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Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? Analyse und Bewertung einer Debatte
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Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Apr 24, 2023

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Peter Ullrich
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Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus?Analyse und Bewertung einer Debatte

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Inhalt

1 Einleitung..................................................................................................................... 1

1.1 Fragestellung und Vorgehen..................................................................................4

1.2 Begrifflichkeiten.....................................................................................................5

2 Analyse der Debatte um einen islamisierten Antisemitismus.......................................8

2.1 Beschreibung der Analyseräume.........................................................................10

2.2 Anwendung der Analyseräume............................................................................12

2.2.1 Traditionelle Quellen und Stereotype.............................................................12

2.2.2 Einflüsse und Entwicklung.............................................................................18

2.2.3 Historische und politische Rahmenbedingungen...........................................25

2.2.4 Gesellschaftliche Funktion.............................................................................30

2.2.5 Semantik.......................................................................................................36

2.2.6 Manifestation.................................................................................................46

3 Fazit............................................................................................................................ 48

3.1 Ein neuer Antisemitismus?...................................................................................48

3.2 Defizite der Debatte.............................................................................................51

3.3 Ausblick............................................................................................................... 54

4 Literaturverzeichnis....................................................................................................56

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Anmerkungen

Durch die Kursivschreibweise werden in dieser Arbeit je nach Kontext feststehendeKonzepte bzw. Eigennamen sowie sprachliche Betonungen gekennzeichnet. DieSchreibweise in „Anführungsstrichen“ wird – neben der üblichen Kennzeichnung vonZitaten – benutzt, wenn ein Ausdruck Konstrukte beschreibt, deren Verwendung ich ohneweitere Erläuterung problematisch finde.

Des Weiteren ist der Text in einer geschlechtsneutralen Sprache verfasst. Wenn nötig undmöglich, wird die Gender_Gap-Schreibweise gegenüber dem Binnen-I bevorzugt, umauch Menschen, die sich – obgleich biologisch oder sozial – nicht im gesellschaftlichhegemonialen Mann/Frau-Schema verorten lassen (wollen), einzubeziehen. DiesesKonzept wird möglichst konsequent verfolgt und komplexere Wortkonstruktionen dafür inKauf genommen. Damit soll vor allem auf die sowohl heteronormative als auchpatriarchale Hegemonie in unserem derzeitigen Sprachgebrauch aufmerksam gemachtwerden.

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1 Einleitung

Die Ereignisse im nordafrikanischen Raum und dem Nahen Osten Anfang des

Jahres 2011 werden unter dem Schlagwort „Arabischer Frühling“ in die

Geschichtsschreibung eingehen. Das Aufbegehren gegen autoritäre Regime

und der Wunsch der arabischen Zivilgesellschaften nach einem höheren

Maße an politischer Mitbestimmung lösten in Europa ein überwiegend

positives Echo aus.

Doch zwei Ereignisse, die in der europäischen Presse lediglich an der

Peripherie behandelt wurden, lassen aufhorchen: Die israelische Tageszeitung

Haaretz beispielsweise berichtete Anfang Februar 2011 unter Berufung auf

die Nachrichtenagentur Reuters von einem Brandanschlag auf eine Synagoge

im tunesischen Gabes. In dem Artikel betont ein Sprecher der jüdischen

Gemeinde Tunesiens das eigentlich friedliche Zusammenleben der

Konfessionen in seinem Land (Reuters 2011). Auch während der Proteste in

Ägypten äußerten sich antisemitische Ressentiments: Wiederholt konnten in

der Bildberichterstattung Plakate entdeckt werden, auf denen Hosni Mubarak

mit einem auf die Stirn gemalten Davidstern zu sehen war (Zekri 2011). Im

Internet kursieren Bildmontagen, die Mubarak mit Schläfenlocken und in der

Tracht aschkenasischer Juden zeigen. Dies sind nur zwei Beispiele von vielen.

Solche und ähnliche Ereignisse werfen die gleiche Frage auf: Warum richtet

sich die Wut der Menschen, die ein Unbehagen mit ihrer eigenen Regierung

zum Ausdruck bringen wollen, gegen Jüdinnen und Juden oder den Staat

Israel? Und das, obwohl es zwischen ihrer unmittelbaren Lebenssituation, die

sie auf die Straße getrieben hat, und den außenpolitischen Entscheidungen

Israels höchstens einen indirekten Zusammenhang gibt? Die Vermutung liegt

nahe, dass diese Beobachtungen auf eine antisemitische Gesinnung, für die

Teile der arabischen Bevölkerungen empfänglich sind, zurückgeführt werden

können. Wird die Perspektive erweitert, reihen sich die Ereignisse in eine

langjährige Tradition von antijüdischen Äußerungen, Motiven und Handlungen

in der islamisch-arabischen Welt ein. Die fortgesetzte Weigerung der Hamas,

Israels Existenzrecht anzuerkennen, die Popularität des libanesischen

1

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Fernsehsenders Al-Manar1, der Fernsehserien auf Basis der Protokolle der

Weisen von Zion produziert (MEMRI 2003)2 oder der internationale

Publikumserfolg des im Januar 2011 erschienenen türkischen Films Tal der

Wölfe – Palästina, welcher sich deutlich antisemitischer Motive bedient (JGzB

2011), sind nur einige Beispiele, die das Ausmaß des Problems vor Augen

führen. Sie deuten auf eine Verankerung antisemitischer Einstellungen in der

Politik- und Medienlandschaft sowie weiten Teilen des öffentlichen Lebens der

islamisch-arabischen Welt hin.

Die Auseinandersetzung in dieser Arbeit mit dem Antisemitismus in der

islamisch-arabischen Welt geschieht auch mit Blick auf antisemitische

Kontinuitäten in Europa. Dort nehmen seit Ende des Ost-West-Konflikts

antisemitische Einstellungen und Straftaten wieder zu (Bergmann 2004: 117,

130ff.; Holz 2005: 7). Gerade in der Bundesrepublik Deutschland ist

spätestens in dieser Zeit offenkundig geworden, dass eine „Aufarbeitung der

Vergangenheit“, wie Adorno (1963) sie einforderte, noch immer nicht

stattgefunden hat. Die in einer Kommunikationslatenz ruhenden

antisemitischen Einstellungen werden parallel zum erwachenden deutschen

Nationalbewusstsein nach der Wiedervereinigung erneut offener formuliert.

Bezugspunkte antisemitischer Äußerungen und Vorfälle sind dabei weniger

die NS-Vergangenheit und der Holocaust3, sondern der Nahost-Konflikt und1 Dieser Sender gehört mit täglich rund 10 Millionen Zuschauer_innen zu den fünf wichtigstender islamisch-arabischen Welt und steht der Hisbollah nahe. Per Satellitenfernsehen wird er auch in Europa empfangen (Eusterhus 2005).2 So z.B. die Serie Diaspora oder Reiter ohne Pferd. Die Organisation MEMRI (Middle East Media Research Institute) beobachtet Medien aus dem islamisch-arabischen Raum mit Fokus auf Themen wie Antisemitismus, Nahost-Konflikt, Terrorismus usw. und veröffentlicht diese (kostenlos und übersetzt) im Internet unter www.memri.org.3 Obwohl sich der Begriff „Holocaust“ als Bezeichnung für den organisierten Massenmord Nazideutschlands an Jüdinnen und Juden, Homosexuellen, Sinti und Roma, politischen Gegner_innen, sogenannten "Asozialen" und Anderen eingebürgert hat, muss auf seine problematische Etymologie hingewiesen werden: Der Begriff stammt aus einer englischen Übersetzung des griechischen Bibelverses 1 Moses 22 und bezeichnet dort die Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham. In der lutherschen Übersetzung wird der gleiche Begriff mit „Brandopfer“ übersetzt. Dieser Bezug zur religiösen Opfergabe mystifiziert und verklärt den bürokratisch geplanten, tausendfachen Mord. Eine Alternative könnte der hebräische Begriff „Shoah“ darstellen. Doch auch hier bleibt ein Unbehagen. Zum einen lässt die gängige deutsche Übersetzung mit „Katastrophe“ die Frage nach Täter_innen und Opfern ungeklärt. Zum anderen kann die Übernahme eines Begriffs, der die Opferperspektive reflektiert, im Sprachraum der Täter_innen für unangemessen gelten. Außerdem bezieht sich der hebräische Begriff ausschließlich auf die jüdischen Opfer des nationalsozialistischen

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dessen Deutung (Rabinovici et al. 2004: 7). Das Phänomen durchzieht alle

Bevölkerungsschichten und politischen Lager. Neben diesem Wandel von

Bezugspunkten können auch Veränderungen bezüglich der

Täter_innengruppe antisemitisch motivierter Straf- und Gewalttaten

ausgemacht werden: In den letzten Jahren sind in einigen europäischen

Ländern in dieser Hinsicht vermehrt Jugendliche mit islamischem und/oder

arabischem Hintergrund aufgefallen (vgl. EUMC 2004). Von der Politik wie

auch von der Wissenschaft wurde dieser Befund indes länger ignoriert (Benz

und Wetzel 2007: 19). Dies geschah wohl nicht zuletzt deshalb, weil im

Rahmen parallel laufender Debatten über antimuslimischen Rassismus der

Hinweis auf einen islamisierten Antisemitismus eine besondere politische

Brisanz erfährt.

Doch das Phänomen konnte spätestens seit dem Ausbruch der zweiten

Intifada4 im Jahre 2000 und dem damit einhergehenden Anstieg

antisemitisch-motivierter Straftaten auch in Europa nicht länger übersehen

werden. Die zu dieser Zeit entbrannte Auseinandersetzung um einen

Antisemitismus in der islamisch-arabischen Welt gliedert sich in die schon

früher in den USA begonnene Diskussion um einen sogenannten „neuen

Antisemitismus“ ein.5 Die mittlerweile international geführte Debatte, die

noch nicht abgeschlossen scheint, kreist hauptsächlich um drei Aspekte

(Rabinovici et al. 2004: 9f.): Erstens wird immer wieder über die Grauzone

zwischen einerseits legitimer Kritik an israelischer Politik und andererseits

Mordapparats. (vgl.: http://www.antisemitismus.net/shoah/holocaust.htm und http://www.shoa.de/holocaust.html, Zugriff am 15.07.2011.) Da sich der Begriff „Holocaust“ in der Wissenschaft weitestgehend durchgesetzt hat, wird er auch für diese Arbeit durchgehend verwendet. Die begriffliche Unfassbarkeit des Massenmordens der Deutschen unter dem Nationalsozialismus verweist letztlich nur auf das Entsetzliche und Unfassbare des Ereignisses selbst.4 Dieser arabische Begriff erscheint ebenfalls problematisch. Eine geläufige Übersetzung ins Deutsche lautet „sich erheben, abschütteln, loswerden“ (vgl. z.B. Küntzel 2002: 107). Diese Bildsprache hat insbesondere in Verbindung mit der verheerenden palästinensischen Gewaltwelle von 2000 und den Folgejahren zumindest einen deutlich antizionistischen Beiklang und ist somit anschlussfähig für den eliminatorischen Antisemitismus der Hamas, der al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden und anderer Gruppierungen dieses sogenannten „Volksaufstandes“. Leider ist keine geläufige alternative Sprachregelung bekannt, die eine klare Abgrenzung zu antisemitischen Positionen im Nahost-Konflikt deutlich machen würde.5 Siehe dafür zum Beispiel: Phyllis (2003) und Foxman (2003).

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einer „Israel-Kritik“, welche antisemitische Deutungsmuster und Elemente

enthält, diskutiert. Oft ist dabei die Rede vom „antizionistisch maskierten

Antisemitismus“ (ebd.). Zweitens ist der Antisemitismus in linken

Bewegungen in den Fokus gerückt. Neben dem Phänomen des Antizionismus

ist vor allem die Frage zentral, inwiefern linke Kapitalismus-, Globalisierungs-

und Imperialismuskritik in antisemitische Grundeinstellungen und

Weltanschauungen münden und sich dadurch Überschneidungen mit rechten

Positionen ergeben. Das dritte Feld der Debatte um einen „neuen

Antisemitismus“ thematisiert schließlich die Frage nach der Verbreitung von

Antisemitismus in der islamisch-arabischen Welt und den europäischen

muslimischen Zuwanderungsgesellschaften. Gegenstand dieser Arbeit ist

demnach das letztgenannte dieser drei Felder in der übergeordneten Debatte

um einen „neuen Antisemitismus“.

1.1 Fragestellung und Vorgehen

Doch handelt es sich im Falle des islamisierten Antisemitismus wirklich um

einen neuen Antisemitismus? Aus welchen Quellen speist sich diese

Weltanschauung? Welche Rolle spielt der Nahost-Konflikt und welche

Funktionen erfüllt dabei das antisemitische Weltbild innerhalb der islamisch-

arabischen Gesellschaften? Diese und andere Fragen versucht eine Vielzahl

an Autor_innen zu beantworten. Vertreter_innen der Geschichts-, Islam-,

Politik-, Erziehungs- und Sozialwissenschaften diskutieren dabei über

Ursachen, Ausmaße und die Bewertung des Phänomens. Die Literatur

umfasst bisher kaum Monographien, die Reflexion findet größtenteils in Form

von Sammelbandbeiträgen statt. Dies lässt jedoch nur ein geringes Maß an

umfassender Operationalisierung zu.

In der vorliegenden Arbeit wird daher der Versuch unternommen, die

bisherigen Erkenntnisse und Argumentationsstränge in ein Analyseraster

einzuordnen. Wiederkehrende Themenfelder der vorliegenden Literatur

wurden zu sechs methodischen Analyseräumen verdichtet, mit Hilfe derer die

aktuelle Debatte strukturiert und die Komplexität und Vielschichtigkeit des

islamisierten Antisemitismus verdeutlicht werden sollen. Folgende

Argumentationslinien bezüglich eines „neuen“, islamisierten Antisemitismus

4

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können durch das Analyseraster, welches auch die Gliederung dieser Arbeit

bestimmt, erfasst werden: Die traditionellen Quellen und Stereotype des

islamisierten Antisemitismus (1), die verschiedenen Einflüsse und

Entwicklungen, die dieser erfahren hat (2), die begleitenden historischen und

politischen Rahmenbedingungen (3), seine gesellschaftliche Funktion (4), die

Sinnstruktur des islamisierten Antisemitismus (5) und schließlich seine

konkreten aktuellen Auswirkungen (6).

Nur durch diese gesonderte, jedoch nicht unabhängige Betrachtung

verschiedener Ebenen kann eine differenzierte Bewertung des Phänomens

gelingen. In dieser Arbeit wird deutlich, dass es fragwürdig ist, in Bezug auf

den islamisierten Antisemitismus vorschnell von einem „neuen

Antisemitismus“ zu sprechen. Mit Hilfe des Analyserasters können außerdem

die einzelnen Forschungslücken und Defizite der Debatte besser

herausgearbeitet und so eine Grundlage zu deren Beseitigung geschaffen

werden. Während bisher der moderne europäische Antisemitismus und der

Antisemitismus in der islamisch-arabischen Welt sowohl in der

wissenschaftlichen Reflexion als auch in Statistiken eher getrennt

voneinander behandelt wurden, legen die Erkenntnisse dieser Arbeit nahe,

dass zwischen beiden Phänomenen auf einer weltanschaulichen Ebene wie

auch in der Realität Wechselwirkungen und Überschneidungen bestehen. Die

Anerkennung dieses Befundes würde sich wiederum auf den

gesellschaftlichen und politischen Umgang mit dem Phänomen eines

islamisierten Antisemitismus auswirken. Daher ist das Thema meiner Arbeit

auch für den deutschen Diskurs relevant.

Im folgenden Unterkapitel 1.2 werden zunächst die zentralen Begrifflichkeiten

erläutert und deren Problematiken diskutiert. Einleitend zur eigentlichen

Analyse des islamisierten Antisemitismus im Kapitel 2 werden die erwähnten

Analyseräume genauer beschrieben, um sie schließlich in den Unterkapiteln

2.2.1 bis 2.2.6 auf die Debatte um den islamisierten Antisemitismus

anzuwenden. Abschließend folgen das Fazit und ein Ausblick.

5

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1.2 Begrifflichkeiten

Um Missverständnisse zu vermeiden, ist es zunächst notwendig, die

zentralen Begrifflichkeiten der vorliegenden Arbeit näher zu erläuterten.

Zunächst zum Begriff des Antisemitismus: Die jahrhundertelange Geschichte

antijüdischer Ressentiments und deren Wandlungen von Inhalten und

Erscheinungsformen kann hier nicht ausführlich erläutert werden. In

Anlehnung an den Historiker und ehemaligen Leiter des Zentrums für

Antisemitismusforschung Wolfgang Benz (2008: 19f.) können an dieser Stelle

aber vier ineinander übergehende historische Tendenzen ausgemacht

werden: Der christliche Antijudaismus vom Mittelalter bis zur Neuzeit, der

rassistische Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts, welcher zum

Holocaust führte, der seit 1945 vor allem in Deutschland zu findende,

sekundäre Antisemitismus, welcher sich „aus Gefühlen der Scham und

Schuldabwehr“ (ebd.) speist und dem häufig die Formulierung „nicht trotz,

sondern wegen Auschwitz“ (z.B. Haury 2002: 149) beigefügt wird, und

schließlich der israelbezogene Antisemitismus, der in Gestalt von

Antizionismus auftritt.

Was eine Definition des modernen6 Antisemitismus betrifft, so muss erwähnt

werden, dass eine solche immer defizitär bleiben muss, da es sich weniger

um ein starres Gebilde handelt, sondern vielmehr – mit den Worten Adornos

(1995: 111) – um ein „bewegliches Vorurteil“. Der Sozialwissenschaftler

Samuel Salzborn (2010: 29) bemerkt dazu, dass die sozialwissenschaftliche

Theoriebildung bezüglich des Antisemitismus gewissermaßen vor einer

unlösbaren Aufgabe steht. Es geht darum, den Antisemitismus zwar

verstehbar, nicht jedoch verständlich zu machen, „Erklärungen für das

Unerklärbare“ (ebd.) zu finden. Es ist daher schwer, einem solch komplexen

Phänomen mit einer knappen Definition gerecht zu werden. Oft verwendet,

indessen ebenso kontrovers diskutiert, wird die Arbeitsdefinition der

6 Der Begriff „moderner Antisemitismus“ hat sich in der Antisemitismusforschung als Beschreibung für den europäischen Antisemitismus ab Ende des 19. Jahrhunderts durchgesetzt. Damit soll eine Abgrenzung zum früheren christlichen Antijudaismus markiert werden. Inwieweit hier Brüche und Kontinuitäten bestehen, soll in dieser Arbeit nicht diskutiert werden.

6

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European Union Agency for Fundamental Rights (FRA, ehemals European

Monitoring Centre on Racism and Xenophobia, EUMC):

„Antisemitism is a certain perception of Jews, which may be expressed as hatred

towards Jews. Rhetorical and physical manifestations of antisemitism are directed toward

Jewish or non-Jewish individuals and/or their property, toward Jewish community institutions

and religious facilities. In addition, such manifestations could also target the state of Israel,

conceived as a Jewish collectivity.“ (EUMC)

Dieser Beschreibung sei in Anlehnung an Thomas Haury (2002: 30)

hinzugefügt, dass es sich beim Antisemitismus nicht um eine „bloße

Anhäufung verschiedener Stereotype“ handelt, sondern vielmehr um ein

geschlossenes Weltbild. Auch Klaus Holz (2001: 11) spricht bezüglich des

modernen Antisemitismus von einer antisemitischen „Weltanschauung“, der

bestimmte Sinn- und Denkstrukturen zu Grunde liegen. Eines der zentralen

Merkmale der antisemitischen Weltanschauung ist der

Verschwörungsgedanke, welcher mit Machtzuschreibungen einhergeht.7

Während es zwar weitestgehend unumstritten ist, dass es sich beim eingangs

beschriebenen Phänomen in der islamisch-arabischen Welt um

Antisemitismus handelt, besteht Unklarheit darüber, welches Attribut in

diesem Zusammenhang angemessen ist. In der deutschen

Antisemitismusforschung stehen dabei die Begriffe „islamischer“,

„muslimischer“, „arabischer“, „islamistischer“, „islamisierter“ oder auch

„arabisch-islamischer“ Antisemitismus zur Diskussion. Gemeint ist im Prinzip

mit jeder der Bezeichnungen das gleiche Phänomen, nämlich sowohl ein

Antisemitismus in den muslimischen Communities in Europa als auch in

Nahost und anderen islamisch-geprägten Gesellschaften wie der Türkei.

Dennoch verrät jedes der genannten Attribute inhaltliche Vorannahmen, die

problematisch sind.

Wie etwa Cem Özdemir (2006: 220) andeutet, machen die Bezeichnungen

„islamischer“ oder „muslimischer“ Antisemitismus glauben, es handele sich

um ein auf den Gesamtislam bzw. den muslimischen Kulturkreis bezogenes7 Auf den Antisemitismus als Weltanschauung wird in den Unterkapiteln 2.2.4 und 2.2.5 näher eingegangen. Für dieses einleitende Kapitel sollen die obigen Ausführungen genügen. Um der Frage „Was ist Antisemitismus?“ einigermaßen gerecht zu werden, müssten ganze Bücher verfasst werden ( z.B. Benz (2008) u.v.m.).

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Phänomen. Auch deutet der Begriff des „islamischen Antisemitismus“ auf

eine Parallele zum christlichen Antijudaismus hin, suggeriert also, der

beschriebene Antisemitismus speise sich aus dem Islam als Religion. Des

Weiteren meint Özdemir (2006: 220f.), es muss vielmehr die Frage gestellt

werden, „was am Antisemitismus von Muslimen konkret islamisch ist“. Seiner

Meinung nach nährt sich jener Antisemitismus nicht aus der Religion, sondern

hauptsächlich aus rassistischen Vorurteilen. Zusätzlich könne er nicht

losgelöst vom Nahost-Konflikt betrachtet werden. Aus denselben Gründen

zieht, so Özdemir (2006: 221), zum Beispiel der Islamwissenschaftler Stefan

Wild den Begriff des „arabischen Antisemitismus“ vor. Hier wiederum wendet

Klaus Faber (2006: 168) berechtigterweise ein, dass damit lediglich der

Antisemitismus muslimischer (und christlicher) Araber_innen erfasst wird,

nicht jedoch der der nicht-arabischen Bevölkerungsgruppen wie zum Beispiel

der Türk_innen und den türkischstämmigen Menschen in Westeuropa.8 Auch

die oft verwendete Bezeichnung „islamistischer Antisemitismus“ hält Faber

(2006: 168) für unzureichend, werde so doch von einem „viel zu kleinen Kreis

im Islam“ gesprochen. In den letzten Jahren kam schließlich der Begriff des

„islamisierten Antisemitismus“ (vgl. Kiefer 2007a). Da sich der

Antisemitismus der islamisch-arabischen Welt nicht ausschließlich aus der

Religion speise, viele westliche Einflüsse erfahren habe und seine

Strukturmerkmale größtenteils mit denen des modernen Antisemitismus

identisch seien, handele es sich eher um einen „islamistisch übertünchten“

Antisemitismus, so der Islamwissenschaftler Michael Kiefer (2007a: 80).

Wirklich durchsetzen konnte sich der Begriff des „islamisierten

Antisemitismus“ ebenso wenig wie seine Alternativen.

Offensichtlich fehlt es bisher an einer einheitlichen und präzisen Bezeichnung

für das zu erörternde Phänomen. Nach längerem Abwägen wird für diese

Arbeit der Begriff des „islamisierten Antisemitismus“9 verwendet. Gemeint ist

damit das Phänomen eines – insbesondere in den letzten Jahren offen zu Tage

getretenen – Antisemitismus in erstens islamisch geprägten Gesellschaften8 Hier sei bemerkt, dass es starke Abgrenzungsbemühungen zwischen Türk_innen und Araber_innen gibt, sowohl in der Türkei als auch in den muslimischen Communities in Europa.Genau genommen fällt auch der Iran, welcher bezogen auf Antisemitismus nicht außer Acht gelassen werden sollte, nicht oder nur teilweise unter den Begriff „arabische Welt“.9 Fortan ohne Anführungszeichen.

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und zweitens den muslimischen Communities in Europa (sowohl mit

türkischem als auch arabischem Hintergrund). Um diese beiden Räume und

Gesellschaften zu erfassen, wird vereinfachend der Begriff der „islamisch-

arabischen Welt“ gebraucht. „Islamisch“, um auch die Türkei einzubeziehen

und generell islamisch-geprägte Gesellschaften, inklusive der muslimischen

Communities in Europa, zu betonen; „arabisch“, um doch einen Fokus auf

den arabischen Raum und die Nahost-Region zu legen. Obwohl offenkundig

ist, dass diese methodische Eingrenzung grob vereinfachend und der

Gemengelage keineswegs angemessen ist, kann sie aus dem Grund, dass die

muslimischen Communities in Europa durch Satellitenfernsehen, dem

Internet und international erscheinenden Filmen keineswegs vom

Antisemitismus der außereuropäischen islamisch-geprägten Gesellschaften

abgekoppelt sind, dennoch vertreten werden. Eine genaue Eingrenzung

bezüglich der betrachteten Regionen und der Personengruppen ist in diesem

Rahmen kaum möglich. Zum Beispiel müsste den europäischen

Zuwanderungsgesellschaften als Form einer Hybridkultur eine gesonderte

Betrachtung zukommen. Da diese Unterscheidung aber in der vorliegenden

Literatur nicht klar und durchgängig unternommen wird, kann sie auch in

dieser Arbeit nur unzureichend berücksichtigt werden.

2 Analyse der Debatte um einen islamisierten Antisemitismus

Zum Thema des Antisemitismus in der islamisch-arabischen Welt findet sich

mittlerweile eine große Bandbreite an Material: von längeren,

wissenschaftlichen Abhandlungen über kürzere Kommentare bis hin zu

polemischen Zeitungsartikeln. Eine gewisse Dynamik und Emotionalität prägt

die Debatte (insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland) auf Grund

ihrer gesellschaftlichen und politischen Brisanz. Zum einen lässt sich in der

Auseinandersetzung mit dem Thema der äußerst sensible Themenbereich

des Nahost-Konflikts nicht ausblenden, zum anderen erscheint die Bewertung

des Phänomens neben einer parallel laufenden Debatte um eine sogenannte

„Islamophobie“ – oder besser gesagt, um den antimuslimischen Rassismus –

besonders heikel.

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Gleichzeitig ist wohl genau jene Brisanz Ursache dafür, dass die Debatte um

einen islamisierten Antisemitismus zunächst sehr verhalten begann. So

konstatieren Forscher_innen des Berliner Zentrums für

Antisemitismusforschung bezüglich eines anwachsenden Antisemitismus in

den muslimischen Communities in Deutschland, dass dieser lange Zeit von

der Politik und der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wurde bzw. nicht

wahrgenommen werden wollte (Benz und Wetzel 2007: 19). Auch die

Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer (2006: 243) bemängelt, dass man sich

in ihrem Fachbereich lange gescheut hat, dieses Thema zu bearbeiten.

Bezeichnend für diese Zögerlichkeit war auch die vorläufige

Nichtveröffentlichung der ersten EU-weiten Studie zu Erscheinungsformen

von Antisemitismus für die Europäische Stelle zur Beobachtung von

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) in Kooperation mit dem Zentrum

für Antisemitismusforschung für das Jahr 2002. Darin hieß es, dass die für die

Studie erfassten, antisemitisch motivierten Straftaten oft von muslimischen

Jugendlichen begangen worden seien. Warum die EUMC die Studie zunächst

zurückhielt, ist nicht abschließend geklärt worden. Vermutlich waren aber die

aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten (Ausbruch der zweiten Intifada im

Jahr 2000) und die Ereignisse des 11. September 2001 die Gründe dafür, dass

die Studie zunächst nicht offiziell, später in veränderter Form veröffentlicht

wurde.10 Dass jedoch eine Debatte um einen „neuen“, islamisierten

Antisemitismus seit Anfang der Nullerjahre auch in der Bundesrepublik

Deutschland angestoßen worden ist, zeigen nicht nur die Literatur, sondern

auch die verschiedenen Fachtagungen und Konferenzen zu diesem Thema.11

Die in den letzten zehn Jahren geführte Debatte soll an dieser Stelle näher

betrachtet werden. Woher kommt dieser Antisemitismus in der islamisch-

arabischen Welt, wie entwickelte er sich, welcher Logik folgt er? Was ist das10 Für weitere Details siehe den Newsletter des Zentrums für Antisemitismusforschung (2003).11 So zum Beispiel die OSZE-Konferenz zum Thema Antisemitismus in Berlin im April 2004 , die Tagung „Antisemitismus und radikaler Islamismus“ des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin im Dezember 2005, die internationale Konferenz „Antisemitismus heute - Europäische Debatten im Vergleich“ der Heinrich-Böll-Stiftung im Januar 2004, die Konferenz „Islamischer Antisemitismus unter jungen Menschen mit Migrationshintergrund“ im Juni 2006 an der Alice-Salomon-Fachhochschule u.v.m.

10

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„wirklich Neue“ an diesem Antisemitismus? Hier wird der Versuch

unternommen, mit Hilfe der oben genannten Analyseräume die vorliegenden

Argumente der Debatte zu strukturieren.

11

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2.1 Beschreibung der Analyseräume

Für die Analyse des islamisierten Antisemitismus ist hilfreich und zielführend,

die folgenden Aspekte zunächst voneinander zu unterscheiden:

1) Traditionelle Quellen und Stereotype

Dieser erste Analyseraum behandelt die Frage, inwiefern sich traditionelle

Stereotype und Vorurteile gegenüber Jüdinnen und Juden in der Kultur der

islamischen Mehrheitsgesellschaft ausmachen lassen. Dabei muss zwischen

einer normativen und einer empirischen Ebene unterschieden werden.

Welcher Status wird Jüdinnen und Juden de jure im Koran und der Sunna12

zugeschrieben? Wie aber war das Leben de facto für Jüdinnen und Juden

unter islamischer Herrschaft? Welche Bildsprache findet sich in den

entsprechenden religiösen Quellen? Die Beantwortung dieser Fragen ist

wiederum eng verwoben mit der eingangs dargelegten Begriffsdiskussion,

welche einen nicht geringen Teil der gesamten Debatte ausmacht: Handelt es

sich um einen tief im Islam verwurzelten islamischen Antisemitismus oder um

einen später entstandenen, schließlich islamisierten Antisemitismus?

2) Einflüsse und Entwicklung

Dieser Aspekt behandelt die Frage nach dem Ausmaß und der Qualität der

verschiedenen Einflüsse, welche zur Verfestigung antisemitischer Strukturen

in der islamisch-arabischen Welt geführt haben. Einerseits muss untersucht

werden, welchen Akteur_innen dabei eine Schlüsselrolle zukam, andererseits

sollte auch die theoretische Verquickung verschiedener ideologischer

Einflüsse berücksichtigt werden. Dieser Aspekt hängt eng mit dem folgenden

dritten Analyseraum zusammen.

3) Historische und politische Rahmenbedingungen

Während der zweite Aspekt eher die theoretischen Entwicklungen sowie

historische Schlüsselfiguren untersucht, sollen in diesem Analyseraum die

Rahmenbedingungen fokussiert werden, welche eine Verfestigung des

Antisemitismus entweder hemmen oder fördern konnten. Zentral sind neben

12 Die Sunna ist eine Sammlung aus Überlieferungen über Worte, Taten und Lebensweisen des Propheten Mohammed und ist neben dem Koran die zweitwichtigste Quelle des islamischen Rechts.

12

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der Betrachtung früherer historischer Entwicklungen eindeutig die

Entstehung und der Verlauf des Nahost-Konflikts. Dabei kann ein nächster

wichtiger Streitpunkt in der Debatte um den islamisierten Antisemitismus

aufgegriffen werden. Handelt es sich dabei eher um eine Ursache oder um

eine Folge des Konflikts? Welches ist die unabhängige, welches die abhängige

Variable? Inwiefern könnten beide Phänomene unabhängig voneinander

betrachtet werden?

4) Gesellschaftliche Funktion

Auf dieser Analyseebene soll versucht werden, auf einer theoretischen Ebene

die tiefer liegenden Ursachen für den Antisemitismus in der islamisch-

arabischen Welt zu ergründen. Da die Analyse der innergesellschaftlichen

Funktion von Antisemitismus im Allgemeinen ein besonders breit

bearbeitetes Feld der gesamten Antisemitismusforschung darstellt, sollen

hier nur einzelne, für diesen Kontext besonders wichtige Aspekte

herausgegriffen werden. Dazu zählen neben individualpsychologischen

Gewinnen vor allem der Bereich der Wir-Gruppen-Konstruktion und der

Identitätsbildung. Aber auch das Auftreten antisemitischer

Verschwörungstheorien wird in Zusammenhang mit der Geschichte und der

aktuellen Situation der islamisch-arabischen Gesellschaften näher erläutert.

5) Semantik

Die Semantik des Antisemitismus ist die ihm zu Grunde liegende, abstrakte

Bedeutungsebene. Sie bezeichnet das Gemeinsame aller antisemitischen

Äußerungen in Wort, Schrift und Bild und ermöglicht es, diese raum-, kontext-

und zeitunabhängig zu verstehen und als antisemitisch zu identifizieren. In

diesem Bereich hat sich insbesondere Klaus Holz mit seiner in der aktuellen

Antisemitismusforschung viel rezipierten Theorie des Nationalen

Antisemitismus hervorgetan. Durch eine umfassende und detaillierte

Semantikanalyse verschiedener Texte, bei deren Auswahl er darauf geachtet

hat sowohl in Bezug auf die Zeit als auch auf den Kontext und die Region eine

weite Bandbreite zu erfassen, entwickelte er generalisierte Regeln, mit denen

die Sinn- und Denkstrukturen der antisemitischen Weltanschauung zu

erfassen sind. Inwiefern treffen diese Regeln auf den islamisierten

Antisemitismus zu? Ähneln sich die Sinnstrukturen des modernen

13

Page 17: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

europäischen Antisemitismus und des „neuen“ Antisemitismus in der

islamisch-arabischen Welt oder folgen sie unterschiedlichen Logiken?

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6) Manifestation

Im letzten Analyseraum wird die sichtbare Oberfläche der antisemitischen

Struktur in den Blick genommen und soziale Praxen, denen der islamisierte

Antisemitismus zu Grunde liegt, näher betrachtet. Denn es sind die konkreten

Auswirkungen, weshalb Vorurteile und antisemitische Strukturen so

gefährlich sind. In welcher Art von Handlungen äußert sich der

Antisemitismus?

Sicherlich ließen sich noch weitere Ebenen und Perspektiven zur Analyse des

islamisierten Antisemitismus ausmachen, hier sollen die genannten sechs

ausreichen.13 Auch das weite Feld der Bekämpfung sowie Prävention des

Antisemitismus in den muslimischen Communities in Europa wird daher

ausgeklammert. Die soeben vorgestellten Analyseräume sind eng

miteinander verwoben und können durchaus nicht isoliert betrachtet werden.

Für die Erfassung der Debatte um einen „neuen“, islamisierten

Antisemitismus und eine differenzierte Bewertung ist es jedoch hilfreich,

diese sechs Aspekte zunächst auseinander zu halten.

2.2 Anwendung der Analyseräume

Jeder der Analyseräume könnte allein mehrseitige wissenschaftliche

Abhandlungen füllen. Auf Grund der Rahmenbedingungen dieser Arbeit

werden jeweils nur die wichtigsten Aspekte und am häufigsten in der Debatte

genannten Argumente berücksichtigt.

2.2.1Traditionelle Quellen und Stereotype

In der Debatte um einen islamisierten Antisemitismus lässt es sich kaum

eine_r der Autor_innen – egal, ob Islamwissenschaftler_in oder nicht –

entgehen, einen Blick in die ferne Vergangenheit zu werfen und etwas zur

Situation von Jüdinnen und Juden im sogenannten „klassischen Islam“ oder

im Osmanischen Reich anzumerken. Die Tiefe und Präzision dieser

13 Wichtig wäre zum Beispiel eine Analyse dessen, in welcher Form die vorhandenen antisemitischen Strukturen reproduziert werden. Dafür müssten die Medien genauer analysiert, aber auch zum Beispiel islamisch-arabische Gegenwartsliteratur und Schulbücher näher unter die Lupe genommen werden.

15

Page 19: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Reflexionen divergieren, fast immer wird dabei aber der Status der Jüdinnen

und Juden als Schutzbefohlene erwähnt. Diese und einige andere

Ausführungen sollen hier schlaglichtartig beleuchtet werden. Eine

umfassende Analyse ist Aufgabe der Geschichts- und Islamwissenschaften

und kann hier nicht erschöpfend geleistet werden.

Islamisches Recht—Jüdinnen und Juden als dhimmis

Traditionell unterscheidet das islamische Recht zwei Kategorien von Nicht-

Muslim_innen (kuffār): Die erste bilden die polytheistischen und heidnischen

Bevölkerungsgruppen, mit denen den Muslim_innen jegliche soziale

Interaktion versagt war. Unter islamischer Herrschaft wurden sie meist zum

Islam gezwungen, versklavt oder gar getötet. Zur zweiten Kategorie zählen

die sogenannten „Leute des Buches“ (ahl al-kitab), zu denen neben der

christlichen auch die jüdische Minderheit zählte. Ihr Status war durch einen

Schutzvertrag sicher gestellt, der sie zu dhimmis, Schutzbefohlenen, machte.

Das bedeutet, Jüdinnen und Juden wurden unter islamischer Herrschaft als

Minderheit mit eingeschränkten Rechten und Pflichten anerkannt. So war

durch den Vertrag einerseits die Unversehrtheit des Körpers, des Lebens und

des Eigentums geregelt, andererseits unterlagen sie bestimmten

Kleidungsvorschriften zum Zeichen ihrer Inferiorität und anderen

Restriktionen bezüglich der öffentlichen Ausübung ihrer Religion sowie ihrer

sozialen Handlungsspielräume (Krämer 2006: 249). Sie erhielten allerdings

nicht die gleichen Rechte, die den Muslim_innen zugestanden wurden, wie

zum Beispiel das Recht auf nationale Souveränität (Foxman 2006: 173).14

Jedoch variierten die Bestimmungen über die dhimmis mit den verschiedenen

Schulen des islamischen Rechts. In diesem Punkt unterschieden sich zum

Beispiel die sunnitischen von den schiitischen Auslegungen (Krämer 2006:

250). Krämer (2006: 246) bemerkt dazu, dass Jüdinnen und Juden im Islam

eine unter mehreren nicht-muslimischen Minderheiten waren und sich die

Bestimmungen im Umgang mit ihnen nicht explizit auf sie bezogen, sondern14 In Bezug auf den Nahost-Konflikt ist dieser Aspekt eventuell nicht unwichtig. Wistrich (2004: 267) führt dazu aus: „Der jüdische Staat ist theologisch und ontologisch nicht zu akzeptieren, weil kein ‚Schutzvolk‘ (dhimmis) staatliche Souveränität auf einem Gebiet besitzen kann, das als ‚heiliges muslimisches Territorium‘ gilt. Dies wird als Affront gegen das‚gottgegebene Recht‘ der Muslime verstanden, exklusive politische Herrschaft im dar al-Islam (Haus des Islam) auszuüben.“

16

Page 20: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

zum Beispiel auch auf die Bevölkerung christlichen Glaubens15 (auch Lewis

1987a: 11).

Das Bild der Jüdinnen und Juden im Koran und den Überlieferungen

Im Vergleich zu den rechtlichen Bestimmungen lässt sich das Bild der

Jüdinnen und Juden im Koran schwieriger rekonstruieren. Oft wird heute

behauptet, „die Juden“ seien laut Koran die Nachkommen von Affen und

Schweinen, da sie Mohammed nicht als Propheten anerkannt hätten und

Allah sie deshalb in diese verwandelt habe (Carmon 2006: 206). In der

islamwissenschaftlichen Literatur findet sich dagegen ein differenzierteres

Bild: Laut der Koransure 5:60 würde Allah „lediglich“ alle Sünder_innen der

(monotheistischen) Nicht-Muslim_innen verfluchen und sie in Affen und

Schweine verwandeln (Krämer 2006: 270). Wie weiter unten ausgeführt wird,

sind solche und ähnliche Suren mit der Entstehung des Nahost-Konflikts, der

Niederlage der arabischen Staaten und dem Aufkommen des Islamismus

gezielt antijüdisch uminterpretiert und immer wieder zur Hetze gegen

Jüdinnen und Juden instrumentalisiert worden. Das Bild von Jüdinnen und

Juden als „Affen und Schweine“, als „Prophetenmörder“, „Verleugner der

Prophezeiung“, als der „Abschaum der Menschheit“ ist im öffentlichen

Diskurs der islamisch-arabischen Welt weit verbreitet und findet sich in

Predigten, TV-Sendungen und Zeitschriften (Solnick 2002).

Auch wenn sich diese und andere Bilder im Koran sowohl auf das Judentum

als auch auf das Christentum beziehen, bemerkt der Historiker Bernard Lewis

(1987a: 60f.), dass im Hadith, den Überlieferungen über Mohammed, das Bild

der Jüdinnen und Juden wesentlich negativer gezeichnet wird. Dies führt er

darauf zurück, dass die Jüdinnen und Juden – im Gegensatz zu den

Christ_innen – Mohammed in Medina aktiven Widerstand geleistet hatten.

Trotzdem gebe es keine Beweise dafür, dass die jüdische Minderheit

feindseliger oder schlechter behandelt worden sei als die christliche.

Das Leben von Jüdinnen und Juden unter islamischer Herrschaft

Damit wäre der Übergang zur nächsten wichtigen Frage dieses Analyseraums

getan: Wie lebten Jüdinnen und Juden tatsächlich unter islamischer

15 Außerdem zählten auch die Sabäer_innen, die Samariter_innen und die Anhänger_innen des Zarathustra zu den Schutzbefohlenen (Krämer 2006: 249).

17

Page 21: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Herrschaft?16 Während die rechtlichen Regelungen nicht immer einheitlich

waren, änderten sich unabhängig davon auch der soziale Status und die

Behandlung von Jüdinnen und Juden ständig. Die Situation der dhimmis hing

von den jeweiligen ökonomischen und politischen Umständen ab, von den

verschiedenen Herrschenden und von deren Beziehung zu den größeren,

nicht-muslimischen Mächten wie den Kreuzfahrer_innen, den Mongol_innen

oder den europäischen Kolonialmächten (Krämer 2006: 250; Lewis 1987a:

126f.).

16 Die meisten Schilderungen verschiedener Autor_innen beziehen sich auf die Situation von Jüdinnen und Juden im Osmanischen Reich. Wie Lewis (1987a: 106f.) anmerkt, gibt es über die Zeit davor sowie über die jüdischen Gemeinden außerhalb des Osmanischen Reiches (aber innerhalb der islamisch-arabischen Welt) wenig Material.

18

Page 22: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Das Fazit vieler Autor_innen (z.B. Foxmann 2006: 173; Carmon 2006: 204;

Zimmermann 2004: 300) lautet daher, dass es zwar keine einheitliche

islamische Traditionsgeschichte in Bezug auf die jüdische Minderheit gebe

und daher eine tief im Islam verwurzelte Judenfeindschaft nicht als

ausgemacht gelten könne. Jüdinnen und Juden seien als dhimmis

weitestgehend toleriert worden. Die Analyse historischer Quellen weise aber

darauf hin, dass das alltägliche Leben der jüdischen Minderheit unter

islamischer Herrschaft keineswegs frei von Diskriminierung und Verfolgungen

gewesen ist, jedoch – und diese Einschätzung findet sich in fast allen

Abhandlungen zum Thema – nicht so repressiv wie unter christlicher

Herrschaft.

Wichtiger als dieser letztgenannte Vergleich ist aber folgende Beobachtung:

Bis zum 20. Jahrhundert gingen antijüdische Einstellungen und Taten

hauptsächlich von den christlichen Bevölkerungsteilen des Osmanischen

Reiches aus. Judenfeindliche Ausschreitungen sind demnach eher auf

Streitigkeiten zwischen den rivalisierenden dhimmi-Gemeinden

zurückzuführen als auf die muslimische Mehrheit (Lewis 1987a: 134). Der

insbesondere im 19. Jahrhundert im christlichen Europa weit verbreitete

sogenannte Ritualmord-Vorwurf wurde auch unter islamischer Herrschaft von

der christlichen Minderheit lanciert. Der wohl bekannteste Vorfall ist die

Damaskus-Affäre17 von 1840. Indem Lewis (1987a: 142) hier von einem

„ersten dramatischen Ausdruck“ der neuen dreiseitigen Beziehung zwischen

Westen, Islam und Judentum spricht, macht er den christlich-europäischen

Einfluss auf die muslimische Mehrheitsgesellschaft im Osmanischen Reich

deutlich. Quellen belegen, dass sich die Ritualmordbeschuldigungen im

Osmanischen Reich nach der Damaskus-Affäre häuften (ebd.). Auch der

Soziologe Werner Bergmann (2003: 17) bemerkt hierzu, dass diese

Einmischung europäischer Hegemonialmächte zu Gunsten der christlichen

Minderheiten die Beziehungen zwischen Muslim_innen, Christ_innen und

17 Dazu kam es, als ein europäischer Kapuzinermönch in Damaskus verschwunden und in Folge dessen ein jüdischer Barbier des Ritualmordes beschuldigt worden war. Daraufhin wurden weitere Jüdinnen und Juden in Damaskus festgenommen und gefoltert. Hauptanstifter war ein Konsul in Frankreich, der eine internationale Pressekampagne forcierte, sodass die Affäre sich auch auf die jüdischen Gemeinden in Europa auswirkte (Lewis 1987a: 142f.)

19

Page 23: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Jüdinnen und Juden zu dieser Zeit destabilisierte.

Der Politikwissenschaftler Bassam Tibi (2007: 57) macht dagegen deutlich,

dass die Verhältnisse in diesem „Beziehungsdreieck“ durchaus einmal andere

waren. Denn Jüdinnen und Juden und Muslim_innen hätten zu Zeiten der

Kreuzzüge „als Opfer […] im selben Boot“ (ebd.) gesessen. Dafür, dass

Jüdinnen und Juden damals zu den Muslim_innen gehalten hätten, seien sie

schließlich von den christlichen Kreuzzügler_innen mitsamt ihrer Synagogen,

in die sie sich geflüchtet hatten, verbrannt worden. Diese Solidarität und

andere Anzeichen für eine jüdisch-islamische Tradition fänden seiner Meinung

nach heutzutage insbesondere im islamistischen Gedankengut keine

Beachtung mehr.

Jüdisch-islamische Symbiose?

Lewis (1987a: 76) und in dessen Sinne auch Tibi (2007: 57) sprechen von

einer früheren Symbiose zwischen Jüdinnen und Juden und

Araber_innen/Türk_innen.18 Dabei lautet das Gesamturteil von Lewis (1987a:

127), dass das Verhalten der muslimischen Mehrheit gegenüber der jüdischen

Minderheit im Osmanischen Reich eher verächtlich als feindselig gewesen ist.

Die dhimmis wurden einerseits als unterlegen und Staatsbürger_innen

„zweiter Klasse“ angesehen, andererseits wurden Jüdinnen und Juden unter

osmanischer Herrschaft als „wirtschaftlich produktiver, profitbringender

Bevölkerungsteil“ (ebd.: 128), welcher auf Grund der Einwanderung zudem

nützliche Kenntnisse aus Europa besaß, toleriert.19 Die Betonung der

harmonischen Beziehungen zwischen den jüdischen und muslimischen

Gemeinden wird in der Literatur auch unter dem Begriff „Geist von Cordoba“

zusammengefasst (z.B. Tibi 2007: 57ff.).

Dieses Bild einer jüdisch-islamischen Symbiose und der Jüdinnen und Juden

als verachtete, dennoch tolerierte Minderheit im Osmanischen Reich hat sich

zwar in der aktuellen Debatte um einen islamisierten Antisemitismus

durchgesetzt, wird jedoch nicht von allen Autor_innen vertreten. Der

18 Lewis legt außerdem dar, inwiefern eine wechselseitige Beeinflussung beider Religionen bestand: Jüdische Bräuche und Ideen beeinflussten die islamische Religion und umgekehrt (Lewis 1987a: 69ff.). 19 Auf Grund dessen waren immer wieder gezielte Umsiedlungen von Jüdinnen und Juden als positiver Wirtschaftsfaktor durchgeführt worden. Siehe dazu ausführlich Lewis: 1987a: 113ff.

20

Page 24: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Islamwissenschaftler Hans-Peter Raddatz (2002) zum Beispiel spricht

diesbezüglich von einem „Mythos vom toleranten Islam“ und nennt Bernard

Lewis gar einen „obsessiven Anwalt eines Wunschislam […], der die Realität

weit verfehlt“ (Raddatz 2007: 72).20 Raddatz selbst zeichnet in seinem

gleichnamigen Buch von 2007 ein ganz anderes Bild über „Allah und die

Juden“, nämlich eines von Pogromen und Massakern an Jüdinnen und Juden.

Auch den Rechtstitel der Dhimma nennt er die „Unterdrückung des Juden-

und Christentums“ (ebd.: 42). Die Basis dieser Einschätzungen ist dabei

fragwürdig. Raddatz (2007: 116) bezeichnet Antisemitismus als eine

„universale Judenfeindschaft“, welche sich kaum verändert und die

Geschichte überdauert habe (ebd.: 117), somit „unabhängig von Zeit und

Kultur“ (ebd.: 9) sei. Eingangs erläutert er, dass nicht zwischen

verschiedenen Formen des Antisemitismus differenzierten werden müsse und

es deshalb irrelevant sei, von wem dieser ausginge. Raddatz positioniert sich

also deutlich, indem er auch im historischen Islam diesen einen universalen

Antisemitismus ausmacht. Wie ein solch pauschales Konzept einer

„universalen Judenfeindschaft“ unabhängig von Raum und Zeit zu einer

differenzierten Analyse über judenfeindliche Einstellungen im Osmanischen

Reich führen soll, bleibt dabei fraglich. Werner Bergmann (2003: 17)

wiederum lässt sich in der Diskussion um eine im Islam verwurzelte

Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden zwischen Lewis und Raddatz

verorten. Er ist der Meinung, dass neben einem „judenfreundlichen Strang“

im Islam auch von einer „endogenen Judenfeindschaft“ gesprochen werden

kann, welche „latent als Potential vorhanden war“ (ebd.).

Die vorangegangenen Ausführungen belegen, dass bezüglich der Frage nach

einer historisch verwurzelten Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden im

Islam einiges im Unklaren ist. In diesem Rahmen sind aber zwei

Traditionslinien festzuhalten: Zum einen eine der islamischen Bildsprache

inhärente Sicht auf Jüdinnen und Juden als eine Minderheit, die den

Propheten Mohammed verleumdet, ihm Widerstand geleistet hat und daher20 Interessant ist hier eine Bemerkung von Bassam Tibi (2006: 187): „Die außerordentlich hohe Wertschätzung des Islam in Teilen der europäischen Orientalistik stammt beinahe ausschließlich von jüdischen Wissenschaftlern […]. Für jüdische Orientalisten war das Cordoba-Modell in der islamischen Geschichte eine geistige Waffe gegen den europäischen Antisemitismus.“

21

Page 25: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

als verachtenswert und minderwertig galt. Dies könnte als potentieller

Nährboden für sich manifestierende antijüdische Einstellungen gesehen

werden. Zum anderen die Beobachtung, dass der von der christlichen

Minderheit ausgehende Antijudaismus auch in die muslimische

Mehrheitsgesellschaft einsickerte und insbesondere im 19. Jahrhundert

verstärkten Anklang gewann. Die Auswirkungen dieser und weiterer Einflüsse

sollen im folgenden Analyseraum näher betrachtet werden.

22

Page 26: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

2.2.2Einflüsse und Entwicklung

Die Frage nach den Einflüssen und der Entwicklung des Antisemitismus in der

islamisch-arabischen Welt hängt sicherlich eng mit dem noch folgenden

Aspekt der historischen Rahmenbedingungen zusammen. Hier soll zunächst

versucht werden, gezielt die Rolle verschiedener Akteur_innen und Ideologien

zu betrachten, um sie anschließend mit der historischen Entwicklung in

Verbindung zu setzen. Dabei kann der für die Debatte wichtigen Frage

nachgegangen werden, inwiefern es sich beim Phänomen des islamisierten

Antisemitismus um einen sogenannten „Import aus Europa“ handelt.

Christlich-europäische Einflüsse um 1900

Wie bereits angedeutet, waren antijüdische Einstellungen aus Europa schon

früh in den muslimischen Gesellschaften vorhanden. Kiefer (2006: 290f.)

macht diesbezüglich drei Schritte aus, in denen sich dieses erste Eindringen

vollzog. Schon während der Expansionsphase des Osmanischen Reiches und

der Eroberung Konstantinopels im 15. Jahrhundert haben sich durch die

vielen christlich-orthodoxen Gemeinden, welche nun unter islamische

Herrschaft gelangten, antijüdische Einstellungen und Mythen verbreiten

können. Später im 19. Jahrhundert sind hauptsächlich Diplomaten, Kaufleute,

Journalisten, Priester und Missionare für den Import modern-antisemitischer

Elemente aus Europa verantwortlich gewesen. Auch wurden antisemitische

Schriften in dieser Zeit erstmals ins Arabische übersetzt, insbesondere im

Zusammenhang mit der Dreyfuss-Affäre. Als dritten Schritt macht Kiefer die

Revolution der Jungtürken von 1908 aus. Die Gegner_innen dieses Umsturzes

hatten darin einen Schlag gegen den Islam gesehen und die Ereignisse auf

jüdische Machenschaften zurückgeführt. Europäische Journalist_innen sind

maßgeblich daran beteiligt gewesen, diese Verschwörungsvorwürfe

aufzugreifen und zu verbreiten.

Die Protokolle der Weisen von Zion

Bezüglich der aus Europa stammenden antijüdischen und antisemitischen

Schriften und Bilder, welche den Antisemitismus in der islamisch-arabischen

Welt forcierten, müssen vor allem die Protokolle der Weisen von Zion, von

23

Page 27: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

denen die erste arabische Übersetzung wohl in den 1920er Jahren entstand

(Krämer 2006: 257), erwähnt werden. Laut Kiefer (2006: 285) gelten sie als

„Schlüsseltext des modernen Antisemitismus“ (ebd.). Über den_die

Urheber_in der Protokolle gibt es nur Spekulationen. Als Inspiration kann aber

u.a. der Roman Biarritz (1868) von Hermann Goedsche gelten, handelt er

doch von der Versammlung der „Weisen von Zion“ auf einem jüdischen

Friedhof in Prag. Einige Jahre später taucht diese Geschichte erneut leicht

verändert und in russischer Sprache auf. Diesmal jedoch als

Tatsachenbericht, eben als Protokolle jener vermeintlichen Versammlung, auf

der die Pläne für eine „jüdische Weltherrschaft“ geschmiedet worden seien

(Benz 2007: 31ff.). Obschon sowohl wissenschaftlich als auch juristisch

mehrmals nachgewiesen werden konnte, dass es sich dabei um eine

Fälschung handelt, gelten die Protokolle Antisemit_innen bis heute als Beweis

für eine „jüdische Weltverschwörung“ und dienen als Instrument

antisemitischer Propaganda. Dies gilt auch für die arabischen

Nationalist_innen der 1950er Jahre und in deren Tradition für sämtliche

islamistische Organisationen, Gruppierungen und Akteur_innen bis heute

(ebd.: 96f.). Mit den in Syrien und Ägypten produzierten Serien Diaspora

(2003) und Ein Reiter ohne Pferd (2002) beispielsweise werden die Protokolle

der Weisen von Zion und deren antisemitischer Inhalt gar im Telenovela-

Format in der gesamten islamisch-arabischen Welt leicht zugänglich

verbreitet.21

Sayyid Qutb und die Konstruktion eines islamistischen Antisemitismus

Zu den arabischen Schlüsseltexten des Islamismus und somit des

islamisierten Antisemitismus zählt vor allem die Schrift Unser Kampf mit den

Juden (erstmals vermutlich 1950 erschienen) von Sayyid Qutb, dem

„geistigen Vater des islamistischen Antisemitismus“ (Tibi 2006: 185). Qutb

gelingt es, antisemitische Stereotype sowohl aus europäischen als auch aus

islamischen Quellen zu verbinden und aus ihnen eine islamisierte Version des

21 Für Details siehe Milson (2011). Die Serien wurden auf dem Satellitensender Al-Manar ausgestrahlt, welcher von der islamistischen Hisbollah betrieben wird. Außerdem fand die Erstausstrahlung während des Ramadans statt. Milson (2011) bezeichnet die Ramadan-Nächte als „peak of prime time viewing in Arab and Muslim countries“.

24

Page 28: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Antisemitismus zu formen (Kiefer 2006: 299).22 In dieser wie in anderen

islamistischen Schriften finden sich sowohl eine Rückbindung an das

(teilweise neu interpretierte) Judenbild im Koran als auch Bezugnahmen auf

NS-Literatur. Ein Beispiel dafür ist die Behauptung, Adolf Hitlers Mein Kampf

bestätige das Bild über „die Juden“ im Koran (ebd.; Tibi 2006: 186). Gudrun

Krämer (2006: 256) merkt an, dass es noch zu erforschen sei, welchen

Einfluss andere europäische Schriften auf die Entwicklung des Antisemitismus

in der islamisch-arabischen Welt hatten. So gebe es zum Beispiel Quellen,

nach denen Shakespeares Der Kaufmann von Venedig zur Etablierung des

Bildes vom „gemeinen und kriminellen Juden“ beigetragen hätte. Auch gelte

es, so Krämer, in diesem Kontext nicht-arabische Literatur und Quellen der

islamisch-arabischen Region, zum Beispiel türkische oder persische, näher zu

erforschen.

Auffällig ist, dass der Durchbruch solch antisemitischer und schließlich auch

arabischer Schriften erst nach dem Zweiten Weltkrieg stattfand. Die Frage,

inwiefern der Einfluss des nationalsozialistischen Deutschland auf die

islamisch-arabische Welt zu bewerten ist, stellt einen weiteren großen

Bereich der Debatte um einen „neuen“, islamisierten Antisemitismus dar. Um

ein ungefähres Bild des konkreten Einflusses durch das Handeln

verschiedener Akteur_innen zu vermitteln, sollen hier einige anschauliche

Beispiele dienen.

Nazi-Propaganda am Beispiel Ägypten

Der direkt forcierte Einfluss des nationalsozialistischen Deutschland auf die

Nahost-Region lässt sich mit den Aufzeichnungen Matthias Küntzels23 (2002:

26ff.) über die Entwicklung Ägyptens zwischen 1925 und 1945 gut

veranschaulichen. Bereits 1926 hatte der in Ägypten lebende Alfred Heß

(Bruder des späteren Stellvertreters von Adolf Hitler, Rudolf Heß) die

Landesgruppe Ägypten der NSDAP-Auslandsorganisation aufgebaut. Doch

noch im Frühjahr 1933 fanden in einigen Städten Großkundgebungen und22 Woher Sayyid Qutb genau seine Inspiration für solche Gedanken und Schriften hatte, sei unklar, so Herf (2011). 23 Auch wenn Matthias Küntzel ob seines polemischen Schreibstils oft unter Ideologieverdachtgestellt wird, erscheinen mir seine Ausführungen durchaus brauchbar, beruft er sich doch größtenteils auf wissenschaftliche Quellen (für diesen Aspekt insbesondere auf die bereits erwähnte Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer).

25

Page 29: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Demonstrationen gegen die Nazis statt, begleitet von einem Boykott

sämtlicher deutscher Produkte. Die anfänglichen Schwierigkeiten,

antisemitische Schriften in der ägyptischen Bevölkerung zu verbreiten,

kommentierte ein NSDAP-Sprecher in Kairo so: „Für das Verständnis der

Rassentheorie ist der Bildungsgrad der breiten Masse nicht fortschrittlich

genug […]. Das Verständnis für die Gefahren des Judentums ist hier noch

nicht geweckt.“ (vgl. Krämer 1982 zit. in Küntzel 2002: 27). Hierzu bemerkt

Lewis (1987a: 168) in Bezug auf antijüdische Karikaturen: Es bedurfte

„einiger pädagogischer Anstrengungen, bis man von arabischen

Zeitungslesern erwarten konnte, daß sie die Symbole verstanden“. Laut

Küntzel (2002: 27f.) kam es zum Umbruch, als die Nazis die ägyptische

Regierung gezielt unter Druck setzten, indem sie mit dem Boykott der

ägyptischen Baumwollproduktion, dem wichtigsten Exportartikel Ägyptens,

drohten. Unter diesem Druck verschärfte die ägyptische Regierung schließlich

wie gewünscht ihre Politik gegenüber der jüdischen Minderheit und kritisierte

auch den hauptsächlich von dieser angeführten, bereits erwähnten

antideutschen Boykott. Gleichzeitig intensivierte die NSDAP ihre

antisemitische Propaganda. Um die ägyptische Gesellschaft für die „Gefahren

des Judentums“ aufmerksam zu machen, sollte der bereits schwelende

Konflikt zwischen Araber_innen und Zionist_innen im britischen

Mandatsgebiet Palästina instrumentalisiert werden (ebd.: 29). Dabei wurde

insbesondere auf die direkte Zusammenarbeit mit arabischen Akteur_innen

gesetzt. Allen voran müssen hier Amin al-Husseini, der seit 1921 amtierende

Mufti von Jerusalem, und die 1928 in Ägypten gegründete

Muslimbruderschaft erwähnt werden.

Der Mufti von Jerusalem und die Muslimbruderschaft als Schlüsselfiguren

Für Klaus Holz und Michael Kiefer (2010: 110) ist der Mufti Amin al-Husseini

„der erste bedeutende arabische Antisemit“. Offiziell ist er 1921 von einem

Hochkommissar der britischen Mandatsmacht zum Präsident des islamischen

Oberrates ernannt worden, entwickelte sich aber schnell zum Anführer und

„Gründervater der palästinensischen Nationalbewegung“ (Wurst 2005: 193),

welche eine Befreiung vom britischen Mandat anstrebte. Schon 1920

provozierte al-Husseini antijüdische Ausschreitungen in Jerusalem, 1929

26

Page 30: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

schließlich Pogrome, die erstmals offen nicht gegen „die Zionisten“, sondern

gegen alle „Juden“ gerichtet waren. So wurden auch ganze Viertel der seit

Jahrhunderten bestehenden jüdischen, nicht-zionistischen Gemeinden von

Safed und Hebron niedergebrannt, womit ein Wendepunkt in den arabisch-

jüdischen Beziehungen in Palästina markiert war (Küntzel 2002: 36). Der

Jugendverband der vom Mufti gegründeten Partei nannte sich Nazi-Scouts;

durch ihn wurden Flugblätter mit Hakenkreuzen und antisemitischer,

nationalsozialistischer Propaganda verteilt (ebd.: 37). Laut Lewis (1987b:

166ff.) hätten die Nazis anfangs kein großes Interesse an einer politischen

Einmischung in Nahost gehabt, die ersten Annäherungsversuche seien von

arabischer Seite ausgegangen. Dennoch sei die Abwanderung deutscher

Jüdinnen und Juden im deutschen Interesse gewesen und unterstützt worden.

Dies hätte sich jedoch 1937 mit den Empfehlungen des Berichts der Peel-

Kommission geändert, nach welchem die Aufteilung des britischen

Mandatsgebietes in zwei getrennte Staaten erfolgen sollte, einen jüdischen

und einen arabischen. Von deutscher Seite hieß es: Die „Bildung eines

Judenstaates oder jüdisch geleiteten Staatsgebildes unter britischer

Mandatshoheit liegt nicht im deutschen Interesse, da ein Palästina-Staat das

Weltjudentum nicht absorbieren, sondern zusätzliche völkerrechtliche

Machtbasis für internationales Judentum schaffen würde […] Es besteht

daher ein deutsches Interesse an Stärkung des Arabertums als Gegengewicht

gegen etwaigen solchen Machtzuwachs des Judentums.“ (in ebd.: 170).

Der Peel-Kommission vorangegangen und auch deren Anlass waren

wiederholte Ausschreitungen seitens der Araber_innen gegen jüdische (und

britische) Einrichtungen. Amin al-Husseini stellte sich an die Spitze dieser

Bewegung und heizte die Revolten nach Erscheinen des Peel-Berichts erneut

an. Gensicke (1988: 233f.) berichtet, der Mufti habe selbst zugegeben, „daß

es seinerzeit nur durch die ihm von den Deutschen gewährten Geldmittel

möglich war, den Aufstand in Palästina durchzuführen“.24 Dieser konnte so

noch bis 1939 andauern und wird heute auch als „Großer Arabischer

24 Laut Küntzel (2004: 283) geht außerdem aus Dokumenten des Direktors des Deutschen Nachrichtenbüros in Kairo hervor, dass auch die Muslimbruderschaft deutsche Zuwendungen erhalten hatte. Damit sei zum Beispiel sowohl eine Druckwerkstatt als auch die Militärorganisation ermöglicht und subventioniert worden.

27

Page 31: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Aufstand“ bezeichnet. Im Zuge dieser Entwicklungen solidarisierte sich auch

die ägyptische Muslimbruderschaft mit der arabischen Bevölkerung im

britischen Mandatsgebiet Palästina und startete verschiedene antijüdische

Kampagnen (Küntzel 2002: 29). Ihr Gründer, Hassan al-Banna, habe den

Kampf für ein „judenfreies“ Palästina zum Zwecke der Durchsetzung des

Djihad, seiner Meinung nach eine der wichtigsten religiösen Pflichten,

instrumentalisiert, meint Küntzel (2002: 32). Nachdem der Mufti von

Jerusalem ab 1941 seine Arbeit hauptsächlich in Form von Radiopropaganda

in Berlin fortgesetzt hatte, wurde er 1947 zum Stellvertreter al-Bannas und

Anführer der „Muslimbrüder von Palästina“, Vorläufer der heutigen Hamas.

Radiosender Zeesen

Bevor es gezielt um die ideologischen Einflüsse geht, soll auf einen weiteren

Aspekt zur Kollaboration zwischen Nationalsozialist_innen und den arabischen

Antizionist_innen verwiesen werden: In den Jahren von 1939 bis 1945

sendete ein Kurzwellensender aus Zeesen, einem kleinen Ort südlich von

Berlin, täglich ein arabischsprachiges Programm bis in den Nahen und

Mittleren Osten (siehe Küntzel 2004). Darüber wurden antisemitische

Hetzbeiträge, Koranzitate und arabische Musik in die islamisch-arabische

Welt gesendet. Beaufsichtigt wurden die Ausstrahlungen ab 1941 von Amin

al-Husseini, der auf diesem Wege auch selbst immer wieder die Möglichkeit

nutzte, zum Djihad aufzurufen (Küntzel 2004: 272f.). Der Radiosender Zeesen

produzierte die meist gehörten arabischen Sendungen dieser Zeit (Hassan

2009: 456).25

Die faschistische Ideologie und die arabische Nationalbewegung

In der Wissenschaft herrscht Uneinigkeit über die Bewertung der arabischen

Sympathien mit Nazi-Deutschland. So ist Gudrun Krämer (2006: 259f.) der

Meinung, sie seien eher politisch-strategischer als ideologischer Natur

gewesen. Die Kollaboration mit den Nazis habe als ein Schulterschluss gegen

25 Über die Inhalte sowie die politische Bedeutung dieser Sendungen siehe: Jeffrey Herf (2009) und (2010). An die Geschichte der Sendeanstalt Zeesen erinnert heute das Sendermuseum Königs Wusterhausen.

28

Page 32: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

die feindlichen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich gedient.

Andere Autor_innen dagegen wie zum Beispiel der Historiker Jeffrey Herf

(2011) befinden, dass die Sympathien von arabischer Seite aus über das

Motiv „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ deutlich hinausgegangen

seien. Doch auch Krämer (2006: 260) spricht Teilen der arabischen

Bevölkerung eine Nähe zur faschistischen Ideologie und deren Werten wie

Disziplin, Gemeinschaft und Stärke nicht ab. Gensicke (1988: 207), Küntzel

(2004: 277) und auch Hassan (2009: 457) führen dies weiter aus und

verweisen auf die vom Mufti al-Husseini formulierten Berührungspunkte

zwischen vermeintlich muslimischen und deutschen Idealen:

1) Monotheismus – Einheit der Führung2) Die ordnende Macht – Gehorsam und Disziplin3) Der Kampf (und die Ehre im Kampf zu fallen)4) Die Gemeinschaft5) Familie und Nachwuchs6) Das Verhältnis zu den Jüdinnen und Juden: „In der Bekämpfung des Judentums

nähern sich der Islam und der NS einander sehr“, so der Mufti in einemVortrag (in Gensicke 1988: 207).

Auch Heinrich Himmler habe diese „weltanschauliche Verbundenheit“ (vgl.

ebd.: 171) positiv hervorgehoben.

In dieser Arbeit können nicht Geschichte und Folgen des panarabischen

Nationalismus im Detail ausgeführt werden. Bereits im Osmanischen Reich

existierten erste Ideen von einem großen arabischen Reich, durchsetzen

konnte sich die panarabische Ideologie jedoch erst mit der Niederlage der

arabischen Staaten im Jahr 1948 und den antikolonialen Bewegungen nach

dem Zweiten Weltkrieg (Heine 2006: 56f.). Dabei ging es um die Konstruktion

einer kollektiven und ausdrücklich homogenen Identität in Abgrenzung zum

„Westen“, zum Kolonialismus, zum Zionismus. Die panarabische Ideologie sah

den Nationalsozialismus „als Modell für nationale Einigung, Gegengewicht

gegen den westlichen Imperialismus und als Quelle revolutionärer Kraft“

(Wistrich 2004: 255). Tibi (2007: 52) nennt den Panarabismus auch einen

„völkisch-germanophile[n] arabische[n] Nationalismus“. Nordbruch (2007: 39)

verweist dabei auf die These einer antisemitischen Latenz im Nationalismus.

So sei die Konstruktion „des Juden“ als innerer und äußerer Feind eher auf

den panarabischen Nationalismus als auf den realen Nahost-Konflikt

29

Page 33: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

zurückzuführen. Zimmermann (2004: 301) konstatiert dazu etwas forsch:

„Die zionistische Einwanderung hat die Idee des Nationalismus aus Europa in

die Region gebracht und hat so zur Konfrontation zwischen Juden und

Arabern beigetragen.“ Es ist sicherlich nicht falsch, dass ein unmittelbarer

(auch zeitlicher) Zusammenhang zwischen der zionistischen Bewegung und

der Konstruktion eines palästinensischen Volkes besteht. Jedoch kann nicht –

und die oben genannten Punkte belegen dies – behauptet werden, der

Zionismus habe die nationalistische Ideologie in die arabische Welt getragen.

Vom Panarabismus zum Islamismus

Nach der erneuten Niederlage arabischer Staaten im Sechs-Tage-Krieg von

1967 geriet die Idee des Panarabismus zunehmend in die Krise und wurde

schließlich von der des Islamismus abgelöst (Müller 2007: 90), welche sich

spätestens mit der iranischen Revolution 1979 als politische Bewegung

etablieren konnte.26 Laut Tibi (2007: 50) bilden der einstige Panarabismus und

der heutige Islamismus die Quellen des „neuen“, islamisierten

Antisemitismus. „Der neue Antisemitismus beginnt gegen Ende des 19.

Jahrhunderts im Osmanischen Reich mit dem Hass gegen Minderheiten und

gedeiht etwas später im 20. Jahrhundert durch die panarabische Ideologie

und ihre Germanophilie. Daran schließt heute der djihadistische Islamismus

an, der mit den Muslimbrüdern begonnen hat“ (ebd.: 66). Tibi (2006: 182)

vertritt die These, dass der panarabische Judenhass vom „neuen“,

islamisierten Antisemitismus, welchen der Islamismus hervorgebracht habe,

zu unterscheiden sei. Der Panarabismus habe zwar die Vorarbeit für den

„neuen“ Antisemitismus des Islamismus geleistet, er sei aber säkular

gewesen, habe auf deutschen Quellen basiert und sei der Ideologie des

Nationalismus entsprungen. Jedoch: Gerade weil die antisemitischen und

antizionistischen Weltbilder des Islamismus auf tradierten Feindbildern des

Panarabismus basieren, sind sie heute weit über die islamistische Bewegung

hinaus in der islamisch-arabischen Welt verbreitet (Müller 2007: 101).27 Der

djihadistische Islamismus könne als „religiös gewendete und partiell auch als

26 Siehe zur Bedeutung der iranischen Revolution auch Henner Fürtig (2003).27 Trotzdem muss natürlich zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als politische Ideologie unterschieden werden (auch wenn diese Unterschiedung von Islamist_innen selbst nicht unternommen wird).

30

Page 34: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

eine in Form von Taten zugespitzte Form des arabischen Nationalismus

begriffen werden“, erläutert Müller (2007: 101) diese Entwicklung.

Im vorangegangenen Abschnitt wurde deutlich, dass der europäische

Antisemitismus einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung eines

islamisierten Antisemustismus hatte. „Von den Nazis erhielt der islamisch-

arabische Fundamentalismus nicht nur eine militärische und ideologische

Schulung und die dazugehörigen Waffen, er übernahm von ihnen auch die

antisemitischen Diskurse“, bemerkt von Braun (2004: 13) zusammenfassend

Die in diesem Zusammenhang oft verwendete Formel des „Imports aus

Europa“ ist mit Sicherheit nicht ganz falsch, doch bedarf es eingehenderer

Nachforschungen in diesem Gebiet. Denn die Analyse zeigt, dass

Schlüsselfiguren und Entwicklungen innerhalb der islamisch-arabischen Welt

ebenfalls eine wichtige Rolle zukam. Hervorzuheben ist auch der Befund von

Tibi und Müller, dass der panarabische vom islamistischen Antisemitismus

einerseits gesondert betrachtet werden müsse, andererseits er diesen aber

auch beeinflusst habe. Wie sind die Kontinuitäten und Brüche zu bewerten?

2.2.3Historische und politische Rahmenbedingungen

Nachdem die Schlüsselfiguren und ideologischen Einflüsse, welche zur

Etablierung eines islamisierten Antisemitismus beitrugen, dargestellt wurden,

sollen hier die Rahmenbedingungen und historischen Ereignisse, die die

Verfestigung antisemitischer Strukturen in der islamisch-arabischen Welt

begünstigten28, untersucht werden.

Zerfall des Osmanischen Reiches und Entkolonialisierung

Die Zeit vor der Entstehung des Nahost-Konflikts soll hier nur kurz angerissen

werden. Wie bereits erwähnt, konnten sich antijüdische Einstellungen bereits

im Osmanischen Reich entwickeln. Vor allem mit der Schwächung des

Osmanischen Reiches im 19. Jahrhundert wurde der jüdischen Minderheit

(zusammen mit anderen Minderheiten wie der griechischen und

armenischen) die Rolle des Sündenbocks zugeschrieben (Tibi 2007: 59).

„Damit beginnt ein Einstellungswandel, der historisch zu der neuen

28 Hier sei bemerkt, dass „begünstigen“ nicht mit „verursachen“ zu verwechseln ist.

31

Page 35: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Erscheinung des islamischen Antisemitismus führte“, so Tibi (ebd.) dazu.

Auch Nordbruch (2005: 223) bemerkt, dass der Zerfall des Osmanischen

Reiches und die damit verbundene Auflösung sozialer Strukturen und

Identitäten sowie der Wandel alter Normen und Werte Erklärungsversuche

innerhalb antisemitischer Vorstellungswelten begünstigten. Nach Holz und

Kiefer (2010: 110) lässt sich die Geschichte des islamisierten Antisemitismus

vornehmlich an zwei Entwicklungen festmachen: Erstens habe das Ende der

europäischen Vorherrschaft, also die Entkolonialisierung, eine „Wandlung

kollektiver Selbstverständnisse“ (ebd.) mit sich gebracht. Dabei ging es mit

der Idee des Panarabismus um Abgrenzungen zum Westen und zum

Imperialismus. Zweitens spiele die Entstehung des Nahost-Konflikts eine

wichtige Rolle. Beide Aspekte seien eng miteinander verbunden, da die

zionistische Bewegung ihrerseits von Teilen der arabischen Bevölkerung als

eine Kolonialisierung arabischer Gebiete seitens des „Westens“

wahrgenommen worden sei.

Der Einschätzung der Bedeutung des Nahost-Konflikts kommt in der Debatte

eine Schlüsselrolle zu. Die Positionen organisieren sich dabei hauptsächlich

zwischen den folgenden zwei Polen: Ist der Konflikt die Ursache des

islamisierten Antisemitismus wie wir ihn heute erleben? Oder ist umgekehrt

der Verlauf und die Zuspitzung des Konflikts die Folge antisemitischer

Strukturen?

Antisemitismus als „Auswuchs“ des Nahostkonflikts

Der Historiker und Islamwissenschaftler Alexander Flores (2006: 329) zum

Beispiel bezeichnet antisemitische Einstellungen unter palästinensischen

Araber_innen als „Auswuchs“ oder „Nebenerscheinung“ (original: outgrowth)

des Nahost-Konflikts. Die These, dass die Feindseligkeiten palästinensischer

Araber_innen ihre Ursache in der Natur des Konflikts hätten, leitet Flores

(2006: 307) aus dem Zusammenhang zwischen der Dynamik des Konflikts

und der Verbreitung des Antisemitismus ab. Als Grund für die Ethnisierung

des Konflikts sieht er das Verschwimmen der anfangs auch von arabischer

Seite vorgenommenen Unterscheidung zwischen den Zionist_innen einerseits

und den Jüdinnen und Juden andererseits (siehe auch Krämer 2006: 263f.).

Flores (2006: 318) legt nahe, dass hauptsächlich die Zionist_innen selber die

32

Page 36: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Verantwortung dafür trügen, da sie für sich beansprucht hätten, die

Interessen aller Jüdinnen und Juden zu repräsentieren und einen jüdischen

Staat zu gründen. Dies habe den Weg für die Ethnisierung geebnet und so zu

einer essentialistischen Judenfeindschaft der palästinensischen Araber_innen

geführt (ebd.: 320). Flores stellt also den islamisierten Antisemitismus als die

abhängige Variable des Nahost-Konflikts dar.

Die Rolle des Antisemitismus für den Nahostkonflikt

Viele wissenschaftliche Autor_innen sind dagegen anderer Meinung. Der

fundamentale Hass auf Jüdinnen und Juden, das Ausmaß antisemitischer

Propaganda in den islamisch-arabischen Medien und die dem Konflikt

inhärente Emotionalität, die ganze „Hysterie ist mit dem arabisch-

israelischen Konflikt nicht ausreichend zu erklären“ (Wistrich 2004: 252). Der

Historiker Dan Diner (2004: 317) erklärt das Antisemitische des Konflikts so:

Die Tatsache, dass Jüdinnen und Juden am Konflikt beteiligt seien, lade diesen

durch Bilder und Metaphern weiter auf. Diese „Bebilderungen“ würden nicht

direkt aus dem Konflikt an sich hervorgehen, sondern „ihm von außen, also

zeitlich und räumlich von weiterher, aufgebürdet werden“ (ebd.). Es handele

sich bei diesen „Bebilderungen“ um tradierte antijüdische Ressentiments

sowohl aus dem Frühislam, wie auch aus dem 19. Jahrhundert und frühen 20.

Jahrhundert, als westliche antisemitische Muster in die islamisch-arabische

Welt getragen und von dieser angenommen wurden. Für Tibi (2007: 55) folgt

daraus, dass der Antisemitismus eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts

sogar erschwert. Carmon (2006: 203) befindet, dass die antisemitischen

Stereotype, die vor allem in den islamisch-arabischen Medien zu finden sind,

vom eigentlichen Konfliktgeschehen zumindest inhaltlich abgekoppelt sind.

Lediglich das Ausmaß der antisemitischen Hasspropaganda hänge durchaus

mit der Entwicklung und bestimmten Ereignissen im Rahmen des Konflikts

zusammen. Gegen die These, dass der Antisemitismus als direkte Folge des

Nahost-Konflikts gesehen werden kann, spricht auch die Beobachtung, dass

der Antisemitismus in islamisch-geprägten Gesellschaften, die nicht direkt in

den Konflikt involviert sind (wie beispielsweise die Türkei) ebenfalls zu finden

ist. Dies gilt auch für muslimische Migrant_innen. Eine Studie mit

muslimischen Jugendlichen in Berlin kommt durch den Vergleich zwischen

33

Page 37: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

palästinensischen, arabischen und türkischen Jugendlichen zu dem Befund,

dass das Phänomen antisemitischer Einstellungen unabhängig vom Konflikt

betrachtet werden kann (Arnold 2007: 86). Festzuhalten bleibt aber, dass der

Nahost-Konflikt und Israel „eine herausragende Projektionsfläche“ (Wurst

2005: 207) bieten. Der Konflikt kann zwar nicht als Ursache des

Antisemitismus gelten, aber dessen tiefer liegende Ursachen verstärken.

Diese hängen hauptsächlich mit der gesellschaftlichen Funktion des

Antisemitismus zusammen und werden im folgenden Unterkapitel 2.2.4

dargelegt.

Weitere Schübe zur Entwicklung und Verbreitung des islamisierten

Antisemitismus

Im Rahmen des Nahost-Konflikts kam es immer wieder zu Ereignissen, welche

genutzt werden konnten, um die antisemitische Propaganda in der islamisch-

arabischen Welt weiter anzuheizen. Kiefer (2007a: 83) konstatiert, dass der

Konflikt zwar nicht als Ursache gelten kann, er dennoch als historische

Rahmenbedingung die Entwicklung des islamisierten Antisemitismus zu

einem Massenphänomen ermöglichte. Werner Bergmann (2003: 17) spricht

vom Antisemitismus als „ideologisches Instrument im Konflikt mit Israel“.

Neben der Gründung Israels 1948 war es der von arabischer Seite aus

begonnene, jedoch auch verlorene Sechs-Tage-Krieg von 1967, welcher eine

erneute Niederlage und Demütigung der islamisch-arabischen Welt darstellte

(Müller 2007: 90). Als Erklärung dafür dienten antisemitische

Verschwörungstheorien. Der bereits erwähnte Essay Unser Kampf mit den

Juden von Sayyid Qutb wurde daraufhin mit finanzieller Unterstützung aus

Saudi-Arabien millionenfach verbreitet (Küntzel 2004: 288). Die Niederlage

von 1967 brachte auch eine bedeutende ideologische Wendung mit sich:

Schuld an der Niederlage sei der säkulare Nationalismus gewesen (Küntzel

2002: 67). Die schwindende Bedeutung des panarabischen Nationalismus

ermöglichte den Aufstieg des Islamismus, von dem nach Jochen Müller (2007:

85) heute die extremste Form des Antisemitismus in der islamisch-arabischen

Welt ausginge. Weitere Anlässe zur Verfestigung des Islamismus und somit

des Antisemitismus stellen die islamisch-schiitische Revolution 1979 im Iran,

der Libanonkrieg 1982 sowie die Erste (1987-1993) und die Zweite (2000-

34

Page 38: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

2002) Intifada dar. Auch die Terroranschläge vom 11. September 2001 boten

nochmals Zündstoff für antisemitische Verschwörungstheorien (Gessler 2006:

229; Tibi 2007: 46, 63).

Die Möglichkeiten der neuen Medien

Des Weiteren ist eine basale Rahmenbedingung der Grund für die

insbesondere in den letzten Jahrzehnten massiv ansteigende Verbreitung von

antisemitischer Propaganda in den islamisch-geprägten Gesellschaften sowie

den muslimischen Communities in Europa: Die Weiterentwicklung der

Medien, vor allem die Möglichkeit des Satellitenfernsehens und des Internets

(Kiefer 2007a; Wetzel 2003). Antisemitische Produktionen wie die

Fernsehserien Diaspora und Reiter ohne Pferd wurden bereits erwähnt. Das

Repertoire ist jedoch größer und reicht von eindeutig antisemitischen

Cartoons (z. B. MEMRI 2010) über Filme wie Zahras blaue Augen, die im

Internet heruntergeladen und vertrieben werden können (Benz und Wetzel

2007: 11) bis hin zu aktuellen Kinoschlagern wie dem türkischen Film Tal der

Wölfe – Palästina, der auch in Europa gezeigt wurde. Die Auswirkungen

solcher Produktionen und insbesondere der täglichen, einseitigen

Berichterstattung sowohl auf die islamisch-arabische Welt als auch auf die

muslimische Bevölkerung in Europa sind dabei nicht zu unterschätzen. Die

antisemitische Propaganda und die einseitige Berichterstattungen über den

Nahost-Konflikt bieten dabei „Gelegenheit zur Tat“ (Gessler 2004: 56).

So wird auch in der bereits erwähnten Studie mit muslimischen Jugendlichen

nahe gelegt, dass zwischen dem Konsum islamisch-arabischer Medien

generell und dem Begehen antisemitisch motivierter Straftaten ein

Kausalzusammenhang hergestellt werden könne (Arnold 2007: 86). Dazu ein

Ausschnitt aus der Studie:

„Die Hälfte der im Club interviewten Jugendlichen stellt einen Kausalzusammenhang

zwischen ihrem Konsum dieser Sender und Hass auf Israel und Juden her. So antwortet Samir

auf die Frage, ob Juden in Berlin denn etwas mit dem Konflikt zu tun hätten:

‚Eigentlich nicht, nein, die haben damit überhaupt nix zu tun. Aber weil doch die ganze Wut,

was man in den Nachrichten hört, hier so 'n Jude sieht, dann kommt so automatisch die

ganze Wut.‘

Hussein sagt:

35

Page 39: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

‚Zum Beispiel im Fernsehen, was ich da sehe, wird mein Hass immer größer auf dieses Volk.‘

Und Hassuna, der ebenfalls betont, dass er Juden in Berlin nicht mag, antwortet auf meine

Nachfrage nach dem Grund hierfür:

‚Weil ich Fernsehen seh'.‘

Was guckst du denn?

‚Bei arabische Nachrichten, wie die die Palästina [sic] töten und so, palästinensische.‘

Was für Nachrichten, also was für Sender guckst du so?

‚Ich weiß nicht mehr, wie das heißt, LBC oder so, Al-Manar, ich weiß nicht‘“ (Arnold 2007:

68f.).

Die vorangegangenen Ausführungen haben dargelegt, welche historischen

und politischen Rahmenbedingungen die Verfestigung antisemitischer

Strukturen in der islamisch-arabischen Welt ermöglichten. Bezüglich des

Nahost-Konflikts muss festgehalten werden, dass die antisemitische

Propaganda inhaltlich vom Konflikt abgekoppelt ist. Lediglich deren Ausmaß

kann mit der Dynamik des Konflikts in Zusammenhang gebracht werden. Das

Verhältnis zwischen dem islamisierten Antisemitismus und dem Nahost-

Konflikt kann demnach weder in die eine noch in die andere Richtung als

monokausal gelten. Der Antisemitismus ist aber offenbar auch unabhängig

vom Konflikt fest verankert und kann durchaus als ein Hindernis für eine

friedliche Lösung des Konflikts gesehen werden. Der Konflikt dient außerdem

als Projektionsfläche für die tiefer liegenden Ursachen des islamisierten

Antisemitismus wie sie im folgenden Unterkapitel dargelegt werden.

36

Page 40: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

2.2.4 Gesellschaftliche Funktion

Antisemitismus könne weder als eine Meinung gelten noch speise er sich aus

konkreten Erfahrungen oder historischen Tatsachen, bemerkte Sartre (1994:

10ff.) bereits in den 1940ern. Es hilft daher nicht, das Verhalten von Jüdinnen

und Juden oder andere äußere Faktoren als Ursachen zu betrachten.29 Um

den Antisemitismus zu erfassen, müssen stattdessen die Antisemit_innen

selbst betrachtet werden (Salzborn 2010: 62; Wurst 2005: 175). Welche

Funktion erfüllt „die Idee vom Juden“ (Sartre 1994: 14) in der Psyche des

antisemitischen Subjekts? Welche Funktion hat das antisemitische Weltbild

für eine Gesellschaft? Die Beantwortung dieser Fragen soll den

Antisemitismus verstehbar machen – ohne dass er dabei aber verständlich

würde (Salzborn 2010: 29).

Das kollektive Selbstbild islamisch-geprägter Gesellschaften als

Opferdiskurs

Müller (2007: 88) geht zu diesem Zwecke näher auf die Geschichte und die

aktuelle Situation der islamisch-geprägten Gesellschaften ein. Er befindet,

dass zwischen den momentanen politischen und sozioökonomischen

Verhältnissen auf der einen Seite und dem Anspruch auf weltpolitische und

ökonomische Macht, der sich aus der Geschichte der islamisch-arabischen

Welt ableitet, auf der anderen Seite eine große Kluft besteht. Nach der

Expansion und der Blütezeit des Osmanischen Reiches habe die islamisch-

arabische Welt die Kolonialisierung sowie zahlreiche militärische Niederlagen

erfahren müssen. Das davon geprägte Selbstbild der islamisch-arabischen

Welt sei eines vom „kollektiven Zurückbleiben und Zukurzkommen“ (ebd.:

88), welches auch mit dem Begriff des „Opferdiskurses“ gefasst werden

könne: Die islamisch-arabische Welt als Opfer des „Westens“, des

Imperialismus, der Moderne. Vor diesem Hintergrund sind auch die beiden

größten politischen Bewegungen, der Panarabismus und der Islamismus,

entstanden (Müller 2007: 85). Grundmuster dieses „Opferdenkens“ ist dabei

die Zurückweisung der Verantwortung für die eigene Lage. Man ist

29 Ansätze, die dies versuchen, werden auch als korrespondenztheoretisch bezeichnet (vgl. Holz 2001: 62ff.).

37

Page 41: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

ausschließlich Opfer äußerer Kräfte, obwohl die Zeit der Kolonialisierung

vorüber ist (Beck 2006: 237). Dan Diner (2004: 328) betont, dass diese

ambivalente Gefühlslage zwischen Opferdenken und dem Wunsch nach

kollektiver Stärke der „Ausdruck einer tiefen, weit in der Vergangenheit

verursachten Modernisierungsblockade teils exogenen, vor allem aber

endogenen Ursprungs“ sei.

Das antisemitische Weltbild als Orientierungshilfe

Der Antisemitismus kann für das Subjekt (gemeint ist sowohl das einzelne

Individuum als auch die Gesellschaft), das sich als Opfer wahrnimmt und die

Gründe und Zusammenhänge seiner aktuellen Situation nicht versteht (oder

nicht verstehen will), viele Funktionen erfüllen. Die antisemitische

Weltanschauung ist dazu ausgelegt, sich in einer zunehmend komplexen, auf

etlichen Ebenen vernetzten Welt orientieren zu können. Durch das ihr

inhärente manichäische Weltbild kann alles gemäß der Prinzipien „gut“ und

„böse“ geordnet, alles binär kodiert werden. Der Soziologe und Historiker

Thomas Haury (2002: 109) macht diesbezüglich zwei weitere Komponenten

auf: Zum einen wird „das Böse“ zum absolut „existenziell bedrohlichen,

wesenhaft Bösen“ (ebd.) dämonisiert, sodass sich das Opfer bzw. „das Gute“

geradezu verpflichtet sieht, in einer Art Notwehr „das Böse“ zu bekämpfen.

Gleichzeitig kann so eine moralische Aufwertung der eigenen Taten

stattfinden. Zum anderen besteht dadurch auch immer die Aussicht auf

Erlösung, frei nach dem Motto „wenn nur alles Böse erst zerstört ist, dann

wird alles gut“. Dazu ein Zitat von Sartre (1994: 30): „Vor allem aber ist

dieser naive Dualismus für den Antisemiten selbst außerordentlich

beruhigend: es geht nur darum, das Böse zu entfernen, weil das Gute schon

gegeben ist […] der Antisemit hat entschieden, was das Böse ist, um nicht

entscheiden zu müssen, was das Gute ist. Je mehr ich mich darin verliere, das

Böse zu bekämpfen, desto weniger bin ich versucht, das Gute in Frage zu

stellen.“

Antisemitismus als politisches Instrument

Neben der orientierenden Funktion dient das antisemitische Weltbild aber

auch einigen Regierungen in der islamisch-arabischen Welt dazu, die

gesellschaftlichen und ökonomischen Schieflagen ihrer Länder vor der

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Page 42: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Bevölkerung zu rechtfertigen. Der Historiker Robert Wistrich (2004: 258), der

auch von einer „Identitätskrise“ der islamisch-arabischen Welt spricht,

formuliert etwas überspitzt: „Ohne die Schreckgespenster Amerika und Israel

würde es den arabischen Despoten schwerfallen, ihren Völkern zu erklären,

warum die moderne Welt an ihnen vorübergeht. Warum lebt man in Kairo so

unendlich viel schlechter als in Tel Aviv? Warum ist die Herzchirurgie in

London um so vieles besser als in Damaskus? Warum zieht es arabische

Auswanderer nach Los Angeles und Detroit, und nicht nach Bagdad oder

Beirut?“. Sachlicher ausgedrückt: Der Antisemitismus lenkt von den

tatsächlichen Problemen dieser Länder ab und projiziert den Groll der

Bevölkerung über die inneren krisenhaften Zustände und die gesellschaftliche

Entwicklung auf ein äußeres Feindbild (Foxman 2006: 175). Während in

früheren Zeiten die europäischen Kolonialmächte die Funktion des äußeren

Feindbildes erfüllten, werde diese Position nun hauptsächlich von den USA

und Israel besetzt (Müller 2007: 91). Aus diesem Grund diene aktuell auch die

islamisch-arabische Solidarität mit den Palästinenser_innen, welche

sozusagen stellvertretend den anti-kolonialen Kampf fortsetzten, dem

Versuch, sich erneut des immer noch empfundenen Opferstatus zu

entledigen, so Müller (2007: 91).

Die antisemitische Weltanschauung zur Konstruktion einer homogenen

Wir-Gruppe

Über den bisher genannten Funktionen des Antisemitismus für

„orientierungslose“ Gesellschaften schwebt der zentrale Aspekt der Wir-

Gruppen-Konstruktion. In der aktuellen Debatte wird der islamisierte

Antisemitismus immer wieder als „Kitt“ zwischen den verschiedenen

Gruppierungen der islamisch-arabischen Welt beschrieben. Das

antisemitische Weltbild, in dem ein jüdischer Staat kein Existenzrecht besitzt,

wird von sunnitischen wie schiitischen, türkischen wie arabischen

Gruppierungen, von konservativen Wahabit_innen Saudi-Arabiens, den

iranischen Ayatollahs, der Al-Qaida, der Hisbollah, der Hamas, der

Muslimbruderschaft, den islamistischen Djihadist_innen und säkularen

arabischen Nationalist_innen geteilt – trotz aller anderen Unterschiede in

deren Einstellungen (Wistrich 2004: 267). Die gemeinsame antisemitische

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Page 43: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Weltanschauung vermag die tatsächlich existierenden Heterogenitäten und

Ambivalenzen innerhalb der islamisch-arabischen Welt, die in der

vorherrschenden „Ideologie von kollektiver Identität“ (Müller in Arnold 2007:

37) nicht zugelassen werden, zu überwinden und das gewünschte Bild einer

homogenen Wir-Gruppe zu konstruieren. Nordbruch (2005: 219) führt dazu

aus, dass diese Wir-Gruppe im Falle des islamisierten Antisemitismus als

authentisch arabische oder islamische, kulturelle Gemeinschaft in

Abgrenzung zum „zerstörerischen Anderen“ imaginiert wird. Diese

Gegenüberstellung diene als „verbindendes Element der verschiedenen

Gemeinschaftsideologien des Islamismus sowie der verschiedenen

Strömungen des arabischen Nationalismus“ (ebd.).

Antisemitische Verschwörungstheorien

Im Rahmen der sowohl welterklärenden als auch identitätsstiftenden Funktion

des Antisemitismus muss auch das verschwörungstheoretische Element des

antisemitischen Weltbildes näher erläutert werden. Verschwörungstheorien30

können einerseits simple Erklärungen für gesellschaftliche Komplexität und

ambivalente Situationen bieten, andererseits kann der Glaube an

Verschwörungen und den damit einhergehen Bedrohungen für die eigene

Wir-Gruppe erneut die eigenen Reihen schließen. So können Theorien über

eine „jüdische Weltverschwörung“ helfen, politische und ökonomische

Modernisierungsprozesse sowie immer abstrakter werdende gesellschaftliche

Verhältnisse vermeintlich durchschaubar zu machen (Carmon 2006: 203;

Nordbruch 2005: 219). Was die gesellschaftserklärende Funktion angeht, so

erfüllt der Antisemitismus in der islamisch-arabischen Welt als eine Reaktion

auf die Moderne demnach eine ähnliche Funktion wie auch der europäische

Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert.

Für Abraham Foxman (2006: 173ff.) ist der islamisierte Antisemitismus

vornehmlich eine Verschwörungstheorie mit drei Hauptaspekten: Den ersten

30 Laut Dan Diner (2004: 325) handelt es sich bei Verschwörungen um eine „anthropologisch verursachte Täuschung“, welche mit dem Verhältnis von Individuum („Mikro“) und Gesellschaft („Makro“) in Verbindung steht. Der_die Einzelne schließe „von seiner alltäglichenWahrnehmung des Vertrauten auf das ganz Große“ (ebd.). Dabei handele es sich aber lediglich um eine „quantitative Erweiterung“ (ebd.) der Alltagserfahrung, welche zu fiktiv konstruierten, irrtümlichen Kausalitäten führe – dem „epistemische[n] Humus aller Verschwörungstheorie[n]“ (ebd.).

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Page 44: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

nennt er die „Methode der großen Lüge“ (ebd.). So zum Beispiel die

Behauptung, dass für die Terroranschläge des 11. Septembers 2001 eine

jüdische Verschwörung verantwortlich sei. Vor allem der bereits erwähnte

libanesische Sender Al-Manar sei erfolgreich an der Verbreitung dieser

Verschwörungstheorie beteiligt gewesen. Der zweite Aspekt betrifft die

Leugnung des Holocausts und sei damit eine „Variation der Methode der

großen Lüge“ (ebd.). Die Argumentation laute dabei oft, der Holocaust sei

eine Erfindung der Jüdinnen und Juden, um einen jüdischen Staat auf

arabischem Territorium zu rechtfertigen. Auch hier gebe es Variationen: Wenn

der Holocaust nicht vollständig verleugnet werde, werde trotzdem oft

behauptet, die Zahlen der Ermordeten seien gefälscht oder gar, die

zionistische Bewegung habe mit den Nationalsozialist_innen kollaboriert und

schließlich davon profitiert. Der dritte Hauptaspekt der

Verschwörungstheorien des islamisierten Antisemitismus betrifft nach

Foxman (2006: 174f.) die bereits erwähnte Wiederbelebung, Verbreitung und

Neuverarbeitung klassischer antisemitischer Verschwörungstheorien,

insbesondere der Protokolle der Weisen von Zion.

Der arabische Holocaust-Diskurs als Teil antisemitischer

Verschwörungstheorien

Den zweiten von Foxman genannten Aspekt erweitert und differenziert der

Politik- und Islamwissenschaftler Omar Kamil (2003). Er untersucht, in

welchen Diskursen der Holocaust von islamisch-arabischen Intellektuellen im

Zeitverlauf rezipiert wurde. Dabei wird deutlich, dass der Antisemitismus und

der Holocaust immer wieder für die Durchsetzung eigener politischer

Interessen und „als Kampfmittel im herrschenden Kriegszustand gegen

Israel“ (ebd.: 14) instrumentalisiert wurden. Laut Kamil (2003: 14f.) existieren

vier Erscheinungsformen:

1) Während die arabische Niederlage von 1948 und der „Verlust Palästinas“als Nakba (arabisch für „Katastrophe“) bezeichnet wird, wird dieKatastrophe des Feindes, der Holocaust, nicht wahrgenommen und als„Nichtereignis“ (ebd.) verschwiegen.

2) Der Holocaust wird der Nakba gegenübergestellt, um ihnherunterzuspielen. Der wahre Holocaust sei dabei das, was dieZionist_innen den Palästinenser_innen seit 1948 antäten.

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Page 45: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

3) Der Antisemitismus und der Holocaust werden als Erfindungen desZionismus dargestellt. Diese Leugnung stellt zugleich die moralischeLegitimation des Staates Israel in Frage.

4) Der Antisemitismus und der Holocaust werden als Makel der westlichenZivilisation gesehen, „dessen Preis schließlich die Palästinenser bezahlt“(ebd.) hätten.

Erst mit den „Neuen Intellektuellen“ (ebd.) in den 1990er Jahren wurden

Forderungen nach der Anerkennung des Holocaust artikuliert und der

Antisemitismus in der islamisch-arabischen Welt kritisiert, so Kamil. Damit

meint er zum Beispiel den in den USA lebenden Literaturwissenschaftler

Edward Said, der mit seinem 1997 erschienenen Zeitungsartikel Grundlagen

für die Koexistenz erstmals eine deutliche Kritik an der arabischen

Wahrnehmung des Holocausts formulierte. Said bezeichnet die „moderne

Geschichte der arabischen Völker als ein hässliches Bild, das viele

diskreditierte und überholte Vorstellungen enthalte“ (ebd.: 15). Er fordert die

Araber_innen auf, „den Holocaust als das an[zu]erkennen, was er war – ein

wahnsinniger Genozid am jüdischen Volk“ (Said in ebd.: 15). Die Tatsache,

dass er die Anerkennung des Holocausts als Grundlage dafür sieht, dass sich

die Araber_innen gegenüber den Israelis das Recht nehmen dürfen, „auch

einen Zusammenhang zwischen dem Holocaust und dem Unrecht

herzustellen, das den Palästinensern von den Zionisten zugefügt wurde“

(ebd.), erscheint dabei äußerst fragwürdig. Dennoch stellte dieser Aufsatz

nach Kamil (2003: 15) einen Wendepunkt im arabischen Holocaust-Diskurs

dar. Eben deshalb, weil Said nicht als „‚proisraelische[r]‘ Araber“ gelten

könne und trotzdem die genannte Kritik formuliert habe. Die Reaktionen aus

der islamisch-arabischen Welt seien größtenteils negativ und von

verschwörungstheoretischem Charakter gewesen. Zum Beispiel wurde

argumentiert, die zionistische Lobby in den USA hätte Druck auf Said

ausgeübt (ebd.: 20).

Diese Ausführungen machen deutlich, dass Verschwörungstheorien einen

festen Bestandteil des Antisemitismus ausmachen, welcher wiederum eine

„genuin moderne Weltanschauung mit antimoderner Stoßrichtung“ (Holz und

Kiefer 2010: 109) ist. Deshalb kann die antisemitische Verschwörungstheorie

42

Page 46: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

mit ihrer welterklärenden und identitätsstiftenden Funktion mit den Worten

Dan Diners (2004: 324) auch als „unabkömmlicher Bestandteil der

Pathologien der Moderne“ bezeichnet werden.

Bedeutung und Funktion des Antisemitismus für die muslimischen

Communities in Europa

Insbesondere die identitätsstiftende Funktion des Antisemitismus ist auch in

den muslimischen Communities in Europa von Bedeutung. So beobachtet

Foxman (2006: 171) eine Wechselwirkung „zwischen der Äußerung

antijüdischer Ansichten und Gedanken und dem Anwachsen eines

muslimischen politischen Bewusstseins – insbesondere in Europa“.

Insbesondere für die Selbstdefinition der in Europa lebenden muslimischen

Jugendlichen scheint „der Jude“ als Fremdbild eine wichtige Rolle zu spielen.

Sina Arnold (2007: 62) meint, dass für die von ihr im Jugendclub befragten

Jugendlichen „der Nahost-Konflikt eine zentrale Folie [sei], vor der derlei

identitäre Auseinandersetzungen verhandelt werden“ könnten. Ein Ausschnitt

aus ihrer Studie macht die identitätsstiftende Funktion deutlich:

„Bezeichnend ist, dass auf den ersten Vorschlag des Sozialarbeiters, einen

Rap über die Gruppe zu dichten, zunächst ein Junge ganz unvermittelt die

Frage stellte: ‚Dürfen wir auch über Juden rappen?‘“ (ebd.: 43). So ergibt sich

auch Arnolds (2007: 62) These, dass das Araber_in-Sein hauptsächlich

darüber definiert werde, was es nicht sei. Hier findet sich in Zügen auch das

von Sartre (1994: 30) formulierte antisemitische Motiv wieder, dass der_die

Antisemit_in lediglich entscheiden würde, was das Böse sei, um nicht

definieren zu müssen, was das Gute sei.

Die Erziehungswissenschaftlerin Astrid Messerschmidt (2010: 94) rät indes

davon ab, sich nur auf die Identitäten von Minderheiten zu fokussieren. Eher

sollten die sozialen Verhältnisse, in denen antisemitische Einstellungen und

Äußerungen Funktionen erfüllen, untersucht werden. So fragt sie nach den

Zusammenhängen zwischen Diskriminierungserfahrungen in der

Einwanderungsgesellschaft einerseits und der Verwendung antisemitischer

Stereotype zur Selbstdarstellung andererseits (ebd.: 91). Beispielsweise

dienten antisemitische Äußerungen und Praktiken ebenso als „Provokation

und damit zur Differenzmarkierung wie auch zum Erzeugen von

43

Page 47: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Zustimmung“ (ebd.). Der Raum, in dem diese sich äußerten, sei von

„strukturellen Ungleichheiten“ (ebd.: 95) und umkämpften Zugehörigkeiten

durchzogen. Hier kann Antisemitismus die Funktion erfüllen, eigene

Diskriminierungserfahrungen, die von der Mehrheitsgesellschaft ausgehen,

durch die Herabsetzung und Diffamierung anderer, in diesem Falle „der

Juden“, zu kompensieren (amira 2008: 7).

Der Bereich antisemitischer Einstellungen in europäischen

Einwanderungsgesellschaften stellt ein umfangreiches Forschungsfeld dar

und kann hier nur angerissen werden. Die Komplexität und Vielschichtigkeit

des Phänomens zeigt eine weitere Erkenntnis aus der Studie Sina Arnolds

(2007: 85): „Auf einer Alltagsebene können antisemitische Äußerungen in

Gegenwart von Herkunftsdeutschen für die Jugendlichen ein strategisches

Mittel gegen rassistische Übergriffe darstellen, indem sie zu diesen eine

Verbindung über die Bezugnahme auf einen gemeinsamen ‚Feind‘ aufbauen.“

Anders ausgedrückt, könne Antisemitismus also auch eine paradoxe

Möglichkeit zur Integration in die deutsche Mehrheitsgesellschaft bieten

(ebd.).

In diesem Analyseraum konnte gezeigt werden, dass der gegenwärtige

islamisierte Antisemitismus sowohl eine vermeintlich welt- und

gesellschaftserklärende wie auch eine gemeinschafts- und identitätsstiftende

Funktion31 hat. „Er ist der Kitt für Gesellschaften, die selbst durch eine

Vielzahl innerer Widersprüche zum Teil zum Zerreißen gespannt sind, und er

dient als Ventil für Unmutsäußerungen, die sich an die falsche Adresse

richten.“ (Müller in Arnold 2007: 38). Die antisemitische Weltanschauung gibt

Orientierung in unüberschaubaren gesellschaftlichen Verhältnissen. Sie

verschafft dem Subjekt, das sich ungerecht behandelt und fremdbestimmt

fühlt, einen psychischen Gewinn.

31 Hier sei noch bemerkt, dass Thomas Haury (2002: 30) es vorzieht, von ideologischen „Leistungen“ zu sprechen. Der Begriff der „Funktion“ sei „insbesondere im (vulgär) marxistischen Ideologieverständnis mit der Vorstellung eines bewussten instrumentellen Einsatzes von Antisemitismus durch ‚die Herrschenden‘ verknüpft“. Der Begriff der „Leistung“ dagegen betone den Gewinn, den das antisemitische Weltbild dem Individuum verschaffe.

44

Page 48: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

2.2.5Semantik

In diesem Unterkapitel soll die dem islamisierten Antisemitismus zu Grunde

liegende abstrakte Bedeutungsebene erläutert werden. Wie bereits erwähnt,

hat sich zum Aspekt der Sinnstruktur des modernen Antisemitismus

insbesondere Klaus Holz mit seiner Theorie des Nationalen Antisemitismus

hervorgetan und einen „der wichtigsten Fortschritte der

Antisemitismusforschung in den letzten Jahren“ (Weyand 2010: 69) geleistet.

Seine in den generalisierten Regeln beschriebene Logik des modernen

Antisemitismus wird von anderen Autor_innen auch in Bezug auf den

islamisierten Antisemitismus häufig aufgegriffen. Klaus Holz hat schließlich

auch selbst die Theorie des Nationalen Antisemitismus in Teilen auf den

islamisierten Antisemitismus angewandt und ist dadurch zur These eines

„Imports aus Europa“ gekommen (Holz 2005). Auch hier soll diese abstrakte

Bedeutungsebene in die Analyse des islamisierten Antisemitismus

einbezogen werden. Dies geschieht hauptsächlich auf der Grundlage von

Holz (2005) und einem Artikel von Holz und Kiefer (2010), weitere Aspekte

und Beispiele dienen zur Ergänzung. Dabei soll gezeigt werden, inwiefern die

Logik des vermeintlich „neuen“ Antisemitismus in der islamisch-arabischen

Welt dem „alten“ europäischen Antisemitismus ähnelt. Zudem ist das

Verständnis der Semantik des Antisemitismus eine notwendige, wenn auch

keine hinreichende Bedingung zum Begreifen des Antisemitismus überhaupt.

Theorie des Nationalen Antisemitismus

In seiner Habilitationsschrift Nationaler Antisemitismus. Wissensoziologie

einer Weltanschauung macht Klaus Holz (2011: 11) es sich zur Aufgabe, „die

Sinnstruktur der national-antisemitischen Weltanschauung zu

rekonstruieren“. Diese Arbeit ist die bisher einzige sozialwissenschaftliche

Antisemitismustheorie, für die eigens umfassende qualitativ-empirische

Analysen geleistet wurden, deren Erkenntnisse wiederum direkt in die

Formulierung der Theorie des Nationalen Antisemitismus eingeflossen sind

(Salzborn 2010: 181f.). Holz (2001: 12) geht der Frage nach, inwiefern

Nationalismus und Antisemitismus eine Weltanschauung begründen und

formuliert die These, dass der Nationalismus für den modernen

Antisemitismus konstitutiv sei. Daher nennt er den modernen Antisemitismus

45

Page 49: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

eben einen nationalen. Der Nationale Antisemitismus ist für ihn „die Form der

Judenfeindschaft, in der das ‚nationale‘ Selbstverständnis wesentlich durch

die Abgrenzung von denen, die als Juden vorgestellt werden, konturiert wird“

(ebd.: 16). Der Autor verwendet den Begriff der Weltanschauung, um zu

verdeutlichen, dass der nationale Antisemitismus nicht nur Teilbereiche,

sondern eine umfassende Deutung der Gesellschaft beinhaltet, welche die

beiden Elemente kollektives Selbst- und antisemitisches Fremdbild integriert.

Außerdem versteht er den Nationalen Antisemitismus als Semantik (ebd.:

27). Den Semantikbegriff verwendet er dabei in Anlehnung an Luhmann und

versteht darunter „soziale, kommunikativ konstruierte, nicht auf ein

individuelles Bewusstsein reduzierbare Sinngebilde“ (ebd.: 11), welche den

„kulturelle[n] Wissensvorrat einer Gesellschaft“ (ebd.: 15f.) ausmachen. Um

diese national-antisemitische Semantik zu entschlüsseln, analysiert er

verschiedene Texte, bei deren Auswahl er darauf geachtet hat sowohl in

Bezug auf die Zeit als auch auf den Kontext und die Region eine gewisse

Bandbreite zu erfassen.32 Bei der Semantikanalyse wurde nicht versucht, den

subjektiv gemeinten Sinn der Texte zu erschließen, sondern Muster und

Regeln zu rekonstruieren, nach denen bestimmte Themen aufgegriffen und

miteinander verknüpft werden, also deren Sinnstrukturen zu erfassen. Eine

wiederkehrende Auswahl an Sinnstrukturen bildet schließlich eine Regel.

Letztlich konnte Holz (2001: 157ff.) neun generalisierte Regeln entwickeln.

Die für diese Arbeit wichtigsten sollen hier kurz erläutert werden.

Abstraktion und Personifikation: Durch das Prinzip der Abstraktion werden

einerseits beiden Personengruppen – sowohl der „Wir“-Gruppe als auch „den

Juden“ – spezifische Abstrakta zugeschrieben (z.B. Ariertum, Semitentum

usw.). Anderseits werden auch „typisch jüdische“ Abstrakta formuliert, wie

zum Beispiel Liberalismus, Materialismus, Kosmopolitismus etc. Durch die

Regel der Personifikation wiederum werden die den beiden Personengruppen

32 Als Beispiel für den postliberalen Antisemitismus wählt er verschiedene Texte (1859-1886)von Heinrich von Treitschke; für den nationalsozialistischen Antisemitismus Reden von AdolfHitler; für den christlich-sozialen Antisemitismus Schriften (1879-1915) von Adolf Stoecker;für den Antisemitismus nach Auschwitz einen Kommentar in der größten österreichischenTageszeitung zur Waldheim-Affäre (1986). Außerdem analysiert er als Beispiel einesrassistischen Antisemitismus das Buch La France Juive (1886) von Édouard Drumont, wieauch als Beispiel des marxistisch-leninistischen Antizionismus das Gerichtsprotokoll desSchauprozesses gegen Rudolf Slánský (1952).

46

Page 50: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

dichotom zugeordneten Merkmale zu „Eigenschaften intentional handelnder

Subjekte“ (ebd.: 160). Neben der Möglichkeit, Ausnahmen zu formulieren

(„der gute Jude“), können exemplarische Repräsentant_innen der jeweiligen

Gruppen benannt werden (z.B. Goethe, Rothschild).

Gemeinschaft versus Gesellschaft: Hier handelt es sich um zwei

„antagonistische Sozialmodelle“ (ebd.: 158). Während die „Gemeinschaft“ als

moralisch, harmonisch, produktiv und traditionell beschrieben wird,

verkörpert die „Gesellschaft“ alles Negative der Moderne (aus antimoderner

Perspektive), wodurch sie die „Gemeinschaft“ zu zerstören droht. Dabei wird

die „Gemeinschaft“ klar der „Wir“-Gruppe und die „Gesellschaft“ „den Juden“

zugeschrieben. Mit dieser Regel können außerdem weitere Bereiche der

national-antisemitischen Weltanschauung in analoger Weise codiert werden:

der ökonomische (Produktion versus Zirkulation), der politische

(Nationalismus versus Internationalismus), der kulturelle (kulturschaffend

versus -zersetzend) und der personale (seelische Verbundenheit versus pure

Subjektivität).33

Opfer versus Täter: Durch Zuschreibungen werden „die Juden“ als Täter_innen

konstruiert, die „Wir“-Gruppe wiederum wird als Opfer „jüdischer“ Taten

imaginiert. Dadurch wird der Antisemitismus zur legitimen und notwendigen

Gegenwehr. So kann auch im Register der Täter-Opfer-Umkehr argumentiert

werden: „Die frühere Verfolgung der ‚jüdischen Täter‘ durch die Wir-Gruppe

hat nicht verhindert, dass ‚wir‘ von ‚den Juden‘ heute (wieder) verfolgt,

beraubt und beherrscht werden“ (ebd.: 159).

Figur des Dritten: Viel rezipiert wird vor allem Holz´ Figur des Dritten, auch

der Fremde Dritte genannt. Die Wir- und Fremdgruppenkonstruktionen der

antisemitischen Weltanschauung fordern zwei Ebenen der Unterscheidung:

Auf einer ersten Stufe wird das „eigene“ Volk vom „anderen“ Volk

unterschieden. Dieses binäre, der Xenophobie immanente Schema ist für den

Antisemitismus zwar auch konstitutiv, spielt insgesamt aber nur eine

Nebenrolle. „Die Juden“ seien nämlich diejenigen, die sich dem zweiwertigen

Freund_in-Feind_in-Klassifikationsschema entzögen. Erst auf einer zweiten33 Erstgenanntes steht dabei für die „Gemeinschaft“, Zweitgenanntes für die „Gesellschaft“ und „das Jüdische“.

47

Page 51: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Stufe der Unterscheidung kann das antisemitische „Bild vom Juden“

konstruiert werden. Das „eigene“ und „alle anderen Völker“ werden im

Gegensatz zu „den Juden“ imaginiert; also „wir/alle anderen Völker“ versus

„die Juden“. Damit erscheinen „die Juden“ als die, die sich nicht in die

weltweite nationale Ordnung einfügen lassen, und somit als jene, die sie zu

zerstören drohen (ebd.: 240). Dieser konstruierte Fremde Dritte ist demnach

nicht Teil der zweiwertigen Logik der Wir- und Fremdgruppen, er ist

„ausgeschlossen“. Gleichzeitig sichert er jedoch das Prinzip der nationalen

Ordnung der Welt, indem er als „nationale Nicht-Identität“ (ebd.: 543) das

äußere und nötige Gegenprinzip verkörpert. „Der Jude“ ist der sowohl ein-

wie ausgeschlossene Dritte, das „Volk im Volke“ (ebd.: 269). Weil er sich dem

binären Schema nicht einfügt, für dieses aber als konstitutives Äußeres nötig

ist, wird er in der antisemitischen Weltanschauung als paradox, ambivalent

und parasitär konstruiert.

Auch Thomas Haury (2002) hat sich mit der grundlegenden Struktur des

Antisemitismus beschäftigt und kommt zu ähnlichen Schlüssen wie Holz. Für

ihn wird die antisemitische Weltanschauung durch drei Denkprinzipien (ebd.:

106ff.) konstituiert: die Personifizierung gesellschaftlicher Prozesse und

daraus folgende Verschwörungstheorien (1), die Konstruktion identitärer

Kollektive (2) sowie den bereits in Kapitel 2.2.4 erwähnten Manichäismus, der

die Welt apodiktisch in „Gut und Böse“ teilt und „den Juden“ zum existentiell

bedrohlichen, wesenhaft Bösen konstruiert (3). Aber auch die Täter-Opfer-

Umkehr bezeichnet Haury (2002: 115) als „durchgängigen Grundzug der

antisemitischen Argumentation“.

Im Folgenden soll nun untersucht werden, inwiefern das in der Debatte um

einen „neuen“ Antisemitismus in der islamisch-arabischen Welt beschriebene

Phänomen diesen Grundstrukturen und Denkprinzipien folgt. Dabei soll und

kann keine vollständige Empirie-Analyse durchgeführt werden. Jedoch werden

einzelne, teils auch aus den vorherigen Unterkapiteln bekannte Beispiele zur

Verdeutlichung dienen. Vor allem bereits erwähnte Materialien wie die von

Sayyid Qutb, die Charta der Hamas34 oder islamisch-arabische

34 Es wird die englische Übersetzung nach The Avalon Project: Hamas Covenant 1988 verwendet. Auch zu finden im Anhang III in Faber et al. 2006. Für den Essay Unser Kampf mit

48

Page 52: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Fernsehproduktionen werden auf ihre antisemitische Sinnstruktur hin näher

betrachtet35.

Zum Strukturelement der Abstraktion und Personifikation

In dem bereits erwähnten Werk Unser Kampf mit den Juden von Sayyid Qutb

findet sich folgende Stelle:

„Behind the doctrine of atheistic materialism was a ‚Jew‘; behind the doctrine of

animalistic sexuality was a Jew; and behind the destruction of the family and the shattering

of sacred relationships in the society,… was a Jew.“ (in Nettler 1987: 83).

In einer Fußnote des saudischen Herausgebers für die Ausgabe von 1970 wird

darauf hingewiesen, dass es sich hier um Karl Marx, Sigmund Freud und

Emile Durkheim handelt. „Den Juden“ werden Abstrakta wie Materialismus

und Amoralität zugeschrieben und zugleich werden diese indirekt

personifiziert und sozusagen als „Vertreter“ ausgemacht. Auch in der Charta

der Hamas werden viele historische Ereignisse und Entwicklungen immer

wieder auf geplante Taten von Zionist_innen und deren „Lakaien“ (in der

englischen Übersetzung „lackeys“) zurückgeführt.

Eigentlich anonyme sozialstrukturelle Prozesse werden durch das intentionale

Handeln des Feindes erklärt. Sobald gesellschaftliche Verhältnisse und

Entwicklungen aber erst einmal personifizierend erklärt werden, ist der Weg

zum verschwörungstheoretischen Denken nicht mehr weit. In Artikel 22 der

Charta heißt es:

„They were behind the French Revolution, the Communist Revolution and most of the

revolutions we heard and hear about […] they were behind World War I […] They were

behind World War II […] There is no war going on anywhere, without having their finger in it.“

In Artikel 32 wird direkt Bezug auf Die Protokolle der Weisen von Zion

genommen. Der „Welt-Zionismus“ verfolge einen in den Protokollen

enthaltenen Plan und eine „intelligente Strategie“ zur Einnahme weiterer

den Juden von Qutb wird die englische Übersetzung in Nettler (1987) genutzt. 35 Dabei ist klar, dass zum Beispiel der Text der Hamas-Charta bei Weitem nicht das Denken aller Muslim_innen wiedergibt. Es geht hier jedoch nicht um das „Aufspüren von Antisemitismus unter Muslim_innen“, sondern um die Sinnstruktur der islamisiert-antisemitischen Rhetorik, um die Frage, welcher Logik die antisemitische Argumentation in der islamisch-arabischen Welt folgt.

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Page 53: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

arabischer Staaten, eine Expansion bis hin zur Weltherrschaft. Dafür hätten

„die Juden“ Reichtum angehäuft, um schließlich die Kontrolle über die „world

media“ zu erlangen. So könnten sie auch die „imperialistic countries“

kontrollieren und zu ihren Lakaien machen (Art. 22).

Im Register von Weltmacht und Verschwörung argumentiert auch der kürzlich

verstorbene ehemalige Ministerpräsident der Türkei und Mitbegründer der

islamistischen und antisemitischen Millî-Görüş-Bewegung Necmettin Erbakan:

„The fact is that for 300 years, all these (200 nations) have been controlled from one

center only. This center is the racist, imperialist Zionism. Unless you make this correct

diagnosis for the illness, you cannot find the cure to it. You will ask, 'What is this belief, this

racist imperialism that destroys happiness in this world?'” (MEMRI 2007). Die Umschreibung

der „jüdischen Weltmacht” als „Krankheit” verweist wiederum auf den vermeintlich

parasitären Charakter des „Weltjudentums“.

Die Beispiele machen deutlich, dass in Folge der Regeln der Abstraktion und

der Personifikation die Verschwörungstheorien einen großen Bestandteil des

islamisiert-antisemitischen Weltbildes ausmachen. Auch in der islamisch-

arabischen Welt finden sich in Bezug auf „die Juden“, den Zionismus oder

Israel die Zuschreibung verschiedener Abstrakta. Sie verkörperten sozusagen

alle „Übel der Moderne“, wie das Finanzkapital, die Presse, den

Materialismus, die Amoralität und vieles mehr.

Zum Strukturelement Gemeinschaft versus Gesellschaft

Das im vorangegangen Abschnitt verwendete Zitat von Sayyid Qutb verweist

zudem auf das antimoderne Element im islamisierten Antisemitismus. Für die

beschriebene Zerstörung der „religiösen, ökonomischen, sexuellen und

familialen Grundlagen der islamischen Lebensgemeinschaft“ (Holz und Kiefer

2010: 120) werden „die Juden“ verantwortlich gemacht. Laut Holz und Kiefer

(2010) erfinde der Islamismus eine moralische, authentische, natürlich

gewachsene Lebensform der Vergangenheit, zu der es zurückzukehren gilt.

Durch dieses Erträumen einer Vergangenheit als Gegenbild zur Gegenwart

wird der Islamismus zur antimodernen Reaktion und sei dadurch an sich

wiederum eine „moderne Ideologie“ (ebd.: 120). Auffällig ist auch, dass in

50

Page 54: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Qutbs Essay ausschließlich von der „Muslim Community“ die Rede ist,

während „die Juden“ die moralischen Grundlagen des Glaubens zerstören

würden (Qutb in Nettler 1987: 77).

In der Charta der Hamas wird an verschiedenen Stellen diese Zerstörung der

moralisch guten, ursprünglichen und islamischen Lebensgemeinschaft durch

die Moderne, die imperialistischen Mächte und insbesondere den Zionismus

beklagt. Im Falle der Durchsetzung der islamischen Herrschaft würden

„people and things […] return [Herv. d. Verf.] each to their right places“ (Art.

9). Auffällig ist auch die Verwendung von Begriffen wie „harmony“ (Art. 26),

„soul“ (Art. 12), „spirit“(Art. 19), „moral“ (Art. 21) und „family“ (Art. 18),

wenn es um die Beschreibung der eigenen Wir-Gruppe, der islamischen

Gemeinschaft geht. Der Zionismus hingegen zerstöre diese Werte und

untergrabe die islamische Gemeinschaft (Art. 28).

Zum Strukturelement Opfer versus Täter bzw. die Täter-Opfer-Umkehr

In der Charta der Hamas findet sich auch das Bild von der islamischen Welt

als Opfer jüdischer Taten und jüdischer Macht. Die Zionist_innen werden als

„fighters“ und „invaders“ (Art. 7) bezeichnet und immer wieder mit den Nazis

verglichen (Art. 20). Auch aktuell lassen sich solche Vergleiche finden,

beispielsweise werden auf dem Internetportal www.muslimarkt.de Bilder von

deutschen Konzentrationslagern zusammen mit Aufnahmen des aktuellen

Nahost-Konflikts gezeigt, wodurch eine direkte Kontinuität impliziert wird (vgl.

Gessler 2004: 65f.). Ein Berliner palästinensischer Herkunft bringt das im

Interview mit dem taz-Redakteur Philipp Gessler so auf den Punkt: „Meine

Meinung ist bloß: Das Volk der vermeintlichen Opfer ist heute das Volk der

Täter.“ (in ebd.: 60). Die Ansicht, dass die Probleme und Schwächen der

„muslimischen Gemeinschaft“ direkt auf „jüdische Taten“ zurückzuführen

seien, zieht sich auch durch den gesamten Essay Unser Kampf mit den Juden

(vgl. Qutb in Nettler 1987: 72ff.).

Zum Strukturelement des Manichäismus

Auch die drei von Thomas Haury formulierten ideologischen Komponenten

des manichäischen Weltbildes können in der Charta der Hamas ausgemacht

werden. Die klar binäre Kodierung (1) von „gut“ und „böse“ zieht sich durch

51

Page 55: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

den gesamten Text. Der Zionismus, „die Juden“ und Israel erhalten dabei

Attribute wie „evil“ (Art. 28), „vicious“ (Art. 20) und „warmongering“ (Art. 32).

In Artikel 34 ist auch die Rede von „ihrem“ falschen, unnützen Glauben und

dem gerechten islamischen Glauben. Da der Zionismus als existenzielle

Bedrohung und die Jüdinnen und Juden als Angreifer_innen wahrgenommen

werden, besteht die Pflicht zur Notwehr (2): „Resisting and quelling the

enemy become the individual duty of every Moslem, male or female“ (Art.

12). Diese Pflicht zum Kampf gegen das Feindliche wird vor allem religiös

untermauert: So sei der Djihad der erhabenste Wille Allahs (Art. 8). Wenn alle

Muslim_innen ihre Kräfte mobilisierten, käme der „day of liberation“ (Art. 14)

näher. Für die palästinensische Frage gebe es keine andere Lösung als den

Djihad (Art. 13). Somit ist auch die dritte Komponente des manichäischen

Weltbildes, die Aussicht auf Erlösung durch Bekämpfung des Bösen, in der

Charta der Hamas verankert.

In Bezug auf das weiter oben genannte Zitat von Sartre – „Der Antisemit hat

entschieden, was das Böse ist, um nicht entscheiden zu müssen, was das

Gute ist“ – ist die Beobachtung interessant, dass selten ausformuliert wird,

wofür gekämpft werden soll, oft jedoch, wogegen. Zwar geht es grundsätzlich

um die „Liberation for Palestine“ (Art. 15) unter dem „banner of Allah“ (Art.

6). An den Stellen, in denen es jedoch konkret um „den Kampf“ geht, ist die

wiederkehrende Formulierung interessant, dass es darum gehe „against the

false“ (Art. 9), „against the Zionist invaders“ (Art. 7), „against Zionism“ (Art.

14) zu kämpfen.

Ähnliche Formulierungen finden sich auch in Unser Kampf mit den Juden.

Darin heißt es, dass „die Juden“ schon im Koran als „the worst enemies of the

Muslims“ bezeichnet worden seien (Qutb in Nettler 1987: 81). Das Motiv

„jüdischer Verschwörungen“ findet sich in fast jedem Absatz. Auch wenn Qutb

sich dabei nicht direkt auf die Protokolle der Weisen von Zion bezieht,

übernimmt dies an den jeweiligen Stellen in Form von Fußnoten der bereits

erwähnte saudische Herausgeber.

Zum Motiv der Figur des Dritten

52

Page 56: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

In Klaus Holz´ (2001) Theorie und den Beschreibungen zur Figur des Dritten

geht es um „die Juden“ als „nationale nicht-Identität“, die sich nicht in die

nationale Ordnung der Welt einfügen, als „Volk im Volke“. Der_die Leser_in

kann hier schnell zu dem Schluss gelangen, dass sich dieses „Problem“ mit

der Gründung des jüdischen Staates Israel gelöst haben könnte. Im aktuellen,

sogenannten „neuen Antisemitismus“ fällt aber auf, dass ausgerechnet der

Staat Israel die Position des Fremden Dritten, der die binäre Struktur der Wir-

Gruppen durchbricht, einnimmt. Auch in der islamisiert-antisemitischen

Propaganda gelten Israel und die Israelis nie als legitime ‚Wir-Gruppe‘ (Kiefer

2006: 305). Auf einschlägigen Internetportalen wie www.muslimarkt.de ist

lediglich die Rede vom „Pseudostaat ‚Israel‘“ (Muslim-Markt o.J.) oder dem

„zionistischen Gebilde“ (Özoguz 2010). In Artikel 32 der Hamas-Charta ist

vom Kampf gegen den „Weltzionismus“ die Rede. Israel erscheint dabei nicht

als legitimer jüdischer Nationalstaat, sondern als „Zwischenetappe auf dem

Weg zur jüdischen Weltherrschaft“ (Kiefer 2006: 305). Da dem Staat Israel

nahezu alle tradiert antijüdischen Abstrakta wie „künstlich“, „kaltblütig“ und

„zersetzend“, zugeschrieben werden, erscheint für Lars Rensmann (2006: 33)

Israel als „kollektive[r] Jude“ (ebd.).

Bezüglich des zur Konstruktion der eigenen Wir-Gruppe notwendigen

konstitutiven Äußeren, macht die als Islamismus-Expertin geltende Publizistin

Claudia Dantschke (2010: 143) eine interessante Bemerkung. Sie sieht die

islamisch-arabische Wir-Gruppen-Konstruktion nicht nur im Schema von „das

gute und religiöse Wir“ und „das böse und säkulare Andere“, sondern betont,

dass der religiös definierten islamischen Wir-Gruppe zunächst die religiösen

Gemeinschaften des Juden- und Christentums gegenüber stünden. Diese

gelte es zwar herabzusetzen, aber gleichzeitig seien sie eben auch notwendig

für die eigene Wir-Gruppen-Definition. Da jedoch das orthodoxe Juden- und

Christentum ebenfalls von der säkularen Moderne bedroht seien, gefährde

„der gottlose Jude“ als „geheime Macht hinter der Moderne“ nicht nur die

eigene Wir-Gruppe, sondern auch die zur Konstruktion dieser notwendigen

religiösen Fremdgruppen. Dieses Motiv kommt auch in der iranischen

Produktion Zahras blaue Augen vor, in dem Christ_innen von „den Zionisten“

bedroht werden (Holz und Kiefer 2010: 123).

53

Page 57: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Das parasitäre Element in der Figur des Dritten findet sich ebenfalls in

Zahras blaue Augen wieder: Der unschuldigen, palästinensischen, kleinen

Zahra werden von einem Israeli die Augen entnommen, um sie dem blinden,

jüdischen Sohn einzupflanzen. „Der Jude“ allein ist nicht lebensfähig und im

übertragenen Sinne Israel ein parasitäres Gebilde, das eine „gesunde

Gemeinschaft“ ausbeuten muss, sich ihrer bemächtigen muss, um zu

überleben. Auch im ersten Teil des eingangs erwähnten Kinofilms Tal der

Wölfe taucht das Bild vom jüdischen „Organräuber“ auf: Ein jüdischer Arzt

entnimmt irakischen Opfern Organe, um sie an die USA und Israel zu

verschicken (ebd.: 131f.).

Verquickung von Religion und Nationalismus

In Bezug auf die Anwendung der Sinnstruktur der national-antisemitischen

Weltanschauung auf den islamisierten Antisemitismus ist ein weiterer

wichtiger Aspekt zu bemerken: Die Kategorie, in der das Selbstbild der Wir-

Gruppe konstruiert wird – nationalistisch, rassistisch oder religiös – spielt für

das Ausbilden einer antisemitischen Weltanschauung nur eine

untergeordnete Rolle. Holz und Kiefer (2010: 124) führen dazu aus, dass nur

geringe Modifikationen in der antisemitischen Weltanschauung erforderlich

seien, um das nationale Selbstbild auf ein religiöses umzustellen. Die

Zerrbilder „vom Juden“ seien relativ unabhängig vom Selbstbild der Wir-

Gruppe. Außerdem käme es im Falle des islamisierten Antisemitismus in der

Regel ohnehin zu einer Verquickung von Nation und Religion. Das findet sich

wiederum auch in Artikel 2 der Charta der Hamas, in dem es heißt:

„Nationalism of the Islamic Resistance Movement is part of its religion.“

Es konnte in Teilen gezeigt werden, dass der islamisierte Antisemitismus auf

einer strukturellen Ebene weitreichende Überschneidungen mit dem

modernen europäischen Antisemitismus hat.36 Holz (2005: 12f.) spricht

deshalb von „Variationen“, nicht von „Transformationen“ der bekannten

antisemitischen Muster. Als Forschungslücke bemängelt Jan Weyand (2010:

70ff.), dass die Beziehung zwischen der modern-antisemitischen Semantik

und der modernen Gesellschaftsstruktur bisher nicht ausreichend untersucht

36 Die genannten Strukturmerkmale und Motive finden sich auch in der Rhetorik der schiitischen, libanesischen Hisbollah. Siehe dazu Esther Webman (2003).

54

Page 58: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

wurde. Er spricht sich dabei gegen die Annahmen aus, dass zwischen beidem

– Semantik und Struktur – trennscharf unterschieden werden könne und dass

beide in einem Verhältnis von Ursache und Wirkung stünden. Er vertritt

dagegen die These, dass diese Unterscheidung inhaltlich als dialektisch

begriffen werden muss. So würden sich beide Seiten nicht als Unterschiede

aufeinander beziehen, sondern „in sich selbst durch die jeweils andere Seite

vermittelt“ (ebd.: 73) sein. Auch für den Antisemitismus gelte ein

„wechselseitige[s] Aufeinander-Verwiesen-Sein“ (ebd.: 78). Für Weyand folgt

daraus die Annahme, dass der moderne Antisemitismus zumindest als

Semantik solange erhalten bleibt wie sich die gesellschaftlichen Strukturen

nicht grundlegend verändern (ebd.: 86).

2.2.6Manifestation

„Antisemitismus als Semantik zu begreifen bedeutet jedoch nicht, ihn ausschließlich

als Semantik zu begreifen: Antisemitismus ist auch – und zeitweise: vor allem – eine

handgreifliche, sozial institutionalisierte Verfolgungspraxis“ (Weyand 2010: 70).

Gerade diese „politische, juristische, alltägliche oder gewalttätige

Verfolgungspraxis“ (Holz 2001: 540) ist es, welche Vorurteile im Allgemeinen

und antisemitische Einstellungen im Besonderen so gefährlich macht. Die

Darstellung der konkreten Auswirkungen in Form von antisemitisch

motivierten Straf- und Gewalttaten ist auch in den meisten Ausführungen

zum Antisemitismus in der islamisch-arabischen Welt zu finden. Sie reichen

von Beschreibungen plakativer Einzelfallbeispiele über die Entstehung

bestimmter Institutionen bis hin zu mehr oder weniger aussagekräftigen

Statistiken. Auffällig ist, dass es sich in den Artikeln dabei fast ausschließlich

um Fälle und Zahlen aus dem deutschen bzw. europäischen Kontext handelt.

Äußerung antisemitischer Einstellungen in den muslimischen Communities

in Deutschland

Was die Einzelfallbeispiele antisemitisch motivierter Straf- oder Gewalttaten

betrifft, dienen die Beschreibungen in der Literatur meist nur als plakative

„Aufhänger“. Meldungen über beschädigte Synagogen und verbal oder

körperlich attackierte Jüdinnen und Juden gibt es in der Presse immer wieder

und sollen hier nicht näher thematisiert werden. Interessant für diese Arbeit

55

Page 59: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

aber ist die Beobachtung bestimmter Entwicklungen. So hat sich zum Beispiel

unter muslimischen Jugendlichen in Deutschland der Ausdruck „Du Jude!“ als

gleichbedeutend für den diffamierenden Ausdruck „Du Opfer!“ durchgesetzt

(Gessler 2004: 32ff.; vgl. amira 2008). Bei Sportveranstaltungen und diversen

Demonstrationen sind Plakataufschriften und antisemitische Sprechchöre wie

„Juden sind Schweine!“ oder „Tod allen Juden!“ keine Seltenheit mehr. Vor

allem muss der im Jahre 1979 von Ayatollah Khomeini eingeführte alljährliche

Al-Quds-Tag (nach dem arabischen Namen für Jerusalem, al-quds), welcher

seit einigen Jahren auch in Berlin in Form einer Demonstration begangen

wird, erwähnt werden. Mit diesem jeweils am letzten Samstag des

Fastenmonats Ramadan stattfindenden „internationalem Jerusalemtag“ soll

an den Anspruch der islamisch-arabischen Welt auf die Stadt Jerusalem

erinnert werden. Auf Grund der damit einhergehenden antisemitischen Israel-

und USA-Hetze wird dieser Tag mittlerweile von vielen

Gegendemonstrationen und –kundgebungen begleitet. Aber auch andere Pro-

Palästina- oder Pro-Libanon-Demonstrationen sind für ihren antisemitischen

Einschlag bekannt und können teilweise sogar Neonazis für sich begeistern

(Benz und Wetzel 2007: 9f).37

Stadtteile Berlins mit hohem Anteil muslimischer Anwohner_innen wie

Wedding, Kreuzberg oder Neukölln werden von Claudia Dantschke als

sogenannte „No-Go-Areas“ für Jüdinnen und Juden beschrieben (in Gessler

2004: 71). Diese Einschätzung wird durch Aussagen von Jüdinnen und Juden

immer wieder bestätigt. In Kreuzberg und Neukölln würden sich drei befragte

jüdische Jugendliche nicht trauen eine Davidsternkette zu tragen (in ebd.:

35). Auch autobiographische Berichte wie zum Beispiel der des in Berlin-

Wedding aufgewachsenen, jüdischen Iraners Arye Sharuz Shalicar (2011)

können hier als Quellen dienen. Shalicars Erzählung gibt einen tieferen

Einblick in diese Problematik und zeigt, dass sie nicht erst seit dem Ausbruch

der zweiten Intifada besteht wie oft behauptet wird. Bemerkenswert an den

Erfahrungen des Autors ist, dass er von seinen muslimischen

37 Für Details zur Vernetzung zwischen islamistischen und rechten Gruppierungen insbesondere durch das Internet siehe Juliane Wetzel (2003).

56

Page 60: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Klassenkamerad_innen als Iraner zunächst im Freundeskreis aufgenommen

worden war. Erst, als er durch das Tragen eines Davidsternanhängers seine

jüdische Identität offenbarte, wurde er ausgeschlossen, beleidigt und

schließlich immer wieder angegriffen.

Dass antisemitische Einstellungen muslimischer Jugendlicher auch in der

Schule ein großes Problem darstellen, kann folgender Ausschnitt aus der

Studie von Sina Arnold (2007: 48) ebenfalls veranschaulichen:

„In eine Kreuzberger Schule, die drei der Jungen im Club besuchen, kam ein

Holocaust-Überlebender, um über sein Leben und seine Erlebnisse während des

Nationalsozialismus zu berichten. Hussein schildert das Erlebnis so:

‚In der Schule war ein Jude bei uns. Danach sah er ganz anders, weil wir den aus der Schule

rausgeworfen haben‘ (LACHT).

Was ist denn da passiert?

‚Er ist reingekommen, wurde er angespuckt von den arabischen Schülern, geschlagen, und

dann ist er schnell abgehauen. [...] Er hat so gegessen erst mit den Lehrern, dann wo er

rausgekommen ist aus der Kantine wurde er angespuckt, geschlagen.‘

Der Mann habe selber Schuld, dass er angegriffen wurde, denn:

‚Was soll er an unserer Schule? Er provoziert damit doch extra, dass da viele, hier,

Palästinenser sind, er kommt wie ein Jude rein, wie ein Hurensohn, da geb ich denen Recht.

Scheiß-Jude ey.‘“

Dieses und die vorangegangenen Beispiele der Manifestation des

islamisierten Antisemitismus zeigen auch ohne das Heranziehen von

Statistiken, dass es sich um ein ernst zu nehmendes Problem handelt.

Mittlerweile gibt es vermehrte Anstrengungen, Konzepte für den Umgang und

die Bekämpfung dieses Phänomens, insbesondere im schulischen Bereich, zu

erarbeiten (vgl. Teil II in Stender et al. 2010; Jikeli 2007). Doch um eine

Lösung erarbeiten zu können, muss wiederum das Problem an sich genauer

definiert und untersucht werden.

3 Fazit

Durch die Strukturierung der Debatte um den Antisemitismus in der

islamisch-arabischen Welt konnten verschiedene Aspekte gezielt betrachtet

werden. Auf eine ausführliche Zusammenfassung der einzelnen

57

Page 61: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Analyseräume soll hier verzichtet werden, da dies bereits jeweils direkt im

Anschluss an die jeweiligen Analysen stattgefunden hat. Vielmehr wird noch

einmal die Frage nach einem „neuen Antisemitismus“ aufgegriffen, dann

möchte ich die Debatte vor allem im Hinblick auf ihre Defizite und Probleme

bewerten.

3.1 Ein neuer Antisemitismus?

Die Diskussion um einen islamisierten Antisemitismus findet, wie eingangs

erwähnt, im Rahmen einer umfassenderen Debatte um einen „neuen

Antisemitismus“ statt. Trotzdem wird die Frage, ob es sich beim islamisierten

tatsächlich auch um einen neuen Antisemitismus handelt, immer wieder

aufgegriffen. Dabei ist die Rede von „neuen Erscheinungsformen“,

„veränderten Tätergruppen und Bezugspunkten“, einem

„besorgniserregenden Ausmaß“, aber auch von einem „Import aus Europa“.

Nach der Analyse der Debatte wie sie in dieser Arbeit durchgeführt wurde,

kann und muss diese Frage auf mehreren Ebenen beantwortet werden: Auf

einer strukturellen (1), einer funktionalen (2) und auf einer die Manifestation

betreffenden (3) Ebene.

Im Unterkapitel 2.2.5 über die Semantik konnte gezeigt werden, dass der

islamisierte Antisemitismus weitestgehend alle der „bekannten“

antisemitischen Strukturmerkmale aufweist und auch in seiner Rhetorik

hauptsächlich mit der Logik des modernen Antisemitismus identisch ist. Er

folgt den Prinzipien der Abstraktion und Personifikation. Zudem ist das sich

daraus ergebende verschwörungstheoretische Element in Verbindung mit

dem manichäischen Weltbild im islamisierten Antisemitismus von großer

Bedeutung. Sowohl das Motiv der Gemeinschaft versus Gesellschaft als auch

das der Täter-Opfer(-Umkehr) sowie die Figur des Dritten konnte in der

islamisiert-antisemitischen Rhetorik nachgewiesen werden (1).

Aus dem Unterkapitel 2.2.4 über die gesellschaftliche Funktion ging hervor,

dass der islamisierte Antisemitismus als geschlossenes Weltbild nicht nur die

gesellschafts- und welterklärende, sondern auch eine identitätsstiftende

Funktion erfüllt wie es auch für den modernen Antisemitismus gilt. Das

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Page 62: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

antisemitische Weltbild bietet Orientierung in einer komplexer werdenden

Welt und dient zur Konstruktion der eigenen Wir-Gruppe (2). Auf einer

strukturellen und funktionalen Ebene ist es demnach irreführend, von einem

„neuen Antisemitismus“ zu sprechen.

Anders verhält es sich für die Beobachtung dessen, in welcher Gestalt und

welchem Ausmaß er sich äußert (3). Neu ist zum einen, mit welcher

Deutlichkeit und Offenheit er in den islamisch-arabischen Gesellschaften zu

Tage tritt, insbesondere in den Medien. Was dagegen die europäischen

Gesellschaften betrifft (und darum geht es bezüglich des Ausmaßes meist in

der für diese Arbeit studierten Literatur), sollte wohl eher von einem er-

neuten Aufkommen eines offen artikulierten Antisemitismus die Rede sein. In

Deutschland beispielsweise kann mit Blick auf antisemitisch-motivierte

Straftaten lediglich die veränderte Täter_innengruppe als eine neue

bezeichnet werden.38 Tatsächlich „neu“ wird der Antisemitismus dadurch

nicht.

Demgegenüber sind die Verbreitungsmöglichkeiten antisemitischer

Propaganda, insbesondere durch die Massenmedien und das Internet als

wirklich neu zu bezeichnen. Auch die Vernetzung von Gruppierungen

unterschiedlichster Spektren ist ein noch nicht allzu lang zu beobachtendes

Phänomen. Verschiedene politische Gruppierungen scheinen sich in ihrer

Weltanschauung anzugleichen. Dafür ist die vergangene (und in noch

größerem Rahmen die für dieses Jahr geplante) Gaza-Flotilla ein aktuelles

Beispiel. Im Zuge dieser sogenannten „Hilfsflotilla“ setzen sich islamistische

Fundamentalist_innen gemeinsam mit linken und globalisierungskritischen

Aktivist_innen verschiedener Länder gegen die „israelische Unterdrückung“

ein. Auf einer das Ausmaß und die Erscheinungsformen des islamisierten

Antisemitismus betreffenden Ebene kann demnach tatsächlich von neuen

Phänomenen gesprochen werden.

Bezüglich der in der Einleitung umrissenen gesamten Debatte um einen

„neuen Antisemitismus“ ist festzuhalten, dass sich die drei Aspekte

38 Ob überhaupt strikt zwischen „deutschen“, „arabischen“, „muslimischen“ und „nicht-muslimischen“ Täter_innen unterschieden werden kann und muss, ist eine andere Frage, die hier nicht weiter erörtert werden soll. Siehe dazu z.B. Messerschmidt (2010).

59

Page 63: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

(Antizionismus und Israelkritik, Antisemitismus in der Linken, islamisierter

Antisemitismus) lediglich auf neue Kontexte und Erscheinungsformen, auf

„Konstellationen des Antisemitismus“ (Stender et al. 2010), nicht aber auf ein

gänzlich neues Phänomen beziehen. Diesbezüglich macht Eva-Maria Ziege

(2004: 8) eine treffende Bemerkung: Wenn von einem „neuen

Antisemitismus“ gesprochen würde, werde der Begriff „Antisemitismus“

seiner Schärfe beraubt, da er per definitionem eine Anpassungsfähigkeit an

veränderte (politische) Bedingungen impliziert. Auch erwähnenswert ist die

Einschätzung des Historikers Michael Wolffsohn. Er meint, aus nicht-jüdischer

Sicht mag es durchaus so aussehen, als gebe es immer wieder einen „neuen

Antisemitismus“. Als Jude aber sehe er nur eine „epochenübergreifende

Kontinuität: Judenfeindschaft“ (in Gessler 2004: 38).

Diese Arbeit hat deutlich gemacht, dass es bezüglich des islamisierten

Antisemitismus weder angemessen scheint, von einem Bruch und einem

„neuen Antisemitismus“ noch von einer Kontinuität zu sprechen. Auf einer

semantischen und funktionalen Ebene überwiegen die Kontinuitäten,

bezüglich der Erscheinungsformen aber können Brüche ausgemacht werden.

Vor allem aber ist und bleibt der Antisemitismus ein komplexes Phänomen.

Abschließend kann die These vertreten werden, dass sich der Antisemitismus

an den islamisch-arabisch Kontext angepasst hat und „als neue Spielart

Wurzeln geschlagen hat“ (Tibi 2006: 182). Hier schließt sich auch der Kreis

zur Diskussion um die Begrifflichkeiten (Unterkapitel 1.2): Indem

Antisemitismus einerseits als Weltanschauung, die aus bestimmten Denk-

und Sinnstrukturen besteht, und andererseits als bewegliches Vorurteil

angesehen wird, kann diese „bewegliche Weltanschauung“ auch islamisiert

werden. Die antisemitische Weltanschauung wurde gemäß der spezifischen

Bedürfnisse und Umstände der islamisch-arabischen Gesellschaften

modifiziert. Im Kern aber, also in seiner Logik, Funktion und Struktur, ist der

islamisierte Antisemitismus nichts Neues. Diese Erkenntnis rechtfertigt es

jedoch nicht, ihm keine Aufmerksamkeit zu schenken. Im Gegenteil bestehen

wie die Analyse der Debatte gezeigt hat viele Defizite in der Erforschung des

islamisierten Antisemitismus. Diese sollen im Folgenden kurz dargestellt

werden.

60

Page 64: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

3.2 Defizite der Debatte

Bezüglich des ersten Analyseraums und der Frage nach einer historisch

verwurzelten Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden im Islam ist

aufgefallen, dass die Beiträge zur aktuellen Debatte diesen Aspekt eher

oberflächlich abhandeln. Der Status der Jüdinnen und Juden als dhimmis wird

in den meisten Fällen erwähnt und entweder als „immerhin tolerierte

Minderheit“ oder als „schon immer diskriminierte Minderheit“ ausgelegt. Um

sich einen besseren Einblick zu verschaffen, ist es hilfreich, zusätzlich ältere

islam- oder geschichtswissenschaftliche Literatur zu Rate zu ziehen. Dies ist

hier mit dem Buch Juden in der islamischen Welt von Bernard Lewis

geschehen. Trotzdem bleiben viele Unklarheiten. Folgender Aspekt aber ist

interessant: Die Tatsache, dass eine in der islamisch-arabischen Welt immer

als schwach und unterlegen geltende jüdische Minderheit, der nach

islamischem Recht auch keine Souveränität zuerkannt wurde, sich nun in

Form eines Staates präsentiert, welcher von der islamisch-arabischen Welt

vor allem als (militärisch) überlege Macht wahrgenommen wird. Für diesen

und andere Gesichtspunkte der traditionellen Quellen und Stereotype wäre

eine verstärkte Teilnahme von Islamwissenschaftler_innen an der aktuellen

Debatte aufschlussreich.

Die Rolle des Nationalsozialismus für die Entwicklung antisemitischer

Strukturen in der islamisch-arabischen Welt findet hingegen in der Literatur

umfangreiche Beachtung. Jedoch muss die These eines „Imports aus Europa“

für oberflächlich gehalten werden. Insbesondere mit Blick auf den Mufti von

Jerusalem, Amin al-Husseini, und die ägyptische Muslimbruderschaft wäre der

Begriff der „Zusammenarbeit“ besser geeignet. Interessant wäre es,

europäische antisemitische Literatur und Stereotype als Inspirationsquelle für

antisemitische Schriften und die Ausformung antisemitischer Strukturen in

der islamisch-arabischen Welt näher zu untersuchen. Wie bereits erwähnt,

spricht sich auch die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer (2006: 256) für

die Erforschung nicht-arabischer Quellen diesbezüglich aus. Darüber hinaus

ist auffällig, dass bezüglich der Einflüsse und Entwicklungen des islamisierten

61

Page 65: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

Antisemitismus der Blick oft ausschließlich in die fernere Vergangenheit

geworfen wird. Welche Entwicklungen aber brachte die islamistische

Revolution 1979 im Iran? Welche Rolle spielen Gruppierungen wie die Hamas,

die Hisbollah oder die Muslimbruderschaft bis heute in der Entwicklung des

islamisierten Antisemitismus? Auch die Einschätzung von Bassam Tibi (2006:

182) bezüglich der Kontinuitäten und Brüche zwischen dem panarabischen

und dem islamistischen Antisemitismus gilt es zu vertiefen.

Bei der Bearbeitung des dritten Analyseraumes zu den historischen und

politischen Rahmenbedingungen hat sich herauskristallisiert, dass es sich in

der Debatte immer wieder um den Nahost-Konflikt als Ursache, Folge oder

„Zündstoff“ des islamisierten Antisemitismus dreht. Sicherlich ist dies ein

wichtiger Aspekt, jedoch wird anderen Rahmenbedingungen dadurch zu

wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Zu nennen sind die Einflüsse des

Entkolonialisierungsdiskurses und auch die Feindbildbestimmungen während

und nach dem Ost-West-Konflikt. Außerdem ist es notwendig, den in der

Debatte stark präsenten Nahost-Konflikt differenzierter zu betrachten. Erneut

ist es Bernard Lewis der diesbezüglich vier Phasen formuliert, welche von

Werner Bergmann (2003: 18f.) aufgegriffen und ergänzt wurden: die Anfänge

der zionistischen Besiedlungen ab 1882, welche noch im Osmanischen Reich

stattfanden (1), die britische Mandatszeit und die Balfour-Erklärung von

1917/18 (2), die Gründung des Staates Israel 1948 und der

Unabhängigkeitskrieg (3) und schließlich die Zeit seit der erneuten

arabischen Niederlage von 1967 (4). Bergmann erwähnt zudem noch die

Revolution von 1979 im Iran, die Gründung der Hamas und der Hisbollah in

den 1980ern und schließlich die Erste und Zweite Intifada als weitere

Eckpunkte.

Bezüglich des vierten Analyseraums, welcher die gesellschaftliche Funktion

behandelt, ist auffällig, dass in der Literatur zwar oft von „Israel als

Projektionsfläche“ oder einer „Projektion auf einen äußeren Feind“ die Rede

ist, selten diese psychoanalytische Perspektive aber explizit hinsichtlich des

islamisierten Antisemitismus weiter ausgeführt wird. Lediglich Wurst (2005)

greift die von Horkheimer und Adorno (1969: 172) erarbeitete These der

„pathischen Projektion“ flüchtig auf. Diese besagt, dass Eigenschaften, die

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Page 66: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

dem Stereotyp „des Bösen“ zugeschrieben werden, ihrerseits auf innere

Konflikte des antisemitischen Ichs verweisen. Es handelt sich dabei um

Triebregungen, welche als bedrohlich empfunden und deshalb nicht

zugelassen, sondern unterdrückt werden (Salzborn 2010: 106). Um sich ihrer

vermeintlich zu entledigen, werden sie projiziert, „dem Anderen“, hier „dem

Juden“, als schlechte Eigenschaften zugeschrieben. Wenn die vollständige

Verschleierung dieses Vorgangs gelingt und das Subjekt das glaubt, was nun

als Realität erscheint, ist der Projektionsvorgang erfolgreich abgeschlossen

(Pohl 2010: 42). Projektives Verhalten allein sei allerdings noch nicht

zwingend antisemitisch: „In gewissem Sinn ist alles Wahrnehmen Projizieren“

(Horkheimer und Adorno 1969: 168). Erst der „Ausfall der Reflexion darin“

(ebd.: 170) führe zur „falschen“ bzw. „pathischen Projektion“.

„Gleichgültig, wie die Juden an sich selber beschaffen sein mögen, ihr Bild, als das des

Überwundenen, trägt die Züge, denen die totalitär gewordene Herrschaft todfeind sein muß:

des Glücks ohne Macht, des Lohnes ohne Arbeit, der Heimat ohne Grenzstein, der Religion

ohne Mythos. Verpönt sind diese Züge von der Herrschaft, weil die Beherrschten sie

insgeheim ersehnen.“ (Horkheimer und Adorno 1969: 178).

Es wäre Forschungsarbeiten wert, zu analysieren, inwiefern die von

Horkheimer und Adorno in Bezug auf den modernen europäischen

Antisemitismus und totalitäre Herrschaften bezogene These für den

Antisemitismus der islamisch-arabischen Welt fruchtbar gemacht werden

könnte. Die von Bassam Tibi (2006: 180) formulierte These, dass der

Islamismus in die Tradition der Totalitarismen einzuordnen sei, könnte einen

Ansatz dafür bieten. Auch Wurst (2005: 207) spricht von einem „totalitäre[n]

Potential“ des Islamismus.

Der Feststellung, dass sich in den Analyseräumen vier und fünf, welche die

funktionale und die strukturelle Ebene des islamisierten Antisemitismus

behandeln, wenige spezifisch islamisch-arabische Merkmale finden ließen,

sollte in der aktuellen Debatte deutlicher hervorgehoben werden.

Hauptsächlich wird in Kategorien von Ausmaß und Erscheinung des

islamisierten Antisemitismus argumentiert. Dies ist für das Verständnis

sicherlich wichtig. Doch wenn dies zum Befund eines eigenständig neuen,

63

Page 67: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

speziell islamisch-arabischen Antisemitismus führt, ist dessen Kern weit

verfehlt.

Große Forschungsdefizite, die in der Literatur auch immer wieder offen

formuliert werden, finden sich bezüglich des letztgenannten Analyseraums.

Insbesondere im Hinblick auf die muslimischen Communities in Europa wird

das Fehlen repräsentativer Studien zur Qualität und Quantität zu den

antisemitischen Einstellungen bemängelt (z.B. Messerschmidt 2008: 25). So

konstatiert auch Michael Kiefer (2008: 21), dass „die Debattengrundlage zu

erheblichen Teilen auf Mutmaßungen und einzelnen Beobachtungen beruht“.

Vereinzelte Studien, Erlebnisberichte und Vorfälle zeigen jedoch immer

wieder, dass das Problem des islamisierten Antisemitismus in Europa nicht zu

unterschätzen ist. Es gilt, die zahlreichen, im Kleinen begonnenen Studien

weiter auszubauen. Michael Kiefer (2008: 21ff.) hat dafür bereits die seiner

Meinung nach zentralen zu erforschenden Fragen formuliert. Welche

antisemitischen Stereotype genau und in welchem Ausmaß finden diese sich

unter muslimischen Jugendlichen? Welche Rolle spielt die islamische Tradition

und welche kulturellen, ethnischen und ideologischen Hintergründe können

bei den Jugendlichen ausgemacht werden? Handelt es sich um ein primär

„männliches“ Problem, welche Rolle spielen Gruppenprozesse und können

Desintegrationserfahrungen als fördernd gelten? Wie ist der Zusammenhang

von Nahost-Konflikt und Antisemitismus bei diesen Jugendlichen? Wie werden

die Stereotype verbreitet, welche Rolle spielen welche Medien? Diese

Auflistung zeigt, dass wichtige Grundfragen noch zur Klärung ausstehen.

Dieser auf den Aspekt der muslimischen Communities in Deutschland

bezogene Befund kann durchaus – wenn auch begrenzt und mit Vorsicht – auf

die gesamte Debatte um einen Antisemitismus in der islamisch-arabischen

Welt ausgeweitet werden. Auch diesbezüglich scheinen Fragen zu

ideologischen Hintergründen, der Rolle des Nahostkonflikts und vor allem

zum Ausmaß nicht vollständig geklärt zu sein. Besonders auffällig ist in der

aktuellen Literatur, dass bezüglich realer antisemitischer Verfolgungspraxen

kaum Beispiele aus dem islamisch-arabischen Raum thematisiert werden. So

64

Page 68: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

wird beispielsweise die tragische Geschichte der Jüdinnen und Juden Libyens

in nicht einem der für diese Arbeit gelesenen Artikel erwähnt.39

Insgesamt fällt bei der Analyse der Debatte auf, dass das Studium der

einzelnen Artikel und Beiträge für diese Arbeit nicht befriedigend war.

Besonders für die Analyseräume eins bis drei waren das zu Rate ziehen

älterer islamwissenschaftlicher Literatur und weitere Recherchen notwendig.

39 Während um 1930 noch rund 25.000 Jüdinnen und Juden in Libyen lebten, starb im Jahre 2002 die letzte in Libyen lebende Jüdin. Das 20. Jahrhundert war für die sephardisch-jüdischeGemeinde in Libyen von Diskriminierung, Verfolgung und Massenflucht gezeichnet (vgl. Roumani Denn 2007).

65

Page 69: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

3.3 Ausblick

Die Diskussion um einen islamisierten Antisemitismus im Rahmen der

breiteren Debatte um einen „neuen Antisemitismus“ zeigt einmal mehr, dass

antisemitische Einstellungen nicht nur in Sphären rechter Ideologien und im

Kontext des Nationalsozialismus verharren. Aktuell hat sich ein offen zu Tage

getragener Antisemitismus in die islamisch-arabische Welt verschoben. Doch

vor allem in Deutschland ist der Antisemitismus kein Problem, das mit dem

Ende des Dritten Reiches als überwunden gelten kann. Der in der deutschen

Mehrheitsgesellschaft latent vohandene und der aktuell in Teilen der

muslimischen Communities offenkundige Antisemitismus sollten

grundsätzlich nicht getrennt voneinander behandelt werden. Zunächst ist es

zwar wichtig, den Antisemitismus in seiner islamisierten Form ernst zu

nehmen und gründlich zu analysieren. Auch, damit sinnvolle Strategien im

Umgang mit dem Problem, insbesondere im schulischen Bereich, erarbeitet

werden können. Dafür darf eine offene Diskussion und die Erhebung von

Studien nicht gescheut werden. Denn durch das Erforschen von

menschenverachtenden Ideologien bei Minderheiten und somit oft

gesellschaftlich diskriminierten Menschen kann auch ausgedrückt werden,

dass diese als politisch handelnde und mündige Subjekte ernst genommen

und nicht als von äußeren Umständen abhängige Opfer gesehen werden.

Schließlich aber ist und bleibt der Antisemitismus ein

gesamtgesellschaftliches Problem, welches nicht auf sogenannte

„Randgruppen“ ausgelagert werden darf.

Der Antisemitismus wie wir ihn derzeit erleben ist kein gänzlich neuer. Als

bewegliche Weltanschauung hat er in den letzten Jahrzehnten lediglich

einmal mehr seine äußere Erscheinungsform verändert: „Im neuen

Jahrtausend ist die antijüdische Rhetorik eher islamistisch, antiglobalistisch

und neomarxistisch als christlich, konservativ oder neofaschistisch.“ (Wistrich

2004: 260).

66

Page 70: Islamisierter Antisemitismus – ein neuer Antisemitismus? - Analyse und Bewertung einer Debatte

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