Husserl Studies 21: 183–206, 2005. c Springer 2005 Ist Husserls Ph¨ anomenologie ein transzendentaler Idealismus? ∗ VITTORIO DE PALMA Universit` a degli Studi di urbino, E-mail: [email protected]Mir ist der ganze deutsche Idealismus immer zum K. . . gew esen. Ich habe mein Leben lang die Realit¨ at gesucht. 1 Sinnlich, im pr¨ agna nt en Sinne “r eal”, ist das in einer sc hl icht en W ahrne hmung Wahrne hmba re, in ei ner sc hl icht en Ansc ha uung Anschaubare (Hua Mat III, S. 168). 1. In den Texten zum transzendentalen Idealismus treten die zwei theoretischen Hauptmotive 2 deutlich herv or , die Husserl zum Idealismus gef¨ uhrt ha ben unddie bereits in den Logischen Untersuchungenenthalten sind. Das er ste Moti v, da s ma n ‘kri tisch’ ne nnen ka nn, be steht in der Zur¨ uckweisung des Gedankens vom Ding an sich bzw. von etwas, das dem Bewusstsein prinzipiell unzug¨ anglich w¨ are. Indem Husserl sich als Idealist erkl¨ arte, bezweckte er, sich dem Realismus seiner Zeit entgegenzustellen. Dabei waren ihm vor allem die Thesen von Brentano (demzufolge die Wirk- lichkeit aus den allein gegebenen und als Zeichen fungierenden Empfind- ungen geschlossen wird) und von Riehl (der das Ding an sich als kausalen Grund der Erscheinungen, d.h. als eine unerkennbare, hinter der empirischen liegende Wirklichkeit auffasste) gegenw¨ artig. 3 Den wirklichen Gegenstandals ein Korrelat der Erscheinungen, in denen er gegeben ist bzw. gegeben sein kann, zu bezeichnen, d.h. als ein Korrelat eines m¨ oglichen Subjektes, ist die Fol ge der Zur ¨ uckweisung eben jenes Realismus, der zur Verkennung dersinnlichen Erfahrung und zu folgenden Paradoxien f¨ uhrt, die eine “verkehrte ∗ AlleZitatewurden still schw eige nd derneuen deuts chenRechtsc hreib ung ange pass t. Ich dank e Professor Rudolf Bernet, Direktor des Husserl-Archivs Leuven, f¨ ur die Genehmigung, aus Husserls unver¨ offentlichten Manuskripten zitieren zu d¨ urfen, und Manuel Gatto, der mir bei der Gestaltung des deutschen T extes mit vielen V erbesserungsvors chl¨ agen geholfen hat.
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Husserl Studies 21: 183–206, 2005. c Springer 2005
Ist Husserls Phanomenologie ein transzendentaler
Idealismus?∗
VITTORIO DE PALMAUniversita degli Studi di urbino, E-mail: [email protected]
Mir ist der ganze deutsche Idealismus immer zum K . . . gewesen. Ich habemein Leben lang die Realitat gesucht.1
Sinnlich, im pragnanten Sinne “real”, ist das in einer schlichtenWahrnehmung Wahrnehmbare, in einer schlichten AnschauungAnschaubare (Hua Mat III, S. 168).
1.
In den Texten zum transzendentalen Idealismus treten die zwei theoretischen
Hauptmotive2 deutlich hervor, die Husserl zum Idealismus gefuhrt haben und
die bereits in den Logischen Untersuchungen enthalten sind.
Das erste Motiv, das man ‘kritisch’ nennen kann, besteht in der
Zuruckweisung des Gedankens vom Ding an sich bzw. von etwas, das dem
Bewusstsein prinzipiell unzuganglich ware. Indem Husserl sich als Idealist
erklarte, bezweckte er, sich dem Realismus seiner Zeit entgegenzustellen.
Dabei waren ihm vor allem die Thesen von Brentano (demzufolge die Wirk-
lichkeit aus den allein gegebenen und als Zeichen fungierenden Empfind-
ungen geschlossen wird) und von Riehl (der das Ding an sich als kausalen
Grund der Erscheinungen, d.h. als eine unerkennbare, hinter der empirischen
liegende Wirklichkeit auffasste) gegenwartig.3 Den wirklichen Gegenstand
als ein Korrelat der Erscheinungen, in denen er gegeben ist bzw. gegebensein kann, zu bezeichnen, d.h. als ein Korrelat eines moglichen Subjektes, ist
die Folge der Zuruckweisung eben jenes Realismus, der zur Verkennung der
sinnlichen Erfahrung und zu folgenden Paradoxien fuhrt, die eine “verkehrte
∗AlleZitate wurden stillschweigend derneuen deutschenRechtschreibung angepasst. Ich danke
Professor Rudolf Bernet, Direktor des Husserl-Archivs Leuven, fur die Genehmigung, aus
Husserls unveroffentlichten Manuskripten zitieren zu durfen, und Manuel Gatto, der mir bei
der Gestaltung des deutschen Textes mit vielen Verbesserungsvorschlagen geholfen hat.
der Modus der Selbsthabe von Naturobjekten [. . .]. Und wieder nur weil un-vollkommene Erfahrung doch Erfahrung, doch Bewusstsein der Selbsthabeist, kann Erfahrung sich nach Erfahrung richten und durch Erfahrung
berichtigen. Aus eben diesem Grunde ist es auch verkehrt, eine Kritik der sinnlichen Erfahrung, die naturlich deren prinzipielle Unvollkommen-
heit (das ist ihr Angewiesensein auf weitere Erfahrung!) herausstellt, damitabzuschließen, dass man sie verwirft und dann in der Not auf Hypothesenund indirekte Schlusse rekurriert, durch die das Phantom eines transzen-denten “Ansich” (eines widersinnig transzendenten) erhascht werden soll(Hua XVII, S. 170).4
Das zweite Motiv, das man ‘dogmatisch’ nennen kann, besteht darin,
als Urstoff oder ‘Erfahrungsgrundlage’ der Erkenntnis formlose und be-
wusstseinsimmanente Inhalte hinzustellen, die apodiktisch in der inneren
Wahrnehmung gegeben sind und aufgrund ihrer Beseelung durch inten-
tionale Akte als Erscheinungen eines transzendenten Gegenstandes aufge-
fasst werden. Hiernach entstammt der Begriff der sinnlichen Konstitution
dem “Schema Auffassung/Auffassungsinhalt” zufolge (Hua X, S. 7 Anm.
1), d.h. dem Dualismus zwischen dem formlosen Stoff und der ihm einen
gegenstandlichen Sinn gebenden intentionalen Form: Der sinnliche Gegen-
stand entstammt einer “Auffassung” oder “Deutung” von “Erlebnissen”
bzw. “Empfindungen”, die als dem Bewusstsein “reell immanent” die ur-
sprunglicheren und unmittelbarsten, ja die einzig eigentlichen Gegebenheiten
sind und somit den Auffassungsinhalt ausmachen, aber zu Erscheinung von
etwas nur durch Akte von “Apperzeption” oder “Sinngebung” werden (Hua
XIX, S. 79ff., 394ff., 616ff., 760ff.; Hua III, S. 83ff., 191ff., 225ff.). Es ist der
“Aktcharakter, der die Empfindung gleichsam beseelt und es [. . .] macht, dass
wir dieses oder jenes Gegenst¨ andliche wahrnehmen” (Hua XIX, S. 399). In
den Erlebnissen als solchen ist der Gegenstand also nicht gegeben: Dieselbe
Empfindungskomplexion kann in verschiedenen Weisen aufgefasst werdenund verschiedene Gegenstande reprasentieren.5 Die hyletischen Daten haben
nur eine Erscheinungsfunktion, insofern sie nicht als Reprasentanten von sich
selbst (ideae materialiter sumptae), sondern als Reprasentanten von etwas
anderem als sich selbst (ideae obiective sumptae) dienen (Hua XXXVIII, S.
19). Abgesehen von dieser Funktion gelten sie als “subjektive Gegenstande”
(Hua IX, S. 163, 165, 168), die “zunachst thematisch gewesen” sind, “in
gewisser Weise als Enden fungiert haben, aber diesen Gegenstandscharakter
haben sie nach der Konstitution einer Welt verloren”, denn er “ist in Verfall
naturlichen Anschauungs- und Denkrichtung” (Hua XIX, S. 14) bedarf, und
identifiziert diese Analyse mit der Reflexion bzw. inneren Wahrnehmung, die
die Erlebnisse zu Gegenstanden macht (ebd., S. 202, 669). In den Ideen be-
tont er die Notwendigkeit “einer muhsamen Blickabwendung von den [. . .]
naturlichen Gegebenheiten” (Hua III, S. 136), um das Feld des Bewusstseins
zu fassen; “die phanomenologische Methode bewegt sich durchaus in Aktender Reflexion” (ebd., S. 162). In den Zwanziger Jahren sagt er, “reine Inner-
lichkeiten” seien nur durch eine “kunstliche Methode” (Hua IX, S. 194) bzw.
eine “ganz ‘unnaturliche’ Einstellung” (Hua VIII, S. 121) zu erfassen, die
die auß ere Erfahrung der Gegenstande in innere Erfahrung der Erlebnisse
umwendet (Hua VII, S. 259ff.; Hua IX, S. 191). Die “Selbsterkenntnis” bzw.
“Innerlichkeit” ist die “Mutter” bzw. “Urquelle aller anderen Erkenntnis” und
“aller erscheinenden Objektivitat” (Hua VIII, S. 5; Hua IX, S. 193). Die tran-
szendentale Einstellung ist also eine Art Introspektion, die “auf Empfindung
und Auffassung” gerichtet ist, ohne Weltliches vorauszusetzen (Hua XXXVI,
S. 129). Aufgrund des “Parallelismus” zwischen Phanomenologie und Psy-
chologie kann man durch eine bloß e Einstellungsanderung von der zweiten
zur ersten ubergehen: Sie unterscheiden sich nur durch eine verschiedene Ap-
perzeptionsweise derselben Phanomene, die beiderseits Gegebenheiten der
inneren Erfahrung, d.h. immanente Inhalte, sind.25 Die transzendentale Frage
betrifft eben den Anspruch der Erkenntnis, “uber sich hinaus” und etwas nicht
dem Bewusstsein Immanentes zu treffen, d.h. das cartesianische Problem des
Verhaltnisses zwischen dem eigentlich allein gegebenen immanenten Erlebnis
(idea in me) und dem nur mittelbar zuganglichen transzendenten Gegenstand
(res extra me).26 Diese Frage entstammt so wenig der transzendentalen Wende,
dass sie schon in den Vorlesungen von 1898/99 formuliert ist:
Das erkennende Bewusstsein und die erkannten Realitaten sind notwendiggetrennte Realitaten, den einzigen Fall ausgenommen, dass sich das erken-
nende Bewusstsein auf etwas richtet, was ihm selbst reell einwohnt, alsoauf den Fall der Selbsterkenntnis. [. . .] subjektive Phanomene [. . .] sind das unmittelbar allein Gegebene. Wie kommen wir dann aber dazu, uber diese Phanomene hinauszugehen, mit welchem Rechte urteilen wir, die wir diese so und so bestimmten Phanomene haben, dass nicht nur sie in uns,sondern auch gewisse ihnen so oder so entsprechende Dinge auß er unsexistieren? (Hua Mat III, S. 235f.).
Die “Transzendentalphilosophie” ist also “die Theorie der Transzendenz,
der individuelles Bewusstsein uberschreitenden Erkenntnis vom Realen” und
unzuganglichen Wirklichkeit. Diesem Ansatz stellt Husserl die Behauptungentgegen, dass der wirkliche Gegenstand in der Wahrnehmung direkt gegeben
ist. Da Husserl aber den Cartesianismus nur zur Halfte zuruckweist, weil er
an den Gedanken der Cogitationes als Urstoff der Erfahrung gebunden bleibt
und somit die Gegebenheit des Immanenten fur eigentlich und die des Tran-
szendenten furratselhaft halt, fehlt dieser Behauptung die Konsequenz. Daher
ruhrt die Schwierigkeit, den Gehalt des Dinges zu bezeichnen. Einerseits ist
das Ding nichts neben oder auß er den Erscheinungen, in denen es gegeben
ist, ja es scheint, sich in Bewusstseinszusammenhangen “aufzulosen”, mit
ihnen identisch zu sein; andererseits ist das Ding weder ein Fiktum noch das
Bewusstsein selbst bzw. ein Teil des Bewusstseins (ebd., bes. S. 29ff., 36,
40, 68ff.). Das Natursein ist “ganz und gar geborgen im Bewusstsein und in einem ganz ahnlichen Sinn wie das Sein des Tones im Tonbewusstsein”
(ebd., S. 69). Aber das transzendente Objekt ist im Akt nicht reell enthalten,
ist “nicht selbst Bewusstsein” (ebd. S. 36; vgl. S. 32). Es handelt sich darum,
einerseits den Gegenstand nicht jenseits seiner moglichen Gegebenheit bzw.
jenseits des Bewusstseins, in dem sich seine Gegebenheit verwirklicht, zu
hypostasieren, andererseits nicht den Gegenstand selbst in das Bewusstsein
aufzulosen. Das Problem besteht also darin, “wie Erkenntnis verstandlich
werden soll, wenn Gegenstande sich nicht reduzieren auf Eigentumlichkeiten
oder Zusammenhange des Bewusstseins selbst, und wie andererseits, wenn
sie das tun, die Erkenntnis nicht bloß e Illusion sein soll” (ebd., S. 26).
3.
Die Unterscheidung zwischen zwei Motiven des phanomenologischen Idea-
lismus findet ihre Berechtigung bei Husserl selbst. Denn er sagt, der Idealis-
mus bestehe nicht in der These der notwendigen Korrelation von Gegenstand
und Bewusstsein, sondern ausschließ lich in der Reduktion auf das ab-
solute Bewusstsein (ebd., S. 138), die er der “Metaphysik” (ebd., S. 37)
zuschreibt und die nur aufgrund des Gedankens der Konstitution als Auf-
fassung von formlosen und immanenten Erlebnissen vollzogen werden kann.
Dieser Gedanke wird de facto in den Zwanziger Jahren uberwunden28 und
schon vorher erarbeitet Husserl eine Erfahrungsanalyse, die von der Einsicht bestimmt ist, dass die sinnlichen Daten sachliche, d.h. an ihrer Besonderheit
und nicht an der Subjektivitat hangende Strukturformen besitzen.
Nach Husserl ist das Apriori eine relation of ideas, indem es im We-
sen der betreffenden Inhalte grundet:29 Es druckt Relationen aus, die “mit
den ‘Ideen’ notwendig gesetzt sind” (Hua VII, S. 359), denn “wo die Ideen
gegeben, da auch die Relation, in ewig unveranderlicher Weise” (Hua XXIV,
S. 341). Das Apriori ist nicht nur formal-analytisch, sondern auch material-
synthetisch (sachhaltig), insofern “inhaltlich bestimmte” (Hua XIX, S. 254)
apriorische Gesetze bestehen, die “von der sachlichen Eigenart ihrer [. . .]Gegenstandlichkeiten” nicht unabhangig sind (ebd., S. 259), sondern “auf
sinnlichen Vorstellungen” beruhen (Hua XXVIII, S. 403). Beispiele solcher
apriorischer Gesetze sind: Es gibt keine Bewegung ohne Geschwindigkeit,
keine Farbe ohne Ausdehnung, keinen Ton ohne Lautstarke. Solcherart
Gesetze grunden nicht “in der ‘Weise des Vorstellens”’ des Subjektes (Hua
XIX, S. 240), sondern in der “Eigenart” bzw. “wesentlichen Besonderheit der
Inhalte” (ebd., S. 255, 257), so dass sie “mit den reinen Arten der [ . . .] In-
halte wechseln” (ebd., S. 254). Jedes apriorische Gesetz gilt furjede mogliche
Subjektivitat, aber nur relativ auf jeweilige Inhalte: Um universal (d.h. von
allen moglichen Inhalten der Erfahrung) und nicht nur allgemein (d.h. von
allen moglichen Inhalten eines bestimmten Typus) zu gelten, sollte das syn-thetische Apriori nicht im sinnlichen Inhalt in specie, also a parte obiecti
grunden, sondern, wie bei Kant und Fichte, im Wesen der Subjektivitat,
die allen empirischen Daten eine einzige transzendentale, aus sich selbst
entnommene Form verleiht.30 Der in der Literatur sehr vernachlassigte Be-
griff vom materialen Apriori liegt der Lehre der regionalen Ontologien zu
Grunde, die davon ausgeht, dass jeder in der Erfahrung gegebene Inhalt eine
apriorische Struktur hat, die in seiner wesentlichen Besonderheit grundet.
Von hier aus entwickelt Husserl sowohl die Lehre der Konstitution, die sich
nach der Besonderheit des Inhaltes besondert, als auch die Lehre der einen
Erfahrungswelt, deren invariante Struktur den vielen Umwelten zugrunde
liegt.
Nach Husserl sind auß erdem die sinnlichen Einheitsformen (Ahnlichkeit,
Gleichheit, Steigerung usw.) “sachlich” (ebd., S. 666), weil sie “an der Natur
der fundierenden Inhalte” hangen (ebd., S. 289): Dabei ist die Wahrnehmung
des Inhaltes eo ipso Wahrnehmung seiner Verbindung mit anderen Inhal-
ten und der sie betreffenden Einheitsform.31 Im Gegensatz zu den katego-
rialen Formen, die aus der Denktatigkeit des Subjektes hervorgehen und
den Gegenstanden keine “sachliche Verknupfungsform” verleihen (ebd.),
ergeben die sinnlichen Formen eine “sachliche Einheit” (ebd., S. 290), die
“‘an sich’ einig” ist und die, genauso wie die sinnlichen Inhalte, vor jedem
Verbindungsakt in der Erfahrung gegeben ist (ebd., S. 715). “Kant ubersah,
dass viele inhaltliche Verbindungen uns gegeben sind, bei denen von einer
synthetischen, die inhaltliche Verbundenheit schaffenden Tatigkeit nichts zumerken ist” (Hua XII, S. 41).
Husserl stoß t immer wieder auf die idealistischen Konsequenzen des
Schemas Inhalt/Auffassung. In den Vorlesungen von 1904/05 behauptet er,
dass die Inhalte nicht in jedem Sinne aufgefasst werden konnen und dass ein
Sinn sich nicht aufgrund jederlei Inhaltes konstituieren kann (Hua XXXVIII,
S. 40). In der Dingvorlesung bemerkt er, dass trotz der Unabhangigkeit der
Auffassung vom Inhalt eine Tonempfindung eine Farbe nicht darstellen kann,
und dass die Unterscheidung von Gegenstand und reellem Inhalt sowie von
der “Genese der [. . .] Habitualitat und habituellen Apperzeptionsart” (HuaXXXV, S. 407) – die vom schon konstituierten Gegenstand ausgehen muss,
so dass die statische Phanomenologie die genetische ermoglicht und dieser
vorangeht36 – untersucht “wie Bewusstsein aus Bewusstsein in passiver Mo-
tivation hervorgeht” (Hua XIV, S. 53), d.h. sie untersucht den “Motivations-”
oder “Bedingtheitszusammenhang” zwischen den Inhalten und den zu einem
bleibenden Habitus des Ich werdenden Apperzeptionsakten (ebd., S. 41; Hua
XI, S. 338; Hua XV, S. 615; vgl. Hua XIII, S. 346ff.). Da die Genese an der
sachlichen Eigenart der Gehalte in specie hangt und mit dieser wechselt, ist
sie eine apriorische oder Wesensgenese.37
Ubrigens wird auch von idealistischer Seite eingesehen, dass Husserls Be-
griff der passiven Konstitution als Grundlage der aktiven (Hua XI, S. 208f.,252f.,256,275;HuaIX,S.99;HuaI,S.112f.)dieMoglichkeit ausschließt, die
Subjektivitat als Prinzip der Erfahrungsstruktur zu verstehen.38 Da der vom
Ich ausgehende und auf den Gegenstand gerichtete Akt eine vom Gegebenen
ausgehende und auf das Ich gerichtete Affektion voraussetzt (Hua XI, S. 84f.,
151; Hua IX, S. 131, 209), sinddie Akte in der passiven Genese nicht wie in der
aktiven bestimmt durch andere Akte, sondern “motiviert durch Affektionen”
(Hua XI, S. 342), d.h. durch die sinnlichen Daten. Diese werden nicht mehr
noetisch-funktionell als Empfindungen bzw. Erlebnisse verstanden, die in der
inneren Wahrnehmung zuganglich werden, sondern noematisch-deskriptiv als
Inhalte, die sich aufgrund von auf Ahnlichkeit beruhenden assoziativen Ver-
schmelzungen konstituieren und durchden Kontrastmit dem Hintergrundeine
Affektion ausuben. Diese Inhalte sind weder formlos noch immanent, da sie
vor jeder subjektiven Auffassung beschaffen sind und im Wahrnehmungsfeld
liegen. Die passive Intention transzendiert ihren Gehalt wegen der noema-
tischen Hinweise zwischen den sinnlichen Daten und nicht wegen einer Be-
seelung dieser Daten.39 Das Bewusstsein ist immer “apperzipierend”, weil es
“uber sich selbst hinausmeint” und uber den ihm jeweilig eigentlich gegebe-
nen Inhalt hinausreicht (ebd., S. 336ff.; Hua I, S. 84; Hua XXXII, S. 149),
d.h. weil es
nicht nur uberhaupt etwas in sich bewusst hat, sondern es zugleich alsMotivanten fur ein anderes bewusst hat, [. . .] also nicht bloß etwas bewusst
hat und zudem noch ein anderes darin nicht Beschlossenes, sondern [. . .]auf dieses andere hinweist als ein zu ihm Gehoriges, durch es Motiviertes(Hua XI, S. 338).40
Die “Bildung der Apperzeptionen” ist nicht bestimmt durch Ichakte, son-
dern durch “die Wesensgesetze der Assoziation” (Hua XVII, S. 320), d.h.
einer Synthesis, die “ohne Ichbeteiligung”41 stattfindet und die, genauso
wie das materiale Apriori, eine in der “Besonderheit” bzw. “Eigenart” der
Gehalte (Hua XI, S. 161, 165) gegrundete relation of ideas ist. Denn, wo die
Inhalte gegeben sind, da ist es auch ihr assoziativer Zusammenhang (Husserl,1939, S. 215, 221; Hua XV, S. 26). Darum bezeichnet Husserl die passive
Konstitution als ein “sachliches Geschehen”, das sich “von selbst” macht und
eine “sachliche Einheit” ergibt42 – d.h. mit demselben Adjektiv, mit dem er
die materialen Zusammenhange bezeichnet und womit er darauf hinweist,
dass das Prinzip der Synthesis nicht die Subjektivitat, sondern die Eigenart
des sinnlichen Inhaltes ist.43 Die sinnliche Konstitution geschieht also nicht
nach dem Schema Inhalt/Auffassung: Mit dem Inhalt ist eo ipso die an der
Besonderheit des Inhaltes selbst hangende Weise gegeben, in der dieser vom
Subjekt aufgefasst werden kann. Es ist nicht die Auffassung, die die perzeptive
Funktion des Inhaltes bestimmt, sondern es ist der Inhalt selbst, der als Prinzip
der Synthesis die Auffassung motiviert.44
4.
Reale Gegenstande bestehen nicht aus Erlebnissen und sind nicht in diesen
reell enthalten (Hua II, S. 72; Hua XXXV, S. 276; Hua XVII, S. 116). Sie “sind
‘an sich’ in dem Sinn, dass ihnen das Erfahrensein auß erwesentlich ist, dass
sie sind oder mindestens sein konnen, auch wenn [. . .] niemand sie erfahrt”
(Hua XXXVI, S. 191). Da sie aber prinzipiell Gegenstande moglicher Er-
fahrungen sind, haben sie immer einen Bezug auf eine mogliche Subjektivitat
(Hua III, S. 100ff.). Jede “Gegenstandlichkeit [. . .
] ist, was sie ist, ob erkanntwird oder nicht”, aber ist “doch als Gegenstandlichkeit moglicher Erkenntnis
[. . .] prinzipiell erkennbar, auch wenn sie faktisch nie erkannt worden ist und
erkennbar sein wird” (Hua II, S. 25; vgl. Hua XXXII, S. 63). Ein Gegenstand,
der faktisch keine wahrnehmungsmaß ige Gegebenheit hat, kann nicht fak-
tisch wahrgenommen und erkannt werden, aber er kann wirklich sein, wenn er
prinzipiell erfahrbar ist, d.h. wenn er Gegenstand moglicher Wahrnehmungen
ist, die von der aktuellen motiviert sind; ein Gegenstand, der aber prinzipiell
jeder moglichen wahrnehmungsmaß igen Gegebenheit entbehrt, ist ein Non-
sens (Hua XXXVI, S. 59, 146; Hua XVII, S. 457f.). Das wirkliche Ding ist
prinzipiell wahrnehmbar,wenn auchfaktisch nichtwahrgenommen, “es ist da”
als Gegenstand von wesensmoglichen, durch die aktuellen motivierten, wenn
auch nicht faktisch realisierbaren Wahrnehmungen: Eine dieses prinzipiellenZusammenhanges mit der aktuellen Wahrnehmung ermangelnde Transzen-
denz ist ein Widersinn (Hua III, S. 95f.). Um real zu sein, muss das Ding in
der einzigen realen Raumzeit, also innerhalb der Umgebung des Subjektes
liegen:
jedes aktuelle Wahrnehmungsfeld [. . .] ist Glied einer idealen Kontinuitatvon Wahrnehmungsfeldern, die schließ lich zu solchen fuhren, in denen dasDing aktuell Erfahrenes ware. [. . .] Nicht jedes wirkliche Ding ist von mir
aktuell erfahren. Aber soll ich vernunftgemaß behaupten konnen, es exis-tiere, so muss es im Bereich meiner moglichen Erfahrung sein. Damit istnicht gesagt, dass ich empirisch die ungehemmte Fahigkeit haben muss, dieErfahrung zu vollziehen, sondern es sagt: Es besteht ein Zusammenhangmoglicher Erfahrung, mit meiner aktuellen Erfahrung zusammenhangend derart, dass prinzipiell fur mich die Moglichkeit besteht, das Sein des un-
bekannten Dinges aus Erfahrungsmotiven und in diesem Zusammenhangzu rechtfertigen (Hua XXXVI, S. 115; vgl. ebd. S. 77f., 169; Hua III, S.102f.; Hua XXXV, S. 278f.).
Die Existenz von etwas ist mit der Moglichkeit aquivalent, diese Exi-
stenz auszuweisen, d.h. mit der Moglichkeit, dieses Etwas zu erfahren
(Hua XXXVI, S. 15f., 54, 73, 114f., 117, 132, 138ff., 146). Im Falle der realen Gegenstande fordert diese Ausweisung durch das aktuell Erfahrene
“motivierte” bzw. “reale Erfahrungsmoglichkeiten”, da “die prinzipielle
Moglichkeit der Wahrnehmung” keine “bloß ideale” oder “leere Moglichkeit”
ist, sondern eben eine “reale” (ebd., S. 13, 37, 60f., 64, 114, 116, 119). Dem-
nach gehort der Bezug auf ein aktuelles Bewusstsein zum Seinssinn von
Realem (ebd., S. 12f., 18f., 33, 53, 64) und ist “eine Natur nicht denkbar
ohne mitexistierende Subjekte moglicher Erfahrung von ihr” (ebd., S. 156),
d.h. ohne leibliche Subjekte, denen allein die Natur zuganglich ist (ebd., S.
132, 161ff.; vgl. Hua XIV, S. 91ff., 105ff., 129, 136).
Da es keine andere Ausweisungsquelle der Existenz- bzw. Wirklichkeitsset-
zung als die Erfahrung selbstgibt,45 ist dasDing eine Sinnes- bzw. intentionale
Einheit46 und “dar¨ uber hinaus [. . .] ein Nichts” (Hua III, S. 106).
Was die Dinge sind , die Dinge, von denen wir allein Aussagen machen,uber deren Sein oder Nichtsein, Sosein oder Anderssein wir allein streitenund uns vernunftig entscheiden konnen, das sind sie als Dinge der Er- fahrung . Sie allein ist es, die ihnen ihren Sinn vorschreibt und zwar, da essich um faktische Dinge handelt, die aktuelle Erfahrung in ihren bestimmtgeordneten Erfahrungszusammenhangen (ebd., S. 100).
Hier liegt der Sinn des transzendentalen Umsturzes. Wirklich ist das, was
in der Erfahrung direkt erscheint bzw. erscheinen kann (Hua XXXVI, S. 68,
152). Indem die Erfahrungswelt die einzig gegebene ist und keinen doppel-
ten Boden hat, ist sie die einzig wirkliche bzw. an sich seiende (Hua VIII,S. 402, 462; Hua VI, S. 130; Hua XXXIV, S. 429). Jenseits davon besteht
keine “wahrhafte Schildkrote”, um mit einer von Locke, Jacobi und Hegel
ubernommenen Metapher der indischen Mythologie zu reden. Daraus folgt,
“dass von einem noch dahinter liegenden, prinzipiell unerkennbaren Sein
zu sprechen, Widersinn ist” (Brief an W. Dilthey, 5/6.VII.1911, Hua Dok
III, VI, S. 50). Hinter der Welt der Erfahrung liegende Entitaten sind “leere
Substruktionen eines [. . .] bodenlosen Denkens”, die “sich von den Gespen-
stern [. . .] nur dadurch unterscheiden, dass Gespenster Gegebenheiten der
Erfahrung sind, aber als Erfahrungswirklichkeiten durch weitere Erfahrungzu widerlegen sind, wahrend die metaphysischen Entitaten durch Erfahrung
nicht gegeben, also auch durch sie nicht widerlegt werden konnen” (Hua
XXXII, S. 216). Da die Sinnlichkeit kein “trubendes Medium, welches statt
Dinge an sich bloß e Erscheinungen derselben gibt”, ist (Hua Mat III, S. 172),
weist die Erscheinung auf ein mogliches Subjekt, nicht aber, wie Kant meinte,
auf das “Innere der Dinge” bzw. auf ein das Erscheinende tragende prinzipiell
Nichterscheinendes hin.47
Das empirische Sein ist rechtm¨ aß ig gegeben im unendlichen Prozess der“Erfahrung”, und es geh¨ ort zu seinem Wesen, dass es keinen Sinn hat, eine
andere Gegebenheit von ihm zu erwarten und verlangen. Dem Sein an sichdes Dinges ein prinzipiell unerfahrbares Sein zu substruieren, ist Unsinn(Hua XXXVI, S. 32; vgl. ebd., S. 58ff., 68; Hua XIII, S. 10).
Die “Natur an sich selbst” bzw. das “wahre Sein [. . .] ist nicht ein Zweites
neben dem bloß intentionalen Sein”, also nicht “ein widersinniges Jenseits
alles Bewusstseins uberhaupt und aller Erkenntnissetzung, etwa nur einem
Gott in seinem Selbstsein zuganglich und von ihm adaquat anschaubar”,
sondern die Natur in ihre Selbstgegebenheit “als Kontrast zu allen einsei-
tigen unvollkommenen Gegebenheitsweisen” (Hua XXXV, S. 276f.; vgl. Hua
XXXVI, S. 67f.). Somit wird “Transzendenz uberhaupt nicht geleugnet” (Hua
XXXVI, S. 59). Der transzendente Gegenstand ist vom jeweiligen Gegeben-
sein, aber nicht vom Gegebensein uberhaupt, von den einzelnen faktischen
Erscheinungen, aber nicht vom moglichen Erscheinen unabhangig (Hua II,
S. 12, 71f., 74f.).48 Der transzendente Gegenstand ist nicht etwas, das sich
der Erfahrung entzieht, sondern etwas, das nur in Beziehung auf sie Sinn hat,
d.h. etwas, das sich von der augenblicklichen Wahrnehmung unabhangig in
der Wahrnehmung ausweist. Er ist namlich das, dessen esse sich nicht im
percipi erschopft, da er existiert, auch wenn er nicht aktuell erfahren ist, und
in getrennten Wahrnehmungen als derselbe wahrgenommen und erkannt wer-
den kann.49 Da die Wirklichkeit sich nur in der Erfahrung konstituieren kann,
ist sie, wie Kant meinte,50 das Korrelat der Regelmaß igkeit der Erschei-
nungen: Die Existenz der Welt “besagt fur das wirkliche Bewusstsein Regeln
real moglicher Erfahrung”, besteht aus “Erlebniszusammenhangen ganz bes-timmt geordneter und auch dem moglichen Inhalt nach vorgezeichneter Art”
(Hua XXXVI, S. 78f.). Im Gegensatz zu Kant ist aber diese Regelmaß igkeit
nicht vom Subjekt in die Erscheinungen hineingelegt, sondern hangt an der
Besonderheit der Erscheinungen selbst und es ist ein Nonsens, hinter die
Erfahrung etwas zu setzen, das “prinzipiell ubersinnlich” ist (Hua Mat III, S.
171). Reale Gegenstande sind nichts anderes als strukturierte Ganze (nicht
Bundel) von sinnlichen Eigenschaften, wie Kant selbstlehrt,51 ohne aber darin
Husserl behauptet, dass das Bewusstsein absolut und die Welt zufallig sei,
dank folgenden Gedankenganges: Da die Existenz der Welt “das Korrelat
gewisser, durch gewisse Wesensgestaltungen ausgezeichneter Erfahrungs-
mannigfaltigkeiten” ist, ist es durchaus denkbar, dass sich Erfahrung nicht
nur “im einzelnen” und vor dem Hintergrund einer gesamten Einstimmigkeit
“durch Widerstreit in Schein auflost”, sondern dass sich Erfahrung durch
“nicht nur fur uns, sondern an sich unausgleichbaren Widerstreiten [. . .]
mit einem Male [. . .] gegen die Zumutung, ihre Dingsetzungen einstim-
mig durchzuhalten, widerspenstig zeigt, dass ihr Zusammenhang die festen
Regelordnungen der Abschattungen, Auffassungen, Erscheinungen einbußt”; es ist also denkbar, “dass es keine Welt mehr gibt”, sondern hochstens
“rohe Einheitsbildungen, [. . .] vorubergehende Haltepunkte fur die Anschau-
ungen, die bloß e Analoga von Dinganschauungen waren, weil ganzlich
unfahig, konservative ‘Realitaten’, Dauereinheiten, die ‘an sich existieren,
ob sie wahrgenommen sind oder nicht’, zu konstituieren” (Hua III, S. 103f.).
In diesem Falle existierte ein Bewusstsein, obgleich es keine Welt gabe.
In dieser Ausfuhrung liegen Sinn und Grenzen von Husserls Idealismus.
Als Korrelate von moglichen Erfahrungen sind Welt und Gegenstande zwar
zum Bewusstsein relativ, aber nur formal. Wenn Husserl von Zufalligkeit der
Welt spricht, meint er namlich die Welt nicht im weiten Sinne, d.h. als Korrelat
des Bewusstseins, als dem Ich entgegensetztes Nicht-Ich (in dieser Fassung
ist die Welt im gleichen Sinne notwendig wie das Bewusstsein selbst und kannnicht vernichtet werden), sondern im engen Sinne, d.h. als “einstimmig setz-
bare, also seiende Welt” (ebd., S. 497). Zufallig ist es, “dass es eine Welt soll
gebenmussen, nota beneeine reale Welt als eine Dingwelt” (Hua XVI, S. 288).
Denn das “Niveau der Erscheinungen” ist “von mir untrennbar”, obwohl seine
Struktur “vielfaltig gewandelt gedacht werden konnte, ohne dass ich aufhorte
zu sein” (Hua XIV, S. 246). Daraus folgt, “dass Ich und Nicht-Ich untrennbar
sind, dass Ich undenkbar ist denn als ‘ich bin bewusst’, und jedenfalls bewusst
eines ‘Realen’, mag ich auch ein bloß es Gewuhl von Empfindungsdaten sein”
(ebd., S. 244f.). Dass Bewusstsein ohne Welt existieren kann, heiß t, dass es ex-
istieren wurde, auch wenn der Lauf der Erscheinungen “irrational” ware und
keine Wirklichkeitssetzung motivierte, d.h. auch wenn der Durchgang voneiner Wahrnehmungsphase zur anderen jeder Regel entbehrte, die die Bil-
dung von Erwartungen bzw. Dingapperzeptionen ermoglicht (Hua XXXVI,
S. 79). Auch wenn sich in diesem Fall hochstens “eine ‘ungefahre’ Welt”
konstituieren konnte, “die freilich streng nicht durchzuhalten ist”,52 existierte
doch ein Bewusstsein bzw. eine zeitliche Folge von Erlebnissen (ebd.), “ware
doch Ich mit meinen unstimmigen Erscheinungen von Dingen oder mit einem
Gewuhl von Sinnesdaten” (Hua XIV, S. 274).53 Die Zufalligkeit der Welt im-
pliziert, dass das Bewusstsein nicht das Prinzip der Konstitution ist. Denn
die Tatsache, dass eine Welt sich konstituiert, ist nicht Folge der Existenzdes Bewusstseins, sondern der Rationalitat seines Laufes, die ihrerseits die
Rationalitat der gegebenen Inhalte voraussetzt.54 Welt und Gegenstande sind
ebenso formal an die Subjektivitat gebunden wie sachlich an die Gesetzmaß
igkeit “an sich” der Erscheinungen, ohne die eine Subjektivitat, auch wenn sie
mit vernunftigen Vermogen ausgestattet ware, keine Welt und keinen Gegen-
stand in ihren Akten fassen konnte. Gegen den Begriff eines reinen oder
produktiven Verstandes, der die Inhalte in ihrem sinnlichen Wesen andernd
umgestaltet, behauptet Husserl, dassjede Verstandesformung in der sinnlichen
Struktur der betreffenden Inhalte fundiert ist55 und dass die Sinnlichkeit eine
Gesetzlichkeit an sich haben muss: Weder die Denkspontaneitat noch der
Wille konnen “den Inhalt des unendlichen Laufes bestimmen oder gar ein erstUngeordnetes geordnet machen”, sondern sie setzen “die einheitliche Geset-
zlichkeit gegebener Inhalte” und ihrer “moglichen Anderungen” voraus.56
Denn “kein synthetisierendes Subjekt konnte dort Verbindungen entstehen
lassen, wo es keine gibt”.57 “Die sinnliche Ahnlichkeit und der sinnliche
Kontrast [. . .] ist die Resonanz, die jedes einmal Konstituierte begrundet”:
“Ohne das konnte keine ‘Welt’ da sein” (Hua XI, S. 406). Wurde kein fes-
ter Zusammenhang zwischen den sinnlichen Daten bestehen, konnte sich ja
auch nicht ein Ich als identisches Subjekt der Stellungnahmen konstituieren,
da keine Habitualitat sich bilden konnte und das Ich sich auf einen formalen
Ich-Pol ohne personalen Sinn reduzierte.58
Die Bedingungen der Moglichkeit der Erfahrung sind nicht bloß subjektiv,
wie Kant meinte, sondern betreffen zunachst das Zusammenhangen-“an-sich”
der Inhalte, welches allein es der Subjektivitat ermoglicht, eine einstimmige
bzw. gegenstandliche Erfahrung, also eine Transzendenz, zu konstituieren. Die
Struktur der Erfahrung liegt an der sachlichen Gesetzmaß igkeit der Inhalte,
die nicht vom Bewusstsein erzeugt ist, sondern nur von diesem aufgenommen
und eventuell aktiv expliziert wird. Die Konstitution der Welt entstammt nicht
der Subjektivitat, sondern hat einen faktischen Grund, genauso wie das mate-
riale Apriori, an dem sie hangt: Sowohl dieses als auch jene sind “zufallig”,59
weil sie a parte obiecti, d.h. in den faktisch gegebenen Inhalten in specie,
grunden. Bestehen sachlich zusammenhangende Inhalte und ist das Bewusst-
sein fahig, diese zu fassen, konstituiert sich eine Welt notwendigerweise. Aber
dass diese Inhalte gegeben sind, ist ein Faktum und nichts Notwendiges.60
Dastranszendentale Ich ist “Ur-“ bzw. “Geltungsgrund” (Hua XVII, S. 243f.; Hua
I, S. 65) nicht als letztes Prinzip einer Begrundung der Form der Erfahrung,
sondern lediglich als letzte jeweilige Statte aller Gegebenheit, Geltung und
Ausweisung: Alles, was dem Ich rechtmaß ig gelten soll, muss sich in den
Akten des Ich geben und ausweisen, kann aber nicht aus dem Ich begrundet
werden.61 Die Angewiesenheit des Seienden auf die Subjektivitat ist also rein
formal: Jeder mogliche Gegenstand konstituiert sich erst, wenn die Subjek-
tivitat bestimmte Akte vollzieht; welcher Art aber diese Akte sind, ist “im
Vollzug faktisch vorgegeben”,62 da ihre Beschaffenheit nicht an der Subjek-tivitat liegt, sondern an der Art des Gegenstandes und mit dieser wechselt.
Demgemaß ist es nicht aus einem Prinzip zu begrunden, “dass die Konsti-
tution jeweils gerade so verlauft wie sie verlauft und nicht anders”, d.h.
dass die Erfahrung eine bestimmte Struktur hat.63 Die Verschiedenheit der
Konstitution nach dem Gegenstand in specie ist nicht aus der Subjektivitat
zu entnehmen.64 Bei Husserl hat also die Weltkonstitution ein Prinzip, das
nicht transzendental ist: Dieses Prinzip ist die “Besonderheit” des Gegen-
standes, d.h. die materiale Kategorie, zu der dieser gehort (Hua XVII, S.
251, 256; vgl. Hua II, S. 13, 75; Hua III, S. 321; Hua XI, S. 19). Da fur
Husserl ebenso wie fur Aristoteles65 die Kategorien nicht aus einem Prinzip
abzuleiten sind, sondern so zu beschreiben sind, wie sie sich in der Erfahrunggeben, weist Husserl die Idee einer transzendentalen Deduktion zuruck
und ubernimmt die von Kant kritisierte Lockesche Idee einer empirischen
Deduktion.66
Das cogito “ist nicht ein letztes Fundament”, da es “nur eine funk-
tionale” Vorrangigkeit hat.67 Denn das cogito ist bei Husserl kein Prinzip
ontologisch-deduktiver Begrundung, wie bei Descartes (Hua VI, S. 193),
sondern ein Prinzip von Sinnhaftigkeit im Sinne Kants, d.h. in dem Sinne,
dass der Gebrauch der Begriffe nur dann berechtigt ist, wenn man den
Bereich ihrer empirischen Anwendung aufweisen kann. Kant sagt, dass “die
Vorstellung eines Gegenstandes als Dinges uberhaupt [. . .] ohne sinnliche
Bestimmung derselben und unabhangig von empirischer Bedingung in sich
selbst widerstreitend sei”, weil man “entweder von allem Gegenstande ab-
strahieren (in der Logik), oder, wenn man einen annimmt, ihn unter Bedin-
gungen der sinnlichen Anschauung denken musse”.68 Husserl radikalisiert
diesen Ansatz. Er wendet sich gegen “die von den alten Rationalisten
gelehrte Moglichkeit eines puren, mit keiner Sinnlichkeit behangten In-
tellekts” ebenso wie gegen “die alte aus dem Platonismus stammende und
spaterhin durch den Neuplatonismus und die christliche Kirche outrierte
Degradation der Sinnlichkeit” als “Vermogen bloß verworrenen Vorstellens”
und “Quelle alles Scheins, Trugs, alles Irrtums und aller Schlechtigkeit”
(Hua Mat III, S. 170). In diese Kritik an der “Mythologie” des “reinen”
oder “abstrakten Denkens” schließ t Husserl auch Kant mit ein, da dieser
in der Anwendung des Prinzips von Sinnhaftigkeit nicht konsequent gewesensei:
“Reines” Denken ist wertlos, nicht nur weltlich gegenstandslos, wie Kantmeinte, als ob es Denkmoglichkeiten offen ließ e, die nur fur die seiendeWelt (Kants Erscheinungswelt) keine Anwendung gestatteten. Prinzipiell stammen alle Begriffe aus Anschauung und haben einen Sinn, der auf An-schauung sich bezieht. [. . .] Also es gibt kein reines Denken, das zu anderer Wahrheit fuhrt als der bloß en Wahrheit der Konsequenz, die da formal-logische Widerspruchslosigkeit heiß t.69
8. Eine scharfsinnige Auslegung und Kritik von Husserls Idealismus als metaphysischenIdealismus ist die von Celms, 1928.
9. Vgl. Hua III, S. 67f., 87, 98, 106f., 159, 601 u.a.; Hua VIII, S. 190, 467 u.a.; Hua XXV,
S. 168, 173, 197; Hua XV, S. 193.
10. Husserl wird doch der Gefahr einer metabasis eis allo genos gewahr, die in der on-
tologischen Auffassung der Absolutheit des Bewusstseins liegt: “freilich hatte es seine
Unzutraglichkeit zu sagen, es gibt nur absolutes Bewusstsein, als ob man sagen wollte,
alles andere Sein sei nur ein scheinbares, ein unwirklicher Schein, ein Fiktum. Das ware
freilich grundfalsch. Die Naturobjekte sind selbstverstandlich wahre Objekte; ihr Sein ist
wahres Sein, die Natur ist Wirklichkeit im echten und vollen Sinn. Es ist grundfalsch, an
diesem Sein einen anderen Maß stab anzulegen, <als den>, den es seiner Kategorie nach
fordert, und es etwa darum diskreditieren, weil es sich im Bewusstsein ‘Konstituierendes’,
im Bewusstsein Wurzelndes ist” (Hua XXXVI, S. 70f.); “ein Idealismus, der sozusagen
die Materie totschlagt, der die erfahrene Natur fur bloß en Schein erklart und nur dasseelische Sein fur das wahre erklart, ist verkehrt ” (Hua XXXV, S. 276).
11. Vgl. Hua I, S. 182; Hua XIII, S. 232f.; Hua XIV, S. 8f., 256f., 295; Hua VIII, S. 189f.;
Hua XVII, S. 279f.; Hua XXXV, S. 277ff.
12. Vgl. Fichte, 1797, S. 196.
13. Diese, 1899 von Lipps und 1904 von Daubert benutzte Wendung ist von Conrad-Martius
(1959, S. 179) und Kuhn (1975) ubernommen worden, um entgegen Husserl den ontolo-
gischen Ansatz des phanomenologischen Realismus auszuzeichnen. Vgl. Schuhmann-
Smith 1985, S. 792.
14. Denn “the phenomenology of the Investigations already implies the idealist ontology of
the world which Husserl explicity proposes in Ideas I” (Philipse, 1995, S. 278). Husserls
Idealismus ist eine Folge der Wahrnehmungstheorie der Logischen Untersuchungen (nach
der sich der sinnliche Gegenstand aus der Deutung von immanenten Empfindungen ergibt,
so dass die empirische Welt am Bewusstsein ontologisch hangt als seine Projektion) und
entstammt nichtder transzendentalen Wende,die nur in der Aufhebung des in jenemWerkeliegenden Widerspruchsbesteht, d.h.des Widerspruchszwischen der in der Auffassung der
sinnlichen Konstitution einbezogenen idealistischen Ontologie und der naturalistischen
Annahme der physischen Gegenstande als Ursache der psychischen Phanomene. Da die
These der Immanenz der Empfindungen gar nicht das Ergebnis der phanomenologischen
Wahrnehmungsanalyse, sondern die Erbschaft des ontologisch-erklarenden Ansatzes des
wissenschaftlichen und philosophischen Denkens des XVII. Jahrhunderts ist, ist Husserls
Idealismus “based on the implications of the realist position it rejects” (ebd., S. 299).
15. Vgl. Hua III, S. 120f.; Hua VII, S. 247; Hua XVII, S. 178f.; Hua I, S. 118; Hua V, S. 149f.
Zu den Verwandtschaften zwischen Berkeleys und Husserls Denken vgl. Philipse, 1995,
S. 268ff., 285ff.
16. Aguirre, 1970, S. XIX.
17. Brentanos“Bestimmung des psychischen Aktes als etwas fur sich selbst innerlich Gegebe-
nen” hat “wesentlich zur Auffassung des Subjektiven als inneren Objekts beigetragen,welches,selbst wennes nicht,wie beiBrentano, alsstandigim Nebenbei auf sich gerichtet,
so doch wenigstens in einem nachfolgenden Reflexionsakt prinzipiell erfassbar verstanden
wird. Diese Brentanosche Version des Cartesianismus enthalt ontologische Vorentschei-
dungen, welche undurchschaut auch weiterhin wirkten”; denn es bleibt “ein unbewaltigter
Rest der Brentanoschen Auffassung in jenen Thesen, welche die Lehre vom immanenten
Gegenstand korrigieren” (Patocka, 1971, S. 297). So behauptet Husserl in den Logischen
Untersuchungen , das ursprunglich Erscheinende seien transzendente Dinge und nicht im-
manente Erlebnisse, halt er doch “amBrentanoschen Dogmades originaren Zugangs zum
Psychischen in einer Art Zuwendung zu ihm als Objekt” fest; zwar “ist dieser Zugang bei
Husserl anders gedacht als bei Brentano”, aber “an der Existenz von Akten als Erlebnisse,die selbst reflexiv originar zuganglich sind, zweifelt Husserl nie, macht aus ihnen sogar
die Grundlage des Erscheinens, auf deren Verstandnis alles ankommt und auf welche alle
Erklarungder Welt und des weltlich Seiendenzuruckgefuhrtwerdensoll” (ebd.,S. 298).Es
war eben “die systematische Durchfuhrung dieser Aufgabe [. . .], welche Husserl auf den
Boden der transzendentalen Fragestellung in der seiner Philosophie eigentumlichen Form
gefuhrt hat”, so “dass der Cartesianismus, welchen man ofters als dasjenige Verhangnis
bezeichnete, welches Husserl zur Lehre vom absoluten Sein des reinen Bewusstseins
fuhrte, nichts anderes als ein Stuck unbewaltigten Brentanismus ist” (ebd.).
18. Brentano, 1874, S. 128f.
19. Vgl. ebd., S. 129ff., 183ff.
20. Ebd., S. 28.
21. Ebd., S. 129, 250.
22. Ebd., S. 28.23. Vgl. ebd., S. 173.
24. Spinicci, 2000, S. 101.
25. Vgl. Brief an T. Lipps, Januar 1904, Hua Dok III, II, S. 12f.; Brief an H. Cornelius,
28.IX.1906, Hua Dok III, II, S. 28; Hua XXIV, S. 281; Hua V, S. 89ff., 147f.; Hua VII, S.
267ff.; Hua IX, S. 287ff., 341ff.; Hua I, S. 64f., 71ff., 107, 159; Hua XVII, S. 257ff.
26. Vgl. Hua II, S. 5, 13, 20, 25, 35; Hua XXXVI, S. 38ff.; Hua VII, S. 272, 380, 386.
27. In den Logischen Untersuchungen sieht Husserl die Ahnlichkeit zwischen Inhalt und
Gegenstand als den das intuitive vom signitiven Bewusstsein auszeichnenden “Band der
Notwendigkeit” an (Hua XIX, S. 622). Spater sagt er, dass – da die Wahrnehmung kein
Zeichen- oder Bildbewusstsein (Hua III, S. 89f., 102f., 206ff.; Hua XI, S. 17; Hua IX, S.
160), sonderndie einzigmogliche Gegebenheitsweise der sinnlichenGegenstande ist(Hua
III, S. 319ff., 331; Hua XVII, S. 169f.) – ihre Unvollkommenheit eine fur jedes mogliche
Subjekt geltende Wesensnotwendigkeit ist (Hua III, S. 88, 92, 350f.; Hua XI, S. 18ff.,
326). Er halt aber an der Dichotomie zwischen Empfinden und Wahrnehmen fest, d.h.zwischen immanenter Wahrnehmung des Erlebnisses, die adaquat und zweifellos ist, weil
in ihrem Fall esse= percipi, und transzendenter Wahrnehmung des Gegenstandes, die sich
immer als Schein erweisen kann (Hua XI, S. 16ff.; HuaIX, S. 169ff., 183ff.). Einerseits ist
die Wahrnehmung “originales Bewusstsein eines individuellen [. . .] Gegenstandes” (Hua
XI, S. 18 Anm. 1), andererseits “ein mittelbares Bewusstsein, sofern unmittelbar nur eine
Apperzeption gehabt ist, ein Bestand von Empfindungsdaten [. . .] und eine apperzeptive
Auffassung , durch die eine darstellende Erscheinung sich konstituiert” (ebd., S. 18; m.H.).
“Ein transzendenter Gegenstand [. . .] kann sich nur dadurch konstituieren, dass als Unter-
lage ein immanenter Gehalt konstituiert wird, der nun seinerseits sozusagen substituiert
ist fur die eigentumliche Funktion der ‘Abschattung’, einer darstellenden Erscheinung,
eines sich durch ihn hindurch Darstellens” (ebd., S. 17; m.H.). Die Wahrnehmung ist ein
mittelbares Bewusstsein, da nur das direkt gegeben ist, was dem Bewusstsein reell imma-
nent ist, d.h. die Empfindungsinhalte und der Auffassungsakt. Dagegen muss man sagen,dass “das unmittelbar Wahrgenommene [. . .] nicht ein Komplex von sinnlichen Daten ist,
die der jeweiligen Wahrnehmung als reelle Bestandstucke zugehoren, [. . .] sondern [. . .]
nichts anderes ist als etwa dieser Tisch hier, nur einmal von dieser und dann von jener
Seite zur Wahrnehmung kommend und im Fortgang synthetisch sich vereinheitlichender
Wahrnehmungen immer reicher [. . .] werdend” (Hua VII, S. 118f.). “Sinnesdaten sind –
und in der Regel sogar falsche – Produkte einer theoretischen Analyse in psychologischer
Einstellung” (Hua XXXV, S. 82).
28. Zur Uberwindung vom Schema Inhalt/Auffassung vgl. Holenstein, 1972, S. 86ff.; Welton,
1983, S. 166ff.; Costa, 1999, S. 86ff., 147ff.; De Palma, 2001, S. 119ff.
29. Vgl. Hua XIX, S. 255ff.; Hua XXIV, S. 235; Hua VII, S. 235, 350ff., 358ff., 402ff.30. Vgl. Tugendhat, 1967, S. 163ff., 181, 219.
31. Vgl. Hua XIX, S. 283ff.; Hua XXIV, S. 290ff.; Husserl, 1939, S. 223, 292ff.
32. Vgl. Ingarden, 1959, S. 248f.
33. Vgl. Kern, 1964, S. 278ff.
34. Lee, 1993, S. 237.
35. Vgl. die oben, Anm. 28 zitierte Werke.
36. Vgl. Hua XXXV, S. 408; Hua XIV, S. 481; Hua XVII, S. 257; Costa 1999, S. 27ff.
37. Vgl. Hua XXXVI, S. 141; Hua XI, S. 207, 233, 339; Hua IX, 286, 301, 534ff.; Hua XVII,
S. 216, 257; Hua XIV, S. 306; Hua I, S. 109.
38. “Die ‘erkennende Subjektivitat’ kann nur als ‘Urstatte aller objektiven Sinnbildung und
Seinsgeltung’ [Hua VI, S. 102] verstanden werden, wenn sie selber Geltungsgrund aller
m¨ oglichen Verbindungen ist und die Verbindungsmoglichkeiten kategorial-begrifflich
durch sie vorgezeichnet sind. Die Urstatte kann daher nicht eine passive Synthesis sein,auf der sich dann aktive Synthesen aufstufen. [. . .] der Ursprung muss vielmehr eine
spontan-aktive Einheit sein” (Eley, 1982, S. 947f.).
39. “Apperception is not just projective but ‘drawn’ or ‘pulled’ by the object, which means
that its sense, brought into play by the retention of earlier experiences similar to this one,
directs the ongoing course of experience” (Welton, 2000, S. 243).
40. Das schließ t die Moglichkeit der Gegenwart aus, die aufgrund des dogmatischen Mo-
tivs als Vorbild von Gegebenheit fungiert und sich durch keinen “Rest von Intention”,
d.h. durch ein reelles Beschlossensein des Gegenstandes (Erscheinenden) im Erlebnis
(Erscheinen) auszeichnet (Hua XIX, S. 365, 613ff., 647ff., 769ff.; Hua II, S. 5, 44f.).
41. Hua XI, S. 87, 323, 386; Hua XXXI, S. 41; Hua XIII, S. 427; Hua IX, S. 131, 286; Hua
I, S. 29.
42. Mss. M III 3 III 1 I, §6 und A VII 13, S. 30.
43. Es ist nichtberechtigt, die passiveSynthesis der Einbildung zuzuschreiben, wie Holenstein
(1972, S. 76, 197) an Hand einer Stelle tut, in der Husserl parallelisierend sagt, Kants pro-duktive Synthesis der Einbildung sei “nichts anderes als das, was wir passive Konstitution
nennen” (Hua XI, S. 275f.). Dass zwischen Kants Synthesis der Einbildung und des
Verstandes dasselbe Verhaltnis wie zwischen Husserls passiven und aktiven Synthesen
besteht, impliziert gar nicht, dassHusserls passiveSynthesis der Einbildungzuzuschreiben
ist.
44. Vgl. Welton, 1983, S. 238f.
45. Vgl. HuaXVII, S. 171ff., 239ff.; DePalma, 2001, S. 71ff.,221ff. Es handelt um dasPrinzip
des “phanomenologischen Intuitionismus”, das sich mit dem des Empirismus deckt (Hua
XXXV, S. 288ff., 471ff.).
46. Vgl. Hua XXXVI, S. 13, 59, 68; Hua III, S. 120; Hua VI, S. 171; Hua XXV, S. 176; Hua
V, S. 152f.; Hua XXXV, S. 277ff.
47. Kant, 1783, §57; Kant, 1781/87, B XXVIf., A 251f.
48. Auch nach Husserl ist also die Erscheinung “das Entstehen und Vergehen, das selbst nichtentsteht und vergeht, sondern an sich ist und die Wirklichkeit und Bewegung des Lebens
der Wahrheit ausmacht” (Hegel, 1807, S. 46). Die Zuruckweisung, eine der Erkenntnis
unzugangliche Innerlichkeit anzusetzen, impliziert bei Husserl jedoch nicht wie bei Hegel
die Auflosung der sinnlichen Erfahrung in ein Netz von bloß en Denkbestimmungen und
Denkbeziehungen: Die sachliche Besonderheit der Erscheinungen motiviert die Weise,
wie sie vor jeder Denktatigkeit aufgefasst sind.
49. Vgl. Ms. B IV 1/89a, 101a.
50. Vgl. Kant, 1781/87, A 373f., A 218/B 266, A 225f./B 273f., A 491ff./520f.; Kant, 1783,
51. Vgl. Kant, 1781/87, A 104f.52. Ms. D 13 II/174b.
53. Wurde sich die Welt in ein Chaos auflosen, existierte das Bewusstsein mit einem chao-
tischen Fluss von Abschattungen. Zu Unrecht schreibt deshalb Philipse (1995, S. 257f.):
“Fromthe possibility that only a chaotic streamof adumbrationsis givento consciousness,
he [Husserl] concludes that in this case there is nothing present apart from consciousness,
so that consciousness may exist entirely on its own. Obviously, he assumes that adum-
brations exist in consciousness and that they are real parts of the stream of conscious
experiences. Otherwise he schould have inferred from the thougth-experiment of the de-
struction of the world that in this case consciousness would exist together with a chaotic
stream of adumbrations. But this conclusion would fall far short of showing that con-
sciousness may exist entirely on its own, or that it is ontologically independent”.
54. “muss das Bewusstsein rationalisierbar sein, so dass sich in ihm eine Welt konstituiert?
Konnte nicht im Bewusstsein alles auftreten an Elementen, Selbstanschauungen, Urteilenetc., was dem Begriff Vernunft Sinn gibt [. . .], und doch der mannigfaltige Inhalt des
Bewusstseins sich nicht streng rationalisieren lassen oder uberhaupt nicht, also keine
Natur, keine Naturwissenschaft. Was nutzen die idealen Moglichkeiten, die zum Urteil,
zur Evidenz gehoren und die Normen, die sie gewahren, wenn ein ‘sinnloses Gewuhl’
da ist, das keine Natur zu erkennen gestattet. Die Frage ist nicht, wie muss der Lauf des
absoluten Bewusstseins sein, das in sich eine Natur birgt” (Ms. D 13 II/200b; vgl. Ms. B
IV 1/97a-98a).
55. Vgl. Hua XIX, S. 711ff.; Hua Mat III, S. 167ff.; Hua VII, S. 224; Hua XXXII, S. 86ff.,
233ff.
56. Ms. B I 4/4b.
57. Piana, 1979, S. 40.
58. Vgl. Ms. A VI 30/35ff.; De Palma, 2001, S. 231ff.
59. Vgl. Hua XXXVI, S. 79, 147f.; Hua III, S. 98; Hua VIII, S. 50, 55; Hua XVII, S. 32ff.,
379ff.60. Bei Husserl entstammt die metaphysische Fragestellung eben der bereits 1907 gemachten
Feststellung des faktischen bzw. “irrationalen” Grundes der Weltkonstitution (Hua XVI,
S. 288ff.; Hua XI, S. 108; Hua VII, S. 220, 373; Hua I, S. 114; Brief an E. Cassirer,
3.IV.1925, Hua Dok III, V, S. 6). Gegenuber der “Irrationalitat des transzendentalen Fak-
tums” (Hua VII, S. 188 Anm.) erhebt Husserl die Forderung einer “Metaphysik” bzw.
“Seinswissenschaft im absoluten und letzten Sinn” (Hua II, S. 32; Hua XXIV, S. 99; Hua
XXXVI, S. 22, 37f.). Als “absolute Wissenschaft der faktischen Wirklichkeit”, d.h. der
Existenz, ist sie “zweite”, “letzte” oder “aposteriorische Philosophie” im Gegensatz zur
Phanomenologie, die sich als Eidetik mit demMoglichen, d.h. mit Wesen beschaftigt, und
“erste” oder “apriorische Philosophie” ist (Hua IX, S. 298f.; Hua VII, S. 385, 393ff.; Hua
XXVIII, S. 177, 182, 230; Hua XXXV, S. 482; Brief an K. Joel, 11.III.1914, Hua Dok
III, VI, S. 205f.). Das Problem der Faktizitat, das nicht durch phanomenologische Metho-
de, sondern nur durch Kants Methode der Postulate der praktischen Vernunft behandeltwerden kann (Brief an E. Cassirer, 3.IV.1925, Hua Dok III, V, S. 6; Hua VIII, S. 354f.),
fuhrt Husserl dazu, die “philosophische Theologie” als “Kulmination der Philosophie” zu
betrachten (Ms. E III 10/14a).
Zur Genese dieser Fragestellung vgl. Mss. B I 4 und B II 2 (1907–1910), die von der
Absolutheit des Bewusstseins ausgehen und durch eine monadologische Deutung der Welt
zu einer teleologischen Metaphysik kommen, die in der Idee von Gott als Schopfer der
Monaden und Motor ihrer Entwicklung kulminiert. Dazu fuhrt eben die Feststellung der
Faktizitat des Bewusstseinslaufes. Dass es ein Bewusstsein gibt, ist namlich notwendig,
aber dass es rational ist – d.h. dass sein Lauf einer immanenten Gesetzmaß igkeit bzw.
Teleologie untersteht, so dass eine Natur sich konstituiert und ein Geist sich entwickelt – ist nur ein Faktum: Seine Notwendigkeit beweisen “hieß e Gott demonstrieren” (Ms. B I
4/2b-3a; vgl. Ms. B II 2/23b-25b). Daraus stammt die (weltanschauliche) Forderung einer
“transzendental-phanomenologisch fundierte[n] Metaphysik” (Ms. B II 2/23a).
61. Vgl. Tugendhat, 1967, S. 199, 212, 217.
62. Ebd., S. 217.
63. Ebd., S. 216.
64. Die hyle kommt nicht “von mir selbst”, wie Aguirre (1970, S. 167), Landgrebe (1974,
S. 81f.) und Lohmar (1998, S. 218 Anm. 94) meinen, weil sie, wie schon Aristoteles
einsah ( Metaph., XIV, 2, 1089b 27f.; De an., III, 5, 430a 10f.), nach dem Inhalt in specie
verschieden ist und diese Verschiedenheit nicht im Bewusstsein aufgeht.
65. Vgl. Bonitz, 1853. Zu den Verwandtschaften zwischen Husserls und Aristoteles Denken
vgl. De Palma, 2002.
66. Vgl. Hua V, S. 25, 129; Hua VII, S. 97f.; Hua XXXV, S. 289; De Palma, 2001, S. 133ff.67. Eley, 1982, S. 954.
68. Kant, 1781/87, A 279/B 335. Zu Kants Prinzip von Sinnhaftigkeit vgl. Strawson, 1966.
69. Ms. A VII 20/20a-21a; vgl. Hua Mat III, S. 174.
70. Kant, 1781/87, B 1; Kant, 1783, §21a, 22 Anm.
71. Vgl. Kant, 1781/87, B 145f.
72. Fichte, 1797.
73. Ebd., S. 201; Fichte, 1795, S. 208; Fichte, 1794, S. 262, 411.
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