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Ivana CvijoviÊ Javorina
III. Gymnasium, Zagreb
HÖRVERSTEHEN IM DEUTSCHUNTERRICHT: ERFAHRUNGEN
AUS DER PRAXIS
Dieser Beitrag stellt die Ergebnisse einer unter den Schülern
eines Gymna-siums durchgeführten Umfrage vor. Ziel dieser Umfrage
war es, herauszu-finden, welche Einstellungen die Schüler gegenüber
dem Hörverstehen im Deutschunterricht haben, Probleme zu
identifizieren, welche während der Hörübungen ans Licht kommen und
Unterschiede in der Wahrnehmung der Bedeutung der Entwicklung des
Hörverstehens unter den Schülern auf unterschiedlichen Sprachstufen
zu forschen.
Was sind die Gründe für eine solche Umfrage? Erstens: Im
Vordergrund des Fremdsprachenunterrichts steht heute die
Entwicklung der kommu-nikativen Kompetenz. Einerseits sollen die
Schüler imstande sein, an der Kommunikation teilzunehmen, d.h. zu
sprechen und zu hören, andererseits bemerkt man manchmal eine
schreckliche Abneigung der Schüler gegenüber Hörübungen. Sie
reagieren eher negativ, wenn ihnen gesagt wird, dass sie einen Text
im Deutschunterricht hören sollen. Da auch so zu sagen „gute“
Schüler, die immer aktiv am Unterricht teilnehmen, auf dieselbe Art
und Weise reagieren, kann man sich fragen, was dahinter steckt.
Warum sagen sie immer nein?
Zweitens: Heute erscheinen zahlreiche Bücher, die solche
Phänomene zu erklären versuchen, darunter z.B. das Buch von Jelena
MihaljeviÊ DjigunoviÊ Strah od stranog jezika (vgl. MihaljeviÊ
DjigunoviÊ 2002). Im Mittelpunkt ihres Buchs steht vor allem das
Englische, aber einige ihrer Schlussfolge-rungen sind auch an
anderen Fremdsprachen anwendbar.
Warum Hörübungen im Deutschunterricht? Vereinfacht gesagt: Man
muss die Mitteilung verstehen, um darauf reagieren zu können. Diese
Behaup-tung fußt nicht nur auf der alltäglichen Kommunikation,
sondern auch auf den wissenschaftlichen Untersuchungen des
Unterrichtsprozesses. Mehrere Autoren erwähnen in ihren Büchern das
Verhältnis der Sprachtätigkeiten im Unterricht als Hören : Lesen :
Sprechen : Schreiben = 8 : 7 : 4 : 2, d.h. rezeptive Fertigkeiten :
produktive Fertigkeiten = 15 : 6 (vgl. Heyd 1990: 108,
Henrici/Riemer 1996: 31). Obwohl die rezeptiven Fertigkeiten
Voraussetzung für eine erfolgreiche Kommunikation sind, zeigte die
Analyse der Ergebnisse, dass solche Übungen im Unterricht leider
sehr oft ignoriert werden. Schüler, die häufig mit solchen Aufgaben
konfrontiert werden, haben eine positivere Einstellung ihnen
gegenüber und weniger Angst davor. Die meisten Schüler sind sich
der Bedeutung der Entwicklung des Hörverstehens bewusst, aber es
wird weitaus nicht genug entwickelt.
Der Fragebogen bestand aus 11 Fragen, aber hier werden nur die
wich-tigsten Punkte erwähnt. Das Ziel dieser Untersuchung war es
nicht, eine
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Menge von statistischen Informationen zu bekommen, sondern eher
eine Rückmeldung von den Schülern, um den Unterricht besser zu
gestalten. Die Aufteilung der Schüler sah folgendermaßen aus: 30
Schüler, die Deutsch als erste Fremdsprache lernen
(„Fortgeschrittene”‘) und 102 Schüler, die Deutsch als zweite
Fremdsprache lernen, darunter 52, die Deutsch seit der 4. Klasse
der Grundschule lernen („fortgeschrittene Anfänger” − sie lernen
Deutsch wie die „echten” Anfänger von Anfang an, aber sie haben
schon Vorkenntnisse und das Schulpensum wird ein bisschen schneller
bearbeitet) und 50 Schüler, die mit dem Lernen erst im Gymnasium
angefangen ha-ben („echte Anfänger”). Mit allen Schülern, die
Deutsch als zweite Sprache lernen, wird das gleiche Schulpensum
bearbeitet, d.h. sie lernen Deutsch von Anfang an, weil die Klassen
gemischt sind.
Die Untersuchung zeigte einige Gemeinsamkeiten, aber auch
Unterschiede zwischen den Schülern auf unterschiedlichen Stufen der
Sprachbeherr-schung. Das Ziel der ersten Frage war es,
herauszufinden, welche Fertigkeit die Schüler als die schwerste
betrachten. Während bei den „Anfängern” (Schülern, die erst in der
ersten Klasse des Gymnasiums mit dem Deutsch-unterricht beginnen)
alle vier Fertigkeiten ähnlich vertreten sind (Schreiben 29,55%,
Hören 27,27%, Lesen 22,73%, Sprechen 20,45%) haben 46,66% der
Fortgeschrittenen und der so genannten fortgeschrittenen Anfänger
gerade die Antwort Hören gewählt. Besonders negativ überraschend
ist die Tatsache, dass sogar 41,30% der so genannten
fortgeschrittenen An-fänger, deren Programm zu 90% dem der Anfänger
entspricht, die Antwort „Hören“ gewählt haben. Diese Antwort bzw.
ihre Wahl lässt sich nicht so einfach erklären.
Die nächste Frage, die hier erwähnt wird, war: Wie oft haben die
Schüler früher d.h. in der Grundschule Hörübungen gemacht? 14,47%
haben das oft gemacht, 23,69% manchmal und sogar 43,42% nie. 18,42%
der Schüler behaupten, sie haben Texte gehört, aber sie haben keine
Aufgaben lösen sollen. Wahrscheinlich deswegen weil sie es nicht
genug geübt haben, haben sie Angst vor dem Hören. Etwas mehr als
31% aller Befragten (32,89% der Fortgeschrittenen und 29,55% der
Anfänger) sagen, dass sie, auch wenn sie die meisten Wörter
verstehen, nicht den ganzen Kontext verstehen können, d.h. den Text
interpretieren können. Hier kann man nicht davon absehen, dass
Wahrnehmen, Verstehen und Interpretation eine Voraussetzung für
jegliche Interaktion sind (Henrici/Riemer 1996: 31). Dies führt oft
zu Frust und Angst vor dem Hören und indirekt zur Angst vor der
deutschen Sprache.
Angst vor dem Hören ist auch mit der Unterrichtssituation
verbunden. Etwa 30% aller Befragten spüren Unbehagen und Angst,
wenn sie einen Text auf Deutsch hören sollen, und die Angst
erschwert ihnen zusätzlich das Verstehen des Hörtextes. Es ist
allgemein anerkannt, dass Menschen mit einer stark ausgeprägten
rezeptiven Angst, zu viel ihrer kognitiven Fähig-keiten aus Angst
verlieren und ihnen damit weniger kognitive Ressourcen für die
Verarbeitung von Informationen zur Verfügung stehen. (Mihaljevic
DjigunoviÊ 2002: 55). Darüber hinaus, wenn ihre Ergebnisse direkt
bewertet
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werden, d.h. wenn sie eine Note bekommen, steigt dieser Anteil
auf etwa 48% (45,55%, 47,83% und 56,67%). Hier könnte es sich
natürlich um die Angst vor Noten handeln und nicht speziell um
Angst vor dem Hören bzw. vor der deutschen Sprache.
Was kann man für die Schüler tun bzw. wie kann man ihnen helfen?
Die erfreuliche Tatsache ist, dass etwa 74% der Befragten denken,
dass die Fer-tigkeit Hören sehr wichtig ist, aber nur 50% der
Schüler glauben, dass diese Fertigkeiten geübt und verbessert
werden können und 35% der Schüler wissen nicht, ob man sie durch
Übung verbessern kann. Es lässt sich also sagen, dass die Schüler
eigentlich erkennen, was kommunikative Kompetenz ist, ohne diesen
Begriff zu kennen. Man soll ihnen weiter zeigen, dass es möglich
ist, diese Fertigkeit zu trainieren solche Übungen sollen öfter
gemacht werden und man soll die Schüler wirklich davon überzeugen,
dass man das nicht tut, nur um das Schulpensum zu erfüllen, sondern
um sie auf eine authen-tische kommunikative Situation
vorzubereiten.
Also zum Schluss lässt sich Folgendes sagen: Die Umfrage hat
gezeigt, dass nicht alle Schüler Probleme mit dem Hörverstehen
haben. Diejenigen, die von Anfang an im Deutschunterricht
systematisch die Fertigkeit Hören trai-nieren, finden sie nicht
viel schwieriger als andere Aufgaben. Im Gegenteil, bei denjenigen,
die das von Anfang an nicht gemacht haben, können Prob-leme
auftreten und diese Schwierigkeiten wachsen je nach Sprachstufe.
Eine Rechtfertigung für die nicht genug entwickelte Fertigkeit des
Hörverstehens könnte z.B. eine unzureichende Ausstattung einzelner
Schulen sein, aber sehr oft geht es um eine bewusste
Vernachlässigung solcher Übungen, denn es besteht noch immer die
Meinung, die Entwicklung des Hörverstehens sei äußerst schwer zu
beeinflussen und es sei viel nützlicher, die Zeit für das Erlernen
von Vokabeln und Grammatik zu nutzen. Heutzutage weiß man aber,
dass das so genannte deklarative Wissen nicht mehr genug ist und es
wird immer die kommunikative Kompetenz in Vordergrund gestellt. Es
ist offensichtlich, dass man sie nicht erreichen kann, bevor selbst
die rezeptiven Fertigkeiten nicht erreicht worden sind.
LITERATUR»elikoviÊ, Vlasta (2005): ZajedniËki europski
referentni okvir za jezike: uËenje, pouËavanje, vrednovanje,
Zagreb: ©kolska knjiga.Henrici, Gert/Riemer Claudia (1996):
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mit Videobeispielen. Band 1. Baltmannsweiler: Schneider Verlag
Hohengehren.Heyd, Gertraude (1990): Deutsch lehren: Grundwissen für
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Moritz Diesterweg.MihaljeviÊ DjigunoviÊ, Jelena. (2002): Strah od
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osloboditi. Zagreb: Naklada Ljevak.Nacionalni okvirni kurikulum za
predπkolski odgoj i obrazovanje te opÊe obvezno i srednjoπkolsko
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πporta.
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Kroatischer Deutschlehrerverbandin Zusammenarbeit mit
Goethe-Institut Kroatien und Österreichischem Kulturforum
Zagreb
XIX. INTERNATIONALE TAGUNG DES KROATISCHEN
DEUTSCHLEHRERVERBANDES 28. − 30. OKTOBER 2011, OPATIJA
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ERZIEHERISCHE, SOZIALE, SACHBEZOGENE, INTERKULTURELLE UND
KÜNSTLERISCHE KOMPONENTEN DES DAF-UNTERRICHTS
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XIX. INTERNATIONALE TAGUNG
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DEUTSCHLEHRERVERBANDES
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