Meinung Debatte HR Today 4 | 2017 54 Ein Beispiel aus dem Organisationsalltag: Eine Kadersitzung, zehn Frauen, vier Männer sowie ein Referent, der eine neue Applikation vorstellt. Der Referent trägt lebhaft und praxisnah vor. Er gibt viele Beispiele, in denen der Vorgesetzte mit seinen Mitarbeitern das Programm anwendet. Nach fünfzehn Minu- ten wird es im Publikum unruhig. Ein Kollege bemerkt zu einer Kollegin, es sei ausgesprochen auffällig, dass der Referent im- mer nur von Männern spreche, wo doch im Raum und in der Organisationseinheit überwiegend Frauen beschäftigt seien. Die Unruhe steigt, die Aufmerksamkeit im Raum lässt nach. Der Referent verliert Wirkung und Publikum, weil er die Wirk- lichkeit um sich herum sprach- lich nicht angemessen erfasst hat. Darauf angesprochen, ver- änderte er seine Redeweise und konnte sein Publikum zurückge- winnen. Sprache stellt Wirklichkeit her und bestimmt so unser Denken. Dies wird seit Wilhelm von Humboldt diskutiert. Aber gendergerechte Sprache wird im- mer wieder kritisiert. Gegner bezweifeln, dass sprachliche Gleichbehandlung etwas bewirken könne. Die oben geschil- derte Szene widerlegt dies jedoch. Häufig wird argumentiert, Frauen seien mitgemeint in der generischen männlichen Form. Replizierbare Untersuchungen zeigen aber, dass dies nicht so ist. Machen Sie den Versuch, mit sich und mit ande- ren: Nennen Sie fünf bekannte Sänger! Wäre es Ihnen bei dieser Frage in den Sinn gekommen, eine Frau zu benennen? Deshalb reicht es nicht, sich zu exkulpieren, indem Sie am Anfang eines Textes anmerken, männliche Formen meinten auch Frauen. Auch wenn Sie denken, dass der Text sonst nicht mehr lesbar wäre: Ein gut verfasster Text ist klar, eindeutig und abwechslungsreich geschrieben und verwendet eine Vielzahl an Ausdrücken. Das trifft auch auf gendergerechte Texte zu. Wenn ein Artikel von «Patienten, die abgetrieben haben» spricht, ist das schlicht falsch, es sei denn, Männer würden schwanger werden. Auch die Stellenanzeige eines Unterneh- mens, das eine «Chefsekretärin (m/w)» sucht, ist eher rätsel- haft als zweckdienlich. Kritische Stimmen behaupten, man müsse mehr nachdenken, wie man wem gegenüber was sage, um Männer und Frauen sprach- lich gleich zu behandeln. Gute Kommunikation ist jedoch im Arbeitsleben zentral. Sie wollen Männer wie Frauen für sich gewinnen, Ihr Gegenüber respektvoll behan- deln und eine wertschätzende Kultur des Umgangs miteinan- der prägen? – Dafür lohnt es sich nachzudenken, ungeachtet dessen, ob es sich um ein E-Mail an Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter handelt, eine Stellenanzeige oder um ein Arbeitsge- spräch. Ein Kollege fragte mich: «Und wo bleibt die Redefrei- heit, wenn ich gezwungen bin, meine Sprache zu normieren und zu kontrollieren?» Niemand wird dazu gezwungen. Jede und jeder kann überlegen und frei entscheiden, wie diskrimi- nierungsfrei kommuniziert wird. Ist es Ihnen nicht auch wich- tig, im Berufsalltag respektvoll und gleichwertig angespro- chen zu werden? ■ Anzeige Während die Online-Kommunikations-Dozentin Su Franke Schräg- und Bindestriche für einen Anachronismus hält, plädiert die ZHAW-Professorin Christiane Hohenstein für die geschlechtsspezifische Anpassung von Texten. Gendergerechte Sprache? «Sprache stellt Wirklichkeit her und dies bestimmt unser Denken.» Praxisorientierte Weiterbildungen Erweitern Sie Ihre Kompetenz in betrieblichem Gesundheitsmanagement. Weitere Informationen unter: www.fws-academy.ch Wettbewerbsvorteil Gesundheits- management (2 Tage) → Gesundheitsförderliche Führung in neuen Arbeitswelten (1 Tag) → Gesundheitsförderliche Bürowelten und Workplace Change Management (2 Tage) → Christiane Hohen- stein ist Professorin für Interkulturalität und Sprachdiversi- tät sowie Diversity- Beauftragte an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Pro