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1 Hausarbeit im Modul A II/1 „Individuum und Weltgesellschaft“ Prof. Dr. Ueli Mäder MSW 7 „Integration“ im Auftrag des Staates: Reflexionen über die Soziale Arbeit im Bereich der Migrationsberatung. Im Rahmen des Masterstudiengangs „Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession“ am MRMA Berlin Vorgelegt von: Katharina Jetzinger Urbanstraße 126, 10967 Berlin [email protected] Matrikel-Nr.: 801509
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\"Integration\" im Auftrag des Staates: Reflexionen über die Soziale Arbeit im Bereich der Migrationsberatung

May 15, 2023

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Page 1: \"Integration\" im Auftrag des Staates: Reflexionen über die Soziale Arbeit im Bereich der Migrationsberatung

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Hausarbeit im Modul A II/1 „Individuum und Weltgesellschaft“

Prof. Dr. Ueli Mäder

MSW 7

„Integration“ im Auftrag des Staates: Reflexionen über die Soziale

Arbeit im Bereich der Migrationsberatung.

Im Rahmen des Masterstudiengangs „Sozialer Arbeit als

Menschenrechtsprofession“ am MRMA Berlin

Vorgelegt von:

Katharina Jetzinger

Urbanstraße 126, 10967 Berlin

[email protected]

Matrikel-Nr.: 801509

Page 2: \"Integration\" im Auftrag des Staates: Reflexionen über die Soziale Arbeit im Bereich der Migrationsberatung

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Inhaltsverzeichnis

#1. Einleitung .................................................................................... 3

2. Ausländerpolitik der 1960er Jahre ................................................... 6

2.1 Übergang vom Abschottungs- zum Integrationsdiskurs ................. 8

2.2 Integration als Kompromiss ....................................................... 8

3. Zuwanderungsgesetz 2005 ............................................................ 9

3.1 Integration als Lösung?! ......................................................... 10

3.2 Antimuslimischer Rassismus .................................................... 11

3.3 Integrationskurse als postkoloniale Pädagogik? .......................... 12

4. Implikationen für Sozialarbeitende im Handlungsfeld Migration ......... 14

5. Rückschlüsse auf Arbeit in der Migrationsberatungsstelle ................. 16

6. Fazit ......................................................................................... 18

Literaturverzeichnis

Internetquellen

Weiterführende Links

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1. Einleitung

„Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus

der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun. Daraus ziehe

ich auf jeden Fall den Schluss, dass wir keine zusätzliche Zuwanderung

aus anderen Kulturkreisen brauchen“ (ONLINE FOCUS: 09.10.2010).

Dieses Zitat Seehofers bringt die Haltung der Integrationspolitik der CSU

klar zum Ausdruck. Unlängst hat die CSU mit ihrer Forderung, dass

Zuwanderer_innen auch daheim in ihren Familien Deutsch sprechen

sollten, für Aufruhr gesorgt (vgl. SPIEGEL ONLINE: 06.12.2014). Nachdem

die Wogen sowohl in der Schwesterpartei CDU als auch in den

Oppositionsparteien hochgingen, mussten sie einen Rückzieher machen.

Obwohl mit dieser hoch provokanten Aussage eher provoziert als ernsthaft

Politik gemacht werden wollte, ist die Intention einer solchen Aussage

eindeutig: Kenntnisse der deutschen Sprache stehen in Deutschland klar

im Zentrum der Integrationspolitik.

Die Debatte rund um die „Integration von Zuwanderer_innen“ gewinnt vor

allem mit der Einführung des „Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung

der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration

von Unionsbürgern und Ausländer“, kurz Zuwanderungsgesetz, welches

mit Januar 2005 in Kraft trat, an Bedeutung. Zentral im Bezug auf die

vorliegende Hausarbeit sind die darin festgehaltenen verpflichtenden

Deutschkurse für „Ausländer“ (§44a AufenthG). Der Aufgabe der

„Integration von Migrant_innen“ wurde hierdurch erstmals ein gesetzlicher

Rahmen gegeben und der Verwaltungsapparat rund um das Thema

Migration und Integration im Zuständigkeitsbereich des Bundesamts für

Flüchtlinge und Migration, kurz BAMF, angesiedelt (vgl. Bundeszentrale für

politische Bildung 2005: 4). Bezeichnend ist auch, dass der Bereich der

Sprachförderung, der vor der Einführung des Zuwanderungsgesetzes 2005

in der Verantwortung der Bundesagentur für Arbeit, also im

Sozialgesetzbuch III lag, in das Ressort der Ausländerbehörde wechselte.

Diese Veränderungen hatten weitreichende Auswirkungen auf die Soziale

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Arbeit im Handlungsfeld Migration, da mit Inkrafttreten des Gesetzes 2005

die bis dahin übliche Migrationsberatung, die von Freiwilligkeit der

Inanspruchnahme – unabhängig von der Dauer des Aufenthalts – und

Lebensweltorientierung der Ratsuchenden geprägt war, gravierende

Änderungen erfuhr (vgl. Wieser-Rau 2012). Die ab diesem Zeitpunkt vom

BAMF geschaffene Neukonzeptionierung der „Migrationsberatung für

erwachsene Zuwanderer“ wird seitdem als Begleitmaßnahme zum

Spracherwerb gehandhabt, mit dem Hauptziel der Integrationsförderung

(ebd.). Dies lässt sich den Zielsetzungen der „Förderrichtlinien zur

Durchführung einer Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer

(MBE)“ entnehmen: „Die MBE soll den Integrationsprozess erwachsener

Zuwanderer gezielt initiieren, steuern und begleiten“ und dabei dazu

beitragen, „die Abhängigkeit der Zuwanderer von sozialen

Transferleistungen auf ein notwendiges Maß zu beschränken“ (Bundesamt

für Migration und Flüchtlinge 2010: 2). Neben der ‚integrationsfördernden’

Wirkung soll die MBE dabei also auch dahingehend wirken, den Bezug von

Sozialleistungen zu verringern.

Als Mitarbeiterin einer vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

finanzierten Migrationsberatungsstelle ist man unweigerlich mit der

Reflexion der eigenen Position im herrschenden Integrationsdiskurs

konfrontiert. Dies wird durch die bis in die 1980er Jahre währende

Verortung der AWO als ein dem paternalistischen,

sozialgemeinschaftlichem Integrationskonzept zugehöriger Träger umso

wichtiger (vgl. Lanz 2009: 108). Lanz sieht in diesem Konzept – und auch

im von der CDU vertretenen Konzept der „deutschen Leitkultur“ (Lanz

2008: 108) – ein Fortbestehen kolonialer Denkweisen, wo es darum geht,

den fremden Anderen zu erziehen (ebd.: 108). Generell stellt Lanz in

seinem Artikel eine für Berlin zutreffende Analyse dar, welche in Abkehr

vom differenziellen, paternalistischen Konzept der 1980er Jahre nun an

einer Mischung des wertegemeinschaftlichen Integrationskonzepts (Strang

des Differenzdiskurses) mit einem liberal-pluralistischen Konzept (Strang

des Diversitätsdiskurses) festhält (Lanz 2009: 109), welches an

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ökonomischen Potenzialen von Migrant_innen knüpft (ebd.: 110). Die

„diskursive Brücke“ (Lanz 2009: 111) sieht er im allen Konzepten

innehabenden Modell des „aktivierenden Sozialstaats, der Welfare durch

Workfare ersetzt“ (Lanz 2009: 111). Die eigene Position herauszuarbeiten

liegt im Interesse der Arbeit.

Ein weiteres Ziel vorliegender Arbeit ist es, die hinter dem aktuell

geführten deutschen Integrationsdiskurs liegenden Auffassungen,

Argumentationsmuster und „Integrationsprogramme“ herauszuarbeiten

und diese im Lichte einer kritischen Perspektive auf den

Integrationsdiskurs zu hinterfragen. Dabei wird der Versuch unternommen,

koloniale Kontexte deutscher Integrationspolitik (mitsamt den daraus

entstandenen Integrationsprogrammen) im Zusammenhang mit dem

Arbeitsauftrag und der Funktion der Migrationsberatungsstellen zu

erörtern. Die Hausarbeit kann daher im Feld der kritischen

Migrationsforschung verortet werden, wo „die Kritik an den bestehenden

Argumentationsmustern des Integrationsdiskurses im Vordergrund

[stehen]“ (Kiepenheuer-Drechsler 2013: 85). Kiepenheuer-Drechsler

macht somit den Zusammenhang zwischen kritischer Migrationsforschung

und Integration gut deutlich. Mit Verweis auf Binder, Moser, Hess erörtert

die Autorin die Kritik am Integrationsbegriff durch die Brille der kritischen

Migrationsforschung. Gerahmt durch die Perspektive dieser Theorie soll

„Integration“ daher „als ein politisches Herrschaftsinstrument

dekonstruiert werden“ (Kiepenheuer-Drechsler 2013: 85).

Zum Aufbau der Arbeit ist zu sagen, dass das Folgekapitel von der

Geschichte der so genannten „Ausländerpolitik“ der 60er Jahre bis zum

„Paradigmenwechsel 2005“ handelt und den politischen Diskurswandel

von Abschottung hin zu Integration andeutet. Kapitel 3 thematisiert den

durch das Zuwanderungsgesetz 2005 stark gewordenen

Integrationsdiskurs. Dabei werden die Funktionen und Maßnahmen der auf

die „Integration“ von Migrant_innen ausgerichteten Politik wie

antimuslimischer Rassismus und Integrationskurse erörtert. Darauf

folgend werden viertens die Implikationen der Debatte rund um

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„Integration“ für Sozialarbeitende herausgearbeitet. Im Kapitel 5 stelle ich

die erlangten Erkenntnisse in den Zusammenhang mit der Arbeit in der

Migrationsberatungsstelle in Berlin/Neukölln. Mit dem Fazit schließt die

Hausarbeit.

Eine Hinwendung zu diesem Thema wird durch die Einschätzung des

Migrationsforschers Ha besonders augenscheinlich. Denn die

Beschaffenheit und Durchführung deutscher Integrationspolitik zu

untersuchen ist nach derzeitigem Stand der Forschung noch nicht

ausreichend behandelt worden (vgl. Ha; Schmitz 2006: 227).

2. Ausländerpolitik der 1960er Jahre

Der zeitliche Rahmen vorliegender Arbeit muss aufgrund der formalen

Vorgaben begrenzt werden. Daher wird der für diese Arbeit relevante

Zeitraum mit dem Beginn der 1960er Jahren bis hin zum Inkrafttreten des

Zuwanderungsgesetzes 2005 festgemacht. War in den 60er Jahren die

Rede von „Ausländern“ und die gesetzliche Verankerung aller damit

zusammenhängenden Regelungen im sog. „Ausländerrecht“, so zeigt

schon allein die Bezeichnung des 2005 eingeführten

„Zuwanderungsgesetzes“ einen bedeutenden Paradigmenwechsel an

(Bundeszentrale für politische Bildung 2005: 3). Die Entstehung des

Diskurses um Integration kann in diesen Zeitraum eingebettet werden.

So verortet Bojadžijev die Beschaffenheit und die Beharrlichkeit von

Integrationsforderungen der heutigen Zeit in den Entrechtungspraktiken

von Migrant_innen in den 1960er und 1970er Jahren, zu dessen

Höhepunkt sie den „Anwerbestopp 1973“ zählt (Bojadžijev 2006: 3). Und

dies, obwohl von 1960 bis zum Anwerbestopp 1973 kaum die Rede von

„Integration“ war (vgl. Castro Varela 2005: 155).

Das Konstrukt und die Idee der ‚Gastarbeiter_innen’ waren ab 1973 passé.

Vielmehr bestimmte ab dem Zeitpunkt eine bewusste Abschottungspolitik

das Handeln der Politik. Das Ereignis des Anwerbestopps mitsamt seinen

sozialen, wirtschaftlichen und aufenthaltsrechtlichen Folgen für

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Migrant_innen bedingte die Entstehung der damals neuen Kategorie des

„Ausländers“ (vgl. Bojadžijev 2006: 3). Weitere Kategorien wie

„Unionsbürger_in“, Flüchtling oder „Illegale_r“ etablierten sich (vgl.

Bojadžijev 2006: 4). Diese Ausgrenzungs- und Stigmatisierungspraxen

bewirkten neben allen negativen Effekten wie Ausschluss, Abschottung,

Repression aber auch ein neues Aufkommen der „Kämpfe der

Migration“ (Bojadžijev 2006: 4). Denn einhergehend mit der

Einwanderung und dem Aufkommen von sozialen Debatten war ein

Einfluss auf das herrschende politische System durch die Migrant_innen

und deren Migration festzustellen (ebd.: 4). Nun hatten Migrant_innen

neben ihren ohnehin schwierigeren Lebensbedingungen auch noch um

ihren Aufenthalt in Deutschland zu kämpfen. Aus dem Blickfeld der

zunehmenden Entrechtung war die Tatsache der Notwendigkeit der

migrantischen Arbeitskraft besonders zynisch, denn „die migrantischen

ArbeiterInnen waren de facto qua Prekarisierung zu einem festen

Bestandteil des Arbeitsmarktes geworden“ (Bojadžijev 2006: 4). Zum

einen wurden billige Arbeitskräfte weiterhin gebraucht, bei gleichzeitigem

Festhalten an einem befristeten Aufenthalt. Diese (damals) neue

Verschränkung von „Inrechtsetzung und Entrechtung regulierte eine neu

konstituierte, ethnisierte Klasse“ (Bojadžijev 2006: 4). Um diese

Personengruppe zu kontrollieren, wurden repressive

Integrationsforderungen eingeführt.

Eine andere Perspektive wird von Foroutan aufgemacht. Sie konstatiert

eine verspielte Chance seitens der Politik der Wiedervereinigung, im

geeinten Deutschland ein Deutschland für alle Bürger_innen zu sehen (vgl.

Foroutan 2012: 115) und sah in der Trennung der 60er Jahre eine

bedeutende Grundvoraussetzung für die defizitorientierte

Integrationspolitik der folgenden Jahre: „Integration als Anpassung an die

sog. ‚Leitkultur’, die nicht von ‚den Neuen’ mitbestimmt werden

darf“ (Foroutan 2012: 115). Sie kommt zum Schluss: „Die Konstruktion

einer homogenen, deutschen Gesellschaft hatte hier einen starken

diskursiven Ursprung (...)“ (Foroutan 2012: 115).

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2.1 Übergang vom Abschottungs- zum Integrationsdiskurs Die heutige Integrationspolitik mitsamt ihren Darlegungen, Erläuterungen

und Forderungen, wie die „Integration“ von Migrant_innen gelingen kann,

ist somit klar in Verbindung mit den vorhin beschriebenen Ereignissen zu

betrachten. Auf die Entrechtungspraktiken der 60er und 70er, auf welche

die von Negativzuschreibungen gebrandmarkten

„Gastarbeiter_innen“ damals mit Streik, Lohnforderungen und

Bleiberechtskämpfen reagierten folgte der „Aufnahmestopp 1973“ und die

damit einhergehende Abschottungspolitik. Aufbauend auf diese Kämpfe

der Migrant_innen der 70er und 80er Jahre folgte eine Zeitspanne, die von

Restriktionen und rassistischen Vorfällen gekennzeichnet war und

schließlich im „Asylkompromiss von 1993“ gipfelte.

2.2 Integration als Kompromiss Die „Integration“ von Migrant_innen stellte also den politischen

Kompromiss dar, einerseits die für die Ökonomie des Staates

unverzichtbaren Migrant_innen zu behalten und andererseits auf die

nationalistischen Stimmen einzugehen, die einen möglichst homogenen

Staat beibehalten wollten. In den 1970er Jahren wird Integration immer

mehr zum Imperativ, wobei die Rückkehr in das sog. Heimatland ständig

eine präferierte Option seitens der Mehrheitsbevölkerung war (Bojadžijev

2006: 6). Die Autorin kommt in ihrem Artikel zu dem Schluss, dass der

Integrationsimperativ als Folge der Widerstände und Kämpfe der

Migrant_innen gesehen werden kann. Von den Migrant_innen scheint eine

große politische und soziale Angst auszugehen, auf die nicht selten mit

dem Dualismus „Integration“ oder „Ausschluss“ geantwortet wird. Das

Zuwanderungsgesetz ist – ihren Ausführungen folgernd – geprägt von den

zwei Imperativen „integrieren“ oder „ausreisen“ (ebd.). Beachtlich dabei

ist, dass Forderungen seitens der Migrant_innen, wie bspw. der Einschluss

ihrer Kinder in das Schulsystem zu mehr Integrationsanforderungen im

Gegenzug führen. Dann ist plötzlich nicht mehr die Rede von Recht auf

Bildung, sondern von der Plicht einer sprachlichen und kulturellen

Integration, um die Bemühungen für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht

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unter Beweis zu stellen (vgl. Bojadžijev 2006: 7). Die Autorin stellt fest,

dass die Anordnung der Integration den kollektiven Ansprüchen entgegen

steht und in individuelle Anpassungsleistungen der Migrant_innen

verwandelt. Schlussendlich hat die Fortschreibung des seit den 1970er

Jahren staatlich geführten Integrationsdispositivs dazu geführt, dass die

Kämpfe der Migrant_innen vor den 70er Jahren in Vergessenheit geraten

sind und die Selbstverständlichkeit von politischer und gesellschaftlicher

Teilhabe Aller verwischte.

3. Zuwanderungsgesetz 2005

Wie bereits in der Einleitung angedeutet, ist ein Wandel im Diskurs über

„Integration“ mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes 2000 und

der Einführung des Zuwanderungsgesetzes 2005 festzustellen. Das

Ausländergesetz von 1965 hieß von nun an Zuwanderungsgesetz (vgl.

Tsianos 2014: 62). Foroutan konstatiert, dass die Reform des deutschen

Staatsbürgerschaftsrechtes Erleichterungen des Erhalts der dt.

Staatsbürgerschaft nach sich zog (Foroutan 2012: 116). Die Tatsache der

vielen Neueinbürgerungen zog einerseits die Folge nach sich, dass

Deutschland mehr als Einwanderungsland begriffen wurde, gleichzeitig

wurde klar gemacht, dass allein der Besitz eines deutschen Passes nicht

automatisch den Zugang zur deutschen Identität mit sich bringt (ebd.).

Die Integrationsfähigkeit bzw. der Wille dafür muss erstmals von den

Menschen bewiesen werden, anstatt diese automatisch anzunehmen. Sie

kommt zu einem eher pessimistischen Schluss, indem sie darstellt:

„Solange wir unsere Integrationsdiskurse weiter unter der Prämisse führen,

welche Vorleistungen von Migrantinnen und Migranten erbracht werden

müssen, damit die deutsche Gesellschaft sich für Vielfalt öffnet,

kaschieren wir das Kernproblem unserer mangelnden Bereitschaft zur

Gemeinschaft: die exklusive Sichtweise auf die eine deutsche Gesellschaft,

die homogen vorstrukturiert ist“ (Foroutan 2012: 123).

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3.1 „Integration“ als Lösung?! Bereits unmittelbar nach dem Ende der Ära der Gastarbeiter_innen, ist

seit den 1970er Jahren zum ersten Mal verstärkt von „Integration“ die

Rede (vgl. Bojadžijev 2006: 5). So ungern der Integrationsbegriff im vor

1973 gehört wurde, da die „Integration“ von Gastarbeiter_innen als

Gefahr für den Staat wahrgenommen wurde, so sehr war nun plötzlich die

Rede von Integration. Nach und nach wuchs die Einsicht, dass die Leute

bleiben (vgl. Castro Varela 2005: 156).

Dabei sind die Funktionen und Maßnahmen der auf die „Integration von

Migrant_innen“ ausgerichteten Politik von wesentlicher Bedeutung. So

auch im Bereich der Stadtpolitik, wo das kursierende Bild des

„Ausländerghettos“ (Bojadžijev 2006: 5) herrschte, indem sich soziale

Probleme ballen würden und für einen großen Teil der Bevölkerung eine

Bedrohung darstelle. Um diesem „Migrationsproblem“ erfolgreich

entgegenzuwirken, galt die „Integrationspolitik“ mitsamt ihren

Forderungen und Auflagen als Patentrezept (ebd.), wobei dem Ziel der

sozialen Kontrolle große Wichtigkeit beigemessen wurde. Als eine der

Folgen nahm ab 1972 ein über die verschiedenen Ressorts reichendes

Team der Stadt Berlin ihre Arbeit auf. Hauptaufgabe war die Erarbeitung

eines ausländerpolitischen Modells namens „Eingliederung der

ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien“ (Bojadžijev 2006: 5).

Vorgesehen war u. A. die Arbeitsmarktvorrangprüfung, welche deutsche

Arbeitnehmer_innen im Vergleich zu nicht-deutschen Arbeiter_innen klar

begünstigt. Mit dem Zusatz, dass ausländische Arbeiter_innen nur unter

„Erhaltung (...) der allgemeinen Sicherheit und Ordnung“ (Bojadžijev

2006: 5) eingestellt werden, kommt der für diesen Diskurs so

bezeichnende Generalverdacht zur Geltung. Der öffentliche Diskurs um

das Thema Integration war geprägt von Positionen wie Ausbau von

integrationsfördernden Maßnahmen und Parolen wie „Eingliederung ja“,

und „Einwanderung nein“. Der nach langer Diskussion herrschende

Konsens war „Eingliederung auf Zeit“, was die Befristung des Aufenthalts

deutlich macht und die Rückkehr als klare Option erscheinen ließ (ebd.).

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Einen Wandel im öffentlichen Diskurs konstatiert auch Deimann mit

Beginn der Jahrtausendwende, seitdem Deutschland sich wieder verstärkt

als Einwanderungsland begreift. Statt „Ausländer raus“ war nun die Rede

von „Integration“ (Deimann 2012: 36).

3.2 Antimuslimischer Rassismus Prinzipiell ist der Integrationsdiskurs durch das Zusammenwirken zweier

Maximen getragen: Der Forderung nach kultureller Integration einerseits

und dem Anspruch nach ökonomischer und sozialer Teilhabe andererseits

(vgl. Karakayali 2009: 99). Der Migrationsforscher schließt daraus, dass in

den Debatten des aktuellen Integrationsdiskurses weder Armut, noch

Migration per se das Problem darstellen (ebd.). Auch gehe es nicht um

Migrant_innen im Generellen, sondern um spezifische Gruppen, wie dies

anhand des Ehegattennachzugs (ab 18 J.), Spracherwerb im Heimatland,

Kampf gegen Scheinehen 1 , etc. ersichtlich wird. Dies lässt die

Schlussfolgerung zu, dass es sich vermutlich vor allem um Migrant_innen

aus muslimischen Ländern handelt. Die Zielgruppe kann jedoch bei Bedarf

und je nach Lage andere Religionsgruppen treffen (ebd.). Er bezieht sich

an dieser Stelle auf den von Michael Hechter (1975) geprägten Begriffs

des „inneren Kolonialismus“ (Karakayali 2009: 99) und meint damit „die

Herausbildung einer neuen Form der Verschmelzung von Ethnizität und

Klassenpositionierung“ (Karakayali 2009: 100). Das Neue daran ist nach

ihm die Tatsache, dass die „Ethnifizierung von sozioökonomischen

Unterschieden seine Vorgeschichte in der Herausbildung des industriellen

Proletariats hat“ (Karakayali 2009: 100). Der Migrationsforscher spricht

damit den Klassenrassismus an, der in Deutschland weit verbreitet ist.

Vergleicht man die in der Mitte des 19. Jahrhunderts europaweit gängigen

Zuschreibungen der als arm geltenden Arbeiter als gefährlich, kriminell,

körperlich krank und daher ansteckend, voll mit Laster wie Alkohol- und

Drogensucht und sexuelle Freizügigkeit, so sind erschreckende Parallelen

zu heutigen rassistischen Diskursen festzustellen. Interessanterweise

########################################################1 Dazu auch Prasad, Nivedita (2010): Gewalt gegen Migrantinnen und deren Instrumentalisierung am Beispiel des Umgangs mit dem Thema „Zwangsverheiratung“.

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haben sich die Arbeiter_innen von damals im Laufe des 19. Jahrhunderts

den Anschluss an die Bürger_innen erkämpfen können und galten in der

Folge als ungefährlich (ebd.). Diese Geschichte zeigt in eindrücklicher

Weise die „Wandelbarkeit“ des Rassismus von biologistischen

Differenzzuschreibungen hin zu scheinbar sozialen, verhaltensspezifischen

Unterschiedlichkeiten, die wiederum Minderwertigkeit und Ablehnung

rechtfertigen (vgl. Karakayali 2009: 101). Gefährlich sind heutzutage

nicht mehr die Arbeiter_innen an sich, sondern die

„ausländischen“ Arbeiter_innen. So hat sich der aktuell geführte Diskurs

auf vermeintliche Betrüger_innen des Sozialsystems und Nicht-Konforme

mit scheinbar „falscher“ Lebensführung eingefahren. Rassismus kann sich

anhand dieser Einstellungen als ein „Aufstand der Tüchtigen“ verstecken

(Karakayali 2009: 101). Aufgrund dessen beziehen sich die Kämpfe der

Migrant_innen heute nicht mehr „nur“ auf soziale und politische Teilhabe,

sondern haben sich um den Kampf um Mitbestimmung und

Gleichbehandlung in Verwaltungs- bis hin zu Erziehungsangelegenheiten

erweitert (ebd.). Der Migrationsforscher Karakayali sieht daher die Kämpfe

der Migrant_innen nicht als abgeschlossen, sondern im Gegenteil, dass

sich durch diese Verschiebung neue, anders gelagerte Kämpfe der

Migration ergeben (vgl. Karakayali 2009: 102).

3.3 Integrationskurse als postkoloniale Pädagogik? Die seit 01.01.2005 gemäß §§43 ff AufenthG ein- und durchgeführten

„Integrationskurse“ werden seitens der Politik als wesentliches Instrument

der Integrationsförderung angepriesen und als eine „der zentralen

Integrationsmaßnahmen des Bundes“ gehandhabt (Die Beauftragte der

Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2014: 70). Die

Teilnahme an den Kursen, die je nach Aufenthaltsstatus und

Herkunftsland auf freiwilliger bzw. unfreiwilliger Basis beruhen, wird im

aktuell vorliegenden Migrationsbericht unkritisch präsentiert. So stellt die

Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration dar, dass die

Zahl an freiwillig Teilnehmenden im Jahre 2013 bei 61,3 % lag (ebd.: 57).

Das heißt im Umkehrschluss, dass 38,7 % von den Teilnehmer_innen zu

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den Kursen verpflichtet werden – ob sie nun wollen oder nicht. Für Lanz

liegt die Vermutung nahe, dass Migrant_innen in zwei Gruppen eingeteilt

werden: Jene aus einem „westlich“ konstruierten Land und die „restlichen,

nicht westlichen“, die vorrangig als dem Islam zugehörig imaginiert

werden (vgl. Lanz 2009: 106). Lanz verwendet dafür die Bezeichnung des

„differentiellen Integrationsdiskurses“ (ebd.) im Vergleich zum

diversitären Diskurs (Lanz 2009: 109).

Eine kritische Auseinandersetzung dazu findet sich auch bei denselben

Herausgeber_innen im Kapitel von Ha, der die Bezeichnung der

Integrationskurse als „nationalkulturelle Pädagogik“ einführt (Ha 2009:

66). Er legt dar, dass die Verpflichtung zu den Integrationskursen auf der

Überzeugung der „deutschen Leitkultur“ basiert und universell politische

gültige Werte mit „westlich“ gleichgestellt werden (ebd.). Dabei steht

seiner Argumentation folgend die Disziplinierung anstatt politischer und

gesellschaftlicher Teilhabe an vorderster Stelle (vgl. Ha 2007: 123).

Es ist unumstritten, dass dem Erwerb der deutschen Sprache eine

wesentliche Bedeutung im gelingenden Zusammenleben zwischen der sog.

„Aufnahmegesellschaft“ und den Zugewanderten zukommt. Mittels der

Integrationskurse und deren erfolgreichen Abschlüssen erhofft sich die

Regierung durch Übertragung der Zuständigkeit an das Bundesamt, die

Migant_innen und deren Integrationsfähigkeiten zu kontrollieren und zeigt

etwaigen „Integrationsverweigerern“ die negativen Konsequenzen deren

Verhalten auf. Als Konsequenz der Nichterfüllung des Integrationskurses

zählen die Verweigerung der Staatsbürgerschaft, Kürzung der

Sozialleistungen bzw. aufenthaltsrechtliche Nachteile (§§8, Abs. 3 und 44a,

Abs. 3 AufenthG.). Dies führt zu einer Vermischung von

Integrationsmaßnahmen und Strafrecht und trägt zu einer weiteren

Prekarisierung und Diskriminierung von Migrant_innen bei (vgl. Ha 2007:

119). Folgerichtig kann daraus geschlossen werden, dass die

Integrationskurse ein wesentliches Instrument der

„Integrationskontrolle“ darstellen. Dabei ist die Überzeugung, dass eine

gelungene „soziale Integration“ auf der Teilnahme an Integrationskursen

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basiert, bezeichnend für die Fortsetzung homogener

Gesellschaftsvorstellungen (vgl. Deimann 2012: 94).

In meiner Beratungsstelle stellen derzeit Migrant_innen aus

südeuropäischen Staaten, aber auch als Süd- und Lateinamerika den

Mehrheitsanteil an Ratsuchenden. Diese Gruppe ist mehrheitlich dem

„westlichen Wertebild“ zuzuordnen und absolviert den Deutschkurs meist

auf freiwilliger Basis.

4. Implikationen für Sozialarbeitende im Handlungsfeld Migration

Der auf postkoloniale Entwicklungen basierende Umgang mit dem Thema

„Integration“ und dessen Programme und Initiativen wirkt sich ohne

Zweifel auf den gegenwärtig geführten Diskurs über „Integration“ aus (vgl.

Ha; Schmitz 2006: 232). An anderer Stelle argumentiert Ha, dass der

aktuell gefahrene Integrationsdiskurs für gegebene Tatsachen wie

Rassismus und institutionell verankerte Diskriminierung blind zu sein

scheint (vgl. Ha 2007: 117).

Scheinbar integrationsfördernde, „gut gemeinte“ Integrationsangebote

und –Maßnahmen wie Integrationskurse sind immer in Verbindung mit

eurozentristischen Denkweisen und rassistisch geprägten Merkmalen der

Kolonialisierung zu begreifen. Genau so sind auch repressive Anteile der

Integrationsangebote zu berücksichtigen, wenn man den Anspruch hat,

diese „verordnete Nationalisierung als diskriminatorische Praxis der

migrantischen Verobjektivierung und kolonialanalogen

Pädagogisierung“ zu erfassen (Ha 2007: 118). Die Integrationsvorgaben

des Staates verhindern politische Selbstbestimmung von Migrant_innen

und macht sie zu willenlosen Objekten nationalstaatlicher Interessen

(ebd.).

Folgerichtig fragt sich Ha, was mit der sog. „Integration“ tatsächlich

gemeint ist. Diesbezüglich führt er aus: „In der politischen Diskussion wird

er [der Begriff der Integration - KNH] meist als Assimilation verstanden,

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das heißt, als Aufgabe der eigenen kulturellen und sprachlichen Herkünfte

und im Sinne einer totalen Anpassung an die deutsche Gesellschaft“ (Ha

2007: 118). Dieser Meinung hat sich auch der Ministerpräsident Stoiber

angehängt, indem er festhielt, dass durch die Verpflichtung zum

Integrationskurs die Gesellschaft zusammen gehalten werden könne, nach

dem Motto „ohne gemeinsame Sprache keine Nation“ (Ha 2007: 118).

Solange diese Stimmung weiter existiert und versucht wird, mittels

„integrationsfördernden“ Mitteln die Denk- und Lebensweise der

Migrant_innen zu fördern, kann die Integrationspolitik als ein Projekt mit

nationalisierenden und homogenisierenden Zügen verstanden werden

(ebd.).

An dieser Stelle sei auch auf Tsianos verwiesen, der in seinem Artikel zum

Thema „Homonationalismus“ festhält, dass unter dem Konzept der

Integration weniger die politische Teilhabe angestrebt wird, als viel mehr

der Versuch der Homogenisierung und Normalisierung der migrantischen

Bevölkerung (vgl. Tsianos 2014: 61). Dabei waren der Integrationsgipfel

und die Islamkonferenz 2006 bedeutende Ereignisse und zentral für das

Verständnis von „Integrationspolitik“ – früher „Migrationspolitik“ (vgl.

Tsianos 2014: 62).

Die aktuell geführte Integrationsdebatte und –Politik mit ihren

Normalisierungs- und Kontrollpraktiken lässt erahnen, dass Migrant_innen

mit einem Defizitblick begutachtet und dementsprechend behandelt

werden (Ha 2007: 122). Dies wiederum rührt aus einer vorangehenden

unterstellten Verschiedenheit, einer nicht zu durchbrechenden

Andersartigkeit zwischen dem „westlichen ‚Wir’ und dem kategorischen

Anderen“ (Ha 2007: 122). Diese „Anderen“ mitsamt ihren Werte und

Normen werden dadurch in Gegensatz zu den Regeln und Traditionen der

Bundesrepublik positioniert (ebd.). Diese Prozesse ziehen mitunter

Tendenzen zur Aberkennung politischer Teilhaberechte und

Selbstbestimmung nach sich (vgl. Ha 2007: 123). Dies wird besonders

klar, wenn man sich die Inhalte des Orientierungskurses näher anschaut:

Hier werden den Migrant_innen die Prinzipien eines demokratischen

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Staates, Rechtsstaatlichkeit, die „deutsche Pünktlichkeit“, Meinungs- und

Religionsfreiheit beigebracht 2 . Dabei hält eine Arbeitsgruppe zum

Nationalen Integrationsplan von 2007 in ihrem Gutachten fest, dass

zwischen der erfolgreichen Absolvierung des Orientierungskurses und der

Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ein eindeutiger Zusammenhang

besteht (vgl. Bundesministerium des Innern 2007: 8). Weiters wird

mittels des Gutachtens auf die noch nicht zufriedenstellende,

sozialpädagogische Begleitung der Teilnehmer_innen der

Integrationskurse hingewiesen und dabei die Wichtigkeit der

Migrationsberatungsstellen als ergänzendes Angebot unterstrichen (ebd.).

Die MBE und JMD werden zum „Grundpfeiler der neuen Integrationspolitik

des Bundes“ ernannt (Bundesministerium des Innern 2007: 13).

Dies unterstellt den Migrant_innen, dass sie all diese Prinzipien und

Systeme nicht kennen würden, warum sonst hat ein Mensch Bedarf an

Bildung und Aufklärung. Einige Szenen aus dem Film erscheinen skurril, so

etwa wenn der Lehrer zu den Schüler_innen meint, dass sie jetzt doch mal

„Party spielen“ sollten. Dabei kommt bei den Zuschauer_innen das Gefühl

der Infantilisierung der Kursteilnehmer_innen auf. Im aktuellen

Integrationsdiskurs in Deutschland scheint es um die

„Defizitkompensation“ (Ha 2007: 124) zu gehen. Diese Kompensation

sieht die Politik Ha zufolge in der Werterziehung des „postkolonialen

Anderen“ (Ha 2007: 124) erreicht. Abschließend hält er fest, dass mit dem

aktuellen Integrationsdiskurs die Gefahr einer Reproduktion

eurozentristischen Denkens besteht: Der Lehrplan der Integrationskurse

(§10 Abs. 2 IntV) hält die deutsche Kultur als „Leitkultur“ fest (ebd.). Die

große Gefahr dieser Fixierung auf die Sprache sieht Ha abschließend darin,

Rassismus als Folge von fehlenden Deutschkenntnissen der Migrant_innen

zu erklären und somit zu bagatellisieren (vgl. Ha 2007: 126).

5. Rückschlüsse auf Arbeit in der Migrationsberatungsstelle ########################################################2 Siehe dazu den Film: “Werden Sie Deutscher” von Britt Beyer, Erscheinungsjahr 2011.

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Karakayali sieht in dem durch die Bundesregierung 2007 eingeführten

Nationalen Integrationsplan den Versuch, die „bestehende heterogene

migrationspolitische Praxis unter neue Vorzeichen [zu stellen] und

strategisch [zu bündeln]“ (Karakayali 2009: 96). Der Integrationsbegriff

wird darin funktionalisiert, was er u. A. durch die Umbenennung des

früheren Amts der Ausländerbeauftragten in den – wie er nun heißt –

Integrationsbeauftragten skizziert (Karakayali 2009: 97). Unter dem

Deckmantel der „Integration“ scheinen sich viele Akteure – angefangen

von Institutionen wie Migrationsberatungsstellen (MBE),

Ausländerbehörden, Kulturförderungseinrichtungen, Innenministerium bis

hin zum Auswärtigen Amt – wiederzufinden. Die Hintergründe und Ziele

der Einzelnen sind gewiss Verschiedene, dennoch zielen sie

programmatisch auf die „Integrationsförderung“ ab. Karakayali schreibt

dem Integrationsbegriff daher eine „Kohäsionsfunktion“ zu (Karakayali

2009: 97). So trennt sich der Begriff zwar vom sog. „Ausländer“ der 60er

und 70er Jahre mitsamt den daraus folgenden Negativkonnotationen,

schließt jedoch mit den Vorstellungen einer multikulturellen Vorstellung ab

(ebd.). Vor diesem Hintergrund erscheint eine Reflexion der eigenen

Position als Sozialarbeiterin in einer MBE unerlässlich. Als Mitarbeiterin

einer vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge finanzierten und

konzeptionierten Migrationsberatungsstelle ist es die Pflicht, auf die

Notwendigkeit eines Paradigmenwandels in der Integrationspolitik

Deutschlands hinzuweisen und sich vehement dafür einzusetzen. Dazu

gehört es auch, die Integrationskurse als Mittel der Integrationskontrolle

anzusehen und die somit staatlich geförderte „Infantilisierung“ der

Migrant_innen an den Pranger zu stellen.

Abschließend scheint es erwähnenswert, dass man sich im Klaren darüber

sein muss, ob und inwiefern man staatlicher Integrationskontrolle und

Migrationsmanagement zuspielt. Wenn wie bspw. im Nationalen

Integrationsplan von 2007 die Rede von „integrationsbedürftige[n]

Zuwanderer[n]“ ist, die insbesondere von den Mitarbeiter_innen der

Migrationsberatungsstellen „frühzeitig an die Integrationskurse

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heranzuführen [sind]“ (Nationaler Integrationsplan 2007: 44), so

widersetze ich mich in meiner täglichen Praxis unter Berufung auf das

Mandat der Sozialen Arbeit und des Berufskodexes der Profession

entschieden und bewusst gegen diese Aufforderung. Somit bleibt mein

Selbstverständnis als Sozialarbeiterin im spannungsreichen Verhältnis

zwischen dem Auftrag nach „Integrationsförderung- und

Kontrolle“ einerseits bzw. anwaltschaftlicher Positionierung andererseits

gewahrt. Die Beratung orientiert sich dabei stets an den Bedürfnissen der

Ratsuchenden und die Bestärkung und Befähigung der Klient_innen in der

Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten sehe ich als zentrale

Anforderung an meine Arbeit.

6. Fazit

Durch die Auseinandersetzung mit dieser Thematik ergeben sich folgende

Schlussbemerkungen.

Je stärker der Ruf nach „Integration“, desto mehr erfordert dies eine

(Wieder-)Aufnahme der Kämpfe der Migrant_innen, welche die

Vorstellungen einer homogenen Gesellschaft durchbricht und der Tatsache

der Migration zu mehr Selbstverständlichkeit verhilft (vgl. Bojadžijev

2006: 7). Es geht nicht darum, durch Durchlauf der

Integrationsvorschriften zum_zur Bürger_in zu werden, sondern bereits

als Bürger_in zu migrieren (vgl. Bojadžijev 2006: 8). Sie plädiert dafür,

die Asymmetrien, die der Imperativ der Integration mit sich bringt, ins

Zentrum der Analyse und Reflexion zu stellen

Damit die Soziale Arbeit ihrem Auftrag als Profession mit Triplemandat

gerecht wird, darf und muss sie gesellschaftliche Probleme aus

menschenrechtlicher Perspektive durchdenken und kann sich somit von

legalen, jedoch illegitimen Aufträgen unter Berufung auf die

Menschenrechte und den Berufskodex kritisch distanzieren. Außerdem ist

sie in der Pflicht, politischen Druck auszuüben und Kritik zu äußern, wenn

dies nötig erscheint (vgl. Staub-Bernasconi 2007: 200f.).

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Druck ist dabei insbesondere auf die derzeit bestehende Koppelung

existenzsichernder Leistungen mit der Teilnahme an Sprachkursen

auszuüben. Dass Leistungen zur Sicherung der Existenz (bspw.

Arbeitslosgengeld II) an Bedingungen wie Kursteilnahme oder gar an

einen positiven Abschluss des Kurses geknüpft sind, ist ein konzeptioneller

und sozialpolitischer Fehler. Eine Verpflichtung zur Teilnahme am

Integrationskurs widerspricht dem Migrationsforscher Ha zufolge dem

verfassungsmäßig verankerten Recht auf „freie Entfaltung seiner

Persönlichkeit“ (Art. 2 GG). Diese Aussage traf er bei einer

Podiumsdiskussion am 14.01.2015 an der Alice Salomon Hochschule in

Berlin zum Thema: „Ist Integration nötig?“. Er betont dabei zwar die

Wichtigkeit des Ausbaus der Kurse generell, denn in der Tat wird das

Kursangebot stark nachgefragt, jedoch nicht auf Basis des derzeitigen

Konzepts. Die Wichtigkeit einer freiwilligen Teilnahme scheint ihm und den

restlichen anwesenden Podiumskolleg_innen äußerst relevant (Mitschrift

Podiumsveranstaltung vom 14.01.15 von Jetzinger).

Wie durch die Hausarbeit ausgeführt werden konnte, ist einer sich im

Bereich „Integration“ kritisch verordnenden Sozialen Arbeit daher große

Wichtigkeit beizumessen.

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Weiterführende Links

ak – zeitung für linke debatte und praxis vom 18.08.2006: Das Recht, nicht dermaßen integriert zu werden. Integrationspolitik und postkoloniale Kritik. http://www.akweb.de/ak_s/ak508/10.htm (27.01.15).

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 11.07.2012: Merkblatt zum Integrationskurs. http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Integrationskurse/Kursteilnehmer/Merkblaetter/630-036_merkblatt-auslaenderbehoerde.pdf?__blob=publicationFile (27.01.15).