Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel Lobdeburgschule Jena 27.05.2010 Im Dialog mit den Lernenden: Leistungsbeurteilung als Lernförderung und demokratisches Erfahrungslernen
29
Embed
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik Prof ... · Beispiele verbaler Zeugnisse ... Grundschule Kleine Kielstraße, ... • Kompetenzorientierte Auswertungen und Zeugnispraxis
This document is posted to help you gain knowledge. Please leave a comment to let me know what you think about it! Share it to your friends and learn new things together.
Transcript
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
Lobdeburgschule Jena 27.05.2010
Im Dialog mit den Lernenden:
Leistungsbeurteilung als
Lernförderung und demokratisches
Erfahrungslernen
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
2
Im Dialog mit den Lernenden: Leistungsbeurteilung als
Lernförderung und demokratisches Erfahrungslernen
1. Lernen und Leistung
2. Leistungsbeurteilung als Aufstieg, Abschottung und
individuelle Würdigung
3. Vom Beurteilungsmonopol der Lehrenden zur
Selbsteinschätzung der Lernenden
4. Zwischen Standardisierung und individueller Anerkennung –
eine Forschungsbilanz
5. Partizipation und individuelle Lernförderung – Aufgaben für
Didaktik und Leistungsbeurteilung
2
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
1. Lernen und Leistung
• Heterogenität als Ausgangslage aller Schulen
• Auszeichnung guter Schulen in Deutschland, die Heterogenität
als Voraussetzung erfolgreicher Bildungsarbeit ansehen
• Selbstkonzepte als pädagogische Aufgabe
• Stärkung und Aufbau von Selbstwirksamkeitserfahrung
• Vermeidung von Demütigung und Beschämung
• Lerndiagnose und Leistungsbeurteilung sind darin wichtige
Waldau) werden zu Innovationsträgern einer Pädagogisierung
der Leistungsbeurteilung. Die Fehlbarkeit des Lehrerurteils
wird gesehen, Schülerinnen und Schüler ebenso wie deren
Eltern können Korrektur und Veränderung bewirken. Eine
gemeinsame Wahrnehmung des Lernens wird angestrebt,
Partizipationsangebote sind ersichtlich; Kindersprechtage
werden eingeführt.
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
4. Zwischen Standardisierung und individueller
Anerkennung – eine Forschungsbilanz
Aktuelle Forschungsfragen:
• Mit welcher Zeugnisform können Ansprüche an Diagnose,
Kompetenznachweis, Förderung und Kommunikationsangebot
eingelöst werden?
• Welche Kompetenzen benötigen Lehrkräfte?
• Wie ist die Leistungsbeurteilung in das Gesamtkonzept der
Schul- und Unterrichtsentwicklung eingebunden?
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
14
Berichtszeugnisse
• Verbalbeurteilungen gelten seit der Reformpädagogik als differenzierte und diagnostisch gehaltvolle Formen der Rückmeldung schulischen Lernens.
• Sie sind der Mehrdimensionalität sowie der Nutzung der individuellen und curricularen Bezugsnorm verpflichtet.
• Darin enthaltene Diagnosen zum Lernprozess sind mit Hinweisen auf nächste Lernschritte und Fördermaßnahmen zu verbinden.
• Verbalbeurteilungen sind in jedem Fall an Kommunikation und Zielvereinbarungen gebunden. Dabei tragen Lehrende und Lernende gemeinsam Verantwortung für eine Verbesserung des Lernens.
• Ihre Qualität ist durch Schreibstandards zu sichern.14
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
15
Beispiele verbaler Zeugnisse
• Ida lebte sich rasch in der Schule ein und verhielt sich stets kameradschaftlich gegenüber ihren Mitschülern, zu denen sie zunehmend Kontakt knüpfte. Sie schloss wenige, aber sehr enge Freundschaften. Mit Hilfe ihrer Freundinnen brachte sie ihre Ideen auch bei Gruppenarbeiten ein. Bei Gesprächen konnte sie anderen gut zuhören, erzählte aber selten von ihren Erlebnissen. Sie folgte dem Unterricht aufmerksam und arbeitete schnell, sauber und ordentlich an allen schriftlichen Arbeiten. Bei ihren Hefteintragungen und bei Werkstattangeboten arbeite sie ebenfalls sehr sorgfältig. Sie erstellte ein schönes „Arche Noah Buch“.
• Lasse lebte sich rasch in der Schule ein und verhielt sich stets kameradschaftlich gegenüber seinen Mitschülern, zu denen er zunehmend Kontakt knüpfte. Durch seine ruhige Art fiel es ihm schwer, sich bei der Arbeit mit anderen einzubringen. Bei Unterrichtsgesprächen erzählte er selten von sich und seinen Erlebnissen. Er folgte dem Unterricht aufmerksam und arbeitete sehr sauber und ordentlich an allen schriftlichen Arbeiten. Bei seinen Hefteintragungen und bei Werkstattangeboten arbeitete er mit größter Sorgfalt. Zugunsten des geforderten Unterrichtsstoffes kann er mit Hilfe von Zeitvorgaben sein Arbeitstempo erhöhen.
15
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
16
Beispiele verbaler Zeugnisse
• Lieber Timo, Du hast in diesem Schuljahr mehrere große und wichtige
Erfolge erzielt. Der erst und wunderbarste ist der, dass du jetzt lesen kannst.
Plötzlich um die Weihnachtszeit war es da! Nun liest du schon flüssig und
immer mit Sinn und Verstand. Mit Vorliebe nutzt du unsere
Natursachbücher, um dich – unterstützt durch das genaue Studium der
Abbildungen – über deine Lieblingstiere zu informieren. Abschnitte, die dir
besonders interessant erscheinen, schreibst du aus ihnen richtig ab und
gestaltest sie mit passenden Zeichnungen. Lesen ist für dich also
mittlerweile ganz selbstverständlich geworden. Mit deinem feinen Ohr für
Texte nimmst du stets sowohl das Wesentliche als auch die Pointen der
Geschichten wahr und kannst sie gut formuliert wiedergeben.
16
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
Beispiele verbaler Zeugnisse
• Liebe Maite, du hast deine Fähigkeiten auch in diesem Jahr auf vielen
Gebieten bewiesen. In Unterrichtsgesprächen hast du oft gute Ideen, die
uns weiterhelfen, doch solltest du dich mehr beteiligen. Lesen kannst du
sicher, fließend und sinnerfassend, auch schwierige Wörter und Texte.
Deine Aufsätze sind anschaulich und phantasievoll. Deine Schrift ist
gleichmäßig und sauber… Im Sachunterricht bist du eine aufmerksame,
lernwillige Schülerin. Du arbeitest zuverlässig, zügig und umsichtig. In
Mathematik finden wir deine Arbeitshaltung und deine Erfolge toll…
17
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
4. Zwischen Standardisierung und individueller
Anerkennung – eine Forschungsbilanz
Forschungsbefunde zu Notenalternativen
• Effektivitätssteigerung der Zeugnisse ist eine
Entwicklungsaufgabe;
• förderdiagnostische Möglichkeiten sind nicht ausgeschöpft;
• Ansprüche an eine mehrdimensionale und
bezugsnormendifferente Darlegung von Lernprozessen erfolgt
nicht diagnostisch abgesichert;
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
4. Zwischen Standardisierung und individueller
Anerkennung – eine Forschungsbilanz
• Die Kriterien beim Verfassen der Texte müssen mehr auf einen
qualitätsverpflichtenden Minimalkonsens im Kollegium
bezogen werden;
• Individuelle Rezeptionsbedingungen sind weiter zu
untersuchen; bisher zeigt sich, dass Kinder nach Authentizität,
gerechtem Urteil und nach Mitsprache verlangen;
• Der Wechselbezug zwischen Umgang mit Vielfalt,
Unterrichtsqualität, Lernbegleitung und Rückmeldung ist nicht
erforscht.
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
20
4. Zwischen Standardisierung und individueller
Anerkennung – eine Forschungsbilanz
Zeugnisse aus Kindersicht
• Zeugnisse werden als Literatur und Portrait verstanden;
• Texte würdigen individuell und geben nachvollziehbare Auskunft;
• sie spiegeln eine gerechte Einschätzung;
• Zeugnisse sind als Gesprächs-anlass erwünscht.
Zeugnisse aus Elternsicht
• Berichte werden von Eltern mit höherem Bildungsabschluss geschätzt;
• Genauigkeit des Lehrerurteils und Mitsprache sind bedeutsam;
• Ohne Noten geht es nicht, aber Noten allein genügen nicht!
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
Beispiele guter Schulen: Grundschule Kleine Kielstraße,
Dortmund/Wartburg-Grundschule, Münster
• Kooperationen im Elementar- und Primarbereich mit Förderangeboten
• Elternförderbriefe
• Diagnostische Werkstatt
• Gemeinsame, dokumentierte Bildungsverantwortung
• Schulzeitbegleitende Portfolios
• Langfristige Beobachtungen
• Kompetenzorientierte Auswertungen und Zeugnispraxis
• Lernstandserhebungen
• Lerntagebücher und Kindersprechtage
• Zielvereinbarungen mit Zeitrahmen
• Lernlandkarten als Kindercurriculum21
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
• Rückmeldungen aus dem altersheterogenen Mitschülerkreis
• Vorhabensberichte und Halbjahresreflexionen
• Portfolios
• Lernwegplanung und Beratung im Team
• Verbalbeurteilungen bis Klasse 6
• Intensive Gesprächskultur mit Schülerschaft und Elternhaus
22
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
2323
5. Partizipation und individuelle Lernförderung – Aufgaben
für Didaktik und Leistungsbeurteilung
1. Die Schule muss Heterogenität nicht nur als Aufgabe der
Lernförderung in individualisierten Lernumgebungen
begreifen, sondern ebenso in der Beurteilungspraxis.
2. Förderliche und differenzierende Formen der
Leistungsbeurteilung sind ein Instrument für einen
konstruktiven pädagogischen Umgang mit Heterogenität in
Lerngruppen und Schulklassen.
23
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
5. Partizipation und individuelle Lernförderung – Aufgaben
für Didaktik und Leistungsbeurteilung
3. Deshalb muss die Kompetenz zur professionell
unterfütterten Leistungsbeurteilung auch unter dem Anspruch
demokratieadäquater Beratungs- und Begleitungsverhältnisse
zwischen Lehrenden und Lernenden in der Lehrerbildung
verankert werden.
4. Leistungsbeurteilung ist keine kommunikative
Einbahnstraße, in der Lehrende Ergebnisse rückmelden, für
deren Zustandekommen nur die Lernenden verantwortlich
sind.
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
2525
5. Partizipation und individuelle Lernförderung – Aufgaben
für Didaktik und Leistungsbeurteilung
5. Leistungsbeurteilung benötigt eine Erweiterung von
Dokumentations-, Beschreibungs- und
Rückmeldeinstrumenten, an denen Lernende beteiligt sind.
6. Gute Schulen belegen die Verknüpfung von Lernförderung
und Individualisierung im Unterricht mit der
Leistungsbeurteilung. Sie ist Teil von Lernplanung,
Kompetenzförderung und Evaluation.
25
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
26
Individuelle Förderung als Aufgabe der Schulen
26
Lernen selbst steuern
DifferenzierungSelbsteinschätzung und Beteiligung
Lernprozesse diagnostizieren und beraten
Kultur der Anerkennung und Verantwortung
Individuelle
Förderung als
Aufgabe der
Schulen bedeutet:
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
2727
Konstruktive Leistungsbeurteilung
27
Kennzeichnung
der
Verantwortungs-
bereiche für
Lehrende,
Lernende und
Eltern
Ziel-
vereinbarungen,
zeitliche
Festlegungen,
Kompetenzeüber-
prüfung
Förderziele und
Fördermaß-
nahmen
Lernförderliche
Hinweise
Zeitnahe und
individuelle
Leistungsrück-
meldung
Nachvollziehbar-
keit des Lernens
durch Lern-
tagebücher,
Lernlandkarten
und Portfolios
Förderung von
Selbst-
einschätzung
Fehlertoleranz und
Lob des Fehlers
Verstehenswege
der Lernenden
anerkennen
Transparenz der
Anforderungen
Konstruktive
Leistungs-
rückmeldung
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
28
Literatur
• Beutel, S.-I. (2005): Zeugnisse aus Kindersicht. Kommunikationskultur an der Schule und Professionalisierung der Leistungsbeurteilung. Weinheim und München: Juventa.
• Beutel, S.-I./Beutel, W. (Hrsg.) (2010): Beteiligt oder bewertet? Leistungsbeurteilung und Demokratiepädagogik. Schwalbach: Wochenschau-Verlag
• Brügelmann, H. et al. (2006): Sind Noten nützlich und nötig? Ziffernzensuren und ihre Alternativen im empirischen Vergleich. Frankfurt am Main: Grundschulverband- Arbeitskreis Grundschule e.V.
• Hannemann, D. (2007): Leistung ohne Noten. Möglichkeiten konstruktiver Leistungsrückmeldung nicht nur in der Grundschule. Handbuch für die Unterrichtspraxis. Hohengehren: Schneider.
• Jürgens, E./Sacher, W. (2008): Leistungserziehung und Pädagogische Diagnostik in der Schule. Grundlagen und Anregungen für die Praxis. Stuttgart: Kohlhammer.
Fakultät 12 - Erziehungswissenschaft und Soziologie
Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik
Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel
2929
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
29
Abb. Entnommen aus: Mattiello (1999): Kinder vor der Tür. Skizzen, Cartoons und Comics aus dem Schulalltag. Zürich: