-
Interkulturelle Religionswissenschaft
Struktur – Gegenstand – Aufgabe
von Hamid Reza Yousefi
Einleitende Gedanken Mit der Frage
›Was ist Religionswissenschaft‹, beginnt
jedes Seminar und jede Vorlesung zur Einführung in die Religionswissenschaft. Dabei geht es auch um die
Frage nach Ursprung,
Struktur, Gegenstand und Aufgaben dieser
Disziplin. Angesichts der Tatsache,
daß auch unsere
Gesellschaft hinsichtlich ihrer öffentlichen
Institutionen zwar säkular erscheint,
ist die Präsenz der Religionen unübersehbar. Diese Tatsache wirft die Frage auf: ›Wozu
überhaupt Religionswissenschaft?‹ Die
Antworten sind erwar‐tungsgemäß sehr
unterschiedlich; sie reichen von
theologisch geprägten Erklärungsversuchen
bis zu sogenannten rein
rationalistischen und bloß analytischen
Denkweisen. Die Verwundbarkeit und
Krisenanfälligkeit einer kulturwissenschaftlichen
Disziplin wie der
Religionswissenschaft hängt nicht nur von der Auswahl ihrer Methode und Selbstwahrnehmung bzw.
Selbsteinschätzung ab, sondern auch
von ihren Antworten auf
die gesamtkulturelle Weltsituation, in der sie tätig ist. Im Allgemeinen
lassen sich zwei Traditionslinien
innerhalb der beste‐
henden Religionswissenschaft ausmachen,
die zwei grundsätzlich
ver‐schiedene Antworten auf die Frage geben, was
religionswissenschaftliche Tätigkeitsformen
voneinander unterscheidet. Es geht um
eine
phänome‐nologische und eine philologisch ausgerichtete Verfahrensweise. Während Religionsphänomenologen
die Kategorie des Heiligen nicht
preisgeben und
faktisch eine Religionswissenschaft des Verstehens betreiben, distan‐zieren
sich philologisch ausgerichtete Religionswissenschaftler von dieser methodischen Tätigkeitsform und halten an der Religionswissenschaft als einer ›reinen‹ Wissenschaft fest.
-
22
Die interkulturelle Religionswissenschaft
setzt als eine
interdisziplinäre Ausrichtung gerade hier an. Dabei vernachlässigt sie weder die Kategorie des Heiligen, die in allen Religionen je nach Form und Inhalt das konstitu‐tive Element bildet noch die philologisch
ausgerichtete Orientierung, die unerläßlich ist. Sie fügt beide Traditionslinien zusammen und umfaßt drei Tätigkeitsformen,
die sich in vielerlei Hinsicht
überlappen:
Engagierte, Praktische und Angewandte.1 Interkulturelle
Orientierung schafft verschiedene Zugänge,
auf die im
Zeitalter der Globalisierung, in der alles interdependenter wird, nicht ver‐zichtet werden kann. Diese Zugänge ermöglichen die Entfaltung von Fra‐gen auf variierenden methodischen Wegen und bieten Lösungsansätze an. Streng wissenschaftlich oder
an praktischen Problemen orientiert, distan‐ziert oder engagiert, prinzipientreu oder skeptisch, vermitteln sie Orientie‐rungsmuster mannigfacher Art. Hierbei handelt es sich um: 1.
einen philosophischen Zugang, der die Einsicht kultiviert, daß die
philosophia perennis
etwas von allen zu Suchendes und nie endgültig Gefundenes ist;
2. einen intertextuellen Zugang, der eine kulturenübergreifende
weltliterarische Haltung
bezeichnet, welche die Ausprägungen kultureller Vielfalt in
unterschiedlichen Sprachen ohne Scheuklappen würdigt;
3. einen kulturellen Zugang, der keine Tradition privilegiert,
aber eine wechselseitige Be-fruchtung und Bereicherung durch
Kommunikation und Interaktion intendiert;
4. einen religiösen Zugang, der aufzeigt, daß die religio
perennis in unterschiedlichen Ersch-einungsformen auftritt;
5. einen politischen Zugang, verbunden mit einer ästhetischen
Kultur, die deutlich macht, daß interkulturelle Orientierung eine
grundsätzlich-pluralistische und demokratische Überzeugung
darstellt;
6. einen wirtschaftlichen Zugang mit dem Ziel, Grundproblemen
der Globalisierung und Wirtschaftsethik sowie Verteilungskonflikte
im Kontext der Weltwirtschaft herauszuar-beiten;
1 Dieser Themenkomplex wurde
an anderer Stelle ausführlich
diskutiert. Vgl.
Yousefi, H. R.: Grundlagen der interkulturellen Religionswissenschaft (Interkulturelle Bibliothek Bd. 10), Nordhausen 2006. Unter dem Dach der interkulturellen Reli‐gionswissenschaft
können Einzeldisziplinen zusammen
operieren, von
denen vor allem Kulturphilosophie, Anthropologie, Ethnologie, Sozialpsychologie, Re‐ligionspsychologie,
Religionssoziologie, Religionspolitik, Pädagogik
mit ihren Unterfeldern Kultur‐
und Medienpädagogik, Friedens‐
und Konfliktforschung und humanistische Staatenlehren zu nennen sind. Vgl. Ebenda.
-
23
7. einen pädagogisch-erzieherischen Zugang mit dem Ziel, vom
Kindergarten bis zu den Institutionen der Erwachsenenbildung eine
interkulturelle Einstellung wechselseitiger Toleranz zu fördern und
den Aufbau des Faches ›Toleranzkunde‹ zu ermöglichen;
8. einen psychologischen Zugang, der darauf bedacht ist, die
Grundzüge des seelischen Verhaltens der Menschen auf der Ebene der
Einstellung ernst zu nehmen;
9. einen soziologischen Zugang, der die Auswirkungen intra- und
interkulturellen Verhal-tens auf gesellschaftliche Strukturen hin
untersucht.
Ein weiterer Zugang ist ein
religionswissenschaftlicher, der die Säule des vorliegenden Beitrags bildet. Er beinhaltet, daß Religionen und Kulturen in einer über weite Strecken gemeinsamen ›Lebenswelt‹ verwurzelt sind, die sie miteinander verbindet: Nicht nur Gemeinsamkeiten,
sondern auch er‐hellende Differenzen gibt es zwischen ihnen.
Das Konzept der interkulturellen Religionswissenschaft
Was heißt Kultur im Kontext des Interkulturellen? Mit der Entstehung und Entwicklung der Kultur
›domestizierte‹
sich der Mensch selbst und schuf durch diesen immerwährenden Prozeß eine Reihe neuer Welten, die
äußerst heterogen sind. Man denke
hier etwa an eine Haltung, die
Gewalt auslöst und innerhalb eines
bestimmten
Kulturbe‐reichs Widerstand erzeugt, bei einem anderen hingegen aber wirkungslos bleibt. Die Thematisierung der Religionswissenschaft
im Kontext des Interkul‐
turellen setzt die Bestimmung
eines flexiblen, jedoch überlappend
ver‐bindlichen Kulturbegriffs voraus, weil
es
eine Vielzahl von Kulturdefini‐tionen gibt2, die von unterschiedlichen Konzeptionen ausgehen. Es ist eine berechtigte
Frage, ob mit einem traditionellen
engen Kulturbegriff
den gegenwärtigen Herausforderungen noch Rechnung getragen werden kann. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde die Mensch‐Kultur‐
beziehung zunehmend zum zentralen Thema der ethnologischen und an‐thropologischen
Forschung erhoben. Dabei war
es maßgeblich, daß der
2
Die systematische Entwicklung des Kulturbegriffs ist mit Ethnologen wie Gustav
Klemm, Edward Tylor, Bronislaw Malinowski und Franz Boas verbunden. Al‐fred Louis Kroeber und Clyde Kluckhohn stellen mehr als 160 Definitionen von Kultur zusammen, die sich
in vielerlei Hinsichten ähneln. Vgl. Kroeber, Alfred Louis und Clyde Kluckhohn: Culture: A Critical Review of Concepts and Definitions, New York 1963.
-
24
Mensch zwar einerseits Kulturen bildet und Gesellschaften prägt, anderer‐seits aber auch selbst von beiden so stark geprägt und bestimmt wird, daß selbst
die Befriedigung elementarster Bedürfnisse,
die als biologisch
be‐zeichnet werden könnten, außer unter ungewöhnlichen Umständen immer im Bann der Regeln bleibt, die von Gebräuchen und Gewohnheiten diktiert werden. Die Ethnologen dieser Zeit untersuchten
traditionell Stammesge‐sellschaften bzw. außereuropäische schriftlose Völker. Dabei hegte man im wesentlichen einen Kulturbegriff, der dem Johann Gottfried Herders (1744‐1803) ähnlich
ist. Herder ging von der Kugelförmigkeit der Kulturen aus, die
sich in abgeschlossenen Sphären
bilden. Für ihn bedeutete
eine Mi‐schung von Kulturen Verlust
an »Eindrang, Tiefe und
Bestimmtheit.«3 Nach Herder »bringt eine Kultur nur so weit Verständnis für fremde Kul‐turleistungen
auf, als diese assimilierbar sind.
Eine Übernahme wird zu einer
Integration und nicht zu einer
eigentlichen Innovation der
eigenen Weltanschauung. Sie folgt den
Verständnisgesichtspunkten der
eigenen, nicht der fremden Kultur.«4 Noch
zu Beginn des 20.
Jahrhunderts galten Kulturen als
statische Ge‐
bilde und homogene Gefüge. Dieser enge Kulturbegriff ist in einer globali‐sierten Welt nicht mehr haltbar und bedarf einer gründlichen Erweiterung. Es gibt faktisch »eine reine eigene Kultur [...] ebensowenig, wie es eine reine andere Kultur gibt.«5 Kulturen
sind wie die Fäden eines Gewebes, die auf vielfältige Weise miteinander verbunden
sind.6 Sarvepalli Radhakrishnan (1888‐1975) bezeichnet die verschiedenen Kulturen als »Dialekte einer ein‐
3
Herder, Johann Gottfried: Ueber die Würkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völ‐ker in alten und neuen Zeiten, in: Sämtliche Werke, hrsg. v. Bernhard Suphan, Bd. 8, Hildesheim 1967 (334‐346), S. 423.
4 Holenstein, Elmar:
Kulturphilosophische Perspektiven. Schulbeispiel
Schweiz – Europäische Identität
auf dem Prüfstein
– Globale Verständigungsmöglichkei‐ten, Frankfurt/Main 1998 S. 272.
5 Mall, Ram Adhar: Philosophie
im Vergleich der Kulturen.
Interkulturelle Philoso‐phie – Eine neue Orientierung, Darmstadt 1995 S. 1.
6 Vgl. Holzbrecher, Alfred:
›Vielfalt als Herausforderung‹,
in: Holzbrecher, Alfred (Hrsg.): Dem Fremden auf der Spur. Interkulturelles Lernen im Pädagogikunter‐richt, (Didactica nova) Bd. 7, Hohengehren 1999 S. 9.
-
25
zigen Sprache der
Seele. Die Unterschiede sind solche
des Akzents,
der geschichtlichen Umstände und der Entwicklungsstufen.«7 Es gibt seit Menschengedenken faktisch keine homogenen und unverän‐
derlichen Kulturgebilde. Kulturen
sind dynamisch und veränderbar.
Ihre Grenzen sind fließend, und
sie haben nie hermetisch voneinander
abge‐trennt existiert. Kulturelle Wechselwirkung und Entwicklung hat es immer gegeben. Selbst das Studium der Religionsgeschichte belegt dies. Hier
ist zu
beobachten, wie Macht, Glaube, Autorität, Gewalt
und Liebe in
ver‐schiedenen Kulturräumen und Gesellschaften
auf unterschiedliche Weise interpretiert und praktiziert werden. Der Mensch ist ein kulturbildendes und bildungsorientiertes Wesen. Bil‐
dung entwickelt und
schafft Kultur als einen offenen Raum,
in dem und aus dem heraus gehandelt wird. Kultur umfaßt die Gesamtheit der Lebens‐ und Organisationsformen sowie den Inhalt und die Ausdrucksformen der vorherrschenden
Wert‐ und Geisteshaltung. Sowohl
regionale als
auch globalisierte Kulturen sind von einer offenen Systematik geleitet, die Zwi‐schenräume
für Kommunikation zwischen diesen
Trägern schafft.
Der Dialog der Kulturen und Religionen ist ein gutes Beispiel hierfür. Kommu‐nikation macht
somit den Kern der Kultur und
das menschliche Leben selbst
aus. Es sind allerdings nicht
die Kulturen, die miteinander
reden, sondern es sind immer die Träger dieser Kulturen und Traditionen. Kom‐munikationen scheitern, wenn die Beteiligten sich darüber nicht im klaren sind, daß jeder in einer eigenen Wahrnehmungswelt verharrt.8 Das Konzept der Interkulturalität geht nicht von der Herausbildung der
Idee einer künftigen ›einheitlichen Menschheits‐ bzw. Weltkultur‹ aus, die den
Prämissen einer übergeordneten Leitkultur
unterliegt. Unter
dieser Voraussetzung wird zwangsläufig die Assimilation und damit die Einheit‐lichkeit aller Kulturen zugunsten einer einzigen ›Einheitskultur‹ vorausge‐
7
Radhakrishnan, Sarvepalli: Die Gemeinschaft des Geistes. Östliche Religionen und
westliches Denken, Darmstadt 1952 S. 366. 8
Im Hinblick auf Probleme, Störungen
und Bedingungen der interkulturellen
Kommunikation sei grundsätzlich verwiesen auf: Yousefi, H. R.: Toleranz als Weg zur interkulturellen Kommunikation und Verständigung, in: Wege zur Kommunika‐tion. Theorie und Praxis interkultureller Toleranz, hrsg. v. Hamid H. R. Yousefi u.a., Nordhausen 2006 (19‐48).
-
26
setzt. Die Unifizierung der Kulturen
ist sowohl
theoretisch als auch prak‐tisch eine Fehlleistung, eine Fehltat, weil Differenzen ausgeblendet werden. Interkulturalität ist und bleibt von einer offenen Systematik der Kulturfor‐men geleitet. Der
Interkulturalität
liegt eine Pluralität zugrunde, die einer geistigen Einheit
– keiner Einheitlichkeit –
aus der Vielheit der Kulturen den Weg ebnet. Das Eigene und das Fremde suchen zwar das Gemeinsame und
ergänzen sich, ohne Differenzen werden
sie aber farblos. An dieser Stelle
soll folgender Arbeitsbegriff von
Kultur gelten: Kulturen sind
im Kontext der interkulturellen
Religionswissenschaft in
unterschiedlicher Weise und
in unterschiedlichem Ausmaß
in Partialkulturen differenzierte Netzwerke mit lokal unterschiedlichen Dichtegraden.
Struktur und Aufgaben der interkulturellen Religionswissenschaft Auf der Basis
eines so verstandenen Kulturbegriffs
ist die interkulturelle Religionswissenschaft
dem Dialog zwischen den Religionen
verpflichtet und hat stets eine Aufklärungsfunktion zu erfüllen. Es geht um die theore‐tische und praktische Anerkennung, daß auch andere Völker Vernunft und Rationalität besitzen. Hier wird die oft gestellte Frage beantwortet, wozu diese
Art von Religionswissenschaft überhaupt
notwendig ist.
Dement‐sprechend liegt eine Aufgabe der interkulturell‐religionswissenschaftlichen Aufklärung darin, den selbsterhobenen Universalitätsanspruch der Religi‐onsgeschichte
im Abendland nicht nur
ideengeschichtlich, sondern
auch entwicklungsgeschichtlich
zu hinterfragen und zu
relativieren, damit
ein Dialog zwischen den Denktraditionen auf gleicher Augenhöhe stattfinden kann. Religionswissenschaft essentialistisch aufzufassen oder sie nur unter bestimmten
Bedingungen als relevant erklären zu
wollen,
widerspricht dem Kern religionswissenschaftlicher Reflexion selbst. Interkulturelle
Religionswissenschaft umfaßt als ein
human‐ und kul‐
turwissenschaftliches Programm sowohl
Praktische und Engagierte
als auch Angewandte Religionswissenschaft.
Sie ist zum einen bemüht,
gei‐steswissenschaftliche Begriffe zu
entkolonialisieren, die geschichtlich
stu‐fentheoretisch gebildet worden sind,
und zum anderen die
europäisch‐westliche Religionswissenschaft zu säkularisieren, die in vielerlei Hinsicht intern dialogisch und
extern konservativ und monologisch
agiert. Damit verfolgt die
interkulturelle Religionswissenschaft das
Ziel, ein
neues Selbstverständnis des Menschen zu entwickeln.
-
27
Interkulturelle Religionswissenschaft beschränkt sich als offene Systema‐tik
nicht auf die Analyse der
religiösen Quellen unter literarischen
Ge‐sichtspunkten; sie hat auch ein
undogmatisch, rein historisch
erforschter Bezug zu Religionen der Menschheit. Interkulturelle
Religionswissenschaft distanziert sich von
jeglicher Art
von Absolutheitsansprüchen und
kulturegoistischen
Handlungsweisen. Interkulturelle bzw.
interreligiöse Kompetenz spielt im
Rahmen
dieses Konzepts eine Schlüsselrolle, die noch zu behandeln sein wird. In der
interkulturellen Religionswissenschaft gilt eine ›orthafte Ortlosig‐
keit‹ wie auch eine ›ortlose Orthaftigkeit‹.9 Ihre Notwendigkeit ist im Pro‐zeß der Globalisierung eine zukunftsgerichtete Neugestaltung der
interre‐ligiösen Gegenwartskultur. Interkulturelle
Religionswissenschaft wirft eine Reihe
von Problemen
auf, die eine neue Historiographie erfordern. Zu
ihren wesentlichen Auf‐gaben gehört vor allem die Überwindung einer Denkart, die einen konti‐nentzentrischen
Ausgangspunkt a priori festlegt.
Dieses
unverkennbare Erbe der kolonialistischen Phase der westlichen Geschichte, die mit ande‐ren Kulturen, Religionen und Philosophien selektiv verfährt, ist durch eine interkulturelle Sichtweise zu ersetzen. Interkulturelle Religionswissenschaft nimmt nationale
Identitäten wahr,
hält die
interkulturelle Weltbürgerlichkeit
für wichtig und ist
ihrer welt‐bürgerlichen Bedeutung nach dem Weltbegriff verpflichtet. Sie räumt dem sensus numinis, der
für Milliarden von Menschen zentral
ist, den
ihm ge‐bührenden Platz ein. Interkulturelle Religionswissenschaft nimmt an der Gestaltung des Welt‐
friedens teil und
stellt keine Gebote und Verbote
auf.
Sie untersucht die Erscheinungsformen, vergleicht
sie, klärt die Ursachen von Diskrepanzen und zeigt Wege zur Lösung der Probleme auf. In ihrem Zentrum steht ein rationales und ethisches Bewußtsein, welches dem generellen und essenti‐ellen Religionsverständnis vorausgeht. Wahrheits‐ und Wesensfrage dür‐fen nicht miteinander vermengt werden. Sonst »treten tatsächlich religiöse Denkurteile auf mit erschlichenen Prämissen gegen echte Denkurteile des
9
Mall, R. A.: Philosophie im Vergleich der Kulturen, 1995 S. 20.
-
28
wissenschaftlichen Denkens.«10
Religion wird hier gesehen als
»erlebnis‐hafte Begegnung mit dem Heiligen und
antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen.«11 Dieser doppelte Aspekt verbindet alle Religionen. »Von daher kann die Religion des anderen im Kern verstanden werden
und sollte das Verstehen des
anderen das Zusammenleben
und Zusammenwirken der Religionen stimulieren.«12 Für die interkulturelle Religionswissenschaft
ist die Kategorie des Heili‐
gen konstitutiv13: »Es ist die Frage«, stellt Hans Jonas (1903‐1993) fest, »ob wir ohne die Wiederherstellung der Kategorie des Heiligen, die am gründ‐lichsten durch die wissenschaftliche Aufklärung zerstört wurde, eine Ethik haben können, die die extremen Kräfte zügeln kann, die wir heute besitzen und dauernd hinzuerwerben und auszuüben beinahe gezwungen sind.«14 William James (1842‐1910) argumentiert in dieselbe Richtung und kritisiert darüber hinaus eine reine philologisch ausgerichtete Religionswissenschaft. Wir müssen uns nach James mit der Tatsache abfinden, »daß der Versuch, auf dem Wege der reinen Vernunft die Echtheit religiöser Befreiungserleb‐nisse
zu demonstrieren, absolut hoffnungslos
ist.«15 Die Kategorie
des Heiligen läßt sich im interkulturellen bzw. interreligiösen Kontext verdeut‐lichen:
Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam
und die Zande
(dar‐über später) können als Beispiel angeführt werden. »Das Heilige in diesen Religionen bildet
in verschiedener Weise
ihren Kern. Während der Budd‐hismus vom Nirvana ausgeht und das
Judentum von Jahwe, ist
Jesus als
10 Mensching, Gustav: Das
religiöse Urteil. Ein Beitrag zur
Wesensfrage, in:
Sozialistische Monatshefte, 28. Jg., Bd. 58, Berlin 1922 (520‐521), S. 521. 11 Mensching, Gustav: Die Religionen und die Welt. Typen
religiöser Weltdeutung,
Bonn 1947 S. 17. 12 Tröger, Karl‐Wolfgang: Das Heilige als interreligiöse Kategorie, Mit Rudolf Otto im
Gespräch,
in: RIG, Bd. 7, Neue Herausforderungen
für den
Interreligiösen Dia‐log, 2002 (92‐101), S. 98.
13 Zur Kategorie des Heiligen
in der Religion, Philosophie und Religionswissen‐schaft vgl. Yousefi, H. R.: Der Toleranzbegriff
im Denken Gustav Menschings. Eine interkulturelle philosophische Orientierung, Nordhausen 2004 S. 27‐41.
14 Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Kritik für die technologi‐sche Zivilisation, Frankfurt/Main 1989 S. 57.
15
James, William: Die Vielfalt religiöser Erfahrungen. Eine Studie über die menschli‐che Natur, Frankfurt/Main 1997 S. 447.
-
29
Gottesgestalt für das Christentum, Allah für den Islam und Orakel, Magie und
Hexerei für die sogenannten
primitiven Kulturen wesentlich.
Dies verhält sich mit allen anderen Religionen, Weisheitsreligionen oder religiö‐sen Vorstellungen nicht anders, die an ›Etwas‹ glauben, was für sie ›heilig‹ ist.
Das Heilige kann neben magischen
Vorstellungen auch auf Gegen‐stände
bezogen sein. Deshalb kann
von der
›unbestimmten Bestimmung des Heiligen‹ gesprochen werden, die je nach Vorstellung anders ausfallen wird.«16
Religionsverstehen kommt im Symbolverstehen
zum Ausdruck, welches das Wesen der Religionen erfaßt. Eine interreligiöse und interkulturelle Orientierung sieht in dem Heiligen
das verbindende Glied unter den Religionen, das für den Dialog unerläß‐lich ist. Damit trägt sie dazu bei, durch den Dialog zu besseren Einsichten über das Eigene und das Fremde zu verhelfen und ein besseres Miteinan‐der in Gang zu bringen. Überlieferte Unterscheidungen, voreilige Identifi‐zierungen
und Unterscheidungen, die häufig zu
Polarisierungen
führen, werden nicht mehr kritiklos akzeptiert. Im Kontext des Interkulturellen gilt es die Frage zu beantworten, ob wir
berechtigt sind, eine ›Superkultur‹ bzw. ›Superreligion‹ zu fördern, die den Anspruch erhebt, bestehende kulturelle bzw.
religiöse Vorstellungen und Handlungsweisen zu ersetzen? Diese Frage ist kurz und deutlich mit nein zu beantworten. Interkulturelle Religionswissenschaft
schafft einen integrativen Rahmen
zur Zusammenstellung der Ursachen von Vorurteilen und praktiziert eine parallele Heranziehung der
kulturspezifischen und
kulturübergreifenden Themen. Um Religionen zu verstehen, genügt es nicht, eine reine textuelle und philologische Orientierung zu pflegen. Das war die traditionelle Form der Religionswissenschaft.
Im Kontext des Interkulturellen bzw.
Interreli‐giösen geht es vielmehr darum, die religionsgeschichtliche Entstehung, die Gesamtheit der Lehre
samt
ihrer Soziologie und verbunden mit
ihrer so‐
16 Yousefi, H. R.: Der Toleranzbegriff im Denken Gustav Menschings. Eine interkultu‐
relle philosophische Orientierung, Nordhausen 2004 S. 225. Diese unbestimmte Bestimmung läßt zu, daß die Lehre Buddhas nicht als ein onto‐theologischer Be‐griff aufgefaßt wird. Auch wenn Mensching trotz aller Differenzen das Überlap‐pende unter den Religionen hervorhebt und es als das Heilige bezeichnet, darf es nach buddhistischem Verständnis nicht ontologisiert werden.
-
30
zialen Struktur, das Fundament sakraler Vorstellungen, subjektiver Erfah‐rungen und das religiöse Verhalten in den Religionen in den Blick zu neh‐men und diese mit denselben Aspekten anderer Religionen
in Beziehung zu setzen. Diese dialogorientierte Begegnung der Religionen nimmt fremd‐kulturelle Muster wahr,
ohne darauf gerichtet zu sein,
sie negativ oder positiv zu
bewerten, da eine dauernde negative
Bewertung eine
kultur‐spezifische Relevanzverletzung darstellt. Interkulturelle Religionswissenschaft leitet auf dem Gebiet des Religiösen
eine gründliche Auseinandersetzung mit
der Boulevard‐ und
Qualitäts‐presse ein, die vorwiegend konfliktorientiert und einseitig ausgerichtet
ist und bei der Auseinandersetzung mit Nichteuropäern zynische Züge auf‐weisen. Interkulturelle
Religionswissenschaft stellt
sich, wie Olaf Schumann in
seinem Beitrag darauf hinweist, auch dem oberflächlichen und irreführen‐den Populismus der
sogenannten
›Sachbücher‹ von Pseudo‐seriösen und Pseudo‐Experten wie Peter Scholl‐Latour, Gerhard Konzelmann und vielen anderen Schriftstellern, die auf einer unwahrhaftigen und beängstigenden Exotik ein verzerrtes Bild von anderen Religionen ausmalen.17 Umfassende Studien weisen
auf die Gefahr
hin, daß dieser Tendenzjournalismus das Fach Religionswissenschaft obsolet machen könnte.18 Interkulturelle
Religionswissenschaft plädiert für einen
friedensorien‐
tierten Journalismus, der auf die folgenden vier Orientierungen nicht ver‐zichten kann: Er ist wahrheitsorientiert und demzufolge konfliktorientiert, zweitens ist er menschlichorientiert und demzufolge lösungsorientiert. Der Friedensjournalismus
fügt zusammen, was die
Tendenzjournalisten
stets mißachten und auseinanderdividieren.19 Friedensjournalismus geht bei der
17 Zu diesem Thema vgl. Yousefi, H. R. und Ina Braun: Interkulturelles Denken oder Achse des Bösen. Das Islambild im christlichen Abendland, Nordhausen 2005. Vgl. auch Rotter, Gernot: Allahs Plagiator. Die publizistischen Raubzüge des ›Nahost‐experten‹ Gerhard Konzelmann, Heidelberg 1992.
18 Vgl. Schönhuth, Michael: Ist da wer? Strategien und Fallstricke einer populären Eth‐nologie, in: Aus der Ferne in die Nähe. Neue Wege der Ethnologie in die Öffen‐tlichkeit, hrsg. v. Ursula Bertels und Birgit Baumann, Münster 2004 (77‐104).
19 Vgl. Galtung, Johan:
Beiträge zur Friedens‐
und Konfliktforschung, Hamburg 1975 S. 41.
-
31
Konfliktlösung nicht von
idealistischen Harmonievorstellungen aus,
son‐dern von realen Fakten. Im Rahmen der interkulturellen Religionswissenschaft gilt es unter ande‐
rem die bereits von dem
rumänischen Religionswissenschaftler
Mircea Eliade (1907‐1986) gestellte
Frage zu beantworten, warum
außereuropäi‐sche Kulturen im
europäischen Raum in
ihrer Vollständigkeit unbekannt geblieben sind. Jenen gelang es nicht, breiten Eingang in die Kultur zu fin‐den, wie dies
in der ›ersten Renaissance‹ der gräkolateinischen Kultur ge‐lungen war. Eliade geht davon aus, daß die Entdeckung des Avesta, des Sanskrit, der Upanischaden und des Buddhismus Ende des 18. und im 19. Jahrhundert
in Europa zu sehr auf den Bereich der Philologie beschränkt blieb und dadurch die Etablierung des asiatischen Geistes als eine ›zweite Renaissance‹ verhindert wurde.20 Ein zentrales Anliegen der interkulturellen Religionswissenschaft besteht
darin, eine ›dritte Renaissance‹ zu vollziehen, unterschiedliche Traditionen nicht nur mit ihren je eigenen Frage‐ und Problemstellungen, sondern auch mit ihren je eigenen Lösungsansätzen als gleichberechtigte Diskursbeiträge zusammenzubringen. An dieser Stelle setzt Helmuth Plessner (1892‐1985) an. Er geht von dem
›Prinzip der offenen Frage‹ aus
und warnt vor dem kategorischen
An‐spruch auf Absolutheit,
apriorischen Kategoriensystemen und
dem Ver‐such, Kulturen stufentheoretisch zu behandeln. Aus dem Geist dieser reli‐gionswissenschaftlichen
Praxis entwickelten sich Diskursformen,
die
bis‐lang die Möglichkeit einer interkulturellen bzw. interreligiösen Kommuni‐kation und Verständigung im Keim erstickten21: — der apologetische Diskurs, in dem die eigene Religion verteidigt wird und
immer wieder auf Trennendes zu anderen Religionen verwiesen wird, die als etwas Unheimlich‐Unverstandenes dargestellt werden,
— der Romantisierungsdiskurs, in dem schwärmerisch‐exotische Vorstellun‐gen
im Mittelpunkt stehen. Hier spielt die Geographie des Denkens eine Rolle:
Vernunftbezogenes, begrifflich stringentes
und sachlich ausdiffe‐
20 Vgl. Eliade, Mircea: Die Sehnsucht nach dem Ursprung, Wien 1973 S. 76. Vgl. auch
Mall, R. A.: Philosophie im Vergleich der Kulturen, 1995 S. 23. 21 Vgl. Yousefi, H. R. und
Ina Braun: Interkulturelles Denken
oder Achse des Bösen,
2005 S. 101.
-
32
renziertes Denken wird als westliches Attribut vereinnahmt, während
ir‐rationales und exotisch‐schwärmerisches,
unberechenbar‐tyrannisches Dasein als fremd
gilt. Mit diesem Diskurs geht
die Degradierung
des Fremden zum Projektionsobjekt Hand in Hand,
— der Mitleidsdiskurs, der von der Darstellung von Chaos, Rückständigkeit, Hilflosigkeit, Krankheit, Armut, Gewalt oder allgemeiner Unfähigkeit zu effektivem ökonomischen Handeln usw. geprägt ist,
— der paternalistische
Bevormundungsdiskurs, welcher der
Einschätzung folgt, die Fremdgruppe bedürfe der notwendigen Hilfe von außen. Dieser Diskurs
enthält insbesondere die Strategien
der Entsubjektivierung, des Nicht‐Anhörens
und Nicht‐Ernstnehmens und beinhaltet
für die
eigene Gruppe ein privilegiertes Rederecht.
Die Praxis solcher Diskurse zeigt, daß keine Kultur bzw. Religion ganz frei von Reduktionismus, Fanatismus und Gewaltbereitschaft
ist oder sich da‐von freisprechen kann. Im
Geist der interkulturellen
Religionswissenschaft faßt Plessner zu‐
sammen: »In dem Verzicht auf
die Vormachtstellung des
europäischen Wert‐ und Kategoriensystems gibt sich der europäische Geist erst den Ho‐rizont
auf die ursprüngliche Mannigfaltigkeit der geschichtlich geworde‐nen Kulturen und ihrer Weltaspekte frei. In dem Verzicht auf die Absolut‐heit der Voraussetzungen, welche diese Freilegung selbst erst möglich ma‐chen,
werden diese Voraussetzungen zum
Siege geführt. Europa
siegt, indem es entbindet.«22
Methodologische Perspektive der interkulturellen Religionswissenschaft Jede
wissenschaftliche Ausrichtung bildet eigene
Theorien und hat ein eigenes
Inventar von Methoden, mit denen
Erkenntnisse
erzielt werden können. Die Methode
der interkulturellen Religionswissenschaft
ist die verglei‐
chend‐dialogische. Sie legt
großen Wert auf die Exploration
und
Erkun‐dungsmethode, um die Lebenswirklichkeit des Anderen in seiner Anders‐heit aus nächster Nähe zu erleben. Auch verfährt sie vergleichend‐kultur‐analytisch und will damit zur Selbstreflexion verhelfen und die Interaktion fördern.
22 Plessner, Helmuth: Zwischen Philosophie und Gesellschaft, Frankfurt/Main 1979 S. 299.
-
33
Interkulturelle Religionswissenschaft setzt methodisch bei der Enge kul‐turalistischer Tendenzen an, die das tertium comparationis auf allen fachwis‐senschaftlichen Gebieten
von vornherein für
alle Vergleiche und für
alle Kommunikationen festlegen. Hierauf
beruhen Theorien und Lehren,
in deren Namen Gewalt ausgeübt wurde: Kolonialismus, Imperialismus und Expansionismus. Das eigentliche Defizit vieler vergleichender Studien war, daß sie den Maßstab des Vergleichs in einer bestimmten Tradition fixierten. Eigene kulturelle Handlungsweisen werden als Meßlatte hypostasiert, ver‐absolutiert und mit
fremden Handlungsweisen beliebig verglichen.
James plädiert für die Konzeption einer »unparteiischen Religionswissenschaft«23, die das tertium comparationis nicht an einer bestimmten religiösen Tradition fixiert. Es ist ein Anliegen der interkulturellen Orientierung, das tertium compara‐
tionis nicht ausschließlich
in einer bestimmten Tradition zu
fixieren, denn dies würde praktisch bedeuten, das Ergebnis des Vergleichs schon ab ovo vorwegzunehmen.
Einer der Gründe, warum vergleichende
Studien
der letzten Jahrhunderte uns eher enttäuschen und nicht zum erhofften Erfolg geführt haben, mag hierin zu suchen sein. Zu den Praktiken der
interkulturellen Religionswissenschaft gehört me‐
thodisch die Berücksichtigung der religiös‐spirituellen Dimension, die seit der Aufklärung
vernachlässigt worden
ist. Die Aufklärung setzte an
die Stelle der religiösen und
politischen Autorität die Vernunft,
obwohl die Aufklärer
selbst wußten, daß das Überrationale
in erheblichem Maße die menschlichen Entscheidungen und
›vernünftigen‹ Einstellungen mitprägt. Die Aufklärung
ist für die bessere, vernünftigere, humanere und mensch‐lich weiterentwickelte Epoche gehalten worden, blieb aber einem theoreti‐schen Rahmen verhaftet. Beide Dimensionen sind zu berücksichtigen auf‐grund der Erkenntnis, daß eine Ausklammerung des Religiösen eine Denk‐art
abstrakt macht,
eine Vernachlässigung der Vernunft
sie blind bleiben läßt. Die
interkulturelle Religionswissenschaft arbeitet
mit Methoden, die
auch anderen Einzeldisziplinen eigen sind. Sie beschäftigt sich sowohl mit Fakten als auch mit Wegen und Problemen und
ist weder
ethnisch noch konfessionell. Die geistige Einheit der Religionen und die Forderung nach
23
James, W.: Die Vielfalt religiöser Erfahrungen, 1997 S. 447.
-
34
ihrer Zusammenarbeit in gemeinsamem
friedlichen Wirken ergeben
sich »aus den Errungenschaften der Vergleichenden Praktischen Religionswis‐senschaft.«24
Analogische Hermeneutik Die traditionelle,
reduktive Hermeneutik ging immer von
einem
dicho‐tomen Denken ›wie ich mich selbst verstehe‹ und ›wie ich das Fremde ver‐stehe‹
aus. Seit den 1980er Jahren hat
diese Form von
hermeneutischer Praxis, die den Kern der bisherigen Religionswissenschaft bildet, mit der Entstehung
der ›Interkulturellen Hermeneutik‹ eine
Erweiterung
erfah‐ren.25 Diese modifiziert die traditionell‐dualen Denkwege um zwei weitere Dimensionen und fragt: 1. wie ich mich selbst verstehe, 2. wie ich das Fremde verstehe, 3. wie das Fremde sich selbst versteht, 4. wie das Fremde mich versteht. Pragmatisch‐hermeneutische Religionswissenschaft erfolgt
in zwei aufein‐ander abgestimmten
Schritten. Sie ist geleitet von
einer parallelistischen Selbst‐ und
Fremdhermeneutik. Diese analogische
Hermeneutik26
muß stets engagiert vollzogen werden und hat einer permanenten Selbst‐ und Fremdprüfung oder Selbst‐ und Fremdkritik standzuhalten. Diese bei der Komparatistik
der Kulturen, Religionen und
Philosophien innerhalb der interkulturellen
Religionswissenschaft zum Tragen kommende
Herme‐neutik bezeichne ich als ›Engagierte Hermeneutik‹. Daß ohne eine vierfache Hermeneutik nicht auszukommen ist, macht der
Vergleich der westlichen Logik mit
derjenigen des Stammes der
Zande, einer heterogenen
zentralafrikanischen Bevölkerungsgruppe,
deutlich. Nach David Bloors Auffassung unterliegt die Anwendung von Logik
im‐mer und überall unlogischen Motiven. Grenzen und Gehalt
logischer Be‐ 24 Yousefi, H. R.
und Ina Braun: Gustav Mensching –
Leben und Werk, Würzburg
2002 S. 313. 25 Vgl. Mall, Ram Adhar: Die
orthafte Ortlosigkeit
der Hermeneutik. Zur Kritik der
reduktiven Hermeneutik,
in: Widerspruch, Münchner Zeitschrift
für
Philoso‐phie, Jg. 8, Nr. 15, München 1988 (38‐49).
26 Vgl. Mall, Ram Adhar: Essays zur Interkulturellen Philosophie, hrsg. v. H. R. You‐sefi, Nordhausen 2003 S. 141.
-
35
griffe werden nicht entdeckt,
sondern geschaffen. Der Aufbau
logischer Schemata sei nur ein Weg, um Gedanken nachträglich zu ordnen. Sie sind als Verhandlungsgegenstand anzusehen, der durch andere, ebenso logisch erscheinende Strukturen ersetzt werden kann. Die
Zande sind der Auffassung, daß
sich die Anlage zur Hexerei
auf
männliche Nachfahren vererbt. Demnach müßten sie anerkennen, daß alle männlichen, miteinander verwandten Mitglieder
ihres Stammes ipso
facto Hexer sind. Da dies
in der Praxis aber nicht der Fall
ist,
lehnen sie diesen logischen Schluß, der eine
ihrer wichtigsten sozialen
Institutionen unhalt‐bar machen würde, ab.27 Daß nicht der gesamte Stamm eines Hexers aus Hexen besteht, erklären sie sich dadurch, daß manche zwar das Potential zum Hexer haben, es in ihnen aber nicht aktiviert ist. Innerhalb ihrer Gren‐zen bildet diese Logik
ein sich
selbst genügendes Ganzes, das dann ver‐fälscht wird, wenn es als Bruchstück eines größeren oder anderen Ganzen angesehen wird. In der westlichen Welt
ist die Anwendung
logischer Schemata nicht an‐
ders. So gilt als ein Mörder
jemand, der einen anderen Menschen absicht‐lich tötet. Ein Bomberpilot wird hingegen nicht als Mörder angesehen. Zur Rechtfertigung hierfür dient eine Fülle an Unterscheidungen und logischen Argumenten. Die
Infragestellung der
institutionell sanktionierten ›Arbeit‹ eines
Bomberpiloten käme nämlich einer
Revolution gleich. Dieser
Ver‐gleich zeigt, daß sich die Logik überall,
insbesondere dann, wenn es sich um
religiöse Angelegenheiten handelt, ähnelt: »Die Abneigung, die
›logi‐sche‹ Schlußfolgerung aus
ihren Glaubensinhalten zu ziehen,
ähnelt
sehr unserer Abneigung, unsere Glaubensinhalte des gesunden Menschenvers‐tandes und unsere fruchtbaren wissenschaftlichen Theorien aufzugeben.«28 Wirkliches Verständnis füreinander kann nur dann entstehen, wenn ver‐
sucht wird, jede Kultur aus
ihrer eigenen Logik heraus zu verstehen. Um
27 Vgl. Bloor, David: Die Logik der Zande und die westliche Logik, in: Soziale Struktur
und Vernunft. Jean Piagets Modell
entwickelten Denkens in der
Diskussion kulturvergleichender Forschung, hrsg. v. Traugott Schöfthalter u.a., Frankfurt/‐Main 1984 (157‐168), S. 158.
28 Bloor, David: Die Logik der Zande und die westliche Logik, in: Soziale Struktur und Vernunft.
Jean Piagets Modell entwickelten Denkens
in der Diskussion kultur‐vergleichender
Forschung, hrsg. v. Traugott
Schöfthalter u.a.,
Frankfurt/Main 1984 (157‐168), S. 166.
-
36
mit Wilhelm Dilthey (1833‐1911) zu sprechen, setzt »unser Handeln [...] das Verstehen
anderer Personen überall voraus.«29
Der Betrachter
eines Sachverhaltes muß den
jeweiligen Entstehungskontext begreifen und sich seiner subjektiven Sicht bewußt werden. Dabei muß er sich dessen bewußt sein, daß er nie zum originären Ursprung eines für ihn fremden Gedankens zurückfindet,
sondern lediglich in einer
›Bedeutungsrekonstruktion‹
ver‐suchen kann, sich diesem so gut wie möglich anzunähern.
Geographie des Denkens Innerhalb der
Kommunikationsforschung wird das Thema
›Geographie des Denkens‹30 kontrovers
diskutiert. Diese berührt unter
anderem die methodische Grundlage der
religionswissenschaftlichen Tätigkeit.
Wäh‐rend die eine Richtung
grundlegende menschliche Denkmechanismen
in der Regel als gleichförmig ansieht und davon ausgeht, daß diese nicht von kulturellen Prägungen herrühren, sondern auf genetisch verankerten Me‐chanismen beruhen, vertritt die Gegenseite die Auffassung, diese Mecha‐nismen seien durch äußere Faktoren wie Kultur, Tradition, Religion oder Weltanschauung beeinflußt. Ein Beispiel hierfür ist die Klassifizierung des westlichen Denkens als vorwiegend linear bzw. analytisch, wobei die Wur‐zeln dieser spezifischen Ausprägung des Denkens in der griechischen Tra‐dition und in der römischen Rechtsprechung gesehen werden. Demgegen‐über
wird fernöstliches Denken als eher
kreisförmig, d.h. als
holistisch bezeichnet, wobei nicht die
griechische, sondern andere Traditionen
als prägend angesehen werden. Die Problematik der
›Geographie des Denkens‹ beruht darauf, daß hier
Ergebnisse statistischer Untersuchungen
zu Typen verallgemeinert
wer‐den. Der Typus läßt aber keine Aussagen über das Denken eines beliebigen Individuums
in einer der beiden Kulturen
zu und sagt
nichts über Teil‐kulturen aus. Auch besagt er nichts über die Wahrheit der auf seiner Basis getroffenen Aussagen. Eine generalisierende ›Geographie des Denkens‹ ist
29 Dilthey, Wilhelm: Die Entstehung der Hermeneutik,
in: Die geistige Welt. Einlei‐
tung in die Philosophie des Lebens. Gesammelte Schriften, Bd. 5, 8. Aufl., Stutt‐gart 1990 S. 317.
30 Vgl. Nisbett, Richard E.: The Geography of Thought. How Asians and Westerners Think Differently … and Why, New York 2003.
-
37
empirisch inadäquat. Beide Denkmodelle, sowohl das analytische wie auch das
holistische, sind fehlbar. Die
interkulturelle
Religionswissenschaft vermeidet Dualisierungen, die völlig differenzorientiert sind.
Interkulturelle Kompetenz Als conditio sine qua non für eine interkulturelle und interreligiöse Verstän‐digung
und Kommunikation im Rahmen der
interkulturellen Religions‐wissenschaft
ist die interkulturelle und
interreligiöse Kompetenz anzuse‐hen. Jede
Religion hat eine eigene, nicht
immer explizierte Werte‐
und Normenorientierung und begriffliche
und theoretische
Bezugssysteme. Interkulturelle Kompetenz wird dort nötig, wo
sich Menschen mit unter‐schiedlichen
Denkmustern, Wertvorstellungen, Kommunikations‐
und Verhandlungsstilen begegnen. Sie stellt eine Fähigkeit und eine Fertigkeit dar. Als Fähigkeit muß sie entwickelt und kultiviert werden, auch wenn sie als
eine Disposition angeboren sein
sollte. Als Fertigkeit zielt sie
auf die Anwendung dieser Fähigkeit auf unterschiedlichen Gebieten des menschli‐chen Lebens. Interkulturelle bzw. interreligiöse Kompetenz setzt die Reali‐sation und Anwendung der spirituellen Tugend einer freiwilligen Selbstbe‐scheidung und
‐begrenzung voraus, verbunden mit Rücksichtnahme.
Sie bedeutet »die dauerhafte
Fähigkeit, mit Angehörigen anderer
Kulturen erfolgreich und kultursensibel interagieren zu können.«31 Diese Schlüsselqualifikation
ist in gesellschaftlicher,
religiöser wie auch
in wirtschaftlicher und
politischer Hinsicht von Bedeutung. Die
Schritte aus der dialogischen Kulturanthropologie
zum Selbst‐ und Fremdverste‐hen und
zur Kommunikation führen durch
›Interkulturelles Lernen‹
zu ›Interkultureller Kompetenz‹.
In einem komplexen Prozeß aus
individuel‐len, selbstreflexiven und
kommunikativen Phasen werden soziale
Erfah‐rungen gemacht und gemeinsam
reflektiert. Vorhandene,
biographisch überlieferte und bewährte Welterklärungen werden durch den kommuni‐kativen
Vergleich und die Erfahrung neuer
Deutungsmuster zu
neuen Interpretationen entwickelt. Mit diesem Konzept wird die Nähe zum päd‐agogischen
Konstruktivismus deutlich, nach dem
Lernen nicht die Ver‐
31 Grosch, Harald/Wolf Rainer
Leenen: Bausteine zur Grundlegung
interkulturellen Lernens, in: Interkulturelles Lernen. Arbeitshilfen für die politische Bildung, hrsg. v. d. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1998 (29‐46), S. 29.
-
38
mittlung von Inhalten, sondern die Reflexion eigener Deutungen ist. Inter‐kulturelle Kommunikation kann zum Erfolg
führen, wenn das Urteil, das man über eine fremde Kultur erarbeitet hat, auch von einem Angehörigen dieser
fremden Kultur Zustimmung erhält. Ein
echter Dialog setzt nicht nur
interkulturelle, sondern zugleich soziale und
individuelle Kompetenz voraus. Zur
interkulturellen bzw.
interreligiösen Kompetenz
gehört wesentlich
die Überzeugung, daß die eine
›Wahrheit‹, auf welchem Gebiet auch
im‐mer, in niemandes Besitz ist
und von niemandem in Besitz
genommen werden kann. Eine absolute Wahrheit, die gelehrt werden könnte, gibt es nicht. Dieses Dilemma macht noch heute den Philosophen, Theologen und Politikern zu schaffen, sofern sie in der pluralistischen Diktion einen Verrat an der ›einen Wahrheit‹ sehen. Die Wahrheit in
meiner Tradition darf nicht gleichgesetzt
werden mit der Wahrheit meiner
Tradition. Diese Unter‐scheidung
führt zur These von der Überlappung von Gedankengehalten, die weder miteinander
identisch noch einander völlig fremd
sind. Ein so verstandenes
interkulturelles Ethos
ist eine notwendige und hinreichende Bedingung für interkulturelle Begegnungen auf jedwedem Gebiet. Neben
der Gesellschaft sind zwei
Institutionen für die Erziehung
zur
Toleranz wesentlich: das Elternhaus und die Schule. Während die Heran‐wachsenden zu Hause nach dem Wunsch der Eltern in religiöser Zugehö‐rigkeit erzogen werden, wird dies in der Schule in Form von konfessionel‐lem
Religionsunterricht praktisch fortgesetzt.
Es geht um die Frage,
ob durch die Konfessionalisierung
des Religionsunterrichts nicht die
Intole‐ranz gefördert wird. Es
ist für Kinder oft unverständlich, warum es evan‐gelischen,
katholischen oder islamischen
Religionsunterricht
geben muß. Um die Gleichrangigkeit der Religionen
auch objektiv
zu demonstrieren, sollte vielmehr von ›Religionskunde‹ die Rede sein. Religionskunde hat die Absicht,
verschiedene Religionen wertneutral
darzustellen, ohne eine Überzeugung der
anderen unter‐ oder überzuordnen. Die Didaktik
eines derartigen religionsbezogenen
Unterrichts, die einen
hermeneutischen Vorgang bedeutet, trägt dazu bei, den Unterricht möglichst beschreibend‐analytisch zu konzipieren und den unausweichlichen normativen Hinter‐grund des Unterrichts minimal zu halten.
-
39
Angewandte Toleranz
Das Toleranzkonzept Gustav Menschings Nach Gustav Mensching (1901‐1978)
ist eine wichtige Aufgabe der Religi‐onswissenschaft
die Friedenssicherung auf interreligiöser
Ebene durch Toleranz
und Dialogbereitschaft. Er prägte den
Begriff der
›inhaltlichen Toleranz‹.32 Menschings Anliegen war, die bloße Theorieverhaftetheit der traditionellen Religionswissenschaft zu überwinden. Mit
ihrer ausschließ‐lich vergleichenden oder nur philologisch ausgerichteten Perspektive, die sich
auf den bloßen Vergleich der
einzelnen abstrahierten Erscheinungs‐formen
von Religionen beschränkt, schien sie
methodisch reduziert.
Er verfolgte das Ziel, die Religionswissenschaft
zu einer
angewandten Wis‐senschaft weiterzuentwickeln. Signifikant
ist dies bei seiner Toleranzidee, die 1929 mit dem Beitrag ›Duldsamkeit‹ beginnt und 1978 im letzten Werk ›Buddha und Christus‹ abgeschlossen wird. Die Verwirklichung von Tole‐ranz hält Mensching für eine der Aufgaben, die in der Gegenwart mit be‐sonderer
Dringlichkeit gestellt ist. Er
unterschied formale Toleranz
und Intoleranz von
inhaltlicher Toleranz und Intoleranz und
äußere Toleranz und Intoleranz von
innerer Toleranz und Intoleranz.33 Im
folgenden
soll der Fokus kurz auf der formalen und inhaltlichen Toleranz und Intoleranz liegen. Formale Toleranz
läßt andere Religionen, Kulturen und politische Auf‐
fassungen unangetastet, d.h., sie duldet diese nur, und zwar aus Gründen der Staatsräson. Die formale Intoleranz zwingt die Vertreter anderer Kultu‐ren oder Überzeugungen zur Unterwerfung unter eine Institution. Inhaltliche
oder Angewandte Toleranz besteht in
der positiven Wahr‐
nehmung fremder Kulturen
oder Überzeugungen als echter und
berech‐
32 Vgl. Mensching, Gustav: Toleranz und Wahrheit in der Religion (1955), Hamburg 21966. 33 Vgl. Mensching, Gustav: Toleranz und Wahrheit
in der Religion,
21966 S. 18 ff. An
anderer Stelle habe
ich Menschings Toleranzbegriff
eingehend untersucht und seine Konzeption
als Angewandte Toleranz weitergeführt. Vgl. Yousefi, H. R.: Der Toleranzbegriff
im Denken Gustav Menschings, 2004 und ders.: Zur Philosophie der angewandten Toleranz. Eine interkulturelle Perspektive, in: Tradition und Tra‐ditionsbruch
zwischen Skepsis und Dogmatik.
Interkulturelle
philosophische Perspektive, hrsg. v. Claudia Bickmann u.a., (Studien zur Interkulturellen Philo‐sophie Bd. 16), Amsterdam 2006 (355‐371).
-
40
tigter alternativer Lebensauffassungen.
Inhaltliche Intoleranz hingegen bekämpft
fremde Kulturen oder Überzeugungen um
der
vermeintlichen Wahrheit willen. In der dialogischen Theorie der Angewandten Toleranz werden Beson‐
derheiten der Religionen und Kulturen berücksichtigt. Angewandte Tole‐ranz fördert die ›ästhetische Kultur‹ des Einzelnen, auf welche die ›politi‐sche Kultur‹ angewiesen
ist. Toleranz ohne Sensibilität artet oft
in
Intole‐ranz aus. Wem die Sensibilität fehlt, um zu bemerken, daß es sich bei den Anschauungen
eines anderen Menschen um eine
prinzipielle Differenz, einen
kulturellen Unterschied und nicht bloß
um eine
beliebige Abwei‐chung handelt, der macht von Toleranz keinen Gebrauch und provoziert Mißverständnisse. Mit
seinem Toleranzpostulat beabsichtigte Mensching, nicht nur ein
in‐
teressantes akademisches Phänomen aus der Religionswissenschaft vorzu‐stellen,
sondern es ging
ihm um ein »die menschliche Existenz heute zu‐tiefst
betreffendes Anliegen.«34 Toleranz soll
den Dialog der Religionen ermöglichen.
Seine interreligiöse Orientierung bringt
die Aufgaben der Angewandten
Religionswissenschaft auf eine Formel
für
die Gegenwart und die Zukunft: »Eine Begegnung der Religionen und ein Gespräch zwi‐schen
ihnen hat weltweit begonnen. Die
Religionswissenschaft kann für eine
solche Auseinandersetzung wertvolle Beiträge und Voraussetzungen liefern; denn sie
sollte, wenn sie einen Wert haben
soll, ohne anerzogene Vorurteile geschehen. Gerade diese Vorurteile aber sind es in den Religio‐nen selbst, welche immer wieder auch im kulturellen Leben der Völker als retardierende
Kräfte sich bemerkbar gemacht haben
und noch machen. Viele
solcher Vorurteile vermag
die Religionswissenschaft zu
beseitigen, und wenn sie sich
auch heute der Grenzen rein
rationalistischer Aufklä‐rung, aus der
sie entsprang, bewußt ist, so
trägt sie doch noch
zu Recht auch positive Werte
der Aufklärung mit sich.«35 Mit
dieser Überlegung werden die Grenzen der
traditionellen Religionswissenschaft zu
anderen Disziplinen geöffnet. Ihr
thematisches Spektrum
reicht vom Erkennen
in‐terreligiöser Pathologien bis zu dialogischer Kulturanthropologie.
34 Mensching, G.: Toleranz und Wahrheit in der Religion, 21966 S. 16. 35 Mensching, Gustav: Die Weltreligionen, Darmstadt 1972 S. 281 f.
-
41
In seiner praktischen Hermeneutik expliziert Mensching die Analyse des Selbst‐ und Fremdverstehens als Voraussetzung
für das reziproke Verste‐hen der Kulturen
in ihrem Anderssein. In
›Gut und Böse
im Glauben der Völker‹
(1941) gibt er auf die Frage
›Was ist der Mensch und was
ist die Wahrheit?‹ die Antwort, daß eine religionswissenschaftliche Anthropologie einen selbst‐ und fremdhermeneutischen Blick nicht aus den Augen verlie‐ren darf. In ›Der Irrtum in der Religion‹ (1969/2003) gelingt es ihm, durch diese doppelte Sicht Fehl‐ und Vorurteile, welche Religionen unter Beru‐fung
auf verschiedene Schriften
und Überlieferungen gegeneinander
an‐führen, zu beschreiben und zu analysieren.36 Ebenso ist die Betrachtung der ›Lebensmitte‹
der Religionen von
hermeneutisch‐philosophischer
Trag‐weite. Die Toleranzideen Menschings können
für den Beginn
einer prag‐matisch‐hermeneutischen
Religionswissenschaft fruchtbar gemacht
wer‐den.37 Dessen
praktisch‐integratives Wissenskonzept war
nicht
»museale Bestandsaufnahme exotischer Kuriositäten, sondern lebendige Vermittlung der vielfältigen Erscheinungsformen menschlicher Religiosität.«38 Bereits Menschings frühe theologische Bemühungen aus den 1930er Jah‐
ren sind von integrativen Erwägungen geleitet. Er versucht, im Denken der Menschen
einen Gleiswechsel zu religiöser und
kultureller Mündigkeit
36 Vgl. Mensching, Gustav: Gut und Böse
im Glauben der Völker, Leipzig 1941 und Der
Irrtum
in der Religion. Eine Einführung
in die Phänomenologie des
Irrtums (1969), 2. Aufl., eingeleitet und hrsg. v. H. R. Yousefi und Klaus Fischer, mit ei‐nem Nachwort von Udo Tworuschka, Nordhausen 2003.
37 Menschings frühere Versuche, Selbsthermeneutik zu betreiben, sind unvollstän‐dig.
Insbesondere die Toleranzidee enthält keine philosophisch‐hermeneutische Konzeption. In seinen reifen Jahren erkannte er Lücken und versuchte, Theorien nur aus der Praxis selbst zu gewinnen. Das Primat der Praxis vor der Theorie ist für ihn konstitutiv, wenn er beklagt: »Die in der Literatur vorliegenden Versuche [...]
sehen entweder die fremden Religionen
schief und vergleichen Höhen der eigenen
Religionen mit Tiefen der
Fremdreligion, oder sie stellen die
eigene dogmatische Theorie neben die vielleicht vielfach
trübe
fremdreligiöse Praxis.« Mensching, G.: Toleranz und Wahrheit in der Religion, 1955 S. 147.
38 Klimkeit, Hans‐Joachim: Miscellanea, Prof. Dr. Dr. h.c. Gustav Mensching, in: Zeit‐schrift für Religions‐ und Geistesgeschichte, Leiden, 31. Jg., Köln 1979 (203‐205), S. 203; vgl. auch ders.: Vergleichen und Verstehen in der Religionswissenschaft, Vor‐träge der Jahrestagung der DVRG vom 04. bis 06. Oktober 1995 in Bonn, hrsg. v. Hans‐Joachim Klimkeit, Wiesbaden 1997.
-
42
herbeizuführen. Mit der späteren
Idee der geistigen Einheit aller Religio‐nen, die als Fazit aus seinem religionssoziologischen Schrifttum zu ziehen ist, fordert er Toleranz und Anerkennung zwischen den Religionen. Selbst‐autonomie und Fremdanerkennung sind ihm oberstes Prinzip. Die Konzipierung der
Idee einer Weltuniversität, die als Kernpunkt auf
das ›Postulat Weltgewissen‹ verweist,
hat ebenfalls einen
praktisch‐inte‐grativen Bezug zur realen Begegnung der Religionen. Die Weltuniversität sollte das Konzept der Angewandten Religionswissenschaft realisieren. Für das zwischenkulturelle Verständnis nützt er eine positive latente Funktion der Religionen, das Weltgewissen: »Daß aber solches Weltgewissen mög‐lich wäre, beruht auf der Tatsache, daß die Religionen der Welt
in vielen zentralen Fragen des ethischen Handelns und der Gesinnung völlig einig sind.«39 Die Angewandte Religionswissenschaft sieht Mensching folgender‐maßen verwirklicht:
»Hier [...] wäre in
einmaliger Weise die Möglichkeit gegeben,
nicht nur aus den Textquellen
der Religionen, sondern
durch lebendige Anschauung im täglichen Umgang mit Anhängern der verschie‐denen Religionen und durch das
sachliche Gespräch
jenes Erkennen der letzten Einheit und ein Verstehen der verschiedenen Religionen, ihrer An‐hänger
und damit der von diesen
Religionen vorzugsweise bestimmten Völker
zu führen. Wenn also das
erklärte Ziel der Weltuniversität darin bestehen
soll, den Frieden der Welt durch
eine Mobilisierung der Seelen und Geister zu gründen und zu sichern, dann dürfte [...] ein Studium der vergleichenden Religionswissenschaft geeignet sein, die Vertreter der ver‐schiedenen Religionen auf der Basis erkannter letzter Einheit einerseits und des Rechtes der
religiösen Eigenart anderseits zu echter
inhaltlicher Tole‐ranz zu führen.«40 Das
christliche Abendland hat sich nach
Mensching den seelischen
Mächten weitgehend entfremdet. Es sei ein Versäumnis, daß sich die Wort‐führer
monotheistischer Religionen der Philosophie
und Weisheit
des Ostens nicht öffneten. Wahrheitsstreben sollte ohne traditionelle Vorurteile und egoistische Begrenzungen »die Völker vereinen und auf diesem Wege
39 Mensching, Gustav: Gut und Böse im Glauben der Völker, 21950 S. VIII. 40 Mensching, Gustav: Wesen
und Bedeutung der Religionswissenschaft
an der Welt‐Universität, Vortrag,
gehalten am 07.12.1957 anläßlich der
Arbeitstagung
in Stuttgart (1‐13), S. 13 f.
-
43
zum Frieden führen. Echte Auseinandersetzung, in der jeder das beisteuert, was er als Bestes und Edelstes
in seiner Tradition besitzt,
ist nötig.«41 Die Kenntnis der Gedankenwelt anderer Religionen ist für das zwischenkultu‐relle
Verständnis unerläßlich. Dies bezieht
sich auf die Relationen
aller Religionsgemeinschaften untereinander, nicht nur auf das Zusammenleben von Christen und Nichtchristen in Europa. Johan Galtung schlägt die Ein‐richtung
einer Weltuniversität vor. Für ihn
ist die Weltuniversität »der Versuch,
ein transnationales Institut zu
schaffen,
an dem die Loyalitäten des Lehrkörpers und der Studenten einen allgemeinen, nicht einen natio‐nalen Charakter haben würden. Schon die Struktur einer solchen Univer‐sität sollte für die Friedensforschung von besonderem Interesse sein.«42
Gedanken zu den Grenzen der Toleranz Es
ist eine
schwierige Frage, wo Toleranz
aufhört und wie
ihre Grenzen bestimmt werden können. Was bedeutet eine einseitige Grenzbestimmung praktisch? Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, diese Grenze auch demjeni‐gen gegenüber zu rechtfertigen, dessen Standpunkt
jenseits dieser Grenze liegt? Welche
Formen der Konfliktaustragung und der
Bekämpfung von Intoleranz sind
tragbar, welche nicht? Wie
sieht die moralische,
religiöse und politische Grenze der Toleranz
im Vergleich der Kulturen und Reli‐gionen aus? Wo
liegt der Referenzmaßstab,
sollte es überhaupt einen ge‐ben,
für die Spannbreite an
Ideen, Theorien, Handlungen und Praktiken, die wir
tolerieren wollen, und wo wird
er verletzt? Wer definiert diesen Maßstab, und wer manipuliert ihn? Welche Rolle spielt dabei legitime und nicht legitime Machtausübung? Wie lauten die Antworten der bestehenden Religionswissenschaft auf diese Fragen? Es
ist ein Faktum, daß eine apriorische Grenzbestimmung der Toleranz,
die für alle Zeiten und Zonen absolute Gültigkeit besitzen soll, die Einheit‐lichkeit und Ungeschichtlichkeit menschlicher Handlungen, ein universali‐stisches Menschenbild,
eine universalistische Ethik sowie
die Gleichheit
41 Mensching, Gustav: Weltreligion, Weltkultur und Weltzivilisation
(1967), 2. Aufl.,
in: Aufsätze und Vorträge zur Toleranz‐ und Wahrheitskonzeption, Würzburg 2002 (325‐347), S. 290.
42 Galtung, Johan: Probleme
der Friedenserziehung, hrsg. v. Christoph Wulf, Frank‐furt/Main 1973 (23‐44), S. 38.
-
44
der natürlichen, sozial‐strukturellen, politischen und ökonomischen Bedin‐gungen voraussetzen würde. Die Bestimmung von Toleranzgrenzen
ist ein Prozeß mit vielen Dimen‐
sionen. Es muß
immer mit beachtet werden, ob hinter aktuell werdenden Toleranzfragen Verteilungskonflikte stehen, die ethnisiert werden, um sie nicht mehr als
solche
erkennbar und kritisierbar zu machen. Die kanadi‐sche ›Multikulturalitätsdebatte‹, die seit 1971 geführt wird, wäre in diesem Zusammenhang der Betrachtung wert. Es gilt auch zu analysieren, unter welchen
empirischen
gesellschaftlichen Bedingungen die Toleranzproble‐matik einen Stellenwert bekommt, wie z.B. der rituelle Dolch der Sikhs bei einem
kanadischen Polizisten oder das
Kopftuch an französischen
und deutschen Schulen. Die Grenzen der Toleranz müssen in einen interkulturellen und interreli‐
giösen Zusammenhang gebracht und unter soziokulturellen und ethnolo‐gischen Gesichtpunkten
analysiert werden. Dies bedeutet
praktisch,
daß wir das Welt‐ und Menschenbild, die historische Bedingtheit vieler Gepflo‐genheiten und die
religiösen Vorstellungen und Praktiken der Völker ge‐nau kennen müssen. Grundvorstellungen, Gebote und Verbote, auch Prin‐zipien der Rechtsstaatlichkeit sind nicht deckungsgleich. Allein diese Tatsache macht deutlich, daß die Grenzen der Toleranz von
einer begrenzten Verschiebbarkeit geleitet sind, da Völker unterschiedliche Wertvorstellungen
haben. Durch die Berücksichtigung
handlungsprakti‐scher Grenzen und
systembedingter Kontingenzen wird
es möglich, eine anwendungsfähige
interkulturelle Struktur zu
entwickeln, die sich
in die komplexe interkulturelle Praxis umsetzen läßt. Auf der politischen Ebene nähern sich die Arbeit der Vereinten Nationen
und die des Weltsicherheitsrats
einem solchen Verfahren
an. Diese Gre‐mien bestimmen, wann
ein Staat die Interessen
der Weltgesellschaft
zu verletzen droht und dieses Verhalten nicht gebilligt werden kann. Der Um‐setzung eines solchen Diskurses steht allerdings entgegen, daß die ständi‐gen Mitglieder des Weltsicherheitsrats über Vetorechte verfügen und meist strategisch handeln. Häufig
ist eine Seite entschlossen, ihren
Standpunkt oder ihre Interessen unter allen Bedingungen durchzusetzen. Der anderen Seite bleibt nur die Wahl, Widerstand zu leisten oder sich zu unterwerfen. Macht
agiert auf der Basis einer
›doppelten Anthropologie‹: einer An‐
thropologie erster Ordnung, nämlich der eigenen, und einer zweiten Ord‐
-
45
nung,
nämlich der des Anderen, des
Fremden. Die Anthropologie
erster Ordnung ist stets auf paternalistische Bevormundung aus, paradoxerweise auch auf die Gefahr hin, daß sie sich dabei selbst schadet. Hier handelt es sich um eine partikuläre Anthropologie, die sich selbst verabsolutiert und die schon immer ein Problem der praktischen Politik war.43
Interreligiöser Dialog Interreligiöser Dialog
gehört neben der Toleranz zu
den zentralen Auf‐gaben einer
interkulturell orientierten Religionswissenschaft. Das
Idealer‐gebnis einer jeden interreligiösen bzw. interkulturellen Kommunikation ist nicht der Sieg des Einzelnen, sondern die Lösung der entstandenen Kon‐flikte auf der Grundlage reziproken Verstehens. Wenn aber eine Seite ent‐schlossen
ist, ihren Standpunkt unter allen
Bedingungen
durchzusetzen, dann bleibt der anderen zwangsläufig die Wahl, sich entweder zu unter‐werfen
oder Widerstand zu leisten. Der
praktizierte Paternalismus
der ›Koalition der Willigen‹ im Irak ist ein Beispiel und die Folgen kennen wir. Interreligiöser Dialog ist von einer dialogischen Komplementarität gelei‐
tet, der alle Gesprächspartner als gleichberechtigt ansieht und ihnen einen gleichen Freiheitsspielraum zubilligt. Sie ermöglicht mehrere aufeinander abgestimmte und ineinander verflochtene Kommunikationsmöglichkeiten. Ein grundsätzliches Problem der Kommunikation ist der Absolutheitsan‐
spruch. Hier geht es darum, die
eigene Idee, die
eigene Philosophie, die eigene politische Meinung, die eigenen kulturellen Werte oder die eigene Religion
für die ausschließliche Wahrheit zu
halten. Liegt dieser Tatbe‐stand vor,
so wird nicht mehr gesagt: das
ist meine
Idee, meine Philoso‐phie, meine politische Meinung, meine kulturellen Werte oder meine Reli‐gion, sondern: das ist die Idee, die Philosophie, die politische Meinung, die kulturellen
Werte und die Religion. Daß
derartige Einstellungen
zur strukturellen Gewalt führen können, liegt in der Natur der Sache. Um einen Dialog zu ermöglichen, könnte die Praxis einer einschließen‐
den Differenz hilfreich sein. Bei der ausschließenden Differenz nimmt sich eine
bestimmte Gruppe oder ein
bestimmtes Mitglied das Recht,
durch totalitäre oder vorgefaßte
ideologische Forderungen den Freiheitsspiel‐
43 Vgl. Yousefi, H. R. und
Ina Braun: Interkulturelles Denken
oder Achse des Bösen,
2005 S. 263.
-
46
raum einer Gruppe oder eines bestimmten Mitglieds
festzulegen oder zu begrenzen. Macht
wird hier zum Argument, zu
einer Instanz, die be‐stimmt, was
legitim bzw. illegitim
ist. Sie diktiert
im Grunde genommen die Spielregeln und bestimmt die Rahmenbedingungen auf allen Ebenen. Die einschließende Differenz
ist das Pendant zu dieser Orientierung.
In
einer derartigen Interaktionsform
ist nicht mehr zugelassen, daß
eine be‐stimmte Gruppe das Gleichheitsprinzip verletzt. Sie geht von der ›Einheit aus der Vielfalt‹ aus. Einheitlichkeit, welche die ausschließende Differenz anstrebt,
ist hingegen stets gewaltgeladen.
Dieses Spannungsfeld macht deutlich,
daß es eine konfliktfreie
Interaktionsform nicht gibt und
auch nicht geben kann, weil der Mensch oft bewußt oder unbewußt konfliktiv denkt und handelt. Die Beachtung der Semantik spielt in jeder Kommunikation eine wichtige
Rolle, weil sie häufig
ein Mißverständnispotential nach sich
zieht. Dies hängt damit zusammen,
daß die Kommunikationspartner in einer
inter‐kulturellen Kommunikationssituation
die Wörter so verwenden, wie
sie diese im Laufe ihrer
Sozialisation in spezifischen kulturellen
Kontexten erlernt haben. Dabei können
semantisch bedingten Störungen,
Mißver‐ständnissen oder Konflikten
entstehen. Um bestimmte Handlungen
des Fremden zu verstehen, benötigen wir neben der intrakulturellen Sozialisa‐tion auch die interkulturelle Art derselben, welche die Interkulturalisierung der
Semantik voraussetzt. Interkulturelle
Semantik beschreibt diese Stö‐rungen,
die in der Regel durch einen
kulturspezifischen Wortgebrauch verursacht sind.44
Dimensionen der interkulturellen Religionswissenschaft lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1.
Interkulturelle Religionswissenschaft ist keine wertneutrale
Disziplin und geht als ein
vielschichtiges Programm, von der Annahme aus, daß es eine reine
eigene Religion ebensowenig gibt wie eine reine andere
Religion;
2. Interkulturelle Religionswissenschaft gibt eine konzeptuelle
Antwort auf die Frage, wozu Religionswissenschaft zu betreiben
ist;
3. Interkulturelle Religionswissenschaft beschreibt den Einfluß
religiöser und kultureller Gegebenheiten auf Gesellschaften;
44 Vgl. hierzu Kühn, Peter:
Interkulturelle Semantik (Interkulturelle
Bibliothek Bd.
38), Nordhausen 2006.
-
47
4. Interkulturelle Religionswissenschaft ist
anthropologisch-humanwissenschaftlich ausgerichtet;
5. Interkulturelle Religionswissenschaft ist keine
Weltanschauungslehre; 6. Interkulturelle Religionswissenschaft
nimmt das Heilige als individuelle Wahrnehmung
des Menschen ernst und betreibt eine Religionswissenschaft der
Mitte. Sie negiert so-mit die Verschlossenheit der Transzendenz und
plädiert für das Offensein derselben;
7. Interkulturelle Religionswissenschaft stellt die Wesensfrage
und nicht die Wahrheits-frage innerhalb der Religionen;
8. Interkulturelle Religionswissenschaft distanziert sich von
jeglichem exklusivistischen Absolutheitsanspruch der
Religionen;
9. Interkulturelle Religionswissenschaft erstrebt keine
Indoktrination und keinen Kultur- und Religionsrelativismus;
10. Interkulturelle Religionswissenschaft greift als mittlere
Orientierung auch auf die Ge-schichte der Fremdwahrnehmungen und
Vorurteilsbildungen zurück;
11. Interkulturelle Religionswissenschaft ist eine angewandte,
praxisorientierte Wissen-schaft, welche die Theorie aus der Praxis
gewinnt;
12. Interkulturelle Religionswissenschaft ist Schul- und
Weltbegriff zugleich; 13. Interkulturelle Religionswissenschaft
untersucht, aufbauend auf den Erkenntnissen der
interkulturellen Philosophie, die Gründe zwischenkultureller
Geringschätzungen, die zu Gehäusedialog und Gehäusetoleranz
führen;
14. Interkulturelle Religionswissenschaft erkennt Zentren an,
lehnt aber den Zentrismus ab;
15. Interkulturelle Religionswissenschaft erstrebt eine
Kontinuität in Zusammenarbeit mit anderen angewandten
Disziplinen;
16. Interkulturelle Religionswissenschaft ist von analogischer
Hermeneutik geleitet und bedient sich der Methode der kulturellen
Selbst-Fremdreflexion;
17. Interkulturelle Religionswissenschaft will ethnizistisches
Denken und Handeln überwinden. Demzufolge weist sie eine
kategorische Geographisierung des Denkens in einem holistischen und
analytischem Kulturkreis zurück;
18. Interkulturelle Religionswissenschaft betreibt eine
komparatistische Ethik, fördert Toleranzkompetenz und
Toleranzkultur, welche die Grundlage eines umfassenden Dialogs
bilden;
19. Interkulturelle Religionswissenschaft arbeitet auch
phänomenologisch und ist multilateral dialog- und
verständigungsorientiert;
20. Interkulturelle Religionswissenschaft besitzt bei ihren
Toleranz- bzw. Dialogforderun-gen auch normative Züge;
21. Interkulturelle Religionswissenschaft distanziert sich von
einer zweiwertigen Logik im Bereich der Kulturerscheinungen und ist
keine indifferentistisch operierende Welt-theologie;
22. Interkulturelle Religionswissenschaft fördert die
theoretische und praktische Urteils-kraft sowie die moralische
Kompetenz;
23. Interkulturelle Religionswissenschaft sucht keinen Konsens,
sondern stets den Kompromiß;
-
48
24. Interkulturelle Religionswissenschaft fördert die eigene
religiöse oder kulturelle Überzeugung durch kontrastierende
Interpretation;
25. Interkulturelle Religionswissenschaft intendiert fremde
Kulturen so zu verstehen, wie diese sich selbst verstehen;
26. Interkulturelle Religionswissenschaft analysiert implizite
und kulturell bedingte Denk-weisen und kritisiert Stereotype der
Selbst- und Fremdwahrnehmung;
27. Interkulturelle Religionswissenschaft hält die
Interkulturelle bzw. Interreligiöse Kom-petenz für einen
konstitutiven Bestandteil der Kommunikation;
28. Interkulturelle Religionswissenschaft weist jede Form von
religiösem, alleinseligma-chendem Totalitarismus, der mit
physischer und psychischer Gewalt einhergeht, zu-rück;
29. Interkulturelle Religionswissenschaft distanziert sich von
jeglicher Form von religi-ösem Tendenzjournalismus, der Ängste
schürt und strukturelle Gewalt mitverursacht.
Literaturangabe: Yousefi, Hamid Reza:
Interkulturelle Religionswissenschaft. Struktur
– Gegenstand – Aufgabe, in: Wege
zur Religionswissenschaft.
Eine interkulturelle Orientierung: Aspekte,
Grundprobleme, Ergänzende Perspektiven,
hrsg. v. Hamid Reza Yousefi, Klaus
Fischer, Ina Braun
und Wolfgang Gantke, Nordhausen 2007 (21‐48).
/ColorImageDict > /JPEG2000ColorACSImageDict >
/JPEG2000ColorImageDict > /AntiAliasGrayImages false
/CropGrayImages true /GrayImageMinResolution 300
/GrayImageMinResolutionPolicy /OK /DownsampleGrayImages true
/GrayImageDownsampleType /Bicubic /GrayImageResolution 300
/GrayImageDepth -1 /GrayImageMinDownsampleDepth 2
/GrayImageDownsampleThreshold 1.50000 /EncodeGrayImages true
/GrayImageFilter /DCTEncode /AutoFilterGrayImages true
/GrayImageAutoFilterStrategy /JPEG /GrayACSImageDict >
/GrayImageDict > /JPEG2000GrayACSImageDict >
/JPEG2000GrayImageDict > /AntiAliasMonoImages false
/CropMonoImages true /MonoImageMinResolution 1200
/MonoImageMinResolutionPolicy /OK /DownsampleMonoImages true
/MonoImageDownsampleType /Bicubic /MonoImageResolution 1200
/MonoImageDepth -1 /MonoImageDownsampleThreshold 1.50000
/EncodeMonoImages true /MonoImageFilter /CCITTFaxEncode
/MonoImageDict > /AllowPSXObjects false /CheckCompliance [ /None
] /PDFX1aCheck false /PDFX3Check false /PDFXCompliantPDFOnly false
/PDFXNoTrimBoxError true /PDFXTrimBoxToMediaBoxOffset [ 0.00000
0.00000 0.00000 0.00000 ] /PDFXSetBleedBoxToMediaBox true
/PDFXBleedBoxToTrimBoxOffset [ 0.00000 0.00000 0.00000 0.00000 ]
/PDFXOutputIntentProfile () /PDFXOutputConditionIdentifier ()
/PDFXOutputCondition () /PDFXRegistryName () /PDFXTrapped
/False
/Description > /Namespace [ (Adobe) (Common) (1.0) ]
/OtherNamespaces [ > /FormElements false /GenerateStructure
false /IncludeBookmarks false /IncludeHyperlinks false
/IncludeInteractive false /IncludeLayers false /IncludeProfiles
false /MultimediaHandling /UseObjectSettings /Namespace [ (Adobe)
(CreativeSuite) (2.0) ] /PDFXOutputIntentProfileSelector
/DocumentCMYK /PreserveEditing true /UntaggedCMYKHandling
/LeaveUntagged /UntaggedRGBHandling /UseDocumentProfile
/UseDocumentBleed false >> ]>> setdistillerparams>
setpagedevice