INSTITUT FÜR ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTEN HAUPTSEMINAR: UNTERRICHTSANALYSE DOZENT: PROF. DR. HARRY KULLMANN REFERENTINNEN: MARIE ZIPP, JANA BLOBEL Hermeneutische Fallanalysen zum Unterricht
INSTITUT FÜR ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTEN
HAUPTSEMINAR: UNTERRICHTSANALYSEDOZENT: PROF. DR. HARRY KULLMANN
REFERENTINNEN: MARIE ZIPP, JANA BLOBEL
Hermeneutische Fallanalysen zum
Unterricht
„Na, was macht deine Kette, wie weit bist du denn?“
Gliederung
1. Hermeneutika) Was ist Hermeneutik?b) Methodische Grundsätze der hermeneutischen
Interpretationc) Sechs Interpretationsmethoden hermeneutischer
Forschungd) Objektive Hermeneutik
2. Professionalisierung des Lehrers
Hermeneutik
Hermeneutik nach H.-G. Gadamer:• Sinnauslegung von Texten
• Sinnzusammenhang aus einer anderen „Welt“ in die eigene übertragen
• Gefahr: Zerstörung des wesentlichen Gehaltes der Texte aufgrund unsensibler, unvorsichtiger Interpretation
ursprünglich auf Texte bezogen
Hermeneutik
Heute: Interdisziplinarität• Hermeneutik als Kunst des Verstehens
kultureller Ereignisse
Hermeneutik
Verschiedene Lesarten eines Textes
Unabschließbarkeit der Interpretation
Methodische Grundsätze der hermeneutischen Interpretation
Ziel: Interpret soll in Texten, Bildern, Ereignissen (…) Facetten wahrnehmen, die er zuvor nicht bemerkt hat (Aha-Erlebnisse).
Methodische Grundsätze der hermeneutischen Interpretation
1. Reflexion der eigenen Betrachtungsperspektive: Einflüsse, Vorverständnis bewusst machen
2. Orientiert sich die Interpretation strikt am Text?
3. Prüfung, ob neue Erkenntnisse oder nur Paraphrasen vorliegen
4. Quellenkritik
Methodische Grundsätze der hermeneutischen Interpretation
5. Lebenswelt der Untersuchten vs. physikalische Welt (Bsp. Plätze der Kindheit)
6. Beachtung des historischen und sozialen Zusammenhangs, in dem ein Objekt hermeneutischer Analyse steht
7. Bedeutung formaler/ strukturaler Merkmale eines Interpretationsobjekts klären
Methodische Grundsätze der hermeneutischen Interpretation
8. Beachtung der Eigentümlichkeit des interpretierten Objekts
9. Klärung zentraler Begriffe der Analyse
Sechs Interpretationsmethoden hermeneutischer Forschung
1. Strukturale InterpretationBeachtung der Bauform/ Struktur des Textes
2. Komparative InterpretationVergleich des Textes mit anderen Texten zum gleichen Thema, Genre, historischen Situation
3. Experimentelle Interpretationalternative Varianten erstellen, um ursprüngliche Wirkung zu verdeutlichen
Sechs Interpretationsmethoden hermeneutischer Forschung
4. Psychologische/ mimetische InterpretationEinfühlung in die individuellen,
lebensweltlichen Perspektiven; psychologisches Verstehen der Textaussage; Was löst der Text bei mir als Leser aus?
5. Kontextuelle Interpretation Ausweitung der Analyse auf die gesamte Lebenswelt
Sechs Interpretationsmethoden hermeneutischer Forschung
6. Kulturanalytische Interpretation Beachtung, dass jede Interpretation in bestimmten historischen Konstellationen situiert ist
Objektive Hermeneutik
1. Feststellung des Texttyps2. Sequenzanalyse3. Festlegung der Sequenzen 4. Interpretation Zug um Zug (z. B. Wort für Wort, Satz für
Satz) in einer Haltung der „künstlichen Naivität“5. Extensive Sinnauslegung
Alle kompatiblen Deutungen sollen berücksichtigt werden.6. Strukturhypothese
Die Sinnauslegung wird weitergeführt, bis eine Hypothese bzgl. der Struktur des Handelns der Beteiligten (im Hinblick auf die Fragestellung) möglich ist. Diese Hypothese muss sich im weiteren Text als gültig bewähren.
Professionalisierung des Lehrers
Nutzen der hermeneutischen Fallanalyse für die Lehrkraft
starker Handlungsdruck erschwert das Reflektieren und Erkennen
lebenspraktisches Handeln ist immer von Risiken und Irritationen der Routine, also von Krisen bedroht
diese Krisen bedürfen einer Rekonstruktion des Scheiterns distanzierte Auseinandersetzung in handlungsentlastenden Räumen
Der doppelte Habitus des Lehrers
LuL sind einem starken Handlungsdruck und einengenden Zeit- und Raumarrangements unterworfen
bei Störungen kann keine Auszeit zum überlegen genommen werden
LuL benötigen interaktive, soziale und kommunikative Kompetenz Erwerb eines praktisch-pädagogischen Habitus
Lehrerhandeln als reflektierter Umgang mit Krisen wissenschaftlich-reflexiver Habitus
methodisierte, reflexive und wissenschaftliche Kritik benötigt einen grundsätzlich von der pädagogischen Praxis entlasteten Raum
„Lehrer benötigen die Fähigkeit zu einer Befremdung der eigenen Schulkultur, zu einem exzentrischen Blick auf die eigene professionelle Praxis [...].“ (Helsper: Praxis und Reflexion, S.12)
Fallarbeit, Falltheoretisierung und Supervision
konkrete Rekonstruktion eines Falles aber Skepsis gegenüber „Schema-F-Erklärungen“
Vermittlung von wissenschaftlichen Erklärungsschemata und einer rekonstruktiv-hermeneutischen Kompetenz
Sequenzanalyse z.B. Schrittweise Analyse und Rekonstruktion eines Stundenanfangs
durch eine detaillierte Textinterpretation wird das Besondere des Falles rekonstruiert Immer wird gefragt wie es weitergehen könnte um so verschiedene mögliche Handlungsmuster aufzuzeigen
Arbeitsauftrag
Findet Euch bitte in Vierergruppen zusammenDiskutiert folgende Frage:
„Was hätte der Student besser/anders machen können?“
Fasst Eure Ergebnisse unter Berücksichtigung der eben vorgestellten Vorgehensweise der hermeneutischen Fallanalyse auf den Folien zusammen
(20min)
Fallbeispiel
Janka hat keine Lust mehr zum SchreibenJanka hat Schwierigkeiten beim Schreiben. Der Student lässt sie “raten” und gibt ihr den Tipp, “mal zu überlegen.”Janka: Keine Lust mehr zum Schreiben.Student: Janka, ich würde mich echt doll freuen, wenn wir das Wort fertig schreiben würden. (…)Janka: Was steht das jetzt?Student: Lies mal. Jetzt steht da …Janka: Karot:tStudent: Karot, genau. Da fehlt also mindestens noch ein Buchstabe.Janka: Ja, welchen?
Student: Das weißt du doch eigentlich selber.Janka: Nein.Student: Doch bestimmt. Es heißt ja Karot-te … Pass auf, Karotte, Karot-te.Janka: Ich weiß nicht mehr.Student: Vielleicht hast du ja auch gar nicht mehr so große Lust. Kann das sein?Janka: Mmh.Student: Nee, näh? Hast gar nicht mehr so große Lust, näh?Kind: Tö, brauchst du tö.Student: Genau. Janka hängt ein <e> an <Karot>.
Student: Jetzt steht da Karote.Janka: Karote? Warum das denn?Student: Weil das hier ein kurzes O ist.Janka: Warte, ich mach ein größeres.Student: Nee, nicht ein größeres. Das O ist in Ordnung. Weißt du wie das ist bei offen und Ofen?Janka: Ofen.Student: Ofen, weißt du, und offen, weißt du?Der Lehrer schlägt den Gong, die Stunde ist
beendet.
durch verschiedene Verhaltensweisen signalisiert Janka Ihre Schreibschwierigkeiten
Student bietet seine Hilfe an, führt dies aber nicht konsequent zu Ende stattdessen kommentiert er die von ihm nun bemerkte
und unterstellte Unlust des Kindes „Vielleicht hast du ja auch gar nicht mehr so große Lust. Kann das sein?“
Student behauptet erneut, dass Janka es wisse – gibt ihr aber keine Hilfestellung an die Hand
erst als ein weiter Schüler dazu kommt versucht der Student mit Hilfe eines anderen Beispiels Janka bei der Lösung des Problems zu helfen das von ihm angeführte Beispiel scheint Janka aber
nicht auf die richtige Spur der Lösung zu bringen
am Ende fehlt ihm die Zeit um zu einem zufriedenstellenden Abschluss zu gelangen
Inwieweit haltet Ihr die hermeneutische Fallanalyse im Lehreralltag für sinnvoll und anwendbar?
Zusammenfassung/Stellungnahme
wenn die Rekonstruktion des Einzelfalles immer wieder erprobt wird, kann sich das handlungsentlastend auf die Lebenspraxis auswirken
fallkonstruktive Kompetenz als Grundlage für ein intuitives Fallverstehen
Bedarf eines selbstbezüglichen-biographischen Wissens
Literaturverzeichnis
Garz, D. (2010): Objektive Hermeneutik. In: B. Friebertshäuser, A. Prengel & A. Langer (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft (S. 249-262). 3. Aufl. Weinheim: Juventa.
Helsper, W.: Praxis und Reflexion. Die Notwendigkeit einer „doppelten Professionalisierung“ des Lehrers. Journal für Lehrerinnen- und Lehrerbildung. 2001. S. 7-15.
Osburg, Claudia: Die Pädagogik ist eine Wissenschaft vom Menschen und nicht vom Kinde. Unterrichtsstörungen und Nichtlernen als Ausdruck mangelnden (sprachlichen) Verstehens. In: Brinkmann, Erika; Kruse, Norbert; Osburg, Claudia (Hrsg.): Kinder schreiben und lesen. Beobachten – Verstehen – Lehren. Freuburg im Breisgau. 2003.
Rittelmeyer, C./ Parmentier, M. (2007): Einführung in die pädagogische Hermeneutik. 3. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Rittelmeyer, C. (2010): Methoden hermeneutischer Forschung. In: B. Friebertshäuser, A. Prengel & A. Langer (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft (S. 235-248). 3. Aufl. Weinheim: Juventa.
Vielen Dank für Eure Mitarbeit und Aufmerksamkeit