»NEUE FREUDEN, NEUE KRäFTE« Ermutigungen INSEL-BüCHEREI
»Neue FreudeN, Neue KräFte«
ermutigungen
INsel-BüchereI
»Neue Freuden, neue Kräfte«
ERMUTIGUNGEN
Herausgegeben von
Herbert Schnierle-Lutz
Insel Verlag
Insel-Bücherei Nr. 2501
© Insel Verlag Berlin 2013
»Neue Freuden, neue Kräfte«
michael krüger
Über die Hoffnung
Wir wolltendie Hoffnung überraschen,wenn sie die Fassung verliert:die Sekunde der Revolte.Wir richtetenuns auf eine lange Reise ein.Wir wappnetenuns gegen Hitze und Kälte.Der Proviantlag schwer auf unsern Schultern:Geschichte, Erziehung,die Fähigkeit, die Hoffnungslosigkeitzu ertragen, viel Literatur.Seit gestern sind wir zurück.Müde,wie man sich denken kann,und hungrig.Die Bildersind noch nicht entwickelt.Die Ergebnissewerden bekanntgegeben.
7
hanns eisler/friedrich hölderlin
Komm! ins Offene, Freund!
Komm! ins Offene, Freund! Zwarglänzt ein Weniges heute
Nur herunter und eng schließetder Himmel uns ein.
Weder die Berge sind noch aufge-gangen des Waldes
Gipfel lacht uns und leer ruhtvom Gesange die Luft.
Trüb ists heut, es schlummern dieGäng und die Gassen undfast will
mir es scheinen, es sei als inder bleiernen Zeit.
Dennoch gelinget der Wunsch, Wis-sende zweifeln an einer
Stunde nicht. Denn nichts Mächti-ges ist unser Singen.
Zum Leben aber gehört es, was wirwollen.
Kommen doch auch der segenbrin-genden Schwalben
Immer einige noch, ehe der Sommer,ins Land.
8
marie luise kaschnitz
Auferstehung
Manchmal stehen wir aufstehen wir zur Auferstehung aufmitten am Tagemit unserem lebendigen Haarmit unserer atmenden Haut.
Nur das Gewohnte ist um uns.Keine Fata Morgana von Palmenmit weidenden Löwenund sanften Wölfen.
Die Weckuhren hören nicht auf zu tickenihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Und dennoch leichtund dennoch unverwundbargeordnet in geheimnisvolle Ordnungvorweggenommen in ein Haus aus Licht.
9
peter rühmkorf
Ansteckendes Pfeifen
Heute morgen mich plötzlich wieder malauf der Straße pfeifen gehört,einfach so Johnny Griffin»Wading in the Water«,doch kein schlechtes Zeichen.
Ob es länger reicht als für den Tag,schwer zu sagen.Immerhin, als ich merke, was los ist:vorn – mein Mund – die Lippenohne jeden erkennbaren Anlaß von sich aus
zugespitzt,und auf einmal ist die ganze Brahmsallee am Pfiffeln:Da muß ich doch was losgeflötet haben.
Nach einem Tal, so tief, so tief,daß ich wirklich geglaubt hab,hier wär kein Rauskommen mehr –Und es hat mich sogar noch gejuckt,vor meine Mitmenschen hinzutreten:S te r b l ic he !Wenn Sie bittemal meinem ausgetrockneten
Zeigefinger
10
folgen wollen, objektiv, was sehn Sie?Na, ich will es nicht gerade schwieriger machen,als es ist:die grube –
Plötzlich wie weg das alles auf einen einzigen,jeder weiteren Zusatzerklärungenthobenen Zug:O Licht – o Schatten – und oauch ihr anderenunvermittelt zu Augen gehenden Mischphänomene,wenn die Sonne wie angestochendurch die wahllos zerlöchertenAhornblätter bricht! –Und du tippst, eh es andere tun,die abgewählteste Nummer deines Lebens ein:A h !Gut !In O rd nu ng ,In z w e i S t u nden ?K ön nen w i r s o mac hen !
11
christoph meckel
Schöner Tag
Kann sein: Ich werde zaubernoder auch nicht.Vielleicht ein Spielzeug schusternein hilfreiches Wort;vielleicht bloß im Treppenhaus stehn und rufen:wie lang mir der Tag geworden ist!
Wir sind zu Hauswo Gott sich das Leben nahm;aber im Hof steht Absaloms Baumsein Haar hängt noch dran, das Pferd ist gestorben;mancher Leute Kind ist auf dem Wegvom Frühstück zum Mittagessen abhanden gekommenund hat nicht aus noch einoder sonst zu beißen gewußt.
So kommt es, daß der Abenddoch wieder schön wird.Man kann das Zaubern einfach bleiben lassenund ungestraft in alle offenen Fenster rufen:wie gut uns der Tag gefallen hat!
12
ludwig fels
Schöner Tag
Hock auf dem Fensterbrettim dritten Stockrauch eine Zigarettehör Musik von Dylanseh die Leuteauf der sonnigen Straßedie gelbe Tramfreu mich des Lebensbis es klingeltund ein paar Polizistenhereinstürmen und fragenob ich wirklich am Lebenbleiben wolle und so weiter.Soviel Angst um michwenn ich einmal lustig binund lachan einem schönen Tagmit Bob.
13
karl krolow
Laß endlich Licht ins Zimmer
Laß endlich Licht ins Zimmer, zeig vor,was du in Händen hast.Du kennst diesen kleinen Mann im Ohr,die gewöhnliche Lebenslast.
Und die Sterbensangst kann man nicht sehn,wie im Kopf den besonderen Tick.Ich weiß, du kannst da nicht widerstehnund wirfst den Kopf ins Genick.
Das Licht im Zimmer macht, daß es blitztdir im Kopf: war je was im Lot?Ich weiß, was dir ständig im Nacken sitzt,schließlich geht es um Leben und Tod.
14
ursula krechel
Der Anfang des Wochenendes
Während ich im Supermarkt einer Fraudie Vorderräder des Einkaufswagensauf die Fersen schiebe, fahre ich auchmeinen Kopf spazieren.Im Wald der Konservendosen suche ich Blaubeerenund die Erinnerung an die kleine Lustauf einen trockenen, dünnen Fichtenast zu treten.Während du daheim die Kühlschranktür
zuschnappen läßtwieder das kindliche Gefühldas ich auch beim Aufwachen habewenn mich im Traum jemand geschlagen hat.Freitagnachmittags läppert sich das Glück zusammenaus prallen Einkaufstüten, aus FlaschenKisten, Kartons. Komm!Wir setzen uns im Flur auf den Teppichund fliegen mit unseren Hoffnungen davon.
15
christine koschel
Spielraum
Keinen Ducksprungin die Höhe übenin der Finsterhaftdieses Jahrhunderts lebensich fügen sich fügen.
Oder schiff dich einblind und ohne Habe:die Segel sind gesetzt.
16
giuseppe ungaretti
Freude der Schiffbrüche
Und plötzlich nimmst dudie Fahrt wieder aufwienach dem Schiffbruchein überlebenderSeebär
17
kitahara hakushû
Höhere Lust
Am Mast ein Segel,wie von Ängsten geschüttelt,
stößt mein Schiff in See –Oh, es wird köstliche Fahrt!Da, der heitere Himmel . . .
18
hermann hesse
Manchmal
Manchmal scheint uns alles falsch und traurig,Wenn wir schwach und müd in Schmerzen liegen,Jede Regung will zur Trauer werden,Jede Freude hat gebrochne Flügel,Und wir lauschen sehnlich in die WeitenOb von dorther neue Freude käme.
Aber keine Freude kommt, kein SchicksalJe von außen uns. Ins eigene WesenMüssen wir, vorsichtige Gärtner, lauschen,Bis von dort mit BlumenangesichternNeue Freuden wachsen, neue Kräfte.
19