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IMRE MADÁCH DIE TRAGÖDIE DES MENSCHEN DIE ÜBERTRAGUNG VON JENŐ MOHÁCSI WURDE BEARBEITET VON GÉZA ENGL CORVINA, BUDAPEST, 1994 (achte Auflage) © TRANSLATION: JENŐ MOHÁCSI AND GÉZA ENGL ERSTES BILD Im Himmel. Der Herr auf seinem Thron im Glorienschein. Engelscharen auf den Knien. Die vier Erzengel stehen um den Thron. Strahlende Helle CHOR DER ENGEL Gepriesen sei Gott in der Höh, Ihn loben Erde, Himmelszelt. Ein Wort von ihm erschuf das All, Ein Blick von ihm zerstört die Welt. Sein ist die Kraft, das Wissen ganz, Uns streift ein Strahl von seinem Glanz. O Huld, in seines Lichtes Schein, Von ihm begnadet, Teil zu sein! Die Uridee nahm Leben an, Die Schöpfungstat, sie ist getan. O, Herr, was deines Odems voll, Leg dir zu Füßen würdigen Zoll. DER HERR Das große Werk, es ist vollbracht und gut. Der Mechanismus läuft, der Schöpfer ruht. Äonen bleibt das Räderwerk in Fluß, Eh eine Schraube man ersetzen muß.
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IMRE MADÁCH DIE TRAGÖDIE DES MENSCHEN DIE ÜBERTRAGUNG VON JENŐ MOHÁCSI WURDE BEARBEITET VON GÉZA ENGL CORVINA, BUDAPEST, 1994 (achte Auflage) © TRANSLATION: JENŐ MOHÁCSI AND

Feb 23, 2023

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IMRE MADÁCH

DIE TRAGÖDIE DES MENSCHEN

DIE ÜBERTRAGUNG VON JENŐ MOHÁCSIWURDE BEARBEITET VON GÉZA ENGLCORVINA, BUDAPEST, 1994 (achte Auflage)© TRANSLATION: JENŐ MOHÁCSI AND GÉZA ENGL

ERSTES BILD

Im Himmel. Der Herr auf seinem Thron im Glorienschein. Engelscharen auf den Knien. Die vier Erzengel stehen um den Thron. Strahlende Helle

CHOR DER ENGELGepriesen sei Gott in der Höh,Ihn loben Erde, Himmelszelt.Ein Wort von ihm erschuf das All,Ein Blick von ihm zerstört die Welt.Sein ist die Kraft, das Wissen ganz,Uns streift ein Strahl von seinem Glanz.O Huld, in seines Lichtes Schein,Von ihm begnadet, Teil zu sein!Die Uridee nahm Leben an,Die Schöpfungstat, sie ist getan.O, Herr, was deines Odems voll,Leg dir zu Füßen würdigen Zoll.

DER HERRDas große Werk, es ist vollbracht und gut.Der Mechanismus läuft, der Schöpfer ruht.Äonen bleibt das Räderwerk in Fluß,Eh eine Schraube man ersetzen muß.

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Schutzgeister meiner Welt, wohlan,Beginnt die endlos weite Bahn.Noch einmal will mein Blick euch grüßen,Wenn ihr hinbraust zu meinen Füßen.Die Schutzgeister der Sterne stürmen am Thron vorüber, indem sie einzelne und doppelte Sternkugeln, Kometen und Nebelsterne von verschiedener Größe und Farbe vor sich herrollen. Leise Sphärenmusik

CHOR DER ENGELSeht den stolzen, dünkelhaftenFeuerball im Kreise laufen:Unbewußterweise dient erEinem kleinen Sternenhaufen.Wie ein winziges Wachslicht, blinzeltJenes Sternchen dort am Himmel -Und ist eine unermeßlichGroße Welt, voll Lebenswimmel.Anzuziehen, abzustoßenSuchen sich zwei mächtige Globen,Doch im Widerstreit geradeWird der Zwiespalt aufgehoben.Donnernd saust ein Stern dort nieder,Wie erschreckend - doch Millionen,Die auf dem Planeten wohnen,Finden dort ihr Glück in Frieden.Wie bescheiden naht der künftigAuserkorne Stern der Liebe:O, daß er dem ErdenvolkeEwiglich zum Troste bliebe.Wiegen sind dies neuer Welten,Jene Särge, die verfallen:Eiteln Toren ernste Mahnung,Hoffnung den Verzagten allen.Aus der Laufbahn strebend schrecklich,Seht den störrischen Kometen,Doch ein Wort des Herrn befiehlt ihm,Nie aus seiner Bahn zu treten.Seht den lieben, jungen Schutzgeist,

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Der den Stern des Wandels leitet,Den, der sich in Pracht und Trauer,Grün und Weiß abwechselnd kleidet.Führe dich des Himmels Segen.Immer vorwärts, schöne Erde,Daß dein kleiner Ball die WalstattMächtiger Ideen werde!Schön und Häßlich, Lächeln, Tränen,Winter, Lenz im Kreise wallen,Schatten eint sich mit dem Lichte:Gottes Grimm und Wohlgefallen.Die Schutzgeister der Sterne sind davongezogen.

ERZENGEL GABRIELDu hast den Weltenraum ermessen,Du hast den Stoff in ihn gegossen,Ein Wort von dir, und Größe, FerneSind ihrem dunkeln Kern entsprossen:Hosianna dir, Gedanke!(Er sinkt nieder)

ERZENGEL MICHAELDu schmiedest ewig WandelbaresZusammen mit dem ewig Steten,Vermagst Geschlecht und Einzelwesen,Unendlichkeit und Zeit zu kneten:Hosianna dir, o Kraft!(Er sinkt nieder)

ERZENGEL RAPHAELDu läßt des Glückes Ströme fluten,Dem Körper hauchst du Wissen ein,Verleihst die Weihe deiner WeisheitDer ganzen Welt und allem Sein:Hosianna dir, o Güte!(Er sinkt nieder. Schweigen)

DER HERRNun, Luzifer, du schweigst voll Dünkel,

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Du findst kein Wort zu meinem Preis?Gefällt dir nicht, was ich erschaffen?

LUZIFERWas sollte mir daran gefallen?Daß Stoffe neue EigenschaftenErwarben, die du wohl nicht ahntest,Bevor sie dir sich offenbarten- Wenn ja, sie ändern kannst du doch nicht -,Und die, zu Kugeln umgestaltet,Einander anziehn, jagen, stoßen,In Würmern zum Bewußtsein dämmern,Bis alles sich erfüllt, vergehtUnd nur die Schlacke übrigbleibt.Dies macht der Mensch, wenn er’s erlauscht,Dir bald in der Retorte nach.In deine Küche stellst du ihnUnd grollst ihm nicht, daß er da stümpertUnd braut und meint, er sei ein Gott.Doch wenn er dann den Brei verpfuscht- Was soll denn sonst ein Dilettant? -,Entflammst du viel zu spät im Zorn.Und dann, wozu die ganze Schöpfung?Du schriebst ein Lied zum EigenlobFür einen schlechten Leierkasten,Und stets tönt dir ins Ohr wie neuDie immer gleiche Melodei.Ist deiner würdig, hoher Greis,Dies Kinderspiel? - Daß seinen HerrnEin Fünkchen äfft, aus Dreck geknetetZur Mißgestalt, zum Bilde nie,Verstrickt in Willen und Verhängnis,Bar der Vernunft und Harmonie.

DER HERRNur Huldigung gebührt mir, nicht Kritik.

LUZIFERIch kann nur geben, was mein Wesen ist.

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(Er deutet auf die Engel)Dich lobt genug die Jammerschar,Ihr ziemt dies Loben wunderbar.Dein Schatten sind sie, doch ich binIch selbst und bin seit Angebinn.

DER HERRVermeßner! Eh der Stoff dich schuf,Wo war dein Raum, wo deine Kraft?

LUZIFERDas könnt ich dich genauso fragen.

DER HERRIch trug endlose Zeit den Plan,Stets war in mir, was jetzt geworden.

LUZIFERUnd fühltest du die Lücke nicht,Die jedes Werdens Schranke bliebUnd hemmend dich zum Schaffen trieb?Hieß Luzifer nicht diese Schranke,Aller Verneinung Urgedanke?Du warfst mich nieder, denn es istMein Los: im Kampfe stets zu fallen,Doch steh ich auf in neuer Kraft.Du zeugtest Stoff, ich fand mir Raum.Das Leben ist vom Tod beschattet,Verstimmung folgt dem Glück, dem LichtDer Schatten, Zweifel trübt die Hoffnung.Mein Platz ist neben dir. Nun soll,Wer dich durchschaut, dir huldigen?

DER HERRHa, Geist des Aufruhrs! Weg von mir!Zermalmen könnt ich dich - ich tu’s nicht.Verbannt aus jedem Geisterbunde,Verzehre dich von dieser StundeIm Pfuhle kalter Einsamkeit,Zerquält vom Wissen um dies Leid:

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Magst rütteln du im Staub die Schellen,Im Kampf mit Gott mußt du zerschellen!

LUZIFERDu stößt mich nicht so leicht von dirWie schlechtes, abgetanes Werkzeug.Gib meinen Anteil an der SchöpfungHeraus.

DER HERR (mit Spott)      Es sei. Blick auf die Erde.Dort unter Edens Bäumen siehDie schlanken zwei. Sie sein verfluchtUnd dein.

LUZIFER      Du knauserst, großer Herr!Doch mir genügt ein Fußbreit Erde,Um die Verneinung einzupflanzen,Zu stürzen deine Welt im ganzen.(Er geht)

CHOR DER ENGELVerdammter, fort von diesem Ort,Gesetz ist, Herr, dein heiliges Wort!

ZWEITES BILD

Im Paradies. In der Mitte der Baum der Erkenntnis und der Baum des ewigen Lebens. Adam und Eva kommen von verschiedenen Tieren mit sanfter Zutraulichkeit umgeben. Aus der offenen Himmelstür strahlt Glorienschein, und die leise Harmonie der Engelschöre ist zu vernehmen. Sonniger Tag

EVAAch, leben, ach: wie süß, wie schön!

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ADAMUnd Herr sein über alles, alles!

EVAUnd fühlen, daß für uns gesorgt wird.Nur Dank zu sagen brauchen wirDem Spender aller dieser Wonnen.

ADAMAbhängig sein behagt dir, scheint’s.Mich dürstet, Eva. Sieh, verlockendWinkt diese Frucht.

EVA      Ich pflücke sie.

DIE STIMME DES HERRNHalt ein, halt ein! Dein sei die Erde,Doch meide diese beiden Bäume!Ein andrer Geist bewacht die Früchte,Wer sie genießt, der ist des Todes.Lab dich an jenen Purpurtrauben,Genieß die Ruhe dort im Schatten,Der mild vor Sonnenglut dich schützt.

ADAMSeltsam Gebot, doch ernst gemeint.

EVAWarum sind diese Bäume schöner?Warum die schönsten grad verwehrt?

ADAMWarum? Warum ist blau der Himmel,Ist grün der Hain? So ist es eben.Laß uns gehorchen, folg mir, Eva.Sie lassen sich in einer Laube nieder.

EVAKomm an mein Herz, ich fächle Kühle dir.Starker Windstoß. Luzifer erscheint im Laub.

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ADAMWas ist das, Weib? Nie hört ich solches,Als hätte feindlich fremde MachtUns überfallen.

EVA      Ach, ich bebe.Verstummt ist auch der Himmelsklang.

ADAMIch hör ihn noch an deiner Brust.

EVAUnd ich, erlischt die Glorie oben,Erkenne sie in deinen Augen.Wo könnt ich außer dir sie finden,Ich, die dein heißes Sehnen schuf,Wie lichterloh die hehre Sonne,Um nicht verwaist im All zu stehn,Sich auf des Wassers Spiegel maltUnd spielt mit ihr, mit der Genossin,Vergessend gütig, daß die andre,Das blasse Bild der eignen Glut,Mit ihr zugleich ins Nichts versänke.

ADAMO sprich nicht so, beschäm mich nicht.Was ist der Schall, den keiner hört,Der Strahl, den keine Farbe auffängt?Was wäre ich, wenn nicht in dir- Dem Widerhall, den Blumen gleich -Mein Sein zu schönrem Sein erblühte,In dem mein Selbst ich lieben darf?

LUZIFERWas lausch ich diesem süßen Tändeln?Ich wend mich ab, sonst trifft mich nochDie Schande, daß Vernunft, die kalte,Das kindliche Gemüt beneidet.Ein Vöglein auf einem nahen Zweig stimmt sein Lied an.

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EVAO Adam, höre doch, verstehst duDes kleinen Schelmes Liebeslied?

ADAMIch lauschte hier dem Bach, sein RauschenErklang, so schien mir, ebenso.

EVAO wundervolle Harmonie:So viele Klänge, eins der Sinn.

LUZIFERWas zögre ich? Auf denn, ans Werk!Ich tat den Schwur, sie müssen fallen.Doch zweifelnd blieb ich wieder stehn.Ob nicht vergebens ich die WaffenDes Wissens und der Ehrsucht führe,Denn ihnen bleibt als Schutz und ZufluchtEin Hort, der vor Erschlaffen wahrt,Aufrichtet den, der stürzt: die Liebe.Was grüble ich? Wer wagt, gewinnt!Neuer Windstoß. Luzifer erscheint vor dem erschrockenen Menschenpaar. Der Glorienschein verdüstert sich. Luzifer lacht.Was staunt ihr?(Zu Eva, die fliehen will)      Bleib doch, holdes Wesen,O laß ein Weilchen dich bewundern.Eva bleibt stehen und faßt langsam Mut.Er - beiseiteDer Kniff wird ewig sich bewähren.(laut)Adam, du bangst?

ADAM      Vor dir, du Wicht?

LUZIFER(beiseite)Ein guter Ahn für Männerstolz.

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(laut)Ich grüß dich, Brudergeist!

ADAM      Wer bist du?Kommst du von oben oder unten?

LUZIFERWie dir’s gefällt, uns gilt es gleich.

ADAMSo gibt es außer uns noch Menschen?Das wußt ich nicht.

LUZIFER      Hoho, es gibtNoch mehr, was du nicht weißt und nieErfahren wirst. Hat dich vielleichtDer fromme Greis aus Staub erschaffen,Um diese Welt mit dir zu teilen?Du preisest ihn, er sorgt für dich,Sagt: Nimm von dem und fürchte das.Er schützt und führt dich wie ein Schäfchen.Was brauchst du dir bewußt zu werden?

ADAMBewußt? - Bin ich mir nicht bewußt?Empfind ich nicht der Sonne Segen,Die süße, süße Lust des Seins,Unendlich meines Gottes Huld,Der mich zum Gott der Erde machte?

LUZIFERDasselbe hält von sich die Made,Die sich an deinen Früchten mästet,Der Aar auch, der das Vöglein reißt.Was macht dich edler denn als jene?Ein Funke dämmert auf in euch,Das Walten einer Riesenkraft;Wie Wellenschaum, emporgeschleudert,

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Glänzt ihr und fallt zurück sogleichIn eines Flußbetts gleiches Tiefe.Nun, eines gäb’s: das Denkvermögen,Das unbewußt in deiner Seele dämmert,Das spräch dich mündig, denn es ließeDich zwischen Gut und Böse wählen.Damit du selbst bestimmst dein Schicksal,Befreit von aller Himmelsfügung.Doch besser ist’s Mistkäfern gleichIm dumpfen Pfuhle zu gedeihenUnd ohne Wissen hinzudämmernIn treuem Glauben. Sei du selbst!Das wäre edler zwar, doch schwierig.

ADAMWelch große Worte! Mir wird schwindlig.

EVAMir klingt es schön und neu, begeisternd.

LUZIFERDein Wissen kann dir nicht genügen:Soll es in großen Werken wirken,Gehört dazu Unsterblichkeit.Denn was vermag das kurze Dasein?Zwei Bäume bergen jene Güter,Und die verbot dir dein Gebieter.Gottgleiches Wissen kann der eine geben,Der andre aber spendet ewiges Leben.

EVAWie grausam ist doch unser Schöpfer!

ADAMDoch wenn du lügst?Der Glorienschein klärt sich ein wenig.

HIMMELSCHOR      Welt, wehe dir,Der Zweifel ist erwacht!

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DIE STIMME DES HERRN      Mensch, hüte dich!

ADAMWer sprach zu mir?

LUZIFER      Im Laub der Wind.Helft, Elemente,Nah ist die Wende!Fällt der Mensch heute,Habt ihr die Beute.Windstoß. Der Glorienschein verdunkelt sich.Mein sind die beiden Bäume!

ADAM      Und wer bist du?Es scheint, als wärst du unsresgleichen.

LUZIFERSieh dort den Aar in Wolken kreisenUnd hier in seinem Bau den Maulwurf:Verschieden ist ihr Horizont.Das Reich der Geister liegt dir fern.Das höchste ist für dich der Mensch.Und für den Hund der Hund: wählt erDich zum Gefährten, ehrt er dich.Doch so wie du gering ihn schätztUnd Gott gleich sein Verhängnis spielst.Ihn strafen und beglücken kannst,So blicken wir auf euch hinab,Des Geisterreiches stolze Wesen.

ADAMVon diesen Geistern wärst du einer?

LUZIFERDer Stärkste unter Starken, standIch neben Gottes Thron und teilteMit ihm die schönste Glorie.

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ADAMWarum verließest du den Strahlenhimmel?Und kamst in unsre Welt des Staubs?

LUZIFERDer zweite Platz, den ich dort hatte,Verdroß mich. Auch das Einerlei,Der Himmelschor, der kindisch platte,Sein blödes, ewiges Lobgeschrei;Ich brauchte Kampf, Disharmonie,Denn neue Kraft gebiert nur sie,Die Welt, wo Größe sich bewährte.Wer tapfer ist, sei mein Gefährte.

ADAMGott würd uns strafen, wichen wirVom Wege ab, den er uns wies.

EVAWofür uns strafen? Wies er unsDen Weg, den wir beschreiten sollen,Dann schuf er uns gewiß auch so,Daß uns kein böser Trieb verleite.Was stellt er uns an einen Abgrund,Wenn er nicht unsren Sturz auch will?Doch wenn er auch die Sünde plante,So wie den Sturm an warmen Tagen,Ist dieser sündig, weil er rast,Und schuldlos nur der Sonnenglast?

LUZIFERSieh da, der erste Philosoph!Mein Kind, dir werden viele folgen,Die aller Wege gleiches sinnen,Ins Irrenhaus verirrt sich mancher.Andre verzagen, keiner landetIm Hafen. Also laßt das Grübeln!Denn jedes Ding hat viele Farben:Wer alle prüft, weiß weniger,

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Als auf den ersten Blick er sah.Nie kommt ein solcher zum Entschluß.Das Grübeln ist der Tod der Tat!

EVASo will ich pflücken von den Früchten.

ADAMDer Herr hat sie verdammt.Luzifer lacht.      Ah, pflück sie nur,Komm über uns, was kommen muß!Wir wollen wissend sein wie Gott.Sie kosten vom Apfel der Erkenntnis: zuerst Eva, dann Adam.

EVAUnd ewig jung.

LUZIFER      Drum jetzt geschwind.Zum Baume der Unsterblichkeit!Hierher, macht schnell!Er drängt sie zum andern Baum, ein Cherub mit flammendem Schwert verstellt ihnen den Weg.

CHERUB      Hinweg, ihr Sünder!

DIE STIMME DES HERRNAdam, verlassen hast du mich!Nun denn, auch ich verlasse dich,Sieh, was du taugst, auf dich gestellt.

EVAWir sind verloren!

LUZIFER      Bangt euch?

ADAM      Ha!

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Das sind nur Schauer des Erwachens.Doch fort von hier, mein Weib, nur fort!Wie fremd und öd ward dieser Ort.

HIMMELSCHORBeweinet, ach, die sündigen Toren:Die Lüge siegt - die Erde ist verloren!

DRITTES BILD

Außerhalb des Paradieses. Gegend mit Palmen. Kleine, rohgezimmerte Holzhütte. Adam schlägt Pflöcke zu einer Umzäunung ein. Eva baut eine Laube. Luzifer

ADAMDas ist mein Land. Ein Fußbreit stattDer weiten Welt. Doch ich bin Herr.Ich schütz mein Land vor wilden TierenUnd zwinge es, mir Frucht zu tragen.

EVAUnd ich bau eine Laube, soWie jene war, und zaubre her dasVerlorne Eden.

LUZIFER      Große Worte!Familie und Eigentum:Sie werden einst die Welt bewegenUnd alle Lust und Qual gebären.Die zwei Begriffe wachsen riesigUnd heißen Heimat und Gewerbe,Sie zeugen alles Große, EdleUnd fressen ihre eignen Kinder.

ADAMDu sprichst in Rätseln. Du versprachst

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Mir Wissen! Drum entsagt’ der Lust ich,Um, wenn auch kämpfend, groß zu sein.Und mein Gewinn?

LUZIFER      Du fühlst ihn nicht?

ADAMIch fühle: Als mich Gott verließ,Mit leerer Hand ins Öde stieß,Verließ ich ihn, um selbst mir GottZu sein. Was ich erringe, dasIst mein. Dies gibt mir Kraft und Stolz.

LUZIFER (beiseite)Du schmähst den Himmel, eitler Fant;Dein Wert wird erst, wenn’s blitzt, erkannt.

EVAMein Stolz hinwieder soll es sein,Daß ich der Menschheit Mutter werde.

LUZIFER (beiseite)Des Weibes höchstes Ideal:Verewigung der Erdenqual.

ADAMWas dank ich ihm? Mein nacktes Sein?Das Sein, das seineswert erst wird,Wenn meine Müh es dazu macht.Die Wonne eines WassertrunksVerdien ich erst durch heißen Durst.Der Preis der Süße eines KussesIst die Verstimmung, die ihm folgt.Und hab ich auch des Dankes FesselnGelöst, wodurch ich frei mein SchicksalGestalten kann, aufbaun, zerstören,Abtastend, was mein Plan erdachte:Dazu braucht ich nicht deine Hilfe,Aus eigner Kraft vermöcht ich’s auch.

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Du streiftest mir nicht ab die Kette,Die meinen Leib dem Staub vermählt.Ich fühl, doch weiß ich’s nicht zu nennen,Was meine stolze Seele zügelt;Vielleicht ein Haar nur, um so schlimmer!Ich möchte springen und ich falle,Den Dienst versagen Aug und Ohr,Wenn ich die Ferne will enträtseln;Und zieht mich Phantasie hinan,Der Hunger hält mich fest im Staube,Den ich beschämt mit Füßen trete.

LUZIFERDies Band ist stärker noch als ich.

ADAMDann bist du wohl ein schwacher Geist,Wenn dieses dünne Spinngewebe,In dessen unsichtbarem Netz- Geahnt allein von Auserwählten -Millionen zappeln, frei sich wähnend:Wenn dieses Nichts dir trotzen kann.

LUZIFERNur dieses eine kann mir trotzen,Weil Geist es ist wie ich. Du glaubst,Was in Verborgnem wirkt und lautlos,Das sei nicht stark? Du irrst! Was WeltenErschüttert und erschafft, wirkt oftIm Dunkeln, weil sein Anblick schwindeln macht.Nur Menschenwerk, für kurze ZeitBemeßnes, klirrt und glitzert eitel.

ADAMSo laß mich einen Augenblick- Ich bin ja stark - dies Wirken schaun,Das mich, der ich ein Abgeschloßnes,Ein Ganzes bin, beherrschen kann.

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LUZIFER„Ich bin” - Unsinn! Du warst, wirst sein.Das Leben ist: vergehn und werden -Doch sei’s, schau nun mit Geisteraugen.

ADAM(Was er sagt, wird sichtbar)Was ist die Flut, die mich umrauscht,Die endlos in die Höhe strebt,Sich teilt und wie der Sturmwind jagtDen Polen zu?

LUZIFER      Das ist die Wärme,Die Leben trägt ins Reich des Eises.

ADAMUnd dieser Flammendoppelstrom:Er braust vorbei und reißt mich fastMit sich und schenkt mir doch Belebung.Was ist’s? Es hat mich ganz betäubt.

LUZIFERMagnetsche Kraft.

ADAM      Es bebt die Erde.Was unter mir für fest ich hieltUnd formlos sah, ist Stoff, der gärt,Der unbezwinglich nach GestaltUnd Leben ringt, dort als Kristall,Als Knospe hier. In diesem ChaosWas soll aus meinem Ich denn werden,Aus dir, mein Leib, dem ich so törichtAls sichrem Werkzeug hab getrautIm großen Planen, großen Sehnen?Mein Leib, verwöhntes Kind, das mirBald Wonne und bald Leid beschert,Wirst du zu einer Handvoll Staub;Dein übriges zu Luft und Wasser?

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Das jüngst noch lebensfrisch sich freute,Mein Ich, verfliegt in Dampf und Nebel?Ein jedes Wort und alles, was ich denke,Verbraucht ein Teilchen meines Wesens;Ach, ich verbrenne! - und das Feuer schürtVielleicht ein rätselhafter Geist,Der sich an meiner Asche wärmt.Fort dies Gesicht, mich packt der Wahnsinn!In Qualen des VerlassenseinsMit hundert Elementen kämpfen,Wie furchtbar, furchtbar! Warum stieß ichDie Vorsehung von mir, die meinInstinkt geahnt, doch nicht geschätzt hat,Mein Wissen wünscht, doch, ach, vergebens!

EVAJa, ja, so ähnlich fühl ich auch.Wenn du mit wilden Bestien kämpfstUnd ich schon müd den Garten pflegeUnd in der weiten Welt mich umseh:Kein Freund im Himmel und auf Erden,Kein Bruder, der mich schützt und tröstet.Wie anders war’s in beßrer Zeit.

LUZIFER (spöttisch)Sind eure Herzen gar so bänglich,Daß ohne Pfleger ihr gleich friertUnd euch nach einer Leine sehnt?So will ich einen Gott beschwören,Viel milder als der strenge Greis:Den Erdgeist, den bescheidnen Jungen,Den hübschen aus dem Engelschor.      Erscheine, Erdengeist,      Ich zwinge dich, du weißt,      Urzweifel ruft dich her,      Wer wagt es, wenn nicht er?Flammen schlagen aus der Erde, eine dichte dunkle Wolke mit Regenbogen bildet sich unter schrecklichem Donner.

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LUZIFER (tritt zurück)Wer bist du, Schreck? Den ich gerufen,Der Erdgeist, der ist zart und sanft.

STIMME DES ERDGEISTESWas schwach du sahst im Himmelschor,Ist endlos stark im eignen Kreis.Da bin ich, weil dem Ruf des GeistesIch folgen mußt. Doch nur zu rufenVermagst du mich, nicht zu beherrschen!Vor meinem Angesicht vergehst du,Und diese Würmer hier zerstieben.

LUZIFERWie dringt in deine stolze NäheDer Mensch, wenn er zum Gott dich kürt?

STIMME DES ERDGEISTESZerteilt im Wasser, in den Wolken,Im Hain und allwohin er blicktMit starkem Trieb und hohem Herzen.Das Phänomen verschwindet. Anmutige spielende Nymphen bevölkern die Quelle, den Hain.

EVAAch sieh die lieben Schwestern rings,Und sieh, wie lieblich sie uns grüßen.Vorbei sind Wildnis, Einsamsein,Mit ihnen zieht das Glück hier ein,Sie geben Trost in unserm LeidUnd Rat im Zweifel jederzeit.

LUZIFERDen besten Rat holt euch ihr beiden- Die ihr ja selber wollt entscheiden -Bei diesen Feen, den lieblich trauten,Die reden, wie die Fragen lauten:Sie lächeln freundlich an den Reinen,Dem Zagen sie als Spuk erscheinen;Sie werden euch, gewandelt hundertmal,

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Geleiten zu des Weges Abend,Den Forschergeist mit Kühle labend,Des ewig jungen Herzens Ideal.

ADAMWas soll mir dieses Gaukelspiel,Das ich ergründen doch nicht kann!Ein Rätsel mehr, das mich nun reizt.So täusche mich nicht länger, halteDein Wort und laß mich alles wissen!

LUZIFER(beiseite)Dies Wissen wird dir einst so bitter,Daß du um Torheit betteln wirst.(laut)Geduld. Selbst die geringste LustHast du mit Kampf dir zu erringen,Noch viele Schulen durchzustehen,Oft irren, bis du alles weißt.

ADAMGeduld, Geduld: du hast es leicht!Die Ewigkeit liegt offen dir,Doch ich aß nicht vom Baum des Lebens,Die Spanne Dasein treibt zur Eile.

LUZIFERJedwedes lebt die gleiche Zeit:Uralter Baum und EintagsfliegeEmpfinden, freun sich, lieben, sterben,Wenn Lebensfron und Lust erfüllt sind.Wir ändern uns und nicht die Zeit.Tag und Jahrhundert gelten gleich.Gemach, auch du erreichst dein Ziel.Doch wähne nicht, des Menschen Geist seiAuf diesen Leib von Staub beschränkt.Ameisen sieh und Bienenschwärme,So wimmeln tausend durcheinander:

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Sie handeln blind, sie irren, stürzen,Das Ganze aber als ein StetesLebt fort und webt in GeisteseinheitUnd führt den Plan zum sichern Ende,Bis alles stillesteht dereinst.Dein Leib wird auch in Staub zerfallen,Doch du erstehst in hundert Formen,Und neu beginnen mußt du nichts:Du büßt die Schuld in deinem Sohne,Und weiter schleppt er deine Gicht;Was du erfährst und fühlst und lernst,Verliert sich Jahrtausende nicht.

ADAMSo blickt enttäuscht zurück ein Greis.Doch ich bin jung und wünsche heißNur einen Blick in künftige Zeit:Zu sehn, wofür ich kämpf und leid.

EVAMir zeig im Wandel der Gestalten,Daß meine Reize nie veralten.

LUZIFEREs sei. Berührt durch Zauberhände,Durchschaut die Zeiten bis ans EndeIm Traumgesicht, in schwanken Bildern;Doch wenn ihr seht, das Ziel wie leer,Der Weg wie lang, der Kampf wie schwer:Um euer Zagen doch zu mildern,Daß ihr nicht flieht das Kampfgetümmel,Setz ich ein Licht an euren Himmel,Es hilft, verwandelnd Not und QualIn Wahn, und nennt sich Hoffnungsstrahl.Unterdes führt er Adam und Eva in die Hütte, wo sie sich binlagern und einschlummern.

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VIERTES BILD

In Ägypten. Vorn eine offene Halle. Adam als Pharao, jung, sitzt auf dem Thron, Luzifer als sein Minister; in ehrerbietiger Entfernung glänzendes Gefolge. Im Hintergrund arbeiten Sklaven an dem Bau einer Pyramide, Aufseher halten sie mit Geißeln in Zucht. Heller Tag

LUZIFERMein Fürst! Bekümmert fragt dein Volk,Das selig für dein Wohl verblutet,Was mag es sein, das PharaoNicht ruhn läßt auf des Thrones Kissen?Was opferst du des Tages Wonnen,Der Nächte süße Traumgebilde,Und läßt die Last der großen PläneDem Sklaven nicht, dem sie gebührt?Dein ist ja auf der weiten WeltDes Ruhmes und der Herrschaft FülleUnd alle Wollust, die der Mensch erträgt!Dir strömen zu die reichen SchätzeAus hundert Ländern, dir nur duftenAll ihre Blumen, dir nur reifenAll ihre Früchte. Und die Frauen,Die schönsten seufzen dir entgegen;Die blonden mit verträumten Augen,So fein und zart wie Feengestalten,Die braunen mit lechzenden Lippen,Zu toller Leidenschaft entfacht -Dein sind sie alle. Deine LauneIst ihr Geschick, das sich erfüllt,Wenn dir sie die Minuten würzen.

ADAMDies alles kann mein Herz nicht reizen,Ich kämpfe nicht um Zwangstribut.Doch mit dem Werk, das ich erschaffe,Fand ich den Weg, ich glaub es fest,Der mich zur wahren Größe führt.

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Bewundern muß Natur die Kunst,Äonen künden meinen Namen.Erdbeben, Stürmen trotzt das Werk:Der Mensch ward stärker als sein Gott.

LUZIFERUnd bist du, Pharao, auch glücklichIn diesem Wahne? Hand aufs Herz!

ADAMIch fühl im Herzen nichts als Leere.Was tut’s? Nicht Glück hab ich erfleht,Nur Ruhm, und der bestrahlt mein Tun.Doch darf das Volk es nicht erfahren,Sonst zollt es Mitleid statt Verehrung.

LUZIFERUnd wenn du einst erkennst, wie eitelDer Ruhm ist und wie kurz das Spiel?

ADAMDas kann nicht sein!

LUZIFER      Wenn doch?

ADAM      Dann stürb ich,Die Welt, die nach mir folgt, verfluchend.

LUZIFERSo leicht wär dies doch nicht getan,Du fingst vielmehr von vorne an.Einer der arbeitenden Sklaven wird von den Aufsehern so grausam geschlagen, daß er wehklagend und verfolgt in die offene Halle flüchtet undvor dem Thron zusammenbricht.

DER SKLAVEHilf, Herr!Eva, als Weib des Sklaven, entringt sich den Arbeitern und wirft sich mit schmerzlichem Aufschrei über ihren Mann.

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EVA      Ihn fleh nicht an, du Armer,Der unsre Qualen nie geteilt hat.Er hört dich nicht. Leis ist das WehUnd hoch der Thron. Ruf doch nach mir,Die dich bedeckt und mit dem LeibDie Schläge auffängt!

ADAM(zu den hereindringenden Aufsehern, die den Sklaven und sein Weib hinauszerren wollen)      Laßt ihn! Geht!Die Aufseher abWie faßt mich nie geahntes Fühlen!Wer ist dies Weib, woher ihr Zauber,Daß sie den großen PharaoZu sich hinabzerrt in den Staub?(Er steht auf)

LUZIFERDies ist aufs neu der Fäden einer,In die der Herr zum Spott dich spinnt,Daß du, als stolzer Falter flatternd,Dich deines Raupenseins besinnst.Stark ist der dünne Faden, unsern FingernEntgleitet er, und so vermag ich nichtIhn zu zerreißen.

ADAM (steigt von des Thrones Stufen herab)      Tu es nicht.Er kränkt zwar, doch er tut auch wohl.

LUZIFERDoch dieses Joch zu tragen ziemtDem weisen König nicht.

ADAM      Was also tun?

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LUZIFER (spöttisch)Nur eins: Das Wissen tue so,Als gäb es diesen Faden nicht,Und spotte sein durch Kraft und Stoff.

ADAMIch kann ihn nicht verspotten noch verleugnen.

EVAGeliebter, ach, dein Blut verströmt.Wie still ich es? Sag, schmerzt es sehr?

DER SKLAVEDas Leben schmerzt, doch nicht mehr lange.

EVANicht doch! Was wär des Lebens Sinn,Stürbst du, kaum daß du mich gefunden?

DER SKLAVEWas taugt ein Knecht? Er schleppt dem StarkenZur Pyramide Steine, stellt den SohnIns Joch und stirbt. Für Einen Millionen!

ADAMAch, Luzifer, wie spricht er furchtbar!

LUZIFERIm Sterben irre Fieberworte.

ADAMWie sagte er?

LUZIFER      Laß sein, Gebieter.Ein Sklave weniger auf Erden!Ist keine Sache von Bedeutung.

EVADir eine Zahl, mir eine Welt!O tiefstes Weh, wer wird mich lieben?

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DER SKLAVEIch nicht mehr. Weib, vorbei, vergiß mich.(Er stirbt)

ADAMNicht er, dann ich. Fort mit dem Toten.Der Leichnam wird aufgehoben.Empor, du Schöne, auf den Thron:Denn deine Anmut ist so mächtigWie meine Kraft; drum haben wirUns finden müssen.

EVA      Pharao,Dein Wort entscheidet unser Schicksal!Ich widerstrebe nicht, doch laßMir kurze Zeit, und dann befiehl.

ADAMNicht dieses Wort! Reicht meine MachtSo weit wie mein Befehl, nicht weiter?

EVAEs ist schon viel, wenn dein BefehlMich jetzt nicht schmerzt - mißgönne nichtDem Toten diese ersten Tränen.Ein schöner Toter, o wie schön!(Sie wirft sich über ihn.)

ADAMEin schöner Toter: welch ein Widerspruch!Sein Totsein spottet unsrem Wollen.Verlacht mitleidig unsren Wahn.

LUZIFEREntflohner Sklave, der dir trotztUnd stärker ward als deine Ketten.

ADAMDem Tod die Ruh, doch Heil dem Leben.Er fühlt die Träne nicht, dein Lächeln

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Entbehren ist mir Qual.Der Tote wird hinausgetragen. Adam führt Eva auf den Thron.      So komm!Es ruht sich süß an deiner Brust!Wehklagen unter den Arbeitern. Eva fährt zusammen.Was hast du, Liebste?

EVA      Hörst du nichtDes Volkes Schrei?

ADAM      Zum erstenmal.Kein schöner Klang. Doch hör nicht hin.Küß mich und denk nicht an die Welt.(Zu Luzifer)Und du mach diesen Schrei verstummen.

LUZIFERDas kann ich nicht. Das Recht zu schreinHat mit dem Joch das Volk geerbt.Neues Wehklagen. Eva schreit auf. Adam erhebt sich.

ADAMDu leidest, Weib! Wie helf ich dir?Der Wehruf, der dein Herz durchzuckt,Trifft mich wie Blitzschlag auf das Haupt,Als wär’s ein Hilfeschrei der Welt.

EVAZertritt mich, König, doch verzeih:Des Volkes Schrei läßt mich nicht ruhn!Ich weiß, ich bin nur deine Magd,Mein Lebensziel: dich zu erfreun;Vergessen sei die Außenwelt:Was arg, was hehr, mein Traum, mein Toter,Nur daß die Lippen lächelnd für dich glühn.Doch wenn das millionenarmige Volk,Gepeitscht vor Schmerzen schreit, fühl ich,Des wunden Körpers kleinstes Glied,

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Fühl ich, des Volks abtrünniges Kind,Im Herzen mit sein ganzes Leid.

ADAMUnd ich mit dir. - „Für Einen Millionen”,So rief’s der Tote.

EVA      Pharao!Dein Blick ist düster, ich bin schuld.Verjag mich oder lehr mich, taubZu sein.

ADAMDu bist der beßre Meister,Hast mich gelehrt, das Weh zu hören.Ich will es aber nicht mehr hören!Frei sei das Sklavenvolk! Was soll der Ruhm,Der einem Einzigen wird durch WehUnd Untergang von Millionen,In denen auch ein gleiches Wesen atmet?Millionenmal fühl ich die Qual,Die Wonne nur ein einzigmal.

LUZIFERAch, Herr, du schwärmst! Vom Schicksal istDas Volk verdammt, ein Tier zu sein,Das in der Mühle jeder OrdnungDas Rad dreht. Heute freigelassen,Gewinnt es nicht, was du verschleuderst,Und sucht sich morgen neue Herren.Glaubst du, es würd den Nacken beugen,Wenn es nicht lechzte nach dem Joch,Und wenn es seines Werts bewußt wär?

ADAMWas klagt es dann, als litt esUnterm Joch?

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LUZIFEREs leidet schon, warum, ist ihm nicht klar.Denn jeden Menschen treibt die Herrschsucht.Und dies Gefühl, nicht BruderliebeFührt immerfort die große MasseDem Freiheitsbanner zu. Sie fühltSich angezogen unbewußtVon alledem, was irgend neu ist,Das heißt: Verneinung des Bestehnden.Sie hofft darin erfüllt zu sehn,Was sie erträumt sich hat vom Glück.Doch ist das Volk ein tiefes Meer.Kein Strahl durchdringt die finstre Masse.Nur oben glänzt der Wellen Kamm,Und dieser bist vielleicht jetzt du.

ADAMDoch warum ich?

LUZIFER      Du oder ein Verwandter,In dem der Trieb des Volks bewußt wird,Und der, bestaunter Held der Freiheit,Dich frech von deinem höchsten Platze stößt,Indes das Volk, das nichts gewonnen,Den Namen wechselt, bleibt der Herr.

ADAMSo endlos wär der Weg im Kreis.Aus dem es kein Entrinnen gibt?

LUZIFERDas gibt es. Schenke Ring und KetteDen Auserwählten oder andresSpielzeug und sprich: „So setze ichEuch übers Volk, dies adelt euch” -Sie glauben dir, verachten jeneUnd dulden, daß du sie verachtest.

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ADAMVerlock mich nicht mit Truggedanken.Die Sklaven fort! Sie seien frei!Verkünd es ihnen, spute dich,Wenn ich’s bereu, sei’s schon zu spät.

LUZIFER (beiseite)Nur immer zu, glaub dünkelhaft,Daß du beschließt, was Schicksal schafft.(Ab)

ADAM (deutet auf die Pyramide)Und dieses Werk bleib unvollendet,Der Kraft und Schwäche Fragezeichen!Wer Großes will, dem sei’s zur Warnung,Draußen großes Freudengeschrei, die Arbeiter zerstreuen sich, Luzifer kehrtzurück.Die Größe beugt sich, freu dich, Volk,Nur glaube nicht, sie tat’s gezwungen.

EVAGeliebter, tröste dich. Was giltDer schale Ruhm, der zwischen unsWie eine kalte Schlange schleicht?

ADAMDoch er ist groß!

EVA      Laß ihn! Das Weh,Das unsre Lust zerriß, verstummte,Ruh wunschlos nun an meiner Brust.

ADAMWie eng ist, Weib, dein Horizont,Und eben dies verlockt den Mann.Denn Kraft kann nur die Schwäche lieben.Am liebevollsten hegt die MutterDie Unbeholfenheit des Kindes.

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EVAAch, Pharao, ermüdet dichVielleicht mein unnütz dummes Schwätzen?Ich bin nun einmal nicht gescheiter.

ADAMWünsch dir es nicht zu sein, Geliebte.Verstand besitze ich genug.Nicht Kraft und Größe suche ichAn deiner Brust, auch nicht das Wissen.Dies find ich in den Büchern besser.Du sprich, laß mich die Stimme hören,Ihr Beben durch das Herz mir fluten.Was du auch sagst, es ist mir lieb.Wer fragt denn, was das Vöglein singt:Wir hören zu mit süßem Ahnen.Sei Blume, sei ein teures Kleinod,Unnütz, doch schön: dies deine Sendung.(Zu Luzifer)Und doch ein Wunsch verscheucht den Rausch mir,Der töricht sein mag, doch erfüll ihn:Laß einen kühnen Blick mich werfenJahrtausende voraus. Was wirdAus meinem Ruhm?

LUZIFER      Bei süßem KüssenVerspürst du nicht den sanften Hauch,Der flüchtig deine Wange fächelt?Ein wenig Staub läßt er zurück;In einem Jahr liegt fingerbreitDer Staub, in hundert Jahren wohlSchon kniehoch, und in tausend JahrenBedeckt er deine Pyramiden,Begräbt im Sandwall deinen Namen.In deinen Gärten heult der Schakal,Und Bettelvolk streift durch die Wüste.Alles, was Luzifer sagt, wird sichtbar.Kein himmelstürmender Orkan

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Bewirkt dies, auch kein wildes Beben,Ein schwacher Hauch nur, der dich kost.

ADAMFurchtbares Bild!

LUZIFER (spöttisch)      Wieso? Dein Geist nurEntweicht, dein Leib als Mumie bleibt,Für Schülerneugier hingestellt,Die Schrift verrät’s, das Antlitz nicht,Ob Diener oder Herr du warst.Er stößt mit dem Fuß nach einer Mumie, die unterdes vor dem Thron erschienen ist und jetzt langsam die Stufen hinabrollt.

ADAM (springt auf)Du Höllenspuk, hinweg von hier!O eitles Streben, blinder Ehrgeiz!Ich hör es noch! Für Einen - Millionen!Den Millionen schaff ich GeltungIm freien Staat: nur dort ist’s möglich.Das Haupt mag fallen, die Masse bleibt,Und aus der Vielzahl wird ein Großes.

EVAAuch mich verläßt du, deine Liebe?

ADAMJa, dich, den Thron verlaß ich, alles.Auf, Luzifer, zu neuem Ziel,Auf diesem Irrweg ging viel ZeitVerloren.(Er zieht sein Schwert und will gehen)

EVA      Kehrst enttäuscht du wieder,Sei Hafen dir dies Herz, mein König!

ADAMIch ahn es, ja, ich find auch dich

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Geläutert wieder, und du wirst michDann nicht mehr auf Befehl umarmen,Dann sind wir gleich auch in der Lust.(Ab)

LUZIFERNur sachte, du gewinnst noch vielGeschwinder, als du hoffst, das Ziel,Und weinst ob deinem eitlen Wahn!Wie lach ich dann! - Vorwärts, Kumpan!

FÜNFTES BILD

In Athen. Die Agora mit einer Rednertribüne in der Mitte. Im Vordergrund seitwärts offene Tempelhalle mit Götterstatuen, Blumengirlanden und Altar.Eva kommt als Lucia, Gattin des Feldherrn Miltiades, mit ihrem Sohne Kimon, von mehreren Mägden begleitet, die Opfergeräte bringen. Sie gehenzur Tempelhalle. Auf dem Platz lungert zerlumptes Volk herum. StrahlenderMorgen

EVAKomm, folge mir, mein liebes Kind.Sieh, Vater fuhr auf schnellem SchiffIns ferne Land, um kühn zu kämpfen.Dort lebt ein rohes Volk, das frechDie Freiheit unsrer Stadt bedrohte.Wir wollen beten, beten, Kind,Daß unser Recht die Götter schirmenUnd heil den Vater bringen heim.

KIMONWarum zog Vater in die Ferne,Dies lumpige, feige Volk zu schützen,Wenn sich daheim sein Weib muß grämen?

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EVADu sollst nicht deinen Vater richten,Die Götter strafen solche Kinder.Das Weib allein besitzt das Recht,Des Mannes Taten zu beklagen,Die, nicht getan, ihr Schande brächten.Dein Vater tat, was Männer sollen.

KIMONDu fürchtest, Vater wird geschlagen?

EVADein Vater ist ein Held und siegt.Nur eines läßt für ihn mich bangen:Sich selbst besiegt er nicht.

KIMON      Wieso?

EVAIn ihm tönt eine starke Stimme,Die Ehrsucht ist’s. Im Sklaven schläft sieOder entartet bald zur Schuld.Die Freiheit zieht mit eignem BlutSie groß zur edlen Bürgertugend,Die alles Schöne, Große schafft!Zu stark geworden, greift sie an die MutterUnd kämpft mit ihr, bis eine fällt.Wenn dieser Stimme hörig erDas heilige Vaterland verrät,Dann fluch ich ihm. Komm beten, Kind!Sie gehen in die Tempelhalle. Unterdes versammeln sich auf dem Platz mehr und mehr Leute.

1. AUS DEM VOLKMan hört doch nie was Interessantes!Hat unser Heer den Feind verschlafen?

2. AUS DEM VOLKUnd auch daheim ist alles schläfrig.

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Heckt keiner Pläne aus wie einst,Die auszuführen, man bedarfDer Kehle des erlauchten Volkes?Ich lauf umher seit zeitig früh,Und niemand zahlt für meine Stimme.

1. AUS DEM VOLKMan stirbt vor Langerweile fast.

3. AUS DEM VOLKEin kleiner Aufruhr wär nicht übel!Eva hat unterdes das Feuer auf dem Altar angezündet, ihre Hände gewaschen, sich zum Opfern vorbereitet. Ihre Mägde stimmen eine Hymne an, deren Strophen in die folgende Szene überklingen. Der Platz hat sich mit Bürgern und Volk gefüllt; Demagogen kämpfen um die Rednertribüne.

1. DEMAGOGFort! Dieser Platz ist mein. GefahrDroht unsrer Stadt, wenn ich nicht spreche.Das Volk grölt Zustimmung.

2. DEMAGOGVerloren ist sie, wenn du sprichst.Hinunter, Söldling!Das Volk lacht und klatscht in die Hände.

1. DEMAGOG      Ja, du bistKein Söldling, weil dich keiner kauft.Das Wort erheb ich schmerzvoll, Bürger:Tief schmerzt es, in den Staub zu zerrenDen Großen, und ein Großer ist es,Den ich vom Siegeswagen holeVor euren Richterstuhl.

2. DEMAGOG      Du Wicht!Bekränzst das Tier, das du zum OpferErkoren hast.

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1. DEMAGOG      Hinweg von hier!

AUS DEM VOLKWas hören wir dem Spötter zu?Sie stoßen den zweiten Demagogen beiseite.

1. DEMAGOGDoch tut es noch so weh, ich spreche,Denn du, glorreich erhabnes Volk,Du stehst mir höher als dein Feldherr.

2. DEMAGOGDies Krämerpack, das feig und hungrigNach Brocken lechzt vom Tisch der HerrenWie schlechte Köter? - O du Memme,Ich neid dir nimmer den Geschmack.

AUS DEM VOLKNieder mit ihm, auch er verrät uns!Er wird noch ärger mißhandelt. Eva opfert auf dem Altar zwei Tauben und Weihrauch.

EVAEmpfange, Aphrodite, gnädigDen Opferrauch, hör mein Gebet.Nicht Lorbeer spende dem Gemahl,Nur milde Ruh im Kreis der Seinen.Im Rauche des Opfers erscheint Eros lächelnd, die Chariten umringen ihn und streuen auf ihn Rosen.

DIENERINNENErhöre sie!

EROS      Dich segnet, Erib,Dein reines Herz!

CHARITEN      Und der CharitenSchutz sei mit dir!

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DIENERINNEN      Dank, Aphrodite!

1. DEMAGOGVolk, hör! Der große MiltiadesVerkauft sein Vaterland.

2. DEMAGOG      Du lügst!Hört mich an, oder euch ereiltDie Schande später Reu.

1. AUS DEM VOLK      Du Frecher!Sie zerren den Zwischenrufer mitten in die Menge hinein.

1. DEMAGOGEr führt die Blüte unsrer Söhne,Nahm Lemnos ein mit einem SchlagUnd steht vor Pharos müßig jetzt.Er ist - wer zweifelt dran? - gekauft.

3. AUS DEM VOLKTod über ihn!

1. BÜRGER      Nun schreit mir tüchtig,Sonst fliegt ihr aus der Pacht heraus!Das Opfer ist zu Ende.

EVA (erhebt sich)Was soll der Lärm? Laß sehen, Kind.

KIMONEin Volksfeind soll verurteilt werden.

EVA (tritt auf die Treppe der Halle hinaus)Mein Herz wird schwer, sooft ich seh,Daß Hungerleider Große richten.Froh sieht der Pöbel das Erlauchte

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In Staub gezerrt, als wäre diesRechtfertigung des eignen Schmutzes.

2. AUS DEM VOLKHerr, heiser bin ich und will schrein.

1. BÜRGERHier, nimm, damit schmier dir den Hals ein.

2. AUS DEM VOLKUnd was schrei ich?

2. BÜRGER      Tod über ihn!

2. AUS DEM VOLK (schreit)Tod über ihn!

EVA      Wer wird gerichtet?

2. DEMAGOGNun, er, der alle überragtUm einen Kopf, das wurmt die Bürger.

EVAEr, Miltiades? Große Götter!Auch du schreist „Tod!”, du, Krispos, denMein Mann der Sklaverei entriß?

KRISPOSVerzeih mir, Dame, von uns beidenMuß einer fallen. Der mich schreien heißt,Hält mich und meine Kinder aus.

EVADie Not zwingt dich, gemein zu sein,Dir sei verziehen, weil du hungerst,Du aber, Thersites? Ihr alle,Die ihr im Wohlstand lebt, weil er,

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Mein Gatte, aus dem Land den FeindVerjagt hat? O, ihr Undankbaren!

THERSITESAch, hohe Frau, es fällt uns schwer.Was tun? Das ist des Volkes Stimmung:Wer setzt sein Hab und Gut aufs SpielUnd trotzt den aufgepeitschten Wogen?

1. DEMAGOGSo sprech ich aus des Volkes Urteil.Luzifer als Krieger kommt eilig mit entsetzter Miene.

LUZIFERGefahr! Der Feind steht vor dem Tor!

1. DEMAGOGUnmöglich! Unser Feldherr schützt unsSiegreich.

LUZIFER      Haha, er ist der Feind.Gerechter Zorn hat ihn erfaßt,Ob eurem Anschlag. Während ihrHier zankt, kommt er mit Schwert und Feuer.

2. DEMAGOGVerräter! Das ist euer Werk!

AUS DEM VOLKSchlagt nieder sie! Hoch unser Feldherr!Weh uns, wir alle sind verloren!

1. DEMAGOGMitnichten! Kommt, wir gehn ans TorUnd huldigen ihm!

EVA      O Götter, furchtbarDer Spruch, der dich, mein Mann, mir rauben sollte.

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Noch bittrer ist, daß du ihn jetztBestätigst, sei’s auch deine Rettung!

1. AUS DEM VOLKErgreift die Frau! Tut er der Stadt ein Leid,So soll sie sterben samt dem Kind.

EVAIch stürbe gern für dich, Gemahl,Nur falle auf das Kind kein Makel.

KIMONUm mich hab keine Angst. Komm, Mutter,Uns schützt vor Harm das Heiligtum.Sie ziehen sich vor der Gruppe der Angreifer in die Halle zurück, zwei Nymphen lassen hinter ihnen Rosenketten nieder, vor denen das Volk sofortzurückweicht. Draußen Posaunenstöße. Das Volk läuft wehklagend auseinander.

LUZIFER (reibt sich lachend die Hände)Ein toller Spaß! mit Geist zu scherzen,Auf Kosten von gebrochnen Herzen!(Sich gegen den Tempel wendend)Nur schade, daß mich immer wiederDie ewig junge Schönheit stört.Mich friert in ihrem fremden Kreise,Die selbst das Nackte züchtig macht,Die Sünde edelt, das VerhängnisMit Rosen und der Schlichtheit KußVerwandelt in Erhabenheit.Was zögert meine Welt so lange,Des Zweifels, des Entsetzens Zerrbild,Dies eitle Blendwerk zu verscheuchen,Das neu aufrichtet stets den Menschen,Der schon im Kampf dem Fallen nah?Geduld. Wir wollen sehn, ob nicht die MachtDes Tods dem Gaukelspiel ein Ende macht.Er mischt sich unter das Volk. Adam als Miltiades wird an der Spitze einer

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bewaffneten Schar verwundet hereingeführt. Ihm zu Füßen das Volk, voran die Demagogen.

AUS DEM VOLKHeil dir! Erbarm dich, großer Mann!

ADAMErbarmen? Was habt ihr verbrochen?Ihr Starken fleht mich Schwachen an?Doch seh ich nicht mein Weib, mein Kind:Hat ihnen wer ein Leid getan?

EVAWas kehrst du heim, wenn deines KommensDein Weib sich nimmer freuen darf?Ich wanke, stütz mich, Sohn, du erbst vom VaterSelbst Ehre nicht.

ADAM      Wie deut ich das?Es fleht das Volk, mein Weib verdammt mich,Und ich, ich blute für mein Land.

EVADas Land noch stärker und mein Herz,Weil du uns drohst mit Heeresmacht.

ADAMZiemt meinem Rang nicht dies Geleit?Ich kam, weil diese schwere WundeIn meinem Siegeslauf mich hemmt.Ich kam, um dem erhabnen Volke,Das mich gesandt, die Macht zurückUnd Rechenschaft zugleich zu geben.Ihr seid entlassen, Kampfgenossen,Des Herdes Ruh ist wohl verdient.Nun häng ich dir, Schutzgöttin Pallas,Dies Schwert geweiht an den Altar.Er läßt sich die Stufen der Halle hinaufgeleiten. Seine Krieger zerstreuen sich.

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EVA(fällt ihrem Mann um den Hals)Miltiades, o welches WeibKann seliger sein als ich, du Edler?Sieh deinen Sohn! Wie ähnlich istEr dir, wie groß, wie schön!

ADAM      Ihr Lieben!

KIMONIch wußt es: Was mein Vater tut,Ist wohlgetan.

EVA      Beschäm mich nicht,Die Gattin hätt es ahnen müssen.

ADAMBring du, mein Sohn, dies Schwert der Göttin dar.

KIMON(hängt das Schwert auf)Bewahr das teure Schwert, Athene,Bis ich es einst von dir mir hole.

EVAZum Doppelopfer streu die MutterDen Weihrauch. Pallas, blick herab.(Sie opfert Weihrauch)

1. DEMAGOG (auf der Rednertribüne)Hatt ich nicht recht? Gekauft hat ihnDarius! Schwindel ist die Wunde,Weil er ihn nicht bekämpfen will.

AUS DEM VOLKTod über ihn!

ADAM      Was soll der Lärm?

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EVAMiltiades, oh, fürchterlich:Dich nennt aufs neu das Volk Verräter!

ADAMGeschwätz! Verräter ich, der SiegerVon Marathon?

EVA      Vergessen ist’s!Du findst hier eine böse Welt.

1. DEMAGOGWas säumt ihr? Packt ihn!Volk drängt zur Tempelhalle, darunter Luzifer.

EVA      O Miltiades!Das Heiligtum beschützt dich, bleib!Warum zerstreutest du das Heer,Verbranntest nicht dies Sündennest?Dem Pack gebührt die Kette nur,Es fühlt, du bist zu seinem Herrn geboren,Bist edler als sie allesamt.Sie töten, um nicht knien zu müssen.

1. DEMAGOGHört ihr, was der Verräters Weib sichErlaubt?

EVA      Es ist das Recht des Weibes,Zu schützen selbst den schuldigen Gatten,Wie erst, wenn er wie meiner rein istUnd seine Feinde arg wie ihr!

1. DEMAGOGWas duldest du den Schimpf, erhabnes Volk?

1. AUS DEM VOLKJa nun, vielleicht sagt sie die Wahrheit.

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1. BÜRGERWer ihnen beisteht, ist mitschuldig.Schreit, Schufte, sonst krepiert ihr Hungers.

AUS DEM VOLKTod über ihn!

ADAM      Verdeck den Knaben,Er soll mein Blut nicht sehn. Geht beide.Den Fels nur treff der Blitz, nicht euch!Nur ich soll sterben! Wozu leben,Wenn eitel Wahn die Freiheit ist,Für die ich stritt ein Leben lang.

1. DEMAGOGIhr zaudert noch?

AUS DEM VOLK      Tod über ihn!

ADAMDas feige Volk verfluch ich nicht,Die Schwäche ist ihm angeboren,Das Elend schuf es um zum Sklaven,Zum blutigen Schergen auch im DienstDer dünkelhaften Rädelsführer.Nur ich war Narr genug, zu glauben,Daß dieses Volk die Freiheit brauche.

LUZIFER (beiseite)Die Grabschrift hast du dir verfaßt,Die noch für viele nach dir paßt.

ADAMFührt mich hinab. Mich schütze nichtDas Heiligtum.Er legt Eva sanft in die Arme ihrer Dienerinnen und läßt sich die Stufen hinabführen.      Ich bin bereit.

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2. DEMAGOGVerteidig dich, nichts ist verloren.

ADAMDie Wunde brannte, spräche ichZu meinem Schutz!

2. DEMAGOG      Und dennoch tu’s!Soeben kroch vor dir das Volk.

ADAMDeswegen grade wär’s vergeblich,Das Volk verzeiht nicht seine Schmach.

LUZIFERBist du ernüchtert?

ADAM      Ach, wie furchtbar!

LUZIFERErkenn es, daß dem blöden Volk duEin beßrer Herr warst als es dir!

ADAMMag sein, doch beides ist Verdammnis.Zwei Seiten sind’s der gleichen Schmach.O eitles Tun, mit ihr zu kämpfen.Ich will auch nicht. Wozu, wozuDer heiße Drang zu Wolkenhöhn?Du leb für dich und such die Lust,Füll aus mit ihr die Spanne ZeitUnd taumle trunken hin zum Hades.Weis einen andren Weg mir, Luzifer!Die Tugend und die Nöte andrer -Was kümmert’s mich! Mir bleibt die Wonne.Du aber, Weib, das - wie ich ahne -Einst eine Laube in der WüsteMir bautest, wenn du, würdige Mutter,Zum Bürger aufziehst meinen Sohn,

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Dann bist du toll! Mit Recht verhöhnt dichDie feile Dirne im Bordell,Vom Wein erhitzt, Gier auf den Lippen.Ergötze dich, verlach die Tugend!Jetzt auf das Blutgerüst, als Sühne,Nicht für das ungetane Übel,Nur für den Glauben an das Große.Unterdes hat man einen Block vor die Stufen gestellt. Luzifer steht daneben mit dem Beil. Adam neigt das Haupt.

1. DEMAGOGEr falle! Hoch das Vaterland!

LUZIFER (halblaut)Ein schöner Abschied! - Nun, mein Held,Erfaßt dich nicht ein seltsam FröstelnVom kalten Hauch der Todesfratze?

EVASo hast du, Pallas, mich erhört?Aus dem Tempel tritt der Genius des Todes als sanfter Jüngling mit umgekehrter Fackel und Kranz zu Adam.

ADAMPallas hat dich erhört. Leb wohl,Mein Herz ist süßen Friedens voll.

LUZIFERVerfluchtes Wahnbild, hast mir wiederDen schönsten Augenblick verdorben.

EVAFluch dir, gemeines, rauhes Volk!Von deiner rohen Hand berührt,Verdarb die Knospe meines Glücks.Die Freiheit ist dir nicht so süß,Wie bitter mir ihr Gift geworden.

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SECHSTES BILD

In Rom. Offene Halle mit Götterstatuen, Prunkgefäßen, aus denen der Rauch brennender Gewürze aufsteigt. Aussicht auf die Apenninen. In der Mitte gedeckte Tafel mit drei Ruhebetten. Adam als Sergiolus, Luzifer also Milo, und Catulus: drei Wüstlinge. Eva als Julia, Hippia und Cluvia: drei Hetären in leichter Tracht. Auf einer Empore der Kampf von zwei Gladiatoren. Sklaven stehen der Befehle gewärtig. Flötenspieler. Abenddämmerung, später Nacht

CATULUSSieh, Sergiolus, an den GladiatorMit rotem Band, wie flink und hurtigEr ist, ich wette, daß er siegt.

ADAMBei Herkules, nein!

CATULUS      Herkules!Wer glaubt noch unter uns an Götter?Bei Julia schwör, dann glaub ich’s eher.

ADAMEs sei!

LUZIFER      Solider Tausch: ersetztDen falschen Gott durch falsche Göttin.Doch wie verstehen diesen Schwur?Bei ihrer Schönheit? Deiner Liebe?Vielleicht sogar bei ihrer Treue?

CATULUSSchönheit vergeht; und währt sie auch,Was heut dich reizt, verdrießt dich morgen.Auch mindre Schönheit kann verführen,Wenn sie den Reiz der Neuheit birgt.

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ADAMDie Treue meint ich. Wer gibt mehrAls ich für seine Liebste aus?

HIPPIAO Narr! Kannst du denn immer bei ihr liegen?Und könntest du’s, du Unersättlicher,Jagst du trotzdem von Frau zu Frau,Weil du aus jedem Weibe nurEin Stück der Wollust reißen kannst,Während das Wahnbild aller LustUnd Schönheit unerreicht dir vorschwebt.Wie weißt du, ob nicht eine Laune,Ein Traumgespinst auch sie verführt?Die Muskeln eines Gladiators -

ADAMWie richtig! Hippia! Nicht weiter!Wir dursten nach der Lust wie Tantalus,Da wir nicht stark wie Herkules,Nicht wandelbar wie Proteus sind.Der Knecht, nach einer Woche Qual,Genießt die Stunde, die vergeblichSein Herr ersehnt. Vielleicht ist WonneDem Matten nur ein LabetrunkUnd dem, der ganz in ihr versinkt,Der Tod?

LUZIFER      Wie gut Moral sich lerntAn schöner Mädchen Brust, beim Wein.Doch eure Wette?

ADAM      JuliaIst dein, wenn ich verlier.

CATULUS      Gewinnst du?

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ADAMDann gibst du mir dein bestes Pferd.

CATULUSNach einem Mond nimm sie zurück,Sonst stoß ich in den Aalteich sie.

LUZIFERIß, Julia, vom fetten Fisch,Du wirst ja einen andern mästen.

EVAWirst du nicht auch der Würmer Fraß?Wer lebt, der freue sich. Wer frohNicht werden kann, der lache trotzdem!(Sie trinkt)

ADAM (zum Gladiator)Du, halt dich gut!

CATULUS      Nur tapfer los!Der Gladiator des Catulus fällt und erhebt die Finger, um sein Leben flehend. Adam will das Zeichen der Gnade geben, aber Catulus hält seine Hand nieder und streckt dem Gladiator den Daumen seiner geballten Faust entgegen.Recipe ferrum! - Feiger Wicht!Mit Sklaven brauch ich nicht zu geizen.Wer gönnt euch nicht, ihr schönen Frauen,Das kleine Spiel, das euch erregt!Der Kuß wird süßer, heißer auchDer Wunsch, wenn etwas Blut geflossen.Der Gladiator ist unterdes von seinem Gegner getötet worden.

ADAMDein Pferd ist mein. Komm, Julia,Umarme mich. Die Leiche fort! -Ihr Tänzer, spielt Komödie!Vom Blut genug für heute.Der Leichnam wird hinausgetragen, die Tänzer nehmen die Empore ein.

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CATULUS      Cluvia!So komm auch du, ich kann nicht sehn,Wenn andre küssen.

LUZIFER      Hippia,Befolgen wir ihr Beispiel auch!Doch leck die Lippen, ob kein GiftDran klebt. Jetzt, Täubchen, küsse mich.

ADAMWas klopft dir, Julia, so heftigDas Herz: ich kann darauf nicht ruhn.(Sie flüstern)

LUZIFERHör, dieser Narr spricht noch vom Herzen!

CATULUSSieh, Schatz, ich lasse deins in Ruh.Tu, was du willst damit, und sag’s nicht,Nur sei mir stets dein heißer Kuß bereit.

CLUVIADu edler Mann, zu deinem Wohle!(Sie trinkt)

CATULUSSchon gut. Doch deine weichen Arme,Die weiche Brust entzieh mir nicht.Sieh da, der Kranz ist mir verrutscht.(Zu den Tänzerinnen)Wie herrlich eure Tanzbewegung,So feurig, geil und doch voll Anmut.

CLUVIAIch halte dir die Augen zu,Wenn du dort suchst, wofür auch ichZu haben bin, stets ungewürdigt.(Sie deutet auf Luzifer)

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Schau lieber diesen sauren Tropf!Was soll ihm dieses schöne Mädchen?Das er zu anderem nicht gebraucht,Als daß er’s schlummern läßt, indesEr höhnisch lächelnd, kalten AugesDie hundert süßen Albernheiten,Die Würze des Gesprächs, belauscht.

CATULUSFürwahr, solch ein Gesicht, das wirktWie kalte Dusche auf die Poesie.Wer der Minute Zauber widersteht,Nicht fort sich reißen läßt vom Strom,Der ist kein guter Mensch und bleib daheim.

HIPPIAIch fürchte wirklich, in dem ArmenRegt sich bereits der schwarze Tod,Der unsere Stadt verheert.

ADAM      HinwegDas Schreckgespenst! Jetzt singet unsEin neckisch Lied. Wer kann’s am schönsten?

HIPPIA (singt)Liebe und WeinLaß nimmer sein.Andere WürzeHat jeder Becher.Der Rausch, die süße WonneVergoldet unser Sein,Wie versunkene Gräber die Sonne.Liebe und WeinLaß nimmer sein.Anderen ZauberHat jedes Mädchen.Der Rausch, die süße Wonne

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Vergoldet unser Sein,Wie versunkene Gräber die Sonne.

CATULUSGanz gut. Nun, Cluvia, was kannst du?

CLUVIA (singt)Es waren wohl recht närrische Zeiten,Als einer von den schönsten LeutenSich um Lucretia bemühte,Doch sie in Wollust nicht erglühte,Sie schätzte weder Lust noch ScherzUnd stieß den Dolch sich mitten ins Herz.

ALLEZum Glück ist heut die Welt gescheiter,Drum lebt es sich in ihr so heiter.

CLUVIAEs waren wohl recht närrische Zeiten,Als Brutus für das Volk zu streitenZum Schwerte griff, wie Söldner tun,Statt schön und klug daheim zu ruhn.Fürs Volkswohl und dergleichen PossenHat unnütz er sein Blut vergossen

ALLEZum Glück ist heut die Welt gescheiter,Drum lebt es sich in ihr so heiter!

CLUVIAEs waren wohl recht närrische Zeiten:Ein Hirngespinst konnt Helden leiten;Die hielten heilig, was zum Lachen.Ein solcher Tor wär für den RachenDer Bestien im Zirkus heuteZu grausem Schauspiel leckre Beute.

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ALLEZum Glück ist heut die Welt gescheiter,Drum lebt es sich in ihr so heiter!

LUZIFERDu, Cluvia, hast Hippia geschlagen!Ich möcht des Liedes Dichter sein.

ADAMDu singst nicht, Julia, und trauerst,Wo ringsum alles fröhlich lacht?Ruhst du nicht gern an meiner Brust?

EVAO sehr. Verzeih mir, Sergiolus,Wenn mich das Glück so ernst gemacht.Nicht immer lacht das echte Glück.Ist noch so süß der Augenblick,Ein Tropfen unsäglichen LeidesMengt sich hinein, Glück welkt dahinWie eine Blume.

ADAM      Ja, so ist es.

EVAUnd hör ich erst Gesang, Musik,So lausch ich nicht dem Sinn der Worte,Ich laß mich von den Tönen wiegen,Als trüge mich ein Traumschiff fort,Weit weg in einst gelebte Zeiten,Als ich noch unter goldnen PalmenEin Kind, verspielt und schuldlos war,Um eine edle Tat beflissen…Verzeih, ich fasle, doch schon klärtSich mein Verstand. - Ich will dich küssen.

ADAMHört auf! Ich mag Musik und Tanz,Dies Meer von Süßlichkeit, nicht mehr.

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Nach Bittrem lechz ich. Wermut inDen Wein! Und Stacheln in die Küsse!Ich will ein Leben voll Gefahren.Die Tänzer gehen, von draußen ist Wehklagen zu hören.Wer schreit da? Grausig hört sich’s an.

LUZIFERMan kreuzigt eben ein paar Narren,Die Recht und Brüderschaft verkünden.

CATULUSGanz recht. Was sitzen sie denn nichtDaheim, genießend, weltvergessend?Was schert sie andrer Leute Sache?

LUZIFERDer Bettler wünscht den Reichen sich zum Bruder:Vertausch die Rollen, ist er’s selbst, der kreuzigt!

CATULUSLaßt uns verlachen Macht und Elend,Die Pest, die unsre Stadt verwüstet,Und was die Götter sonst beschließen!Wiederholter Wehruf

ADAM„…Als trüge mich ein Traumschiff fort,Weit weg in einst gelebte Zeiten…Um eine edle Tat beflissen…”Sagtest du, Julia?

EVA      Ganz recht.Unterdes ist es finster geworden. An der Halle zieht ein Leichenzug mit Tibien, Fackeln und Klageweibern vorbei. Die ganze Gesellschaft versinkt einige Zeit in starres Schweigen.

LUZIFER (lacht auf)Mir scheint, die Fröhlichkeit verflog.Sind Wein und Witz erschöpft, daß selbst

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Der saure Herr den Mangel fühlt?Hat einer Angst, hat er sich garBekehrt?

ADAM(schleudert seinen Becher nach ihm)      Zum Orkus fahr, Verleumder!

LUZIFERIch ruf euch einen neuen Gast,Er bringt vielleicht vergnügte Laune.He, Diener! Her den Mann, der hierBei Fackelschein vorüberreist.Wir bieten ihm nur einen Trunk an.Der Tote wird im offenen Sarg hereingetragen und auf den Tisch gelegt. Das Gefolge bleibt im Hintergrund. Luzifer trinkt ihm zu.Trink, Freundchen! Morgen mir, heut dir!

HIPPIAWillst lieber einen Kuß?

LUZIFER      Umarm ihnUnd stiehl ihm aus dem Mund die Münze.

HIPPIASo gut wie dich, warum nicht ihn?Sie küßt den Toten. Der Apostel Petrus tritt aus dem Gefolge hervor.

PETRUSZurück! Du holst die Pest dir, Weib!Alle fahren schaudernd von ihren Plätzen auf.

ALLEDie Pest - entsetzlich - fort von hier!

PETRUSIhr feiges Volk! Verkommenes Geschlecht!Solang das Glück euch zulacht, seid ihrSo frech wie Fliegen in der Sonne,Zertretet höhnisch Gott und Tugend.

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Doch wenn Gefahr pocht an der Tür,Wenn Gottes Finger euch berührt,Duckt ihr euch feig und winselt häßlich.Fühlt ihr denn nicht des Himmels StrafeAuf euren Häuptern? Blickt umher!Die Stadt verdirbt, ein fremdes VolkZerstampfet roh die goldne Saat.Die Ordnung wankt, niemand befiehlt,Niemand gehorcht. Auf euren StraßenSchreitet der Mord erhobnen Hauptes,Entsetzen, Sorge folgen ihm.Gesteht, einschläfern könnt ihr nimmerMit Wonnerausch in euch die Stimme.Die eurer Seele Tiefen aufwühltUnd euch zu beßrem Ziel ermahnt.Die Lust wird Last, der Blick verängstigt,Die Lippen stammeln, doch vergeblich:Befriedigung ist euch verwehrt,Der Glaube an die alten GötterIst tot, sie sind zu Stein erstarrt.Die Götterstatuen zerbröckeln.Sie werden morsch. Den neuen GottJedoch, der aus dem Kot euch aufhebt,Den kennt ihr nicht. So blickt umher:Was wütet ärger als die Pest hier?Tausende lassen ihre Pfühle,Um Thebens Wüstenein mit wildenAnachoreten zu bevölkern.Dort suchen sie für schlaffe Sinne,Was sie noch reizt, was sie belebt.Entartetes Geschlecht, hinwegVom Erdenplan, der jetzt sich läutert!

HIPPIA (sinkt vor dem Tisch zusammen)Weh mir, wie rasend ist der Schmerz,Der kalte Schweiß, des Orkus Flammen:Die Pest, die Pest, ich bin verloren!

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Wer steht mir bei? So helft mir doch,Gefährten ihr so vieler Wonnen.

LUZIFERMein Schatz, heut dir und morgen mir!

HIPPIASo tötet mich, sonst fluch ich euch!

PETRUS (tritt zu ihr)Nicht fluche, Kind! Verzeih vielmehr!Ich will dir beistehn und der große GottDer heiligen Liebe. Auf zu ihmErhebe dich. Durch dieses WasserWird deine Seele frei von SchlackeUnd eilt zu ihm.Er tauft sie aus einem Gefäß, das er vom Tisch genommen hat.

HIPPIA      O Vater, leichtWird mir!(Sie stirbt)

CATULUS (im Gehen)      Ich geh nach Theben, heut noch.Mich ekelt diese Sündenwelt.

CLUVIACatulus, ich begleite dich.Sie gehen ab.

ADAM(geht nachdenklich nach vorne, Eva folgt ihm)Du, Julia, hier? Du bist geblieben,Wo alle Lust der Tod zerstört hat?

EVAIst nicht mein Platz an deiner Seite?Manch Edles hättest du gefunden

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In dieser Brust, o Sergiolus,Die du zur Wonne nur begehrtest.

ADAMUnd auch in meiner. Welcher Jammer,Erbärmlich, kleinlich leidend, hin-Zusiechen! Gott, o wenn du bist(Er kniet nieder und hebt die Hand zum Himmel.)Und sorgend Macht hast über uns:Bring uns ein neues Volk und Ideal -Ein Volk, das auffrischt unser Blut,Ein Ideal, an dem der EdleEmporzurichten sich vermag.Wir sind verbraucht. Zu neuem SchaffenFehlt uns die Kraft. Erhör mich, Gott!Am Himmel erscheint im Strahlenkranz das Kreuz. Hinter den Bergen ist dasRot brennender Städte zu sehen. Von den Berggipfeln steigen halbwilde Scharen herab. Aus der Ferne ist eine andächtige Hymne zu hören.

LUZIFER (für sich)Der Anblick macht mich fast schon gruseln.Zum Glück sind Menschen nur die Gegner.Wo ich versage, handeln sie für mich.Den Spaß hab ich schon oft gesehn.Die Glorie wird sehr bald verbleichen,Dann bleibt das Kreuz als blutiges Zeichen.

PETRUSDer Herr hat dich erhört. Besinn dich:Die faule Welt wird neu geboren.Barbaren in den Bärenfellen,Die Brand in prächtige Städte schleudern,Mit ihren Rossen alte Saat zertretenUnd Ställe in verlaßnen Tempeln finden,Sie bringen frisches Blut in schlaffe AdernUnd jene, die im Zirkus Hymnen singen,Derweil der Tiger ihre Brust zerfleischt,Verkünden neues Heil: die Brüderschaft,

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Die Freiheit jedem Einzelwesen:Daran wird unsre Welt genesen.

ADAMDie Sehnsucht, die in mir ich fühle,Wird nicht erfüllt im weichen Pfühle.Es gibt ein höheres Genießen:Sein Blut für die Idee vergießen.

PETRUSDein Ziel sei nunmehr: Gott zu preisenDurch Arbeit. Frei steh jedem Menschen,Sein Können furchtlos zu entfalten,Gelenkt durch ein Gebot: die Liebe.

ADAMNun auf zum Kampf, die neue LehreBegeistre uns, erschaffen wirDie neue Welt. Es sei ihr Mal:Die Rittertugend; ihre Dichtung:Das hehre Frauenideal.Er geht, auf Petrus gestützt, ab.

LUZIFERUnmögliches zieht dich hinan,Das ist glorreich und ehrt den Mann.Du strebst zu Gott, drum wird es ihm gefallen;Dem Teufel auch, du mußt ja schmählich fallen.Er folgt Adam.

SIEBENTES BILD

In Byzanz. Platz mit einigen herumlungernden Bürgern. In der Mitte der Palast des Patriarchen, rechts ein Nonnenkloster, links ein Hain. Adam, als Tankred in bestem Mannesalter, kommt mit anderen Rittern an der Spitze

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der aus Asien zurückkehrenden Kreuzfahrer mit wehenden Fahnen und Trommelwirbel, Luzifer ist sein Waffenträger. Abend, später Nacht

1. BÜRGERSchon wieder ein Barbarentrupp!Laß fliehn uns, schließen Tür und Tor,Sonst packt die Raublust sie aufs neue.

2. BÜRGERVersteckt die Fraun! Die Horde kenntDie Wonnen des Serails zu gut!

1. BÜRGERUnd unsre Fraun das Recht des Siegers.

ADAMBleibt stehn! Was flieht ihr so vor uns?Seht ihr das heilige Zeichen nicht,Das uns zu Brüdern macht? Wir trugenNach Asien unsres Glaubens Licht:Die Menschenliebe, daß die Völker,In deren Mitte einst die WiegeDes Herren stand, das Heil erfahren.Und nur bei euch wär keine Liebe?

1. BÜRGERDen Sermon hörten wir schon oft,Und nachher brannten unsre Dächer.Die Bürger zerstreuen sich.

ADAM (zu den Rittern)Ihr seht, das ist die böse Frucht,Wenn Räuber mit verruchten PlänenDie heilige Fahne Gottes schwenkenUnd feig, des Volks Gelüsten schmeichelnd,Die Führerschaft für sich erschleichen.Solange, Ritter, unser SchwertDer unbefleckten Ehr, dem Lobe Gottes,Dem Heldentum, dem Schutz der FrauenGewidmet ist, bleibt unsre Sendung,

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Zu zügeln diesen bösen DämonUnd ihn, auch gegen seinen Willen,Zu großer, edler Tat zu zwingen.

LUZIFERRecht, Tankred, doch wenn einst das VolkAuch deine Führerschaft anzweifelt?

ADAMErzwinge ich sie kraft des Geistes.

LUZIFERGeist gibt es auch vielleicht beim Gegner,Steigst du zu ihm herab?

ADAM      Wozu?Ist’s edler nicht, ihn aufzuheben?Den schweren Kampf zu meiden, weilGenossen fehlen, ist so kleinlichWie Helfer zu verschmähn aus Eifersucht,Zu neiden ihren Ruhmesanteil.

LUZIFERWas ist aus der Idee geworden,Für die im Zirkus Märtyrer einst starben?Aus der Befreiung jedes Menschen?O wunderliche Bruderliebe!

ADAMSpar dir den Spott, O glaube nicht,Ich kann die hohe Lehre nicht erfassen.Dies ist die Sehnsucht meines Lebens.Willkommen, wer den heiligen FunkenVerspürt, wer sich zu uns emporkämpft,Ein Schwertschlag öffnet ihm die Tür;Doch müssen wir der Satzung SchätzeBewahren vor des Chaos Ansturm.O käme, käme bald die Zeit,Die das Erlösungswerk vollendet,

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Kein Damm mehr Mensch vom Menschen trennt.Zwar müßt ich zweifeln, daß sie komme,Wär nicht des großen Werks BeginnerDer Herr des Himmels selbst gewesen.Ihr sehet, Freunde, den Empfang!Vereinsamt im Gewühl der Stadt,So müssen wir im Hain uns lagernWie unter Heiden, bis es besserGeworden. Geht. Ich folg euch. Bürg mirFür seine Mannen jeder Ritter.Die Kreuzfahrer schlagen ein Lager auf.

LUZIFERWie schade, daß aus deinen schönstenGedanken faule Äpfel wachsen,Von außen rot, doch innen madig.

ADAMDu glaubst wohl an nichts Edles mehr?

LUZIFERUnd glaubt ich auch, was würd es nützen,Wenn dein Geschlecht dran doch nicht glaubt?Das Rittertum, das du errichtestAls Leuchtturm in des Meeres Wogen,Erlischt dereinst, verfällt und wirdZu böserm Riff dem kühnen SchifferAls andere, die nie geleuchtet.Alles, was lebt und Segen spendet,Stirbt mit der Zeit, der Geist verfliegt,Der Leib verbleibt und haucht als AasDie tödlichen Miasmen ausIn der entstandnen neuen Welt.Dies, siehst du, bleibt uns von der GrößeDer alten Zeit.

ADAM      Was tut’s? Bis unser Orden

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Zerfällt, sind seine heiligen LehrenIns Volk gedrungen!

LUZIFER      Heilige Lehren!Zum Fluch wird euch die heilige Lehr,Auf die ihr stießt von ungefähr;Ihr dreht und spitzt sie immerdarUnd schärft und spannt sie so sehr an,Bis sie zu Fesseln werden oder Wahn.Ihr wünscht euch den Begriff exakt,Zu dem zu stehn ihr doch nicht wagt.Euch hat’s der Fluch der Lehre angetan.Dies Schwert bleibt, etwa um ein HaarVerkürzt, verlängert, was es war:Ein Schwert. So geht es bis zuletzt.Wo ist der Punkt, der hier die Grenze setzt?Erst wenn der Wandel groß und tief,Dann nehmt ihr wahr ihn instinktiv.Doch fällt mir schon das Reden schwer.Blick in der Stadt dich selbst umher.Einige Bürger erscheinen wieder.

ADAMHört, Freunde! Obdach heischt mein müdes VolkWohl nicht vergebens in der HauptstadtDer Christenheit?

3. BÜRGER      Es fragt sich: Bist duKein Ketzer, ärger als die Heiden?

4. BÜRGERSag, glaubst du an die Homousie?Und nicht an die Homoiusie?

ADAMVersteh ich nicht.

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LUZIFER      Gesteh’s um alle WeltNicht ein!

4. BÜRGER      Er zweifelt. Seht, ein Ketzer!

MEHREREFort, schließen wir die Häuser zu!Verflucht, wer ihnen Obdach gibt.Sie zerstreuen sich. Der Patriarch in fürstlicher Pracht kommt mit Gefolge aus seinem Palast, ihm folgt eine Schar Mönche, die Ketzer in Fesseln geleiten. Zum Schluß Soldaten und Volk.

ADAMIch staune! - Doch wer ist der Fürst,Der dort so aufgeblasen naht?

LUZIFERDer Patriarch, der Erbe der Apostel.

ADAMUnd dies barfüßige, ekle Pack,Das schadenfroh, mit falscher DemutDas Volk in Ketten hier begleitet?

LUZIFERBedürfnislose Christenmönche.

ADAMIn meinen Bergen gab’s die nicht.

LUZIFERHier um so mehr. Der Aussatz breitetSich langsam aus. Verletz nur nichtDies unerbittlich tugendhafte Volk,Das darum eben unversöhnlich ist.

ADAMIn welcher Tugend glänzt solch Volk?

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LUZIFERIn Selbstkasteiung und Entsagung,Wie sie am Kreuz dein Meister übte.

ADAMEr hat die Welt damit erlöst,Doch diese Feigen lästern Gott,Rebellisch spottend seiner Huld.Wer gegen Mücken Waffen führtWie gegen Bären, ist kein Held,Nur toll.

LUZIFER      Doch wenn sie diese MückenFür Bären ansehn? - Ist es nichtIhr Recht, als Helden jeden WüstlingDer Hölle preiszugeben?

ADAM      Herr,Ich seh wie Thomas, und mir fehlt der Glaube.Ich will dem Blendwerk näher treten.(Er tritt vor den Patriarchen hin)Mein Vater! Uns, des Heiligen GrabesBefreiern, von der Fahrt ermüdet,Verweigert diese Stadt ein Obdach.Du bist so mächtig, hilf uns, Vater!

PATRIARCHMein Sohn, mir fehlt die Zeit zu Nichtigem.Denn Gottes Ruhm, des Volkes HeilGebieten, daß ich Ketzer richte,Die giftverspritzend blühn wie Unkraut.Wir tilgen sie mit Schwert und Feuer,Doch immer neue Brut schickt unsDie Hölle. Seid ihr fromme Ritter,Was zieht ihr gegen ferne Mohren?Gefährlicher ist hier der Feind.

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Auf, überfallet ihre Dörfer,Vernichtet Weiber, Greise, Kinder.

ADAMDie ohne Schuld sind, Vater? Nicht doch.

PATRIARCHUnschuldig ist sogar die Schlange,Solang sie klein, und wenn den GiftzahnSie nicht mehr hat. Und schonst du sie?

ADAMDie Schuld muß furchtbar sein, daß sieZu solchem Zorn entfacht die KircheDer Liebe.

PATRIARCH      Hör, mein Sohn! Nicht werDem Körper schmeichelt, liebt, doch werDie Seele, sei’s durch Schwert und Flamme,Ihm zuführt, der also gesprochen:„Nicht Frieden bring ich, sondern KampfAuf Erden.” Die verruchten KetzerVerkünden im Mysterium derDreifaltigkeit die Homoiusie,Dieweil die Kirche die HomousieAls Glaubenssatz hat aufgestellt.

MÖNCHEFort auf den Scheiterhaufen, Ketzer!

ADAMSo gebt doch, Freunde, auf das „i”!Schätzt ihr das Leben so gering,So kämpft doch für das Heilige Grab.

EIN ALTER KETZERSatan, versuch uns nicht: wir sterbenFür unsren wahren Glauben, wo Gott will.

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EIN MÖNCHDu rühmst dich, Tropf, des wahren Glaubens?

DER ALTE KETZERZeugt nicht - mit andern - das KonzilVon Rimini für uns?

DER MÖNCH      Verirrung!Doch Nikäa, nicht wahr, und andreRechtgläubige Konzile sind für uns?

DER ALTE KETZERDaß ihr Abtrünnigen es wagt,Mit uns zu streiten! Oder sprich:Wo habt ihr einen KirchenvaterWie Arius und die Eusebiusse?

DER MÖNCHBesitzt ihr einen Athanasius?

DER ALTE KETZERHabt ihr denn Märtyrer?

DER MÖNCH      Viel mehr als ihr!

DER ALTE KETZERPah, Märtyrer! Durch TeufelsmachtMit grobem Spuk zum Tod verleitet!Ihr seid das große Babylon,Die Metze, von der Sankt Johannes spricht,Die schwinden wird von dieser Welt.

DER MÖNCHIhr seid der siebenköpfige Drache,Der Antichrist der Offenbarung:Betrüger, Schurken, Satansschüler.

DER ALTE KETZERIhr Räuber, Schlangen, Buhler, Schlemmer!

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PATRIARCHHinweg, wir säumen schon zu lang,Ins Feuer euch zu Gottes Preis!

DER ALTE KETZERZu Gottes Preis, so ist’s, du Böser,Das Opfer fällt zu Gottes Preis.Ihr seid die Starken, tut nach eurer Willkür,Doch Gott wird eure Taten richten,Gezählt sind eures Frevels Stunden,Aus unserm Blut erstehen neue Kämpen.Der Glaube lebt, die OpferflammeBeleuchtet späte tausend Jahre.Kommt, Freunde, in den süßen Tod!

DIE KETZER (singen im Chor)1. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich heule, aber meine Hilfe ist ferne.2. Mein Gott, des Tags rufe ich, so antwortest du nicht;und des nachts schweige ich auch nicht.3. Aber du bist heilig. (Psalm 22)

DIE MÖNCHE (im Chor einfallend)1. Herr, hadere mit meinen Haderern, streite wider meineBestreiter.2. Ergreife den Schild und Waffen und mache dich auf, mir zu helfen!3. Zücke den Spieß und schütze mich wider meine Verfolger! (Psalm 35)Unterdes zieht der Patriarch mit seinem Zug ab. Einige Mönche mit Traktaten mischen sich unter die Kreuzfahrer.

LUZIFERWas stehst du sprachlos? Packt dich Grauen?Du nimmst es tragisch? Faß es alsKomödie auf und lache, lache.

ADAMAch, scherze nicht! Daß für ein „i”

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Man so entschlossen in den Tod geht!Was ist dann das Erhabne, Große?

LUZIFERWas andre leicht zum Lachen bringt.Ein Haar trennt beides, eine StimmeIm Herzen urteilt über sie.Und diese Richterin, die bald vergöttert,Bald spottend tötet, ist: die Sympathie.

ADAMWas muß ich all die Sünden schaun!Den Hader in der stolzen Wissenschaft,Das Gift, so meisterlich gewonnenAus der erquicklich schönsten Blume.Die holde Blume kannt ich einstIn des verfolgten Glaubens Frühzeit.Wer war der Frevler, der sie knickte?

LUZIFERDer Frevler ist der Sieg, der stetsEntzweit und hundert Interessen züchtet.Die Not vereint, schafft Märtyrer,Gibt Kraft, du siehst es bei den Ketzern.

ADAMIch würfe weg mein Schwert und kehrteZurück ins Nordland, meine Heimat,Wo in des Urwalds Schatten nochDie Mannesehr und reine SchlichtheitDem Gift der glatten Zeiten trotzen,Wenn mich nicht eine Stimme mahnte,Ich sei’s, der neu gestalten muß die Welt.

LUZIFERVerlorne Müh! Nie kann der EineDer Zeit zum Trotz zur Geltung kommen.Im Strome kannst du schwimmen oderErtrinken, doch den Kurs nicht ändern.Wer groß dasteht vor der Geschichte

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Und wirkt, hat seine Zeit verstanden,Doch Neues hat er nicht geschaffen.Der Hahn erweckt den Morgen nicht,Er kräht nur, wenn der Tag erwacht.Die dort gefesselt, hohnumringtZum Martertod begeistert schreiten,Nur sie sehn eine Spur voraus,Ein neues Ahnen schimmert ihnen.Und dafür sterben sie, was sorglosDie Enkel mit der Luft einatmen.Genug davon. Blick dort ins Lager:Was gehn dort schmierige Mönche um,Was feilschen, schwingen Reden sieMit breiten Gesten wie Verrückte?Komm, lauschen wir!

EIN MÖNCH (unter den sich drängenden Kreuzfahrern)      Kauft, Helden, kauftDie Lehre von der Buße, dieIn allen Zweifeln euch geleitet.Sie lehrt euch, wieviel Jahre MörderUnd Kirchenräuber, falsche Zeugen,Verbuhlte in der Hölle schmoren,Sie lehrt euch, daß ein Jahr der StrafeUm zwanzig Solidi der Reiche,Um drei der Arme abzugeltenVermag, und wer gar nichts besitzt,Um manche tausend Geißelhiebe.Kauft, kauft das unschätzbare Buch!

DIE KREUZFAHRERGib her! - Auch uns gib, heiliger Vater!

ADAMHa, arger Krämer, ärger noch die Käufer!Zerspreng den Markt mir mit dem Schwert!

LUZIFER (verlegen)Verzeih, der Mönch ist mein Gevatter,

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Mich widert diese Welt nicht an.Wenn Gottes Ruhm im Steigen ist,So steig mit ihm auch ich im Wert.Nur du bliebst etwas tief zurück.Eva als Isaura und ihre Kammerzofe Helene stürzen schreiend auf Adam zu,verfolgt von einigen Kreuzfahrern, die sich aber sofort aus dem Staube machen.

EVA (zusammenbrechend)Held, rette mich!

ADAM (hält sie in den Armen)      Erhol dich, Dame,Hier bist du sicher. Sieh mich anMit diesen schönen Augen! - Was geschah ihr?

HELENEWir wollten die Natur genießenIm kühlen Schatten unsres Gartens.Wir saßen sorglos auf dem RasenUnd lauschten froh der Nachtigall,Da glühten hinterm Busch hervorIn wilder Leidenschaft zwei Augen.Wir flohn erschrocken, vier KreuzfahrerVerfolgten trappelnd, keuchend uns,Mit Müh erreichten wir dich endlich.

ADAMO soll ich dein Erwachen wünschen?Wirst du nicht wie ein Traum entfliehn?Wie kann ein Leib so geistdurchflossen,So edel sein, anbetungswürdig?

LUZIFEREin geistdurchfloßner Leib? Fürwahr, es wärFür Liebeswahn die beste Strafe,Wenn alles sich erfüllte, wasDer Liebsten einer so andichtet.

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ADAMMir ist, ich hätte dich gekannt,Ich stand mit dir vor Gottes Thron.

LUZIFERIch bitte dich, vergiß doch nie:Die Liebelei ist nett - zu zweit,Doch für den Dritten abgeschmackt.

ADAMSie lebt… sie lächelt… Dank dir, Himmel!

EVAWie dank ich, Ritter, für die Rettung?

ADAMEin Wort von dir ist reichster Lohn!

LUZIFER (zu Helene)Ein karger Lohn, und mir selbst der versagt?

HELENEUnd welchen Dank wär ich dir schuldig?

LUZIFERGlaubst du, der edle Ritter hätteAuch dich gerettet? Welcher Wahn!Der Ritter rettet sich das Fräulein,Die Zofe ist des Knappen Anteil.

HELENEUnd was gewönn ich? Bin ich dankbar,Dann war die Rettung überflüssig;Wenn undankbar, erst recht verdammt.Nicht übel waren die Verfolger.

ADAMWohin befiehlst du dich zu bringen?

EVAWir stehn vor unsrer Klostertür.

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ADAMDas Kloster, sagst du? - Seine TürVersperrt mir doch die Hoffnung nicht?Ein Zeichen gib, ans Kreuz zu heften.Wenn dieses mich zum Kampfe ruft,Mag jenes meinen schönsten TraumMir wiederbringen, all die Jahre,An deren End der Preis mir winkt.

EVANimm dieses Band.

ADAM      Das nachtschwarz ist?O Hoffnung, Hoffnung - keine Trauer!

EVANur dieses Zeichen kann ich geben.Das Kloster ist kein Ort der Hoffnung.

ADAMAuch nicht der Liebe. Doch wie soll,Wo du bist, keine Liebe sein!Du trägst noch nicht die Nonnentracht.

EVAAch, quäl mich nicht mit deinen Fragen,Es schmerzt mich tief, dein Leid zu sehn.

LUZIFERAuch dich schließt diese Mauer ein?

HELENEJawohl, doch liegt der Schlüssel nicht im Meer.

LUZIFERWie schad! Welch schöne ElegieKönnt ich drauf drechseln.

HELENE      Pack dich, Schelm!

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LUZIFERWarum? Wär’s nicht erhaben, wennIch deinen Schlüssel aus dem Meere holte?

HELENEDas wünsch ich gar nicht.

LUZIFER      Doch, ich geh schon,Mich in den schwarzen Schlund zu stürzen.

HELENEO bleib, mich tötet hier die Angst!Der Schlüssel wird im Fenster sein.

ADAMVerrate mir doch deinen Namen,In mein Gebet möcht ich ihn schließenUnd Segen auf dein Haupt erflehn, wennDein Schicksal ich nicht teilen darf.

EVAMein Name ist Isaura. Deiner?

ADAMIch heiße Tankred.

EVA      Tankred, Gott mit dir!

ADAMIsaura, o, verlaß mich nichtSo bald, sonst sei verflucht der Name,Den du zuerst beim Abschied nanntest,Zu kurz war, selbst als Traum, der Augenblick:Doch wenn du mir ein Rätsel bleibst,Wie soll den Traum ich weiterspinnen ohneDen teuren Faden deines Schicksals?

EVASo hör mein Schicksal. Auch mein Vater

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War Held des Heiligen Grabes. AlsSein Lager eines Nachts der FeindMit Schwert und Feuer überrannte,Als nirgends, nirgends Rettung winkte,Gelobte er der heiligen Jungfrau,Wenn er entkomme, mich, das Kind,Einst ihr zu weihn. Er kehrte heim,Ich nahm die Hostie.

ADAM      Heilige Jungfrau!Du Inkarnat der reinen Liebe,Du wandtest dich nicht ab, gekränktVon solch unheiligem Gelübde,Das Schatten wirft auf deine Tugend,Zum Fluch verdammt des Himmels Labsal?…

HELENEUnd du willst nicht mein Schicksal wissen?

LUZIFERDu liebtest, warst betrogen, liebtestAufs neue und betrogst nun selber.Du liebtest, wurdest seiner satt.Dein leeres Herz harrt nun des Mieters.

HELENEWie seltsam! Hältst du’s mit dem Teufel?Doch scheinst du mir nicht so bescheiden,Daß du mein Herz jetzt noch für leer hältst.

LUZIFER (zu Adam)Rasch, Herr! Dir wird der Abschied schwer,Und mir, zu hindern meinen Sieg.

ADAMIsaura! Jedes Wort ein Stachel!Sein Gift versüß mit einem Kuß.

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EVADu hörtest, Ritter, meinen Schwur.

ADAMIst Sünde auch, daß ich dich liebe?

EVADu Glücklicher. Ich muß vergessen!Ich gehe, sonst verläßt die Kraft mich.Wir sehn uns, Tankred, einst dort oben!

ADAMLeb wohl! Ich denke ewig dein!Eva tritt ins Kloster.

HELENE (beiseite)Du Feigling! Ich soll alles tun?(laut)      Den SchlüsselSuch nicht im Meer, er liegt im Fenster.(Sie folgt Eva)

ADAM (besinnt sich)Wir gehn.

LUZIFER      Zu spät. Vorbei ist alles.Nun sieh, wie toll ist dein Geschlecht.Bald ist die Frau ihm Werkzeug groberGelüste, mit verruchten HändenStreift es den Blütenstaub von ihr,Beraubt sich selbst der Poesie;Bald stellt es sie auf den Altar, als Gottheit,Vergießt sein Blut unnütz für Sie,Bis ohne Frucht verwelkt ihr Kuß.Warum das Weib nicht einfach ehrenIm Kreise seiner edlen Sendung?Unterdes ist es ganz finster geworden, der Mond geht auf. Isaura und Helene am Fenster.

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EVAWie sah er mich voll Sehnsucht an,Wie bebte er, der Held, vor mir!Doch Tugend zwingt mich und der Glaube,Das Opfer heilig zu erleiden.

HELENEWie närrisch ist doch unsre Art!Sagt sie vom Vorurteil sich losUnd rennt wie toll der Wonne nach,Verliert sie ihre FrauenwürdeUnd wälzt verachtet sich im Schlamm.Doch bleibt sie tugendhaft, dann bangtSie bald vor ihrem eignen Schatten,Läßt ohne Frucht die Reize welken,Beraubt sich selbst der Lust und andre.Es gibt doch einen Mittelweg!Ein kleines Abenteuer mal,Ein zarter Liebesbund in Ehren…Auch Weiber sind nicht nur von Geist.

EVAHelene, sieh, ob er schon fort ist.Er hätte mich so leicht verlassen?Noch einmal hören seine Stimme!

ADAM (zu Luzifer)Sieh, ob sie nicht am Fenster steht,Mir nicht nachsendet einen Blick.Noch einmal sehn die Feengestalt!Verzeih, daß ich noch blieb, Isaura.

EVAIch trüg es leichter, wärst du fort.Ein Riß im Herzen kann verheilen,Ein zweiter schmerzt viel ärger noch.

ADAMFürchtest du nicht, so in die Nacht zu schaun,Die wie ein großes Herz in Liebe pocht,

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In der nur wir nicht lieben dürfen?Nimmt dich der Zauber nicht gefangen?

EVAIn mir lebt auch dies alles wie ein Traum,Den mir für diese Welt der HimmelMitgab. Ich hör das Lied der Lüfte,Ich sehe tausend GenienMit Schwesterkuß in jeder Laube lächeln,Doch nie mehr, Tankred, sprechen sie zu uns!

ADAMWarum? Die schlechte Mauer soll mich hindern?Der ich so oft die Schanzen überwandDer Heiden, sollt ich diese nicht erklimmen?

LUZIFERDie nicht, die schützt der Geist der Zeit,Der stärker ist als du.

ADAM      Wer sagt das?Im Hintergrund flammt der Schein eines Scheiterhaufens auf.

DIE KETZER (im Chor aus der Ferne)21. Errette meine Seele vom Schwert, meine einsame von den Hunden!22. Hilf mir aus dem Rachen des Löwen, und errette mich von den Einhörnern!23. Ich will deinen Namen predigen meinen Brüdern; ich will dich in der Gemeinde rühmen.

EVAErbarm dich, Gott, der Sünderseelen!

ADAM (zurückschaudernd)Ein gräßlich Lied.

LUZIFER      Dein Hochzeitslied.

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ADAMMich schreckt es nicht. Ich trotze allemFür dich, für dich!

DIE MÖNCHE (im Chor aus der Ferne)26. … sie müssen mit Schande und Scham gekleidet werden,die sich wider mich rühmen.27. Rühmen und freuen müssen sich, die mir gönnen, daß ich recht behalte, und immer sagen: Der Herr sei hochgelobt, der seinem Knechte wohlwill.Zu Beginn dieses Chorgesanges bleibt Adam, der an die Klostertür getreten war, wieder stehn. Im Turm schreit ein Kauz, in der Luft fliegen Hexen, und vor der Tür steigt ein Gerippe aus dem Boden und bleibt drohend vor Adamstehn.

EVA (schlägt das Fenster zu)Gott, hilf!

DAS GERIPPE      Fort von der heiligen Schwelle!

ADAMWer bist du, Spuk?

DAS GERIPPE      Der GegenwärtigeIn jedem Kuß, in jedem Liebesrausch.

HEXEN (lachend)Süße Saat, doch saure Frucht.Die Tauben brüten Schlangenzucht.Isaura, komm!

ADAM      Abscheuliche Fratzen!Seid ihr verwandelt oder ich?Ich hab euch lächeln einst gesehen.Was ist hier Wirklichkeit, was Traum?Mein Arm erschlafft vor eurem Zauber.

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LUZIFERMich führt der Zufall, ach, in liebeGesellschaft. Lang vermißtes Glück!Das ist die züchtige Hexenschar,Die alle nackten Nymphen weitAn Frechheit übertrifft. Da istDer Urkumpan, der grause Tod,Tritt auf als Zerrbild strenger Tugend,Dem Erdensohn sie arg verleidend.Seid mir gegrüßt! Mir fehlt es leiderAn Zeit, die Nacht mit euch zu plaudern.Die Erscheinungen verschwinden.Was stehn wir, Tankred, in der Nacht?Dein Liebchen schlug das Fenster zu:Der Wind ist kalt und bringt dir Gicht.Und wer beschützt mich vor Helene?Der Teufel hüte sich vor Liebelei,Er macht sich damit lächerlich,Und seine Macht holt dann - er selbst.Wie seltsam, daß das heiße Menschenherz,Nach Liebe schmachtend, Qual nur erntet,Der Teufel ohne Herz dagegenKann sich der Liebe kaum erwehren.

ADAMFühr, Luzifer, zu neuem Sein mich!Für Heiliges zog ich in den KampfUnd fand verzerrt es und mißbraucht;Sie opfern Menschen Gott zum Preis!Der Bastard Mensch versagt vor der Idee.Ich wollt veredeln unsre Lüste,Sie stempelten die Lust zur Sünde.Die Rittertugend, die ich wollte,Stieß mir den Dolch ins Herz. Drum wegVon hier, in eine neue Welt!Ich hab bewiesen, was ich tauge,Hab ringen und entsagen können.Die Walstatt laß ich ohne Schmach.

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Nichts soll mich mehr zur Tat begeistern.Die Welt, sie gehe, wie sie wolle,Die Räder stell ich nimmermehr,Gleichmütig seh ich, wie sie schlenkert.Ich bin ermüdet - laß mich ruhn!

LUZIFERVon mir aus - ruh. Ob auch dein Geist,Der ruhelose, dir die Gunst erweist?Wer weiß es! Adam, folge mir!

ACHTES BILD

In Prag. Der Garten des kaiserlichen Schlosses. Rechts eine Laube, links eineSternwarte, vor ihr eine geräumige Terrasse mit Keplers Schreibtisch, Lehnstuhl und astronomischen Geräten. Luzifer als Keplers Famulus auf derTerrasse. Im Garten wandeln Höflinge und Damen in Gruppen umher, unterihnen auch Eva als Barbara, Keplers Gattin. Kaiser Rudolf mit Adam als Kepler im Gespräch vertieft. Im Hintergrunde brennt der Scheiterhaufen, auf dem ein Ketzer verbrannt wird. Abend, später Nacht. Zwei Höflinge gehen im Vordergrund vorüber.

1. HÖFLINGWer wird geröstet? Ein Ketzer wieder,Nicht eine Hexe?

2. HÖFLING      Weiß ich’s denn!Heut reizt dergleichen keinen mehr.Nur Pöbel schart sich um den Scheiterhaufen.Vor Freude tobt auch er wohl kaum,Sieht schweigend zu und murrt im stillen.

1. HÖFLINGZu meinen Zeiten war’s ein Fest,Der Hof, der Adel fehlten nie.

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Ach, so verdirbt die gute Zeit.Sie gehen vorüber.

LUZIFERAm kühlen Abend tut das FeuerMir wohl, das mich schon lang erwärmt.Nur wird es, fürcht ich, bald erlöschen.Zwar nicht aus männlichem Entschluß,Auch nicht, um neuem Geist zu weichen;Nur weil es keiner mehr mag schürenIn dieser abgestumpften Zeit,Und ich muß frieren. Schmählich klingenErhabene Ideen aus.(Ab in den Turm)Rudolf und Adam treten in den Vordergrund.

RUDOLFIch wünsch ein Horoskop mir, Kepler,Mir träumte Böses heut. Ich bangeUm meines Sternes Konjunktur.Schon unlängts stieg ein böses ZeichenBeim Kopf der Schlange in den Hof.

ADAMEs wird geschehn, Herr, wie befohlen.

RUDOLFSobald das ClimacthericumVorüber ist, gehn wir erneutAns große Werk, das uns mißlang.Ich las nochmal im Hermes Trismegistus,Synesius, Albertus, Paracelsus,Im Schlüssel Salomos und andrem,Bis ich herausfand unsern Fehler.Als wir in Schweiß den greisen König brachten,Erschienen Roter Leu und Rabe,Danach trat Doppelmerkur auf,Bezwungen von den zwei Planeten,Sank der Metalle Weisheitssäure gleich.

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Doch war verfehlt das nasse Feuer,Das trockne Wasser auch, drum bliebDie heilige Hochzeit aus, das Fazit,Das Jugend in die GreisenadernUnd Adel flößt ins graue Erz.

ADAMSo ist es, Majestät.

RUDOLF      Noch eins.Bei Hofe spricht man ungut über dich,Du hingest neuen Lehren anUnd sichtetest der Kirche Thesen.Jetzt, da als Hexe deine Mutter,Schwer angeklagt, im Kerker sitzt,Da macht es dich zu leicht verdächtig,Wenn du in störrisch blindem EiferSie unbedingt befreien willst.

ADAMErlauchter Herr! Ich bin ihr Sohn.

RUDOLFDie wahre Mutter ist die Kirche dir.Laß sein die Welt, mein Sohn, so wie sie ist,Und wolle nicht sie stümperhaft verbessern.Bewies ich dir nicht Gnade oftGenug? Was war dein Vater? Schankwirt.Und doch verlieh ich dir den Adel:Das ging nicht leicht. Zu meinem ThronErhob ich dich, nur so gewannst duBarbara Müllers schöne Hand.Drum sag ich: sieh dich vor, mein Sohn.(Ab)Adam, in Gedanken versunken, bleibt an den Stufen seiner Terrasse stehen. Zwei Hofleute treten in den Vordergrund.

3. HÖFLINGSieh den verträumten Astrologen.

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4. HÖFLINGDen Armen plagt die Eifersucht,Er paßt nicht in den neuen Kreis.Na ja, das Bauernblut schlägt durch.

3. HÖFLINGEr weiß nicht, daß ein wahrer RitterDie Frau als Gottheit ehrt, für sieUnd ihre Tugend gern und willigSein Blut vergießt. Er aber wittertUnlautre Absicht in der Huldigung.

EVA(schließt sich mit einer anderen Gruppe den Höflingen an und schlägt lachend dem zweiten Hofmann mit ihrem Fächer auf die Schulter)Hört, Ritter, auf! - Ich lach sonst michAn Euren Späßen noch zu Tode.Ihr beiden seht gar düster drein.Hat auch schon Euch der böse GeistDer Neuerung etwa befallen?Dann aus den Augen mir! VerhaßtIst mir die Art der Miesepeter,Die unsre bunte Welt verbittern,Erpicht auf Neues.

3. HÖFLING      Teure Dame,Uns trifft der Vorwurf nicht. Wer wünschteVeränderung in solchem Kreis?

1. HÖFLINGDoch irr ich nicht, steht dort ein Mann,Dem solches aufs Gesicht geschrieben.

EVAMein armer Mann? Bei Gott, Ihr Herren,Verschont ihn wenigstens vor mir,Der heilig angetrauten Gattin.Er ist ja krank, ja, leider krank.

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2. HÖFLINGWohl krank von diesen Strahlenaugen?

3. HÖFLINGHat er vielleicht, was keiner wagt,Mit Eifersucht Euch zugesetzt?O könnt ich ihm als Euer RitterDen Handschuh werfen ins Gesicht!Unterdes sind sie bei Adam angelangt.Ach, Meister! Gut, daß wir uns treffen;Ich will auf meine Güter reisen,Gebt eine Wetterprophezeiung.

1. HÖFLINGMir zeigt den Stern von meinem Sohn an,Der heute nacht geboren ist.

ADAMAm Morgen, Herren, habt Ihr beides.

4. HÖFLINGMan, geht zur Ruh, gehabt Euch wohl.

3. HÖFLING (zu Eva)Hier Eure Tür. Gut Nacht, Madame.(Flüsternd)In einer Stunde.

EVA (flüsternd)Rechts die Laube.(Laut)Gut Nacht, Ihr Herrn. Mein Hannes, komm!Alle gehen. Adam und Eva auf der Terrasse, Adam wirft sich auf den Lehnstuhl. Eva steht vor ihm. Es wird immer finsterer.

EVAJohannes, hör, ich brauche Geld.

ADAMIch gab dir meinen letzten Heller.

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EVASoll ewig ich verzichten müssen?Bei Hof die Damen prunken wieDie Pfaun, ich schäm mich unter ihnen.Wenn mir ein Hofmann lächelnd sagt,Ich wär die Königin von allen,Erröte ich statt deiner, derDie Königin in Lumpen gehn läßt.

ADAMPlag ich mich nicht bei Tag und Nacht?Verrat ich nicht für dich mein Wissen,Befleck’s mit Wetterprophezeiung,Mit Horoskopen, die nichts taugen?Was ich begriffen, das verberg ichUnd sage wissentlich das Falsche.O welche Schmach! Ich bin ja schlechterAls die Sibyllen, die dran glaubten,Was sie weissagten, nicht wie ich.Ich tu es dennoch, dir zuliebe.Was mach ich mit dem Sündenlohn?Ich brauch ja nichts auf dieser Welt,Nur Nacht und Sterne, die mir strahlen,Geheime Sphärenharmonie;Das übrige sei dein. Doch sieh,Wenn leer des Kaisers Kassen sind,Entlohnt man mich nach vielen BittenNur säumig. Was ich morgen frühBekomme, ist ja auch für dich.Undankbar bist du, und das schmerzt mich.

EVA (weinend)Du wirfst mir vor, was du mir opferst.Und was hab ich für dich getan?Ich, eine Edelfrau, verband michMit deinem zweifelhaften Rang.Und kamst du nicht durch mich in hoheGesellschaft? Undankbarer, leugne es!

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ADAMIst Geist und Wissen zweifelhafter Rang?Der Strahl von dunkler Herkunft, derVom Himmel fiel auf meine Stirn?Wo gibt es einen Adel außer diesem?Was ihr so nennt, ist nur ein Schemen,Aus dem die Seele längst entwich,Doch stark und ewig jung ist meiner.O könntest, Weib, du mich verstehn,Wär deine Seele mir verwandt,Wie ich’s geglaubt beim ersten Kuß.Dann wärst du stolz auf mich und suchtestDas Glück nicht jenseits meiner Kreise,Gäbst nicht, was süß an dir ist, allesDer Welt hin, brächtest nicht alleinDas Bittre heim an unsren Herd.O Weib, wie liebt ich dich unendlich!Noch immer lieb ich dich, doch schalUnd bitter wird in mir der Honig.Mich schmerzt zu sehen, wie in dirDie edle Weiblichkeit verdirbt;Nur eine Puppe ist die Frau noch,Die Göttin war zur Ritterszeit.Die Zeit war groß, der Glaube stark.Heut ist der Glaube hin, die Zeit verzwergt,Die Puppengöttin birgt nur Laster.Von dir mich trennen? Tät ich es,Zerriß es mir das Herz. Und doch,Mir brächt es Ruh, dir Glück vielleicht;Doch das Gesetz, das Wort der KircheVerbietet es, wir müssen duldenZusammen, bis das Grab uns trennt.Er stützt das Haupt in die Hände, Eva streichelt ihn gerührt.

EVAJohannes, nimm es nicht so tragisch,Wenn ich auch hier und da was sage,Ich wollte dich ja nicht betrüben.

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Doch sieh, der Hof ist wundervollUnd seine Damen stolz und spöttisch:Sollt ich allein den vielen trotzen?Nicht wahr, wir sind uns wieder gut?Schlaf wohl! Und denk ans Geld für morgen.Sie geht über die Treppe in den Garten.

ADAMWie seltsam ist aus Gut und BöseDas Weib gemischt, aus Gift und Honig.Es zieht uns an, wohl weil das GuteSein eigen ist, indes das Böse -Nur Fluch der Zeit. - He, Famulus!Luzifer kommt mit einer Lampe, stellt sie auf den Tisch.

LUZIFERHier, Meister!

ADAM      Wetterprophezeiung,Nativität. Mach beides gleich.

LUZIFERNatürlich voller Glanz und Flimmer.Wer wird für nackte Wahrheit zahlen?

ADAMDoch keine, die zu übertrieben.

LUZIFERIch könnte keine je ersinnen,Die Eltern übertrieben fänden.Ist jeder Neugeborne nichtEin heller Stern, ein Himmelsbote?Erst später wird aus ihm ein Nichtsnutz.Er schreibt. Unterdes hat Eva die Laube erreicht, der dritte Höfling tritt ihr entgegen.

3. HÖFLINGGrausame, lang laßt Ihr mich schmachten!

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EVAIst Euch schon ein zu großes Opfer,Den kühlen Wind der Nacht zu dulden,Wo ich den edlen Mann betrügeUnd wegen Euch des Himmels Fluch,Der Welt Gerede auf mich lade!

3. HÖFLINGFluch und Gerede dringen nichtIn das Geheimnis dieser Laube.

ADAM (sinnend)Ich wünschte eine Zeit mir ohne Kämpfe,Wo keiner an gewohnter Ordnung,An heiligen Vorurteilen rüttelt;Ich wollte ruhn und meine WundenGleichmütig lächelnd heilen lassen.Sie kam. Was hilft es, wenn in mirDie Seele lebt, dies qualvoll heilige ErbeDes Himmels für den schwachen Menschen.Sie will die Tat und bäumt sich gegenBeschauliches Genießertum.He, Famulus! Bring Wein, ich bebe:Die Welt ist kalt, die Zeit erbärmlich,Ich brauch den Rausch, nur so vermag ichVom Erdenschmutz mich loszureißen.Luzifer bringt Wein, Adam trinkt immer wieder bis zum Schluß des Bildes.O schlag, unendlich großer Himmel,Dein heiliges Rätselbuch mir auf:Darf ich erlauschen deine Normen,Entflieh ich meiner Zeit und Umwelt.Sie sind vergänglich, du bist ewig,Sie ziehn hinab, nur du erhöhst mich.

3. HÖFLINGO Barbara, wärst du doch mein!Wenn Gott den Gatten zu sich nähme,Er wäre dann dem Himmel näher,Der großen Sehnsucht seines Lebens.

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EVASchweig still! Zu tief wär meine Trauer,Vor Tränen könnt ich dich nicht küssen.

3. HÖFLINGDu scherzest.

EVA      Nein, es ist die Wahrheit.

3. HÖFLINGWer möchte dein Gemüt ergründen?Liebst du mich denn nicht, Barbara?O sag: wär ich verbannt und arm,Was tätst du dann für deinen Freund?

EVADas kann ich wahrlich jetzt nicht sagen.

ADAMEs kommt Zeit, die diesen FrostZum Schmelzen bringt, mit frischer TatkraftBeiseite schafft den alten Plunder,Als Richter auftritt, straft und lohnt.Er steht auf und tritt schwankend an die Brüstung des Erkers.Die nicht erschrickt vor großem Wollen.Kühn ausspricht das geheime Wort,Das der Lawine gleich gewaltigDahinrollt auf dem Schicksalswege,Auch den verschüttend, der es aussprach.Man hört die Marseillaise.Ich hör’s, ich hör das Lied der Zukunft,Ich fand das Wort, den Talisman,Der unsre Erde wieder jung macht…

NEUNTES BILD

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In Paris. Der Schauplatz verwandelt sich in den Grèveplatz zu Paris. Die Terrasse ist ein Gerüst mir der Guillotine, Luzifer steht als Henker daneben. Adam als Danton spricht vom Rande des Gerüstes zu der brausenden Volksmenge. Eine zerlumpte Rekrutenabteilung erscheint unter Trommelwirbel und schart sich um das Gerüst. Heller Tag

ADAM (fortfahrend)Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!

VOLKSMENGETod jedem, der es anders meint!

ADAMDas sag ich auch. GefahrumdrohtIst die Idee. Zwei Worte könnenSie retten. Sagt den Gutgesinnten:„Das Vaterland ist in Gefahr”,Und sie erheben sich. Für SünderHeißt „Zitter!” unser Donnerwort,Das wie ein Beilschlag sie vernichtet.Es kamen gegen uns die Fürsten,Wir warfen ihnen hin des Königs Kopf.Die Pfaffen standen auf, doch wirEntwanden ihrem Griff den BlitzUnd setzten die Vernunft, die langeVerfolgte, wieder auf den Thron.Das Mahnwort an die Guten wirkte,Es stehen elf Armeen im Feld,Und endlos drängt sich tapfre Jugend,Die Lücken der Gefallenen zu füllen.Wer sagt, der Blutrausch dezimiereDie Blüte unsrer Nation?Wo Erz kocht, fällt heraus die Schlacke,Der edle Stahl bleibt rein zurück;Und sind wir auch von Blut berauscht,Und hält man uns für Ungeheuer,Was tut’s? Das Land ist groß und frei!

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REKRUTENGebt Waffen uns und einen Führer!

ADAMBrav! So ist’s recht! Ihr wollt nur WaffenUnd leidet doch an vielem Mangel:Zerfetzt die Kleider, nackt die Füße?Das Bajonett erkämpft euch alles.Denn siegen werdet ihr. Das VolkIst unbesiegbar. Eben floßDas Blut des einen Generals,Der an der Spitze unsrer TruppenSich schlagen ließ.

VOLKSMENGE      Tod dem Verräter!

ADAMSehr richtig! Welchen andren SchatzBesitzt das Volk als Blut, das esDem Vaterland so edel opfert?Wer diesen heiligen Schatz verwaltetUnd nicht die Welt erobert, istVerräter.Aus der Rekrutenschar tritt ein Offizier hervor.

OFFIZIER      Stell an seinen PlatzMich, Bürger, und ich tilg die Schande.

ADAMMein Freund, dein Selbstvertraun ist löblich.Doch bringe die Gewähr, daß duDein Wort auch hältst, erst aus der Schlacht.

OFFIZIERGewähr? Sie wohnt in meiner Brust.Und sieh, auch ich hab einen Kopf,Nicht schlechter als der hier gefallne.

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ADAMWer bürgt mir, daß du ihn mir bringst,Wenn ich ihn will?

OFFIZIER      Ich bin der Bürge,Weil ich gering das Leben schätze.

ADAMSo denkt doch Jugend nicht.

OFFIZIER      Ich fordreDich, Bürger, auf zum letztenmal.

ADAMGeduld, das Ziel entgeht dir nicht.

OFFIZIERIch seh, du traust mir, Bürger, nicht:So lerne besser von mir denken.(Er erschießt sich)

ADAMWie schad um ihn. Er hätt die KugelVom Feind verdient. So tragt ihn fort.Auf Wiedersehen, nach dem Siege!Die Rekruten marschieren ab.O, könnt ich euer Schicksal teilen!Doch meines ist nur Kampf, kein Ruhm,Kein Feind, durch den zu fallen glorreich,Nur einer, der im HinterhaltDas Vaterland und mich belauert.

VOLKSMENGEZeig ihn uns mit dem Finger, und er stirbt.

ADAMDer, den ich zeigen kann, ist schon erledigt.

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VOLKSMENGEUnd die Verdächtigen? Wer sind sie?Verdächtig heißt soviel wie schuldig.Das Volksempfinden irrt sich nicht.Haut ab die Köpfe den Aristokraten!Kommt, holen wir sie aus den Kerkern!Des Volkes Richtspruch ist unfehlbar.Das Volk bricht auf, um in die Kerker zu ziehen.

ADAMNicht dort ist die Gefahr, die Riegel halten!Die Moderluft, die Hirn und MuskelnZermürbt, sie steht mit euch im Bunde.Verrat lacht, wisset, im KonventUnd wetzt den Dolch mit keckem Antlitz.

VOLKSMENGEAuf zum Konvent! Durchsieben wir ihnNochmal! - Nein, zum Konvent erst später!Zuerst, zur Übung, in die Kerker!Schreib, Danton, die VerräternamenUns unterdessen auf.Die Volksmenge drohend ab. Einige Sansculotten schleppen einen jungen Marquis und Eva als seine Schwester vor das Gerüst.

EIN SANSCULOTTE      Wir bringenHier wieder zwei Aristokraten!Der stolze Blick, die feinen KleiderBeweisen deutlich ihre Schuld!

ADAMWelch edles Paar! Kommt, junge Leute!

DER SANSCULOTTEJetzt den Genossen nach! Die KöpfeDer Hochverräter müssen rollen!Die Sansculotten gehen mit dem anderen Volk ab, das junge Paar steigt aufdas Gerüst, das nur von einigen Wachen umgeben ist.

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ADAMIch weiß nicht, was zu euch mich zieht;Ich rette euch auf eigene Gefahr.

DER MARQUISNein, Danton. Wenn wir schuldig sind,Dann ist’s Verrat, uns freizusprechen.Wenn nicht, verschmähn wir deine Gnade!

ADAMWie sprichst du mit Danton? Wer bist du?

DER MARQUISIch bin Marquis.

ADAM      Halt! Weißt du nicht,Daß nur der Titel „Bürger” gilt?

DER MARQUISHat denn mein König abgeschafftDie Titel?

ADAM      Schweig, Unseliger!Tritt ein in unser Heer, die Bahn ist offen.

DER MARQUISMir hat mein König nicht erlaubt,In fremden Heeren Dienst zu tun.

ADAMSo wirst du sterben.

DER MARQUIS      Einer mehrVon uns, der für den König stirbt.

ADAMWas soll solch kühner Todeswille?

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DER MARQUISDu glaubst, dies edle Recht gebührtNur euch, den Männern aus dem Volk?

ADAMDie trotzest? Gut, so trotz ich auch!Wer wird der Stärkre sein? Ich retteDich dir zum Trotz. Für diese TatWird eine stillre Zeit mir danken,Wenn einst Parteienhaß erlischt.Gardisten! Bringt den Bürger inMein Haus. Ihr bürgt mir für sein Leben.Einige bewaffnete Nationalgardisten führen den Marquis ab.

EVABleib standhaft, Bruder!

DER MARQUIS      Schwester, Gott mit dir!(Ab)

EVAAuch hier ein Kopf, nicht schlechter alsMadame Rolands.

ADAM      Zu harte Worte vonSo zarten Lippen.

EVA      Passen dennZum Blutgerüst die zarten Reden?

ADAMDies Schreckgerüst ist meine Welt.Du bringst ein Stück vom Himmel herUnd schließt mich ein in seine Sphäre.

EVADer Priester höhnt sein Opfertier nicht,Das er zum Schlachten führt.

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ADAM      O nein,Das Opfer, glaub mir, bin ich selbst.Man mag mich neiden um die Macht.Ich sehe freudlos meinen Thron,Das Leben wie den Tod verachtend,Seh täglich viele Köpfe fallenUnd warte, bis an mir die Reihe.Vom Blut umrauscht, o welche QualDer Einsamkeit, das dunkle Ahnen,Wie süß, wie gut es wär zu lieben…O Weib, lehr du mich diesen HimmelNur einen Tag, am zweiten leg ichBeruhigt unters Beil das Haupt.

EVAIn dieser Welt des Grauens Liebe?Und schreckt dich das Gewissen nicht?

ADAMGewissen braucht der Alltagsmensch.Wen das Verhängnis vorwärts treibt,Hat keine Zeit, sich umzusehn.Hat je ein Sturm die wilde WutGehemmt vor einer zarten Rose?Und wer erkühnte sich, die TatenDer Auserwählten zu bekritteln?Wer sah die Fäden je, die Brutus,Die Catilina leiteten?Glaubt man vielleicht, berühmte MännerSind nicht wie andre Menschen auch,Sie seien etwa göttergleichGeworden, hoch erhaben überDen tausend kleinen Alltagssorgen?Ach, glaub es nicht. Auch auf dem ThroneRührt sich das Herz, und Cäsars Liebste,Sofern er eine hatte, kannteDen guten Jungen nur, nicht den,Vor dem die ganze Erde bebte.

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Bist du kein Weib und ich kein Mann?Man sagt, das Herz liebt oder haßt,So wie man’s mitbringt auf die Welt.Ich fühl mein Herz verwandt mit deinem,Und du, du hörst die Stimme nicht?

EVAWas nützte es? Dich führt ein andrer Gott,Nicht der, den ich im Herzen trage.Wir können niemals uns verstehen.

ADAMLaß ab von deinen alten Idealen!Was opferst du verbannten Göttern?Dem Weibe ziemt nur ein Altar,Der ewig jung erstrahlt: das Herz.

EVAAuch der verlassene AltarKennt Märtyrer. O, edler ist’s,Ruinen treu zu ehren alsDie neu erstandne Macht zu preisen,Und ziemt auch besser mir, der Frau.

ADAMKein Mensch hat mich noch weich gesehn!Säh einer mich, ob Feind, ob Freund,Wie ich, den das Geschick zum SturmBestimmt, die Welt hinwegzufegen,Hier nassen Augs auf dem SchafottUm eines Mädchens Liebe fleh:Er sagte Dantons Sturz voraus,Und keiner hätt mehr Angst vor mir.Und dennoch fleh ich: laß mich hoffen.

EVAWenn dein versöhnter Geist im JenseitsAbstreift den blutigen Staub der Zeit:Vielleicht.

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ADAM      Nicht so, nein, sprich nicht weiter!Ich glaub ans Jenseits nicht und ringeBar jeder Hoffnung mit dem Schicksal.Die Volksmenge kehrt mit blutigen Waffen, blutigen Köpfen auf Spießen zurück. Einige stürmen auf das Gerüst.

VOLKSMENGEDie stolze Rasse ist gerichtet.

EIN SANSCULOTTE (gibt Adam einen Ring)Den Ring hier für das Vaterland!Ein Schuft hat ihn mir aufgedrängt,Bevor ich ihm den Hals durchschnitt.Das Pack meint gar, wir wären Räuber.Du lebst noch? Folge deiner Sippe!Er sticht Eva nieder, die hinter das Gerüst fällt.

ADAM (bedeckt die Augen)Vorbei, o weh! Wer beugt dich, Schicksal?

VOLKSMENGEJetzt zum Konvent! Auf, Bürger, führ uns!Ist die Verräterliste fertig,Das Volk räumt das Gerüst. Eva, als zerlumptes Weib aus dem Volke, bricht erregt aus der Menge hervor, in einer Hand einen Dolch, in der anderen einen blutigen Kopf, und stürmt zu Danton hin.

EVADanton! Der wollte dich ermorden.Ich stach ihn nieder, den Verschwörer!

ADAMHätt meinen Platz er besser ausgefüllt,War schlecht die Tat; wenn nicht: dann gut.

EVADie Tat war gut, ich will den Lohn!Schlaf eine Nacht mit mir, du Großer!

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ADAMWohnt Neigung selbst in solcher Brust?Fühlt zärtlich auch die Tigerin?

EVADu tust, als wärst du, Bürger, selbstEin Edelmann mit blauem Blut!Sprichst du im Fieber so romantisch?Du bist ein Mann, ich Weib und jung:Nimm mich, denn ich bewundre dich.

ADAM (beiseite)Mir graut, ich wende ab die Augen.Welch unfaßbares Gaukelspiel.Welch wunderbare Ähnlichkeit!Ein Engel vor und nach dem Sturz.Gesicht, Gestalt, die Stimme gleich,Ein kleines unfaßbares Nichts,Man kann es nicht bestimmen, was,Das fehlt. Und anders gleich im Ganzen.Warum blieb jene mir versagt?Die Glorie schützte sie. Und dieseVerleidet mir der Höllendampf.

EVAWas murmelst du?

ADAM      Ich rechne, Weib,Ich hab so viele Nächte nichtAls unser Vaterland Verräter!

VOLKSMENGEAuf zum Konvent! Du nenn sie üns!Unterdes kommen Robespierre, Saint-Just und andere Konventmitglieder mit einer zweiten Volksmenge und stellen sich auf eine improvisierte Tribüne.

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SAINT-JUSTEr soll sie nennen? Er, ihr Haupt?Das Volk murrt.

ADAMSaint-Just, du wagst, mich anzuklagen?Weißt du, wie stark ich bin?

SAINT-JUST      Du warst esIm Volke einst. Doch dieses VolkIst weise, hat dich längst erkanntUnd heiligt den Konventbeschluß.

ADAMIch kenne keinen Richter alsDas Volk, und dieses ist mein Freund.Wieder Murren im Volk.

SAINT-JUSTDein Freund ist, wer des Landes Feind.Dich richte das erhabne Volk.Vor ihm, Danton, klag ich dich anDer Unterschlagung Landesguts, derAristokratensympathie,Des Strebens nach Tyrannenmacht.

ADAMGib acht, mein Wort zerschmettert dich!Saint-Just, du lügst!

ROBESPIERRE      Hört ihn nicht an!Man kennt die schlangenglatte Zunge.Faßt ihn im Namen unsrer Freiheit!

VOLKSMENGEHört ihn nicht an! Tod über ihn!Sie umringen und ergreifen ihn.

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ADAMSo hört mich nicht! Doch soll auch ichNicht hören die verruchte Klage.Mit Worten überzeugen wirUns nicht. Mit dieser Tat schon gar nicht.Robespierre, du kamst mir nur zuvor!Das ist es. Sei nicht stolz darauf.Die Waffen streck ich selbst: es war genug.Doch höre: in drei Monden sollstDu folgen mir auf diesem Weg.Henker, mach’s gut: ein Riese fällt!(Er neigt sein Haupt unter die Guillotine)

ZEHNTES BILD

In Prag. Die Szenerie verwandelt sich plötzlich wieder in die des achten Bildes. Adam ist wieder Kepler, er stützt den Kopf auf den Schreibtisch, Luzifer als Famulus steht neben ihm und schlägt ihm auf die Schulter. Morgengrauen

LUZIFERDas Köpfen unterbleibt diesmal.

ADAM (erhebt sich)Wo bin ich, wo sind meine Träume?

LUZIFERVerflogen, Meister, mit dem Rausch.

ADAMErlebt in dieser öden ZeitDas alte Herz im Rausch nur Großes?O, was ich sah, wie war’s erhaben!Wer Gottes Funken, sei’s mit BlutUnd Dreck beschmiert, verkennt, ist blind.Wie waren Schuld und Tugend groß

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Und beides so bewundernswert,Weil voller Kraft. Wozu auch mußte ichErwachen! Nur um mehr noch unterUnsrer zwerghaften Zeit zu leiden,Mit ihren Sünden hinter LächelnUnd falscher Tugend der Gewöhnung.

LUZIFERIch kenne diesen KatzenjammerAm Morgen, wenn der Rausch verfliegt.

EVA (tritt aus der Laube)Hinweg! Gerecht war mein Verdacht.Du reizt mich auf zum Gattenmord!Der Untat hältst du fähig mich,Dein vorgebliches Ideal!

DER HÖFLINGBei Gott, verhalt dich still, Geliebte!Bemerkt man uns, so gibt’s Skandal.

ADAMDie beiden Frauen waren Traum nur?Die beiden? Nein, in zwei Gestalten eine,Sich wandelnd wie mein Schicksal: Schaum.Der bald hell leuchtet, bald erlischt.

EVAAch so, dich ängstigt der Skandal!Was schert dich, Ritter ohne Tadel,Die Sünde, wenn sie nur geheim bleibt!Ihr Männer höhnt so lang die Frau,Bis sie der Keuschheit altes ErbeAls Vorurteil verwirft, dann sehtIhr sie verächtlich lächelnd anAls leichtes Werkzeug eurer Lüste.Hinweg! Ich will dich nicht mehr sehn!

DER HÖFLINGDu übertreibst. Man macht sich lächerlich,

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Wenn man aus einer AlltagssacheEine Affäre macht. Wir sehenUns wieder, lächeln, spaßen -Und was geschah, wird nicht erwähnt.Gut Morgen, edle Frau!(Ab)

EVA      Du Schuft!Da steh ich nun in Schuld und Tränen.(Ab)

ADAMSo war’s ein Traum nur, der verflog.Doch nein, nicht ganz. Ideen sind stärkerAls schlechter Stoff. Den kann GewaltZertreten, jene leben ewig.Ich sehe meine heiligenGedanken blühn, sich klären, läutern,Bis, endlich, sie die Welt erobern.

LUZIFERDie Zeit vergeht, die Jugend wartetBegierig auf den Unterricht,Ein weises Wort dir abzulauschen.Er zieht an der Glocke, die an der Sternwarte angebracht ist.

ADAMVerhöhn mich nicht mit meinem Wissen,Erröten muß ich vor dem Lob.

LUZIFERDu lehrst doch manchen braven Jüngling.

ADAMWas lehren! Ich dressier sie nur,Nach Worten, die sie nicht verstehn undDie nichts bedeuten, dies und das zu tun.Der Dumme staunt und glaubt, die GeisterMit diesen Worten zu beschwören,

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Wo doch das Ganze nur ein Kniff ist,Zu decken unsre Gaukelein.Ein Schüler kommt mit raschen Schritten und geht auf die Terrasse.

SCHÜLERIhr rieft zu Euch mich gnädig, Meister,Um meinen Wissensdurst zu stillen,Mich tiefer in die Dinge einzuweihn,Als dies für andre dienlich wäre.

ADAMAch ja, so glänzend ist dein Fleiß,Daß dieser Vorzug ihm gebührt.

SCHÜLERDa bin ich. Meine Seele lechztNach Einblick in die Werkstatt derNatur. Erfassen möchte ichDie Welt der Körper und der GeisterUnd kraft des Wissens sie beherrschen.

ADAMSo viel? Des Weltalls Staubkorn du,Du willst das große Ganze schauen,Genießen und beherrschen gar?Wenn solch Gewicht dich nicht zerdrückteUnd du es schafftest, wärst du Gott.Wünsch weniger, vielleicht erreichst du’s.

SCHÜLERSo löst mir, Meister, ein Geheimnis,Nur eins, das weiterhilft, denn sonstGesteh ich’s, daß ich nichts erfasse.

ADAMWohlan, ich sehe, du bist würdig,Dich führ ich ein ins Heiligtum,Du schau die Wahrheit wie ich selber.Doch lauscht hier nicht ein Unbefugter?Denn diese Wahrheit kann auch töten,

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Wenn zeitig unters Volk sie kommt.Es naht die Zeit, o wär sie da,Wenn frei sie umgeht auf den Straßen.Dann wird das Volk schon mündig sein.Die Hand drauf, daß du nicht verrätst,Was du erfährst. Gut. Also hör.

SCHÜLERIch bebe vor Begier und Furcht…

ADAMWas sagtest du vorhin, mein Sohn?

SCHÜLERDaß ich vom Wesen nichts erfasse.

ADAM (vorsichtig)Nun sieh, ich auch nicht. Und kein andrer.Philosophie ist Dichtung nurDer Dinge, die wir nicht erfassen.Doch ist sie noch die zahmste Lehre,Denn sie vertreibt sich still die ZeitIn ihrer Welt voll Hirngespinste.Doch gibt es andre ohne Zahl,Die wichtigtuend zeichnen in den Sand,Die eine Linie Abgrund nennenUnd Heiligtum den Kreis, daß dir schonZum Lachen ist, doch plötzlich merkst du,Daß dies ein furchtbar ernster Streich ist,Denn während alles bang und bebendDie Zeichnungen im Sand umgeht,Stehn Fallen da, die den Vermeßnen,Der über sie hinwegtritt, blutigZerfleischen. Solche AlbernheitenVerstellen uns den Weg und schützenDie etablierte Macht wie Götzen.

SCHÜLERAch, ich versteh. Und bleibt es ewig so?

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ADAMEinst wird man über alles lachen.Der Staatsmann, den wir groß genannt,Der angestaunte OrthodoxeGilt dann nur als Komödiant.Ihn löst die wahre Größe ab, dieSich einfach und natürlich gibt,Die dort nur springt, wo Graben klaffen,Und Wege bahnt, wo Durchlaß ist.Die Lehre, die jetzt so verworren,Daß sie zum Irrsinn führt, wird jederVerstehen, ohne sie zu lernen.

SCHÜLERIst das die klare Sprache also,In der einst die Apostel sprachen?Doch wär auch alles eitel Plunder,Nimm mir den Glauben an die Kunst nicht.Die man ja doch nach Regeln lernt.

ADAMAuch Kunst ist meist nur dann vollkommen,Wenn sie sich unbemerkbar macht.

SCHÜLERSoll kalte Wirklichkeit genügen?Das Ideal beseelt das Werk erst.

ADAMStimmt. Die Idee bringt Geist ins WerkUnd macht aus ihm ein Stück Natur,Der Schöpfung ebenbürtig. SonstGerät es nur als totes Machwerk.Doch wisse, IdealisierenErsetzt die lebende Natur nicht;Drum scher dich nicht um Regeln, Muster.Wer Kraft besitzt und Gott beherbergt,Der dichtet, meißelt oder singt;Er schluchzt, wenn ihm das Herz zu schwer,

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Er lächelt in dem Rausch der Wonne,Schlägt neue Wege ein zum Ziel.Aus seinem Werke abstrahiert dannDie Nachwelt neue Regeln - zum Ballast,Zu Flügeln nicht - für Epigonen.

SCHÜLERWas soll ich, Meister, tun, der ichSo manche Nacht die Bücher wälzte?Bleib ich zum Schluß den Dummen gleich,Und alle Mühe ist verloren?

ADAMWohl nicht, denn sie berechtigt dich,Den falschen Zauber zu mißachten.Wer nie sich in Gefahr begibt,Ist feige; doch wenn ein ErprobterSich nicht mit dem Krakeeler einläßt,Reicht kein Verdacht an seinen Mut.Wirf die vergilbten Pergamente,Die schimmeligen FoliantenIns Feuer! Denn sie haben unsEntwöhnt des Gehns auf eignen Füßen.Des Denkens mit dem eigenen Kopf.Die alten Fehler schmuggeln sieAls Vorurteile in die neue Zeit ein.Ins Feuer alle! Geh hinaus ins Freie!Wozu denn lernen, was ein Lied istUnd was ein Wald, derweil dein LebenIn dumpfer Stube freudlos schwindet.Wähnst du das Leben lang genug,Um ewig Theorie zu lernen?Laß uns zusammen von der SchuleJetzt Abschied nehmen. Dich geleiteZu Lied und Sonne deine Jugend;Mich führ, fragwürdiger Hütergeist,In eine neue Welt, die kommt, wennVerstanden werden die Ideen der Großen

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Und offne Rede den GedankenBefreit aus fluchbeladnen Trümmern.

ELFTES BILD

In London. Markt zwischen Tower und Themse. Eine bunte Menge wogt lärmend bin und her. Adam in gereiftem Alter steht mit Luzifer auf einer Bastion des Towers. Später Nachmittag

CHOR(Zusammenklang des Stimmengewirrs der bewegten Menge, von leiser Musik begleitet)Braust die Meeresflut des Lebens,Jede Welle eine Welt.Kümmert’s dich, wenn jene aufsteigt?Ist dir bang, wenn diese fällt?Einmal droht die rauhe Menge,Daß den Einen sie verschluckt,Andermal der starke Eine,Daß er alle andern duckt.Heute bebst du für die Dichtkunst,Morgen wird’s das Wissen sein,Und ins Maß der strengen OrdnungSchlössest du die Wogen ein.Magst du noch so sehr dich mühen,Nichts als Wasser schöpfest du,Das erhabne Meer verlacht dich,Tosend, wogend, immerzu.Laß es brausen, bis das LebenUm sich selbst die Dämme zieht.Nichts im Kampfe geht verloren,Altes wird stets neu geboren,Höre, lockend tönt sein Lied.

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ADAMDas ist’s, wonach ich immer lechzte.Durchs Chaos führt’ mein Weg bislang,Jetzt steht vor mir das volle Leben,Erhebend schön ist sein Gesang.

LUZIFERSchön aus der Höh, wie ein Choral,Wenn Klagen, Seufzen, heisre StimmenIm Flug zur Melodie verschmelzen.So hört es Gott, drum meint er auch,Es sei ihm gut die Welt gelungen.Doch unten müßt es anders klingen,Da tönen Herzensschläge mit.

ADAMVergleiche, Nörgler, diese WeltMit der, durch die du mich geschleift hast.Die moosigen Mauern sind zerborsten,Verschwunden sind die Schreckgespenster,Die glorienumstrahlt das GesternAls Erbfluch überließ dem Heute.Nun ist die Bahn für alle frei hienieden,Kein Sklave baut mehr an den Pyramiden.

LUZIFERAuch in Ägypten wär das StöhnenDer Sklaven nicht so hoch gedrungenWie ihre grandiosen Werke;Und in Athen hat nicht das VolkErhaben und gerecht gehandelt,Als es den besten Mann geopfert,Weil sonst das Land gefährdet wäre?Wer von so hoch die Welt betrachtet,Hat Weibertränen nie beachtet.

ADAMSchweig still, du ewiger Sophist!

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LUZIFERDas Jammern ist zwar ausgestorben,Dafür ist alles so verflacht.Wo lockt die Höh? Wo schreckt die Tiefe?Wo ist die Farbigkeit des Lebens?Der Meeresflut es nimmer gleicht,Dem Sumpf nur, wo die Kröte laicht.

ADAMDas allgemeine Wohl entschädigt.

LUZIFERVon deinem hohen Stand beurteilstAuch du das Leben dir zu FüßenWie die Geschichte das Vergangne.Gekreisch, Geheul wird nicht verzeichnet,Allein das Hohe Lied von damals.

ADAMSieh, auch der Satan wird romantisch,Wird doktrinär: o welcher Fortschritt!

LUZIFER (deutet auf den Tower)Kein Wunder, stehn wir doch auf demGespenst der Urzeit hier im Heute.

ADAMDen morschen Standort brauch ich nicht,Ich steig in diese neue Welt hinabUnd fürchte nicht, daß sie der DichtkunstUnd hehrer Ideale bar sei.Mag sein, sie künden sich nicht mehrTitanisch himmelstürmend an,Doch um so innig-segensvollerErstehn sie im bescheidnen Kreis.

LUZIFEREs wär auch unnütz, drum besorgtZu sein. Solang der Stoff besteht,Lebt als Verneinung meine Macht

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Im Kampf mit ihm. Und auch solangGehirne denken, Herzen fühlenUnd Ordnung die Gelüste dämmt,Lebt als Verneinung in den GeisternDie Poesie und die Idee.Doch sprich, wie wollen wir uns kleiden,Wenn wir hinab in diesen Trubel steigen?Denn so sind wir nur hier geduldet,Wo uns Vergangenheit umweht.

ADAMMir ist es gleich. Es gibt zum GlückKein Überragen mehr. Wir müssenZum Volk hinab, um, was es fühlt, zu wissen.Beide ziehen sich ins Innere des Towers zurück und treten alsbald als Arbeiter gekleidet zum Tor hinaus und mischen sich unter die Menge. Ein Puppenspieler steht vor seiner Bude, auf der ein angeketteter Affe in rotem Jäckchen sitzt.

PUPPENSPIELERHereinspaziert, geehrte Herren!Das Puppenspiel beginnt sogleich.Possierlich ist es anzusehn,Wie einst das Schlangentier beschwatzt hatDas erste, neugierige Weib,Schon dann zum Übel ihres Mannes.Zu sehn ist ein behender Affe,Der würdig sich als Mensch gebärdet;Ein Bär, der den Tanzmeister macht.Hereinspaziert, geehrte Herren!Gedränge um die Bude.

LUZIFERHorch, Adam, unsere GeschichteWird hier gespielt. Wie wunderbar,Daß selbst nach sechzighundert JahrenDer Fall noch immer amüsiert.

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ADAMLaß deine abgeschmackten Späße.

LUZIFERHm, abgeschmackt?! Sieh, wie sie jauchzen,Die Jungen, die vor kurzem nochBei Nepos schliefen auf der Schulbank.Und kannst du sagen, wer da recht hat:Die, ihrer jungen Kraft bewußt,Ins Leben treten oder jene,Die es mit morschem Hirn verlassen?Gefällt ein Shakespeare besser dirAls ihnen dies groteske Spiel?

ADAMGroteskes ist mir stets zuwider.

LUZIFERDas blieb dir aus der Griechenzeit.Sieh, ich, der Vater oder Sohn- Bei Geistern ist das fast das gleiche -Der neuen Richtung, der Romantik,Hab meine Freude am Grotesken,Am Äffischen im Menschenantlitz,Am Kotfleck im Erhabenen,Entgleisten Geist im härenen Gewand,Wenn man dem Popanz Weihrauch spendet,Wenn eine Dirne Tugend predigt,Der Greis die Liebeslut verachtet,Das ist mein Trost: Mein Reich ist zwar verloren,Und dennoch werd ich immer neu geboren.

PUPPENSPIELER (klopft Adam auf die Schulter)Schert, Kerle, euch von diesem Platz!Wer gratis für die Leute spielt,Ist lebensmüd und hängt sich auf.Adam und Luzifer stellen sich beiseite. Ein kleines Mädchen kommt und bietet Veilchen an.

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KLEINES MÄDCHENDes lieben Frühlings erste Künder,Die duftigen Veilchen, kauft von mir!Sie sind das Brot der WaisenkinderUnd auch für Arme schöne Zier.

EINE MUTTER (kauft Veilchen)Gib für mein Kindchen auf der Bahre.

EIN MÄDCHEN (kauft ebenfalls)Der schönste Schmuck für dunkle Haare.

KLEINES MÄDCHENKauft Veilchen! Liebe Herren, kauft!Sie geht vorüber.

EIN JUWELIER (in seiner Bude)Dies Unkraut macht uns Konkurrenz!Es will nicht aus der Mode kommen.Auf schöne Hälse passen dochNur Perlen, die aus MeerestiefenDer Taucher holt, sein Leben wagend,Im Kampfe mit den Ungeheuern.Zwei Bürgermädchen kommen.

1. BÜRGERMÄDCHENDie schönen Stoffe, die Juwelen!

2. BÜRGERMÄDCHENWer spendet uns ein Marktgeschenk?

1. BÜRGERMÄDCHENEin Mann, der uns Geschenke macht,Der will bezahlt sein in der Nacht.

2. BÜRGERMÄDCHENJa, so verderbt ist ihr GeschmackVon Kaviar und Dirnenpack.

1. BÜRGERMÄDCHENDer sieht uns nicht, dünkt sich zu gut.

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2. BÜRGERMÄDCHENDem andren wieder fehlt der Mut.Unter einer Laube werden Getränke ausgeschenkt; um den Tisch herum sitzen zechende Arbeiter. Weiter im Hintergrunde Musik und Tanz. Soldaten,Bürger und allerlei Volk unterhalten sich und stehen herum.

GASTWIRT (unter seinen Gästen)Nur froh, ihr Herrn, vergeßt das Gestern;Wer weiß, was uns wohl morgen trifft.Gott nährt die Vögelein des Himmels,„Alles ist eitel”, sagt die Schrift.

LUZIFERDie Weisheit will mir gut gefallen.Komm, setzen wir uns, sehen zu,Wie gut das Volk sich amüsiertBei saurem Wein und Bumsmusik.

1. ARBEITER (am Tisch)Maschinen, sag ich, sind des Teufels:Sie nehmen uns das Brot vom Munde.

2. ARBEITERSolang wir trinken können, geht’s noch.

1. ARBEITERDer Reiche saugt uns aus, der Satan.Ich würd’s ihm, käm er jetzt, schon zeigen,Ein Fall wie neulich täte not.

3. ARBEITERWas nutzt es dir? Den henken sie,Und unser Los bleibt, wie es war.

2. ARBEITERAch, Quatsch! Soll nur der Reiche kommen,Ich tu ihm nichts und setz ihn her.Wir wollen sehn, wie so ein Herr ist,Und ob er tüchtig saufen kann.

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GASTWIRT (zu Adam)Mein Herr, was steht zu Diensten?

ADAM      Nichts.

GASTWIRTFort, Tagediebe, von der Bank!Ihr glaubt, ich hab mein Geld gestohlen?Soll Weib und Kind mir betteln gehn?

ADAM (steht auf)Du wagst mit mir so -

LUZIFER      Laß den Kerl!

ADAMSo komm, ich will nicht länger sehn,Wie sich der Mensch zum Tier erniedrigt.

LUZIFERAch, hier ist, was ich lange suche.Hier gibt die Fröhlichkeit sich zwanglos,Dies Poltern und dies wilde Lachen,Dies feuertrunkne Bacchanal,Das rot die Wangen überziehtWie Illusion das nackte Elend,Ist das nicht schön?

ADAM      Für mich abscheulich.Unterdes sind sie zu den Tanzenden getreten. Zwei Bettler kommen zankend.

1. BETTLERDer Platz ist mein, hier die Lizenz.

2. BETTLERErbarm dich, sonst muß ich verhungern.Seit Wochen bin ich arbeitslos.

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1. BETTLERSo bist du gar kein echter Bettler!Du Pfuscher, fort, ich ruf den Schutzmann.Der zweite Bettler schleicht sich davon, der erste nimmt seinen Platz ein.Bei Christi Wunden, eine GabeDem armen Siechen, liebe Herren!Ein Soldat nimmt einem Handwerksburschen die Tänzerin fort.

SOLDATFort, Rüpel! Bildest du dir ein,Jemand zu sein?

1. HANDWERKSBURSCHE      Ich zeig’s dir gleich,Wer ich wohl bin.

2. HANDWERKSBURSCHE      Laß ihn: weich aus,Sein ist die Macht und Herrlichkeit.

1. HANDWERKSBURSCHEEr saugt uns wie ein Egel aus,Und obendrein ist er noch frech.

EINE DIRNE (singt)Einst, als es noch Drachen gab,Jagte man die goldnen ÄpfelIhnen ab.Drachen gibt es keine,Äpfel doch noch feine,Wer sie angafft und nicht pflückt,Ist verrückt.Sie schmiegt sich an einen Jüngling.

LUZIFER (sieht den Tanzenden interessiert zu)Die Offenbusigkeit gefällt mir.Der Reiche zeige seine Schätze.Der Geldschrank, den der Geizhals hütet,Kann Sand so gut wie Taler bergen.Des Bengels Eifersucht ist rührend!

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Er hütet sie vor jedem Blick,Denn sein ist sie im Augenblick;Was später wird - ihn läßt es kalt.In andern Armen liegt sie bald.

ADAM (zu einem Musikanten)Weshalb verhunzt du, Mensch, die Kunst?Gefällt dir selber, was du spielst?

MUSIKANTAch nein! Mit grenzenloser QualSpiel ich es Tag für Tag und seh,Wie sie sich jauchzend dran erfreun.Im Schlaf noch plagt’s mich, doch was tun?Sonst kann ich nichts, und leben muß ich.

LUZIFER (noch immer in den Anblick vertieft)Wer hätt soviel PhilosophieGeahnt bei solcher grünen Jugend?Das Mädchen weiß, nicht dieser istDer letzte Buhle ihres Lebens;Noch küßt sie diesen, doch ihr AugeSucht schon den Nächsten. - Teure Kinder,Wie freu ich mich jetzt euretwegen,Daß ihr so tüchtig wirkt für mich;Dafür sei Not und Schuld mein Segen.

2. HANDWERKSBURSCHE (singt)Arbeitswoche, schwer und lang,Ist vorbei. Wer bei Gesang,Wein und Küssen fröhlich ist,Lacht ob aller Teufelslist!Man hört die Schlußakkorde einer Kirchenmusik. Eva als Bürgermädchen, Gebetbuch und Blumenstrauß in der Hand, kommt mit ihrer Mutter aus derKirche.

EIN HÄNDLERHierher, verehrtes schönes Fräulein,Bei mir ist alles gut und billig.

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2. HÄNDLERBetrug! Er mißt mit falschem MaßDen alten Kram. Zu mir, mein Fräulein!

ADAMAch, Luzifer! Du fesselst michAn diese Stätte, und mein HeilSchwebt dort fast unbemerkt vorüber.

LUZIFERSo was passiert im Leben oft.

ADAMKommt aus der Kirche, rein und schön.

LUZIFERDort wollt sie sehn und sehn sich lassen.

ADAMVerschone sie, herzloser Spötter,Andachtverklärt ist noch ihr Antlitz.

LUZIFERBekehrst du dich, wirst Pietist gar?

ADAMEin schaler Witz! Wenn mein GemütVereist, so macht es mich nur elend;Ein Mädchen soll mir noch den GlaubenEntschwundner Zeiten als Musik,Den unberührten BlütenstaubAls Poesie bewahren.

LUZIFER      So?Dann zeig mir dieses Stückchen Himmel.Selbst für den Teufel wär’s zu schwer,Was dir gefällt, stets aufzustöbern.Genug, er schanzt es dir dann zu.

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ADAMWie könnt es eine andre sein?

LUZIFERSo spricht der Specht auch, der den WurmErhascht, sich eifersüchtig umsiehtUnd glaubt, er fand den besten Bissen;Die Taube schüttelt sich vor Abscheu.So auch der Mensch. Er findet oftSein Heil gerad an jener Stelle,Wo sein Gefährte fand die Hölle.

ADAMO, diese jungfräuliche Würde!Ich wage kaum, mich ihr zu nahen.

LUZIFERNur Mut, spiel nicht bei Fraun den Neuling,Sie wird schon auch zu kaufen sein.

ADAMSchweig!

LUZIFER      Höchstens teurer als die andern.Ein Jüngling tritt unterdes bescheiden an Eva heran and überreicht ihr ein Lebkuchenherz.

JÜNGLINGEmpfangen Sie dies Herz, mein Fräulein,Wie ich es geb: von Herzen gern.

EVAWie gut Sie sind, an mich zu denken.

MUTTERBesuchen Sie uns einmal, Arthur.Sie plaudern leise. Adam sieht erregt zu, bis der Jüngling fortgeht.

ADAMSollt diesem Grünling blühen das,

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Wonach mein Mannesherz verschmachtet,Wie lächelt sie ihn an vertraulich!Sie winkt ihm nach - o welche Pein!Ich sprech sie an!Er nähert sich Eva.

MUTTER      Ja, Arthurs ElternSind reich, doch wissen müßte man,Ob ihnen euer Bund genehm wär.Drum halte auch den andern warm,Der heute dir die Blumen sandte.

ADAMVerehrte Damen, darf ich IhnenBehilflich sein durch dies Gedränge?

EVAWie unverschämt!

MUTTER      Zudringlicher!Sie glauben, dieses Mädchen wäreSo eine, die man nur so anspricht?

ADAMDas Ideal der WeiblichkeitHab ich, bei Gott, mir so erträumt!

MUTTERSie können träumen, was Sie wollen,Doch dieses Mädchens Reize blühenFür Ihresgleichen keinesfalls.Adam steht verlegen da, ein Zigeunerweib tritt zu Eva.

ZIGEUNERINO tausendschöne junge Dame,Die Schönste wohl im ganzen Land,Darf ich Ihr Zukunftsglück erkundenAus Ihrer kleinen weißen Hand.

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Sie sieht in Evas Hand.Der Bräutigam naht, ein schöner Held.Bringt Freude, Kinder, sehr viel Geld.Sie bekommt Geld.

LUZIFER (deutet auf Adam)Auch dem künd, Schwester, sein Geschick.

ZIGEUNERINIch seh nicht klar: ob Not, ob Strick.

ADAM (zu Eva)Ach, weisen Sie mich nicht zurück,Ich fühl Ihr Herz für mich erschaffen.

EVAAch, Mutter, hilf!

MUTTER      Sie schern sich, oderIch ruf die Wache.

EVA      Laß ihn laufen,Nichts Böses hat er ja getan.Sie gehen vorüber.

ADAMIst alle Poesie verschwundenAus dieser Welt der Nüchternheit?

LUZIFERWieso? Was war der Honigkuchen,Der Blumenstrauß, der Tanz, die Laube?Sieh’s ein und sei nicht zimperlich;Zum Schwärmen gibt’s genug für dich.

ADAMWas nützt es, wenn doch überallGewinnsucht lauert und erhabneSelbstlosigkeit sich nirgends findet.

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LUZIFERDoch, auf der Schulbank noch mitunter,Solang das Leben nicht hineinpfuscht.Da kommen grad die Kameraden.Einige Schüler kommen.

1. SCHÜLERKommt, Jungen, laßt zurück den Schulstaub.Wir stellen heut was Tolles an.

2. SCHÜLERHinaus aufs Feld, ich haß die Stadt,Die Ordnung dieser Krämerwelt.

3. SCHÜLERLaßt uns mit jemand Händel suchen,Das ist recht männlich und macht Spaß.

1. SCHÜLERWir nehmen den Soldaten wegDie Mädchen, das gibt Schlägerei,Dann ziehen wir hinaus ins FreieMit ihnen, Geld für Bier ist da,Auch für Musik, und bis zum AbendVergnügen wir uns wie die Fürsten.

4. SCHÜLERUnd ärgern glorreich die Philister!

1. SCHÜLERWir wollen eng zusammenhaltenUnd fröhlich sein, so gut es geht.Es kommt die Zeit, wenn höhere Pflichten,Der Heimat Sorgen uns beschweren.

ADAMIch find die Jungen wirklich nett,Sie lassen beßre Zeiten ahnen.

LUZIFERWart ab, was aus den Keimen wird,

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Wenn erst der Schulstaub abgeschüttelt.Auch diese Fabrikanten warenDereinst, wie jetzt die Jungen sind.Zwei Fabrikanten kommen im Gespräch.

1. FABRIKANTDie Konkurrenz ist unerträglich.Wohlfeile Ware wünscht jetzt jeder.Ich muß die Qualität verschlechtern.

2. FABRIKANTDie Arbeitslöhne muß man drosseln.

1. FABRIKANTDas geht nicht, denn die Hunde murrenSchon jetzt, daß sie nicht leben können,Und etwas ist ja an der Sache.Wer heißt sie doch, ein Weib zu nehmen,Sechs Kinder in die Welt zu setzen?

2. FABRIKANTIch denk, sie stärker einzuspannen,Die halben Nächte schuften lassen.Zur Ruh genügt die andre Hälfte,Zumal die Träume unerwünscht sind.Sie gehen vorüber.

ADAMAch, laß mich solche Leut nicht sehen!Doch sag, wo ist das Mädchen hin?Jetzt, Luzifer, zeig deine Macht,Verschaff sie mir.

LUZIFER      Für solch ein NichtsIst Luzifer sich doch zu schade.

ADAMWas dir ein Nichts, ist mir die Welt.

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LUZIFERGewinn sie dir! Bezähme nur dieGefühle! Scheu die Lüge nicht,Antworte mir geschickt, und sie wird dein.Laut, damit es die hinter ihnen horchende Zigeunerin höre.Ihr seht, Mylord, es ist zu peinlich,Verkleidet unters Volk zu gehen.Man wird auf Schritt und Tritt beleidigt.Ja, wenn die ahnten, Eure SchiffeAus Indien seien heut noch fällig,Sie würden anders uns begegnen.

ADAMGewiß!

ZIGEUNERIN (beiseite)      Die Kunde ist mir Geld wert!(Zu Adam)Ein Wörtchen. Vorhin straft ich Euch, Herr,Mit meinem Spruch für die Verkleidung.Für mich gibt’s nämlich kein Geheimnis.Ich steh mit Satan längst im Bunde.

LUZIFER (beiseite)Das fehlte noch, du alte Vettel!

ZIGEUNERINHeut fahren Eure Schiffe ein.Ich weiß noch mehr: Ein schönes MädchenIst voller Glut für Euch entflammt.

ADAMWie wird sie mein?

ZIGEUNERIN      Sie ist es fast.

ADAMSie wies mich ab.

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ZIGEUNERIN      Gerad darum.Sie kommt in kurzer Zeit hierher,Mein Wort sei Euch dafür Gewähr.(Ab)

ADAMDie Hexe, Luzifer, beschämt dich.

LUZIFERJa, ihr Verdienst steht außer Zweifel,Sehr gut vertritt sie jetzt den Teufel.Ein Scharlatan erscheint auf seinem Karren von der Menge umringt. Die Trompete blasend bleibt er in der Mitte der Szene stehen.

SCHARLATANMacht Platz! Respekt und keinen Laut!Mein Kopf ist, wie ihr seht, ergraut,Bis der Natur mit Fleiß und WissenIch manch geheimen Schatz entrissen.

ADAMWer ist der wunderliche Narr?

LUZIFERDie Wissenschaft, die schwindelt, um zu leben,Wie einst, als du Gelehrter warst.Nur muß der Lärm jetzt größer sein.

ADAMIn solchem Maße trieb ich’s nie!O Schmach!

LUZIFER      Es ist nicht sein Verschulden.Er fürchtet, daß auf seinem GrabeEinst diese Worte könnten stehn:      Ex gratia speciali      Mortuus in hospitali.Wenn endlich, der sich Tag und NachtGeplagt hat, seine Rechnung macht.

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SCHARLATANIch mühte mich für Mensch und Tier,Und herrlich ist, was ich erfand:Hier ist das Lebenselixier,Bringt Jugend wieder, die entschwand.Dies hatte Rhamses in Gebrauch,Seht Tankreds Liebestrank hier auch,Sowie Helenas Schönheitsmittel,Aus Keplers Sternbuch ein Kapitel.

ADAMHörst du? Wir hoffen auf die Zukunft,Er kramt das längst Vergangene aus.

LUZIFERDie Gegenwart hat keinen Preis,Wie Größe nicht im Negligé,Wie meine Frau nach langer Eh,An der ich jeden Hautfleck weiß.

SCHARLATANDen Kauf hat keiner noch bereut.Heut habt ihr noch Gelegenheit.

AUS DER MENGEGib her, und gib noch eins darauf!Ich kann’s gebrauchen, guter Kauf!

LUZIFERDa schau, der Glaube - längst begrabner Plunder,Und jeder rauft sich doch ums Wunder.Eva kommt mit ihrer Mutter zurück, die Zigeunerin folgt ihnen flüsternd.

EVALaß das Geschwätz! Wir kennen dich!

ZIGEUNERINIch soll verdammt sein, wenn ich lüge!Der Herr ist so verliebt, daß erSie heut noch zur Mätresse nimmt.

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Sie werden ein Palais bewohnen,Vierspännig ins Theater fahren.

MUTTERWohl überlegt, wär besser das,Als in der Ehe hinzuwelkenIn eines schmierigen Schusters Werkstatt.

ZIGEUNERINDort steht er. Sehn Sie, wie er sucht!

EVANicht schön, daß er mich nicht bemerkt.Die Hand ist fein, die Haltung edel.

MUTTERAuch sein Begleiter ist nicht übel:Trotz Hakennas und krummer Beine:Ein ältrer Herr von großem Anstand.Ich geh, mein Kind. Am besten macht sich’s,Ich laß ein wenig euch allein.

ZIGEUNERIN (zu Adam)Dort ist die Schöne. Wie sie schmachtet!

ADAMIch flieg zu ihr. O welche Wonne!

ZIGEUNERINGedenkt auch der Vermittlerin.

LUZIFER (gibt ihr Geld)Das Geld ist sein, die Hand ist mein.

ZIGEUNERIN (aufkreischend)O weh, wie hart!(Ab)

LUZIFER      Du spürtest Wonne,Wärst du die Hexe, die du vortäuschst.

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EVA (zu Adam)Wie wär’s mit einem Marktgeschenk;Zum Beispiel: diesem Schönheitsmittel…

ADAMDer Zauber deiner WeiblichkeitIst selbst ein Mittel ohnegleichen.Unterdes zieht der Scharlatan ab.

EVASie sind zu gütig.

ADAM      Du beschämst mich!Ich häng dir Perlen um den Hals,Brillanten, nicht um ihn zu schmücken,Nur daß am schönsten Ort sie glitzern.

EVADort drüben sah ich Juweliere,Doch sicher nichts für arme Mädchen.

ADAMWir sehn’s uns an.

LUZIFER      Ganz überflüssig.Ich trage schönen Schmuck bei mir.Er überreicht Eva Geschmeide, das sie mit großer Freude betrachtet und anlegt.

EVAWie schön, wie wird man mich beneiden!

ADAMDoch dieses Herz will ich nicht sehn.

EVAIch werf es fort, wenn Sie’s nicht mögen.

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LUZIFERGanz recht. Ich trete drauf.Er tritt auf das Herz.

EVA      Was war das?Ein Schrei? Vielleicht nur Sinnestäuschung?Unterdes wird auf einem Karren ein Verurteilter über die Szene gefahren, Volk strömt ihm nach.

AUS DER MENGEKommt schnell! - Ich sage, daß er feig ist! -Wie trotzig immer noch! - Ihm nach!

ADAMWas soll der Lärm, was das Gedränge?

EVAEs wird gehenkt. Wie gut, daß wirZur Stelle sind. Wir wollen mit.Der Anblick ist ja so erregend,Und ich kann gleich im Schmuck mich zeigen.

ADAMWas ist des Armen Schuld?

EVA      Ich weiß nicht.

LUZIFERIch kann es, wenn ihr wollt, erzählen.Er war bei Lovel angestellt.Vom giftigen Bleidampf ward er krankUnd kam für Wochen ins Spital.Sein Weib geriet in Not. Doch jungUnd gütevoll war Lovels Sohn;Sie fanden sich, vergaßen alles.

1. ARBEITERKopf hoch, Freund, stirb als Märtyrer!Dein Name bleibt uns ewig teuer.

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LUZIFERDer Mann genas, fand nicht sein Weib;Sein Platz besetzt; er bat umsonstUm Arbeit, schließlich drohte er,Der junge Lovel schlug ihn nieder,Der Kerl stach zu - hier führt man ihn jetzt.Der alte Lovel ist verrückt geworden.Bei den letzten Worten kommt der alte Lovel in der Melancholie des Wahnsinns.

LOVELDu lügst. Verrückt, ich? Hör ich nicht,Was meines Sohnes Wunde flüstert?Nimm all mein Geld, nur mach, daß ich’sNicht höre. Wär ich doch verrückt!

3. ARBEITERStirb ruhig, Freund, du wirst gerächt!

1. ARBEITERDu bist ein Held! Sie sind die Schufte!Der Verurteilte wird weggebracht.

ADAMO, welch ein aufwühlender Anblick!Wer ist der größre Sünder, wißt ihr’s?Ist die Gesellschaft schuld an allem?Verbrechen wuchert, wo sie faul ist.

LOVELJa, die Gesellschaft! Nimm mein Geld,Nur laß verstummen diese Wunde.(Ab)

EVAGeschwind, wir kriegen keinen Platz.

ADAMO Schicksal, mach mich nicht zum Richter!Auf weichen Kissen schreibt man leichtGesetze, fällt ein Urteil sorglos.

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Doch wehe dem, der weiß, was vorgehtIm Innersten der Menschenherzen.

LUZIFERSo käm ein Rechtsstreit nie zu Ende.Kein Mensch tut Schlechtes um des Schlechten willen.Der Teufel selbst führt einen Rechtsgrund an,Und für den stärksten hält den seinen jeder.Der Rechtsgelehrte muß den Knoten,Den tausend Menschenfreunde nichtEntwirren können, glatt durchschneiden.Unterdes sind sie an den Tower gelangt, wo in einer Nische ein Heiligenbild steht.

EVANur einen Augenblick, mein Freund,Ich will den Strauß der Jungfrau weihen.

LUZIFER (beiseite)Verhindre das, sonst geht’s uns übel.

ADAMKann ich’s dem frommen Kind verbieten?

EVAIch bin gewohnt von Kindheit an,Dies Bild zu schmücken im Vorbeigehn.Gleich ist’s geschehn, dann eilen wirDen andern nach.Sie heftet den Blumenstrauß an das Heiligenbild, der sofort verwelkt. An ihrem Hals und ihren Armen verwandeln sich die Schmuckstücke in Schlangen und rollen hinab.      O Gott, was ist das?

LUZIFERIch warnte dich vergebens!

EVA      Hilfe!

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ADAMNur ruhig, Kind, das Volk sieht her.Den Schmuck ersetz ich tausendfach.

EVAGeh weg! Zu Hilfe! Eine HexeUnd diese Gaukler haben mich gemeinEntehrt, mich braves Bürgermädchen!Das Volk beginnt sich zusammenzurotten, die Zigeunerin kommt mit Polizisten.

ZIGEUNERINDer Kerl dort gab das falsche Geld,Das in der Hand Quecksilber wird.

LUZIFERDie Hand war falsch und nicht das Geld.Komm, Adam, hier ist’s nicht geheuer.Sie verschwinden im Tower und erscheinen, während unten der Tumult wächst, oben auf der Bastion.

ADAMSo hab ich mich getäuscht aufs neue.Den alten Spuk zu bannen, freie BahnDen Kräften zu verschaffen - ist zuwenig.Die stärkste Schraube der Maschine,Die Pietät, verwarf ich, ohneDurch einen beßren Halt sie zu ersetzen.Ist Wettbewerb, wenn dem WehrlosenDer andere mit dem Schwert sich stellt?Ist Unabhängigkeit, wo TausendDem einen dienen oder hungern müssen?So balgen Hunde um den Knochen!Ich wünsche mir statt dieser die Gesellschaft,Die schützt, nicht straft, die spornt, nicht schreckt,In der vereint die Kräfte wirkenNach einem Plan der WissenschaftUnd deren Gang Vernunft bewacht.

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Sie kommt, sie kommt, ich fühl, ich weiß es.Auf, Luzifer, in jene Welt.

LUZIFERWeil du, beschränkter Mensch, dort untenNur die verworrnen Gruppen siehst,Drum glaubst du, in des Lebens WerkstattSei kein System vereinten Wirkens?Sieh doch einmal mit GeisteraugenDas Werk, um das sie alle sich bemühn,Von dem nicht sie, nur wir den Nutzen ziehn.Es ist finster geworden. Der ganze Markt gestaltet sich zu einer Gruppe, die in der Mitte der Bühne an einem klaffenden Grabe gräbt und um dieses herumtanzt, bis nach und nach alle hineinspringen, teils stumm, teils nachdem sie ihren Spruch gesprochen haben.

CHORNur emsig klirre, Spaten;Heut muß das Werk geraten,Denn morgen wär es schon zu spät.Doch tausend Jahr verfliegen,Und unvollendet liegenWird noch das Werk, das nie vergeht.O viele tausend Jahre,Die Wiege und die BahreSind eins wie aller Tage Lauf.Eins Enden und Beginnen,Verlieren und Gewinnen,Wer heute fällt, steht morgen auf.Die Totenglocke läutet.Die Abendglocke läutet,Die uns die Ruh bedeutet,Denn unsre Arbeit ist vorbei.Und wem noch blüht ein Morgen,Der möge sich drum sorgen,Daß er das Werk beginne neu.

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DER PUPPENSPIELERZu Ende ist das Puppenspiel,Das nur den andren wohlgefiel.

DER GASTWIRTDas Lied ist aus, die Becher leer,Gut Nacht, ihr Herrn, es gibt nichts mehr.

KLEINES MÄDCHENDie Veilchen, die verkauft ich habe,Sie wachsen neu auf meinem Grabe.

ZIGEUNERINDie Zukunft wollten alle schaun:Jetzt wenden sie sich ab voll Graun.

LOVELIch hatte Gold, kein Glück dazu:Das Grab schenkt Arm wie Reich die Ruh.

ARBEITERDie Arbeitswoche ist zu Ende -Wenn ich nur endlich Ruhe fände.

SCHÜLERDer Traum war schön, wach sein ein Schreck,Komm wieder, Traum, geh nie mehr weg.

SOLDATIch, Tapfrer, wollte hoch hinaus,Nun find ich hier im Loch mein Haus.

DIRNEDie Schminke ab, der Rausch verschwunden.Hier ist mir kalt. Ist’s besser unten?

DER VERURTEILTEFallt ab hier oben, Strick und Schelle,Ein beßres Recht verheißt die Schwelle.

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SCHARLATANWir machten euch weiß Gott was vor,Nun staunen wir vor diesem Tor.

EVAWas klaffst du, Tiefe, mir zu Füßen?Glaub nicht, ich fürchte deine Nacht!Der Staub fällt ab, weil erdgeboren,Ich steig hinan in Glorienpracht!Denn Liebe, Dichtung, Jugend bahnenDen Weg mir in die ewige Welt.Mein Lächeln nur schenkt Glück auf Erden,Der Strahl, der auf ein Antlitz fällt.Sie läßt Schleier und Mantel in das Grab fallen und entschwebt verklärt in die Höhe.

LUZIFERKennst du sie, Adam?

ADAM      Eva, Eva!

ZWÖLFTES BILD

In der Phalanstère. Der Hof einer großartigen Phalanstère in U-Form. Das Erdgeschoß der beiden Flügel bildet eine offene Säulenhalle. In der Halle rechts, an den in Bewegung befindlichen Dampfmaschinen mit Triebrädern sind Arbeiter beschäftigt. In der Halle links arbeitet ein Gelehrter in einem Museum, das die verschiedensten naturgeschichtlichen Gegenstände, mechanische Werkzeuge, astronomische und chemische Geräte enthält. Alle, die zu der Phalanstère gehören, sind gleich gekleidet. Adam und Luzifer tauchen in der Mitte des Hofes aus der Versenkung auf. Heller Tag

ADAMWas ist das für ein Land und Volk?

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LUZIFERHier gibt es andere Begriffe.Das Vaterland! - Wie kleinlich klingt das.Vorurteil schuf einst die Idee,Engherzigkeit und EifersuchtBeschützten sie. Jetzt ist bereitsDie ganze Welt: ein Vaterland,Der Mensch Genosse eines Ziels.Die hochgeehrte WissenschaftBewacht den Lauf der schönen Ordnung.

ADAMSo scheint mein Ideal erfüllt.So ist es gut, so wollt ich’s auch.Eins fehlt mir doch: das Vaterland.Auch in der neuen Ordnung hätt esBestanden. Menschensinn ersehntBeschränkung, scheut Unendlichkeit,Verliert an Kraft, was er an Raum gewinnt,Hängt an Vergangenheit und Zukunft;Ich fürcht, die große Welt begeistertIhn nicht wie einst der Eltern Grab.Wer für die Seinen Blut vergießt,Hat für den Freund nur Tränen übrig.

LUZIFERVerwirfst du nicht zu schnell dein Ideal,Noch eh es sich verkörpern konnte?

ADAMDurchaus nicht. Doch ich möchte wissen:Welch ein Gedanke einigt nunDie weite Welt und leitet endlichZu edlerm Ziele die Begeistrung,Des Menschenherzens ewige Flamme,Die, oft geschürt durch Nichtigkeiten,In eitlen Kämpfen ward verbraucht.Nun sag mir noch: Wie heißt der Ort?Dann will ich mich am Glücke weiden,

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Das als verdienten Lohn der MenschNach vieler harter Müh genießt.

LUZIFERDies ist der vielen Phalanstèren eine,In der die neuen Menschen wirken.

ADAMIch will sie sehen.

LUZIFER      Wart, wir müssenAbwerfen unsre alte Haut erst.Als Luzifer und Adam würdeDie kluge Welt an uns nicht glaubenUnd uns wohl in Retorten sperren.

ADAMWas soll nun wieder dies Gerede?

LUZIFERMißgönn uns Geistern nicht den Spaß.

ADAMMach, was du willst, doch mach es schnell.Luzifer verwandelt sich selbst und Adam in Phalanstèregestalten.

LUZIFERNimm diesen Rock. Fort mit den Locken!So geht es!

ADAM      Sprich zu dem Gelehrten.

LUZIFERHeil dir, Gelehrter!

GELEHRTER      Still! Beim großen WerkIst keine Zeit zu müßigem Schwatzen.

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LUZIFERDas tut mir leid. Wir sind StudentenAus Phalanstère Nummer tausend.Dein großer Ruhm führt uns hierher.

GELEHRTERGar lobenswert ist solcher Eifer.Ich kann mein Werk ja ruhen lassen.Wenn die Retorte nur nicht auskühlt,Fügt meinem Willen sich der Stoff.

LUZIFER (beiseite)So dacht ich’s mir: du kannst gelehrtNatur und Mensch wohl destillieren,Als Bodensatz bleibt eins zurück -Die Eitelkeit.

GELEHRTER      Ich steh zu Diensten.Doch welchem Fach gehört ihr an?

ADAMKein Fach engt unsern Wissensdrang.Wir möchten übersehn das Ganze.

GELEHRTERWie falsch! Das Kleine birgt das Große.Zu weit das Feld, zu kurz das Leben.

ADAMIch weiß. Es muß auch Menschen geben,Die Mörtel schleppen, Steine meißeln.Denn ohne sie ersteht kein Bau.Doch diese irren nur im DunkelnUnd ahnen nicht, woran sie werken.Den Überblick hat nur der Architekt.Er kann wohl keinen Stein behauen,Doch er erschafft das Werk wie Gott.Und ist auch groß im Wissen.

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LUZIFERDrum kamen wir zu dir, du Großer.

GELEHRTERSehr wohl getan, ich will es schätzen.Des Wissens reiche Äste sindVerschiedne Glieder eines OrganismusUnd nur zusammen schön.

LUZIFER      Wie Frauen.

GELEHRTERTrotz allem ist nur die Chemie…

LUZIFERDie Mitte, die das Leben birgt.

GELEHRTERErraten!

LUZIFER      MathematikerBehaupten dies von ihrem Fach.

GELEHRTERAus Eitelkeit hält jeder sichFür seines Horizontes Mitte.

LUZIFERDu hast mit Recht zum LieblingsfachChemie erwählt.

GELEHRTER      Ja, zweifellos.Doch seht mir das Museum an,Das nirgends seinesgleichen findet.Hier stehn in echten ExemplarenDer Urwelt ausgestorbne Tiere,Gut ausgestopft. Sie lebten zahlreichMit unsren Ahnen, den Barbaren,

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Es gibt von ihnen manche Mär.Dies war zum Beispiel ihre Lok.

ADAMDa ist ein Pferd, doch ganz entartet.Wie anders war einst Al-Borak.

GELEHRTERDen da, so sagt man, hielt der MenschAls Freund und zwang ihn nicht zur Arbeit.Er war so treu und klug, er konnteSogar des Menschen Sinn erfassen.Noch mehr: Er nahm auch seine SchuldAuf sich: den Eigentumsbegriff,Und starb als dessen Hüter willig.Ich sag, wie es geschrieben steht,Doch glaubt nicht alles unbedingt.Viel Narrheit gab’s und Phantasie,Wovon auch dieses Märchen zeugt.

ADAMDas ist der Hund. Und wahr ist alles.

LUZIFER (leise)Adam, du wirst dich noch verraten!

GELEHRTERDer war des Armen Sklave einst.

ADAMDer Ochse, Sklave wie sein Herr des Reichen.

GELEHRTERDer Wüstenkönig.

ADAM      Ach, der Löwe!Der Tiger, hier das flinke Reh.Ja, was für Tiere gibt es jetzt?

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GELEHRTERDu fragst? Dieselben wie bei euch.Es lebt, was nützlich und bisherNoch unersetzt von unserm Wissen ist:Das Schaf, das Schwein, doch keineswegsSo stümperhaft, wie die NaturSie schuf: das eine - nichts als Fett,Das andre pures Fleisch und Wolle.Sie dienen uns wie die Retorte.Doch sehe ich, du kennst dies alles.So schaun wir unsre Minerale.Seht dieses ungeheure Kohlenstück:Aus solchem Stoff gab’s ganze Berge.Die Menschen fanden fertig vor,Was jetzt das Wissen aus der LuftMit Mühe siebt. Dies MineralHeiß Eisen, und solang es reichte,Mußt man nach Alumin nicht forschen.Dies Stück ist Gold, einst sehr berühmt,Doch völlig unnütz. Als der Mensch nochIn seinem Wahn an höhere Wesen,An höhere als er selbst und alsDas Schicksal, glaubte, wähnte er,Das Gold sei Gott, er brachte ihmZum Opfer Glück und Recht und alles,Was heilig ist, um nur ein KlümpchenVom Wunderstoff sich anzueignen,Wofür er alles tauschen konnte,Selbst Brot, was kaum zu glauben ist.

ADAMZeig anderes, ich kenn dies alles.

GELEHRTERDein Wissen, Fremdling, ist erstaunlich.So laßt uns sehn die alten Pflanzen.Die letzte Rose, die auf ErdenErblühte. Unnütz war die Blume.Mit hunderttausend Schwestern raubte

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Den Ähren sie den fetten Boden:Ein Spielzeug für erwachsne Kinder.Wie sonderbar: auf solches SpielzeugWar man erpicht. Sogar der GeistTrieb blumenreiche HirngespinsteDer Dichtung und Religion.Für ihren trügerischen DunstVerpraßte er die beste Kraft,Sein Lebensziel blieb unerreicht.Hier hüten wir zwei solche WerkeAls Raritäten. Ein GedichtDas erste: der es schrieb, als sündigNach Geltung jedermann noch strebte,Hieß Homeros. Er malte eine TraumweltUnd nannt’ sie Hades. Doch wir konntenLängst jede Zeile widerlegen.Das zweite ist AgricolaVon Tacitus, ein lächerlichesUnd dennoch tief bedauernswertesGebilde aus der Barbarei.

ADAMSo blieben als Vermächtnis dochAus großen Tagen diese Blätter!Und können sie die Heutigen nichtEntflammen, nicht zur Tat sie reizen,Die eure Welt der Mache stürzt?

GELEHRTERRichtig bemerkt, wir wissen das.Das Gift in ihnen ist gefährlich,Drum darf sie auch kein andrer lesenAls wer die Sechzig überschrittenUnd sich der Wissenschaft geweiht hat.

ADAMDoch pflanzen nicht die AmmenmärchenEin süßes Ahnen schonIns zarte Herz?

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GELEHRTER      Gewiß, und darumErzählt die Amme unsern KindernVon Gleichung und Geometrie.

ADAM (beiseite)Ihr Mörder, habt ihr keine Furcht,Die schönste Zeit dem Kind zu rauben?

GELEHRTERKommt weiter. Hier sind InstrumenteMit sonderbarem Mechanismus.Kanone hieß die eine. RätselhaftDie Inschrift: Ultima ratio regum.Wer kennt die einstige Verwendung?Dies Schwert hat nur dem Mord gedient,Und kein Verbrechen war’s, damit zu töten.Dies Bild mit freier Hand zu malenBedurfte wohl des halben Lebens.Stellt nur ein dummes Märchen dar.Die Arbeit macht uns heut die Sonne,Und während jenes falsch verschönte,Dient dieses unsren Zwecken treu.

ADAM (beiseite)Doch Kunst und Geist, die sind dahin…

GELEHRTERWie bunt verziert sind diese Dinge,Wie kindisch. Blumen auf dem Becher,Ein Stuhl mit Arabesken-Lehne,Verschwendung mit der Menschenarbeit.Erfrischt aus jenem Becher mehrDas Wasser? Sitzt man angenehmerAuf diesem Stuhl? Maschinen schaffenDies einfach jetzt und zweckentsprechend,Und daß, wer heute Schrauben macht,Dabei verharrt bis an sein Lebensende,Verbürgt uns die Vollkommenheit.

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ADAMDrum fehlt es jedem Werk an Leben,An Eignem, das den Meister übertrifft.Wo finden Kraft und Geist den Raum,Zu zeigen ihren Götterfunken?Wer kämpfen will und um sich blicktIn dieser wohldressierten Welt,Der findet nicht den Reiz im WagnisTrifft nicht einmal ein wildes Tier…So hat mich auch die WissenschaftEnttäuscht: ich hoffte Glück von ihr,Nicht eine öde Kinderschule.

GELEHRTERIst Brüderlichkeit nicht gesichert?Wo leidet Mangel hier ein Mensch?Ideen dieser Art verdienten Strafe.

ADAMO sag mir, welches IdealVereint ein solches Volk,Und haucht ihm hohe Ziele ein?

GELEHRTERDas Ideal heißt: Existenz.Die Erde, als der Mensch erschien,War eine volle Vorratskammer:Er brauchte nur danach zu langenUnd fand bereit, was er bedurfte.So praßte er wie eine MadeIm Käse unbedacht. Im WohlstandFand Muße er für Hypothesen,Gedankenspiel und Poesie.Doch wir, beim letzten Bissen, müssen,Da wir erkannten, daß der KäseAusgeht und wir verhungern, geizen.Die Sonne nach viertausend JahrenKühlt aus, es sterben alle Pflanzen.Viertausend Jahre sind noch unser,

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Um auch die Sonne zu ersetzen:Wohl Zeit genug für unser Wissen.Zum Heizen nehmen wir das Wasser,Das, oxydiert, uns Feuer spendet.Des Organismus tiefste RätselSind heut schon der Entdeckung nah.Wie gut, daß wir darüber reden:Ich hätte die Retorte fast vergessen,Ich forsche nämlich selbst in diesem Fach.

LUZIFERAlt ist der Mensch, der hofft, in der RetorteDen Organismus zu erzeugen.Doch wenn das Werk dir auch gelingt,Ein Unhold wird’s, Gedanke ohne Wert,Wie Liebe ohne Gegenstand,Ein Wesen wider die Natur,Dem nichts verwandt und nichts konträr ist,Weil nichts Persönliches es einengt.Woher soll ihm denn dieses werden,Wenn es, der Lust und Leid verschlossen,Im Glas erweckt wird zum Bewußtsein?

GELEHRTERKommt, seht doch, wie es kocht und glänzt:Wie sich die schwanken Formen regenIm warmen, wohlverschloßnen Glas,Affinität und GegenwirkungErgänzen sich, gezwungen wirdDer Stoff, sich meinem Wunsch zu fügen.

LUZIFERIch staun dich an, Gelehrter! AberKannst du bewirken, daß VerwandtesSich nicht mehr anzieh, GegensätzlichesSich nicht mehr stoße?

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GELEHRTER      Unsinn redst du!Des Stoffs Gesetze sind ja ewig!

LUZIFERAch ja! Doch sag: Worauf beruhn sie?

GELEHRTERWorauf? Gesetz ist’s, weil es so istUnd die Erfahrung es bestätigt.

LUZIFERSo bist du Heizer der Natur bloß;Das andre bringt sie selbst zuwege.

GELEHRTERIch setze mit dem Glas ihr SchrankenUnd zerr ans Licht das Rätselhafte.

LUZIFERIch seh bis jetzt kein Lebenszeichen.

GELEHRTEREs bleibt nicht aus. Ich, der so oft schonEnträtselt hab den OrganismusUnd hundertmal seziert das Leben…

ADAMBegriffen hast du nur die Leiche.Die Wissenschaft folgt immer hinkendDer blühenden Erfahrung nach.Und wie des Königs Lohnpoet vermag sieVollbrachte Taten zu besingen,Doch niemals sie vorauszusagen.

GELEHRTERWas spottet ihr, seht ihr denn nicht,Ein Funke noch, und leben wird es?

ADAMWoher doch nimmst du diesen Funken?

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GELEHRTEREs ist nur noch ein Schritt zu tun.

ADAMDoch wer den einen Schritt nicht tut,Hat nichts getan und weiß auch nichts,Ist nur im Hof herumgestapft.Ein Schritt nur führt ins Heiligtum:Wem wird wohl je der Schritt gelingen?Unterdes beginnt der über der Retorte schwebende Rauch sich zu verdichten. Donner.

STIMME DES ERDGEISTS (aus dem Rauch)Keinem! Zu eng ist die RetorteMir und zu weit. Du kennst mich, Adam,Du weißt, was hier noch keiner ahnt.

ADAMHörtest du nicht das Geisterwort?O sieh, du eitler, schwacher Mensch!Wie zwingst du den, der dort entschwebt?

GELEHRTERDu sprichst im Irrsinn, machst mir Sorge.Die Retorte platzt, der Geist verschwindet.Das Glas zerbrach. Ich muß das WerkWohl neu beginnen. Nah dem ZieleWirft mich ein schlechter Strohhalm um,Ein dummer Zufall.

LUZIFER      Schicksal einst genannt.Sich ihm zu beugen, war damalsNicht so blamabel wie zur ZeitDem dummen Zufall.Es läutet.      Was bedeutet das?

GELEHRTERDen Schluß der Arbeit, Anfang des Spaziergangs.

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Fabrik und Feld entlassen ihre Werker.Wer schuldig ist, wird jetzt bestraft.Man teilt die Frauen ein, die Kinder.Kommt hin, ich hab damit zu schaffen.In langer Reihe kommen Männer, in einer anderen Frauen, einige von ihnenmit einem Kind, darunter auch Eva. Im Hofe bilden alle einen Kreis, der Älteste tritt vor sie hin. Adam, Luzifer und Gelehrter stehen im Vordergrund am Museum.

DER ÄLTESTEZahl dreißig.

LUTHER      Hier.

DER ÄLTESTE            Du hast schon wiederDen Kessel maßlos überheizt.Mir scheint, du bist vom Trieb besessen,Zu sprengen unsre Phalanstère.

LUTHERWer könnte widerstehn, wenn sprühendUnd brüllend uns das wilde FeuerEinkreist mit tausend Flammenzungen,Und packen und vernichten will:Dort tapfer stehn und weiter schürenUnd wissen, daß wir es bezwingen!Es ahnt des Feuers Zauber nicht,Wer unterm Kochtopf nur es kennt.

DER ÄLTESTEGewäsch! Heut ißt du nicht zu Mittag.

LUTHER (tritt zurück)Und schür das Feuer morgen wieder.

ADAMMein Gott, ich kenne diesen Mann,Das war ja Luther!

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DER ÄLTESTE      Hundertneun!

CASSIUS (tritt vor)Hier!

DER ÄLTESTE      Dreimal mußt ich dich schon rügen,Weil mutwillig du Streit begannst.

CASSIUS (tritt zurück)Mutwillig, weil ich niemals klage?Wer Muskeln hat und Hilfe dochBei andern sucht, ist feig. WarumHat sich mein Gegner nicht gewehrt?

DER ÄLTESTEKein Widerspruch. Die böse NeigungWird nicht durch deine SchädelformEntschuldigt, sie ist tadellos:Dein Blut jedoch ist ungestüm,Du kommst zur Zähmung in Behandlung.

ADAMAch, Cassius! Erkenne mich,Den Kampfgefährten von Philippi!Kann Theorie, kann schlechte OrdnungSo blind sein, daß solch edler GeistVerkannt bleibt und zum Hemmschuh wird?

DER ÄLTESTEVierhundert!

PLATON (tritt vor)      Hier!

DER ÄLTESTE            Du träumtest wieder,Und das dir anvertraute Vieh

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Verlief sich wieder in die Saat.Um wach zu bleiben, knie auf Erbsen!

PLATON (tritt zurück)Ich träume auch auf Erbsen kniend.

ADAMAch, welche Rolle gab dir, Platon,Der Staat, den du ersonnen hast!

DER ÄLTESTEZahl zweiundsiebzig!

MICHELANGELO (tritt vor)      Hier!

DER ÄLTESTE            Du hastDie Werkstatt vor der Zeit verlassen.

MICHELANGELOStuhlbeine mußt ich immer drechseln,Auch die in miserabler Form.Ich flehte lang, man möge michSie ändern, sie verzieren lassen:Ich durfte nicht. Ich wollt zum WechselMal Lehnen schnitzen - nein, das auch nicht!Dem Wahnsinn nah, entlief ich dannDer Seelenqual und auch der Werkstatt.(Er tritt zurück)

DER ÄLTESTEFür diese Störung geh aufs Zimmer,Und sei des schönen Tags beraubt.

ADAMMichelangelo, welche Hölle:Den Schaffensdrang in dir zu töten!Wieviel Bekannte überall,An Geist und Urkraft welcher Reichtum!

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Der war mein Kampfgefährte, jenerEin Märtyrer. Dem war die WeltZu eng. Jetzt hat zu gleichen ZwergenGeknetet sie der Staat. Ich halt esNicht länger aus, komm Luzifer!

DER ÄLTESTEZwei Kinder sind der MutterpflegeEntwachsen, folglich ist es Zeit,Sie ins Erziehungshaus zu geben.Kommt her!Eva und eine andere Frau treten mit ihren Kindern vor.

ADAM      Welch wunderbare Frau!Lebt auch in dieser tristen WeltDie Poesie?

LUZIFER      Nun, Adam, gehn wir?

ADAMNein! Jetzt erhoff ich hier mein Glück.

DER ÄLTESTEGelehrter! Prüf die Schädelbildungder Kinder.Der Gelehrte untersucht die Kinder.

EVA      Oh, was tun sie mir!

ADAMDie Stimme!

LUZIFER      Bah, ein Dutzendweib für einen,Den einst Semiramis geküßt hat?

ADAMIch kannte damals diese nicht.

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LUZIFERAch so! Das alte Lied Verliebter!Ein jeder glaubt, die LeidenschaftHab er entdeckt und keiner hätteVor ihm wie er geliebt: so geht esSeit manchen tausend Jahren fort.

GELEHRTERDies Kind hier wird zum Arzt erzogen,Zum Hirten jenes.

DER ÄLTESTE      Bringt sie weg.Man will die Kinder wegführen, Eva widersetzt sich, verzweifelt.

EVARühr ihn nicht an! Das Kind ist mein!Wer reißt es von der Mutter Brust?

DER ÄLTESTENun packt es schon! Was säumt ihr noch?

EVAMein Kind! Mit meinem Herzblut habIch dich genährt. Wo ist die Kraft,Die unser heiliges Band zerreißt?Soll ich für ewig dein entsagen,Daß in der Masse du versinkstUnd dich mein Auge unter tausendDer gleichen Fremden nicht erkennt?

ADAMWenn euch noch etwas heilig ist,So lasset dieses Kind der Mutter.

EVADu hilfst mir, Fremdling? Sei gesegnet!

DER ÄLTESTEDu, Fremdling, treibst ein kühnes Spiel.Erneuern wir den Wahn Familie,

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Dann stürzen die ErrungenschaftenDer heiligen Wissenschaft zusammen.

EVAWas mir die kalte Wissenschaft?Hört auf die Stimme der Natur!

DER ÄLTESTEWird’s bald?

ADAM      Laßt ab! Dort ist ein Schwert!Ich lehr euch den Gebrauch.

LUZIFER      Traumbild,Erstarre!Er legt die Hand Adam auf die Schulter, der erstarrt.      Fühl die Macht des SchicksalsIn meiner Hand.

EVA      Mein Kind! Mein Kind!Sie bricht zusammen, man bringt ihr Kind fort.

DER ÄLTESTEDie Frauen hier sind ohne Mann.Wer sie verlangt, der trete vor.

ADAMDie will ich.

DER ÄLTESTE      Sprich dein Wort, Gelehrter.

GELEHRTEREin Schwärmer er, sie nervenkrank:Ein schlechtes Paar, zeugt kranke Kinder.

ADAMIch weiche nicht, wenn sie mich will.

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EVAJa, ich bin dein, großmütiger Mann!

ADAMIch liebe dich aus ganzem Herzen.

EVAUnd ich dich auch, ich fühl’s für ewig!

GELEHRTERDer reinste Wahnsinn. Sonderbar.Ein Spuk von einst in unserm hellenJahrhundert. Woher mag das kommen?

ADAMEin später Strahl vom Garten Eden.

DER ÄLTESTEBedauerlich!

ADAM      Das ist es nicht!Der Wahn sei unser; ungeneidetBleib euch die Nüchternheit. Was großUnd edel, ist aus solchem WahnEntstanden, unbeschwert von Zahlen,Ein Geisterlaut aus edlen Sphären,Er schwebt uns zu als süßer Schall,Zum Zeugnis, daß wir ihm verwandt,Das wir den Erdenstaub verachtenUnd uns den Weg zur Höhe bahnen.Er hält Eva umschlungen.

DER ÄLTESTEWas soll das? Ins Spital mit ihnen!

LUZIFERJetzt aber rasch! Wir reisen, Adam!Sie versinken.

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DREIZEHNTES BILD

Im Weltenraum. Ein Segment der Erde ist in der Ferne noch zu sehen, wird immer kleiner, bis es als Stern unter den anderen verschwindet. Halbdunkel, das nach und nach in vollständige Finsternis übergeht. Adam als alter Mann, mit Luzifer fliegend.

ADAMWo führt uns hin der tolle Flug?

LUZIFERDu sehntest dich nach höheren Kreisen,Nach schlackenfrein, aus denen du -Verstand ich recht? - verwandter GeisterGespräch vernahmst.

ADAM      Ja, das ist wahr.Doch wähnt ich nicht den Weg so öde,So leer. Wie fremd ist dieser Raum.Ein Sakrileg, hier einzudringenZwiespältig ist’s, was ich empfinde.Ich fühl der Erde ganzen Jammer,Sie engt mich ein, ich möchte fortAus ihrem ungeistigen Kreise.Und doch, es schmerzt, mich loszureißen.Ach, blick zurück auf unsre Erde.Zuerst entschwanden uns die Blumen,Sodann der Wald, das schwanke Laub.Die Landschaft mit den trauten PlätzenVerflachte rasch zur Wüstenei.Was reizvoll war, es ist verschwommen.Der Berg ist nur noch eine Scholle,Die blitzgeladne Wolkenwand,Aus der der Landmann angstvoll LauteVernahm - sie ward zu blauem Dunst.Das grenzenlose, wilde Meer,Wo ist es hin? Ein grauer FleckAm Ball, der unter Millionen

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Von seinesgleichen sich verliert.Für uns war er die ganze Welt.Und, Luzifer, auch sie, auch sie…Hab ich sie denn verlassen müssen?

LUZIFERJa, ja. Von unsrem hohen StandpunktEntschwebt zuerst die Schönheit uns,Dann Kraft und Größe, bis zuletztNur kalte Formeln übrigbleiben.

ADAMDie Sterne schwinden hinter uns,Ich seh kein Ziel, fühl keine Hemmung.Was ist das Leben ohne LiebeUnd Kampf? Mich fröstelt, Luzifer!

LUZIFERHat nur so weit dein Mut gereicht?Nun, dann zurück zum Spiel im Staube.

ADAMWer sagt dir das? Nur immerzu!Es schmerzt, bis nicht das letzte Band auchZur Erde hin gerissen ist.Doch halt! Wieso stockt mir der Atem?Mein Sinn ist wirr, die Kraft verläßt mich.Wär mehr als Mythe des Antäus Fall,Der, um zu leben, ErdenstaubBerühren mußt?

STIMME DES ERDGEISTES      Ja, mehr als Mythe.Du kennst mich schon, den Geist der Erde;Was in dir atmet, das bin ich.Hier ist die Schranke; kehrst du um,So lebst du; dringst du weiter, strirbst du,Ein Aufgußtierchen, das im TropfenGedeiht. Die Erde ist dein Tropfen!

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ADAMIch trotze dir, dein Drohn ist unnütz.Hab du den Leib - mein ist die Seele,Unendlich sind Gedanke, Wahrheit,Und älter als der Stoff von dir.

STIMME DES ERDGEISTESVersuch es, Eitler, fallen mußt du furchtbar!Der Duft war vor der Rose da?Dem Körper ging die Form, das Licht der SonneVoran? O, sähst du deine SeeleIm leeren Weltraum schutzlos kreisen,Wie Sinn und Ausdruck sie vergeblichIn einer fremden Welt begehrtUnd nichts mehr fühlt und nichts versteht:Du würdest schaudern. Alles, was in dirSich regt, was du begreifst und fühlst,Sind Ausstrahlungen jener Stoffe,Die du die Erde nennst; und wär es anders,Sie müßten so wie du vergehen.Denn Schön und Häßlich, Heil und HölleHast du aus meinem Geist gezogen,Der Ordnung hält in deiner kleinen Heimat.Denn was hier ewige Wahrheit ist,Mag Unsinn sein in andern WeltenUnd das Absurde - dort natürlich.Die Schwere fehlt, kein Leben regt sich:Was Luft hier ist, mag dort GedankeUnd unser Licht vielleicht dort Ton sein,Aus freiem Wachstum wird Kristall.

ADAMDu schreckst mich nicht, ich streb nach oben.

STIMME DES ERDGEISTESDein letzter Augenblick ist nah,O Adam: kehre um! Auf ErdenKannst groß du sein, doch wenn dem Ring

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Du dich entreißt und Gott dich näherst,Er duldet’s nicht und schlägt dich klein.

ADAMVerdirbt mich nicht auch sonst der Tod?

STIMME DES ERDGEISTESO sprich dies eitle Wort der LügeHier in der Geisterwelt nicht aus!Erschauern müßte die Natur;Das heilige Siegel aufzubrechenBehielt Gott sich vor. Dich befugt dazuAuch nicht der Apfel der Erkenntnis.

ADAMIch brech es auf.Sie fliegen weiter. Adam stößt einen Schrei aus und erstarrt.      Ich bin verloren!

LUZIFER (lachend)Die alte Lüge hat gesiegt!(Indem er Adam von sich stößt)Mag dieser Puppengott als neuerPlanet im Weltraum kreisen, bis vielleichtEinst Leben auf ihm sprießt - für mich.

STIMME DES ERDGEISTESZu früh frohlockst du, Luzifer!Die fremde Welt, kaum erst berührt,Entzieht er meinem Reich so leicht nicht.Die Heimat ruft, mein Sohn, erwache!

ADAM (kommt zur Besinnung)Ich lebe neu. Ich fühl es, weil ich leide.Doch auch das Weh ist voller Süße.So furchtbar ist es nicht zu sein.Bring, Luzifer, mich auf die Erde wieder,Wo ich so viel vergeblich rang!Doch schon das Ringen macht mich glücklich.

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LUZIFERNach so viel Mühen glaubst du noch,Der neue Kampf sei nicht vergeblichUnd führ’ ans Ziel? So unverwüstlichIst nur des Menschen Kinderglaube.

ADAMMich zieht solch eitler Wahn nicht an.Verfehlt ich hundertmal das Ziel,Was tut’s? Was ist denn auch das Ziel?Beenden eine heiße Schlacht.Das Ziel - der Tod, der Kampf - das Leben,Im Kampf selbst liegt des Menschen Ziel.

LUZIFEREin schöner Trost, wenn nur des KampfesIdee erhaben wär. Doch morgenVerspottest du, wofür du heut gerungen,Ein Kinderspiel war’s, was dich begeistert.Hast du bei Chäronea nichtGeblutet für verlorne FreiheitUnd später nicht für KonstantinGekämpft, daß er die Welt beherrsche?Und starbst du nicht als GlaubensheldUnd stelltest mit des Wissens WaffenDich nicht dem Glauben dann entgegen?

ADAMMag sein, doch war auch falsch das Ziel,Es hat mich damals doch begeistert,Und war schon deshalb groß und heilig.Ob es als Kreuz nun oder Wissen,Als Freiheit oder Ruhmsucht wirkte:Es hat die Menschenart gefördert.Darum: Zurück zu neuem Kampf zur Erde!

LUZIFERVergißt du des Gelehrten Wort:

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Viertausend Jahre - dann vereistDie Welt, und jeder Kampf hört auf.

ADAMWenn nicht die Wissenschaft dem trotzt!Jedoch sie trotzt! Ich fühl, ich weiß es.

LUZIFERUnd dann? Gibt’s Größe, Kampf und KraftIn einer Treibhauswelt, die sichVernunft aus Theoremen baut,Wie du soeben selbst gesehn?

ADAMSie rette nur die Erde und vergehWie alles, was erfüllt hat seine Sendung:Dann blühet wieder die Idee,Ihr Hauch verbreitet neues Leben.Zurück, ich brenne drauf, welch neue LehreMich auf der Erde, der geretteten,Begeistern wird.

LUZIFER      Nun dann - zurück!

VIERZEHNTES BILD

In eisiger Gegend. Mit Eis und Schnee bedeckte bergige, baumlose Gegend. Die Sonne steht als rote, strahlenlose Kugel zwischen Nebelstreifen. Zwielicht. Im Vordergrund zwischen einigen verzwergten Wacholder- und Krummholzsträuchern eine Eskimohütte. Adam, als ganz gebrochener Greis, kommt auf einen Stock gestützt mit Luzifer von den Bergen herab.

ADAMWas wandern wir in diesem Schneeland,Wo Tod mit hohlen Augen lauert,Nur hier und da ein Seehund Laut gibt,

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Wenn er erschreckt ins Wasser springt,Wo schon die Pflanze kampfesmüd,Der Strauch verzwergt im Moose schwankt,Der rote Mond durch Nebel kaltAls Totenlampe blickt ins Grab?Führ mich doch hin, wo Palmen wachsen,Ins duftige, schöne Sonnenland,Wo aufgeblüht die MenschenseeleZum Fühlen ihrer ganzen Kraft.

LUZIFERDort sind wir grad. Der Blutball istDie Sonne, unter uns liegt derÄquator. Ja, die WissenschaftVermochte nicht das Schicksal zu bezwingen.

ADAMFurchtbare Welt, nur gut zum Sterben!Sie zu verlassen reut mich nicht.O Luzifer, der ich einst an der WiegeDer Menschheit stand, in ihr die HoffnungDer großen Zukunft schlummern sah,Ich, der so viele Schlachten schlugAn diesem Riesengrab, worüberDas Bahrtuch die Natur ausbreitet,Der erste und der letzte Mensch,Ich möcht, wie meine Art verkam, erfahren.In edlem Kampf, großartig? OderVerkrüppelt, ohne Größe, kleinUm klein und keiner Träne wert?

LUZIFERAch, wolle nicht, stolz auf den Geist,Wie du die Kraft zu nennen liebst, dieDas Blut erhitzt, den Busen schwellt,Als letzter Zeuge schließlich stehnAm eignen Totenbett. Die StundeErmahnt dich wunderbar zum PrüfenDer ohn den Wirt gemachten Rechnung.

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Die Fieberglut wirft durcheinanderDes Lebensrausches bunte Bilder,Was echt, was falsch war - kannst du’s wissen?Des letzten Ringens JammerlauteSind Hohngelächter über unsre Kämpfe.

ADAMWär ich doch lieber in der Höhe,Im Vollgefühl von Kraft und Herz verdorbenAls so die eigne Grabschrift hörenAus eines kalten Geistes Mund,Der Kampf und Tod mit mir nicht teilt.

LUZIFERZu deiner Art gehörn nun mal die Tränen,Die dein Erwachen aus dem LieblingswahnZu klarem Denken jedesmal begleiten.Doch tröste dich, noch lebt ja dein Geschlecht.Dort steht noch eine Menschenhütte,Ihr Herr tritt grade aus der Tür.Ein Eskimo tritt aus der Hütte, gerüstet zur Seehundjagd.

ADAMDies Zwerggezücht, dies Zerrbild wäreUnwürdiger Erbe meiner Größe?Warum, warum läßt du mich sehenDen Trost, der schlimmer als das Leid ist.

ESKIMOSo gibt es dennoch Götter über uns?Da sind sie wirklich mir erschienen.Wer weiß, ob gut, ob bös sie sind?Das Beste ist, ich lauf davon.Er will sich zurückziehen.

LUZIFERHalt, auf ein Wort!

ESKIMO (auf die Knie fallend)      O Gnade, Herr!

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Die erste Robbe, die ich fange,Bring dir ich dar, verdirb mich nicht.

LUZIFERWas gibt dir Recht auf diese Robbe,Daß du dein Leben löst mit ihrem?

ESKIMOWeil ich der Stärkre bin. Ich seh’s,Den Wurm verspeist der flinke Fisch,Den Fisch die Robbe, diese ich.

LUZIFERUnd dich der große Geist.

ESKIMO      Ich weiß.Doch kaufe ich mit blutigem OpferDie kurze Spanne Zeit, die erMir gnädig läßt, daß ich hier werke.

ADAMO Schmach!

LUZIFER      Genau wie du es machtest.Der Unterschied: Daß er die Robbe,Du Menschen opfertest der Gottheit,Die du nach deinem EbenbildDir schufst, wie er nach seinem seine.

ESKIMOIch seh, du zürnst; ich weiß, warum.Hab aufgeseufzt in meiner NotZum guten Gott der Sonne, derNicht heischt, nur gibt, und der hier einstNach alter Mär gebot. Verzeih mir,Und ich verfluche ihn.

ADAM      O Gott,

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Schau und erröt darob, wie schmählichDein Meisterwerk, der Mensch, geworden!

ESKIMOWie bös er schaut! Auch er hat Hunger?

LUZIFERBös ist er grade, weil er satt ist.

ADAMDein Witz ist hier nicht angebracht.

LUZIFERDie Wahrheit ist’s, kein Witz. Du urteilst,Wie Satte tun, doch knurrt aus ihmDes hungerkranken Magens Weisheit.Mit Gründen überzeugt ihr nie einander,Doch werdet ihr verstehn euch, wennDu hungrig oder jener satt geworden.Ach, bilde dir nur gar nichts ein.Das Tier ist stets in euch das erste,Und erst wenn du es zähmen kannst,Erwacht der Mensch, um voller HochmutSein Wesentlichstes zu verachten.

ADAMDie Rede ziemt dir, Luzifer,Der du das Heilige schadenfrohZiehst in den Staub. So ist denn jedesErhabne Sinnen, edle Tun nur DampfAus unsrer Küche oder Frucht von dem,Was ein Gesetz des schnöden StoffesIn Gang setzt und gebunden hält?

LUZIFERIst es denn anders? Oder glaubst du,Leonidas wär in der Schlucht gefallen,Hätt er, statt sich mit brauner SuppeZu nähren in der Republik,Die selbst kein Geld besaß, genossen

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Des Morgenlandes Rausch in einemLukullischen Palast? Und Brutus:Wär er gefallen, wenn er heimZu schönen Porcia geeilt wär,Um kampfmüd sich am reichen Tisch zu laben?Wie wächst die Sünde, wie das Edle?Gestank und Elend ziehn das eineUnd Sonne, freier Raum das andre,Das weiterlebt dann in GestaltUnd Geist in späteren Geschlechtern.Wie viele gehn, erhängen sich,Weil sie mit allem abgerechnet.Doch wenn dann ungerufne HändeDen Strick durchschneiden, hat das LebenSie wieder, und die Rechnung ist vergessen.Wär Hunyad nicht ein Sproß aus edlemGeschlecht, hätt über seiner WiegeEin Negerzelt gestanden, wäre erDes Kreuzes großer Held geworden?Wenn Luther Papst wird, Leo aberIn einer deutschen Stadt Professor:Vielleicht hätt dieser reformiertUnd jener ihn in Bann getan.Napoleon, wenn ihm das VolkMit seinem Blut den Weg nicht ebnet,Verfault vielleicht in einem schlechten Biwak.

ADAM (hält Luzifer den Mund zu)Nicht weiter! Was du hier erklärst,Es scheint so einfach und so wahr -Und ist verheerend. - Denn der AberglaubeVerblendet Toren nur, die ohnehinDen Geist nicht fühlen, der hier waltet;Doch deine rauhen Lehren, deine ZahlenBewirken, daß der Beste selbstVerzweifelnd seinen Bruder nicht erkennt.

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LUZIFERSo sprich mit dem Gefährten, nützlich ist’s,Dein Selbsterkennen zu erweitern.

ADAMSeid ihr noch viele in der Gegend?

ESKIMOAch, viele, mehr, als an den FingernIch zählen kann. All meine NachbarnHab ich erschlagen, doch vergebens.Es kommen Neue. Und die Robben,Sie werden wenig. Bist du Gott, so mach,Ich fleh, es gebe weniger MenschenUnd Robben mehr.

ADAM      Genug, genug.Komm.

LUZIFER      Laß uns noch sein Weib betrachten.

ADAMVerschone mich. Ein Mann, verkommen,Ist widerlich zu sehn. Doch ihnVeracht ich nur. Jedoch die Frau,Das Ideal, die Poesie,Wenn sie verkommt - das ist das Grauen.Hinweg, ich will sie nicht erblicken!Unterdes hat Luzifer Adam zur Hütte gezerrt. Er stößt jetzt mit dem Fuß die Tür ein. Drin ist Eva zu sehen, als Weib des Eskimos. Adam betrachtet sie starr, auf der Schwelle stehend.

LUZIFERErkennst du nicht die längst Gekannte?Umarm sie doch, der brave MannBeleidigt sich zu Tod, wenn duNicht seinem Weib die Ehre gibst.

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ADAMIch diese! Ich, der einst umschlungenAspasia hielt! Umarmen diese,In der ich jener anderen Züge ahne,Doch so, als würde sie beim KüssenZum Tier verwandelt.

ESKIMO (tritt zu seiner Hütte)      Weib, wir haben Gäste.Heiß sie nach gutem Brauch willkommen!Eva fällt Adam um den Hals und zieht ihn in die Hütte

EVAGegrüßt sei, Fremdling, ruh bei mir!

ADAM(macht sich los)Hilf, Luzifer! Hinweg! Aus meiner ZukunftGeleit mich in die Gegenwart zurück.Ich will mein düstres Los nicht sehen,Den eitlen Kampf. Ich will erwägen,Ob ich noch Gottes Fügung trotze.

LUZIFERZu Ende sei dein Traum: Erwache, Adam!

FÜNFZEHNTES BILD

Außerhalb des Paradieses. Der Schauplatz verwandelt sich in die Palmenlandschaft des dritten Bildes. Adam, wieder als Jüngling, tritt noch schlaftrunken aus der Hütte heraus. Eva schlummert in der Hütte. Luzifer steht in der Mitte. Strahlender Tag

ADAMFurchtbare Bilder, ach, wo seid ihr hin?Hier lebt, wie ich’s verließ, noch allesUnd lächelt - nur mein Herz zerbrach.

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LUZIFERDu eitler Mensch, du möchtest wohl,Die Ordnung der Natur zerfalle,Am Himmel ziehe ein Komet auf,Die Erde bebe, weil ein Wurm verreckt?

ADAMIch träumte? Oder träum ich jetzt?Ist mehr denn als ein Traum das Sein,Das toten Stoff für kurze ZeitBeseelt und dann mit ihm zerfällt?Wozu das Blitzlicht des Bewußtseins,Um dann des Nichtseins Graun zu ahnen?

LUZIFERDu flennst? Der Feige nur nimmt hinDen Hieb, den er parieren könnte.Der Starke liest die ewige SchriftDes Schicksals ruhig, ohne Murren,Und will selbst ihm zu Trotz bestehn.Das Schicksal lenkt die Weltgeschichte,Du bist in seiner Hand ein Werkzeug.

ADAMNein, nein! Du lügst! Frei ist der Wille!Das hab ich sauer mir erstritten.Dafür dem Paradies entsagt,Ich lernte viel aus meinen Träumen,War oft enttäuscht - es liegt an mir,Jetzt andre Wege einzuschlagen.

LUZIFERNun ja, wenn Hoffen und VergessenNicht mit dem Schicksal wär’n im Bunde;Das eine heilt die Wunde, währ’nd das andre,Den Abgrund mit dem Teppich deckend,Dir zuspricht: „Hundert Kühne sind gestürzt,Dir Glücklichem gelingt der Sprung.”Du als Gelehrter sahst wohl unter

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Viel Sonderbarem auch den Wurm,Der nur im Habicht lebt und in der KatzeUnd doch die erste Zeit des DaseinsNur in der Maus verbringen kann?Beschieden ist es keiner Maus, zu fühlenDie Katzen- oder Habichtskrallen,Die klugen können sie vermeidenUnd alt bei Weib und Kind verscheiden.Doch ein Gesetz wacht unerbittlich,Daß ihre Feinde grad soviel erbeuten,Wie nötig, daß nach tausend JahrenDas Weichtier auch noch lebt auf Erden.Der Mensch ist einzeln nicht gebunden,Doch trägt die ganze Art die Fesseln;Begeisterung reißt mit wie Flut,Für eine Sache heut, für andre morgen.Der Scheiterhaufen wird sein Opfer haben,Und Spötter wird es immer geben,Und wer die Zahlen registriert, wird staunen,Mit welcher Konsequenz das SchicksalGeburt und Tod, die Tugend undDie Sünde immer gleich verteiltUnd Glauben, Wahnsinn, Selbstmord auch.

ADAMHalt! Ein Gedanke blitzt mir auf!Ich kann selbst dir noch trotzen, Gott!Sagt auch das Schicksal hundertmal:„Dein Leben währt so lang.” Ich lache!Wenn ich nicht will, so leb ich nicht!Noch bin ich auf der Welt allein,Vor mir der Fels, darunter Abgrund:Ein Sprung, das ist der letzte Akt,Und aus ist, sag ich, die Komödie.Adam schreitet zum Felsen. Eva tritt aus der Tür.

LUZIFERAch, aus! Welch blödes Wort! Ist nicht Beginn

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Und Ende jeder Augenblick?Sahst du umsonst so viele tausend Jahre?

EVAAdam, du hast dich fortgeschlichen!Dein letzter Kuß war kalt, und jetzt auchUmwölken Zorn und Sorge deine Stirn,Du machst mir bang.

ADAM (geht weiter)      Was folgst du mir,Was spähst du meinen Schritten nach?Der Mann, der Herr der Welten, denkt nicht nurAn eitle Tändelei. Das WeibVersteht das nicht und wird drum lästig.(Sanfter)Ach, lägst du weiter noch im Schlummer!Jetzt wird das Opfer schwerer sein,Das ich der Zukunft schuldig bin.

EVAWenn du mich hörst, dann wird es leichter!Denn was bis jetzt nur Hoffnung war,Ist nunmehr Sicherheit: die Zukunft.

ADAMWieso?

EVA      Ich weiß, es lacht dein Herz,Wenn ich’s dir sag. Komm näher: Adam,Ich fühle, daß ich Mutter bin.

ADAM (fällt auf die Knie)Herr! Herr, besiegt lieg ich im Staub!Was kann ich ohne dich, was gegen dich?Erhebe oder stürze deinen Knecht.

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LUZIFERDu Wurm! Vergessen ist die Größe,Die ich dir gab?

ADAM      Laß das, es warNur eitler Wahn. Hier ist die Ruh!

LUZIFERUnd, Törin, du, was prahlst du da?Den Sohn empfingst du in der Sünde,Er bringt nur Schuld und Not der Erde.

EVAWenn Gott so will, wird einst in ArmutEin anderer empfangen werden, derDie Schuld durch Bruderliebe tilgt.

LUZIFERDu wagst es, mir zu trotzen? Auf!Erheb dich, Tier!Er stößt mit dem Fuß nach Adam. Des Himmels Pforten gehen auf. Der Herr erscheint im Glorienschein, von Engeln umringt.

DER HERR      Sink in den Staub, du Geist!Vor mir hat keine Größe Stand.

LUZIFER(krümmt sich)      Verflucht!

DER HERRErheb dich, Adam, zage nicht,Ich nehm dich wieder auf in Gnaden.

LUZIFER (beiseite)Ich seh, da wird es familiär,Nett fürs Gemüt, doch für den VerstandZu abgeschmackt. Ich drücke mich.(Er will fort)

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DER HERRBleib, Luzifer, wart auf mein Wort an dich!Und du, mein Sohn, sag: Was bedrückt dich?

ADAMO Herr, mich quälten Schreckgesichter.Ich weiß nicht, was an ihnen wahr ist.Sag mir: Welch Schicksal wartet meiner?Ist dies begrenzte Sein mein Alles,In dem sich, kämpfend, läutert meine SeeleWie Wein, damit du ihn, geklärt,Ausgießest in den Staub der Erde?Hast du nicht doch zu BesseremBestimmt den Geist? Wird mein Geschlecht sichVeredelt deinem Throne nähernOder so wie der MühlengaulNie aus dem Kreise treten dürfen?Und findet Lohn der Hochgesinnte,Den für verspritztes Blut der PöbelVerspotten darf? Erleuchte mich,Und dankbar trag ich jedes Schicksal.Ich kann beim Tausche nur gewinnen -Denn Ungewißheit ist die Hölle!

DER HERRForsch länger nicht dem Rätsel nach.Das gnädig meine Hand verhüllt.Wär Leiden Tugend, wenn du sähest,Wie kurz dein Sein auf Erden währtUnd jenseits ewiges Leben harrt?Und wüßtest du, daß deine SeeleDer Staub aufsaugt, was wär der Sporn,Den Augenblick zu opfern für das Große?Solang die Zukunft Nebel hüllenUnd dich das kurze Sein bedrückt,Erhebt das Ewigkeitsgefühl dich;Und wenn darob dich Stolz verführte,Die Spanne Dasein wird dich zügeln,Und Größe, Tugend sind gesichert.

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LUZIFER (laut lachend)Ja, herrlich winkt dir deine Bahn!Auf der dich Größe und Tugend leiten.Zwei Worte, die sich nur verkörpern,Wenn Aberglaube, Vorurteil,Unwissenheit daneben Wache stehn.Was wollt ich Großes mit dir, Menschlein?Aus Sonnenstrahl und Dreck geknetet,Ein Zwerg an Wissen, groß an Blindheit.

ADAMDu Luzifer, verspott mich nicht;Ich sah die Schöpfung deines Wissens,Sie war zu kalt für diese Brust.Doch, Herr, wer wird mich aufrecht halten,Daß ich vom rechten Weg nicht weiche?Die Führerhand entzogst du mir,Als von vebotner Frucht ich aß.

DER HERRDein Arm ist stark, dein Herz erhaben,Endlos der Raum, der Arbeit heischt.Sei aufmerksam, horch auf die Stimme,Die dich ermutigt oder warnt,Ihr folge. Schweigt die HimmelsstimmeIm Lärm des werkereichen Lebens,Dies Weibes zarte Seele wird,Entrückt dem Erdenschmutz, sie hörenUnd wird durch ihres Herzens AderZur Dichtung und zum Lied sie klären.Mit diesen beiden stehe sieIn Leid und Glück dir stets zur Seite,Als Genius voller Trost und Lächeln -Nun, Luzifer, du sei ein Ring auchIn meinem Weltall, wirke weiter,Dein kaltes Wissen, eitles LeugnenWird Hefe sein, die Gärung bringt.Und führst du auch den Menschen irre

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Für kurze Zeit: er kehrt zurück.Doch endlos währe deine Sühne:Was du verderben willst, darausSoll Schönes, Edles wieder sprießen.

CHOR DER ENGELFreie Wahl zu haben zwischenGut und Bös, wie groß gedacht!Über sich als Schild zu wissenGottes Gnade, Gottes Macht!Handle kühn, wenn auch die MengeGegen dich den Undank kehrt.Laß sie geifern, wirkst du Großes,Schau nur auf den eignen Wert,Schamvoll wäre andres Handeln.Dies zu wissen ist ein Span,Der den Schlechten niedernagelt,Doch den Edlen spornt hinan.Wandelnd auf dem Weg der Würde,Blende nimmer dich der Wahn,Daß die Tat, die du vollbringest,Du zu Gottes Ruhm getan,Daß er eben dich als WerkzeugNötig hat für seine Macht:Dich nur ziert es, wenn er duldet,Daß du seinen Schluß vollbracht.

EVADas Lied versteh ich, Dank sei meinem Schöpfer!

ADAMIch ahn es auch, den Weg will ich durchmessen.Das Ende nur, ach, könnt ich das vergessen!

DER HERRMensch, dein Gebot sei: kämpfen und vertrauen.