Ida Lamp Trauer und soziales Netz Netzwerkkarte und Genogramm als Instrumente für Trauerberatung und Trauerpastoral Abschlussarbeit des Weiterbildungsstudiums „Psychosoziale Beratung in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern und Organisationen“ an der FernUni Hagen in Zusammen- arbeit mit der KFH Nordrhein sowie der DGVT Seite 1 von 78
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Ida Lamp Trauer und soziales Netz · Im folgenden stelle ich dann die beiden Methoden Genogramm und Netzwerkkarte – im Kontext systemischen Denkens und spezifisch in der Arbeit
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Ida Lamp
Trauer und soziales Netz
Netzwerkkarte und Genogramm als Instrumente für Trauerberatung und Trauerpastoral
Abschlussarbeit
des Weiterbildungsstudiums „Psychosoziale Beratung in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern und Organisationen“ an der FernUni Hagen in Zusammenarbeit mit der KFH Nordrhein sowie der DGVT
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Abschlussarbeit vorgelegt von
DiplomTheologin Ida LampCollenbachstraße 124D40476 DüsseldorfTelefon 0211 480425Fax 0211 480506EMail Ida.Lamp@tonline.de
Die Arbeit wurde unter Zurhilfenahme der im Literaturverzeichnis angegebenen Quellen selbständig erstellt.
Düsseldorf, 20.08.2002
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Gliederung
1 Einleitung
2 Trauer – eine Einführung in deren Verständnis für den Kontext psychosozialer Begleitung und Beratung
2.1 Trauer – ein kurzer Abriss zu deren Verständnis2.1.1 Trauertheorien2.1.2 Trauerreaktionen und Einflussfaktoren auf die Trauer2.1.3 Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion: TraueraufgabenKonzep
te
2.2 Begleitung und Beratung – Unterstützung im Trauerprozess2.2.1 Trauerbegleitung – Eine Einführung2.2.2 Trauerbegleitung als Feld ehrenamtlicher Tätigkeit2.2.3 Trauer oder Hinterbliebenenberatung2.2.4 Begleitung und Beratung im Trauerprozess – eine seelsorgliche Tä
tigkeit
3 Das Modell „Trauer erschließen“ von Ruthmarijke Smeding
3.1 Beschreibung des Modells „Trauer erschließen“3.1.1 Allgemeine Einführung3.1.2 Die Fortbildung „Trauer erschließen“3.1.3 Grundannahmen des Modells „Trauer erschließen“3.1.4 Die Gezeiten des Modells
3.2 Vergleich des Modells „Trauer erschließen“ mit dem Frechener Modell zur Qualifizierung Ehrenamtlicher zur Trauerbegleitung3.2.1 Einführung3.2.2 Skizze des Modells3.2.3 Kritische und vergleichende Anmerkungen
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4 Genogramm und Netzwerkkarte – Integration von Instrumenten psychosozialer Arbeit in die Trauerpastoral
4.1 Trauer und soziales Netz4.1.1 Das soziale Netz4.1.2 Der Tod und das soziale Netz4.1.3 Familie und soziales Netz als Trauersystem(e)
4.2 Das Genogramm4.2.1 Einführung in die GenogrammArbeit4.2.2 Das Genogramm als Analyse und DokumentationsInstrument in
der Hospizarbeit4.2.3 Das Trauergenogramm
4.3 Soziales Netzwerk und Verlusterfahrungen 4.3.1 Netzwerkorientierung in der Trauerberatung 4.3.2 TrauerbegleiterInnen/TrauerberaterInnen und das soziale Netz4.3.3 Ein Beispiel aus der Praxis
Exkurs: Das „soziale Sonnensystem“ – eine Abwandlung der Netzwerkkarte
5 Netzwerkkarte und Genogramm – einige grundsätzliche Gedanken zur Bedeutung dieser Methoden in Trauerberatung und Trauerpastoral
6 Literatur
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1 Einleitung
Im FranziskusHospiz Hochdahl bin ich seit drei Jahren als Seelsorgerin angestellt und zuständig für Trauerbegleitung.1 Das FranziskusHospiz beschäftigt keine Sozialpädagogin. So fallen neben originär seelsorglichen Funktionen (Gebet, Rituale, Gespräch) auch psychosoziale beratende Aufgaben in mein Tätigkeitsfeld. (Dass ich Seelsorge auch als Beratung verstehe, dazu unten mehr). Ich begleite Trauerprozesse, die mit der tödlichen Erkrankung und dem Sterben einhergehen, erlebe aufbrechende „Resttrauer“ bei Patienten und ihnen Nahestehenden von zeitlich länger oder kürzer zurückliegenden Verlusterfahrungen. Wenn ich von Trauerbegleitung spreche, meine ich jedoch akzentuiert die Trauer der Hinterbliebenen nach dem Verlust an den Tod. In diesem Kontext begleite ich einerseits den Abschied von einem Verstorbenen rituell – in Form von Abschiedsfeiern am Sterbebett, Trauerfeiern und Bestattungen, Jahrgedächtnisfeiern und ähnlichem. (Und damit gehen selbstverständlich Informations und Entlastungsgespräche einher.) Andererseits begleite und berate ich Trauernde in Einzelgesprächen und Trauergruppen und biete Selbsterfahrungsräume für die ehren und hauptamtlichen MitarbeiterInnen des Hospizes an. Zudem entwickle ich derzeit mit einer Kollegin einer anderen Hospizinitiative ein Qualifizierungskonzept für Ehrenamtliche, um Hospizhelferinnen und helfer regelhaft in die Trauerbegleitung einbeziehen zu können.
Mit der vorliegenden Arbeit, die sowohl Abschlussarbeit des Weiterbildungsstudiums „Psychosoziale Beratung in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern und Organisationen“ an der FernUni Hagen in Zusammenarbeit mit der Katholischen Fachhochschule Nordrhein sowie der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) als auch der Weiterbildung „Trauer erschließen“ bei Dr. Ruthmarijke Smeding ist, will ich zwei methodische Ansätze psychosozialer Beratung, nämlich die Netzwerkkarte und das Genogramm, für den Bereich der Trauerberatung/Trauerpastoral erschließen.
Zunächst erläutere ich Aspekte von Trauer, Trauerberatung und Trauerbegleitung und versuche, anhand der Vermittlung und Differenzierung von (sozialpädagogisch)beratendem und seelsorglichem Handeln in der Begleitung und Beratung Trauernder mein Berufsprofil als für Trauerbegleitung zuständige Seelsorgerin im Hospiz näher zu bestimmen (2).
Dann stelle ich das Modell „Trauer erschließen“ der niederländischen Erziehungswissenschaftlerin Dr. Ruthmarijke Smeding dar, durch das ich wesentliche Anregungen für das Verständnis von Trauer und Trauerbegleitung und die Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen und mit Ehrenamtlichen im Feld der Trauerbegleitung erhalten habe. Dieses Modell vergleiche ich – skizzenhaft – mit einem anderen, veröffentlichten Modell zur Qualifizierung Ehrenamtlicher zur Trauerbegleitung, der Frechener Schulung für Hospizhelfer und helferinnen (3).
1 Zur Hospizarbeit siehe: Lamp 2001.
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Im folgenden stelle ich dann die beiden Methoden Genogramm und Netzwerkkarte – im Kontext systemischen Denkens und spezifisch in der Arbeit mit Trauernden bzw. im Blick auf Verlusterfahrungen, auch mit konkreten Praxisbeispielen, dar (4).
Abschließend trage ich einige Gedanken zur Bedeutung dieser beiden Methoden für die seelsorgliche Praxis der Trauerbegleitung vor und resümiere den Einsatz von Genogramm und Netzwerkkarte in einigen Thesen (5).
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2 Trauer, Trauerbegleitung und beratung – eine Einführung
2.1 Trauer – ein kurzer Abriss zu deren Verständnis
„... meine Seele konnte nicht leben ohne ihn ... / Vom Schmerz darüber ward es finster in meinem Herzen, und was ich ansah, war alles nur Tod ... alles, was ich
gemeinsam mit ihm erlebt hatte, war ohne ihn verwandelt zu grenzenloser Pein. ... Und ich haßte alles, weil es ihn nicht barg ... Ich war mir selbst zur
großen Frage geworden, und ich nahm meine Seele ins Verhör, warum sie traurig sei und mich so sehr verstöre, und sie wußte mir nichts zu sagen. ... / Einzig
das Weinen war mir süß ...“Augustinus
(Kirchenlehrer, Bischof, 5. Jahrhundert, über die Erfahrungen mit dem Tod seines Freundes, Augustinus 1980, S. 150153)
„Trauer“ ist ein schillernder Begriff. Etymologisch kommt das Wort aus dem Althochdeutschen. „Truren“ bedeutet: die Augen senken. Trauer, so sagt es das BrockhausLexikon, ist „das schmerzliche InneWerden eines Verlustes von Personen oder Sachen, zu denen ein SinnBezug bestand“2. Aber auch der Abschied von einem Tier – weder Person noch Sache! – und die Abschiede von bestimmten Lebens oder Entwicklungsabschnitten oder der Verlust körperlicher Unversehrtheit können mit Trauer einhergehen. Diese Komplexität bestimmt bis heute das Verständnis (und Unverständnis) von Trauer. Mehr und mehr kommt in den Blick, dass Differenzierung not tut, wenn wir Trauerprozesse hilfreich begleiten wollen: Einen anderen unwiederbringlich an den Tod zu verlieren löst andere Prozesse und Fragestellungen aus als ein Verlust aufgrund von Scheidung und Trennung mitten im Leben. Die Abschiede, die sich durch Alterungsprozesse oder Krankheit lebensgeschichtlich für einen Menschen ergeben, lösen bei diesem andere Trauer(prozesse) aus, als diejenigen erleben, die diese Prozesse miterleben und begleiten. Die Trauer der Angehörigen in der Zeit der Krankheit, die unabänderlich auf den Tod hinausläuft – die Zeit des Abschieds –, nimmt – nach unseren bisherigen Erkenntnissen – die Zeit der Trauer nach dem erfolgten endgültigen Abschied, dem Tod, nicht einfach vorweg; sie ist anders, hat einen eigenen Charakter.
Trauer im Kontext dieser Arbeit richtet den Blick auf Hinterbliebenentrauer. Dabei bleibt jedoch festzustellen, dass sich andere, gleichzeitige und frühere Verluste auf die Trauer nach dem unwiederbringlichen Verlust an den Tod in vielfältiger Weise auswirken können.
2.1.1 Trauertheorien
2 dtvBrockhausLexikon 1989, S.273.
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Die erste psychologische Trauertheorie geht auf den Psychiater und Psychoanalytiker Sigmund Freud (18561939) zurück.3 Trauer beschreibt er (1917) als innerpsychische Handlung des Selbst, als ambivalente Reaktion auf den Verlust eines geliebten Menschen oder anderer gefühlsbesetzter Objekte – als Hin und Hergerissensein also zwischen realistischer Wahrnehmung des Verlustes und dem Widerstand dagegen. „Der Verlust ist überwunden, wenn das verlorene Objekt nirgends mehr unwillkürlich erwartet wird und wenn auch die Vorstellung und Erinnerung an das Objekt keinen T.effekt [Trauereffekt, I.L.], keine Tränen mehr auslöst.“4 Freud vertritt in diesem Aufsatz die Auffassung: „Die Trauer hat eine ganz bestimmte psychische Aufgabe zu erledigen, sie soll die Erinnerungen und Erwartungen der Überlebenden von den Toten ablösen.“ Freuds Verständnis von Trauer wirkt bis heute für Hinterbliebenentrauer nach, obwohl Freud seine Theorie gar nicht auf den Verlust einer verstorbenen Bezugsperson angewandt hat. In einem Brief an seinen Freund Ludwig Binswanger schreibt er selbst nach dem Tod seiner Tochter, dass die Trauer kein Ende kennt; wörtlich: „Man weiß, dass die akute Trauer nach einem solchen Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie einen Ersatz finden. Alles, was an die Stelle rückt – und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte –, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Das ist die einzige Art, die Liebe fortzusetzen.“5
Auf psychoanalytischer Grundlage entstanden Konzepte, Trauer zu systematisieren: zunächst vor allem unterschiedliche Stufen und Phasenmodelle6, die den komplexen Trauerprozess beschreiben und für die Praxis der Begleitung und Therapie „handhabbar“ machen wollten. Dabei wurden die gleichförmigen Aspekte, die man an Trauerprozessen ablesen kann, betont, die individuellen Aspekte jedoch völlig vernachlässigt.7 Problematisch daran ist vor allem, dass die Phasen und Stufenmodelle in ihrer Adaption vorwiegend als vorgeschriebene, zwangsläufige Abläufe verstanden wurden; Abweichungen werden dann schnell als „pathologisch“ gewertet. Phasenbeschreibungen machten die Trauernden zu passiv Erleidenden. Bei Phasen und Stufenmodellen wird zudem immer von einem Endzustand ausgegangen, den es zu erreichen gilt. Die Zuschreibung von Phasen als „Diagnoseinstrument“ ist wissenschaftlich nicht abgesichert. Und wo die Diagnose unklar ist,
3 Freud 1981.4 Toman 1987, Spalte 2351.5 Freud & Binswanger 1992. Was Freud schreibt, entspricht den Untersuchungen zu Bindungstheorien: Die endgültige Ablösung vom Toten, wie sie gefordert wurde, geschieht bei vielen Trauernden nie. (vgl. Klass, Silverman & Nickman 1996; Klass 2000; Dennis Klass, Phyllis R. Silvermann & Steven L. Nickman 2001)6 1969 veröffentlichte Elisabeth KüblerRoss ihr erstes Buch On Death and Dying (deutsch: Interviews mit Sterbenden, StuttgartBerlin 1969) und brachte damit die Themen Sterben, Tod und Trauer verstärkt ins öffentliche Bewusstsein. Ihr dort vorgestelltes Phasenmodell für den Sterbeprozess übertrug sie auf alle Erlebnisse, die mit Trauer zu tun haben; dargestellt in Veröffentlichungen wie: KüblerRoss 1989. KüblerRoss 1990, S. 9697. Die Trauer des Sterbenden im Sterbeprozess sollte demnach ähnlich zum Trauerprozess des Hinterbliebenen verlaufen, was jedoch in keiner Forschung bestätigt werden konnte. Weitere vierphasige Modelle: Spiegel (1972); Bowlby (englisch: 1980, deutsch: 1983), Kast (1982; 1983).7 vgl. Jerneizig, Langenmayr & Schubert 1991, S. 25.
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bleibt auch die ‚Intervention‘, also die helfende, unterstützende und – hoffentlich – heilungsfördernde8 Maßnahme ungewiß.
Umfassende Forschung und Literatur zu Trauer gab es zunächst vorwiegend im angloamerikanischen Sprachraum.9 Für den deutschsprachigen Raum hat der Theologe Yorick Spiegel Anfang der 1970er Jahre erstmals „eine integrative Aufarbeitung des bereits vorliegenden Materials ... zur Theorie der Trauer, zum Trauerprozeß, zur Bewältigung der Trauer und zur therapeutischen Beratung von Trauernden“10 vorgelegt. Er integrierte Forschungsansätze aus Psychoanalyse, Psychiatrie, Psychologie, Soziologie und Theologie, blieb aber bei einem linearen Verlauf von Trauerprozessen. Ethnologische, medizinische, kulturanthropologische Aspekte spielen keine Rolle in seinem Werk.
2.1.2 Trauerreaktionen und Einflussfaktoren auf die Trauer
Man versuchte Trauer zunächst vor allem über die Beschreibung von Reaktionen auf Verlusterfahrungen zu erfassen.11 In den Forschungen zur Hinterbliebenentrauer wurden bis vor zwei Jahrzehnten gezielt die Trauerreaktionen im ersten Jahr nach dem Verlust untersucht und die typischen Muster der Trauer – als individuelle, psychische Phänomene – beschrieben und systematisiert. Diese Forschungen fanden vorwiegend mit Trauernden statt, die sich in klinischer Behandlung befanden, erfassten also zunächst Trauer, die mit der teilweisen oder vollständigen Handlungsunfähigkeit des Trauernden oder auch mit Suizidgefahr einher ging. Solche Trauer wird heute – mit aller Vorsicht – als „erschwerte“, „komplizierte“ oder auch „pathologische“ Trauer bezeichnet.12 Andere, alltägliche Hinter8 Heilung wird hier nicht als Gegenstück zu Krankheit verstanden, sondern im Sinne von heil, ganz, integriert, lebensvoll sein.9 Z. B. der Psychiater Eric Lindemann beschrieb 1944 in Amerika zum ersten Mal beobachtbare Trauerreaktionen, die heute jedoch eher dem posttraumatischen Stresssyndrom (Posttraumatic Stress Disorder – PTSD) zugeordnet werden (Lindemann 1944, S. 141).In England beschäftigte sich der Psychiater John Bowlby in den 1960er Jahren mit Verlust und Trauer im Kindesalter, fokussiert auf die bindungstheoretischen Aspekte. Bowlby und sein Kollege Colin Muray Parkes, dessen Schwerpunkt die Bindungstheorien in bezug auf die Trauerforschung waren, entwickelten gemeinsam ein Phasenmodell der „normalen“ Trauer. Auch der englische Anthropologe Geoffrey Gorer (1965) entwickelte auf Grund seiner Forschungen ein „DreiStufenModell“ der Trauer. Die australische Psychoanalytikerin Beverly Raphael hat einen vierstufigen Trauerprozess entworfen (New York 1983); sie wurde bekannt durch ihre Analysen zu familiären Mustern, die als Folge von Verlusterfahrungen entstehen.10 Spiegel 1995, S. 1112. Eine kurze Darstellung: Spiegel 1972, S. 114.11 Man spricht von Reaktionen, Symptomen, Phänomenen oder Konstrukten der Trauer, wobei deutlich mal mehr auf individuelle, körperliche Symptome, mal mehr auf soziale Phänomene, mal mehr auf Wechselwirkungen von individuellen psychischen Reaktionen und sozialen bzw. kulturellen Gegebenheiten geschaut wird. 12 Die Begrifflichkeiten sind sehr vielfältig. Man spricht von pathologischer Trauerverarbeitung, von erschwerter Trauer, behinderter Trauer, problematischer Trauer, chronischer Trauer, gehemmter oder verhinderter Trauer u.a.m. Oftmals werden durch die Begrifflichkeit bestimmte Aspekte des Trauerverhaltens oder der Trauerursache besonders hervorgehoben. Kulminierende Trauer meint beispielsweise, dass nicht nur die
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bliebenentrauer von Menschen, die mit dem Verlust eines anderen „gut“ zurechtkommen, oder die Trauer derer, die sich in Selbsthilfegruppen Unterstützung für den Trauerweg suchen, kam zunächst nicht in den Blick.
Spätere Untersuchungen konnten zeigen, dass die Mehrzahl der Menschen, die einen anderen an den Tod verlieren, diesen Verlust eigenständig – innerhalb ihres sozialen Netzes – verarbeiten und gut ohne (professionelle) Hilfe zurechtkommen.
Forschung und praktische Arbeit mit „normal“ Trauernden ließen – in unterschiedlicher Intensität und nicht unbedingt in allen Aspekten – ebenfalls Trauerphänomene beobachten, die emotionale, psychische, kognitive, physische, soziale und spirituelle Anteile haben, die ihrerseits zudem kulturell geprägt sind. Für den amerikanischen Psychologen William Worden gehören zur „normalen“ Trauer immer heftige Emotionen, wie Traurigkeit, Schockzustände, Ärger, Schuldgefühle und Selbstvorwürfe, Ängste, Einsamkeit, Erschöpfung, Hilflosigkeit, Sehnsucht, aber auch Befreiung und Erleichterung. Er beschreibt als typische Trauerreaktionen auch starke körperliche Symptome (z.B. Leeregefühl im Magen, Engegefühl in der Brust und Kehle, Atemlosigkeit) sowie geistige Auswirkungen (wie Verwirrung, gedankliche Beschäftigung mit dem Toten, ein Gefühl der Anwesenheit des Toten, Halluzinationen). Schlaf und Appetitstörungen, zerstreutes und geistesabwesendes Verhalten, sozialer Rückzug, Träume vom Verstorbenen und vieles andere mehr sind typisch für verändertes Verhalten von Trauernden.13 Der Psychologe Michael Goldberger fasst die Symptome, die von Trauernden gezeigt werden, in drei Kategorien zusammen: Psychischer Zustand (Denken und Fühlen), Verhalten und physischer Zustand (körperliche Symptome und Beschwerden).14
Die Symptome sind jedoch nicht eindeutig, sondern können durchaus gegenteilig auftreten intrapersonal wie interpersonal betrachtet, wie z. B. Überaktivität bei dem einen und Antriebsarmut bei einem anderen Trauernden oder Gewichtsverlust einerseits und Zunahme des Gewichtes andererseits oder Hungergefühle im einen Moment und im nächsten Appetitlosigkeit. Die Fülle und Vielfältigkeit der Symptome erleben Trauernde oft als bedrohlich, und nicht selten äußern sie die Sorge, verrückt zu werden.
Diese Erkenntnisse über Trauerreaktionen relativierten die Vorstellungen über „pathologische Trauer“ einschneidend. Die ausgesprochen große Bandbreite normaler Trauerreaktionen macht deutlich, dass Begleitung und Beratung Trauernder ein breites Wissen erfordert, um Trauer eben nicht vorschnell in den Bereich von Krankheit zu drängen und damit Trauerbegleitung und beratung zur „Behandlung“ zu machen.
Trauer über den aktuellen Verlust einbricht ins Leben eines Menschen, sondern dass auch alte Trauergeschichten, auch solche, die nicht mit dem Tod eines Menschen, sondern z.B. mit Trennungen oder ganz anderen Verlusten zu tun haben, aufbrechen und sich um die aktuelle Trauer wie ein Ring legen. 13 Worden 1999, S. 2844; vgl. Smith 1991, S. 55.14 Vgl. Goldberger 1991, S. 813.
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Neben „normalen“ Trauerreaktionen oder symptomen wurden besonders die Einflussfaktoren erforscht, die einen „normalen“ Trauerprozess stören. Der Psychiater Colin Muray Parkes und der Soziologe Robert S. Weiss ermittelten 196669 in der „Harvard Bereavement Study“15 (aufgrund von Studien in London und Boston) die Todesursache als größten Einflussfaktor auf die Trauer der LebenspartnerInnen. Es ist anzunehmen, dass das auch für andere Hinterbliebene gilt. Wenn also jemand nach langjähriger Erkrankung verstirbt, wirkt sich das auf Hinterbliebene anders aus, als wenn jemand infolge eines Herzinfarktes, aufgrund eines Unfalls, aufgrund gewaltsamer Einwirkung von fremder Hand oder durch Suizid stirbt.
„Weitere durch Forschungen gut belegte Einflussfaktoren auf die Trauer sind beispielsweise: • die Umstände des Todes (wie Tod nach langer Zeit der Krankheit, plötzlicher Tod,
Tod aufgrund von Katastrophen, Gewaltverbrechen, Suizid, Unfall, Tod nach tabuisierten Erkrankungen wie AIDS, schambesetzte Todesumstände, Trauer bei nicht vorhandenem Leichnam16 ; Traumatisierung durch eigenes Involviertsein in die Todesumstände [mitansehen, beteiligt sein] u.a.m.)
• Tabuisierung des Todesfalls, z.B. bei Fehl und Totgeburten, beim Tod von behinderten oder schwerstdementen Menschen
• vorangegangene Verluste (wie mehrere Todesfälle in kurzem zeitlichem Abstand, Reaktivierung traumatischer Verlusterfahrung, nicht bearbeitete Trauer und Resttrauer)
15 Internet: http//www.radcliff.edu (Murray Research Center – eingesehen am 08.07.2002) „This longitudinal study was designed to explore how bereavement affects the emotional and social lives of those who have lost a spouse and to examine the course of recovery from bereavement and the social or psychological factors that facilitate or impede that recovery.“ Dort Literaturangaben zu Veröffentlichungen zur Studie. vgl. Worden 1999, S. 4851.16 Ich schreibe heute – 3. Juli 2002 – angesichts des Flugzeugunglücks in Überlingen, bei dem 71 Menschen ums Leben kamen; die Leichen sind nur sehr schwer identifizierbar. Russische Kinder, die als Belohnung für hervorragende schulische Leistungen zu einem Ferienflug eingeladen waren, bilden die größte Gruppe der Unglücksopfer. Die meisten der Eltern und Geschwister und Großeltern werden mit dem Tod ihres Kindes, Geschwisters und Enkels leben müssen, ohne einen Leichnam gesehen zu haben, und diejenigen, die ihre Angehörigen identifizieren müssen, dürften von den grausamen Bildern traumatisiert werden. Man braucht nicht viel Einfühlungsvermögen, um sich die Trauer und den Schmerz der Hinterbliebenen und die Begleitung, die überlebensnotwendig sein kann, vorstellen zu können. – Und ähnliches gilt sicher für die Angehörigen des Terroranschlags von 11. September 2001 auf das WorldTradeCenter und für all die anderen KatastrophenEreignisse, von denen wir Tag für Tag hören.
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• sekundäre Verluste, die mit dem Todesfall einhergehen bzw. durch ihn ausgelöst werden (wie Verlust der sozialen Sicherheit oder des sozialen Umfelds, z.B. durch notwendigen Umzug, Heimatverlust, Statusverlust, Rollenverlust)
• existentielle Notsituationen (wie Kampf ums eigene Überleben, z.B. bei eigener lebensbedrohlicher Krankheit, Foltersituationen, Katastrophen, in die man selbst als Hinterbliebener auch verwickelt war)
• religiöse bzw. spirituelle und weltanschauliche Verortung und Beheimatung in festen Traditionen und Riten
• Beziehungsmerkmale wie z.B. abhängige oder symbiotische oder sehr ambivalente Beziehungen oder auch narzißtische Beziehungen, bei denen der Verstorbene eine Erweiterung des eigenen Selbst war“17
Solche Trauer erschwerenden Einflussfaktoren bringen oft, wenn auch nicht zwingend besondere Trauerreaktionen hervor, die dann auch medikamentös oder therapeutisch „behandlungsbedürftig“ sein können.18
Zusammenfassend läßt sich sagen:Wir mittlerweile einiges über „normale“ Trauerreaktionen (oder symptome) und „Risikofaktoren“ (Einflussfaktoren); jedoch gibt es nach wie vor keine hinlängliche, alle Aspekte umgreifende Definition von Trauer.Die lineare und evolutionäre Sicht der Stufen und Phasenmodelle darf – wie gesagt – als überholt bezeichnet werden. Stufen und Phasenmodelle sind weder als Wegweiser für Trauernde (als die sie nach wie vor ausgegeben werden) noch als Wegweiser für BegleiterInnen und BeraterInnen brauchbar. Das Erleben, das die Phasen beschreiben, kommt durchaus vor, doch auf Phasen zu achten verhindert, den wirklichen Weg der Trauernden wahrzunehmen. Die Grundzüge des Trauererlebens zu beschreiben darf eben nicht daran hindern, zu erkennen, dass „die Variationsbreite der einzelnen Trauerwege ... ungleich größer“19 ist. BegleiterInnen und BeraterInnen müssen die Trauernden selbst als Wegweiser wahrnehmen, als diejenigen, die am besten Bescheid über ihre Trauer wissen.
17 Lamp & Smith 2003.18 Zu solchen Studien vgl. Bojanovsky 1980; 1986. Weitere Hinweise auf Forschungen zu Einflussfaktoren und zur Symptomatologie der Trauer finden sich bei Jerneizig, Langenmayr & Schubert 1994, S. 1524; Spiegel 1995, v.a. S. 2956; 7785; Worden 1999 (über das gesamte Buch hin, vor allem Einführung und Kapitel 4 und 5) u.a. Im deutschsprachigen Raum stehen Forschungen dazu noch weitgehend aus.19 Meurer 1994, S. 201.
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2.1.3 Zum gegenwärtigen Stand in Sachen Trauer: TraueraufgabenKonzepte
Trauer als Gestaltungsprozess und Trauerbearbeitung als Aktivität Trauernder kommen heute stärker in den Blick – für Begleitung und Beratung Trauernder hat das zur Konsequenz, dass die BegleiterInnen als „spezialisierte Analphabeten in existentiellen Fragen“ und Trauernde als aktive Partner (und nicht nur als passiv Leidende) in einem letztlich unabschließbaren Dialog wahrgenommen werden. Es handelt sich bei diesem Verständnis von Trauer – und der Unterstützung Trauernder – um eine Art von Empowerment20: Es geht nämlich um die Befähigung der Hinterbliebenen, mit dem Verlust und mit der Trauer innerhalb ihres „normalen“ Lebensumfeldes (Familie, Nachbarschaft, Arbeitsplatz usw.) weiter zu leben, eben weil und insofern Trauer ein Zeichen von Gesundheit ist, eine adäquate Reaktion auf einen Verlust, der zu jedem Menschenleben zu irgendeiner Zeit dazugehören wird.
Auch theologischphilosophisch orientierte Konzepte von Trauer (beispielsweise Trauer als „Folge wirklicher oder vermeintlicher SinnEinbußen“21 – oder „Gegenseiten“ der Trauer, wie die, dass sie mit „zunehmender Erlebnisfähigkeit und Sensibilität für geistige Werte“22 einhergeht) werden wieder diskussionswürdiger und inspirieren die anderen Disziplinen, die Trauer erforschen.
Kreisförmigprozesshafte oder spiralförmige, dynamisch gedachte Trauerprozesse bestimmen heute die Sicht auf Trauer.23 Heutige Konzepte sprechen – wenn sie die Forschungsergebnisse ernst nehmen – nicht mehr davon, dass jemand trauern muss, um gesund nach einem Verlust weiter zu leben. Es handelt sich beim Trauern wohl eher um einen von Trauernden selbst gesteuerten Prozess von Annäherung an den Verlust und Vermeidung. (Man kann – sicher vereinfacht – sagen: Nicht nichttrauern macht krank, sondern trauern kann krank machen.)
20 Der Begriff Empowerment stammt aus der Gemeindepsychologie; das damit verbundene Konzept geht auf den amerikanischen Gemeindepsychologen Julian Rappaport (1985) zurück. Power wird im Sinne von persönlicher Stärke gebraucht. Gemeint ist mit dem Begriff ein Konzept oder eine Strategie des Befähigens und Ermöglichens, persönliche Stärken zu entdecken und einzusetzen. „Empowerment geht davon aus, daß viele Fähigkeiten beim Menschen bereits vorhanden oder zumindest möglich sind, vorausgesetzt, man schafft Handlungsmöglichkeiten. Das Konzept des Empowerment unterstellt, daß das, was als Defizit wahrgenommen wird, das Ergebnis sozialer Strukturen und mangelnder Ressourcen darstellt, in denen sich vorhandene Fähigkeiten nicht entfalten können.“ Rappaport 1985, S. 270f. zitiert nach: Trojan & Legewie 2001, S. 91.21 Seigfried 1981, S. 228. Siehe Polspoel 2001.22 Ebda.23 z.B. Canakakis (1987), Schibilsky (1994).Allerdings werden in den herkömmlichen Ausbildungskonzepten oft noch die veralteten Konzepte – v.a. Kast – vertreten; anders Smeding (siehe Kapitel 3).
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Trauernde sollen sich, ihre Erfahrungen wiedererkennen können in dem, was über den Trauerprozess gesagt wird. Damit wird das Gefälle zu vermeintlichen ExpertInnen der Trauer aufgehoben. Trauer wird zunehmend als aktives Geschehen interpretiert und Trauernde werden als (autopoietisch24) Lernende begriffen, die selber die Verantwortung für ihr Weiterleben und ihr Handeln nach dem Verlust übernehmen.
Es wird nicht mehr von erkennbaren Abläufen der Trauer, von Schritten, die ein Trauernder nacheinander zu gehen hat, gesprochen, sondern von Traueraufgaben. Damit wird Trauern von seiner psychoedukativen Seite her wahrgenommen. Der Verlauf der Trauer wird nicht mehr als feststehende Psychodynamik in fester chronologischer Abfolge verstanden, sondern eher im Sinne von Lernprozessen, die das Wachstum und die Entfaltung des Menschen beeinflussen. Die Bewältigung der Traueraufgaben ist ein „Heilvorgang“25, der selbstverständlich auch unabgeschlossen bleiben kann.26 Das TraueraufgabenKonzept wurde von dem amerikanischen Psychologen William Worden entwickelt; er beschreibt vier Aufgaben, die den Trauerprozess prägen:
• Die Realität des Verlustes akzeptieren.• Den Trauerschmerz erfahren und durcharbeiten.• Sich einer Umgebung anpassen, in der der Verstorbene fehlt.• Dem Verstorbenen emotional einen neuen Platz zuweisen und das eigene Leben wieder
aufnehmen.27
Dieses AufgabenModell von Worden wurde zwischenzeitlich durch andere Aufgaben erweitert, wie beispielsweise die – auf konstruktivistischem Gedankengut basierende – Aufgabe, eine Kontinuität des Lebenssinns herzustellen (Neimeyer), bleibende bzw. fortdau
24 Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich selbsterzeugend. Es meint in diesem Zusammenhang, dass Menschen in ihrem SoSein handeln, dass das, was sie tun, zu ihnen, zu ihrer Struktur, zu ihrem Leben passt. Veränderungen greifen nur dann, wenn sie zu dieser Struktur passen. Beratung muss also 1. danach trachten, diese Struktur kennen zu lernen und sie wert zu schätzen und 2. Ihre Veränderungsanregungen auf sie abstimmen. Vgl. Schlippe & Schweitzer 2002, S. 68.25 Worden 1999, S. 18.26 In Handreichungen für Trauernde stehen meist noch die Phasen beschrieben (z.B. Sönke Kriebel (Hrsg.), Ja zur Trauer heißt Ja zum Leben, Schermbeck o.J. [1990] Immerhin heißt es in dieser Broschüre, die oft von Bestattungshäusern abgegeben wird, dass es keinen Königsweg durch die Trauer gibt und dass die Art eines jeden Menschen zu trauern einzigartig ist.). Chris Paul, Wie kann ich mit meiner Trauer leben? Ein Begleitbuch, Gütersloh 2000 ist eines der wenigen Bücher für Trauernde, das nicht auf Phasen rekurriert, sondern das TraueraufgabenModell von Worden beschreibt.27 Das Konzept der Traueraufgaben in: Worden 1999, S. 1925 (vgl. Smeding, Aulbert 1997, S. 868).– Worden hat sein Konzept der Traueraufgaben in der zweiten Auflage seines Werkes an zwei Stellen entscheidend verändert. In der zweiten deutschsprachigen Auflage des Buches von Worden wurden sie jedoch unverändert übernommen und nur in einem Anhang auf die veränderten Traueraufgaben hingewiesen, obwohl die inhaltliche Überarbeitung doch einschneidend ist und damit eklatante Auswirkungen auf das Verständnis von Trauer einhergehen; tabellarisch einander gegenübergestellt aufgrund der englischsprachigen Originalausgaben in: Smith 2002, S.
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ernde Bindungen zum Verstorbenen zu finden (die ein gutes Weiterleben ermöglichen) (Klass) oder – in einem als Coping28 beschriebenen umfassenden Prozess – Welt wieder zu erlernen (Attig).29 Zudem wurde intensiv reflektiert, dass Trauer immer in einem systemischen Zusammenhang zu sehen ist; sie ist eine „Familienangelegenheit“, ein sozial bestimmtes Geschehen.30
Einigkeit besteht in der Forschung darüber, dass sich keine zeitlichen Aussagen über Dauer der Trauer machen lassen.
„Trauern“, so sagt es die Schweizer Psychologin Verena Kast – Therapeutin aus der Schule C.G. Jungs – zutreffend, „darf nicht länger als ‚Schwäche‘ betrachtet werden, sondern es ist ein psychologischer Prozess von höchster Wichtigkeit für die Gesundheit eines Menschen.“31 Trauer ist ein ganz normaler „unnormaler“ Seelenzustand – eine der menschlich existentiellen Paradoxien! Sie umfaßt die ganze (leibliche, psychische, soziale, spirituelle, geistige, biographische, geschichtliche und kulturelle) Wirklichkeit des Menschen. Ob und wie ein Mensch mit einem Verlust weiter lebt, wird in einem Wechselspiel zwischen Individuum und (kleiner – familiärer, sozialer, kirchengemeindlicher – und großer – kultureller, nationaler, ethnischer, religiöskonfessioneller –) Umwelt (Interdependenz!) beeinflußt.32 Trauer ist ein Ausdruck von Gesundheit! Und: „Leiden und Lebenskrisen sind nicht nur grundsätzlich unvermeidbar, [...] sondern sie stellen auch unverzichtbare Anstöße für die persönliche Entwicklung und den Erhalt der Gesundheit dar.“33
2.2 Begleitung und Beratung – Unterstützung im Trauerprozess
28 Coping beschreibt die Bewältigungstrategien oder Muster, die Versuche eines Menschen, stressreiche Ereignisse, Belastungen oder Krisen zu bewältigen und die dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen.29 vgl. Smith 2002. Ein erster Ansatz, die neue Aspekten im Verständnis von Trauer und Trauerbegleitung einem breiteren Publikum zur Verfügung zu stellen, findet sich in: Paul 2001. (Eine Kritik am Rande: Im Vorstellen der Veränderungen der Traueraufgaben von Worden 1981/1992 beschreibt sie nur die Veränderung der vierten Aufgabe, die Veränderung der zweiten Traueraufgabe findet auch hier keine Beachtung.) 30 Gelcer 1983; Goldbrunner 1996; Morgenthaler 2000.31 Kast 1990, S. 16f. 32 Man bedenke z.B., dass Witwen mit ihren verstorbenen Männern verbrannt wurden. Spannend und nachgehenswert finde ich auch den Hinweis von Yalom 2000, S. 75, dass der Überlebende ja nicht nur einen „Objektverlust“ erlitten hat, „sondern daß er auch dem Verlust seiner selbst begegnet ist. Unter dem Kummer um den Verlust eines anderen liegt die Botschaft: »Wenn Deine Mutter (Dein Vater, Kind, Freund, Partner) stirbt, dann wirst Du auch sterben.«“ Der Interdependenz von Trauer über den Verlust des anderen und der Besorgnis über den eigenen Tod, die ebenfalls Trauerprozesse auslöst, ist noch kaum nachgegangen worden. Wann wird solche Besorgnis über die eigene Sterblichkeit und den eigenen Tod ausgelöst? Verändern weltanschauliche Vorstellungen von einem Weiterleben nach dem Tod die Besorgnisse? Welche Einflussfaktoren gibt es sonst noch?33 Trojan & Legewie 2001, S. 20.
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"Ich betrachte meine Patienten und mich am liebsten als gemeinsam Reisende, ein Begriff, der die Unterscheidung zwischen "ihnen" (den Leidenden) und "uns"
(den Heilern) aufhebt."Irvin D. Yalom
(Yalom 2002, S. 23)
2.2.1 Trauerbegleitung – Eine Einführung
Trauerbegleitung wird gemeinhin als Oberbegriff für die unterschiedlichen Unterstützungsangebote für Trauernde bzw. Hinterbliebene gebraucht, egal ob diese Angebote von selbst Betroffenen, sich ehrenamtlich Engagierenden oder Professionellen unterschiedlicher Berufsfelder angeboten wird. Trauerberatung sollte für professionelle Unterstützungsangebote gebraucht werden, die zudem auch zielorientierte Prozesse umfassen, wird aber oftmals ebenfalls für ehrenamtliches Engagement, als Synonym für Trauerbegleitung verwendet. Die Begriffe sind insgesamt ziemlich wildwüchsig, da sie zum Teil zusätzlich noch alltagssprachlich genutzt werden. Es ist nicht zu vermeiden, dass man genauer hinschauen muss, was im Kontext gemeint ist, weil die sprachliche Differenzierung nahezu nicht aufrechtzuerhalten ist.
Im Rahmen dieser Arbeit meint Trauerbegleitung zunächst einmal im umfassenden Sinn alle Unterstützungsangebote von Selbsthilfeorganisationen, Vereinen und auch professionellen Unterstützern, die diese Menschen nach einer Verlusterfahrung auf ihrem Trauerweg zukommen lassen. Gemeint ist in all diesen Fällen „beauftragte“ Trauerbegleitung, eben die, die auf Veranlassung und in Verantwortung einer Organisation oder eines Dienstes vorgenommen wird.34 Die ganz normale Mitmenschlichkeit, mit der sich Kollegen, Freundinnen, Nachbarn einem trauernden Menschen zuwenden und ihm im Alltag begegnen, bezeichnen wir nicht als Trauerbegleitung.
Unter dem Oberbegriff Trauerbegleitung werden gemeinhin auch Beratungsangebote für Hinterbliebene gefasst, die aus der spezifischen Fachlichkeit der Seelsorge, Psychologie, sozialer Arbeit oder Pädagogik erwachsen. Die ehrenamtlichen UnterstützerInnen im Trauerprozess wurden meist von Professionellen aus den Bereichen Seelsorge, Sozialarbeit (Sozialpädagogik) und Pädagogik auf ihre Aufgaben vorbereitet oder in ihrer Arbeit begleitet – auch dies ein Arbeitsfeld psychosozialer (und seelsorglicher) Beratungsarbeit (mit Einzelnen und Gruppen), das unter dem Begriff Trauerbegleitung firmiert.
34 Das Angebot an Literatur und Fortbildungskursen zur Trauerbegleitung in Deutschland wird zunehmend unüberschaubarer. Demgegenüber ist aktuell noch ein großer Mangel an Knowhow über Trauer und hilfreiche Begleitung sowie zur Differenzierung des Angebots zu verzeichnen. Das Trauerinstitut Deutschland e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, Forschung und Literatur zugänglicher zu machen sowie Ausbildungsstandards für ehrenamtlich Tätige wie für die verschiedenen mit Trauernden befaßten Berufsgruppen zu etablieren. siehe: http//www.trauerinstitut.de.
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Von solcher Trauerbegleitung noch einmal zu unterscheiden wären psychotherapeutische und näherhin traumatherapeutische Interventionen bei Trauernden, die manchmal ebenfalls unter demselben Begriff Trauerbegleitung verhandelt werden.
Trauerbegleitung und beratung haben die Funktion, Trauernde emotional zu entlasten. Sie stehen dabei unter dem Vorbehalt, den der Krankenhausseelsorger Erhard Weiher für die Sterbebegleitung formuliert: „Begleiten kann ich nur bei der Weise, wie er [der Patient, I.L.] seinen Prozess erlebt oder gestaltet. Die Erschließung des Erlebens und seine Gestaltung kann ich hilfreich unterstützen und ‚begleiten‘.“35
Gemeinsam ist ihnen also, dass sie nicht die Aufgabe haben, einen bekannten, nach festen Mustern ablaufenden Prozess (wie das die Phasen und Stufenmodelle suggerierten) zu unterstützen, zu begleiten oder gar zu überwachen, sondern sie stellen ihre jeweiligen Potentiale zur Verfügung, die individuellen und sozialen Prozesse durchzustehen, die nötig sind, um mit einem Verlust weiter leben zu können. Gemeinsam wird das letzte Kapitel im Lebensbuch eines Menschen von den „Nachfahren“ – Angehörigen, Freundinnen und Freunden – geschrieben: Wie waren die letzten Tage, wie ist er oder sie gestorben, wie hat sie gelebt, welchen Sinn hat er für sein Leben und Sterben gefunden, wie hat sie unser Leben beeinflusst und was bedeutet er uns jetzt, wenn wir weiter leben ohne ihn?
Bisher gibt es keine gesicherten Erkenntnisse darüber, wann Trauerbegleitung unbedingt erfolgen soll. Erkennbar ist, dass Menschen um solche Angebote nachsuchen – beispielsweise bei Bestattungsunternehmen, Hospizen oder Kirchengemeinden. Zu bedenken und zu untersuchen wäre in diesem Zusammenhang, inwieweit auch Angebote einen Markt schaffen.
Selbsthilfegruppen und Hospizbewegung waren oft (und sind teilweise) der Überzeugung, dass Trauer immer Begleitung brauche – und das unterstellt, dass die Begleitung im sozialen Netz nicht ausreicht. Untersuchungen, die das für den deutschsprachigen Raum bestätigen oder falsifizieren könnten, liegen – wie gesagt – noch nicht vor. „Eine Untersuchung der Universität von Kalifornien von 1996 hat diese Zahlen vorgewiesen: Demnach benötigen 5060 % der Trauernden keine gesonderte Begleitung, sondern können durch den Beistand von Freunden und Familien ausreichend ihren Trauerweg beschreiten. 3040 % weisen Determinanten einer erschwerten Trauer auf: und nur 10 % bis maximal 15 % weisen eine sehr erschwerte Trauer auf: eine nicht gelebte oder eine verhinderte oder eine entgleiste Trauer, die dann einer strikten psychotherapeutischen Hilfe bedarf.“36
Wenn man dann noch berücksichtigt, dass ein bestimmter Prozentsatz von Menschen kein entsprechendes soziales Netz hat, das Krisensituationen mittragen hilft, kann man begründet annehmen, dass ungefähr 50% derer, die einen anderen an den Tod verlieren, Begleitung und Beratung brauchen.
35 Weiher 1999b, S. 29.36 Timmermanns 1999, S. 230.
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Auch wenn wir nicht gesichert sagen können, wer Begleitung braucht, und auch nicht, was in der Trauerbegleitung bei wem wie wirkt, läßt sich feststellen:„Es spricht viel dafür, daß die „unspezifischen Aspekte“ (1.) einer personenzentrierten Zuwendung, verbunden (2.) mit der Offenheit für den Entwicklungsprozess der Trauer und (3.) der Hoffnung auf ein mögliches Leben mit dem Verlust nicht durch allzu viele differenzierende Aspekte ergänzt werden müssen, um die Wirkungen von Trauerbegleitung zu erklären.“37
In Deutschland gibt es für Begleitung und Beratung von Hinterbliebenen vor allem eine „KommStruktur“, das heißt, der Trauernde muss sich auf den Weg machen und um Hilfe nachsuchen, sei es eine Trauergruppe, Beratung oder Therapie. Es gibt kaum niedrigschwellige, offene Angebote, wie Trauercafes, Reisen u.ä.38 Von daher landen viele Trauernde zunächst einmal bei ihrem Hausarzt, der meist nur rudimentäre Kenntnisse von Trauer hat und die Symptome unhinterfragt medikamentös behandelt.
2.2.2 Trauerbegleitung als Feld ehrenamtlicher Tätigkeit
Trauerbegleitung lebt – unverzichtbar – von der Unterstützung professionell Handelnder durch ehrenamtlich Tätige (oder selbst Betroffene). In einer professionalisierten und spezialisierten Welt ist dies eine Folge des bürgerschaftlichen Engagements im Umfeld hospizlicher Themen. Dies wiederum basiert (unter anderem) einerseits auf der Erkenntnis, dass Solidarität nicht käuflich ist und Engagement für Sterbende und Trauer nicht in eine ökonomisch durchbuchstabierte Welt passen; und andererseits in der Bewußtwerdung, dass Grundthemen wie Krankheit und Vergänglichkeit, Schmerz, Sterben, Tod und Trauer nicht delegierbar an Fachleute sind. Bei der Trauerbegleitung aller UnterstützerInnen geht es darum – im Sinne des EmpowermentAnsatzes39 –, mit Trauernden ein Stück ihres Wegs mitzugehen, bis sie auch ohne die Unterstützung der BegleiterInnen, ohne ihren Trost und ihre konkreten Hilfsangebote wieder eigenen Stand im Leben finden.
„Rouwbegleiding is een proces waarin rouwenden, met hulp en ondersteuning van de rouwbegleider, de gelegenheid wordt geboden om over de verlieservaring te praten en om alle emoties, gedachten en gedragingen die darmee samenhangen te uiten en te delen.“40
Bei Trauerbegleitung handelt es sich, auch wenn es um ehrenamtliche Tätigkeit geht, um
37 TIDStandards, www.trauerinstitut.de, eingesehen am 03.07.2002.38 Auf ein interessantes Angebot wurde ich dieser Tage aufmerksam: Fritz Roth, Bestattungsunternehmer und Inhaber der Privaten Trauerakademie Bergisch Gladbach, hat einen Kochkurs für Trauernde angeboten.39 siehe Fußnote40 Boelen, Huiskes & Kienhorst 2000, S. 81.
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eine geregelte Tätigkeit (im Unterschied zu bloßer Mitmenschlichkeit), für die sich Menschen ausdrücklich qualifiziert und zumindest durch besondere Reflexion vorbereitet haben. Der Akzent liegt bei Trauerbegleitung – anders als bei der Trauerberatung – auf dem Mitgehen – ohne Rekurs auf die spezifische Fachlichkeit, die professionelle UnterstützerInnen mitbringen (können).41
Trauerbegleitung ist ergebnisoffen und nicht zielorientiert. (Dies kann bei Trauerberatung anders sein, muss es aber nicht.) „Der Begleiter kann den Weg des Betroffenen nicht vorgeben. Vortritt hat immer der Trauernde. Begleiter gehen den Spuren nur nach, machen aufmerksam, bestätigen.“42
Die erste Beschreibung von ehrenamtlicher Trauerbegleitung geht auf das Konzept der „friendly visitors“ („freundliche Besucher“; 1909) in Amerika zurück. Die „freundlichen Besucher“ unterstützten Hinterbliebene besonders bei Alltagsproblemen, einschließlich der Existenzsicherung. Bei anderen Problemen, wahrscheinlich den typischen physischen Trauerreaktionen, verwiesen die Begleiter auf einen Arzt.43 1959 wurde in Großbritannien die erste und heute weltweit größte ehrenamtlich getragene Organisation für Trauerbegleitung – Cruse – gegründet. Ihr Angebot reicht heute von Beratung und Unterstützung bei emotionalen Schwierigkeiten bis hin zu praktischen Hilfsangeboten.44 In Amerika startete 1973 mit der Untersuchung „Widow to Widow“ („Witwe zu Witwe“) der Psychologin P.R. Silverman der „Widows Person Service“: Bereits länger verwitwete Menschen besuchen neu Verwitwete und bieten Gespräche und Unterstützung auf ehrenamtlicher Basis an. Dieser Service arbeitet auf kommunaler Ebene und wird von der Gemeinde getragen.45 . In Deutschland gibt es seit Anfang der 1980er Jahre die Verwaisten Eltern e.V., die nach dem Vorbild der „Compassionate Friends“ („Mitfühlende Freunde“, 1969 in England gegründet) organisiert sind. Nach und nach kamen dann weitere Selbsthilfegruppen, die auch Trauerbegleitung oder Unterstützung in der Trauerzeit anbieten, hinzu, wie z. B. die Initiative Plötzlicher Säuglingstod e. V. oder die AIDSHilfeGruppen, die an den jeweiligen Zielgruppen orientierte Hilfen anbieten. Auch die Deutsche Krebshilfe e.V. offeriert Angebote für Hinterbliebene. Offensichtlich entsteht auch in Deutschland ein dichtes – ehrenamtlich getragenes und durch professionelle Kräfte unterstütztes – Hilfsangebot für Trauernde.46
41 Die Etymologie des Wortes zeigt, dass sowohl „leiten, führen“ als auch das abgeschwächtere „mitgehen“ mit Begleitung gemeint sein können. Im folgenden soll es zumindest ansatzweise um eine sprachliche Differenzierung geht, die nicht zuletzt deshalb wichtig ist, weil Trauerbegleitung ein Feld ist, in dem ganz unterschiedliche Professionen ihre Knowhow einbringen und das darüber hinaus ohne ehrenamtliches Engagement nicht auskommt. 42 Weiher 1999a, S. 99.43 Vgl. dazu Smeding (II) 2000, S. 2.44 Informationen zur Geschichte und der Arbeit von Cruse: www.cruselochaber.freeuk.com/about.html.45 Vgl. dazu Jerneizig, Langenmayr & Schubert 1991, S. 57.
Trauernde brauchen – neben niedrigschwelligen Angeboten wie Trauercafes, Wochenendausflügen u.ähnl. – eher aufsuchende, nachgehende Dienste, eine „GehhinStruktur“. Professionell ist das über größere Zeiträume kaum leistbar (weil nicht finanzierbar), auch wenn SeelsorgerInnen, SozialarbeiterInnen und BestatterInnen gerade in der ersten Zeit nach dem Verlust spezielle Aufgaben wahrzunehmen haben. Letztlich ist Trauerbegleitung, die m.E. in einer veränderten, zunehmend individualisierten Lebenswelt unverzichtbar wird, nur ehrenamtlich zu tragen. Dem dient die Vorbereitung von Ehrenamtlichen, die befähigt werden, Trauernde – auch durch Hausbesuche – zu begleiten.47 Derzeit übernehmen Sozialarbeit, Pädagogik und Seelsorge die Qualifizierung Ehrenamtlicher zur Trauerbegleitung – ein besonderes Feld seelsorglicher psychosozialer Arbeit, dem hier jedoch nicht weiter nachgegangen werden kann.48
2.2.3 Trauer oder Hinterbliebenenberatung
Mit Trauer oder Hinterbliebenenberatung werden (meist nur) die professionellen Angebote zur Trauerbegleitung bezeichnet.49
Trauer oder Hinterbliebenenberatung will die Bewältigungsmöglichkeiten von Hinterbliebenen im Umgang mit einem Verlust elaborieren und fördern und Trauernde darin unterstützen, Trauer zu erschließen und das Leben ohne den Verlorenen weiter zu leben.50
46 Qualitativ können hierzu noch keine Aussagen gemacht werden; auffällig ist jedoch, dass vor allem im ehrenamtlichen Bereich die Forschungsergebnisse kaum zur Kenntnis genommen werden. Im deutschsprachigen Raum gibt es noch wenig Forschung zu Trauer und Trauerbegleitung; Forschungsbereiche mit Schwerpunkten in Trauerforschung gibt es derzeit an den Universitäten Mainz, Regensburg und Würzburg.Auf Angebote im Internet zur Begleitung sei hier nur hingewiesen; das Feld ist noch recht neu und „unbeackert“, das heißt über Bedarf, Qualität der Angebote, Wirkung etc. ist noch nichts zu sagen. Beispiel: www.kummernet.de.47 In Deutschland gibt es dazu noch keine Literatur. Bemerkenswert, weil auf dem Stand der Forschung, ist das niederländische Buch des Landelijke Steunpunt Rouwbegleiding zu „Trauer und Trauerbegleitung“, das aus einem Projekt der Universität Utrecht, Nabijblijven, hervorgegangen ist: Boelen, Huiskes & Kienhorst 2000. 48 Die Qualifizierung der Sozialarbeit, Pädagogik und Seelsorge ihrerseits für Trauerbegleitung ist weder fester Bestandteil der Ausbildungen, noch gibt es in Deutschland standardisierte berufsspezifische Fortbildungen dazu.49 Eigentlich müßte es heißen: Mit dem Begriff Beratung sollten nur die professionellen Angebote der Trauerbegleitung bezeichnet werden. Dies entspricht nicht der Realität! Die Professionen könnten ihr Teil dazu tun, zu einer einheitlichen Sprachregelung beizutragen! – Dieses Anliegen vertreten wir und die folgenden Gedanken sind aufgegriffen in: Lamp & Smith 2003. 50 Ausgesprochen selbständige Beratungsstellen für Trauernde sind in Deutschland noch kaum anzutreffen. An der Universität Essen hatte in den 1980er Jahren eine Beratungsstelle für Trauernde ihre Arbeit aufgenommen, die jedoch 1991 geschlossen wurde. Dort wurde die klientenzentrierte Trauertherapie entwickelt. Siehe: Jerneizig & Langenmayr 1992. Andere Angebote sind meist kirchlich verortet.
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Die verschiedenen Professionen definieren Beratung auf ganz unterschiedliche Weise.51
Dies detailliert zu reflektieren ist in diesem Kontext nicht möglich. Ich gehe bei Trauerberatung von einem Beratungskonzept aus, das emanzipatorische Prozesse initiieren, fördern und begleiten will.„Beratung ist: ein zwischenmenschlicher Prozeß (Interaktion), in welchem eine Person (der Ratsuchende oder Klient) in und durch die Interaktion mit einer anderen Person (dem Berater), mehr Klarheit über eigene Probleme und deren Bewältigungsmöglichkeiten gewinnt. Das Ziel von Beratung ist die Problemlösekompetenz.“52
Beratung ist „eine wissenschaftlich qualifizierte Problem, Konflikt oder Krisenbewältigungshilfe [...], die über fachliche Informationsvermittlung, konkrete Hilfen, Ratschläge und Handlungsanweisungen hinausgeht, ganzheitlich orientiert ist und subjektbezogen ansetzt.“53
Im Beratungsprozess – das gilt für Beratungsprozesse allgemein wie für Hinterbliebenenberatung insbesondere – gibt es eine Reihe von Bestimmungsstücken, die dem konkreten Verhalten des Beraters/der Beraterin in der Beratung vorgeordnet sind. Das sind zum Beispiel:
•Zielvorstellungen. Beispiel: Wenn ich als Hinterbliebenenberaterin die Vorstellung habe, dass Trauer aufhören muss, arbeite ich anders, als wenn ich annehme, dass Trauer ein unabschließbares Geschehen ist.
•Vorstellungen darüber, wie sich die angestrebte Situation zur gegenwärtigen verhält.Beispiel: Wenn ich überzeugt davon bin, dass sich Trauer in einem Jahr nach dem Verlust auf eine bestimmte Weise darstellen muss, der trauernde Klient jedoch diesen Vorstellungen nicht entspricht, verweise ich ihn auf medikamentöse oder psychotherapeutische Behandlung.
•Kenntnisse über Trauer – Themen wie Trauerreaktionen, Dauer, Trauer und Identität, Trauer und Weltverständnis usw. •Andere Wissensbestände und deren Einsatzmöglichkeiten in der Beratung von Hinterbliebenen.
51 vg. Sickendiek, Engel & Nestmann 1999.52 Rechtien 1998, S. 16.53 Straumann 2000, S. 65.
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Beispiel: Klientenzentrierte Trauertherapie54 hält den Ansatz von Carl Ransom Rogers (19021987) für geeignet, mit Trauernden zu arbeiten. (Da Hinterbliebene gewöhnlich genau über ihre Gefühle Bescheid wissen, halte ich diesen Ansatz, z.B. das methodische Repertoire des Verbalisierens emotionaler Erlebnisinhalte zur Erschließung von Emotionen, für nicht besonders hilfreich für Hinterbliebenenberatung. Rogers ist im Trauerbereich auch durchaus gefährlich, da der methodische Ansatz emotional verstärkend wirkt an Stellen, wo es ggf. um Realitätsbezug geht.)
•Vorstellungen über den Prozess, seine Rahmenbedingungen und zeitliche Dauer•Möglichkeiten zur Veränderung, die jemand grundsätzlich im Hinblick auf den Umgang mit der Trauer sieht
Beispiel: Der Verlust an den Tod ist unwiederbringlich. Denke ich als Beraterin, dass die Trauer eine Chance darstellt, eine Verbindung mit dem Toten darstellt, das System des Hinterbliebenen neu organisiert, die Wertewelt neu ordnet usw.? Alle diese Vorstellungen wirken sich als Veränderungspotentiale – oder in Stagnation aus.
•Einschätzung der Aussichten, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln – den eigenen wie den Ressourcen des Klienten – das Ziel zu erreichen
Durch die beraterische Kompetenz und das Wissen der BeraterInnen über Trauer gewinnen Hinterbliebene in der Beratung „psychosoziale Kompetenz“, das bedeutet: Sie lernen beispielsweise zwischen gesellschaftlichen Anforderungen, Normen und Werten und ihren eigenen Bedürfnissen, Motiven, Gegebenheiten und Werten zu unterscheiden und daraus Handlungsspielräume für sich zu entwickeln.
Beratung soll Hinterbliebenen bei der Bewältigung einer Verlusterfahrung gewünschte Unterstützung bieten: „Durch Beratung hilft man Menschen, unkomplizierten oder normalen Verlustkummer so zu kanalisieren, daß die Traueraufgaben innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens in heilsamer Weise bewältigt werden.“55
Trauerberatung hat drei Funktionen oder Rollen:• Sie hat eine präventive Rolle, wo bereits im Zugehen auf den Tod „antizipatori
sche – d.h. vorauseilende – Trauerprozesse“ begleitet werden.56 Hauptfunktion ist es dann, dabei behilflich zu sein, die bevorstehenden Veränderungen in der persönlichen und sozialen Welt zu antizipieren. Ob, wie manche vermuten, dadurch Dauer und Ausmaß der nachfolgenden Verlusttrauer abgemildert oder verkürzt werden, lässt sich bislang nicht sicher sagen.
54 Beim klientenzentrierten Trauertherapieansatz der Essener Beratungsstelle der Universität Essen wurde jedoch nicht das Therapiekonzept von Rogers Klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie einfach auf die Zielgruppe Trauernde übertragen, vielmehr wurde von den Trauernden ausgehend „die richtigen und nützlichsten Interventionsformen gesucht.“ Jerneizig u. a. 1991, S. 62. Zur Beratung auf der Grundlage der Kleintenzentrierten Gesprächspsychotherapie siehe: Rechtien 1998, S. 3662.55 Worden 1999, S.46.56 vgl. Feith, Ochsmann, Klein et.al. Mainz [1999]. Rest 2000, S. 1129.
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• Sie hat eine entwicklungs und wachstumsfördernde – auch identitätsstiftende –Funktion
• und schließlich eine heilende Rolle (die in ihren seelsorglichen Aspekten über „kurierende Maßnahmen“ hinausreicht) in dem Sinne, dass sie Krankheiten verhindert und dem „Nachsterben“ entgegenwirkt.
Trauerberatung beinhaltet je nach Problemlage: • Ratsuchende informieren; d.h. z.B. Trauerreaktionen bzw. –symptome einord
nen („normalisieren“) oder Abschiedsrituale verdeutlichen: • ihnen helfen, akute Krisen zu bestehen;• sie in schwierigen Situationen und Entscheidungen, die mit der Verlusterfahrung
gekoppelt sind, unterstützen und begleiten (z.B. Erziehungsfragen, Umzug); • ihnen besseres Verstehen und Bewältigen ihrer Verlusterfahrung, vorausgehen
der Lebenserfahrungen (vor allem in der Zeit der Krankheit) und damit einhergehender Schwierigkeiten ermöglichen;
• ihnen neue Sichtweisen und Deutungen ihrer Situation eröffnen; • sie längerfristig stützend begleiten – evtl. unterstützt durch ehrenamtliche Trau
erbegleiterInnen, deren Dienst sie ihrerseits supervidiert bzw. reflektierend begleitet;
• diagnostische Funktionen, beispielsweise in der Ermittlung erschwerter Trauer, Psychopathologien – um an entsprechende Fachdienste (Psychotherapie, Traumatherapie, Psychiatrie) weiterverweisen zu können.
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2.2.4 Begleitung, Beratung im Trauerprozess – eine seelsorgliche Tätigkeit
Aus dem zur Hinterbliebenenberatung Gesagten ergibt sich eine Positionierung, die auch für die seelsorgliche Beratung gilt, die einen festen Platz in der Trauer und Hinterbliebenenberatung einnimmt: Beratung ist ein professionelles Geschehen. Die Seelsorge teilt mit allen anderen beratenden Berufen kommunikationswissenschaftliche, pädagogische, sozialwissenschaftliche und psychologische Erkenntnisse und Methoden, die dazu dienen, die Aufgaben von Begleitung und Beratung wahrzunehmen.57
„Beratung , verstanden als Ausdruck zwischenmenschlicher Solidarität, gehört zum Urbestand von Seelsorge (Pastoral) und hat in den Kirchen eine lange und erprobte Tradition und einen zentralen Stellenwert.“58
Im Kontext meiner Arbeit im Hospiz als einem nicht ausdrücklich kirchlichen Zusammenhang (in dem Sinne, dass ich nicht von der Diözese angestellt bin und das Hospiz als für Menschen aller Bekenntnisse offene Einrichtung wahrgenommen wird), benenne ich meine Arbeit mit „Seelsorge und Beratung“. Dabei handelt es sich in meinem Selbstverständnis um eine Doppelung: Seelsorge ist (auch, wenn auch nicht nur) Beratung! Seelsorge ist – das teilt sie durchaus mit anderen Fachlichkeiten – Hilfestellung und Begleitung in Fragen der persönlichen und sozialen Lebensgestaltung (durchaus auch als Hilfe zur Selbsthilfe in Lebens und Glaubensfragen) und Beratung in Krisen, Konflikt und Problemlagen.59 Sie ist auch in dem Sinne ganzheitlich, dass sie eben nicht nur bei konflikt oder krisenhaften Situationen ansetzt, sondern sich insgesamt am Leben von Menschen orientiert. So nimmt Seelsorge Trauer auch nicht nur als krisenhafte Situation wahr, für die sie Unterstützungsangebote bereithält, sondern eben auch als Teil des menschlichen Lebens, der – jenseits von Symptomen und Reaktionen – vielfache Fragestellungen auslöst, die in Begegnungssituationen gemeinsam angeschaut, erschlossen, rituell begangen, vor Gott gebracht und meditiert sein wollen.60
57 An dieser Stelle möchte ich noch einmal ausdrücklich machen, dass Begleitung und Beratung im Trauerprozess in Deutschland nach wie vor zu großen Teilen von der Seelsorge getragen sind, auch wenn diese sich zunehmend als diesen Anforderungen nicht gewachsen erweist.58 Schmid 2002.59 Dass die Begriffe Seelsorgliche Begleitung und Beratung fast deckungsgleich verwandt werden – gar noch synonym mit den Begriffen Spirituelle Begleitung und Beratung, dazu siehe z.B. Müller 1995.60 Leider gibt es immer noch Empfehlungen wie diese: Der Seelsorger „kann ermutigen, die Kleider des Verstorbenen wegzugeben, seine Schränke auszuräumen oder womöglich die Wohnung der neuen Situation anzupassen.“ Dies soll natürlich dem „SichTrennen“ vom Verstorbenen dienen. So in: Baumgartner 1990, S. 185. Der Pastoralpsychologe lehrt Trauer als Krise zu verstehen. Er geht den Phasen nach Kast nach und gibt für die verschiedenen Phasen Hinweise für die seelsorgliche Begleitung. (S. 180187). Die deutschen Bischöfe definieren in ihrem Heft Unsere Sorge um die Toten und die Hinterbliebenen. Bestattungskultur und Begleitung von Trauernden aus christlicher Sicht (Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz 1995, S. 48) Trauer als „eine Krisensituation des Menschen, in der durch den Verlust eines anderen ein Stück persönlicher und sozialer Welt zusammenbricht.“ Trauer allein als Krise darzustellen bedeutet jedoch immer eine Verkür
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Seelsorge hat ihren eigenen Ort in der Zeit der Krankheit und des Sterbens (Zeit antizipatorischer Trauerprozesse) sowie im Umfeld der Bestattung (akzentuiert rituellbestimmte Trauerzeit), aber auch in der Begleitung des weiteren Trauerprozesses (Zeit der Trauer im Sinne von Hinterbliebenentrauer). Gemeinhin verbunden wird Seelsorge mit der Unterstützung bei Deutung und Symbolisierung der (Trauer)Erfahrungen.61 Sie ist – auch heute noch – selbstverständlich zuständig für die Übergangsriten (Bestattung). Zu ihren spezifischen Aufgaben gehört es, Menschen bei ihrer SinnSuche62, „beim Entschlüsseln und Verstehen ihrer Symbolisierungen beizustehen“63.
Seelsorge im Feld der Trauerbegleitung hat als Spezifikum „das Erleben der Trauernden spirituell durchsichtig zu machen“64. Das Postulat solcher seelsorglichen Beratung lautet: „Es gibt ein Menschenrecht auf transzendierende Lebensdeutung, die dem Horizont hinter allen Objekten vertraut.“65
Im Vordergrund seelsorglicher Trauerberatung/begleitung steht die Sinnfrage, für die eine Seelsorgerin, ein Seelsorger ein besonders aktiviertes Ohr und Herz hat (oder haben sollte).66 Diese traditionelle Domäne der Seelsorge „gehört zu den Bedürfnissen von Hinterbliebenen, wie die empirische Forschung zeigen konnte. Die Trauerforscher [...] gehen davon aus, dass dieser Prozess der Sinnfindung ganz wesentlich für alle Menschen ist. Für die trauernden Menschen stellt sich eine zentrale Aufgabe, und zwar eine Antwort auf die Frage nach dem Warum zu finden, die wirklich trägt. Wenn durch den Tod einer signifikanten Person ein schwerer Verlust eingetreten ist, dann wird all das, was bisher die Grundlage für die Sinnerfahrung im Leben war, grundlegend in Frage gestellt.“67
Die Frage nach Sinn und Bedeutung der Verlusterfahrung kann in diesem Prozess auch umschrieben werden als Infragestellung der eigenen Identität.
zung!61 So heißt es in: Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz 1995, S. 50: selbstverständlich, dass die Liturgie „die Mitte christlicher Trauerarbeit“ ist; festgestellt wird jedoch im selben Atemzug, dass sie „diese aber nicht ohne die Diakonie leisten“ kann.62 Um Mißverständnissen vorzubeugen: Das soll nicht bedeuten, dass Seelsorge voraussetzt, dass allen Leiden, allen VerlustErfahrungen ein Sinn innewohnt. Seelsorge hält jedoch daran fest, dass Menschen den Erfahrungen, die sie machen, einen Wert und Sinn abringen können. Sie können aus Erfahrungen als Verletzte, hinkend wie Jakob am Jabbok, und Gesegnete, wie er mit einem neuen Namen, einer neuen Identität, hervorgehen. (vgl. Gen 32)63 Weiher 1999a, S. 126.64 Weiher 1999a, S. 121.65 Weiher 1999a, S. 130.66 Vgl. Polspoel 2001. Vielleicht gehört es oft zur Trauer, die Abwesenheit von Sinn auszuhalten (vgl. Kast 1990, S.18f.); auch dabei hat die Trauerpastoral eine spezifische Funktion, weil Seelsorge den Umgang mit diesem Erleben in den religiösen Traditionen aufzuzeigen vermag und weil der Seelsorger oder die Seelsorgerin stellvertretend für die Anbindung an einen letzten Sinn steht.67 Ochsmann 2001.
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„De schok en de confrontatie met de begrensdheid van het leven (contingentieervaring) roept meestalt ook en ervaring van zelfverlies op. De eigen identiteit en de grond van het bestaan ziejn aangetast en dat heeft consequenties voor onze plaats tussen anderen en tussen de dingen die ons omringen. De plaats in tijd en ruimte moet opnieuw gezocht en verworven worden.“68 Für gläubige (oder religiös sozialisierte) Menschen rühren diese Themen und Fragen auch an die Grundfesten bisherigen Glaubens, bisheriger Lebensüberzeugungen und Werte. Die Beziehung zu Gott wird häufig erschüttert und in Frage gestellt. Für all dies suchen Hinterbliebene im Bereich der Seelsorge Gesprächspartnerinnen und –partner.
Andererseits will und darf man das Proprium der Seelsorge als Trauerberatung nicht vorschnell und jedenfalls nicht allein (wiewohl auch) an der JenseitsDimension oder einem spirituellen Inhalt festmachen. Auch ganz alltägliche Themen greifen im Kontext von Trauerpastoral Raum. So gesehen ist christliche Seelsorge zuallererst ein Beratungskonzept, dem das christliche Menschenbild und Weltverständnis zugrunde liegt. Alle Fragestellungen haben im Seelsorgsgespräch ihre Berechtigung.
Christliche Seelsorge und Trauerpastoral basiert auf dem Glauben daran, dass alles menschliche Denken und Verstehen relativ und vorläufig ist. Relativ ist es in dem Sinn, dass es in Relation zu Gott als dem einzig Absoluten steht, und vorläufig, weil kein Einzelner und keine Gruppe die Beantwortung von Wahrheits und Wirklichkeitsfragen gültig für sich beanspruchen kann. Darin ist zugleich das spezifisch Christliche zu sehen und auch ein zutiefst menschliches Existenzial: Umgang mit Relativität und Vorläufigkeit heißt ja auch: das befreiende Ja Gottes zur eigenen Begrenztheit zur realisieren.
Die Relativierung, die mit der eigenen begrenzten Sicht auf die Welt einher geht verbindet sich im jüdischchristlichen Kontext mit dem Selbstverständnis, dass wir uns alle als „Söhne und Töchter Gottes“ verstehen – also eine grundsätzliche Gleichrangigkeit der Menschen postulieren (vgl. Gal 3,3). Dies hat für seelsorgliche Beratung – und insbesondere für Trauerberatung – zur Konsequenz, dass die Seelsorgerin/der Seelsorger eben nicht als Expertin/Experte schon weiss, was für den oder die andere gut ist. Seelsorgliche Beratung wird in diesem Sinne (auch wenn sie sich als professionelles Handeln versteht!) zur personalen Begegnung – und zum Anstoß von Begegnungen, indem sie auf die Gruppe und dann auch auf die Gemeinde verweist (und also immer schon „soziale Unterstützung“ im Blick hat).69
68 Polspoel 2001, S. 176.69 „Seelsorge wird [...] nicht länger als Belehrung und Betreuung durch die eigens dafür von der Hierarchie bestellten Experten (bis vor kurzem vornehmlich Priester), auch nicht als Beratung im Sinne des „Rat Gebens“, sondern als Begegnung begriffen.“ Schmidt 2002, zitiert nach http://www.pfsonline.at/papers/paperpastberatung.htm.
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Seelsorgerinnen und Seelsorger sind nach wie vor sozial sanktionierte TabuVerletzer im Umgang mit Sterben, Tod und Trauer. Das macht ihre besondere Stellung in der Trauer bzw. Hinterbliebenberatung aus.Sie stehen im Dienst der Trauerarbeit, indem sie Hinterbliebenen Gottes Wort zusprechen (selber auch „Hörer des Wortes“!) als „Trost im Elend“ (Ps 119,50). Vor allem aber stiften sie an zum Leben, indem sie die Kommunikation der Vielfalt ermöglichen und die geistgewirkten Ressourcen von Menschen mobilisieren helfen.
In diesem Sinne sind sie Facilitatoren („Erleichterer, Ermöglicher“) zur Persönlichkeitsentwicklung und Lebensführung überhaupt und zur Problembewältigung im besonderen. In der Trauerberatung nehmen sie die Dienste subsidiär wahr, die auch von anderen Professionen wahrgenommen werden könnten, beispielsweise die fachliche Information oder die Einwirkung auf problemverursachende oder verschärfende Verhältnisse.
Seelsorge als Trauerbegleitung und beratung erkennt in den Erfahrungen von Trauernden nicht nur die Gebrochenheit menschlicher Existenz, sondern entdeckt diese Erfahrungen als bestimmende Erkenntnisform für die Kritik an Wirtschafts und Gesellschaftsformen. Konkret bedeutet das, dass es zu den Aufgaben seelsorglicher Trauerberatung gehört, zu kritisieren, wie schnell Menschen nach einem Verlust innerhalb der Arbeitswelt wieder funktionieren müssen; darauf aufmerksam zu machen, dass der Beerdigungstakt auf unseren Friedhöfen nicht dem Empfinden von Trauernden entspricht und nicht mit der Würde der Toten vereinbar ist; zu vermitteln, dass HandyKlingeln bei Beerdigungen Ausdruck schwindender sozialer Kultur ist usw. Im Prozess von Begleitung und Beratung geht es um ein neues Selbstkonzept des Trauernden, das auch in seinen spirituellen und religiöskirchlichen Aspekten Unterstützung erfahren und gewürdigt werden sollte. Gerade in diesem Sinne ist Trauerbegleitung und beratung seelsorgliches Handeln.
Gelingende Trauerarbeit – sofern man davon sprechen kann – interpretiert den Verlust nicht nur als solchen. Sie bewegt sich immer auch in der Domäne der Seelsorge, wenn sie z.B. Aspekte wie Erlösung und Vollendung (mit Blick auf den Verlorenen), Freiheit, neue Verantwortung und Selbständigkeit (im Hinblick auf den Weiterlebenden) und Aspekte der Interdependenz (im Hinblick also auf das Beziehungsgeschehen zwischen Totem und Lebenden) wie Liebe und Hingabe, Schuld und Vergebung in den Blick nimmt.
Hinzu kommt, dass Erinnerung in diesem Prozess eine wesentliche Kategorie ist. Die Erinnerung, das Gedächtnis oder Gedenken hat Bedeutung für unsere Persönlichkeitsentwicklung: „Wir würden unserer Identität Schaden zufügen, wenn wir uns der Erinnerung derer entledigen würden, die unsere Geschichte ausmachen“70. Neuere Trauermodell geben als Zweck der Trauer an: „die Konstruktion einer dauerhaften Biographie der toten wie auch 70 Worden 1991, zitiert nach Smeding/Aulbert, 867.
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der lebenden Person, die den Lebenden dazu befähigt, die Erinnerungen an den Toten und seine fortgesetzten Interaktionen mit dem Toten in sein Leben zu integrieren“71. Seelsorge hat in unseren kulturellen Zusammenhängen diese erinnernde Funktion: Ihr obliegen die Gedächtnisfeiern, und in ihren alltäglichen Riten – wie dem Anzünden einer Kerze für den Verstorbenen – bietet sie neben dem Gespräch rituelle Inszenierungen der Erinnerung.
Seelsorge als Beratung und Begleitung Trauernder findet in ganz verschiedenen Kontexten, zu verschiedenen Anlässen und mit unterschiedlichsten Inhalten, einmalig, kurz, mittel oder langfristig, nach ganz unterschiedlichen methodischen Ansätzen und in vielfältigen Settings statt.Die beratungsrelevante Lebenssituation – „in Trauer Sein“ – wird in der seelsorglichen Beratung nicht als Gefälle wahrgenommen, sondern steht unter der biblischen Perspektive der Seligpreisung der Trauernden einerseits und der in Gott wurzelnden bleibenden Verbindung aller (Lebender und Toter) andererseits, die unter der visionären Verheißung steht, dass er, Gott selbst, alle Tränen abwischen wird.
Begleitung und Beratung Trauernder ist eine unverzichtbare seelsorgliche Tätigkeit, insofern Menschen immer schon und immer auch Trauernde sind. Menschen müssen – eben weil wir sterblich sind – lebenslang mit schmerzlichen Verlusten rechnen und auf dieser Erde leben wir als „Hinterbliebene“.
71 Klass 2000, S. 71.
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3 Das Modell „Trauer erschließen“ von Ruthmarijke Smeding
Das Modell „Trauer erschließen“ soll im folgenden als ein Beispiel der Vorbereitung – unterschiedlicher Berufsgruppen und Ehrenamtlicher – , Trauernde zu begleiten, ausführlich vorgestellt und skizzenhaft mit einem andere Modell zur Qualifizierung Ehrenamtlicher zur Trauerbegleitung verglichen werden. Die Bedeutung von „Trauer erschließen“ für die Begleitung und Beratung Trauernder im Kontext von Psychosozialer Beratung und Seelsorge wird dann diskutiert werden, sowie später dann umgekehrt die Bedeutung von Netzwerkkarte und Genogramm als Beratungsinstrumente in ihrer Bedeutung zur Erschließung von Trauerprozessen.
3.1 Beschreibung des Modells
3.1.1 Allgemeine Einführung
Das TrauerbegleitModell „Trauer erschließen“ wurde von der niederländischen Erziehungswissenschaftlerin Ruthmarijke Smeding entwickelt. Es erkennt drei Gezeiten der Trauer, die sich rhythmisch, wie eben Gezeiten, verhalten, aber nicht linearprozessual, sondern spiralförmig oder zyklisch verlaufen. Nur die erste Zeit, die Zeit bis zur Beerdigung, ist eine einmalige, nicht wiederkehrende Zeit, eine „Schleuse“: Der Leichnam wird den Angehörigen und Nahestehenden mit der Bestattung ein für allemal – unwiederbringlich – entzogen. Da diese Zeit wie ein Durchgang ist, mit einem klar erkennbaren Einstieg, dem Tod, und einem klaren Ausstieg, der Bestattung, wird sie innerhalb des Modells der Niederländerin Schleusenzeit genannt.72 Die Schleusenzeit gehört zur Januszeit; die anderen Gezeiten werden innerhalb des Modells Labyrinthzeit und Regenbogenzeit genannt – sprechende Namen, die die Dynamiken dieser Erlebensweisen einzufangen suchen. Mit dem Bild der Spirale wird angedeutet, dass Trauer nicht einmal nur anwesend, das andere Mal nur abwesend ist; sie hat vielmehr Teil am Lebensweg und seiner Dynamik, kann beispielsweise auch als integrierte Trauer in einem Lebensabschnitt erneute Auseinandersetzung fordern. Trauer kehrt wie die Jahreszeiten wieder – und wie sich die Jahreszeiten in den verschiedenen Regionen der Erde verschieden zeigen, so zeigt sie sich – auch in der Art und Dauer der Wiederkehr – bei jedem Menschen ganz verschieden.
3.1.2 Die Fortbildung „Trauer erschließen“
72 An dieser Stelle lassen wir offen, ob sich bei Einbalsamierungen und Mumifizierungen der Trauerprozess verändert, da ja der Leichnam sich nicht auf dieselbe Weise der sinnlichen Wahrnehmung entzieht.
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Die Fortbildung für das Modell „Trauer erschließen“ besteht aus vier Kursabschnitten – zwei Wochen und zwei dreitägigen Einheiten, die sich über einen Zeitraum von zwei Jahren verteilen. Sie wird geleitet von einem dreiköpfigen Team, das zeitweise von Fachleuten und in Zukunft wohl auch von ehemaligen Kursteilnehmenden als Paten geleitet bzw. begleitet wird. Die Kursteilnehmerinnen und teilnehmer, bis zu zwanzig Personen, kommen aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Trauerbegleitung, gehören verschiedenen Professionen an oder sind ehrenamtlich in der Trauerbegleitung tätig. Im dritten Kursabschnitt wird daher in verschiedenen, zielgruppenspezifischen Untergruppen gearbeitet – u.a. um die Rollendifferenzierung in der Trauerbegleitung zu reflektieren und fachspezifische Inhalte zu vermitteln. Nach jeder Kurseinheit bekommen die Teilnehmenden Aufgaben für die Anwendung in der Praxis und zur Reflexion in regionalen Arbeitsgruppen (Unterstützungsgruppen) mit auf den Weg.Die Fortbildung vereinigt strukturierte biografische Arbeit mit berufsspezifischen Schulungsanteilen. Sie verbindet Übungen zur Erweiterung der persönlichen Wahrnehmungskompetenz mit Theorieanteilen zur aktuellen Trauerforschung, vermittelt das Methodenrepertoire des Modells „Trauer erschließen“ und damit Haltungen der Begleitung.Im Verlauf der Arbeit gibt es täglich Prozessgruppen, die den Tag miteinander reflektieren und (im Plenum nicht bearbeitbare) gruppendynamische Prozesse (Störungen) auffangen sollen; zudem gibt es Fallbeispielgruppen, die anhand konkreter TrauerSituationen Theorieanteile reflektieren oder praktische Übungen durchführen. Beide Gruppen dienen auch der Erweiterung der Handlungskompetenz im Umgang miteinander, mit unterschiedlicher professioneller Kompetenz, unterschiedlichen Sprachspielen, unterschiedlicher Persönlichkeit usw.Das Modell vereinigt in sich unterschiedliche theoretische Ansätze73: Es ist beeinflusst von den Gedanken des Doktorvaters von Smeding, dem amerikanischen LehrPsychiater Colin Murray Parkes. Die Utrechter Forschungsgruppe Trauer (um Stroebe, Schut) hatte großen Einfluß auf Smeding sowie die Ansätze des amerikanischen Familienanthropologen Paul Rosenblatt und Grundgedanken des israelischen Psychotherapeuten Shimson Rubin. Da sind zum anderen Ideen aus der Lerntheorie des Amerikaners David Kolb und Einflüsse des Religionspsychologen Dennis Klass zu verzeichnen. Die Begegnung mit anderen Kulturen und der Umgang mit christlichen, jüdischen, buddhistischen und moslemischen Quellen haben das Modell ebenfalls stark beeinflußt und das Wissen über und der Umgang mit Ritualen nimmt einen hohen Stellenwert in dem Modell „Trauer erschließen“ ein. Spiritualität hat unhinterfragt ihren Platz im Modell – auch insofern als zur Fortbildung spirituelle Elemente selbstverständlich dazugehören.Die Trauernden, mit denen Smeding über Jahrzehnte gearbeitet hat in verschiedenen Ländern der westlichen Welt, gelten ihr selbst wohl als die wichtigsten Lehrer, Trauer zu erschließen. Sie als solche wahrzunehmen, dazu ermutigt sie auf hervorragende Weise.
73 vgl. Smeding (III) 2000, S. 1.
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3.1.3 Grundannahmen des Modells „Trauer erschließen“
Das Modell hat folgende Grundannahmen:1. Trauer ist keine Krankheit. Daher bedeutet Trauerbegleitung in erster Linie,
Menschen in ihren eigenen Reaktionen zu bestätigen und ihren Weg mitzugehen.
2. Trauerbegleitung bedeutet kein Expertentum. Fachwissen ist wichtig, weil es dazu dient, mit Vorurteilen und Irrtümern aufzuräumen. Jedoch geht es eigentlich um Einübung von Lebenswissen im Umfeld von Verlust und Abschied, Loslassen und Trauer und um ein Miteinander im Umgang mit angeeigneten Lebens, Erfahrungs und Fachwissen in Bezug auf Verlusterfahrungen.
3. Trauerbegleitung ist keine Therapie, sondern ein Prozess mitmenschlicher Unterstützung. Von daher sind therapeutische Methoden auch nur von Therapeutinnen einzusetzen. Im Modell geht es um Erschließungsprozesse.
4. Trauer wird nicht „abgeschlossen“ – wie eine Reparatur, sondern eher „integriert“. Der Begriff der Resttrauer steht für das, was angestoßen durch unterschiedlichste Reize, an Trauer immer wieder einmal aufbrechen kann.
5. Trauerbegleitung ist wirklich Begleitung; sie hat sich als solche an den Fragen, dem Tempo, der Weltanschauung, den Lebenserfahrungen usw. des Trauernden zu orientieren. Komplementär dazu und gleichberechtigt bringt sich der Begleiter/die Begleiterin in den Prozess ein.
6. Trauer ist die Fähigkeit, den Lebensweg nach einem Verlust neu zu erkunden und unter die Füße zu nehmen. Trauerbegleitung erkundet die inneren Fähigkeiten und äußeren Ressourcen von Trauernden, damit sie ihren Weg nach ihren Bedürfnissen gehen können.
7. Anerkennung dessen, was aus der Perspektive des oder der Trauernden jetzt das Wichtigste/Vorrangigste/Bedeutsamste ist.
3.1.4 Die Gezeiten des Modells
3.1.4.1 Januszeit – Einstieg: SchleusenzeitDer Eintritt in die „Schleusenzeit“ beginnt mit dem Sterben eines Menschen und der Gestaltung dieser letzten Lebenszeit, der Stunde(n) des Abschieds oder auch, wenn der Angehörige74 die Todesnachricht erhält.Schleuse – dieser Begriff zeigt an, dass es – im Unterschied zu den anderen Gezeiten – eine abgegrenzte Zeit ist. Die „Trauer“Schleuse reicht zeitlich bis zur Beerdigung/Bestat–tung eines Menschen – vielleicht noch – abhängig von kulturellen Faktoren – in die vierzig Tage darüber hinaus. Sie markiert jedenfalls die Umwandlung des verstorbenen, den Sin
74 Angehöriger wird hier allgemein gebraucht im Sinne von Zugehörigkeitsgefühl und nicht allein für familiale Beziehungen.
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nen noch gegenwärtigen (greifbaren, riechbaren, sichtbaren) Angehörigen – des Opas, Bruders, der Mutter, Tochter, des Freundes – in den toten Leichnam, der unserem Zugriff entzogen ist. Die Schleuse öffnet sich nur in eine Richtung; es gibt kein Zurück: Mit dem Durchgang durch die Schleuse ist aus dem Angehörigen nun wirklich der Verstorbene und aus den Zurückbleibenden sind Hinterbliebene geworden.75 Jetzt erst würde sich z.B. eine Frau als Witwe bezeichnen.Mit dem Bild des Gottes Janus, der in die Vergangenheit und in die Zukunft schaut, präsentiert sich die darauffolgende Zeit als Zeit des Hin und Hergerissenseins. Sie ist geprägt von der Bindung an die Vergangenheit: das Leben mit dem lebenden Du, und der Notwendigkeit, in eine Zukunft ohne den anderen oder die andere weitergehen zu müssen. Sie ist geprägt von der „Doppelköpfigkeit“ der Zeit: der Kalenderzeit einerseits, der Trauerzeit andererseits. Die normale Kalenderzeit schreitet unaufhörlich weiter, alles scheint geblieben, wie es war: der Morgen kommt, die Alltagsverrichtungen müssen getan werden, der Sommer kommt, der Urlaub, der Geburtstag, jahreszeitliche Feste ... Gleichzeitig gibt es jedoch für vom Tod Betroffene einen neuen Rhythmus, der erst gehört, gefühlt, gelebt, eingeübt werden will: ohne ihn oder ohne sie heißt es jetzt. Die Trauer zeigt sich nach und nach in all ihren Dimensionen: mit ihren sozialen, physischen, emotionalen, intellektuellen und spirituellen Aspekten. Die Welt mit ihrem Alltag scheint unverändert und alles geht normal weiter. Langsam jedoch dringt der Verlust in seiner ganzen Tragweite zum Trauernden durch. Nichts ist mehr so, wie es war. Für den Trauernden wird es nötig, das Vakuum, das der Verlust des Verstorbenen hat entstehen lassen, zu erfahren, zu erleben, auszuhalten. Er oder sie sieht sich immer wieder SinnFragen gegenüber stehen: „Wie“ und „wofür“ ist mein Leben – ohne den Verstorbenen – zu leben? Gleichzeitig geht das Leben scheinbar normal weiter und die Aufgaben des Lebens müssen wie bisher erfüllt werden, z. B. im Beruf oder als Mutter kleiner Kinder. Diese Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Empfindungen, Sichtweisen und Anforderungen führt häufig auch zu körperlichen Symptomen: Konzentrations, Schlaf und Essstörungen, Herzbeschwerden und vieles andere.76 Trauernde berichten häufig, dass sie diese Zeit außerhalb ihrer Selbst als irreal, verschoben, nicht stimmig, sich als verrückt erlebt haben. Sie ziehen sich oft aus der „normalen“ Welt, aus bisherigen Beziehungen und von bis dahin gewohnten Lebensweisen zurück.
75 So sprechen auch die deutschen Bischöfe (Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz 1995, S. 49), von „PassageRiten“, davon dass dem Trauerritual zukommt, „symbolisch den Weg der Trennung vom bisherigen Status zur Annahme des neuen“ aufzuzeigen. 76 Sypmtome, die von Forschungen bestätigt wurden und als „Trauersymptome“ oder „trauerreaktionen“ bezeichnet werden. Vgl. Smith 1993, S. 55. Hinweise auf Forschungen zur Symptomatologie der Trauer finden sich bei Jerneizig, Spiegel ( siehe Literaturliste) u.a.
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3.1.4.2 LabyrinthzeitNach und nach wird ein neuer, eigener Rhythmus gefunden: der oder die Trauernde versucht, mit der Trennung umzugehen, an den roten Faden der Beziehung auf neue Weise anzuknüpfen und so den labyrinthischen Lebensweg zu gehen. In dieser zweiten Gezeit machen Trauernde die Erfahrung, dass nichts so ist, wie es mal war. Nicht einmal das erlernte Krisenverhalten, mit dem bis jetzt mehr oder weniger erfolgreich die Anforderungen des Lebens gemeistert wurden, funktioniert noch. Selbst Trauernde, die schon Erfahrung mit dem Tod eines geliebten Menschen gemacht haben, müssen erleben, dass damals hilfreiche Strategien zum Weiterleben heute nicht greifen. Das Bild des Labyrinthes weist auf unterschiedliche Aspekte hin:
• „Der Weg des Labyrinthes führt zur Mitte und von dort aus auch wieder heraus. Für den Trauernden kann dies bedeuten, er entdeckt für sich die eigene Mitte oder kommt in dieser Zeit wieder mit ihr in Kontakt.
• Der Weg führt an die Mitte heran, dann wieder von ihr fort, aber es bleibt der richtige Weg. Der Trauernde hat immer wieder das Gefühl, dass es nicht besser wird, dass die bereits zurückgelegte Strecke des Trauerweges keine Veränderung bewirke. Dann auch wieder das Gefühl, es geht weiter, die Beziehung zum Verstorbenen, zu Familie, zu Freunden etc. wird immer wieder angesehen, und es wird entschieden, das ist wichtig und dies nicht.
• Viele Kurven und Richtungsänderungen und damit verbundene Unsicherheiten oder Ängste befinden sich auf diesem Weg. Der Weg im Labyrinth ist eine außerordentlich schmerzvolle Zeit, die teilweise massive Auswirkungen auf den ganzen Menschen, d. h. physisch, psychisch, kognitiv, spirituell und sozial, haben kann.
• Es ist nicht klar, was die Mitte bietet, welcher Sinn sich erschließen lässt. Alle Trauernden beschäftigen sich mit dem Verstorbenen und mit ihrer Beziehung zu der nicht mehr lebenden Person. Auf dem Weg im Labyrinth sortiert der Trauernde alles, was war, was geblieben ist, was bleiben soll, was losgelassen werden kann, was sinnvoll für das kommende Leben ist.“77
Der Durchgang durchs Labyrinth dauert ein bis drei Jahre: eine Zeit, in der Trauernde immer einmal wieder Unterstützung für ihre Orientierung, für Sortierprozesse, Wegsuche brauchen. Die Labyrinthzeit ist eine Phase des Vor und Zurück: Trauernde erlernen einerseits, das Chaos zu ordnen, erleiden andererseits immer wieder Einbrüche des Chaos.
3.1.4.3 RegenbogenzeitZunehmend leben Trauernde damit: Du bist verstorben – ich lebe weiter. Der Regenbogen als Hoffnungszeichen der Zukunft steht über dieser Gezeit, weil sie signalisiert, dass die Zukunft mit dem Toten gefunden worden ist. Der oder die Trauernde hat eine relative Gewißheit, dass er oder sie alle Fähigkeiten zum nächsten Schritt hat. Der Tote hat seinen Ort
77 Smith 2002, S. 2223.
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in der Biographie des einzelnen und des unmittelbaren sozialen Systems (Familie, Freundeskreis) bekommen.Dazu zeigt Smeding vier Möglichkeiten auf:
A. Trauernde betrachten ihren Trauerweg als „abgeschlossen“ B. Hinterbliebene ritualisieren ihre Verbindung zum BetrauertenC. Die/der Betrauerte wird im Alltag auf neu erschlossener Ebene jeweils inte
griert; er oder sie wird mitgenommen in der weiteren Entfaltung der Familien und/oder persönlichen Biografie.78
D. Zudem gibt es Kombinationen der drei Möglichkeiten.
Neue Auslöser – wie ein Gedenktag, eine Geburt, ein ähnliches zum Tode führendes Ereignis im Lebensumfeld etc. – können ein erneutes Erleben der Trauergezeiten verursachen. Wieder wird der Verlust und die Beziehung zum Verstorbenen in den Blick gerückt, und der Hinterbliebene kann erneut kleine – das bedeutet zeitlich kürzere und in der Intensität verminderte – Janus, Labyrinth und Regenbogenzeiten erleben, die er oder sie gewöhnlich ohne Begleitung durchsteht.
3.1.5 Zur Bedeutung des Modells „Trauer erschließen“
Das Modell „Trauer erschließen“ nimmt die Idee der Begleitung ernst: Es geht nicht um eine neue Profession Trauerbegleiterin/Trauerbegleiter, sondern um die Vertiefung der „Alltagskompetenz“ von Menschen, die einander zu Weggefährten auch in Krisenzeiten werden können. Insofern richtet es sich auch zunächst an Menschen, die ehrenamtlich – in mitmenschlicher Solidarität – Trauernde begleiten. Die Fähigkeit zu lernen ist der Ausgangspunkt, von dem aus Trauer betrachtet wird. Diejenigen, die Trauernde begleiten, werden befähigt, solche Lernprozesse zu unterstützen: durch Bestätigen, Annahme dessen, was ist, Einladungen, Neues oder Anderes auszuprobieren. Das Erarbeiten bzw. Reflektieren von Grundhaltungen im Umgang mit Hinterbliebenen ermöglicht solches Lernprozesse stützende Begleiten und erweitert auch die Kompetenz von in der Trauerberatung Tätigen. Dem Begleiten und Beraten dienen auch die Erweiterung des Wissens über Trauerprozesse und ebenso die Abgrenzungen zu Situationen, in denen andere professionelle Kompetenzen gefordert sind. Bei „Trauer erschließen“ wird an der Differenzierung der Tätigkeiten der verschiedenen Berufsgruppen gearbeitet; so dient ein Block der Begegnung des sonst meist unsichtbar wirkenden Teams von Ehrenamtlichen, Ärztinnen, Sozialarbeitern, Seelsorgern usw. Es wird an der Vernetzung der verschiedenen in Trauerprozesse verwickelten Menschen gearbeitet, wer was wo und wann macht – und welche Vorteile es haben könnte, wenn das „unsichtbare Team“ zusammenarbeiten würde.
78 Smeding 2000, S. 15.
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Allerdings erscheinen die Professionsgrenzen manchmal etwas willkürlich gezogen und entsprechen nicht immer der Realität der in der Praxis geleisteten Arbeit und dem Selbstverständnis der Professionellen. Das liegt für den Bereich der Seelsorge sicherlich daran, dass sie recht einseitig in ihrer rituellen und deutenden Funktion wahrgenommen und verstanden wird. Die dem Modell zugrundeliegenden Annahmen und Haltungen werden sich, wenn sie ernstgenommen werden, in allen Bereichen, in denen Aspekte der Trauerbegleitung eine Rolle spielen – also überall da, wo Menschen trauernden Mitmenschen begegnen – auswirken.
Für den Bereich der Gesprächsführung mit Trauernden lehrt das Modell sehr akzentuiert, dass das Repertoire der Gesprächsführung nach Rogers, das Aktive Zuhören etwa, im Umgang mit Trauernden nicht unbedingt hilfreich ist.
Das Modell begrenzt sich ausdrücklich auf die Begleitung „normaler“ Trauer und die „gefährdete Trauer, sofern sie sich im Rahmen des Normalen bewegt.
Das Modell ist offen, innerhalb der fachlichen Bereiche methodisches Handwerkszeug zu integrieren, das aus verschiedenen Disziplinen stammt. Wichtig vom Ansatz „Trauer erschließen“ her ist es, dass die Verwendung von Methoden als Erschließungsinstrumente erfolgt, das heißt, dass Trauernde als selbstbestimmt Lernende betrachtet werden.
Genogramm und Netzwerkkarte – das wird zu zeigen sein – eignen sich zur Integration in „Trauer erschließen“, weil und insofern sie nicht als therapeutische Methoden eingesetzt werden. Da wo sie der Visualisierung systemischer (oder sozialer) Zusammenhänge dienen, kann der Trauernde selbst sie nutzen, sich mit den sozialen Zusammenhängen und Auswirkungen seiner Verlusterfahrung auseinander zu setzen.
3.2 Vergleich des Modells „Trauer erschließen“ mit dem Frechener Modell zur Qualifizierung Ehrenamtlicher zur Trauerbegleitung79
Um das psychoedukative Modell „Trauer erschließen“ einordnen zu können, das sich im Unterschied zu anderen Modellen der Trauerbegleitung auch an professionell Tätige in der Trauerbegleitung und beratung (und therapie80) richtet, sei es mit einem anderen Modell zur Befähigung zur Trauerbegleitung81 verglichen: dem so genannten Frechener Modell. Es handelt sich dabei um das unseres Wissens bisher einzige veröffentliche Qualifizierungsmodell, das im Rahmen der Arbeit des „Hospiz in Frechen e.V.“ entstanden ist. Ihm kommt nicht nur dieses Verdienst zu, als Veröffentlichung vorzuliegen, sondern es dürfte auch eine Vorreiterrolle in Deutschland gehabt haben. Hinzu kommt, dass aufgrund dieser im Frechener und Kölner Raum gesammelten Erfahrungen das Thema Trauer und Trauerbegleitung, aber auch die Differenzierung von Aufgaben innerhalb der Trauerbegleitung sowohl in einer breiteren Öffentlichkeit wie auch unter FachkollegInnen thematisiert wurde – was zunächst zur Gründung eines Trauernetzwerks NRW, dann zur Gründung des Trauerinstituts Deutschland e.V. geführt hat.Das Frechener Modell zur Befähigung Ehrenamtlicher zur Trauerbegleitung ist von der dortigen Hospizkoordinatorin, der Krankenschwester Agnes Laurs (damals in Ausbildung zur Familientherapeutin), dem ersten Vorsitzenden des Hospizvereins, Pfarrer Matthias Schnegg, (Psychodramaleiter) und dem zweiten Vorsitzenden Michael Spohr (DiplomTheologe und DiplomPsychologe, Supervisor) entwickelt worden.Es wurde erstellt in Zusammenarbeit mit ALPHA82, der Ansprechstelle im Land NordrheinWestfalen zur Pflege Sterbender, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung.
3.2.2 Skizze des Modells
Das Frechener Modell wurde Ende der 1990 Jahre im Rahmen der Hospizarbeit im Frechener Raum entwickelt. Es wendet sich ausdrücklich und ausschließlich an Ehrenamtliche, die im Kontext hospizlichen Engagements in der Trauerbegleitung tätig werden wollen. Die Schulung ist über einen Zeitraum von zwei Jahren konzipiert und umfasst:
• ein Selbsterfahrungswochenende, das zur Auseinandersetzung mit biographischen Trauerthemen einladen will,
• ein Anfangswochenende, das in den Kurs als Ganzen einstimmt,• eine Tagesveranstaltung zu Phänomenologie und Phasen der Trauer,• eine Abendveranstaltung zu halluzinatorischem Erleben in der Trauer,• eine Abendveranstaltung zu systemischen Aspekten der Trauer,80 Smeding betont allerdings, dass sie keine therapeutische Begleitung innerhalb des vierwöchigen Kurses „Trauer erschließen“ lehrt!81 Andere Qualifizierungen – wie etwa das Regensburger Modell – sind meist nicht veröffentlicht und richten sich an einzelne Zielgruppen – dort sind das recht ausschließlich Seelsorger und Bestatter. In den Ausbildungen der verschiedenen Berufsgruppen kommt Trauer (und kommen Trauerbegleitung und beratung) nicht oder sehr reduziert bzw. auf veraltetem Kenntnisstand beruhend vor. Zum Regensburger Modell siehe: Holzschuh 2001. 82 Gegründet 1992 zur Gesamtkoordination der vielfältigen Aktivitäten im HospizBereich in NRW.
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• eine Tagesveranstaltung zu Riten und Ritualen in der Trauerbegleitung,• eine Abendveranstaltung zu Zielen der Trauerbegleitung – Ressourcen für eine „gute“
Trauer,• eine Abendveranstaltung zu Haltungen des / der Trauerbegleiters /in und• ein Abschlußwochenende als Praxisanleitungswochenende, das in die Bildung der Su
pervisionsgruppen mündet.
Die Leitung übernimmt das DreierTeam, das den Kurs konzipiert hat. Die Gruppe kann bis zu 24 Teilnehmerinnen und Teilnehmer umfassen und wird phasenweise in stabile Untergruppen mit 8 Teilnehmenden aufgeteilt.
3.2.3 Kritische und vergleichende Anmerkungen
Die Frechener Schulung ist – in der vorliegenden Fassung – sehr therapieorientiert, näherhin auf Psychodrama und systemischen Ideen basierend. Sie ist schon in ihrem Aufbau angelehnt an Modelle von Beratungs und Therapieausbildung, die in einem Dreischritt Selbsterfahrung, TheoriePraxisErarbeitung und Supervision der eigenen Praxis der TeilnehmerInnen in Kleingruppen schulen. Therapeutische Themen (wie Halluzinationen oder Systemik) wirken sehr dominant und erscheinen mir der Zielgruppe Ehrenamtliche nicht angemessen aufgearbeitet.Die Frechener Schulung wirkt – auch wenn das Gegenteil betont wird – eher so, als würde nun eine neue Berufsgruppe Trauerbegleiter gebildet. „Trauer erschließen“ betont demgegenüber und erarbeitet Grundhaltungen der Trauerbegleitung. Das Modell „Trauer erschließen“ hat ebenfalls gestalttherapeutisch oder psychodramatisch orientierte Elemente (beispielsweise in der Methode „Symbole erschließen“) umgesetzt, lädt aber nur zurückhaltend zur persönlichen Umsetzung solcher Methoden – ohne Erfahrung schon gar nicht – ein.Religiöse Aspekte der Trauer, Trauerformen, gestaltung fehlen im Frechener Modell völlig. Beerdigung zum Beispiel kommt als Thema gar nicht vor. Felder, in denen Ehrenamtliche Trauernde begleiten können (wie z.B. Etablierung von Trauercafes) oder auch die konkrete Gestaltung von Einzelbegleitungen (etwa was den Kontrakt zwischen Ehrenamtlichem und Trauernder, zeitliche Dauer der Begleitung usw. angeht) werden nicht thematisiert.83 Im Gegensatz zum Frechener Modell betont „Trauer erschließen“ die Unterschiede von ehrenamtlichen und professionellem Engagement in der Trauerbegleitung und arbeitet ausdrücklich an der klaren Abgrenzung der unterschiedlichen Begleitungsangebote.
83 Ganz anders bei niederländischen Modellen; vgl. Boelen, Huiskes & Kienhorst 2000.
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4 Genogramm und Netzwerkkarte – Integration von Instrumenten psychosozialer Arbeit in die Trauerpastoral
4.1 Trauer und soziales Netz
4.1.1 Das soziale Netz
Unter dem sozialen Netz versteht man das Beziehungsgefüge eines Menschen.84 Alle Verwandten, FreundInnen, ArbeitskollegInnen, NachbarInnen, Mitglieder der Kirchengemeinde, Vereinskumpane, professionelle UnterstützerInnen – wie Pfarrer, Arzt, Therapeut, EssenaufRädernFahrer, Pflegende... – können als Teile eines sozialen Netzes gesehen werden.
Den Blick auf soziale Zusammenhänge haben die Systemtheorien geschärft. Systemtheorien85 sind in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren entstanden. Sie basieren alle auf Ideen von Ludwig von Bertalanffy, dem Begründer der Kybernetik (Lehre von der Steuerung technischer Systeme), Norbert Wiener, einem Informationstheoretiker, und Gregory Bateson, Philosoph und Anthropologe (dem „Papst“ der Systemtherapien). Man erkannte zu dieser Zeit, dass ganz unterschiedliche Phänomene oder Prozesse Attribute von Systemen, wie sie in der Physik untersucht wurden, teilen, dass es soziale, biologische und mechanische Systeme gibt. Was allen gemeinsam ist „that is, a unified whole that consists of interrelated parts, such that the whole can be identified from the sum of its parts and any change in one part affects the rest of the system“86.Funktionierende Systeme tendieren dazu, immer aufs neue ein Gleichgewicht87 herzustellen. Dazu nutzen sie Feedback. (Beliebtes Beispiel aus dem technischen Bereich: die häusliche Zentralheizung. Die Temperatur in den Wohnräumen wird über Thermostate geregelt, die sozusagen die Feedbacknehmer und geber sind, die vorgegebene Temperatur stellt das zu erreichende Gleichgewicht dar, das durch die Thermostate erzielt werden soll.) In allen Systemen gibt es eine Reihe von Rollen, die stabil übernommen werden. Neben diesem HomöostaseKonzept entstanden andere, die von Begriffen wie Fluktuation, Chaos, Synergetik und Selbstorganisation bestimmt sind. Vor allem die Sprache, die immer sozial ist, kam dabei neu in den Blick, weil Menschen mit Sprache sich in der Welt orientieren, ihre Identität entwickeln und Beziehungen leben. Es geht in allen systemischen Ansätzen darum, ein neues Verständnis von sozialen Systemen zu finden und daraus Ideen für Beratung und Therapie abzuleiten. 84 In der Literatur wird darunter manchmal nur das natürliche Umfeld einer Person verstanden; manchmal werden aber in soziales Netz, soziale Unterstützung auch Selbsthilfegruppen und professionelle Hilfen einbezogen (manchmal als künstliche soziale Netzwerke bezeichnet), wie das hier im folgenden der Fall ist. 85 Hier sehr vereinfacht dargestellt. Zur Geschichte und zu Schulen ausführlich in: Schlippe & Schweitzer 2002.86 McLeod 2000, S. 114 (er zitiert Guttmann 1981:41).87 Zum HomöostaseKonzept siehe Schlippe & Schweitzer 2002, S. 6167.
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In unserem Zusammenhang reicht es festzustellen:„Der Begriff System bezeichnet eine Gruppe von Menschen, die als funktionales Ganzes interagieren. Weder die Menschen noch ihre Probleme existieren in einem Vakuum. Beide sind untrennbar mit größeren Interaktionssystemen verwoben, von denen das grundlegendste die Familie ist. Die Familie ist das primäre und – von wenigen Ausnahmen abgesehen – einflussreichste System, dem ein Mensch im Laufe seines Lebens angehört.“88
Verändert sich etwas im System Elemente, Strukturen, Muster, Verhalten einzelner , so hat das Auswirkungen auf jeden im System und so verändert sich das System als Ganzes. Soziale Systeme sind lebendige, dynamische Gebilde, die sich immer in Veränderungsprozessen befinden. Sie verfügen über eine zumindest potentiell „unendliche Bandbreite an Möglichkeiten, sich zu verhalten“89.
„Die Stärke sozialer Netzwerke [...] liegt in der Vielfalt der im einzelnen geleisteten Unterstützungsformen, angefangen von der emotionalen (Einfühlung, Fürsorge, Gefühle der Geborgenheit und der Dazugehörigkeit), über die instrumentelle (konkrete Dienstleistungen, materielle Hilfen), informelle (Anregungen, Ratschläge, Vermittlung von Wissen und Kenntnissen) bis hin zur motivationalen Unterstützung (vgl. Diewald 1991).“90
4.1.2 Der Tod und das soziale Netz
Der Tod einer wichtigen Bezugsperson verändert das soziale Netz eines Menschen. Indem sich die Beziehungen und Rollen wandeln, verändert sich das persönliche soziale Unterstützungssystem, und es verändern sich die Möglichkeiten der Person, soziale Unterstützungsmöglichkeiten wahrzunehmen und zu nutzen.
Ob ein Mensch nach einer Verlusterfahrung psychosoziale und seelsorgliche Unterstützung von Professionellen oder Hilfsorganisationen in Anspruch nimmt, dürfte davon abhängen, wie er sich eingebunden fühlt in sein soziales Netz. Natürliche soziale Netzwerke bieten ja oft selbst Hilfen an: Die vertraute Nachbarin, die selbst Witwe ist, vermittelt, wie sie es geschafft hat, mit dem Verlust ihres Mannes zu leben; der Nachbar hilft beim Rasenmähen; Frauen aus der Kirchengemeinde unterstützen dabei, den Nachmittag für die Kinder zu organisieren, deren Mutter verstorben ist, laden sie zum Mittagessen ein, betreuen die Hausaufgaben usw.
Das soziale Netz beeinflusst das Hilfesucheverhalten:
• indem es die Belastungserfahrung abpuffert;88 McGoldrick & Gerson 2000, S. 17.89 Schlippe & Schweitzer 2002, S. 56.90 Lenz 1997, S. 98.
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• indem es Hilfsangebote positiv und unterstützend wertet oder eben verunglimpft und als überflüssig herausstellt, Werte, Normen und Einstellungen zur Hilfesuche kolportiert;
• indem es auf konkrete Überweisungsinstanzen oder Suchmöglichkeiten für professionelle Unterstützung hinweist
• oder auch die Inanspruchnahme professioneller Unterstützung dadurch verhindert, dass es selbst instrumentelle und affektive Unterstützung anbietet.
Menschen wirken also „als Informationslieferant, Pfadfinder und Begleitschutz im Dickicht des psychosozialen [...] Versorgungssystems“91.
Die Veränderungen, die ein Verlust an den Tod für das Beziehungsgefüge bedeutet, werden sehr subjektiv empfunden: Die bislang erlebte Unterstützung durch den nun toten Menschen wird vom hinterbliebenen Menschen als einzigartig und unaustauschbar empfunden. Der Verlust schafft eine Lücke, die von einem anderen nicht (oder nicht auf dieselbe Weise, nicht adäquat oder nicht in unmittelbarer zeitlicher Folge) ausgefüllt werden kann, auch wenn er oder sie theoretisch dieselbe Unterstützung geben könnte und wollte.
Der Tod beeinträchtigt aber nicht nur die Unterstützung, die der Mensch durch den Verstorbenen erhalten hat, sondern ist auch wirkmächtig im Hinblick auf die gegebene Unterstützung, weil Unterstützung häufig reziproker Natur ist. „So kann sich ein Mensch, der mit dem Tod […] einer geliebten Person konfrontiert ist, fragen, «wohin» er mit seiner Liebe, Zuneigung, Freundschaft und materiellen Unterstützung soll, die zuvor an die geliebte Person gerichtet waren. […] Mit dem Verlust einer Person, die ein wichtiger Empfänger der eigenen Unterstützung gewesen ist, empfinden Individuen ihr Leben häufig als leer und sinnlos.“92
4.1.3 Familie und soziales Netz als Trauersystem(e)
Durch den Tod eines Menschen wird aus dem Familiensystem ein „Trauersystem“: Alle Personen mit ihren spezifischen Beziehungen, Rollen und Aufgaben werden durch den Verlust beeinträchtigt und müssen sich nach dem Verlust neu ordnen bzw. die Beziehungen, Rollen und Aufgaben neu organisieren. „Das System muss die Aufgabe des Trauerns bewältigen“93. Das kleine Beziehungssystem Familie ist in diesem Prozess in größere Systeme, die Nachbarschaft, das Dorf, die Kirchengemeinde, das Land etc., eingebunden, die auch Einflussfaktoren für die Trauer bilden: Die Systeme bestimmen, wer, ob und wie lange oder in welcher Form getrauert werden darf.94
91 Herrle 1998, S. 60.92 vgl. Pearson 1997, S. 46.93 Goldbrunner 1996, S. 42.94 Vgl. Goldbrunner 1996, S. 5659.
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Trauer ist also einerseits ein höchst individuelles – innerpsychisches – Geschehen und wird andererseits auf höchst komplexe Weise von Systemen, sprich vom unmittelbaren Lebensumfeld einer Person und von größeren Einheiten bis hin zur Kultur eines Volkes, dem eine Person angehört, bestimmt. Trauer erfasst einerseits auf ganz eigene Weise das Individuum, andererseits wird aber auch immer das ganze soziale System, die Familie und darüber hinausgehend das gesamte Beziehungsgefüge eines Trauernden (das ist sein soziales Netz), von der Trauer tangiert oder gar verändert. Der Verlust hat individuelle, soziale und auch kulturelle Auswirkungen. Trauer muss daher immer auch in diesen größeren Kontexten gesehen werden. Mit der GenogrammArbeit wird der Kontext der Familie, mit der Netzwerkkarte der Kontext Soziales Netz – hier allerdings beides in egozentrierter Perspektive, im Beratungssetting mit einer einzelnen Person – in den Blick genommen.
Durch den Tod eines Familienmitglieds verändern sich alle Rollen im Familiensystem.95
Wenn ein Familienmitglied stirbt, stirbt z.B. für die Ehefrau der Ehemann, der Geliebte, der Gesprächspartner, der Ernährer usw.; für die Kinder der Vater, der Orientierungspunkt, der Erzieher, Kontrolleur; für die Elterngeneration der Sohn oder Schwiegersohn mit all den Bedeutungen, die er für diese Personen gehabt hat. Aspekte der Beziehungsgestaltung zum Verstorbenen und innerhalb des sozialen Netzes, des Alters des Verstorbenen und der verschiedenen Personen im sozialen Netz spielen für die Trauer und damit auch für ihre Bewältigung eine entscheidende Rolle. Jeder hat einen eigenen Verlust erlitten, der Verstorbene hat für jeden eine andere Bedeutung – es ist beispielsweise der Onkel, Bruder, Ehemann, Vater, Schwager ... und zudem wird er von den verschiedenen Personen mit ganz eigenen Beziehungsattributen versehen, ist der geliebte, gefürchtete, gemochte, verhaßte, bewunderte, geachtete...
Goldbrunner beschreibt, dass Beziehungssysteme die Bedingungen der Trauer festlegen, „indem sie bestimmen, ob überhaupt, wie lange, wer und in welcher Form getrauert werden darf. Sodann ist davon auszugehen, daß die Trauer eine Herausforderung an das soziale System darstellt, krisenhafte Eskalationen zwischen den betroffenen Personen auslösen kann und letztlich auch einen Impuls zur Weiterentwicklung auf verschiedenen systemischen Ebenen enthält“96.Er zeigt auf, dass sich in Trauersystemen bestimmte Rollen herausbilden, die auch miteinander korrespondieren: So gibt es einen so genannten HauptTrauernden (Chiefmourner) und einen Unterstützer (helper) im Trauersystem. Darin kommt auch zum Ausdruck: Die unmittelbaren Bezugspersonen, die Trauernden zur Seite stehen, sind häufig selbst von dem Verlust Betroffene, sind Mittrauernde.97 Selbst das „kleine“ soziale Netz, die Familie, stellt (zwar ein Trauersystem, aber) keine „TrauerEinheit“ dar. Dem gemeinsamen „Außen“ des Verlustes steht ein vielfaches „Innen“ der Erfahrungen gegenüber. Die vom Ver
95 vgl. Parkes 1998, S. 100106.96 Goldbrunner 1996, S. 41.97 vgl. Goldbrunner, S. 2.
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lust Betroffenen haben meistens keinen Blick für die jeweils anderen und ihre Art zu trauern. Darin wurzeln viele Konflikte, darin wurzelt aber auch die Reaktion des Gesamtsystems auf den Verlust. Konkreter: Die Art des einen zu trauern bringt die Art des anderen hervor oder verändert sie – es gibt Interdependenzen.
Der Verlust eines geliebten Menschen verlangt von Trauernden den Aufbau einer neuen Identität als Hinterbliebene. Dies erfolgt auf das Selbst bezogen, aber auch auf Familie, gesellschaftliche Systeme und auf die gesamte soziale Umwelt. Im Kontakt mit anderen Menschen, dem sozialen Netz, erfährt der Trauernde eine Bestätigung des Verlustes. Gemeinsam werden in der Zeit der Trauer Konstruktionen und Rekonstruktionen der Wirklichkeit und des Sinnes für die eigenen Lebensgeschichten entworfen. Ziel des auf den Verlust folgenden Trauerprozesses ist es, der Lebensgeschichte eines jeden Einzelnen, aber auch der gemeinsamen Geschichte wieder Kohärenz zu geben. Trauerarbeit bedeutet das „Neuschreiben unserer Lebensgeschichte“98, die durch den Verlust eines geliebten Menschen ihre Passung verloren hat. In diesem Prozess der „Neuschreibung“ hat das soziale Netz entweder selbst eine wesentliche Funktion oder es muss neu gebildet werden und ist Teil der „Neuschreibung“.
Der amerikanische Philosoph Thomas Attig hat in diesem Zusammenhang vom Wiedererlernen der sozialen Welt99 gesprochen. Damit ist gemeint, dass der Trauernde wieder neu lernen muss, seinen Kontakt zu anderen Menschen zu gestalten – wie er nach einem komplizierten Beinbruch das Gehen wieder neu lernen muss. Selbst im unmittelbaren Umfeld der Familie muss neu gelernt werden, miteinander ohne den Verstorbenen weiter zu leben. Viele Trauernde erzählen von ihren Schwierigkeiten, Festtage oder Familienfeiern zu gestalten. Auch der Kontakt zu FreundInnen, KollegInnen, der Nachbarschaft, der Gemeinde muss neu angegangen werden. Trauernde PartnerInnen berichten beispielsweise, dass sie sich in der Begegnung mit befreundeten Ehepaaren ohne ihren verstorbenen Partner wie amputiert fühlen. Das Alter des Verstorbenen und das des Trauernden spielen eine wichtige Rolle in diesem „NeuLernProzess“. Es wirkt sich für den Lernprozess aus, ob es sich bei dem Verstorbenen oder der korrespondierenden Rolle des Trauernden um ein Kind oder einen Erwachsenen handelt (Vater – jugendliches Kind; Mutter – Säugling; Mutter – erwachsene Tochter). Bedeutsam ist selbstverständlich auch, welche Lebenserfahrung der Trauernde schon hat sammeln können, die er für diesen Lernprozess zu nutzen vermag (Coping!).
Genogramm und Netzwerkkarte sind Instrumente, die geeignet sind, diese sozialen Aspekte der Verlusterfahrung und Trauer in den Blick zu nehmen und die nötigen Lernprozesse zu fördern. Zunächst stelle ich im folgenden das Genogramm, dann die Netzwerkkarte im Hinblick auf Trauerprozesse und deren Begleitung vor.
98 Neimeyer 2001.99 Vgl. Attig 1996.
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4.2 Das Genogramm
4.2.1 Einführung in die GenogrammArbeit
Ein Genogramm ist die Darstellung von komplexen Informationen über ein Familiensystem, für die sich eine feste Zeichen und Symbolsprache eingebürgert hat.Ausgangspunkt sind eine so genannte Indexperson und deren eigene oder deren Herkunftsfamilie, die in ihren biologischen und rechtlichen Aspekten graphisch dargestellt wird. Im Kontext meiner Arbeit ist das entweder der sterbenskranke Mensch, dessen familiäre Situation erfasst werden soll, oder ein Trauernder, der sich so als Teil eines Trauersystems wahrnehmen kann.Je nach Gesprächsverlauf und Anliegen werden drei oder vier Generationen umfasst.In das Bild eingetragen werden zum Beispiel
• Geschlecht, Name, Alter bzw. Geburts und Sterbedatum, • Heirat, Trennung, Scheidung,• Wohnorte, Ortswechsel,• Krankheiten,• Berufe,• Konfessionen, Religionszugehörigkeiten, Weltanschauungen.
Gemeinsam in einem Haushalt lebende Personen (oder gemeinsam von einem Verlust unmittelbar betroffene Personen) können umkreist werden.Es kann sinnvoll sein, bestimmte Aspekte oder Teile des Genogramms farbig hervorzuheben oder es auch mit Familienfotos oder Fotos von wichtigen Gegenständen, Tieren usw. zu ergänzen.
Auch das unmittelbare soziale Umfeld kann in das Genogramm einbezogen werden. So schlagen McGoldrick und Gerson vor, Freunde, Geistliche, Haushaltshilfen, Pflegekräfte, Lehrer, Ärzte, also Personen, die für die Familie besonders wichtig sind und dazugehörige Informationen ins Genogramm aufzunehmen.100 (Damit nähert sich das Genogramm der Netzwerkkarte an.)
Alle Daten, die so erhoben werden, sind nichts anderes als situative Beobachtungen, die im Beratungskontext zu vorläufigen Hypothesen führen können und jedenfalls immer im Prozess stehen. Ihr Sinn besteht einmal in der Gedächtnisstütze, die sie für die Beraterin darstellen können, zum anderen in der Visualisierung, die Erinnerung, Provokation, Explorationshilfe u.a. für Beraterin und Klientin bedeuten kann.
100 McGoldrick & Gerson 2000, S. 46.
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„Das Wichtigste bleiben jedoch die Geschichten, die zu den Genogrammdaten erzählt werden. Sie bilden den Hintergrund für ein neues Verständnis der Gegenwart.“101
Die Symbole der GenogrammArbeit:
MannFrau
Familie mit Sohn, Tochter, ZwillingenFehlgeburtTotgeburtSchwangerschaftsabbruchVerstorbene
IndexpersonEheNichtformalisierte LebensgemeinschaftEhe mit Trennung (T) bzw. Scheidung (S)Trauersystem, Familiensystem
Außerhalb der Familie stehend, aber mit Bezügen zum System
ChiefmournerHelperIntensive Beziehung zum VerstorbenenUnterstützend Blockierend Konfliktreich
101 Schlippe & Schweitzer 2002, 131.
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4.2.2 Das Genogramm als Analyse und DokumentationsInstrument in der Hospizarbeit
Das Familiensystem eines PalliativPatienten kann mit Hilfe des Genogramms grafisch vergegenwärtigt werden. Dabei werden einmal bereits erlebte Verluste des Patienten und seiner Angehörigen sichtbar, die die jetzige Erfahrung von Krankheit und bevorstehendem Verlust belasten oder jedenfalls beeinflussen können. Es kann sichtbar gemacht werden, wie über Krankheit und Sterben in der Familie gedacht wird oder wie bislang Pflege in der Familie erlebt worden ist. Zum anderen wird es so möglich, intensiver wahrzunehmen, wo Gesprächsbedarf bestehen könnte und wo Interventionen spezialisierter HelferInnen nötig sein könnten.Es kann zum Beispiel hilfreich sein, wahrzunehmen, dass der Todestag des Ehemanns ansteht, um besser damit umgehen zu können, dass die Schmerzsymptomatik einer Patientin an genau diesem Datum „unverhältnismäßig“ zunimmt. Manchmal äußern Patienten, dass sie am Todestag der Mutter „auch gehen werden“ o.ä. (so genannte Jahrestagsreaktionen, die auch eintreten können, ohne dass ein bewusster Zusammenhang vom Sterbenden erkannt wird.). Das Wissen um solche Zusammenhänge kann den hilfreichen Umgang fördern.
Genogramm eines Hospizpatienten
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o o
o o// 1982
Udo aus derevangelischen
Kircheausgetreten
Hund vor 2 Wocheneingeschläfert
* 1960
Alzheimerlebt im Pflegeheim
starb mit 42 Jahrenals Udo 8 Jahre alt war
Mit dem Genogramm kann auch das Familiensystem aus der Perspektive des pflegenden Angehörigen erfasst werden. Welche Verlusterfahrungen hat er oder sie bereits erlitten, was bricht eventuell erneut auf, welche Umgangs und Bewältigungsformen hat er oder sie erlernt, welche Unterstützung bietet das Familiensystem, wo sind andere zusätzliche Schwierigkeiten zu erwarten, worauf ist besonders zu achten?
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Genogramm eines pflegenden Angehörigen
Kurzkommentar:Tom braucht in der aktuellen Situation – seine Frau hat das finale Stadium ihrer Erkrankung erreicht und ist Hospizpatientin geworden – Unterstützung und Entlastung und sucht deshalb das Gespräch mit mir als Seelsorgerin des Hospizes. Schon im ersten Gespräch kommt er auf die Verlusterfahrung seiner Eltern zu sprechen. Er meint, dass er da doch schon Erfahrungen gesammelt hat, mit Verlusten umzugehen. Er äußert, dass er Angst vor dem weiteren Verlauf der Erkrankung seiner Frau hat und dass er nicht weiß, wie mit den Kindern in Bezug auf die Erkrankung seiner Frau umzugehen ist.Das Genogramm macht in Kurzschrift diese Faktoren sichtbar.
Anhand der Zeichnung erkenne (und speichere) ich Aspekte, die noch nicht ausdrücklich Gesprächsthema waren: Die Kinder beispielsweise sind von klein auf mit Krankheit konfrontiert. Sie sind in der Pubertät und lösen sich allmählich von den Eltern. Welche Auswirkungen hat die Erkrankung der Mutter auf sie? Wie ist Tom bislang damit umgegangen? Wie trägt Tom die Verantwortung um die Kinder – beispielsweise in schulischer Hinsicht?
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seit 13 Jahren erkrankt, MammaCA, zuletzt mit Hirnmetastasen,Persönlichkeitsveränderungen
starb, als Tom 10 Jahre alt war
starb, als Tom 20 Jahre alt war
Tom pflegt seine Frau seit 13 Jahren hingebungsvoll; er selber leidet unter Rheuma, Herzbeschwerden, Tinnitus und anderen körperlichen Beschwerden
o mind. 16 Jahren o
o o
Klient
Tom
Patientin
B
Jahre15
Jahre13
Einsamkeit, Erziehungsprobleme, finanzielle bzw. wirtschaftliche Schwierigkeiten – all diese Faktoren deuten sich in der grafischen Darstellung an.
Wie steht es um die Sexualität des Ehepaars bzw. Toms? Wie kommt er klar? Gibt es Schuldgefühle?
Wie geht Tom mit dem Machtgefälle um?
Ich bin aufmerksam dafür, Tom gegebenenfalls anzusprechen, wenn die Kinder im Hospiz gar nicht in Erscheinung treten.
Nach und nach kann das Genogramm durch weitere „Daten“ ergänzt werden. Ich erfahre beispielsweise, dass die Eltern von Toms Frau noch leben, sich aber an der Pflege überhaupt nicht beteiligen, dass weder Tom noch seine Frau Geschwister haben und also weitere familiäre Unterstützung in der Pflege nicht zu erwarten ist.
Der erhöhte Gesprächsbedarf des Klienten wird schon in der Erstgesprächserhebung deutlich und kann, gestützt auf diese Ereknntnis, innerhalb der Einrichtung kommuniziert und vertreten werden.
4.2.3 Das Trauergenogramm102
Jemand, der Menschen erstmals begegnet, die gerade einen anderen an den Tod verloren haben – beim Abschied am Totenbett oder beim Trauerbesuch vor der Bestattung z.B. – nimmt unmittelbar Dinge und Umstände wahr, die helfen, die soziale Situation einzuschätzen und angemessen zu reagieren. Hilfreich ist es für mich als Hospizseelsorgerin jedoch, wenn es solche Wahrnehmungen auch schon aus der Zeit der Krankheit gibt – eigene oder auch die von anderen, z.B. den Pflegenden – , und wenn diese Eindrücke in Form eines Genogramms visualisiert wurden. Auf einer solchen Grundlage kann die Seelsorgerin oder der Seelsorger im Sterbezimmer oder Verabschiedungsraum oder auch im Familiengespräch zur Vorbereitung der Beerdigung i.d.R. gut die Person identifizieren, „die die Energie der Familie trägt“103, denn über sie findet sie oder er oft Zugang zu den anderen in der Familie. Damit dient also das Genogramm – auch das zu Lebzeiten von Professionellen aufgrund von Wahrnehmungen zu Dokumentationszwecken erstellte – in jedem Fall potentiell dazu, Ressourcen für die Zeit der Trauer sichtbar zu machen und zu erschließen.
102 Als metaphorische Arbeit mit Familiendarstellungen eignen sich neben solch grafischen Darstellungen wie das Genogramm sie bietet, auch Skulpturen, die man mit LegoFiguren, MenschärgeredichSteinen und ähnlichem stellen kann.In der systemischen Therapie hat sich das Familienbrett bewährt: Ein Holzbrett mit einem Satz von Figuren ermöglicht es, Familienmitglieder in ihren DistanzNäheRelationen symbolisch darzustellen.103 Weiher 1999a, S.123.
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Ein Trauergenogramm im engeren Sinn ist „die übersichtliche und grafische Darstellung einer Familienstruktur und ihres Trauersystems“104. Es ermöglicht eine Mehrgenerationenperspektive im Blick auf das Thema Umgang mit Verlust und Trauer. Es macht Beziehungsmuster, Rollen, Mottos innerhalb einer Familie transparent, die oft über Generationen hinweg die Trauer beeinflusst haben, und es „zeigt den Grad der Unterstützung durch Familie, Trauersystem und Außenbeziehungen“105. Ein solches Trauergenogramm wird im Gespräch mit einem Hinterbliebenen (oder natürlich mit ganzen Familien) oder auch zu Dokumentations und Reflexionszwecken der Beraterin erstellt. Die Darstellung kann eventuell auch in größeren Zeitabständen wiederholt werden, um die Differenzierungen, die mit der Zeitperspektive kommen, zu integrieren.
Die folgenden Aspekte und Fragestellungen können leitend sein für ein solches Gespräch zur Erstellung eines Trauergenogramms. Es geht darum, den Verlust innerhalb eines Systemkontextes zu betrachten, auch ohne dass das System selbst einbezogen wird. In den anschließenden Beispielen wird darauf verzichtet, die Fragestellungen im einzelnen aufzuzeigen; es handelt sich nur um Ausschnitte, da eine ausführliche Darstellung und Analyse in diesem Kontext zu umfangreich wäre.
Fragen bzw. Themenkatalog zur Erstellung eines Trauergenogramms106
• Wer gehört zur Familie?
• Wer wurde verloren?
• Andere Todesfälle in der Familie? (Bei Totgeburten/Fehlgeburten/Schwangerschaftsabbrüchen – hatten die Kinder einen Namen? Beerdigung? Wer war dabei?)
• Wer ist – jeweils – in das Trauersystem eingeschlossen?
• Rollen im Trauersystem?• Haupttrauernde/r• Haupttröster/in
• Unterschiede in der Art der Trauer?• Subsysteme?• Motto des Trauersystems?
104 Palm 2001, 36. Unter Trauersystem sind die zu verstehen, die beispielsweise zusammenleben und daher gemeinsam in ihrem täglichen Leben von dem Verlust beeinträchtigt bzw. beeinflusst sind.105 Palm 2001, 37.106 Vgl. Palm 2001, S. 3738. (Fragen bzw. Themenkomplexe teils übernommen, teils verändert); McGoldrick & Gerson 2000.
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• Wer im Famliensystem wirkte unterstützend? Wie sah die Unterstützung aus?
• Welche Unterstützung gab es vor dem Verlust, die nun fehlt?
• Wie wurde in der Herkunftsfamilie der Indexperson mit Krankheit, Sterben, Tod, Verlust und Trauer umgegangen? Wie hießen die Mottos, die familiären Botschaften? Wie wurde Trauer gezeigt? Welche Riten wurden praktiziert? Wie wurden Trauersymptome, reaktionen beurteilt?
• Welche Erwartungen haben die anderen in der Familie an Ihr Verhalten?107 Wie reagieren sie auf Sie? Und umgekehrt: Welche Erwartungen haben Sie an die anderen Familienmitglieder? Wie reagieren Sie auf sie? (z.B. Weinen, klagen Sie/sie auch, wenn Xy dabei ist? Wie verändert sich Ihr/ihr Verhalten, wenn Ihre Mutter dabei ist? usw.)
• Wer gab/gibt Ihnen außerhalb der Familie Trost und Unterstützung? (Welche Formen von Unterstützung gab es, welche fehlten?) – Wie sieht das – aus Ihrer Sicht – bei den anderen Familienmitgliedern aus?
• Übernimmt jemand die Rolle des/der Verstorbenen? Wer? In welchen Bereichen?
• Sind nach dem Verlust Konflikte aufgebrochen, die vorher nicht wahrgenommen wurden bzw. nicht bestanden?
• Welche religiöse Bindungen gibt es im Trauersystem, welche Einstellungen zu Tod/Leben nach dem Tod? – Wie wird darüber geredet? Gemeinsame Praxis?
• Wenn Sie das Trauergenogramm ansehen: Wo gibt es Themen, die Sie gerne bearbeiten, mit denen Sie sich auseinandersetzen möchten?
Beispiel:
107 Frau K. erzählt mir beispielsweise, sie habe ein Bild ihres Mannes an exponierter Stelle aufgestellt, weil die anderen das so erwarten. Frau M,. hingegen hat keine Fotos ihres Mannes aufgestellt, was ihr Sohn mit Befremden registriert; sie fragt sich, ob sie falsch trauert. Frau G. hat in allen Zimmern und allen Ecken Fotos aufgestellt, lebensvolle Fotos, die ihr darüber hinweghelfen sollen, dass sie momentan innerlich nur die Bilder der Krankheit und des Toten sieht. Andere in der Familie sagen ihr, sie solle doch endlich die Fotos wegtun; er sei tot und sie müsse sich dem Leben zuwenden.
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o 1982 o
o o o o
1957Dipl.Ing.
Iran, Asylant
arbeitslos
Moshe
19582002LehrerinTod: Krebs
Bettina
ChristinMoslem
Kurzkommentar:Moshe und Bettina haben 1982 geheiratet. Zwei Jahre zuvor haben sie einander kennen gelernt, als er gerade als Asylant nach Deutschland gekommen war. Die beiden waren sehr aufeinander fixiert, lebten eine symbiotische Beziehung. Sie war der Teil, der eher auch Außenkontakte pflegte, sang beispielsweise im Kirchenchor mit. Er war zu Lebzeiten der Frau in deren Beziehungsnetz (Familie, Freunde, Vereinskameraden) aufgefangen, hatte aber nie eigene Beziehungen geknüpft und gepflegt. Die Ehe von Moshe und Bettina ist kinderlos geblieben. Er ist Moslem; sie war Christin. Er praktizierte seine Religion in Deutschland nicht mehr.Seine Eltern sind verstorben; die Geschwister leben im Iran und sind für ihn im Alltag nicht greifbar. Zu den Geschwistern seiner Frau hat er nach eigener Aussage „ganz gute Beziehungen“, sie telefonieren regelmäßig miteinander, doch sind sie alle berufstätig und leben zwar in Deutschland, aber relativ weit entfernt. Hinzu kommt, dass Moshe arbeitslos ist. Seine erste Ausbildung wird hier nicht anerkannt, nach dem Studium war er „zu alt“, um auf dem deutschen Arbeitsmarkt eine seiner Qualifikation entsprechende Stelle zu finden.Die Krebserkrankung der Frau wurde sehr spät entdeckt; sie starb nach einem raschen, aber intensiven, schwer erträglichen Krankheitsverlauf. In der Zeit der Krankheit haben die Geschwister der Frau Moshe unterstützt. Jetzt steht er allein da.
Er sucht mich ausdrücklich als Seelsorgerin auf, wohl auch weil viele religiöse Fragen durch den Tod der Ehefrau angestoßen worden sind, und bemüht sich gleichzeitig um weitere Möglichkeiten, Begleitung für seine Trauer zu finden, weil er sich einsam fühlt.
Bereits im ersten Gespräch wird deutlich, dass die fehlende Arbeit bedeutet, den Tag völlig auf sich gestellt strukturieren zu müssen. Die Arbeitslosigkeit beeinträchtigt das Selbstwertgefühl, auch wenn Moshe mit der Hinterbliebenenrente finanziell gut abgesichert ist.
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Moshes natürliches Netz trägt ihn im Alltag nicht, obwohl er durchaus gute Beziehungen hat. Zu seiner Unterstützung braucht es ein „künstliches“ soziales Netz; ihm dürfte es gut tun, andere Menschen kennen zu lernen, die seine Verlusterfahrungen teilen. Es könnte sein, dass er GesprächspartnerInnen in einer Gruppe für verwitwete Menschen findet. Zunächst erscheint es so, dass der rasante Krankheitsverlauf und der große Verlust seiner Frau das Wesentliche sind. Es kann aber auch sein, dass mit dem Verlust der Ehefrau und der Arbeitslosigkeit auch die alten Verluste, besonders der Verlust der Heimat und der Muttersprache, der Verlust religiöser und traditionaler Verbundenheit virulent werden, für die andere Gesprächspartner sinnvoll wären. Das ist im Auge zu behalten, um Moshe gegebenenfalls auf solche Möglichkeiten hinweisen zu können.
Im ersten Gespräch fällt auf, dass Religiosität und Riten im Umgang mit Tod und Trauer ein Thema sind – dominanter als die Erkrankung und das Sterben. Moshe spricht einerseits von den Gesprächen mit seiner Frau über Sterben und Tod und dem, was sie danach für sich erhoffen, andererseits wird spürbar, dass er sich in den praktizierten Riten nach ihrem Tod nicht zu Hause gefühlt hat. Obwohl Moshe von sich sagt, dass er mit den Traditionen seiner Heimat nicht verbunden ist, sie gar nicht kenne, fällt auf, dass er beim ersten Gespräch mit Bart, beim zweiten ohne erscheint. Als ich ihn darauf anspreche, erklärt er mir – ein bißchen verlegen, dass er sich den Bart habe wachsen lassen als Zeichen der Trauer, nach sechs Wochen dürfe man ihn abrasieren, und seine Frau habe Bartwuchs nicht gemocht.
Mit diesen Anmerkungen sei angedeutet, wie die Erstellung des Genogramms sehr schnell den Blick auf das Beziehungsnetz insgesamt weiten kann und in diesem Fall weiten muss, um Moshe hilfreich beraten zu können. Es wird gut im Blick zu halten sein, ob ihm eine Trauergruppe tatsächlich dienlich ist, in der wahrscheinlich überwiegend Deutsche, fast ausschließlich christlich sozialisierte Menschen und mehrheitlich Frauen zusammenkommen.
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Beispiel:
Kurzkommentar:Jürgen ist bei uns im Hospiz an den Folgen eines Hirntumors verstorben; er war nur wenige Tage Bewohner des stationären Hospizes. Seine Frau Christel hatte die Pflege zu Hause nicht mehr leisten können.Die Tochter lebt mit ihrer Familie weit entfernt; sie hat gerade erst, einige Monate nach dem Tod des Vaters, Nachwuchs bekommen.Die Eltern von ihr – und ich vermute auch seine Eltern – sind verstorben. Mit ihrem Bruder versteht sie sich nicht besonders gut; er ist verheiratet und lebt zwei AutoFahrtstunden entfernt.Beim Erstgespräch erzählt Christel, wie sehr sie und ihr Mann verbunden waren. Er war Frührentner, und vor allem in den letzten Jahren haben sie alles gemeinsam unternommen, waren Tag und Nacht beisammen. Sie hat nichts ohne ihre Mann getan, er nichts ohne sie. Entsprechend einsam fühlt sie sich jetzt nach seinem Tod. Sie leidet darunter, dass ihr Mann die Enkelin nicht mehr hat sehen können – und noch mehr leidet sie darunter, dass
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o o
o o
Christel* 1942
Jürgen* 1942† 2001
* 2002
Hirntumor
leben inStuttgart
röm.kath.
Konvertitin
sie selbst ihm dies gesagt hat: Sie habe ihm damit alle Hoffnung genommen, erzählt sie, dass sie auf seine Frage, ob er wohl noch die Geburt erlebe, sagte, er werde vorher sterben.
Christel erhält von ihrem Hausarzt AntiDepressiva. Da die Medikamente nichts an ihrer Verzweiflung ändern, kommt sie auf mich als Seelsorgerin des Hospizes zu und sucht um Beratung nach. Sie kommt zu mir, weil sie von meinem Gesprächsangebot gehört hat, als ihr Mann in unserem stationären Hospiz war; wir haben uns damals nicht kennen gelernt. Als Seelsorgerin sucht sie mich auf, weil sie allein ihres Mannes wegen konvertierte, mit ihm während der Zeit der Ehe katholische Gottesdienste besucht hat, aber jetzt an diese Frömmigkeitspraxis nicht mehr anknüpfen kann und mag. Sie fragt sich, ob das Verrat an ihrem Mann ist, fragt nach ihrer eigenen Religiosität, beschäftigt sich mit dem, was der Tod an ihrer bisherigen Weltsicht und an ihrem Gottesbild verändert.Daneben sind ihre Schuldgefühle ein wesentlicher Beratungsinhalt: Die Pflege hatte sie überfordert; sie war mit den Persönlichkeitsveränderungen, die mit dem Hirntumor einhergingen, nicht klar gekommen und in verschiedenen Situationen sehr ungehalten gewesen. Dass sie ihren Mann in den letzten Tagen wegen dieser Überforderung ins Hospiz gebracht hat, lässt ihr zudem keine Ruhe.
Neben Einzelgesprächen biete ich ihr eine Trauergruppe an, weil nicht nur ihre familiären Kontakte unzureichend sind, sie in dieser Krisenzeit zu tragen, sondern ihr auch ein tragfähiges soziales Netz fehlt.
In späteren Gesprächen werde ich vielleicht mit ihr zusammen das soziale Netz anschauen und überlegen, wie sie neue Beziehungen knüpfen kann, sollten ihr die Trauergruppe und sonstige eigene Ressourcen dazu keine Anregungen geben.
4.3 Soziales Netzwerk und Verlusterfahrungen
4.3.1 Netzwerkorientierung in der Trauerberatung
Die Netzwerkperspektive lenkt die Aufmerksamkeit auf das soziale Gefüge, in dem eine Person beheimatet ist und das als soziale Ressourcen verstanden wird. Es hat Bedeutung für die Sicherung und Erhaltung der Gesundheit und – im Kontext von Verlusterfahrung – für die Wiederherstellung psychischen Wohlbefindens und neuer Erfahrung von Lebensqualität und sozialer Sicherheit und Geborgenheit.108 Gesundheitsbezogene Netzwerkforschung konnte in zahlreichen Studien zeigen, dass sich ein verlässliches Gefüge von Beziehungen als Puffer oder Schutzschild gegenüber erfahre
108 Die Befunde zur Wirkung sozialer Unterstützung im Trauerprozess sind nicht selten widersprüchlich. Weitere Forschung zu dieser Fragestellung steht noch aus.
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nen Belastungen und drohenden Krisen einerseits und als Stützpfeiler im Prozess der Bewältigung von Verlusterfahrungen andererseits auswirkt. Das meint der Begriff soziale Ressourcen, die Fähigkeit nämlich, die Menschen, die einer Person in ihrem sozialen Umfeld potentiell zur Verfügung stehen, zu mobilisieren, um mit alltäglichen Problemen und mit existentiellen Krisen fertig zu werden.Die Netzwerkperspektive „regt Menschen an, ihr soziales Beziehungsnetz wieder zu aktivieren, Brücken zu auseinander gebrochenen Bezügen zu bauen und ermutigt sie, sich neue Zusammenhänge zu schaffen und sie aufrechtzuerhalten.“109
Zur Darstellung des sozialen Netzes dient die Netzwerkkarte, eine visualisierte Rekonstruktion des sozialen Beziehungsgefüges eines Menschen.110 Die Netzwerkkarte ist – jenseits der wissenschaftlichen Perspektive – ein praktisches Instrument, einen systematischeren Zugang zum sozialen Beziehungsgefüge eines Menschen, zu seinem sozialen Netz, zu eröffnen.111 Egozentrierte Netzwerkkarten kann die professionelle Beraterin allein oder gemeinsam mit einem Klienten/einer Klientin erstellen. Auf dieser individuellen Ebene dient die Netzwerkkarte dazu, den Einzelnen zu befähigen, seine soziale Ressourcen realistisch wahrzunehmen, und ihn dabei zu unterstützen, den Umgang mit anderen Menschen aufzubauen und zu pflegen. Im Kontext der Trauerbegleitung kann die Erstellung einer Netzwerkkarte dem Hinterbliebenen Anstöße geben, das Beziehungsnetz und seine Veränderungen aufgrund des Verlustes wahrzunehmen und darüber ins Gespräch zu kommen. Damit verbunden ist die Möglichkeit, Struktur, Qualität und Funktionen von Beziehungen gemeinsam in den Blick zu nehmen, die von der Trauer ausgelösten Dynamiken zu entdecken oder auch eigene Handlungsspielräume für die Wegsuche zu erkennen. Die Netzwerkkarte lädt Trauernde auf ganz eigene Weise ein, Lebens, Leidens und Todesgeschichten zu erzählen und bezogen auf den aktuellen Verlust die Wirklichkeit neu zu konstruieren – als neues, verändertes Beziehungsgefüge.
Die Netzwerkkarte ist einfach zu erstellen. Es reicht ein Blatt Papier, auf dem mehrere konzentrische Kreise gezeichnet sind, in deren Mitte „Ich“ (in dem hier gemeinten Fall für die trauernde Person) steht.Man kann gut eine Korkplatte als Unterlage nutzen, vor allem, wenn man die Personen im Umfeld des oder der Trauernden symbolisch mit Markierungsnadeln aufs Blatt Papier bringen mag.Als weiteres Material benötigt man, wenn man nicht unmittelbar aufs Papier zeichnet, Markierungsnadeln zum Stecken und Heftetiketten zum Identifizieren der Menschen, zu denen die Person in Beziehung steht.Die Netzwerkkarte wird dem Trauernden als eine Methode vorgestellt, die eine intensivere Auseinandersetzung damit ermöglicht, was sich in Bezug auf die Beziehungen im unmittelbaren Lebensumfeld aufgrund des Verlustes verändert hat bzw. verändern wird.
Ein erster Fokus kann sein: Wer gehört zu mir, der von diesem Verlust auch betroffen ist? Zunächst wird die/der Trauernde gebeten, alle Personen zu nennen, von denen er/sie denkt, dass sie zu ihm/ihr gehören und auch von dem Verlust betroffen sind. Je enger sie/er sich diesen Personen verbunden fühlt, desto weiter innen, desto näher also am „Ich“ werden sie mit Markierungsnadeln auf der Karte gesteckt. Besonders markieren kann man dann farblich auch beispielsweise die Personen, die zum sozialen Netz der/des Trauernden gehören, die aber nicht vom Verlust unmittelbar betroffen sind. Dasselbe gilt für die Personen, die aus der Sicht der/des Trauernden selber nicht trauern.Die Erstellung der Netzwerkkarte kann über mehrere Treffen geschehen. Vielleicht werden im Verlauf der Gespräche Sichtweisen, z.B. bezogen auf bestimmte NäheDistanzRelationen oder auf die Trauer der anderen Betroffenen verändert und Markierungsnadeln "umgesteckt" oder farblich verändert, vielleicht kommen auch Personen in den Blick, die zunächst vergessen wurden, oder es kommen ganz neue hinzu, wie beispielsweise die Trauergruppe. Wenn nach einigen Gesprächen das Beziehungsgeflecht „steht“, können die Markierungsnadeln durch Klebepunkte ersetzt werden.
Die Netzwerkkarte erfüllt ganz unterschiedliche Funktionen: Sie macht für den Hinterbliebenen das soziale Beziehungsgefüge unter dem Fokus der momentanen Problemsituation Trauer sichtbar. „Wünsche nach mehr Nähe oder größerer Distanz, nach Unterstützung und Begleitung oder neuen Kontakten können dadurch klarer wahrgenommen werden. Verfügbare Ressourcen tauchen durch die gezielte Auseinandersetzung auf, zugleich werden aber nicht selten auch diffuse Ängste, enttäuschte Hoffnungen, unerfüllt gebliebene Erwartungen und schmerzliche Erfahrungen mit Personen aus dem sozialen Netzwerk plötzlich wieder deutlich.“112 Sie zeigt auf, dass und wie sich individuelle Trauerreaktionen und systemische Abläufe gegenseitig beeinflussen. Das Gespräch kann dann helfen, sich zu orientieren, zu positionieren, die eigene Identität neu zu bestimmen.
Fragen für den Erschließungsprozess können sein:
• Wie nahe stand dir der Mensch, der gestorben ist?• Wer war/ist von diesem Verlust noch betroffen?• Wem von deinem Netz stand der Verstorbene noch nahe?• Wer trauert?• Wer steht dir jetzt in deiner Trauer nahe?• Wer weiß um deine Trauer? Wer versteht sie?• Wem kannst du / könntest du deine Trauer zeigen?• Wen kennst du, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat?• Welche Menschen haben einmal zu deinem Netzwerk gehört, die verstorben sind?
112 Lenz 1997, S. 103.
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Ein Spektrum solcher Fragen bzw. Themen im Kontext der Trauergepräche, die die Trauerfeier vorbereiten (im Zitat Abdankung genannt) bietet der Pastoraltheologe Christoph Morgenthaler. Er zeigt auf, dass der Seelsorger, die Seelsorgerin in dieser Situation eine Art Familienanamnese erstellt. Seine (ihre) Zuwendung zur Familie sollte, so fordert er, von Allparteilichkeit im Blick auf die Ausdrucksformen der Trauer bestimmt sein. Für mich wird es immer bedeutsamer, nicht nur die Familie, sondern auch die anderen, die zur Trauerfeiern kommen werden, in den Blick zu nehmen. Im Gespräch lade ich die Familie dazu ein, zu überlegen, wer kommen wird, welche Beziehung dieser Mensch zum Toten gehabt hat, was für ihn oder sie für die Trauerfeier wichtig sein könnte. Gerade nach einer langen Zeit der Pflege akzentuieren die Nahestehenden für die Feier z.B. die befreiende Erfahrung „Er oder sie ist erlöst“; dann kann es wichtig werden, Raum für die zu eröffnen, die eben das nicht erfahren haben, weil sie etwa an der Pflege nicht beteiligt waren oder von weit anreisen. Ich versuche auch dazu einzuladen, zu bedenken, mit welchen Erwartungen an eine Trauerfeier die anderen kommen. Das kann sich in der Auswahl der Lieder und Texte auswirken oder aber zumindest verdeutlichen, dass vermittelnde Worte nötig sind. Mit all dem kommt das soziale Netz in den Blick. Dem Trauergespräch geht sicher nicht die Erstellung einer Netzwerkkarte voraus, und das Trauergespräch zur Vorbereitung der Trauerfeier ist sicher kein Ort, eine Netzwerkkarte zu erstellen, aber das, was ich im Kontext von Trauergesprächen erfahre, kann sich in der späteren Erstellung einer Netzwerkkarte auswirken.Bei den von Morgenthaler aufgezeigten systemischen Fragen könnten dann auch spezifischere Fragen nach dem sozialen Netz gestellt werden, wie nach dem Freundes und Kollegenkreis, nach der Bedeutung dieses Todes für sie, nach den Sinnkonstruktionen, die man da erlebt hat, nach Menschen, die ähnliche Erfahrungen teilen usw.
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„Systemische Fragen bei Trauergesprächen
Fragen nach den Veränderungen im System• Worüber möchten Sie jetzt sprechen, ohne dass an der Abdankung davon die Rede sein
wird?• Was wird jetzt anders in Ihrer Familie? Was wird fehlen? Wer wird am ehesten das Feh
lende ergänzen können, wollen, müssen? Wer wird dies sicher nicht tun?" Für wen in der Familie ist dieser Todesfall am schlimmsten? Wer wird vermutlich am ein
fachsten darüber hinwegkommen? Wie lange, wie schnell wird dies gehen?
Fragen nach der Bewältigung des Verlusts• Wie schaffen Sie es, dass Sie diese Situation bewältigen? Wie machen Sie es, dass es nicht
(noch) schlimmer wird?• Wie haben Sie es geschafft, sich Zeit zu nehmen, nun alle hier zu sein? Weshalb sind ge
rade Sie gekommen? Weshalb können andere nicht dabei sein?• Wer entwickelt in dieser Abschiedssituation besondere Kräfte? Wie lange werden diese
Kräfte voraussichtlich ausreichen?• Wer ist im Moment besonders traurig? Wer kann seine Trauer am wenigsten gut zeigen?
Wie hilft das den anderen?• Worauf, auf welche Stärken, Einstellungen, Ressourcen, welchen Glauben können Sie sich
einzeln oder als ganze Familie beziehen, um diesen Verlust zu überwinden?
Fragen nach Ausnahmen• Wenn eine verstorbene Person in einem sehr positiven oder negativen Licht geschildert
wird: Gab es Ausnahmen? Häufig? Selten? Wie war dies? Wie war dies je für die einzelnen anwesenden Beteiligten?
• Was hätte XY am liebsten getan, wenn das Problem nicht gewesen wäre?• Wenn ein Wunder geschähe und Sie könnten nochmals einen bestimmten Moment im ver
gangenen Leben gemeinsam mit dem oder der Verstorbenen erleben, welches wäre dieser Augenblick? Was wäre Ihnen dabei besonders wichtig? Würden Sie etwas anders machen?
Fragen nach dem Glaubenssystem• Weshalb ist XY gerade so gestorben? Welche Bedeutung geben Sie diesem Tod?• Was hoffen Sie für XY über den Tod hinaus? Was hat dieser Mensch verdient?• Wie, glauben Sie, denkt Gott von XY? Wie wird Gott helfen?• Wie haben Sie Gottes Gegenwart im vergangenen Leben gespürt?
Zirkuläre Fragen• Wenn jemand etwas sagt, das »dicke Luft« signalisiert, können andere darauf angespro
chen werden: Was denken Sie zu dem, was Frau X soeben gesagt hat? Können Sie dem ganz zustimmen?
• Wenn der Verstorbene hier wäre: Was würde er selber über seinen Tod sagen? Würde er aus seiner Sicht etwas anders formulieren oder ergänzen? Was würde er nicht gerne hören? Worüber würde er sich besonders freuen?
• Was würden andere in der Familie, die jetzt nicht da sind, über den Verstorbenen sagen?• Was sagen Menschen, die an die Abdankung kommen, zu diesem Todesfall? • Was denken Sie, dass ich von diesem Todesfall, dieser Familie, diesem Gespräch
denke?“113
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Die Netzwerkkarte – auch die allein in der Reflexion der Beraterin erstellte Karte der Personen, die im Gespräch mit dem Hinterbliebenen begegnet sind – ist auch ein Instrument zur Reflexion des Beratungsprozesses durch die Beraterin.
Fragen zur Selbstreflexion können sein:
• Wer gehört in das Netzwerk des Trauernden? (zB bei Hochbetagten) Bin ich vielleicht die einzige intime Bindungsperson, die da ist?
• Wo begegne ich im sozialen Netz, welche Bedeutung misst die Person mir bei? Welches Verhalten hat das in der einzelnen Gesprächssituation zur Konsequenz?
• Was bedeutet meine derzeitige oder vermutete Stellung im Netzwerk des Hinterbliebenen für den Beziehungsaufbau, das Beratungssetting, die Begleitung? (Ziehe ich z.B. sinnvollerweise ehrenamtliche UnterstützerInnen hinzu? Verweise ich auf Gruppenangebote? usw.)
• Bin ich als Trauerbegleiterin „facilitator“, also Fördererin eines Prozesses, an dem Angehörige, Freunde, Nachbarschaft beteiligt sind? Was kann ich dazu tun, dieser Aufgabe, „facilitator“ zu sein, gerechter zu werden?
Beim Einsatz der Netzwerkkarte gilt es zu beachten:• Die Netzwerkkarte sollte „nicht in einem Stadium verwendet werden, in dem die Ver
trauensbeziehung zwischen KlientInnen und dem/der BeraterIn erst ganz am Anfang steht;
• sie sollte eher nicht bei KlientInnen eingesetzt werden, die allen methodischen Elementen von professionellen HelferInnen mit hohen Mißtrauen begegnen bzw. optische Visualisierungen ablehnen;
• auch braucht die Erstellung der Karte unterschiedlich lange Zeit.“114
Das NetzwerkkartenGespräch dient dazu, die kommunikativen Aspekte, die mit Trauer und Trauerausdruck verbunden sind, in den Blick zu nehmen.115 Das Gefühl Trauer ist ja sowohl Ausdruck der existentiellen Situation als auch Botschaft an jemanden, sofern der Grundsatz gilt: Man kann nicht nicht kommunizieren. Wenn Frau D. beispielsweise erzählt, sie habe mitten während der Chorprobe wie aus dem Nichts weinen müssen, dann kann ich fragen: Warum haben Sie geweint? oder War es schlimm für Sie zu weinen? (Beides hat sie mir im Grunde schon beantwortet durch ihr Erzählen!) oder offener: Wie war das für Sie zu weinen in dieser Situation? (womit ich sie zum näheren Erzählen, zur Exploration des Gefühls anrege). Ich kann aber auch mehr die kommunikative Seite hervorheben: Was, meinen Sie, hat es für die anderen Chormitglieder 113 Morgenthaler 2000, S. 239.114 Vgl. Straus & Höfer 1998, S. 93.115 Vgl. van Dantzig 2001, S. 15.
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bedeutet, dass Sie geweint haben? Wer konnte für Sie gut und hilfreich damit umgehen? Wer nicht? Was, denken Sie, hat es für Auswirkungen auf Ihre Beziehungen innerhalb des Chores, dass Sie geweint haben? Was hat es überhaupt für Auswirkungen auf Sie, Ihr zukünftiges Verhalten, dass Sie in dieser Situation geweint haben? Ich nehme also im Gespräch einerseits das Problem – den Gefühlsausdruck in einer „unpassenden“ Situation – als Prozess oder Teil eines Prozesses wahr und die verschiedenen beteiligten Personen als Teile des kommunikativen Handelns; andererseits biete ich an, aus einer Aussenperspektive auf das soziale System Chor zu schauen.
4.3.2 TrauerbegleiterInnen/TrauerberaterInnen und das soziale Netz
Aus ganz unterschiedlichen – individuellen wie gesellschaftlichen – Gründen reicht heute oftmals das (natürliche) soziale Netz nicht aus, die Zeit der Trauer zu bewältigen.116 Man darf annehmen, dass der Kontakt zu professioneller Beratung (Seelsorge) und institutionellorganisierten Unterstützungsangeboten (Gruppen, Selbsthilfegruppen, Trauerbegleitung) häufig eine Kompensation für ein defizitär erlebtes soziales Netzwerk darstellt.
Andererseits dürfte auch vermutete – kognitive, emotionale und Beziehungs – Kompetenz für die in Frage stehenden Themen Tod und Trauer Personen dazu bewegen, Angebote von Trauerberatung und Trauerpastoral anzunehmen. Die Kompetenz für dieses Thema vermuten Menschen nicht mehr unbedingt in ihrem (natürlichen) sozialen Netz und de facto erleben sie auch häufig, dass den Menschen in ihrem natürlichen sozialen Netz diese Kompetenz – sprich Lebenserfahrung – fehlt.
Bezogen auf Verlusterfahrung und Trauer ist außerdem zu beobachten, dass Menschen damit zunehmend Krankheitsvorstellungen verbinden, den Arzt aufsuchen und Tabletten (Antidepressiva, Aufputschmittel, Schlafmittel) dazu nutzen, innerhalb ihres soziales Gefüges zu funktionieren. Der Arzt als Teil des sozialen Netzes eines Menschen, der auf Trauer mit dem Verschreiben von Medikamenten reagiert, bremst und behindert die Inanspruchnahme anderer Unterstützungsformen im natürlichen und künstlichen sozialen Netz!117
Aber auch andere Menschen, die sich professionell oder institutionellbeauftragt in Systemen engagieren, sind Teil dieser Systeme und wirken förderlich oder auch behindernd darauf ein.So werden auch die TrauerbegleiterInnen – zumindest für Stunden, Tage oder Monate – Teil des Netzwerkes eines Menschen.118 Und was Hilarion Petzold für den Thanatotherapeuten beschreibt, gilt häufig auch für die Seelsorgerin oder ehrenamtliche HospizhelferIn
116 Siehe oben zur Notwendigkeit von Begleitung und Beratung. Immerhin sind es vermutlich noch mindestens 50 % der Trauernden, die keine Begleitung brauchen!117 Im deutschen gibt es m.W. noch kaum Literatur zur Trauerbegleitung von Ärzten. Zur Notwendigkeit und zu Fähigkeiten und Qualifikation siehe: Gill 2001.
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nen, die in der Sterbebegleitung (und damit an der Schnittstelle zur Verlusterfahrung) aktiv sind: „Als Teil des Netzwerkes, als Teil des Konvois [...] ist die Begleitung nicht zu Ende, wenn der Patient gestorben ist. Die antizipatorische Trauerarbeit mit dem Sterbenden über sein eigenes Sterben, seine Abschiednahme vom Leben, seinen Lieben, von der Welt sollte, wo immer möglich, parallel gehen mit der Hilfe zu antizipatorischer Trauer mit den Angehörigen, die vom Begleiteten, von gemeinsamer Geschichte, eventuell von geplanter und nun nicht mehr zu verwirklichender Zukunft (Reisen, Projekte usw.) Abschied nehmen. Nach dem Sterben – währenddessen man als Begleiter auch für die Angehörigen wichtig geworden ist – wird es oft wesentlich, da zu bleiben. Wie in der Sterbepastoral sollte die Arbeit nicht abschließen mit der Beerdigung. Die Familie, in der man Sterbebegleitung gemacht hat und bei der Beerdigung anwesend war, sollte auch ein wenig weiter begleitet werden. Der Tod ist in diesem Sinne kein Abschluß; er soll es auch nicht sein, denn wir leben ja weiter, die Angehörigen leben weiter als eine Gemeinschaft, in deren Gedanken und Herzen der Verstorbene „im Gedächtnis weiterlebt durch ein Gedenken“.“119
Der amerikanische Psychologe Robert A. Neimeyer zeigt auf, dass Menschen professionelle ZuhörerInnen suchen, um Verlusterfahrungen zu bearbeiten.120 Menschen brauchen, wenn sie ihre Geschichten innerhalb des sozialen Netzes nicht erzählen können, eine zeitweise Erweiterung des sozialen Netzes – ein künstliches soziales Netz –, um Trauer zu bewältigen. Neimeyers Idee beruht auf einem Verständnis für die erzählerische Struktur des menschlichen Lebens, das zu verstehen hilft, was ein Verlust auslöst. Manche Geschichten können dem Partner oder in der Familie oder bei Freundinnen nicht erzählt werden, weil sie zu intim sind, weil sie die Beziehungen stören würden oder weil sie schon zu oft erzählt wurden. Das Erzählen von Geschichten jedoch gehört zum Menschen, so orientiert er sich in der Welt, entwickelt er seine Identität und soziale Zugehörigkeit, findet er Sinn. Wenn Geschichten besonders schwierig oder schmerzhaft oder auch tiefreichend sind, kann es zu so genannten narrativen Störungen kommen. Als solche bezeichnet Neimeyer den Verlust von Erzählmöglichkeiten. Sie werden von ihm unterschieden in:
• desorganisierte Störungen – fehlorganisierte Erzählungen mit KohärenzverlustDiese entstehen durch eine erlebte Diskontinuität in der Autobiografie und wenn das Selbst nicht mehr kohärent ist. Beispiel: Ein Kind verliert früh ein Elternteil; auch als erwachsene Person ist sie durch dieses Ereignis geprägt.
• dominante Erzählungen und einschränkende GeschichtenDiese spiegeln den Menschen, als der, der er ist oder werden kann, wieder in einer sehr eingeschränkten Geschichte. Dabei wird das Gefühl für die eigene Person, das eigene
118 Morgenthaler (2000, S. 242) spricht vom „seelsorglichen Metasystem von Familie und Seelsorger oder Seelsorgerin“ und zeigt nachdrücklich die intensiven Übertragungsprozesse auf, die entstehen können.119 Petzold 1999, S. 22. Zum Konzept „antizipatorischer Trauer“ siehe: Feith etal. 1998.120 Die folgenden Gedanken basieren auf Smith 2002. Zitate sind auf dieser und der folgenden Seite nicht im einzelnen kenntlich gemacht.
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Selbstbild viel zu klar, viel zu eng definiert. Durch die erzählende Wiederholung der eigenen Geschichte hat die Person keine Möglichkeit aus diesem „Schubladendenken“ herauszukommen. Diese Gefangenschaft in der dominanten Geschichte kann mit Depression und Fatalismus einhergehen.
Neimeyer stellt eine Trauertheorie vor, in der der Verlust an ein Konzept der Rekonstruktion der Sinnhaftigkeit gebunden ist. Durch den Tod als Ereignis werden die Annahmen, auf die das Individuum sein Leben stützt, validiert oder falsifiziert. Dies impliziert, dass jeder Verlust weitere Verluste, sogenannte Sekundärverluste, nach sich zieht. Die Welt, die als sicher und für selbstverständlich gehalten wurde, geht durch den Verlust eines geliebten Menschen verloren. Eine Welt, von der die Annahme bestand, dass sie vorhersehbar sei, dass das Universum, das Gott oder eine andere spirituelle Kraft es gut mit dem Menschen meine, zerbricht. Mit dem Verlust eines geliebten Menschen geht auch eine praktische und gefühlsmäßige Welt, die mit dem verlorenen Menschen ganz greifbar verbunden war, verloren. Gleichzeitig verliert der Trauernde auch eine Welt der Möglichkeiten, die einzigartig mit diesem Menschen verknüpft war, er verliert Zukunft.
Trauernde suchen oft eine sichere Möglichkeit, ihre Geschichten des Verlustes wieder und wieder zu erzählen, in der Hoffnung, dass der andere ihre Geschichten ertragen kann und sie ihr Leid als real bestätigt bekommen, ohne nur beruhigt zu werden. Trauernde suchen nach Wegen, die vielen Bedeutungen des Verlustes für ihre Lebensgeschichte anzunehmen, und bemühen Profis, die sie durch sorgsames Zuhören, angeleitete Reflexion unterstützen und mit denen sie durch das Erzählen eine Vielzahl an Ideen und neuen Perspektiven für sich entwickeln können, um den Verlust zu adaptieren. Die Adaption des Verlustes kann durch Assimilation oder Anpassung an die Lebensgeschichte erfolgen.
Hinzu kommt, dass die Beziehung zur Beraterin, wie sie in längeren Formen der Beratung und Begleitung eingegangen wird, auch bedeutet, dass der oder die Trauernde immer wieder persönliches Feedback erhält und Anerkennung erfährt. Beratung hat diese Funktion, Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen zu spiegeln, sie wieder bewusst zu machen. Damit wird auch soziale Identitätsarbeit121 geleistet, denn die Beraterin dient als Modell, wie man anderen Mut macht, lobt und bestärkt, in Krisen bei Menschen aushält u.a. Zugleich werden Hinterbliebene befähigt, in anderen Netzwerkbezügen mit Rückmeldungen umzugehen und sich von Fremdbestimmungen zu befreien. Das manchmal durch den Verlust angeknackste Selbstvertrauen und bewusstsein von Hinterbliebenen kann durch diese stärkende Arbeit wieder aufgebaut und auf das soziale Netz hin ausgebaut werden.
4.3.3 Ein Beispiel aus der Praxis
Ich beschreibe im folgenden einen kleinen Ausschnitt aus einem Beratungssetting im Hospiz. Anschließend kommentiere ich dann diesen Ausschnitt, nicht indem ich das Vorgehen 121 Vgl. Straus & Höfer 1998, S. 81.
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im Einzelnen reflektiere, sondern die erlebte Situation mit Erkenntnissen der Trauerforschung zusammenbringe.
(a) Die Situation:Ich bitte eine Frau, die nach dem Tod ihres Mannes zu Einzelgesprächen zu mir kommt, aufzuzeichnen, welche sozialen Kontakte in den letzten vier Wochen wichtig für sie waren. Sie solle zunächst sich selbst als Kreis in die Mitte des noch leeren DinA3Blattes zeichnen. Mit der Nähe und dem Abstand zu dem Kreis, der für sie selbst stehe, könne sie die Bedeutsamkeit des Kontaktes bestimmen. Es ergibt sich bereits aus der ersten Ansage ein langes Gespräch. Wir bleiben zunächst eine ganze Zeit bei den allgemeinen Themen hängen, die ihr die Erstellung der Karte schwer machen: Themen wie „mich selbst nicht so wichtig nehmen, nicht als Mittelpunkt sehen“, „Beziehungen kann man nicht grafisch aufzeichnen“, „wie soll ich bestimmen, wer wichtig für mich ist?“, „was können denn die Kriterien sein, mit denen ich Kontakt bestimme – (Häufigkeit des Aufeinandertreffens oder Intensität der Begegnung oder wie wichtig ich selbst für den oder die andere bin oder, ob ich mit meiner Trauer wahrgenommen werde u.a.) Schließlich zeichnet sie einen Kreis für sich auf das Papier, während wir noch über all diese Fragen reden. Wir lassen den Gedanken ihre Zeit, einigen uns darauf, dass sie selbst Ausgangspunkt aller Überlegungen ist und nicht, was eine andere Person dazu denken könnte, und gehen zunächst einfach von der Häufigkeit des Kontaktes aus, unabhängig von der Qualität. Dafür bestimmen wir vier umgebende Kreis um die Mitte, die sie selbst darstellt.Nachdem sie also sich zu Papier gebracht hat, frage ich noch einmal, mit wem sie in den vergangenen Wochen Kontakt hatte. Sie fragt zurück, ob sie auch den Verstorbenen einzeichnen darf. Er sei immer bei ihr, der wichtigste Mensch für sie. Ich bejahe das. Sie überlegt einen Moment und malt das Symbol Kreis, das für sie steht, komplett aus. Wir sprechen eine Weile darüber, was das für sie bedeutet. Aus unserem Gespräch ergibt sich, dass der Verstorbene durchaus nicht mit allem einverstanden wäre, wie sie jetzt lebt. Ich frage sie, wie sie das zum Ausdruck bringen könne, dass es mehr gebe als diese Deckungsgleichheit, die sie aufgemalt hat. Daraufhin malt sie nach kurzem Zögern einen zweiten Kreis um sich herum, in den sie Plus und Minuszeichen einzeichnet.
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(b) Kommentierung: Dieser erste Schritt in der Erstellung einer Netzwerkkarte eröffnet schon eine ganze Welt.
Die Trauernde vermisst ihren Mann überall in ihrem Leben, lebt aber andererseits bereits mit einem inneren Bild des Verstorbenen, das sie ganz ausfüllt. Seit dem Tod ist mittlerweile mehr als ein Jahr vergangen. Sie hat angefangen, einige Stunden in der Woche zu arbeiten, etwas, womit er nicht einverstanden gewesen wäre, was er kommentiert hätte mit „Das hast du nicht nötig“. Trotz solcher ganz eigenständiger Positionierungen ist er für sie noch immer Vorbild, Ratgeber, Gesprächspartner und klärende Instanz.122 Diese verschiedenen Rollen werden von ihr – wie übrigens von vielen Trauernden gewöhnlich – nicht als Einschränkung der Lebensmöglichkeiten, sondern als deren Erweiterung erlebt. Als Seelsorgerin begegnet mir, dass sich diese Rollen oftmals mit transzendenten Vorstellungen verbinden: „Sie ist jetzt mein Engel, mein Schutzengel“ sagen beispielsweise trauernde Witwer, zurückgebliebene Ehefrauen „Er paßt auf mich auf.“
Studien haben gezeigt: „Die Vorstellung eines aktiven inneren Bildes einer geschätzten verstorbenen Person scheint für viele Menschen ganz selbstverständlich und leicht erreichbar zu sein.“123
Das Gespräch dient dazu, die Rolle des Verstorbenen im eigenen Leben zu klären: Wer darf er (oder sie) mir jetzt sein? Wer war er mir; wer war ich für ihn? Bin ich verrückt, wenn er (oder sie) mir noch so wichtig ist? Darf das sein; muss es sich verändern? Wie haben andere unsere Beziehung wahrgenommen? Wie ordne ich das ein, was ich jetzt anders lebe und erlebe? usw.
Nicht nur innere Dialoge (auch laut geführte) mit dem oder der Toten, sondern auch externe Dialoge mit Menschen, die sie oder ihn gekannt haben, sollen dabei helfen, die Gedanken zu klären und die Zukunft vorzubereiten. Manch einer formuliert dabei, dass er diesen verstorbenen Menschen neu gefunden hat. Aufgabe von mir als Begleiterin dieses Erstellungsprozesses der Netzwerkkarte ist es, zu solchen inneren und externen Dialogen einzuladen und natürlich selbst mit meinen Fragen und Impulsen den Dialog zu führen und zur Entwicklung des Selbstbildes – einer Identität ohne den geliebten Menschen bzw. mit dem Verstorbenen als „innerem Begleiter“ – beizutragen.
Ziel des Trauerprozesses ist es unter anderen, eine glaubwürdige und wahrheitsnahe Lebensgeschichte der verstorbenen Person zu entwickeln. Trauerbegleitung, beratung und seelsorge haben nicht die Aufgabe, dabei zu helfen, die Beziehung aufzugeben – was entsprechende Interventionen zur Folge hätte –, sondern m.E. dabei zu helfen, für den oder die
122 Walter 2001, S. 125: „Die Forscher fand vier verschiedene Rollen für die Verstorbenen: als Vorbild, als Ratgeber in bestimmten Situationen, als klärende Instanz in der Beurteilung von Werten des Überlebenden, als ein geschätzter Bestandteil der Biographie des Überlebenden.“ vgl. Klass 2000, S. 76.123 Marwitt und Klass 1995; zitiert nach Walter 2001, 125.
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Tote einen angemessenen Platz im eigenen emotionalen Leben zu finden.124 Dem dient also beispielsweise nachzufragen, ob es noch einen Platz der trauernden Person gibt, der nicht von dem Toten ausgefüllt ist, oder ob es einen Platz des Toten außerhalb des trauernden Ich gibt.Nicht bestätigt werden konnte bislang übrigens, dass das NichtEingehen neuer Bindungen in irgendeinem Zusammenhang mit seelischer Gesundheit, emotionaler Beständigkeit oder Arbeitsfähigkeit von Betroffenen zu tun hat. Was der angemessene Platz des oder der Toten im eigenen Leben ist, bestimmt der oder die Trauernde selbst! Das steht als oberste Prämisse über der Arbeit mit der Trauernden an ihren „Bindungen“, an ihren Beziehungen.
Die Arbeit mit dem sozialen Netzwerk könnte im weiteren Verlauf dazu dienen, die Möglichkeit zu liefern, aus der Perspektive des Trauernden die Wahrnehmungen anderer für die gelebte Beziehung, den Verlust und das jetzige Leben zu integrieren, auch indem sie das innere Bild der verstorbenen Person zu aktivieren und anzureichern helfen durch die Perspektiven der anderen Menschen im eigenen sozialen Netz. Informationen zur Person, zu Beziehungen, zum Bild und zur Persönlichkeit des Verstorbenen werden angereichert, indem andere bestätigen, korrigieren, ergänzen, was der Trauernde über sich, seine Beziehung zum oder zur Verlorenen und über den oder die Verstorbene denkt. Vielleicht regt die Erstellung der Netzwerkkarte die Trauernde dazu an, mit anderen über den Verstorbenen zu reden. Dieses Reden über den Verstorbenen und die Erinnerung an ihnen können im Laufe dieses Prozesses ein selbstverständlicher Teil des Alltags werden.
124 vgl. dazu Worden 1991; er hält allerdings daran fest, dass der Trauernde neue Bindungen knüpfen muss – und nicht an vergangenen Bindungen festhalten darf; die Bindung an den Toten kann s.E. eine Behinderung im Trauerprozess bzw. im Leben sein.
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Exkurs: Das „soziale Sonnensystem“ – eine Abwandlung der Netzwerkkarte
Das „Sonnensystem“ stammt aus einer umfassenden amerikanischen Studie über zwischenmenschliche Beziehungen der Psychologin Ruthellen Josselson.125 Es kann sowohl in der Arbeit mit Einzelnen als auch in Gruppen verwendet werden. In der Vorbereitung von Ehrenamtlichen auf Trauerbegleitung kann es diese dazu anregen, eigene Beziehungen und Trauererfahrungen zu reflektieren. Dabei spielen beispielsweise die Ideen von Klass126 über bleibende Verbindungen mit den Toten eine große Rolle.Auf ein großes Blatt zeichnen KlientInnen ihr persönliches Sonnensystem, indem sie mit Farben und Formen die Menschen aus ihrem Lebenskreis auf umlaufende Planetenbahnen, um sich selbst als Sonne eintragen.
Lene KnudsenBöke127 bringt ein Beispiel aus einem Trauerseminar, das ich hier exemplarisch vorstellen möchte.
125 Information in: Yalom 2002, S. 227.126 Klass, Silvermann & Nickman 1996.127 Böke, KnudsenBöke & Müller 2000, S.5354.
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5 Netzwerkkarte und Genogramm – einige grundsätzliche Gedanken zur Bedeutung dieser Methoden für Trauerberatung und Trauerpastoral
„Vermag denn ein Sterblicher Fragen zu stellen, die Gott nicht beantworten kann? Sehr leicht, würde ich meinen. Auf alle sinnlosen Fragen gibt es keine
Antwort. Wie viele Stunden hat ein Kilometer? Ist Gelb rund oder viereckig? Die Hälfte aller Fragen, die wir stellen – die Hälfte unserer großen theologischen
oder metaphysischen Probleme – sind wahrscheinlich von dieser Art.“C.S. Lewis
(Lewis 1982, S. 101)
In der Genogramm und NetzwerkkartenArbeit steht nicht nur die Indexperson im Mittelpunkt, sondern auch – insofern ein Hinterbliebener im Mittelpunkt steht – der verlorene Mensch. Es wird nicht nur darauf geschaut, wie die Indexperson trauert, wo und wie sie soziale Unterstützung erfährt, wie die Trauer durch die Familienrollen bestimmt wird, sondern ebenso rekonstruiert, wie die verschiedenen Menschen – in der Familie und im sozialen Netz einer Person – mit dem Verlust leben, wie sie mit der lebenden Person und wie sie mit dem oder der Toten leben. Selbst wo das allein aus dem Blickwinkel einer Person geschieht, bereichert das deren Blick auf die Welt und deren Verständnis der eigenen Trauer und der Trauer der anderen. Es zeigt sich, dass Trauern nicht nur ein individueller Rekonstruktionsprozess ist, sondern ein gemeinschaftlicher: Die Gruppe derer, die mit dem oder der Toten in Verbindung waren, rekonstruiert sein oder ihr Bild, das Leben ohne ihn oder sie und der Sinn werden neu konstruiert.
Nun vermittelt gerade der Blick auf das Familiensystem und das Netzwerk eines Menschen recht unmittelbar, in welchen SinnBezügen jemand lebt und ob es Gemeinsamkeiten in der Todesdeutung und Weltdeutung überhaupt mit anderen Menschen im Umfeld des Hinterbliebenen gibt. In diesem Prozess der SinnFindung haben die religiösen Traditionen einen festen Ort: die jüdische siebentägige Schiwa beispielsweise, bei der man im Haus des Verstorbenen zusammenkommt und Erinnerungen austauscht, und die jährliche „JahrzeitFeier“ oder auch Leichenschmaus, Sechswochenamt und Jahrgedächtnis der christlichen (vor allem katholischen) Tradition, die dem gemeinsamen Erinnern und Gedenken der Toten gelten. Die Beschäftigung mit der Persönlichkeit des oder der Toten, mit seinem oder ihrem Nachklang im Leben von Lebenden akzentuiert, dass wir mit den Toten leben. – Im gesellschaftlichen Leben und oft selbst in der Trauerbegleitung wird jedoch eher keine Erlaubnis erteilt, an den Toten festzuhalten. Es wird akzentuiert, dass wir ohne den Verstorbenen „weitermachen“ müssen. Dabei haben Studien beispielsweise mit Verwitweten gezeigt, dass nach einer ersten Zeit, in der die Erinnerung eingeschränkt war, nach und nach viele Erin
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nerungen ins Bewusstsein kommen – und dass diese Erinnerungen eben nicht unbewältigte Trauer sind, sondern als Bereicherung des Lebens erlebt werden.128 Ältere Witwen äußern – und das kann ich aufgrund eigener Gespräche nur bestätigen –, dass sie ihre Partner im Himmel wiedersehen wollen, was im Verständnis klinischtherapeutischer Arbeit (und theoretischer Reflexion) immer wieder als pathologisch eingestuft wird.Einerseits: Solche Themen werden im Blick auf Genogramm und Netzwerk unmittelbar angesprochen. Die Visualisierungsmethode dient Trauernden dazu, ganz verschiedene Perspektiven in den Blick zu bekommen und zu integrieren.Andererseits: Mir hilft es in der Vorbereitung von Liturgien beispielsweise, aufzuzeichnen, was ich über das Familiensystem und das darüber hinausgehende soziale Netz eines Menschen erfahren habe. Es sind zudem für mich Formen der Dokumentation, die hilfreich sind, wenn jemand über größere Zeitabstände hinweg immer einmal wieder das Gespräch mit mir sucht, um einzelne Aspekte zu bearbeiten.
In der Arbeit mit Netzwerkkarte und Genogramm kann man recht schnell verdeutlichen, dass der zu betrauernde Verlust immer auch Veränderungen im eigenen Leben mit sich bringt: Die Welt muss neu gelernt werden! Die Rollen werden neu verteilt, und es müssen ganz unterschiedliche Anpassungsleistungen erbracht werden. Das manifestiert sich in ganz alltäglichen Parametern: Eine Witwe muss beispielsweise lernen, Auto zu fahren, was vorher ganz selbstverständlich der Mann getan hat. Eine Frau erzählte mir im Gespräch: „Ich vermisse meinen Mann sehr. Aber wissen Sie was, wenn ich jetzt in der Gruppe bin, in der wir früher gemeinsam waren, dann rede ich selbst, ich äussere meine Gedanken und ich denke ganz neue Gedanken, die ich früher nie gedacht und schon gar nicht geäussert hätte. Mein Mann konnte viel besser reden als ich; dann war ich still.“ Betont werden in solchen Gesprächen die beiden Seiten: Verlust und Vermissen einerseits, aber auch neue Eigenständigkeit, Übernahme der Verantwortung fürs eigene Leben u.a. andererseits.
„Trauern kann uns ein neues Selbstverständnis und ein neues Weltverständnis bringen.“129
Seelsorge hat in diesem Geschehen – der Suche nach Verbindung mit dem oder der Toten – eine wichtige Bedeutung und Funktion. Gemeinsam mit humanistischen Ansätzen vermittelt sie, dass wir sind, wer wir sind, auch auf Grund dessen, wer der Verstorbene (für uns) war. Wer er für uns war, zeigt sich eben im Blick auf die anderen Menschen, die vom Tod betroffen sind – verdeutlicht u.a. in der Arbeit mit Genogramm und Netzwerkkarte. Seelsorge gibt Trauernden die Erlaubnis, mit dem Toten zu leben, und sie kann die Sicherheit geben, dass die Gemeinschaft von Lebenden und Toten uns erhalten bleibt und lebendig macht. Der physische Tod wird dabei nicht geleugnet. Mit der Gestaltung von Totenwachen und Beerdigung/Begräbnis/Bestattung nimmt die Seelsorge den Toten und den
128 Prozess beschrieben z.B. in Parkes 1986, S. 88.129 Kast 1983, S. 100.
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Tod in den Blick. Doch: „Die tote Person ist zunächst verloren und wird dann wieder gefunden, anstatt dass man erst an ihr hängt, ehe man sie dann völlig aufgibt.“130 Seelsorge vermittelt dieses Geschehen im Ritual: Der Einsicht in die Wirklichkeit, dass wir Staub sind und zum Staub zurückkehren, fügt sie im Symbol des Sarges ihren Glauben bei, dass wir wie Noah in der Arche aus der Katastrophe des Todes hervorgehen. Mit den Bildern der religiösen Traditionen erlaubt sie, neue und bleibende Beziehungen zu den Toten einzugehen.
Seelsorge bietet in der Begräbnisfeier die Chance, das Leben des Toten Revue passieren zu lassen, und hat die Aufgabe, ein Bild der Persönlichkeit zu zeichnen (auch in der Auswahl der Gebete und Lieder), das als „angereichertes“ Bild der Person in der Gemeinschaft der Trauernden Bestand hat. Wenn ich nur bei der Vorbereitung einer Beerdigung nur mit der Ehefrau spreche, gar in meinem Büro, und den Toten, seine eigenen vier Wände, seine Kinder und Freunde, nicht gekannt habe, dann kann genau das eben nicht geschehen: das Ganze zu spiegeln. Das aber ist mein Auftrag als Seelsorgerin bei der Gestaltung der Trauerfeier oder Bestattung. „Je nachdem, wie dieser Übergang gestaltet wird, können der Trauergottesdienst und die ihn begleitenden Gespräche wichtige präventive Funktionen erfüllen und zu einer konstruktiven Weiterentwicklung des Familiensystems beitragen.“131
Auch Beileidsschreiben haben die Funktion, das Bild des Verstorbenen, seine Bedeutung innerhalb einer Gemeinschaft von Menschen zu rekonstruieren: Menschen teilen mit, was sie von dem Verstorbenen gehalten haben, was er ihnen bedeutete. Menschen teilen auf diesem Weg auch eigene Verlust und Bewältigungserfahrungen mit und sie drücken ihre Wertschätzung für die Lebenden aus. Ein Blick auf das soziale Netz könnte dann so aussehen, dass man den Hinterbliebenen im Gespräch zum Erzählen über solche Erfahrungen einlädt, indem man fragt: „Wer hat Ihnen einen Brief aus Anlass des Todes Ihres Sohnes geschrieben? Wie erging es Ihnen mit diesen Briefen? Haben Sie sie noch? Lesen Sie sie noch? Was bedeuten sie Ihnen und warum? Was bedeuten Ihnen bestimmte Inhalte?“
Der „Beerdigungskaffee“ (Leichenschmaus) hat dieselben Funktionen: „Wer war dabei? Was wurde gesprochen? Zu wem davon haben Sie noch Kontakt? Zu wem nicht? Was bedeuten Ihnen diese Erfahrungen?, diese Kontakte? usw.“
Und selbstverständlich gibt’s jede Menge Hindernisse für diesen Prozess – keine gemeinsamen Traditionen mehr und das bedeutet, keine gemeinsamen Symbolisierungen und Riten mehr, unterschiedlicher Stand in der Trauer usw. Bringe ich diese Aspekte ins Gespräch, verändern sich die Möglichkeiten, damit zu leben.
130 Walter 2001, 120. Ich erinnere noch einmal daran: Das genaue Gegenteil war es, was beispielsweise Verena Kast als wesentliche Phase der Trauer postulierte: nämlich die tote Person aufzugeben!131 Morgenthaler 2000, S. 233.
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In der Arbeit mit dem Genogramm wird dann deutlich, dass die verschiedenen Generationen vielleicht ganz verschiedene Sprachen haben (und hatten), um über einen Verlust zu sprechen und dass die Kommunikation von vielen Behinderungen geprägt ist: Wer spricht mit wem worüber? Wie wird mit der Verschiedenheit der Weltanschauungen und Bekenntnisse in einem Familiensystem umgegangen? Gibt es Homogenität? Wird das Thema ignoriert?
Die Arbeit mit dem Netzwerk macht offenbar, dass es getrennte Lebenswelten gibt, in denen Menschen eben nur Teile von sich leben: Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz beispielsweise bringt es mit sich, „dass es unwahrscheinlich ist, dass meine Kollegen meine Familie und Freunde kennen. Über ein totes Familienmitglied oder einen toten Arbeitskollegen zu reden, wird dabei im jeweils anderen Umfeld unmöglich“132.
In der Arbeit mit der Netzwerkkarte werden auch die exfamiliären und extrafamiliären Beziehungssysteme für die Bewältigung der Trauer und auch für ihre Behinderungen in den Blick genommen.
Die Arbeit mit Genogramm und Netzwerkkarte ermöglicht es zudem, die Auswirkungen geographischer Mobilität und der längeren Lebensdauer von Menschen in den Blick zu nehmen, die sich auf die Verlustverarbeitung auswirken.Erst der bewußte Umgang mit solchen Aspekten der Verlustverarbeitung macht sie möglich. Konkret: Ein Sohn lebt in Amerika; er hat die sterbende Mutter zusammen mit dem Vater begleitet, muss (und möchte) aber zurück. Wie lebt der Sohn mit dem Verlust, der keinen äusseren Ort (kein Grab, keine Erinnerungsorte) hat? Wie lebt der trauernde Vater mit dem trauernden Sohn?Im beratenden Gespräch könnte es an dieser Stelle wichtig werden, persönliche Rituale zu erarbeiten oder Verbindungssymbole zu entdecken.Ich bin überzeugt davon: Wenn Menschen nicht mit der Erinnerung anderer in Verbindung bleiben, verändert sich die Trauer. Wenn Menschen nah beieinander leben, aber bezogen auf den Verlust keine Erinnerung teilen, verändert sich die Trauer. Bezogen auf den Sohn in Amerika: Seine Nachbarn und Kollegen dort kennen die Mutter nicht, wie und was soll er mit ihnen über sie reden? Ähnlich kann das natürlich auch die Langlebigkeit von Menschen hier in Deutschland bewirken: Mehrere Generationen leben in einem Haus oder einem Dorf, haben aber ganz verschiedene Lebenskonzepte entwickelt. Das be oder verhindert, dass sie gemeinsam eine Biographie des Toten konstruieren.Wenn die Rekonstruktion der Persönlichkeit des oder der Toten ein Ziel des Trauerprozesses ist, dann gehört zur Trauerberatung (begleitung und seelsorge) – auf sensible Weise – die Idealisierungen des Toten in Frage zu stellen. Ob es dagegen Sinn macht, verallgemeinerte Aussagen (Mein Mann war ein vielbewunderter Mann.) in der Beratung zu subjektivieren (Sie haben ihren Mann bewundert.), wage ich zu bezweifeln. Denn es geht ja dem Trauernden gerade darum, ein Bild der Gesamtpersönlichkeit zu finden: nicht die persönli132 Walter 2001, S. 132
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che Bewunderung lässt diesen Satz aussprechen, sondern es soll eine Seinsaussage gemacht werden (die im Bereich der Seelsorge ausgesprochen sogar transzendente Bedeutung haben soll!): das war er – eine Identitätsaussage eben.
Genogramm und Netzwerkkarte geben für all die angerissenen Themenkomplexe in der Beratung Anstöße und Gesprächsimpulse. Sie sind auch im nichttherapeutischen Kontext einsetzbar. Als VisualisierungsMethoden sind sie so offen, dass sie dem Hinterbliebenen nichts aufzwingen und so dem Grundsatz von Smeding, Trauer erschließen zu helfen, entsprechen. Sie regen Hinterbliebene zu Lernprozessen an. Sie fördern ihre Wahrnehmung für sich selbst und ihr Lebensumfeld. Sie regen zu eigenen Aktivitäten an und machen Hinterbliebene nicht passiv. Ihre Bedeutung sei abschließend noch einmal in neun Thesen zusammengefaßt:
1. Genogramm und Netzwerkkarte sind hilfreiche Instrumente zu dokumentieren, wen ein Verlust trifft, welche potentiellen Unterstützungsangebote da sind, wo schon andere Verluste da sind, die Begleitung nötig machen könnten u.a.m.
2. Sie sind Instrumente, die dazu dienen, Themen der Trauerarbeit zu generieren, die ansonsten nicht so leicht in den Blick kämen.
3. Sie dienen dazu, auch die sozialen Aspekte des Verlustes wahrzunehmen und bearbeiten zu können.
4. Genogramm und Netzwerkkarte helfen dabei, die gemeinsamen und divergierenden SinnKonstruktionen innerhalb von Familie und unmittelbarem Lebensumfeld wahrzunehmen – und damit zu arbeiten.
5. Das Genogramm bietet Hinterbliebenen eine Mehrgenerationenperspektive im Umgang mit Verlust und Trauer. Dieses Verständnis hilft bei der Orientierung und Einordnung eigener Erfahrungen, Gefühle, Reaktionen.
6. Das Genogramm öffnet den Blick für Familientraditionen und deckt sie auf. Das sind zum Beispiel Datenübereinstimmungen (sich selbst erfüllende Prophezeiungen?), magische Zahlen und andere Besonderheiten und Kuriositäten.
7. Genogramm und Netzwerkkarte dienen dazu, Spannungen innerhalb der familiären Trauerbearbeitung anzuschauen, also Divergenzen innerhalb des familiären Systems, aber auch zwischen Familie und anderen Segmenten des sozialen Netzes wahrzunehmen.
8. Die Netzwerkkarte macht offenbar, wo an der Erweiterung des sozialen Netzes gearbeitet werden muss, damit der oder die Hinterbliebene wieder einen Platz im Leben findet, befriedigende Beziehungen lebt.
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9. Die Netzwerkkarte dient dem Berater / Begleiter dazu, die eigene Stellung im sozialen Netz eines Trauernden kritisch wahrzunehmen und sein Verhalten darauf abzustimmen.
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