmans
revolutionärer Ansatz, der davon ausgeht, dass die jüdische Religion die Ausnahme sei und
sich von Anfang an von paganen Traditionen abspaltete.7 Kaufmans Theorie ist jedoch schnell
zu widerlegen, da es in der Evolution der Religion eine Zwischenstufe, den Henotheismus, gibt,
der meiner Ansicht nach notwendigerweise einen vorangegangen Polytheismus voraussetzt.
Dies möchte ich wie folgt nachzeichnen.
Es ist belegt, dass die Kanaaniten – die früher einen Großteil des heutigen Israels bewohnten
– eine polytheistische Tradition befolgten. Demnach stand der Gott El auf der höchsten Stufe,
2 Hume, 2000, S. 12. 3 Hume, 2000, S. 22. 4 s. Hume, 2000, S. 7 f. 5 Hume, 2000, S. 24. 6 Hayes, 2006, Lecture 2. 7 Ebda.
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wobei er in einigen Stämmen durchaus andere Namen innehatte.8 Auf der zweiten Stufe
standen verschiedene Schutzgötter, zum Beispiel Baal.9 Auf der dritten Stufe kamen dann
niedere Götter und Engel.10 Die alte hebräische Bezeichnung für Götter heißt elohim. Dabei
ist -im die hebräische Pluralendung. Das Wort elohim wurde mit der Zeit eine Synonymisierung
für Gott, also alle Götter wurden durch ihn ausgedrückt, sodass es zwar kein reiner
Monotheismus war, aber alle Götter in dem Einen sich vereinten (Henotheismus). Spuren
davon finden sich noch im Alten Testament. So heißt es in Genesis 1:1 im Hebräischen „berešit
bara elohim et hašamayim wa-et haaretz“. Meine deutsche Bibel übersetzt dies mit „Im
Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde“. Die Bezeichnung „im Anfang“ ist hier besonders
trefflich, denn das hebräische Wort „berešit“ besteht aus den Wortteilen „be“ und „rešit“.
Letzteres bezeichnet den Anfang, ersteres bezeichnet das Wort „in“ als Ort oder Zeit oder
„mit“. Hayes stellt daher fest, dass der Satz nicht bedeutet, dass hiermit alles anfing, sondern
dass schon vorher etwas existierte, aber auf dem Höhepunkt des Anfangs begann Gott jenes
zu machen, was uns von dort an überliefert wird.11 Das bedeutet, dass Genesis nicht den
Anspruch haben kann, den ganzen Anfang nachzuzeichnen, sondern bereits etwas existierte,
bevor die Erzählung anfängt, andernfalls hätte eine andere Präposition gewählt werden
müssen.
Weiterhin zeigt sich hier, dass Gott im Plural steht, obwohl grammatisch nur ein Gott
angenommen wird, denn im gesamten ersten Kapitel der Genesis wird er mit der dritten
Person Singular männlich angesprochen. So beginnt Genesis 1:3 mit dem Ausspruch „wa-
yomer“ (er sagte), Genesis 1:4 „wa-yira“ (er sah) und Genesis 1:5 „wa-yiqra“ (er nannte, er
bezeichnete). Es ließen sich noch etliche weitere Stellen finden. Dies zeigt also, dass man Gott
nicht mehr im Plural gesehen hat, ihn jedoch weiterhin im Plural anspricht – der Plural, der
einst dazu da war das ganze Pantheon an Göttern zu bezeichnen. Bis heute gibt es keine
wirkliche Singularform für Elohim im Hebräischen. Auch wenn einige Wörterbücher die
Existenz einer solchen suggerieren, bleibt sie nur hypothetisch. Der Singular befindet sich in
der Bibel nur an einigen wenigen Stellen im Gebrauch, um die Einheit Gottes (also der Eine)
aus den Vielen zu betonen. In einigen engverwandten semitischen Sprachen existiert jedoch
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ein regulärer Singular, so zum Beispiel im Aramäischen eloha und im Arabischen allah, welche
auf denselben Wortstamm zurückzuführen sind.
In Kapitel zwei des Buches Genesis wird das Pluralphänomen sogar noch abstruser, indem Gott
yahweh elohim genannt wird. Das Wort Yahweh bezeichnete laut Evans ursprünglich eine
Gottheit zweiter Ordnung in der kanaanitischen Religion, ist jedoch später mit El
synonymisiert worden und damit aufgestiegen.12 Als oberster Gott wird er als Synkretisierung
der Götter Abrahams, Isaaks und Jakobs gesehen13 – und damit in henotheistischer Form.
Yahweh stand zudem nie in Konkurrenz zu El, im Gegensatz zu einigen anderen Göttern, die
um seine Position konkurrierten.14 Yahweh Elohim ist somit eine Dopplung des Wortes Gottes,
welches in der King James Bibel stets mit „Lord God“ übersetzt wird. Meine deutsche
Übersetzung nutzt die Bezeichnung „Jahwe Gott“. An einigen Passagen wird im Alten
Testament zudem nur von Jahwe geredet, ohne den Zusatz elohim. Ein Synonym für Jahwe/
Yahweh ist Adonai, welches sich aus Deuteronomium 10:17 ableiten lässt. Dort steht: „Ki
Yahweh elohechem hu elohe ha-elohim wa adone ha-adonim“. Dabei bedeutet elohe ha-
elohim gewöhnlich „God of gods“ und adone ha-adonai „Lord of lords“ nach der King James
Version. In der deutschen Ausgabe steht: „Denn Jahwe, euer Gott, ist der Gott der Götter und
der Herr der Herren“. Wenn Yahweh der eine Herr (adonai) ist, dann müssen adonai und
yahweh identisch sein. Die fünf Bücher Mose gelten als die ältesten Bücher der Heiligen Schrift
und an den gezeigten Beispielen dürfte nun klar sein, dass die polytheistischen Götter später
henotheistisch verstanden wurden. Und zwar indem Yahweh als der eine Gott verstanden
wurde, indem alle anderen je existierenden Götter sich vereinigt haben, weswegen es keiner
weiteren Götter bedarf. Durch seine Anrede im Singular muss davon ausgegangen werden,
dass er als unteilbar in der Einzahl verstanden wurde, auch wenn das Wort für Gott im Plural
erhalten blieb. Verschiedene Götternamen wurden nun zu Anreden des Einen. Damit zeigt
sich, dass Humes Nachzeichnung, dass der Monotheismus aus dem Polytheismus entstanden
sei, tatsächlich korrekt ist und das Judentum, anders als von Kaufman proklamiert, dort keine
Ausnahme darstellt, da auch dieses aus polytheistischen Traditionen, nämlich der israelischen
12 Evans, 2007, S. 291. 13 Ebda.: „[…] it was through assimilation that the God of Abraham, Isaac and Jacob was identified in his
essence with Yahweh.“ 14 vgl. Evans, 2007, S. 291.
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Stämme, hervorgegangen ist. Denn nur somit lassen sich die Pluralismen als Bezeichnung für
den einen Gott der Bibel erklären.
Schließlich ist Gott im ersten Kapitel der Genesis nicht als allmächtiger Gott gedacht, der alles
aus dem Nichts kreiert, sondern er nutzt bereits Bestehendes, um es mit der Kraft, die er
besitzt zusammenzusetzen oder zu teilen. Denn das Wort Schöpfung (bara) bedeutet in der
jüdischen Mystik nicht, dass etwas aus dem Nichts gemacht wird, denn dafür steht das Wort
atzah in der Bibel.15 Vielmehr bedeutet „schöpfen“, dass etwas Neues aus etwas bereits
Bestehendem durch Teilung zu Tage tritt (vgl. Genesis 1:27, indem der Mensch aus Schlamm
geschaffen wird – ha-adam und adamah; und Genesis 2:21-22, wo die Frau aus dem Manne
geschaffen wird – ha-iš und išah). Im Hebräischen legen die Wörter noch nahe, warum sie so
heißen. Das Wort für Mensch beinhaltet das Wort für Schlamm, welches wohl aus dem Wort
für rot oder das Rote stammt (und die Farbe der Erde bezeichnet). Das Wort „Frau“ (išah)
enthält noch das Wort „Mann“ (iš), weil sie aus dem Manne (me-iš) geschaffen wurde. Daher
versteht man Genesis 2:23 nur, wenn man den terminologischen Zusammenhang kennt: „she
shall be called Woman, because she was taken out of Man“ (King James Version). Damit ist
auch geklärt, woher Gott seine Materialien nahm: Sie waren einfach da, und er machte etwas
Neues aus dem Alten, was dann seine Schöpfung ist, da er es so geformt hat, wie es nun
letztlich heute ist. Somit lässt sich auch die Schwäche des Argument from Design, die Hume
aufgreift, erklären, in der doch ungewollte Wunder auftauchen16, eben weil Gott ursprünglich
nicht als allmächtig im Sinne von Allmacht gedacht wurde. Höchstens wurde er als ein besserer
Mensch gedacht, der über eine Fülle von Macht besaß und damit sogar über Menschen
verfügen konnte. Ich denke, dass für die frühe Zivilisation dies eine Form der Macht war,
welche die Gedankenkraft der damaligen Menschen überstieg.
2. Die Schizophrenie Gottes
Hume stellt im zweiten Abschnitt die These auf, dass es sehr unwahrscheinlich sei, dass die
Welt mehrere Baumeister besäße. 17 Dabei ist diese Aussage von ihm allzu offensichtlich
ironisch gemeint, denn er stört sich daran, dass Gott so widersprüchlich agiert und zum einen
15 Schmitz, 2018. 16 Zu den Wundern, siehe Hume, 2000, S. 4. 17 Hume, 2000, S. 6 f.
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Sachen wachsen lässt, diese jedoch bald darauf wieder durch Unwetter zerstört. Zu Zeiten, als
die Völker noch naiv und ungebildet gewesen seien, mussten sie daher zwangsläufig
annehmen, dass dies nicht das Werk einer Gestalt sein kann, sondern mehrere sich
entgegengesetzte Kräfte agieren müssten. Damit zeichnet er im Umkehrschluss unweigerlich
das Bild eines launischen – vielleicht sogar schizophrenen – Gottes, wenn es sich doch nur um
einen (einzigen) Gott handeln sollte. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass Hume das
Bild eines allliebenden und allgütigen Gottes annimmt und dies den Übeln dieser Welt
entgegenstellt. Dann gibt es nämlich notwendigerweise nur zwei Möglichkeiten. Entweder ist
Gott nicht allliebend und damit auch für das Böse verantwortlich oder Gott ist nicht für das
Böse verantwortlich, aber dann ist er nicht allmächtig und kann das Böse nicht verhindern.
Im Judentum ist die Frage nach dem Ursprung des Bösen ein bis heute sehr breit diskutiertes
Problem.18 In der Lubawitscher Schule des chassidischen Judentums hat man eine platonische
Position übernommen, die an die Politeia 377d-379c anknüpft. In der Passage in der Politeia
wird herausgestellt, dass Gott nur für das Gute, aber niemals für Ungutes verantwortlich
gemacht werden kann, da Gutes niemandem Schaden zufügen kann. Da Gott mit dem Guten
identisch ist, kann Gott niemandem Schaden zufügen. Rabbi Aron Moss19 kommt zwar zu dem
Schluss, dass Gott der Urheber des Bösen ist, aber nur deswegen, weil er eben nicht das Böse
möchte. Da aber alles was Gott denken kann Realität wird, wird auch das Böse Realität, sobald
Gott daran denkt, selbst wenn er es nicht möchte.20 Demnach ist das Gute ewig, da es von
Gott gewollt wird („G-d wants goodness, so its existence is true and everlasting.”21), während
das Böse als temporäre Negativerscheinung des Guten auftaucht, welches nicht gewollt ist
und daher nichts weiter als ein „undesirable non-entity“ sei.22 Dem gegenüber steht Rabbi
Tovia Singer23 , welcher auf Deuteronomium 30:15 und Jesaja 45:7 verweist. Singer stellt
18 Schmitz, 2018. 19 Sein Artikel ist bei Chabad erschienen, der größten Plattform für chassidische Interpretationen der
Lubawitscher Schule. 20 Moss, o.J. 21 Ebda. 22 Ebda. 23 Singer hat die Plattform Outreach Judaism gegründet, um über die Verchristlichung des Judentums
hinzuweisen und dem entgegenzuwirken. Er sieht sich als Gegenmissionar (counter-missionary) zum
Christentum.
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heraus, dass das Böse eine von Gott erschaffene und gewollte Entität sei, welche zudem Gott
unterworfen und ihr hörig sei.24
„In no part of the Bible is this principle more evident than in the Book of Job,
where Satan’s role is prominent. In the first chapter of Job, Satan appears
before the Almighty with a host of other angels. Satan suggests that Job’s
righteousness was not fully tested. He argues that Job might lose his faith if
he were confronted by personal pain and utter destitution. He proposes to
God that Job serves Him simply because God protects him. Satan requested
permission from God to test Job’s virtue. The Almighty grants this petition;
however, He meticulously outlines for Satan what he may and may not do
when testing Job. Satan obediently follows his Creator’s instructions.“25
Tatsächlich zeichnet das Alte Testament, und damit vor allem das klassische Judentum, nicht
den Anspruch auf, einen Gott zu proklamieren, der nur das Gute im Sinn hat. Singers Verweis
auf Jesaja 45:7 bestätigt dies. In dem besagten Vers steht in der King James Bibel: „I form the
light, and create darkness: I make peace, and create evil: I the LORD do all these things“. Zum
Vergleich, in der mir vorliegenden deutschen Bibel ist der Vers wie folgt übersetzt: „Ich bin
Jahwe, und sonst keiner, der Licht bildet und Finsternis schafft, der Heil wirkt und Unheil
schafft; ich bin Jahwe der all dies wirkt.“ Während im Gegenzug das in der Renaissance
entstandene chassidische Judentum auf mittelalterliche Schriften platonischer Prägung
zurückgreift und wohl auch das Christentum neuplatonische Vorstellungen übernimmt, den
Einen (Gott) mit dem Guten gleichzusetzen26, ist das Gut-sein im frühen Judentum also gar
keine notwendige Eigenschaft Gottes und steht seiner Allmacht nicht entgegen. Auch wenn
die angenommene Allmacht, wie oben gezeigt, gar keine wirkliche Allmacht sein kann. Zudem
zeigt die Passage den vom Henotheismus ausgehend neu entstandenen Monotheismus auf,
denn es wird betont, dass es nur den einen Gott gibt, der für alles verantwortlich ist (ani
yahweh27 oseh chal eleh).
24 Singer, o.J. 25 Ebda. 26 Schmitz, 2018. 27 Ani Yahweh = Ich, Yahweh! Das nachfolgend genannte, bezieht sich alles auf Yahweh, den Gott der Götter
und Herr der Herren, der sich hier in der ersten Person Singular selbst anredet.
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Damit ergeben sich zwei Möglichkeiten. Entweder zerstört Gott, das, was er geschaffen hat
aus Unwissenheit. Also, weil er nicht allmächtig ist und die Zerstörung nicht verhindern kann
oder weil er allmächtig ist und jeder Gedanke Realität wird und damit auch das Böse. Bei
letzterem steht ihm seine Allmacht selbst im Wege (unkontrollierbare Allmacht). Oder Gott
zerstört das Erschaffene wissentlich, weil er eben nicht zwangsläufig ein gütiger Gott ist. Damit
kann er nur allgütig oder allmächtig sein, aber nicht beides gleichzeitig. Ist er allgütig hat er
keine Kontrolle über das Böse, ist er allmächtig, könnte er das Böse verhindern aber tut dies
nicht.
3. Die Vermenschlichung Gottes
Im zweiten Kapitel spricht Hume, wie oben bereits geschildert, die Vermenschlichung Gottes
an. Demnach stellt sich der frühe primitive Mensch Gott als dem Menschen ähnlich vor und
geht weniger von einem abstrakten Wesen aus. Tatsächlich pflichtet das Alte Testament
dieser Annahme Humes bei, wobei vor allem der Anfang von Ezekiel sowie das Kapitel 6 aus
dem Prophetenbuch Jesaja für diese Verbildlichung maßgeblich sind.
Now it came to pass in the thirtieth year, in the fourth month, in the fifth day
of the month, as I was among the captives by the river of Chebar, that the
heavens were opened, and I saw visions of God. In the fifth day of the month,
which was the fifth year of king Jehoiachin's captivity, The word of the LORD
came expressly unto Ezekiel the priest, the son of Buzi, in the land of the
Chaldeans by the river Chebar; and the hand of the LORD was there upon
him. And I looked, and, behold, a whirlwind came out of the north, a great
cloud, and a fire infolding itself, and a brightness was about it, and out of
the midst thereof as the colour of amber, out of the midst of the fire. Also
out of the midst thereof came the likeness of four living creatures. And this
was their appearance; they had the likeness of a man. (Ezekiel 1:1-5, King
James Version)
In the year that king Uzziah died I saw also the LORD sitting upon a throne,
high and lifted up, and his train filled the temple. Above it stood the
seraphims: each one had six wings; with twain he covered his face, and with
twain he covered his feet, and with twain he did fly. And one cried unto
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another, and said, Holy, holy, holy, is the LORD of hosts: the whole earth is
full of his glory. And the posts of the door moved at the voice of him that
cried, and the house was filled with smoke. (Isaiah 6:1-5, King James Version)
Vor allem Ezekiel 1:5 verweist auf die Ähnlichkeit Gottes mit dem Menschen, die an sich aber
nicht verwundern dürfte, da der Mensch in Genesis 1:27 b’tzelem Elohim (in the likeness of
man) geschaffen wird. Folglich nahm man an, dass die Seele des Menschen, der Seele Gottes
und damit auch Gott dem Menschen nachgezeichnet sein müsse, weil Gott den Menschen
schließlich nach seinem Vorbild geschaffen hat. Dabei bedeutet tzelem wörtlich Abbild.28 Der
Mensch ist somit ein Abbild Gottes. Viele jüdische Mystiker im Mittelalter hat dies an Platons
Ideenlehre erinnert. Aber schon in vormittelalterlicher Zeit gab es eine Gegenidee, die
vermutlich bis um die Christusgeburt zurückgeht, in der Gott mit dem Verstand, dem logos,
gleichgesetzt wird. Zur damaligen Zeit gab es unter Gelehrten wohl eine Geheimlehre, die
davon ausging, dass die Verbildlichung Gottes nur eine Vereinfachung für die Unwissenden
sei, damit diese die Schrift verstünden. Demnach sei Gott in Wirklichkeit aber ein leerer Punkt
gewesen, indem sich alles was existieren könne befand. Ein leerer Punkt, welcher alles umfasst
ist zwar ein Widerspruch, aber daran störten sich die Mystiker nicht. Dieser Anfangspunkt ist
so undefinierbar, dass er nicht beschrieben werden könne und zur Vereinfachung ein sof
(„ohne Ende“) genannt werden solle.29 Im mystischen Zohar, der wohl im Mittelalter entstand,
wird Ein Sof mit dem neuplatonischen Einen gleichgesetzt. Aus ungeklärten Gründen fängt
dieses abstrakte Eine dann irgendwann an, sich zu abstrahieren und die Schöpfung beginnt.30
In der Spätrenaissance fügt Isaak Luria die Idee hinzu, dass dieses Eine ursprünglich aus
kosmischem Licht bestand, welches sich – wie auch immer – in Vasen geschützt auf die bereits
bestehende Erdmasse aufmacht. Da die Vasen aber zu fragil gewesen seien, ist das Licht
heruntergeregnet und die Erde dadurch so ungleich und fehlerhaft bedacht worden.31 Damit
erklärt Luria übrigens auch die Übel dieser Welt, denn das Böse sei demnach die Abwesenheit
des göttlichen Lichts und damit des Guten. Auch wenn Isaak Luria damals schon sehr
umstritten war und viele apokryphe Meinungen einbrachte, gilt seine Lehre heute als eine der
wichtigsten und einflussreichsten im orthodoxen Judentum. Sehr orthodoxe Juden glauben,
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dass er Sachen erkannt habe, die sicherheitshalber erst gar nicht in der Heiligen Schrift
erwähnt werden, da sie nur dem Wissenden zugänglich sein sollen. In orthodoxen Kreisen geht
auch die Legende herum, Luria sei so früh verstorben, da er die Geheimnisse Gottes
ausgeplaudert habe und daher von Gott bestraft wurde. 32 Dass Gott in Wahrheit ein
abstraktes Eins darstelle, welches mit dem Guten (agathon) identisch sei, ist heute sowohl die
gängige Interpretation im chassidischen Judentum der Lubawitscher Schule als auch in der
chassidischen Tradition der Breslauer Schule 33 und damit die gängigste Lehrmeinung im
orthodoxen und ultra-orthodoxen Judentum überhaupt. Dieses Abstraktum ist zwar ein
offensichtlicher Widerspruch zur vermenschlichten Darstellung, aber im sechsten Abschnitt
des ersten Kapitels des Sefer Yetzira wird Gott erst als Logos dargestellt, der sich im Laufe der
Schöpfung einen Thron baut.34 Man könnte annehmen, dass er dadurch wohl dem Menschen
immer ähnlicher wird. Tatsächlich aber kommt der Thron am Anfang des sechsten Kapitels in
einem ganz anderen Zusammenhang wieder. Dort platziert Gott nämlich einen
Himmelsdrachen über dem Universum, welcher wie ein König auf dem Throne sei.35 Tiere
spielen in jüdischen Texten oft eine Stellvertreterrolle und sind daher nicht wörtlich zu
nehmen. In diesem Fall handelt es sich wohl um ein Motiv aus der nahöstlichen Mythologie,
welche die Essenz des Universums verkörpert.36 Bis heute ist der Autor unbekannt, aber der
Text scheint aus der nachchristlichen Antike zu kommen. Er bildet das Fundament für das
mystische Judentum im Mittelalter, welches sich in der Renaissance weiterentwickelt und ab
der Neuzeit als chassidische Lehre dem aufgeklärten Judentum (Haskalah) gegenübersteht.
Daher mag Hume auf alle Fälle Recht haben, dass die Menschen sich ursprünglich Gott als dem
Menschen-ähnlich ansahen. Im Laufe der Zeit übernahm das Judentum jedoch platonische,
neuplatonische und mystische Einflüsse, in der Gott erst als Verstandeswesen und schließlich
als das Gute selbst verstanden wird. Die Vermenschlichung ist auf diese Weise mit der Zeit im
32 Über ein detaillierteres Wirken Isaak Lurias gibt es auf Youtube die Dokumentation Gnosis - Secrets of the
Kabbalah aus dem Jahr 2013 [https://www.youtube.com/watch?v=ppT8JK1loSg, aufgerufen am 28. März
2019]. 33 Zum besseren Verständnis der Breslauer Schule empfehle ich die Vorträge zu Nachmans Likkutei Moharan
von Rabbi Eluzar Kenig in jiddischer Sprache. 34 Wescott, 1893. 35 Ebda. 36 Epstein, 1996, S. 363.
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Judentum verschwunden und zu einer Allegorie für die einfältigen Menschen heruntergespielt
worden.
Fazit
In der Bibel lassen sich eindeutige Belege finden, dass das frühe Judentum aus einer
henotheistischen Tradition entstanden ist und damit Humes evolutionäre Theorie der
Religionsgeschichte belegen. Zugleich ist damit Kaufmans sogenannte revolutionäre Theorie
widerlegt, die davon ausging, dass das Judentum sich von Anfang an als monotheistische
Tradition in einem polytheistischen Umfeld etablierte. So bezeichnet die Bibel Gott als elohim,
was ursprünglich die Pluralform „Götter“ bedeutete und erst im Laufe der Zeit zu einem festen
Nomen geworden ist. Auch die Anrede elohe ha-elohim (Gott der Götter) zeigt, dass die
jüdische Tradition aus einem polytheistischen Pantheon heraus entstanden sein muss.
Zugleich zeugt die Übernahme des Namen Yahweh, dass es sich um eine ununterbrochene
Tradition handeln muss, da Yahweh eine Gottheit zweiten Grades im kanaanitischen Pantheon
darstellte. Somit übernahm das Judentum die Yahweh-Verehrung ebenso wie die elohistische
Tradition. Das Judentum ist damit eine Weiterentwicklung, nämlich die Kanonisierung, eines
vorangegangenen paganen Volksglaubens polytheistischer Prägung. Im frühen Stadium der
Entwicklung, dem Pentateuch, war dieser auf jeden Fall henotheistisch, da hier ein Gott der
Herr aller Götter war. Schließlich wurden alle Götter der verschiedenen Stämme eine
Manifestation des einen Gottes, der nur mehrere Namen hat, was sich auch darin zeigt, dass
Gott im Alten Testament mit verschiedenen Namen angeredet wird. Da das Judentum aus
verschiedenen Traditionen entstanden ist, löst sich schließlich auch Humes schizophrenes
Gottesbild auf. Zwar werden Gott verschiedene Attribute angelastet, aber viele
Gottesattribute sind der platonischen Perfektion geschuldet. Die frühen Juden können
unmöglich von einem allgütigen Gott ausgegangen sein, denn es gibt mehrere Bibelstellen, in
denen Gott sich der Schöpfung des Bösen bekennt. Die Idee eines Gottes der das Gute
verkörpert und alles nach einer perfekten Idee verstandesmäßig (nous) baut, scheint
entweder dem frühen Christentum oder dem Neuplatonismus entnommen zu sein. Woher
dies genau stammt, kann ich nicht genau sagen, da ich mit der christlichen Tradition nicht gut
genug bewandert bin, aber es läuft der jüdischen Tradition entgegen. Erst in der
Spätrenaissance übernahm das Judentum die Idee eines nur nach dem Guten strebenden
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Gottes. Dies ging mit der Gründung des Chassidismus (Schule des Mitgefühls – von Hebräisch
chesed) überein.
Schließlich hat Hume auch recht, wenn er behauptet, dass Gott ursprünglich keine abstrakt
gedachte intelligente Macht sei, sondern dem Menschen ähnlich gedacht wurde. Ein
möglicher Beweis zeigt sich vor allem an Stellen in der Bibel, in denen Gott auf einem Thron
sitzt, der vom Feuer umhüllt ist und sich dem Menschen qua Gestalt offenbart. Auf der
anderen Seite könnte statt einem Gott in Menschengestalt auch ein Gott in Form eines
mythologischen Wesens sitzen. Viel evidenter ist dagegen die Stelle, als Gott den Menschen
als sein Abbild schöpfte. Dabei bedeutet „schöpfen“ ursprünglich nur einen Teilungsprozess.
Die frühen Juden gingen also nicht davon aus, dass Gott ein allmächtiger Schöpfer sei, der alles
aus dem Nichts erschaffen kann. Vielmehr nutzt er das bereits vorhandene und erschafft
Neues durch Teilung oder Zusammenführung. Dem entgegengesetzt steht das hebräische
Wort für „machen“ oder „kreieren“, in dem Gott ein authentischer Urheber ist. Damit zeigt
sich, dass Gott ursprünglich als ein menschenähnliches aber um vielfaches mächtigeres Wesen
vorgestellt wurde und im Laufe der Zeit erst abstrakt gedacht wurde. Je abstrakter er wurde,
desto weniger Eigenschaften wurden ihm zugeschrieben, bis er schließlich ein leerer Punkt
war, indem paradoxer Weise alles was je sein kann schon enthalten ist.
Literatur
Bibelausgaben:
Die Bibel. Die Heilige Schrift des alten und neuen Bundes. Vollständige deutsche Ausgabe.
Freiburg im Breisgau: Herder Verlag, 1965.
Holy Bible. King James Version. Nashville: The Gideons International, 1979.
Sonstige Literatur:
Adler, Benjamin: Introduction to Kabbalah: The Creation Myth. Sefaria Source Sheet, 2016.
https://www.sefaria.org/sheets/32246, aufgerufen am 29. Juli 2018.
Timo Schmitz: „Ist der Monotheismus wirklich aus dem Polytheismus entstanden?“ (2019) __________________________________________________________________________________
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Epstein, Marc Michael: Harnessing the Dragon: A Mythos transformed in Medieval Jewish
Literature and Art. In: Laurie L. Patton, Wendy Doniger: Myth and Method. Charlettesville/
London: The University Press of Virginia, 1996, S. 352-389.
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