Research Collection Other Publication Weltraum: Sicherheitspolitik in neuen Sphären Author(s): Pigoni, Livio Publication Date: 2015-04 Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-010681804 Rights / License: In Copyright - Non-Commercial Use Permitted This page was generated automatically upon download from the ETH Zurich Research Collection . For more information please consult the Terms of use . ETH Library
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In Copyright - Non-Commercial Use Permitted Rights ... · USA abgelehnt. Sie befürchteten die Ein schränkung künftiger Waffenoptionen. Dass ASAT Waffen ausgeklammert waren, bestärkte
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Nr. 171, April 2015, Herausgeber: Christian Nünlist
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik
Weltraum: Sicherheitspolitik in neuen SphärenDer strategische Wert des Weltraums nimmt zu. Satelliten sind zu vitalen, aber auch verwundbaren Infrastrukturen moderner Gesellschaften geworden. Ein unerwarteter Ausfall wichtiger Satellitenanwendungen würde auf der Erde erheblichen Schaden anrichten. Auch in Europa und in der Schweiz sollten Weltraumsysteme als kritische Infrastruktur stärker ins Blickfeld rücken.
Von Livio Pigoni
1957 wurde der sowjetische Sputnik als erster Satellit ins All geschossen. Von den ursprünglich zwei Weltraummächten, Sowjetunion und USA, hat sich die Zahl satellitenbetreibender Nationen seither auf mehr als 50 erhöht. Diese haben insgesamt über 7000 Trabanten ins All geschossen, wovon rund 1200 heute noch aktiv sind.
Im Informationszeitalter sind Satelliten zentraler Bestandteil moderner Gesellschaften geworden. Satellitenkommunikations und Navigationshilfen verbessern Verkehrssicherheit, Katastrophenhilfe oder Wettervorhersagen. Die meisten dafür genutzten Technologien weisen jedoch einen DualUseCharakter auf – zivile Sa telliten werden vermehrt militä risch genutzt.
Für moderne Streitkräfte sind Satelliten von starkem Nutzen. Dies ist auf den Siegeszug der netzwerkzentrierten Kriegsführung seit dem Afghanistankrieg 2001 zurückzuführen. Dabei werden Informationen verschiedener militärischer Plattformen wie Panzer, Schiffe und Flugzeuge in ein gemeinsam genutztes Informationsnetzwerk integriert, um so Entscheidungsprozesse und Truppennavigation zu optimieren. Bei konventionellen militärischen Operationen dienen Satelliten somit der Kampfkraftverstärkung. Durch die Anwendung von Infrarot und Radar können zudem die Zielgenauigkeit erhöht und Kollateralschäden vermieden werden.
Neben den Vorzügen weltraumbasierter Infrastruktur zeichnen sich in der zivilen und militärischen Raumfahrt aber Entwicklungen ab, die mit ernst zu nehmenden Risiken einhergehen. Ein chinesischer AntiSatelliten (ASAT)WaffenTest 2007 oder die Kollision eines ausrangierten russischen Satelliten mit einem amerikanischen Kommunikationssatelliten 2009 rückten Weltraumrisiken in den Fokus des sicherheitspolitischen Diskurses.
Nicht nur die Wiederbelebung erdbasierter ASATWaffen durch China, sondern auch die Enthüllung unüblicher Manöver eines russischen Satelliten Ende 2014 deuten auf orbitale Waffenfähigkeiten, Vorbereitungen zur Weltraumkriegsführung sowie eine neue Rüstungsdynamik im All hin.
Bisher kam es im All zu keinen direkten militärischen Konfrontationen. Aber bleibt dieser Frieden bei zunehmender Weltraum
Ein NASAAstronaut arbeitet an der International Space Station (ISS). Der Weltraum und die sich in ihm befindliche Infrastruktur gewinnen laufend an sicherheitspolitischer Bedeutung. A. Gerst / Reuters
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 171, April 2015
nutzung bewahrt? Die bestehenden internationalen Normen hegen die aktuellen Weltraumrisiken nicht mehr ausreichend ein. Ohne innovative langfristige Lösungen werden Unsicherheit und Gefahren im und aus dem Weltraum zunehmen.
Globale Trends der WeltraumpolitikÖkonomische, wissenschaftliche und geopolitische Veränderungen auf der Erde beeinflussen auch das Verhältnis zwischen den Staaten im All. Der Aufstieg Chinas, Indiens und anderer Staaten bringt zum einen neue Akteure in der Weltraumnutzung hervor. Verschärfter Wettbewerb, etwa um beschränkte Umlaufbahnen und Kommunikationsfrequenzen, ist eine mögliche Folge. Zum anderen werden Satelliten an Wichtigkeit gewinnen. Die Erderwärmung und die damit einhergehende Zunahme von Wasserkonflikten und Energiekrisen dürften die Vorzüge von Satelliten als Instrumente der Informationsbeschaffung und Katastrophenbewältigung verstärken.
Der Fortschritt der Informationsgesellschaft wird aber auch neue Verwundbarkeiten kreieren. Je abhängiger die Gesellschaft von Satelliten wird, desto mehr werden diese als kritische Infrastrukturen zu schützen sein. Die Vulnerabilität von Weltraumsystemen, die sicherheitsrelevante Informationen sammeln und übermitteln, wird aus strategischen Gründen zunehmen.
Die sichere und friedliche Nutzung des Weltraums wird heute vor allem durch zwei Dynamiken bedroht: Erstens durch die zunehmende Verschmutzung des Weltraums; und zweitens durch eine Wiederbelebung der Rüstungsdynamiken im Weltall.
WeltraumschrottSatellitentechnologie ist kein Privileg reicher Staaten mehr, sondern ist auch für weniger entwickelte Nationen sowie kommerzielle Anbieter und Privatpersonen erschwinglich geworden. Die Konsequenz ist eine zunehmende «Demokratisierung» des Weltalls. 2014 wurden rund 150 standardisierte Kleinsatelliten (CubeSats) von verschiedensten Akteuren im All ausgesetzt – so viele wie in der letzten Dekade zusammengenommen. Der Platz im erdnahen Orbit (LEO) wird darum laufend knapper. Da Kleinsatelliten über keine eigenen Antriebsmittel verfügen, werden sie oftmals über lange Zeit im Orbit «parkiert», wo sie anderen Satelliten gefährlich werden.
Grosse Gefahr für Satelliten geht von so genanntem «Weltraumschrott» aus. 2009 waren mehr als 95 Prozent aller im Orbit kreisenden Objekte Debris, also nicht funktionierende Satelliten, Überreste ausgebrannter Raketenstufen bis hin zu abgebrochenen Bolzen und sonstigen Kleinstteilchen. Während der LEO heute von über 17’000 Objekten mit einer Grösse von mehr als zehn Zentimetern umkreist wird, befinden sich in allen Erdorbits zusammengenommen 500’000 – 750’000 Objekte mit einer Grösse von mehr als einem Zentimeter und mehrere Millionen Teilchen im MillimeterBereich. Bereits solche Kleinsttrümmerteile können aufgrund ih
rer hohen Relativgeschwindigkeiten erheblichen Schaden an Satelliten anrichten.
Es ist schwierig, das Durcheinander an Objekten zuverlässig zu erfassen. Die Katalogisierung von Weltraummüll ist zur Verhinderung von Kollisionen jedoch erforderlich. Das USVerteidigungsministerium hat derzeit 23’000 Objekte im LEO katalogisiert. Russland verfügt über ähnliche Kapazitäten. Auch die Europäische Weltraumagentur (ESA) baut gemeinsam mit der EU ihre Radarsysteme aus. Zuletzt wurde die Internationale Raumstation
(ISS) im November 2014 zu einem Manöver gezwungen, als sich ihr ein Trümmerteil von 14 Zentimetern Durchmesser näherte. Seit 1999 musste die ISS 21 Mal ausweichen, fünfmal allein im Jahr 2014.
Je mehr Teile sich im Erdorbit befinden, umso grösser ist das Risiko einer Kettenreaktion. Um einen drohenden Kaskadeneffekt – die Zunahme von kleinen Teilchen durch Kollisionen – zu verhindern sollte das Bewusstsein für die Problematik geschärft und Richtlinien zur Verhinderung von Weltraumschrott gestärkt werden. Zudem müssen Möglichkeiten zur Entfernung von vorhandenem Debris erforscht werden, um die Sicherheit weltraumgestützter Infrastruktur zu erhöhen. Dies ist jedoch politisch heikel, da die Fähigkeit einen Satelliten, beispielsweise mit einem Greifarm zu «entfernen», auch für militärische Zwecke missbraucht werden könnte.
Rüstungsdynamiken im AllLaut dem Weltraumvertrag von 1967 ist es Vertragsstaaten untersagt, Massenvernichtungswaffen in Erdumlaufbahnen oder auf Himmelskörpern zu stationieren. Der Mond und andere Himmelskörper wurden zu entmilitarisierten Zonen erklärt. «Friedliche Nutzung» bedeutet jedoch lediglich «nicht aggressiv» und nicht «exklusiv zivil». Der Vertrag hat deshalb nicht zum Fernhalten militärischer Anwendungen aus dem Weltraum beigetragen. Ging die militärische Weltraumnutzung nach dem Kalten Krieg zurück, so ist seit einigen Jahren eine Wiederbelebung zu erkennen.
Diese begann nach 2001, als sich die USA unter George W. Bush verstärkt einer
Doktrin der «Weltraumkontrolle» zuwandten. 2006 führte dies zur Implementierung der «US Space Doctrine», welche eine uneingeschränkte hegemoniale Stellung der USA im Weltraum fordert und diese nötigenfalls auch zu verteidigen
beabsichtigt. Seither fliessen in den USA wieder mehr Gelder in die Entwicklung militärischer Weltraumtechnologien wie Laser oder modifizierte SM3Raketen für den Satellitenbeschuss. Der Vormachtsanspruch der USA wird jedoch von China und Russland zunehmend infrage gestellt.
2007 leitete China durch den Abschuss eines eigenen Wettersatelliten eine Renaissance der ASATWaffen ein. Die USA, die seit 1985 keinen Test mehr durchgeführt hatten, demonstrierten 2008 ihrerseits ihre Fähigkeiten. Der Einsatz einer Waffe, die
Weltraumbudgets im Vergleich
Je abhängiger die Gesellschaft von Satelliten wird, desto mehr werden diese als kritische Infrastrukturen zu schützen sein.
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 171, April 2015
auf die Zerstörung eines sich im Orbit befindlichen Satelliten abzielt, ist an sich nichts Neues: Seit dem ersten gezielten Satellitenabschuss durch die USA 1964 wurden zahlreiche solche Tests durchgeführt. Die Entwicklung von Weltraumwaffen ging aber nicht über die Testphase hinaus. Die Aneignung der ASATTechnologie durch China könnte anderen Staaten den Weg ebnen. Auch Indien, Japan, Israel und Frankreich verfügen über latente Fähigkeiten zum direkten Abschuss von Satelliten und könnten diese weiter ausbauen.
Auch orbitale Waffen oder so genannte «Killersatelliten» sind in den militärischen Planungen der grossen Weltraummächte angedacht. Ihre Stationierung und Anwendung im All ist im Weltraumvertrag nicht explizit verboten. Bis heute kam es noch nie zu einem Einsatz einer solchen Waffe, jedoch hat Russland im Mai 2014 das Objekt 201428E in die Umlaufbahn geschossen, welches durch ungewöhnliche Manöver auffiel. Es wird spekuliert, dass es sich um einen Satelliten mit orbitalen Waffenfähigkeiten handeln könnte.
Die Einbettung der Weltraumkriegsführung in Militärdoktrinen und die mögliche Verschiebung der Kräfteverhältnisse wirken sich negativ auf die Stabilität im Weltraum aus. Schon die Drohung Satelliten anzugreifen, birgt grosses Eskalationspotenzial. Ein Staat, der seine Satelliten in Gefahr wähnt, könnte sich für einen Präventivschlag entscheiden. Zudem entstehen durch unkontrollierte Abschüsse Trümmerteile, die über Jahrzehnte in der Erdumlaufbahn kursieren und weitere Satelliten zerstören können.
Neue internationale Regeln als ZielDie Privatisierung der Raumfahrtaktivitäten hat neue Rechtslücken geschaffen. «Verkehrsregeln» wie Sicherheitsbestimmungen für Raketenstarts oder Fragen bezüglich Radiofrequenznutzung und Vermeidung von Interferenzen sind mangelhaft und sollten dringend aktualisiert werden. Trotzdem sind für den Weltraum seit Jahrzehnten keine neuen, völkerrechtlich verbindlichen Rechtsinstrumente verabschiedet worden. Neben den fünf Weltraumverträgen aus den 1960er und 1970erJahren wird stattdessen vermehrt auf «soft law» gesetzt, also auf nicht rechtsverbindliche Normen.
Die Bestrebungen zur Erarbeitung neuer internationaler Regeln laufen auf zwei Schienen: Einerseits wurde ein Ausschuss der Vereinten Nationen für die friedliche
Nutzung des Weltraums (UN COPUOS) gegründet, welcher die Entwicklung des internationalen Weltraumrechts vorantreiben soll. Er setzt auf Vertrauensbildende Massnahmen wie auch die Selbstverpflichtung der Staaten. Das Gremium präsentierte beispielsweise neue Leitlinien zur präventiven Verhinderung von Weltraumschrott.
Andererseits zielt die Abrüstungskonferenz auf die Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum (PAROS) und die Anwendung bindender Rechtsinstrumente ab. Sie befindet sich jedoch seit einiger Zeit in einer politischen Sackgasse. Ein chinesischrussischer Vorschlag, der sämtliche Waffen im All verbieten wollte, wurde 2008 durch die USA abgelehnt. Sie befürchteten die Einschränkung künftiger Waffenoptionen. Dass ASATWaffen ausgeklammert waren, bestärkte die USA darin, den Vorschlag abzulehnen. Im Juni 2014 haben Moskau und Peking einen neuen Vorschlag eingebracht, um die amerikanische Vormachtstellung einzudämmen. Die politische Akzeptanz des Vorstosses ist aber gering, auch wenn er in der UNOGeneralversammlung noch nicht definitiv vom Tisch ist.
Innerhalb der UNO sollen nun Brücken zwischen COPUOS und PAROS geschlagen werden. Dazu ist im Herbst 2015 ein Treffen zwischen dem ersten und vierten Komitee der Generalversammlung vorgesehen. Diese beschäftigen sich mit Abrüstung und internationaler Sicherheit, respektive mit dem Weltraum.
Europäische WeltraumpolitikIn Europa betrachtet man die globalen Entwicklungen mit Skepsis. Heute beherrscht Europa ein breites Spektrum an Raumfahrttechnologie. In der wissenschaftlichen Nutzung des Weltraums nimmt die ESA sogar eine führende Rolle ein. Obwohl europäische Staaten zwar selbst über militärische Weltraumkapazitäten verfügen, setzen sie sich gegen eine zunehmende «Securitization» des Weltalls ein. Die neuen Risiken transformieren aber auch die europäische Weltraumpolitik.
Die ESA wurde 1975 gegründet und zählt heute 20 Mitgliedstaaten. Bis Ende 2015 werden zudem Ungarn und Estland dazukommen. Laut Gründungskonvention dient ihre Arbeit ausschliesslich friedlichen Zwecken. In den letzten Jahren erfuhr die Formulierung der «friedlichen Nutzung» innerhalb der ESA jedoch eine Neuinterpretation. Auch Raumfahrtanwendungen, welche der Sicherheits und Verteidigungspolitik nutzen, also auch militärische Aspekte einschliessen, können ein Betätigungsfeld der Organisation einnehmen.
ESAMitgliedstaaten sind in unterschiedlichem Umfang in die militärische Weltraumnutzung eingestiegen. Deutschland, Frankreich und Italien verfügen mit der SARLupe (Radar), Pléiades, Helios 2 (optisch, infrarot) und COSMOSkyMed über eigene, nennenswerte Weltraumlagesysteme, die sie zur Unterstützung der konventionellen Streitkräfte einsetzen können.
Kinetische Anti-Satelliten-Waffen-Tests und wichtigste Weltraumverträge
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 171, April 2015
Die CSS Analysen�zur Sicherheitspolitik werden herausgegeben vom Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich. Jeden Monat erscheinen zwei Analysen auf Deutsch, Französisch und Englisch. Das CSS ist ein Kompetenzzentrum für schweizerische und internationale Sicherheits politik.
Herausgeber: Christian Nünlist und Matthias BieriLektorat: Tashi Dolma HinzLayout und Infografiken: Miriam DahindenISSN: 2296-0236
Feedback und Kommentare: [email protected] und Abonnement: www.css.ethz.ch/cssanalysen
Zuletzt erschienene CSSAnalysen:
Der Westbalkan zwischen Europa und Russland Nr. 170Verhärtete Fronten bei nuklearer Nichtverbreitung Nr. 169Sinai – von der Pufferzone zum Kriegsgebiet Nr. 168EU-Aussenpolitik: Von Ashton zu Mogherini Nr. 167Das Neo-Kalifat des «Islamischen Staates» Nr. 166Die US-Kampagne gegen den Islamischen Staat» Nr. 165
Die Neuinterpretation der ESA hängt mit der sicherheitspolitischen Entwicklung der EU zusammen. Im Vergleich zu den eingesessenen militärischen Raumfahrtnationen ist die EU ein Neuling. Eine Zäsur bildete der Kosovokrieg 1999, welcher den beteiligten europäischen NatoStaaten ihre beschränkte Beurteilungs und Handlungsfähigkeit aufzeigte. Im Vergleich zu den USA verfügte die EU über nur sehr limitierte weltraumgestützte Fähigkeiten. In der Folge entwickelte die EU deshalb die sicherheitspolitische Komponente ihrer Weltraumpolitik weiter. Dies kulminierte 2007 im Entschluss zur Europäischen Weltraumpolitik. Dieser hält fest, dass die
Raumfahrt als strategisches Gut zur Unabhängigkeit, Sicherheit und zum Wohlstand Europas beiträgt. Seit dem Vertrag von Lissabon 2009 gilt die Raumfahrtpolitik zudem «als geteilte Kompetenz» der Kommission und der Mitgliedstaaten, was der EU insgesamt eine eigenständigere Rolle in der Raumfahrtpolitik einräumt.
Gemeinsam mit der ESA verfügt die EU über wichtige internationale Prestigeprojekte. Das Navigationssystem Galileo und das SensorenNetzwerk Copernicus stellen die wichtigsten Grossinvestitionen dar. Dank Galileo, das unter ziviler Kontrolle steht, aber auch militärisch genutzt werden kann, ist es den Europäern etwa gelungen, sich unabhängiger vom Global Positioning System (GPS) der USRegierung zu machen. Daten sind sowohl in Friedens als auch in Krisenzeiten sichergrstellt. Coper-nicus wiederum ermöglicht die globale Umweltbeobachtung und sieht auch sicherheitsrelevante Dienste vor.
Auch im Bereich Rüstungskontrolle und Vertrauensbildende Massnahmen verschafft sich Europa international Gehör. 2008 brachte die EU mit dem Verhaltenskodex ICOC einen wichtigen Vorschlag für eine Lösung des Weltraumschrottproblems und gegen die ReMilitarisierung des
Weltraums ein. Während der Bereich der militärischen Nutzung des Weltraums von den Grossmächten nicht als Bereich für eine verbindliche internationale Regelung akzeptiert ist, so besteht im Bereich Weltraumschrott Potenzial für Fortschritte. Die USA, das am stärksten von Satelliten abhängige Land, sind sich ihren Verwundbarkeiten bewusst und zeigen sich hinsichtlich der Reduzierung des Weltraumschrotts eher zur Kooperation mit der EU bereit.
Weltraumsicherheit und die SchweizAuch für die Schweiz ist der Weltraum von grosser Bedeutung. Schon bei der Mondlandung 1969 war sie mit dem einzigen
nichtamerikanischen Experiment, einem Segel zur Messung des Sonnenwindes, an Bord von Apollo 11. 1975 gründete die Schweiz mit neun weiteren europäischen Staaten die ESA, die sie momentan gemeinsam mit Luxemburg präsidiert. Die
Schweizer Industrie und die hiesigen Universitäten beteiligen sich heute an fast allen ESAProjekten. Für die Industrie bietet der Zugang zur ESA eine hervorragende Plattform für Innovationen, die auch über den Weltraumsektor hinausreichen.
Aufgrund ihrer Involvierung in die europäische Raumfahrt zeigt die Schweiz seit jeher Interesse an Stabilität und Sicherheit im Weltraum und der Förderung der internationalen Zusammenarbeit in diesem Bereich. Das sich wandelnde sicherheitspolitische Umfeld und die allgemeine Zunahme an Weltraumaktivitäten stellen aber auch die Schweiz vor Herausforderungen.
Durch den ESAZuwachs über die letzten 40 Jahre und die Nichtmitgliedschaft in der EU hat die Schweiz als Weltraumakteur relativ gesehen an Gewicht verloren. 2006 beantragte der Bundesrat deshalb eine Revision der schweizerischen Weltraumpolitik. In der Folge wurde geprüft, ob die Teilnahme der Schweiz an sicherheitsrelevanten Weltraumtätigkeiten mit der Neutralität vereinbar ist. Eine Teilnahme der Schweiz am GalileoProjekt wurde als möglich angesehen, da es sich dabei nicht um Kriegsmaterial handle. Das Eidgenössische Departement für auswertige Angelegenheiten (EDA) empfahl aber eine Aus
stiegsklausel, um im Falle einer militärischen Nutzung die Beteiligung an Galileo zu beenden.
Im September 2008 wurden die Empfehlungen der Experten an den Bundesrat zur Wahrnehmung der Interessen der Schweiz im Weltraum veröffentlicht. Zentrale Punkte waren die Stärkung der Schweizer Position innerhalb Europas und die Unterstützung internationaler Prozesse zur Förderung der friedlichen Nutzung des Alls.
Heute setzt sich die Schweiz gegen einen Rüstungswettlauf und die Stationierung von Waffen im All ein. Sie befürwortet darum einerseits neue, bindende Rechtsinstrumente. Die Schweiz zeigt sich bereit, im Rahmen der Genfer Abrüstungskonferenz neue Vorschläge zu diskutieren. Andererseits ist die Schweiz seit 2008 Mitglied des UN COPUOS, wo sie sich für Vertrauensbildende Massnahmen und Verhaltensregeln im Weltraum einsetzt. Auch den von der EU 2008 eingereichten Entwurf für einen internationalen Verhaltenskodex für Weltraumtätigkeiten (EU ICOC) unterstützt die Schweiz. COPUOS und EU ICOC sind derzeit die einzigen Foren, in denen konkrete Fortschritte möglich scheinen.
Ein Ziel der Schweizer Weltraumpolitik ist es zudem, Brücken zwischen der Abrüstungsgemeinschaft und der Gemeinschaft für die friedliche Nutzung des Weltraums zu schlagen, um die Kohärenz und Komplementarität der verschiedenen internationalen Instrumente zu fördern. Die Schweiz und die EU – als überwiegend zivile Raumfahrtakteure – wollen eine Vorbildfunktion einnehmen, um der Zunahme von Weltraumrisiken entgegenzutreten. Dass die Regierung von Barack Obama die europäische Philosophie des «verantwortungsvollen Verhaltens» im Weltraum eher teilt als ihre Vorgänger und eine allfällige NachfolgeRegierung, sollte bei der Durchsetzung von neuen Verhaltensregeln im Weltraum 2015/16 bestmöglich ausgeschöpft werden.
Livio Pigoni ist Forschungsassistent am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich. Er ist u. a. Autor von Internet-Gouvernanz: Zeit für ein Update? (2014).
Durch den ESAZuwachs und die Nichtmitgliedschaft in der EU hat die Schweiz als Weltraumakteur an Gewicht verloren.